Diabetes. Harnruhr. 139
im Zustande der Erweichung, Auflockerung, Zerstörung, doch
nur durch Erosionen , nicht durch Geschwürsbildnng ; dagegen ist
die Muskelhaut auffallend verdickt, hypertrophisch, wie das auf-
fallend wahrnehmbar beiLienterie und Diabetes ist. — Die dem er-
griffenen System zugehörigen Organe sind dabei mehr oder weni-
ger zerstört. — Auffallendes Schwinden des Fettes und der orga-
nischen Masse. — Später gesellen sich Veränderungen im Nerven-
systeme hinzu.
§.85.
Diabetes. Harnruhr.
Es ist diess jede ungewöhnliche Vermehrung der Harnabson-
derung, mit oder ohne qualitative Veränderung derselben, mit
krankhaften Einfluss auf dem ganzen Organismus. Die vorzüglichsten
unterscheidenden Arten sind: Diabetes insipidus (ge-
schmacklose Harnruhr) und D. mellitus (zuckrige Harnruhr).
Am häufigsten, merkwürdigsten und gefährlichsten ist diese letz-
tere Form; der Urin wird geruchlos, süss schmeckend entleert und
enthält bei Verminderung des Harnstoffes Zuckerstoff. Meistens
schleicht die Krankheit sich unbeachtet heran, weshalb der Arzt sie
auch erst völlig ausgebildet zu Gesicht bekommt.
Begleitende Zufälle einer Harnruhr sind: Ausserordentlicher
Durst mit zunehmender Schwäche und Abmagerung, dass es dem
Kranken selbst auffällt und er nach ärztlicher Hülfe sich sehnt.
Die Menge des abgehenden Harns ist oft enorm, von 10 — 60
Pfund und darüber in 24 Stunden und übertrifft die Menge des ge-
nossenen Getränkes, unaufhörliches Drängen zum Harnen quält
den Kranken und unterbricht häufig seinen Schlaf. Zuweilen
klagt der Kranke über Schmerzen in der Nierengegend, über ein
Gefühl, wie wenn kalte Tropfen in die Blase herabfielen. Der
Geschlechtstrieb erlischt zuweilen mit gleichzeitiger Verschrum-
pfung der Hoden. Die Esslust steigert sich bis zum Heisshunger;
besonders gross ist der Hang nach Brod. Unlöschbar der Durst,
namentlich zur Nachtzeit. Alle übrigen Sekretionen sind mehr
oder weniger unterdrückt; die Haut fühlt sich spröd , trocken, per-
gamentartig an , ist schilfrig , Stuhl angehalten , hart , von nicht
fäculentem multrigem Gerüche; zwischen Verstopfung und Durch-
fall wechselnd. Oft ist das Zahnfleisch aufgelockert, die Zähne
140 Colliquationen.
fallen aus. Die Kräfte schwinden, bei zunehmender Abmagerung;
die Kranken sind schwermüthig, bald sehr reizbar, bald apathisch;
ihre Stimme ist rauh, hohl, schwach; Gesicht und Gehör nehmen
ab; zuweilen bildet sich grauer Staar; zuweilen Amaurose im Auge
aus. Die Zeichen der Lungentuberkulose und hectisches Fieber
treten mehr hervor, unter Nachlass der Hyperdiurese und des
Zuckergehalts im Harne, mit colliquativen Schweissen — oder
die Fiisse schwellen an. Die Krankheit endet durch Erschöpfung,
Phthisis, Wassersucht, oder zuweilen durch Apoplexie.
Occasionelle Ursachen sind: die vorzüglichste und
wichtigste, chronisch unterdrückte Hautabsonderung und Ueber-
tragung derselben auf die Nieren ; Schwächung der Nieren und des
Rückenmarks durch Excesse in der Liebe und dem Trünke (Weiss-
bier, Thee,Most); Blutcongestionen nach diesen Organen, auch
Unterdrückung der Hämorrhoiden und Menstruation, Hysterie und
Hypochondrie etc. Erwiesen ist, dass kein Zuckergehalt im Urin
producirt wird, so lange der Kranke keine Vegetabilien geniesst,
sondern nur von Eiern und Fleisch lebt; obschon nun dadurch allein
keine Radicalkur bewirkt wird, so ist diese diätetische Regel zur
Heilung doch förderlich und wesentlich zur Kur gehörend.
§. 86.
In therapeutischer Beziehung lässt sich nicht viel sagen,
aber auch das Wenige ist schon ausreichend, denkende Aerzte zu
grösserer Achtsamkeit auf diese nicht ebe^eu häufig vorkommende
Krankheit anzuspornen, da die von mir anzugebenden Mittel noch
viel zu wünschen übrig lassen.
Als das souverainste Mittel in dieser Krankheit ist von Hahne-
mann selbst Argentum metallic. gerühmt worden, das aber von
allen oben aufgezeichneten Symptomen kein anderes als Anhalte-
punkt bietet, als: „öfteren Harndrang." Ich habe keine Erfah-
rungen darüber, denn die wenigen Fälle, die sich mir zur Behand-
lung boten , waren von der Art, dass stets andere Miltel indizirt
waren. Ich muss mich also auch hier begnügen, darauf hinge-
wiesen zu haben.
Weit vorzüglicherscheint mir, nach meinen Beobachtungen,
Ledum palustre zu sein , das ich , nach unterdrückter Hautausdün-
stung und nach vorher angewandter Dulcamara, stets mit ausge-
Diabetes. Harnruhr. 14 L
zeichneten! Erfolge gab , wenn Schmerzhaftigkeit der Glieder und
des ganzen Körpers wie zerschlagen und zerstossen , Reissen im
Rückgrat, insbesondere in der Gegend der Nieren, zugegen waren.
Dazu gesellte sich unruhiger Nachtschlaf, durch die ofte Anregung
zum Urinlassen hervorgerufen; Patient ist mürrisch, verdriesslich;
Appetit fehlt; ßrechwürgen stellt sich schon früh ein; breiiger
Stuhl.
Ich mag es nicht Iäugnen, däss Nux vomica für mich von jeher
ein Mittel von hoher Bedeutung gewesen ist, ja, ich könnte sagen,
ich bin mit ihm in der Homöopathie aufgewachsen, Idenn 1815 war
nur erst der erste Band der Arzn. M. Lehre von Hahnemann er-
schienen und ich heilte mit ihm die meisten der damals mir zu
Gebote stehenden Krankheitsfälle. Ich bin nun wohl hinreichend
mit den Wirkungen der Nux vertraut, dass der Leser gewiss über-
zeugt ist, ich weiss dieses Mittel am passenden Orte anzuwenden.
So fand ich es denn auch in dieser Krankheitsform anwendbar,
sah mich selbst oft genöthigt, im Verlaufe der Krankheit wieder
auf diese Arznei zurückzukommen. Jederzeit nutzte sie, wo die
Krankheit durch übermässigen Genuss von Weissbier bei sitzender
Lebensweise, oder nach Erkältung entstanden war; Stuhlver-
stopfung, wenigstens träger Stuhl, darf nie fehlen; ärgerliche
hypochondrische Gemüthsstimmung; zuweilen Jähzorn; Schwindel
wie von Trunkenheit; Widerwille gegen Schwarzbrod ; Ekel und
Erbrechen waren immer zugegen, wo ichiVwa? anwendete; so gross
der Durst auch war, so belästigte das Getränk doch den Magen
und erregte brecherliche Uebelkeit. Natürlich fehlte der im Ver-
hältniss zum Getränk vermehrte Harnabgang nie; im Gegentheile
aber gab ich Nux stets nutzlos, wo der Geschlechtstrieb erloschen
war. — Es passt in jedem Stadio der Krankheit, wenn es durch
andere zweckdienliche Mittel gehörig unterstützt wird, ja selbst
•im letzten Zeitraum, nur kann es dann eben so wenig wie ein an-
deres Hülfe bringen.
Unter allen Arzneien finden sich nicht leicht welche, die in
ihren Erstwirkungen auf den gesunden menschlichen Körper so
viel in die Augen fallende diabetische Symptome aufzuweisen hätten,
als die Natrum- Präparate, und unter allen war es namentlich Na-
trum muriaticum , das sich am bewährtesten in dieser Krankheit
zeigte, wenn der Symptomen -Complexohngefähr folgendermassen
142 Colliquationen.
sich gestaltet: Säfteverlust oder Zorn und Aerger gaben die Ver-
anlassung zur Entstehung der Krankheit; sie kündigte sich durch
Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, bei dem sie jeden Tritt fühlt,
grosse Mattigkeit und Schwere der Füsse , Brechwürgen etc. an ;
später treten die charakteristischen Symptome immer deutlicher
hervor, das Harnen wird immer reichlicher, stört Nachts fast alle
halbe Stunden, dagegen schläft der Geschlechtstrieb immer mehr
und mehr ein , der Stuhl wird härter und artet zur Stuhlverstopfung
aus: Ziehschmerzen in der linken Bauchseite nach dem Becken
herab fehlen nie , dabei zugleich Wehmuth und Kummer für die
Zukunft. — Natr. carbon. steht ihm sehr nahe, und ich verweise
die Leser auf das eigene Nachschlagen.
Aber auch die Ammonium- Präparate verdienen hier rühm-
lichst erwähnt zu werden, indem wir ihrer in dieser Krankheit ge-
wiss bedürfen als wahre Heil-, nicht als Palliativ -Mittel. Eine
nähere Angabe der für sie sich eignenden Symptome kann ich
nicht machen, da ich noch nicht Gelegenheit gefunden habe, bei
den Kranken, die ich zur Behandlung bekam, sie in Anwendung
zu bringen, indem die gegenwärtigen Symptome mich auf andere
Mittel hinwiesen.
Squilla hat mir ebenfalls Nutzen gebracht , weil ich die Urin-
treibende Kraft dieser Arznei nicht als Nachwirkung, sondern als
wohlbegründete Wechselwirkung betrachtete , die mich auch nie
trog. Der Heisshunger, der grosse Durst, die Stuhlverstopfung,
in Verbindung mit erethischen Brustbeschwerden gaben stets ein
gutes Criterium ab.
Auch Veratrum erwies sich hülfreich bei Harnfluss, mit starkem
Hunger und Durste mit Kopfschmerz; mit starkem Schnupfen; mit
Bauchweh; mit Kollern im Bauche ; mit Hartleibigkeit, selbst mit
unwillkürlichem Harnen.
Obgleich bei Carbo vegetabilis der Harnfluss unter den Symp-*
tomen deutlich genug aufgezeichnet ist, so fand ich doch in den
wenigen mir gebotenen Fällen die charakteristischen Symptome
unter denen der Carbo animalis mehr ausgedrückt, als unter
ersterem. Die Harnsymptome sind die bekannten, der Geschlechts-
trieb fehlt, der Stuhlgang wird oft erst nach langem vergeblichen
Drängen in bröcklichen, harten Massen entleert; der Appetit ist
nicht erloschen, nicht vermehrt, wohl aber ist immer ein abson-
Lienteria. Magenruhr. 143
derliches Verlangen nach sauren Genüssen und erfrischenden Dingen
zugegen. In einem Falle fand ich auch eine Affection der Mund-
und Zungenschleimhaut — aphthenähnlich — mit vor, die übri-
gens keine Gegenanzeige abgab.
§.87.
Lienteria. Magenruhr.
Ueber diese Krankheit ist nicht viel zu sagen, da sie ja eigent-
lich nur ein Symptom einer solchen, keineswegs aber dieselbe
selbst ist. Man hat ihr nun aber in den therapeutischen Handbü-
chern einen selbstständigen Platz angewiesen und so will ich ihr
denn hier auch einen kleinen Raum vergönnen.
Das charakteristische Symptom ist: Abgang der Speisen und
Getränke in unverdautem Zustande durch den After sehr kurze Zeit
nach ihrem Genüsse. Oft ist weder Consistenz, noch Farbe, noch
Geruch des Genossenen verändert. Der Kranke fühlt oft sogleich,
nachdem er etwas zu sich genommen, Druck, Aufblähung, eine
gewisse Kälte in der Magengegend, Aufstossen, Kollern, Poltern,
Kolik, und diese Symptome dauern bis zu der sich rasch, ohne
langes Vorgefühl, ohne Drängen, ja beinahe unwillkürlich eintre-
tenden Entleerung an. Später tritt Heisshunger, Gefühl von Leere
im Magen ein, das sich bis zur Cardialgie steigert. Der Durst
ist meist sehr heftig, Zunge rein, selten belegt. — Bei längerer
Dauer der Krankheit wird die Haut trocken, spröd, rissig; der spär-
lich abgehende Harn nimmt ein saturirtes, trübes, dunkelrothes
Aussehen an. Die Kräfte sinken immer mehr, die Kranken wer-
den schlaflos , magern ab , werden verdriesslich.
Erregende Ursachen sollen sein: schwerverdauliche,
wenig Nahrungsstoff enthaltende, rohe, gährende vegetabilische
Alimente, saure Weine; Missbrauch von scharfen Purganzen;
Durchnässung, Erkältung der Haut; als Nachkrankheit der Rose,
Cholera etc.
$. 88.
Therapie dieser Krankheit. Noch jetzt denke ich mit eini-
gem Widerwillen der Arznei, und habe viele Jahre diese schön
blühende Topfpflanze nicht lieben können, weil sie mich bei ihrer
Prüfung in einen wahren Katzenjammer ähnlichen Zustand versetzte
144 Collipuationen.
und mir ein Leibgericht zuwider machte, das mich lange nachher
noch anekelte. Ich hatte früh 6 Uhr mehre Tropfen Oleander-
Tinctur genommen, nach y 2 Stunde dieDosis verdoppelt und bekam
bald darauf einen so enormenSchwindel, dass ich nicht vermögend war
zu stehen oder zu gehen, ohne zu befürchten, hinfallen zu müssen
und bei jedesmaligem derartigen Versuche Brechwürgen zu bekom-
men. Der Zustand dauerte bereits 4 Stunden und war mir so lästig,
dass ich endlich davon frei zu sein wünschte, weshalb ich mir zur
Störung der Wirkung einen Gurkensallat mit Eierkuchen bestellte,
der mir auch anfangs wohl schmeckte und alles Krankhafte ver-
scheucht zu haben schien. Aber, o Himmel, nach etwa zur Hälfte
beendeter Mahlzeit brach die Explosion ohne Vorboten plötzlich
aus: ich erbrach den grössten Theil des Genossenen und war kaum
vermögend den Nachtstuhl zu erreichen, in dem sich der Ueberrest,
völlig unverdaut, entleerte, was im Laufe des Tages nach jedem
Genüsse sich noch einige Male wiederholte. — Seitdem aber hat
sich mir dieses Mittel oft schon in ähnlichen lienterjschen Zuständen
so probat gezeigt, dass ich es in dieser Krankheitsform unbestreit-
bar für das souverainste anerkennen muss.
Ihm zunächst steht die China, namentlich in den Fällen, die
nach langen, angreifenden, den Körper sehr schwächenden Krank-
heiten, Cholera, Diarrhöe, Ruhr, Typhus, oder nach Missbrauch
drastischer Purganzen, entstanden, wo die ganze Krankheit also
nur auf einer Atonie des ganzen Darmkanals beruht, wozu viele
andere dyspeptische Erscheinungen sich gesellen.
Ausserdem ist Arsenic wohl noch die einzige hier als Antilien-
tericum zu verzeichnende Arznei und zwar im letzten Stadium der
Krankheit, wo schon andere krankhafte Erscheinungen , insbeson-
dere der Schleimhäute, sich mit ausgebildet haben. — Ausser
diesen 3 Mitteln lassen sich noch einige als passend für die Krank-
heit aufführen , wie Conium, Phosphor, Acid. phosph. , Ferrum,
Arnica , Sulphur , Mercur , Calcar. carb. etc., die vielleicht leich-
teren Fällen entsprechend sich erweisen, doch kann ich ihnen nicht
so recht empfehlend das Wort reden.
§. 89.
Pfcyalismus, Salivatio. Speichel flass.
Er ist die Colliquation der Schleimhaut der Deglutitionsorgane.
Ptyalismus , Salivatio. Speichelfluss. 145
Dem Kranken läuft fortwährend der Mund voll Wasser, so dass in
24 Stunden 2 — 3 Pfund Wasser ausgespuckt werden. Der Schleim
ist Anfangs zähe, mit Speichel gemischt, bis er später dicklicher,
undurchsichtig wird und einen eigenthümlichen faden, siisslichen
Geschmack annimmt. Bei Merkurial-Salivation ist der Ausfluss
von einem eigenthümlichen Geruch aus dem Munde begleitet, die
Zähne erscheinen wie zu lang, das Zahnfleisch wird livid, schwam-
mig aufgetrieben etc. Bei der Salivation nach Durchnässung, Er-
kältung der Haut ist das Zahnfleisch blass und etwas zusammenge-
schrumpft; die Kranken klagen über grosse Trockenheit im Munde
und längs der Trachea; die Sprache ist etwas rauh und misstönig.
Die Esslust ist gut, aber der Durst vermehrt; alle übrigen Sekre-
tionen beschränkt. Bei längerer Dauer des Uebels treten gegen
Abend leichte febrile Erscheinungen hinzu.
§. 90.
Das pharmazeutische Verfahren richtet sich nach der
veranlassenden Ursache. — Oben an für alle vorkommenden Fälle
steht die Dulcamara und sie scheint dieser Krankheitsform ganz
besonders entsprechend zu sein und als Heilmittel für kranke
Schleimhäute und Schleimdrüsen der Deglutitionsorgane zu gelten,
wozu noch ihr Werth als Gegenmittel von Merkur - Missbrauch,
Erkältungs- Beschwerden und Drüsenleiden überhaupt zu zählen
ist. Man beachtet diese Arznei in der Homöopathie überhaupt zu
wenig und selbst, dass sie Hahnemann unter die antipsorischen
Arzneien verwiesen und dadurch ihren hohen Werth geltend ge-
macht hat, konnte ihr keine grössere Anerkennung verschaffen.
Mir hat sie manchen Nutzen gebracht, schon in früherer Zeit, wo
uns nur wenige Mittel noch zur homöopathischen Behandlung zu
Gebote standen. Aus jener Zeit schon datirt sich bei mir dieKennt-
niss von der Heilkraft der Dulcamara in Merkurial- Ptyalismus.
Vorzüglich empfehlenswerth ist sie, wenn die Beschwerden Nachts
sich verstärken, der Speichel -Ausfluss ein zäher, seifenartiger ist,
bei lockerem schwammigen Zahnfleische, Trockenheit des Mundes
mit heftigem Durste, leichtes Kneipen in den Gedärmen mit mehr-
maligen täglichen , schleimigen Durchfallstühlen.
Nach ihm dürfte Nitri acidum im Merkurial- Speichelfluss den
Vorrang vor allen anderen verdienen. Man giebt diese Arznei
II. 10
146 Colliquationen.
nie ohne Nutzen, wenn Lockerheit der Zähne, Verlängerungs-
Gefühl derselben, Geschwulst des Zahnfleisches, Trockenheit im
Munde und Halse mit vielem Speichelfluss , ekelhaft riechendem
Mundgestank, Wundheitsschmerz im Munde, Appetitlosigkeit
mit fortwährender Uebelkeit — die Krankheit bilden.
Ausser N. a. ist noch Acidum sulphur. ein gewichtiges Mit-
tel, das wohl ebenfalls nur dem Merkurial-Speichelfluss entspricht,
wenn derselbe mit leichten Febricitationen und Schwämmchen im
Munde verbunden ist. Es finden sich wohl auch noch mehr
Symptome, die in grosser Beziehung zu dieser Arznei stehen und
zu ihrer Anwendung auffordern, die der Leser selbst zu finden
wissen wird.
Hierher gehört auch noch Jodium, als eins der vorzüglichsten
Antidote gegen die verschiedenen Merkurial- Präparate, das in
naher Beziehung zu der besprochenen Krankheit steht und dem
Arzte gewiss bei einem solchen Falle mit in's Gedächtniss kommt.
Ein unstreitig noch wenig dagegen gekanntes, von mir schon
öfters mit entschiedenem Erfolg aber in dieser Krankheit ange-
wandtes Mittel ist Tartarus emeticus. Unentschieden lasse ich,
ob die Krankheit nur vom Merkur - Missbrauch herrührte, oder
ob sie nicht auch noch beigetretenen anderen Zufälligkeiten ihr
Entstehen verdankte; genug, er nützte immer, wenn die vorher-
genannten Mittel vergeblich gegeben worden waren, aber ich
reichte ihn in keiner Verdünnung, sond^tn löste 1 Gran in 4 Un-
zen Wasser auf, wovon ich erst zweistündlich, dann immer selt-
ner, Theelöffelweise nehmen Hess und die schwierigsten Fälle,
die über ein halbes Jahr schon angehalten hatten, binnen weni-
gen Tagen vollständig beseitigte. Immer gab mir ein fortwäh-
rendes Uebelseins-Gefühl, grosse Magerkeit und Mattigkeit, abend-
liches Frösteln einen Wink, dass dieses Mittel wohl der Beach-
tung werth sei.
Hat der Merkurial - Ptyalismus schon längere Zeit gedauert,
ohne dass neue Merkur-Gaben ihn verstärkt haben, und der Ho-
möopath bekommt ein solches Subject zur Behandlung, so ist es
gerathen, zu Anfange erst noch ein Mercurial- Präparat in An-
wendung zu bringen, wozu sich am vorzüglichsten Mercur. Subli-
mat eignet. Hätte dieser hingegen die Krankheit hervorgeru-
Ptyalismus , Salivatio. Speichelfluss. 147
fen, dann würde der Mercur bijodatus das geeignete Präparat
dafür sein.
Andere Ptyalismen, denen kein Merkur-Missbrauch zum Grunde
liegt, erfordern unter jeder Bedingung erst die Anwendung des
Mercur und werden fast immer in ihm ihr Heilmittel finden, wenn
nämlich das richtige Präparat, wohin auch Cinnabaris zu zählen,
gewählt wird, was zu bestimmen dem behandelnden Arzte ob-
liegt. " Wo es diesem nicht gelingt, da sind folgende Arzneien
indizirt: '
Colchicum autumn. steht der Dulcam. bezüglich der Erre-
gungs- Ursache der Krankheit am nächsten, nur ist letztere mit
manchen andern Nebenbeschwerden verbunden, die dem Haupt-
leiden ganz heterogen zu sein scheinen, es jedoch nicht sind
und gerade am sichersten auf die passende Wahl der Arznei hin-
deuten. Diese Ptyalismen, denen Colchicum entspricht, kommen
am häufigsten bei nasskalter Witterung vor und sind durch un-
terdrückte Transpiration entstanden, daher sie denn auch meistens
mit ziehenden, zuckenden, reissenden Gliederschmerzen verbunden
auftreten, deren Verschlimmerung Abends und Nachts bis zum
Unerträglichen sich erhöht und wobei natürlich auch der Spei-
chelfluss sich verstärkt, der, neben Trockenheit des Halses, noch
die Eigenthfcmlichkeit besitzt, dass beim Verschlucken des Spei-
chels brecherliche Uebelkeit sich erzeugt.
Derjenige, für den Cantharides passend sich erweisen, muss
mehr ein in periodischen Zwischenräumen erscheinender sein,
wenigstens denke ich mir es so und glaube, die Homöopathen,
die ihn gegen diese Krankheit anwendeten, benutzten gerade diese
Eigenthümlichkeit als charakteristisches Moment für die Wahl
dieses Mittels. Ich habe es nie angewendet, ich würde mich aber
auch nicht dazu verstehen können, im vorkommenden Falle Ge-
brauch von ihm zu machen, weil ich der Ansicht bin, dass der
Ptyalismus, der Canthariden angehört, nicht ohne Entzündung der
innern Schlingorgane, des Larynx und der Trachea zu Stande
kommt, die Krankheit alsdann aber nicht mehr der in Rede ste-
henden, sondern einer ganz andern Familie angehört.
Noch eins für alle Fälle, nur unter manchen andern Verhält-
nissen und charakteristischen Nebensymptomen, passendes Mittel
ist Sulphur. Ich habe schon vielmals in diesem Werke über ihn
10*
148 Colliquationen.
gesprochen, dass ich diessmal unterlasse, die specielle Anzeige
für ihn aufzuzeichnen.
§. 91.
Ephidrosis. Schweisssucht.
Ihr so wenig, wie ich es .der Phthisis pituitosa thue, würde
ich hier noch ein Wort vergönnen, da ich ihrer schon an einem
für sie passenden Orte Erwähnung gethan, und namentlich die
Ephidrosis nur als ein andere Krankheiten begleitendes Symptom
betrachtet habe, als welches sie auch nur anzusehen ist.
Aber der Ephidrosis localis, die an Füssen, Genitalien,
Händen, unter den Armen sich fixirt, möchte ich noch einige
therapeutische Andeutungen zukommen lassen, da dieses Local-
leiden oft von grosser Bedeutung für die Existenz mancher Men-
schen ist, ja selbst, insbesondere Fussschweisse, zu Eheschei-
dungen Veranlassung geben kann, dass es sich wohl der Mühe
lohnt, zu Gunsten der Anfänger noch mit ein paar Worten ih-
rer zu gedenken.
Diese Local-Ephidrosen sind gewöhnlich mit einer qualitati-
ven Sekretionsverderbniss verbunden, wodurch ein höchst übler
Geruch verbreitet und das Uebel höchst lästig und unangenehm
wird. Doch lasse man sich ja nicht, durch das ©rängen des
Kranken verleitet, überreden, zu Pellentibus seine Zuflucht zu
nehmen und das Uebel etwa durch Waschen mit Alaun, Blei-
wasser und dergl. zu supprimiren, Updurch so sehr leicht
Blindheit, Asthma, Taubheit, Phthisis und eine Menge anderer
Arten von Krankheiten metastatisch herbeigeführt werden können.
Fussschweisse sind es besonders, deren Beseitigung sehr
häufig gewünscht wird. Oft ist ihr Entstehen nicht zu enträthseln,
oft ist aber auch ein fehlerhaft behandeltes Hautleiden die Veran-
lassung und das Uebel schleicht so allmälig heran, dass der Patient
oft erst Notiz von demselben nimmt, wenn es durch seinen Übeln
Geruch auch der Umgebung auffallend genug wird. — Ein Spe-
cificum gegen dieses Uebel kenne ich nicht, glaube auch kaum,
dass eins dagegen gefunden werden wird, da es von so verschie-
denen Ursachen abhängig sein kann, die alle ein anderes Heil-
mittel erfordern. Gerathen ist es bei einem solchen Uebelstande
fast immer, da die Heilung selten durch ein Mittel herbeizufüh-
Ephidrosis. Schweisssucht. 149
ren ist, mit Sulphur den Anfang zu machen, da er nicht nur dem
Hauptübel, sondern oft der erregenden Ursache, durch Unter-
drückung von Hautausschlägen, entspricht, und ihn mehrtägig
zu einer Gabe darzureichen. Hat man ihn dann ruhig mehre Tage,
ja, bei beginnender Besserung, Wochen lang fortwirken lassen,
so stellt sich dann gewöhnlich unter folgenden Mitteln eins als
das passendste heraus, was sich vielleicht durch ein oder mehre
von Sulphur hervorgerufene Neben-, aber charakteristische
Symptome noch sicherer wählen lässt: Lycopodium. Ich habe
diese Arznei in vielen Fällen mit solchem ausgezeichneten Erfolg
gegeben, dass es zur vollständigen Heilung nur einiger Zwischen-
gaben von Sulphur bedurfte, um dann durch Wiederholung des
erstem das Uebel vollends zu heben.
In manchen anderen Fällen wurde es mir aber wieder nicht
so wo|^ und ich wählte dann so gut als möglich unter Magne-
sia muriat., Sepia, Carbo lieget., Calcar. carb., Kali carb. —
Dann aber bedurfte es gewöhnlich der Anwendung mehrer Mittel,
um das Uebel zu beseitigen.
War mit den Fussschweissen Kälte der Füsse, als ob
sie in kaltem Wasser stünden, verbunden, so erwies sich Coc-
culus sehr oft allein hülfreich; in andern Fällen hingegen musste
ich wieder meine Zuflucht zu Sulphur und Lycopod. oder Rhus
und Mercur nehmen.
In stinkenden Fussschweissen zeichneten sich besonders
noch Kali carbonic. und Baryta carb. aus, wiewohl auch hier
Zincum, Graphit und Silicea nicht immer zu umgehen sind.
Stinkenden Fussschweiss mit Wund wer den der Zehen
beim Gehen hebt Zincum am öftersten; zuweilen noch Jodium
und Lycopod.
Von Durchnässung unterdrückte lassen sich oft schnell
durch einige Gaben Rhus wiederherstellen, während auch manch-
mal noch Sepia, Nalr. muriat. u. a. dazu erforderlich sind.
Plötzlich vertriebene erregen oft so bedenkliche Zufälle,
dass ihre Wiederherstellung ein unerlässliches Bedingniss wird,
vorzüglich noch, wenn Kälte der Unterfüsse sich mit den Be'
schwerden paart. Silicea ist hier Hauptmittel.
150 Colliquationen.
Die Schweisse der oben genannten andern Theile sind nicht
von so hoher Bedeutung, dass oft Abhülfe dagegen gewünscht
würde; am öftersten kam es mir noch mit den Handschweis-
sen vor, die zuweilen dadurch lästig werden, dass man zarte
Gegenstände nicht, ohne Fettflecke zu hinterlassen, berühren darf.
Ein vorzügliches Mittel ist hier Thuja; ausserdem noch Natrum
mur., Calc. carb., Sulphur und vielleicht noch einige andere. Ich
muss mich hier mit der Angabe begnügen, da mir zu wenig si-
chere Erfahrungen darüber zu Gebote stehen.
Lästiger vielleicht noch als jener ist der Achselgruben-
sch weiss, wozu wohl oft die enge und geschnürte Bekleidung
an diesen Theilen Veranlassung geben mag, die natürlich auch
abbestellt werden muss, wodurch allein schon oft das U^|el ge-
hoben wird, oft aber auch ist es schon so eingewurzelt, dass
es doch noch der Nachhülfe Seitens der Kunst bedarf, und da
sind es besonders Sulphur, Bovist, Thuja, Sepia, Natrum muriat.
etc. — Bei stinkendem ist es Hepar sulphur. und Phosphor;
bei nach Zwiebeln riechendem Bovist, der sich vorteilhaft
auszeichnet.
Schweiss an den Geschlechtstheilen findet seine
Heilmittel ebenfalls wieder in Thuja, Mwcur, Sepia, Sulphur.
§. 92.
Galactorrhoea. Milchfluss.
Zuweilen hört nach geendigtem Stillen die Milchabsonderung
gar nicht wieder auf, sondern dauert, oft in bedeutendem Grade,
immer fort. Anfangs ist die Milch noch die gewöhnliche, all-
mälig aber verliert sich der Käsestoff und die Milch besteht fast
aus nichts mehr, als aus Eiweiss und einer grossen Menge Zu-
cker. Alle übrigen Sekretionen sind vermindert; träger Stuhl,
trockne Haut, Unterdrückung der Menstruation, Gefühl von Tro-
ckenheit im Munde, beschränkte Hautsekretion; auffallende Ab-
magerung, endlich Hinzutritt von Lungentuberkeln, die rasch zur
Pneumophthise führen.
Galactorrhoea. Milchfluss. 151
Die gegen einen solchen widernatürlichen Zustand theils von
dem verstorbenen Gross, theils von mir empfohlenen Mittel,
von denen, nach den begleitenden Nebenbeschwerden, bald das
eine, bald das andere zu wählen ist, sind: Aconit, Rhiis, Bella-
donna, Calcar. carb., Phosphor.
Gegen das plötzliche Vergehen der Milch in den Brü-
sten aber, ohne irgend eine sichtliche Ursache, wodurch leicht
eine Versetzung auf die Unterleibsorgane bewirkt werden und
eine febris puerperalis heraus sich bilden kann, fand ich Pnlsa-
t'dla, Calcarea und Zincum am passendsten, die etwa entstehen-
den Nachtheile zu verhüten, ja selbst in manchen Fällen die Milch
wieder in Fluss zu bringen. Später zeigte sich mir Didcamara
vorzüglicher, wenn das Vergehen der Milch durch Erkältung her-
beigeführt worden war, der sich in manchen Fällen Sidphur,
Chamomilla, Rhns anschliessen.
Ein Zustand, den ich hier, als am zweckmässigsten Platze,
mit einschiebe und für den Praktiker gewiss von hohem Werthe,
ist folgender: Bei aller Fülle von Nahrungsstoff in den Brüsten,
bei dem ungetrübtesten Wohlsein der Wöchnerin, bei sichtbarer
Gesundheit des Säuglings, überhaupt bei der schönsten Harmonie
aller Kräfte und Functionen, wo auch nicht die geringste Krank-
heitsursache sich auffinden lässt, will das Kind die Brust
nicht mehr nehmen, trotz aller wiederholten Versuche, und
bringt so die zärtliche Mutter um das schönste Vergnügen, ihren
Liebling selbst nähren zu können. Alle unsere Philosophie reicht
hier nicht aus, diesen Zustand genügend zu erklären, und keine
andere Heilmethode, als nur die homöopathische, vermag da-
gegen etwas auszurichten, die uns, vor der Hand wenigstens,
zwei Mittel darbietet, deren Bekanntmachung wohl jedem homöo-
pathischen Arzte wünschenswerth ist. Es ist Cina und Mercu-
rius solub., die, nach Verschiedenheit der etwa begleitenden Um-
stände, bald das eine, bald das andere, der Mutter gereicht wer-
den und schon nach wenigen Stunden eine so günstige Verände-
rung hervorbringen, dass das Kind von nun an, ohne den ge-
152 Colliquationen.
ringsten Widerstand, die Brust nimmt, deren Quelle ausserdem
hätte versiegen müssen.
§. 93.
Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss.
Erscheinungen. Die Kranken hatten sich früher durch
eine Verkältung (beim Tanzen) eine akute Blennorrhoe zugezo-
gen. Diese hat sich in eine chronische verwandelt, welche bald
den Charakter der Colliquation annimmt. Die Kranken verlieren
nun beständig Schleim aus der Vagina, der Schleim ist zähe,
froschleichähnlich, wie gekochter Sago durchsichtig, nicht ätzend,
wie dieses bei katarrhalischen und syphilitischen Affectionen der
Fall ist. Die Schleimhaut der Genitalien wird auffallend schlaff
und welk. Zur Zeit der Menstruation ist der Ausfluss am stärk-
sten. Anfangs hält diese noch an, später aber wird sie miss-
farbig und verschwindet endlich ganz. Unter diesen Erschei-
nungen verlieren die Kranken ihr blühendes Aussehen, die Haut
wird erdfahl, welk und trocken; die Kranken magern ab, wer-
den kraftlos, der Appetit mindert sich und ist auf vegetabilische
Nahrungsmittel, besonders auf Milch, gerichtet; Fleischspeisen
erregen ihnen Horripilationen ; der Puls wird klein, leer, schwach,
bei längerer Dauer des Uebels etwas frequent.
Diesem nicht ansteckenden, oft sehr lästigen und langweili-
gen Uebel, dessen Quelle in der Gebärmutter und der Mutter
scheide ist, sind Frauenzimmer von jedem Alter unterworfen.
Eine solche Blennorrhoe ist doppelter Art, entweder akut oder
chronisch. Im ersteren Falle ist sie fast ohne Ausnahme durch
Ansteckung mit Tripperstoff erzeugt und hat im Allgemeinen die
grösste Aehnlichkeit mit dem Tripper, indem sie dieselben Sta-
dien durchläuft und aus derselben Ursache entspringt. Nur eine
Verschiedenheit waltet da hinsichtlich des Sitzes ob: dort ist letz-
terer in der Harnröhre, hier in der Vagina, und darum erregt
hier das Urinlassen keinen oder nur unbedeutenden Schmerz.
Hängt die Blennorhöe von Ansteckung ab, so entsteht sie
plötzlich und es gehen ihr am zweiten oder dritten Tage nach
erfolgter Infektion Brennen in den Geburtstheilen, erhöhetere
Temperatur der Vagina, Jucken, Kitzeln, Stechen, Spannen in
derselben voran ; die äussern Genitalien sind wulstiger und mehr
Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss. 153
geröthet, der Geschlechtsreiz ist stärker und es finden sich so-
gar leichte Fieberbewegungen, vermehrter Durst u. s. w. ein.
Nachdem dieses entzündliche Stadium einige Tage angehalten hat,
tritt dann der Schleimfluss selbst ein, welcher hier gewöhnlich
von mehr verdickter, dem Eiter sich nähernder Consistenz, selbst
von ansteekender Beschaffenheit ist, und nun, nach der kräftige-
ren oder schwächeren Constitution der Kranken, entweder kür-
zere oder längere Zeit anhält, ja selbst habituell und bleibend
werden kann.
§. 94.
Eine Prädisposition für diese Krankheit finden wir vor-
zugsweise bei skrQphulösen, reizlosen, torpiden, schwammigen,
aufgedunsenen Subjecten, und die Krankheit ist sogar in man-
chen Familien erblich. Unter den erregenden Momenten
steht die dem Körper inwohnende Psora, die von Mutter auf
Tochter übertragen wird, oben an, deren Ausbildung zu der hier
in Rede stehenden Krankheit durch eine weichliche, sitzende,
erschlaffende Lebensweise, durch den anhaltenden Genuss schlech-
ter, unverdaulicher, fetter und mehliger Nahrungsmittel, durch
das Uebermaass warmer, erschlaffender Getränke, durch grosse
Blut- und Säfteverluste, durch vorausgegangene wichtige entkräf-
tende Krankheiten , durch deprimirende Gemüthsaffecte , durch
feuchte, dumpfe Wohnungen und nasskalte, neblige, feuchte Wit-
terung begünstigt wird. Aber auch örtliche Schädlichkeiten ge-
ben oft die Erregungs-Ursache ab, z. B. zu warmes Verhalten
der Genitalien, langes Schlafen in warmen Federbetten, Missbrauch
der Kohlentöpfe; Onanie; zu früh und zu häufig genossener Bei-
schlaf, Metrorrhagieen und Abortus ; öftere und schwere Wochen-
betten und dergleichen mehr.
Anlangend die Prognose, so ist die chronische Form die-
ser Krankheit keineswegs als eine gefährliche, wohl aber als
eine hartnäckige und in vielen Fällen als eine sehr langsam zu
beseitigende zu betrachten, weil sie nur nach vollkommener Til-
gung der inwohnenden Psora, wozu oft mehre Antipsorika er-
forderlich sind, gelingt.
§. 95.
Wir kommen nun zur homöopathischen Behandlung
154 Colliquationen.
einer Leukorrhoe und wenden uns zuvörderst zu der akuten Form
oder zu der, die von Ansteckung abhängt. Der praktische Arzt,
dem derartige Fälle einer syphilitischen Ansteckung bei Mädchen
und Frauen schon öfters zur Behandlung vorgekommen sind,
wird mit mir einverstanden sein, wenn ich behaupte: dass ihm
in sehr vielen Fällen die Erforschung der Erregungs - Ursache
sehr schwierig, ja oft unmöglich wird, weil es ein zu delikater
Punkt ist, und der Arzt zudringlich und neugierig erscheinen
und darum leicht wieder abgewiesen werden würde, wenn er
der Entstehungs -Ursache so genau auf den Grund zu kommen
suchte. Obgleich nun diess letztere Verfahren von Seiten des
Arztes allerdings ganz regelrecht ist,' so ist es doch, um seiner
selbst wegen, nicht rathsam, durch Voreiligkeit und Unklugheit
sich das Vertrauen eines Menschen zu verscherzen. Den Allöo-
pathen würde es sehr in Verlegenheit setzen, wenn er die Grund-
ursache einer Krankheit nicht erfahren könnte, weil dadurch sein
ärztliches Handeln auf ein rein "empirisches beschränkt werden
müsste. Den Homöopathen hingegen leiten auch bei dieser Krank-
heit, wie bei allen andern, die verschiedenen Schmerz-Aeusserun-
gen, so wie die mancherlei zu berücksichtigenden Angaben über
das Entstehen, den Fortgang, die Beschaffenheit des Schleimab-
"gangs u. s. w. wieder bei der Wahl des passenden Mittels, wie
J*ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, und darum wurde ich
nur in sehr wenigen Fällen in die Nothvvendigkeit versetzt, ge-
nau nachzufragen, ob Ansteckung stattg^unden habe oder nicht.
Oft klagt die Kranke in den ersten Tagen, wie ich oben an-
gab, über ein vermehrtes Wärme- Gefühl, über Vollheit und Span-
nung in den innern Geschlechtstheilen, über ein beständiges, je-
doch nicht unangenehmes Kriebeln, welches sie immer zu kratzen
nöthigt, wohl auch über ein brennendes Gefühl während des
Wasserlassens, womit zugleich ein geringer, doch merkbarer Fie-
ber-Zustand verbunden ist. Bei derartigen Krankheits- Sympto-
men wird kein Mittel dem Aconitum gleich kommen, ds es alle
diese Symptome in treffender Aehnlichkeit an Gesunden aufzuwei-
sen hat, und darum sogar oft die angegebene Krankheit in ih-
rem Entstehen zu unterdrücken vermag.
Einen ähnlichen Zustand habe ich einigemal bei neu Ver-
heiratheten zu behandeln gehabt, den der Arzt mit Unrecht ei-
Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss. 155
ner syphilitischen Ansteckung zuschreiben würde, da er meistens
von zu grosser Engigkeit der Geschlechtstheile und der durch
den Beischlaf herbeigeführten Quetschung herrührt, wie auch die
Anschwellung und Röthe der äussern Schamlippen oft deutlich
dokumentiren, womit sich zugleich empfindlich brennender Schmerz
beim Wasserlassen, ja sogar Harnverhaltung, durch Entzündung
und Anschwellung der Harnröhre und der innern Geschlechtstheile
insgesammt herbeigeführt, verbindet. Diesem Zustande entspricht
am treffendsten Arnica montana.
Klagt die Kranke über ein Brenngefühl in der Vagina und
ausserhalb in den Schamlefzen, bei Abfluss von dünnem, aber
scharfem, beissendem Schleimabgange aus den Geschlechtstheilen,
bei fortwährendem Frösteln, Neigung zum Niederlegen, Traurig-
keit, Niedergeschlagenheit, Missmuth und dergleichen, so wird
Pulsatilla das erste Mittel sein, das diesen Krankheits- Zustand
am sichersten zu beseitigen vermag.
Findet bei dieser akuten Form im ersten Stadio viel Harn-
brennen statt, ist diess wohl mit schmerzhafter Dysurie und Ischurie
verbunden, so kommt kein Mittel den Cantharides gleich.
Das Hauptmittel in einer solchen Leucorrhöe, bei empfindli-
chem Jucken an den äussern Schamlippen, bei bedeutender An-
schwellung und damit verbundener Empfindlichkeit der Lymph-
gefässe in den Schamlefzen, bei innerer Entzündungs- Geschwulst
der Mutterscheide, als ob sie roh und wund wäre, bei einem
eiterartig fressenden Weissflusse, ist Mercurius solubilis, den
man hier nach Umständen ein und mehre Male wiederholt.
Ist der Ausfiuss ein wundfressender, stinkend -faulichter, so
empfiehlt sich Nitri acid. als die hülfreichste Arznei, der, ohne
die beiden letzteren Eigenschaften, noch Bovist und Silicea bei-
zufügen ist.
Ausser diesen Mitteln wird man noch, bei darauf hindeuten-
den Symptomen, Ferrum (dass ich besonders bei sehr beissen-
dem Weissfluss nützlich fand und zuweilen mit Lolium temulentum
wechselte), Arsenicum, Thuja, Mezereum, Staphysagria, Bella-
donna, Piatina — letztere beide besonders bei einem damit ver-
bundenen empfindlichen Herabdrängen in den innern Geschlechts-
theilen — passend finden, ja sogar öfters Sulphur in Anwendung
bringen können.
156 Colliquationen.
Der nicht von Ansteckung', sondern von einem allgemein
verbreiteten psorischen Siechthume abhängende Fluor albus —
die chronische Form — findet zwar wohl auch zuweilen sein
Heilmittel unter den so eben genannten, doch sind diess gewiss
die wenigsten Fälle und in den bei weitem häufigsten werden
sie höchstens nur zuweilen als Zwischenmittel angewendet wer-
den können.
Unter den Antipsoricis steht hier Sulphur oben an, wenn
der Weissfluss-Abgang nicht zu bedeutend und mehr schleimar-
tiger Natur ist, höchstens etwas ziehende Kreuz- und Lenden-
schmerzen, Mattigkeit in den Schenkeln, wechselnder, fast dünn-
flüssiger Stuhl damit sich verbinden.
Lycopodium ist nach meinen damit gemachten Erfahrungen
immer dann indizirt, wenn dem ruckweise erfolgenden Weissfluss-
Abgange jederzeit Schneiden tief im Unterbauche vorangeht, der
Schleimfluss gilblich aussieht, bei einer blassen Gesichtsfarbe öf-
tere Anfälle von Gesichtshitze vorkommen, und mancherlei Un-
terleibsbeschwerden, die auf die gestörte Function der Verdau-
ungsorgane hindeuten, damit verbunden sind.
Natrum muriaticum ist, so viel mir bekannt, ein unentbehr-
liches Heilmittel in dieser Krankheitsform, wenn der Schleimfluss
von öfterm zusammenziehenden Leibschmerze, von öfters wech-
selnde^ Gesichtsfarbe, die für gewöhnlich auf einem gelblichen
Teint beruht, von Hartleibigkeit, Uebelkeit, und bisweilen Er-
brechen u. s. w. begleitet wird. %
Auch Graphites, Conium, Nitri acid., Calcarea, Silicea, Se-
pia, Carbo negetabilis und als ein ganz ausgezeichnetes Mittel
in dieser Krankheitsgattung Lycoperdon Bovista unter den Anti-
psoricis; Stannum, Ignatta, Guajac, Nux, China, Cocculus,
Arnica, Sabina, Aurum und andere unter den früher gekannten
Arzneien, habe ich bei gewissen auf diese Mittel hindeutenden
Symptomen passend in derartigen Leiden gefunden.
Congestionen und Blutungen. 157
Dreizehnte Ordnung.
Congestionen und Blutungen.
§. 96.
A) Congestio. Congestionen.
Die Congestion, der Orgasmus, ist ein Zustand erhöh-
ter vitaler Spannung im Gefäss- und Blutsysteme, sie ist für die
Hämorrchagie, Entzündung, vermehrte Sekretion etc. Element,
Vorläufer, kann also entweder in sich selbst erlöschen oder mit
jenen enden. Der flüchtige Turgor, der das wesentliche Merk-
mal der Congestion ist, lässt sich in äussern Theilen ohne Mühe
aus der plötzlich erhöhten Röthe, der flüchtigen Expansion der
Theile, der vermehrten Wärme, dem lebhaften Pulsiren der
Schlagadern erkennen. Für die Congestion in innern Organen
sind die Merkmale nicht so untrüglich und oft ist es unmöglich,
active Congestion, passive Hyperämie und wirkliche Entzündung
eines innern Organs klinisch zu unterscheiden, wenn nicht der
flüchtige Charakter der Krankheitserscheinungen die congestive
Natur des Leidens wahrscheinlich macht. Denn die Congestion
veranlasst, gleich der Hyperämie und der Entzündung, Functi-
onsstörung des betheiligten Organs (im Gehirne. Delirien , in den
Sinnesorganen Phantasmen, oder Functionshemmung, bei Gehirn-
congestion Bewusstlosigkeit, Sopor, Lähmung u. s. w.); sie ruft,
gleich der Entzündung und Hyperämie, antagonistische, sympa-
thische Erscheinungen in andern Organen durch Nervenreflex,
durch ungleichmässige Blutvertheilung (Kälte, Blässe, Blutleere
in äussern Theilen, wenn innere Organe ergriffen werden), her-
vor; sie kann, wie jene pathischen Zustände, mit allgemeiner
Reaction, mit Fieber, verbunden sein.
Leichter, wie schon gesagt, sind die Congestionen in äus-
seren Theilen, schwieriger, wo sie in inneren Organen vorkom-
men, doch nur für diejenigen, die den Ansichten der älteren
Schule huldigen, die folglich das Wesen, die causa morbi in-
terna, erforschen zu müssen wähnen, während der homöopathi-
sche Arzt um letzteres sich nicht zu kümmern nöthig hat, son-
dern nur die in die Augen fallenden, äusserlich sieht- und wahr-
nehmbaren Krankheitszeichen genau auffasst, und selbige durch
158 Congestionen und Blutungen.
specifische Mittel, ohne Blutvergiessen, heilt, und nichts ande-
res als Gesundheit an die Stelle der vorher scheinbaren oder
wirklichen Blutanhäufung in einem einzelnen Organe eintreten
sieht. Diess gelingt letzterem oft durch die Anwendung eines
einzigen Mittels in weit kürzerer Zeit, als jenem, der oft den
ganzen vollständigen Apparatus antiphlogisticus dazu bedarf und,
im glücklichsten Falle, eine noch lange nachhallende Reconva-
leszenz zu bekämpfen liat.
§• 97.
Eine Prädisposition zu Congestionen lässt sich aller-
dings nicht in allen Fällen mit Bestimmtheit nachweisen, im All-
gemeinen aber doch so viel angeben, dass sie sich häufig an
bestimmte Lebensperioden bindet, in welchen die Ausbildung
wichtiger Organe Statt findet. So unterscheidet sich z. B. das
kindliche Alter im Allgemeinen durch hervorstechende Aufreg-
barkeit seiner organischen Thätigkeiten und daraus entspringen-
dem allgemeinen Ergriffensein des Gefässsystems, das bei vor-
waltender Plastizität des Kopfs auch hier am deutlichsten er-
kennbar ist, und leicht bis zur krankhaften Congestion sich stei-
gert, namentlich zur Zeit der Dentition; das jugendliche Alter
charakterisirt sich durch eine grössere Thätigkeit in den Brust-
organen, und es ist daher begreiflich, warum bei einer grösse-
ren Consumtion des bildenden Stoffs in dieser Zeitperiode leicht
pathologische Congestionen nach den L^gen vorherrschend sind,
während wieder bei mehr vorgeschrittenem Alter und bei dazu
gegebenen erregenden Momenten leichter krankhafte Stockungen
in den Unterleibsgefässen vorkommen. Im Allgemeinen findet
sich aber auch zweitens: die Anlage zu Congestionen in einer
widernatürlich hervortretenden Reizbarkeit des Gefässsystems;
ferner in organischen Fehlern und Missverhältnissen der Grösse
einzelner Organe zu einander, und endlich dort, wo einzelne
Orgaue und ihre Gefässe durch früher öfter stattgefundene Con-
gestionen in den Zustand der Erschlaffung gesetzt worden sind.
Uebergehen dürfen wir auch nicht, das congestive Ergriffenwer-
den des respiratorischen Systems im Winter und Frühjahr, das
abdominale im Sommer und Herbst.
Erregende Momente sind: übergrosse Wärme, aber auch
Congestionen nach dem Kopfe. 159
Kälte, welche letztere deutlich als Gelegenheitsursache, nament-
lich nach Erkältung der Füsse, in die Augen springt, wo wir
dann Congestionen nach Kopf und Brust eintreten sehen: ferner
erhitzende Getränke und Arzneien, als Spirituosa, ätherische
Oele, Naphthen, Narkotika u. s. w. ; eben so heftige Anstren-
gungen einzelner Organe; hierher gehören auch die Congestio-
nen nach dem Kopfe, durch heftige Leidenschaften, anhaltendes
Denken erregt, nach der Brust durch Laufen, Tanzen, Sin-
gen u. dergl. ; endlich auch unterdrückte Blutfiüsse.
Da "die verschiedene E in th eilung der Congestionen kei-
nen wesentlichen Einfluss auf die homöopathische Behandlung hat,
so übergehe ich selbige hier, um so mehr, da ein Kliniker die-
ser, ein anderer jener huldigt und keine richtige Uebereinstim-
mung darin obwaltet. Die richtigste Eintheilung ist, nach unse-
rer Ansicht, die in den verschiedenen Organen, in welchen sich
Congestionen bilden können. Um nun nicht jedes einzelne Or-
gan namentlich anführen zu müssen, theilen wir sie in Congestio-
nen nach dem Kopfe, nach der Brust und nach dem Unterleibe.
Die Congestionen blos nach den Wangen, nach den Handtellern
und Fusssohlen glauben wir hier ganz weglassen zu müssen, da
sie kein eigenthümliches Leiden bilden, sondern nur einzelne
Symptome weit bedeutenderer Krankheiten ausmachen, und folg-
lich keine specielle Behandlung erfordern, sondern mit der Ge-
sammtkrankheit beseitigt werden müssen.
§. 98.
Wir kommen nun zur Behandlung der verschiedenen Con-
gestionen, die wir nach der im vorigen Paragraphen angegebe-
nen Eintheilung etwas genauer durchgehen wollen.
Congestiones ad caput. Congestionen nach dem Kopfe.
Sie weichen der Nux vomica, wenn sie durch eine sitzende
Lebensart, anhaltendes Denken und den häufigen Genuss geisti-
ger und erhitzender Getränke erzeugt wurden, oder sich durch
folgende Symptome charakterisiren: Aufgetriebenheit der Kopf-
venen mit heftigem Pulsschlage im Kopfe, dass der Kranke das
Pulsiren durch den ganzen Körper zu fühlen wähnt, Hitze, Bötbe
und Gedunsenheit im Gesichte mit Schwindel-Anfällen, heftigen
160 Congestionen und Blutungen.
Kopfschmerzen, namentlich in der Stirn und über den Augen-
höhlen, die sich durch Bücken und Husten ungemein verstärken,
und traumvollen Schlaf.
Belladonna ist in den heftigsten und stärksten Kopfcongestio-
nen dann indizirt, wenn wir grosse Äufgetriebenheit der Haut-
venen am Kopfe wahrnehmen, verbunden mit enormen, ruckweise
brennend stechenden Schmerzen auf der einen Seite des Kopfes,
die durch jede Bewegung des Körpers, als auch durch jedes
Geräusch, helles Licht u. s. w. empfindlich erhöht werden. Auch
gesellt sich häufig Funken und Flimmern, ja sogar Schwarzwer-
den vor den Augen dazu, in deren Verbindung dann Ohrensau-
sen, ja wohl Ohnmachtanfälle und soporöse Zustände auftreten.
Wir finden sie grossentheils bei Ausbildung wichtiger Organe,
namentlich zur Zeit der Dentition im Kindesalter, wo sehr oft
Krämpfe aus dieser Quelle entspringen; nicht selten aber auch
bei noch nicht völlig regulirten Catamenien in der Periode der
Pubertät, und endlich auch nach Fusserkältungen zur Zeit der
Menstruation oder bei unterdrückten Menstruen. Diese Art Con-
gestion findet leichteren Eingang beim weiblichen, als beim
männlichen Geschlechte, und sie ist es, die am sichersten durch
Belladonna gehoben wird. Zur Unterstützung und schnelleren
Beförderung der Belladonna-Wirkung kann man sich auch hier
nebenbei mit grossem Nutzen der Hafergrütz-Umschläge auf die
Fusssohlen, als eines unschädlichen, revulsivischen Mittels, be-
dienen, und oft ist schon binnen einer S%nde die Heftigkeit des
Anfalls gemildert und in kurzer Zeit das ganze Leiden gehoben.
Diess sind auch diejenigen Congestionen beim zweiten Geschlecht,
wo oft mit Nutzen Crocus anzuwenden ist.
Aconitum wird in Kopfcongestionen immer ein gutes Zwi-
schenmittel abgeben, namentlich dann, wenn sie in höhere Krank-
heitsgrade überzugehen drohen, oder zugleich ein Reizzustand
des gesammten Gefässsystems damit verbunden ist. Hauptmittel
ist Aconitum da, wo die Congestion durch heftigen Schreck und
Aerger zugleich hervorgerufen wurde. Aber auch selbst dann
habe ich es als das alleinige Heilmittel erkannt, wo durch hef-
tige gemüthliche Aufregung, durch einen lebhaft geführten Streit,
nicht ohne einigen Aerger, ein Congestiv-Zustand nach dem
Kopfe hervortrat, der, neben den äusserlich auffallenden sieht-
Congestionen nach dein Kopfe. 161
baren Erscheinungen, mit wirklichen heftigen Delirien, Lach-
und Weinkrämpfen sich verband, nach deren Nachlass die Kran-
ken gegen den Kopf schlugen, um den innern Schmerz dadurch
zu dämpfen.
Arnica montana ist unstreitig das vorzüglichste Mittel ge-
gen derartige Congestionen, die einem heftigen Falle, Stosse
oder Schlage auf den Kopf ihr Entstehen verdanken. Einer sol-
chen Erregungs-Ursache vermag kein Arzt ein passenderes Mit-
tel entgegenzusetzen als dieses, und die Chirurgie mag in sol-
chen Fällen einen noch grösseren äusseren Heilapparat empfeh-
len, so wird das einfachere Verfahren der Homöopathie doch
einen glänzenderen Erfolg davon tragen, besonders wenn sie
das speciflsche innere Heilmittel, zur schnelleren Aufsaugung der
ausgetretenen Feuchtigkeiten, äusserlich in einer passenden Form
(1 Theil zu 6 — 8 — 10 12 Theilen Wasser) auf die verletzte
Stelle applizirt.
Wo die Congestionen nach dem Kopfe sich vorzüglich durch
anhaltendes Ohrenbrausen und daraus entspringender Schwer-
hörigkeit documentirten, und von Fusserkältung abhingen, wen-
dete ich einigemal Dulcamara mit sehr glücklichem Erfolge an.
Congestionen nach dem Kopfe durch heftige Gemüthsbewe-
gungen, freudiger oder unangenehmer Natur, erregt, weichen
ebenfalls, wie jeder Homöopath weiss, leicht den passenden Mit-
teln. Bei sehr sensibeln Personen sehen wir sie leicht nach freu-
digen Ereignissen auftreten und lange anhalten, bevor die eigne
Körperkraft selbige wieder zu verwischen vermag. Ist das Sub-
ject nicht an Kaffee gewöhnt, so wird ein bis zwei Theelöffel
voll gewöhnlichen reinen Kaffeetranks bald die gewünschte Hülfe
schaffen; ist hingegen der tägliche Kaffeegenuss schon zur Ge-
wohnheit geworden, so erreicht man seinen Zweck durch Coffea
cruda.
Eben so leicht beseitigt man die nach Aerger durch eine
kleine Gabe Chamomilla, die, nach verbissenem Aerger oder
nagendem Grame durch lgnatia; die, von schneller Zornaufwal-
lung, durch Nux vomica; die, von Schreck, durch Opium; die
von anhaltendem Kummer, Sorge und Gram, durch Siaphysa-
gria; die von Aerger und Zorn, durch Natrum muriaticum: Und
so wird der homöopathische Arzt, bei gehöriger Individualisi-
II. 11
162 Congestionen und Blutungen.
rung des ihm vorkommenden Falles, immer leicht das spezifi-
sche Mittel zu finden wissen, auch wenn keine so bestimmte Ur-
sache zur Entstehung des Leidens vorhanden wäre, in welchem
letzteren Falle er auch Pulsatilla, Amica, Ambra, China, Anti-
monium crudum, Baryta acetica, Mercurius u. a. Mittel beach-
tenswert finden wird. Mercurius wird sich ihm besonders nütz-
lich erweisen, wenn eine innere gewaltige Hitze, ohne äusser-
lich fühlbare, mit Pulsiren im Kopfe, bei grossem, vollem Pulse —
Sinnestäuschungen, täuschende Wahrnehmungen , z. B. Hören von
Lärm auf der Strasse, Vögel singen etc. zur Begleiterin hat.
Ein bei Congestionen nach dem Kopfe, mit schlafloser, ängst-
licher Unruhe, bei geschwächten Personen, — wo es die innor-
mal angehäufte, in den übrigen Theilen aber mangelnde Lebens-
kraft gleichmässig durch den Organismus zu vertheilen gilt, —
sehr heilsames Unterstützungsmittel ist: ein einzelner, mit weni-
ger starkem Willen vom Scheitel herab mit flach aufgelegten
Händen , nicht allzu langsam , über den Körper bis über die Fuss-
spitzen geführter thierisch-magnetischer Strich.
. §. 99.
Congestio ad pectus, Plethora pectoris. Congestionen nach der
Brust.
Sie werden nicht selten auch durch Nux vomica beseitigt,
wenn sie durch eben diese Ursachen wie die nach dem Kopfe er-
zeugt wurden, und sich durch Herzklopfen, kurzes, keuchendes
Odemholen, Beklemmungen, Aengstlichkeit, asthmatische Be-
schwerden überhaupt, charakterisiren, und durch ihre öftere Wie-
derkehr leicht zu habituellen Brustkrämpfen Veranlassung geben.
Auch Belladonna hebt einige Arten derselben, die durch
ähnliche Anlagen und Ursachen, wie die nach dem Kopfe, ent-
standen. Folgende Symptome besonders stimmen für die Anwen-
dung dieses Mittels: sehr grosse Kurzäthmigkeit mit einem im-
merwährenden, kurzen, die Ruhe sehr störenden, Husten, Aengst-
lichkeit, Unruhe, starkes und schnelles, im Kopfe dröhnendes
Herzklopfen, selbst leise Andeutungen von Brustkrampf, bren-
nende Hitze, grosser Durst, womit sich nicht selten auch einige
Zeichen von Congestion nach dem Kopfe verbinden. In einzelnen
Fällen kann auch wohl hier Pulsatilla , besonders wenn der Blut-
Congestionen nach der Brust. 163
andrang nach der Brust Nachts auftritt oder Ignatia Anwendung
finden. Die Congestionen nach der Brust, die nach anstrengenden
Bewegungen mit Schwäche, Hinfälligkeit und Uebelkeit eintreten,
hebt man am schnellsten durch eine kleine Gabe Spongia. —
Sind damit, namentlich bei jugendlichen Subjecten, Obstruktio-
nen verbunden, so erleichtert man durch ein ganz einfaches La-
vement die Zufälle sehr.
Mehre von den im vorigen Paragraphen genannten Arzneien
sind auch in diesen Congestionen anwendbar, wenn diese durch
die bei jedem einzelneu Mittel angegebenen Gelegenheits-Ur-
sacheu entstanden sind. Ausser diesen sind aber für diese Art
Congestion noch vorzüglich zu erwähnen: Bryonia, Ipecacu-
anha, Rhus, unter gewissen Bedingungen, Squilla, Digitalis, Se-
pia, Phosphor, Sulphur u. a.
Bei sehr lebhaftem Herzklopfen besonders Aurnm, China,
Pulsatilla, Sulphur, Sepia, Natrum mur., Phosph. etc. — Das
Herzklopfen, das durch Bewegung, Musik, nach dem Mittags-
schlafe und Geistesanstrengung sich sehr verstärkt, findet in Sta-
physagria sehr oft sein Heilmittel. — In fast jeder Art Herz-
klopfen, besonders wenn es Abends und nach Gemüthsbewegung
lebhafter eintritt, ist Phosphor eine ganz vorzügliche Arznei. —
Ein deutlich sieht- und hörbares Herzklopfen, mit Erweiterung
des linken Herzens, Ausdehnung des linken Brustkastens mit
ängstlichem, jagendem Athem, ungeheurem Pulsiren aller Arte-
rien, Angst im Gesichte sich abspiegelnden Zügen, wich bald
der Anwendung von Belladonna, indem mit jeder neuen Gabe
mehr Ruhe eintrat.
§. 100.
Plethora abdominalis, Congestio viscerum abdominis, Physconia sanguinea.
Congestionen nach dem Unterleibe.
Congestion nach dem Unterleibe erregt mancherlei Beschwer-
den, unter ihnen besonders ein lästiges Gefühl von Hitze, Bren-
nen, Schmerz, Härte, Spannung ohne die Gegenwart einer In-
digestion. Sie erzeugen Stockungen und Desorganisation der
Unterleibsorgane, werden aber auch umgekehrt durch diese er-
regt; daher sind sie besonders hämorrhoidalischen und hypochon-
drischen Personen eigen und geben bei letzteren häufig die Ur-
11*
164 Congestionen and Blutungen.
sache zu allen den Abdominalbeschwerden ab, über welche der
Hypochondrist so ausgezeichnet zu klagen hat. Durch die Stö-
rung der Circulation des Blutes im Unterleibe, stören sie sekun-
där die Funktionen der hier gelegenen Organe; sie führen aus
diesem Grunde zu dyspeptischen Zufällen, zu schlechter Verdau-
ung, zu Gelb- und Wassersucht.
Zur Hebung dieser Congestionen, wenn sie schon lange an-
gehalten und folglich ein chronisches Leiden gebildet haben, sind
oft antipsorische Arzneien erforderlich, wiewohl auch einige der
früher genannten hier anwendbar sind, und oft auch, unter stren-
ger Befolgung der diätetischen Vorschriften von Seilen der Kran-
ken, Heilung bewirken. Da diese Leiden grösstentheils durch
eine sitzende, schwelgerische und ausschweifende, im Gegensatz
aber auch durch eine streng züchtige Lebensart bedingt werden,
so sind fleissige Bewegung in freier Luft, Vermeidung von Aus-
schweifungen und massiger Genuss des Geschlechtstriebes im letz-
teren Falle die ersten Erfordernisse, denen der Kranke streng
nachzukommen sich bestreben muss.
Bei einem solchen Verhalten wird dem Arzte die Heilung
oft möglich, durch die schon oft genannte Nuxvomica, die sich
vorzüglich dann empfiehlt, wenn Spannung, Aufgetriebenheit,
Drücken, Hitze, Brennen im Unterleibe Statt finden, Schmerzen
im Kreuze zugegen sind, als ob es zerbrechen sollte, und gar
keine Kraft in demselben wäre, so dass der Kranke wegen Halt-
losigkeit desselben nur mühsam zu gehÄ vermag, wie wir diess
besonders bei Stockungen in den Hämorrhoidal- und Uterin-Ge-
fässen finden, womit zugleich Stuhlverhaltung mit Drängen auf
den Mastdarm und auf die Blase verbunden ist. Hier verdient
auch Mercurius Beachtung, selbst wenn kein syphilitisches Lei-
den zum Grunde liegt.
Ein ganz ausgezeichnetes Mittel in derartigen Unterleibs-
Congestionen, namentlich nach voraus angewandter Nux, ist
Phosphor unter folgenden Umständen: Das Leiden verdankt dem
Uebermaass der Geschlechtsbefriedigung sein Entstehen, doch
kann es auch ohne diese Erregungs-Ursache zu Stande kom-
men, auch wohl durch eine sitzende Lebensweise herbeigeführt
werden. Die Kranken klagen über ein stetes Vollsein im Ma-
gen mit Aufstossen, Schwindel und Beklommenheit in der Herz-
Congestlonen nach dem Unterleibe. 165
grübe; über Schmerzhaftigkeit der Magen- und Herzgrubenge-
gend, die sich durch Berührung und namentlich durch Bewe-
gung so verstärkt, dass sie in ein förmliches Zerren ausartet
mit Pulsiren, zum Krummgehen zwingt und förmliche Kurzath-
migkeit herbeiführt; die Pulsation ist fortwährend in der Herz-
grube und tiefer, eben so in der Lebergegend; letztere ist em-
pfindlich, verträgt keinen Druck, deshalb auch das Liegen auf
der rechten Seite nicht.
Eine andere, sehr zweckdienliche, Arznei in dergleichen Ab-
dominal-Congestionen ist Sepia, besonders dann, wenn die Pul-
safion im Unterleibe so lebhaft ist, dass sie der Kranke wie durch
den ganzen Körper zu fühlen wähnt, was am deutlichsten her-
vortritt, wenn während des Sitzens der Oberkörper zurückgelegt
wird; dabei grosse Empfindlichkeit in Herzgrube und Leberge-
gend, empfindlicher noch durch Draufdrücken, bei Aufgetrieben-
heit dieser Theile und heftigem Klopfen, besonders in der Herz-
grube; Aengstlichkeit; hypochondrische Stimmung etc.
Eine unvergleichliche Arznei in derartigen Leiden ist auch
Pulsat. Immer ist ein Vollheits-, ein Aengstlichkeits-Gefühl in
der Magengegend mit Klopfen und Pulsiren daselbst und fühlba-
rem Schlage der Adern, was immer Abends sich verstärkt, wo-
bei weinerliche Stimmung-, in den Hypochondern klagen die Kran-
ken immer über ein zusammenziehendes Klemmen und Spannen,
über ein widriges Gefühl beengender Spannung im Leibe, als
wäre alles zu voll und hart.
Wahrhaft heilbringend ist auch Spigelia, wenn sie unter fol-
genden Symptomen in Anwendung gebracht wird: Drücken im
Unterbauche wie zum Zerspringen, oder mit dem Gefühl, als falle
eine grosse Last herab, besonders beim Einathmen; dabei grosse
Empfindlichkeit der Herzgrube, die mindeste Berührung oder
feste Bekleidung erzeugt grosse Angst, mit dem Gefühl in der
Brust, als wenn da Etwas abrisse; dabei Traurigkeit mit Aerger-
lichkeit und Gesichtsröthe.
Ausser diesen mache ich noch auf folgende, hieher gehö-
rige, höchst wichtige Mittel aufmerksam, die ich aber dem eig-
nen Nachschlagen der Leser empfehle: Arsen. , Lycopod., China^
Staphys., Natrum mur. etc.
166 Congestion nach dem Uterus.
§. 101.
Congestion nach dem Uterus.
Sie fällt immer mehr oder weniger mit der des Unterleibs
in eins zusammen, die im zweiten Geschlecht weniger lebhaft
sich zeigt, dagegen häufiger als Uterus -Congestion hervortritt.
Es zeichnet sich in diesen Congestionen nach den Uterin -
und Hämorrhoidal-Gefässen die Belladonna wiederum als vorzüg-
liches Heilmittel aus, und zwar wieder unter denselben Bedingun-
gen, die ich im vorletzten Paragraphen bei diesem Mittel schon
erwähnte. Die vorhin angegebenen allgemeinen Zeichen von
Congestion nach dem Unterleibe finden sich auch hier vor, doch
ist es ganz besonders die Congestion nach dem Uterus,
die sich zur Heilung für Belladonna eignet, wenn sie mit folgen-
den Zufällen vereint auftritt: Brennen, Stechen, Vollsein, Span-
nung und Drängen tief im Unterleibe und in den inneren Ge-
schlechtstheilen, öfters mit einem ziehenden Schneiden um die
Lenden herum und einer bänglichen Hitze in dieser Gegend, auch
wohl mit einem empfindlichen Drucke und Klammschmerz im
Kreuze verbunden, welcher letztere nur ganz langsame vorsich-
tige Bewegungen gestattet. Consensuell finden sich bei länge-
rer Dauer auch wohl Congestionen nach Kopf und Brust mit ein,
die, wenn sie von der in dem vorigen Paragraphen angegebenen
Art sind, ein Criterium mehr zur Anwendung dieses Mittels dar-
bieten. — Doch collitiren hier noch eyuge Mittel, unter denen
ich blos auf Millefolium, Senna, Sabina (beide letzteren vorzüg-
lich in Schwangerschaft), Crocus, China, Piatina, Ipecac, Bryo-
nia, Hyoscyamus, Hepar sulphuris u. s. w. aufmerksam mache,
auf die ich schon öfters wieder zurückkomme.
§. 102.
B. Hämorrhagiae. Blutungen.
Einige allgemeine Bemerkungen über Blutungen.
Es mag sonderbar scheinen , dass ich diese Krankheitsspe-
cies den chronischen Krankheiten anreihe, da es fast keinen aku-
teren Zustand giebt und geben kann, als eine Blutung: allein
sie ist doch öfters der endliche Ausgang einer Congestion , und
darum reihe ich sie diesen gleich an. Uebrigens gilt es ja ganz
Hä'morrhagiae. Blutungen. 167
gleich, wenn Ich auch hierin nicht so ganz regelrecht zu Werke
gehe, wenn nur der Leser sonst mit meinen therapeutischen An-
gaben zufrieden ist.
Unter den Blutungen sind die naturgemässen , normalen,
wohl von den normwidrigen, innormalen zu unterscheiden, wor-
unter jeder Ausfluss des Blutes aus den Gefassen zu verstehen
ist, der nicht zur Norm des Organismus gehört. Im engeren
Sinne jedoch verstellt man unter Blutfluss solche Blutentleerun-
gen, durch welche der Gesundheitszustand örtlich oder allgemein
gestört und die Funktionen der leidenden Organe beeinträchtigt
werden.
Leicht erkennbar sind die Blutungen dort, wo das Blut nach
aussen entleert wird; schwer hingegen, wo das Blut in Höhlen
des Körpers sich ergiesst, die keinen Ausweg haben, z. B. in
die Schädel-, Brust- und Bauchhöhle, ja zuweilen sogar in den
Uterus, wenn partiellem Krampf oder irgend ein mechanisches
Hinderniss den natürlichen Ausgang desselben versperrt; doch
müssen uns hier die vorangegangenen, wie die begleitenden
Krankheitszeichen, die Diagnose erleichtern. Zu diesen ersteren
gehören die in den vorigen Paragraphen genauer angegebenen
Zeichen der Congestion nach den Organen, in welchen die Blu-
tung vorkommt. Die gewöhnlichen Zufälle sind: das Gefühl des
Druckes, der Schwere, des Juckens und Kitzeins in dem leiden-
den Theile, erhöhete Wärme, Röthe und Anschwellung, Klopfen
und Spannen ; Unruhe, Schlaflosigkeit, schreckhafte Träume, Be-
täubung oder auch Exaltation des Gehirns und der Sinnesorgane,
bisweilen Delirien. Merkwürdig sind hierbei die eigentümlichen
Abnormitäten des Pulsschlages, der ein doppelschlägiger (pulsus
dicrotus) sein soll beiBlutungen aus Organen oberhalb desZwerch-
fells, dabei zugleich hart, voll und massig beschleunigt, verbun-
den mit dem Gefühle einer veränderten Temperatur des Körpers,
mit abwechselnden Schaudern, Frost und Hitze; dagegen ein in-
termiltirender bei Blutungen aus Organen unterhalb des Zwerch-
fells, in Verbindung mit den allgemeinen Zeichen der Congestion
nach den Unterleibsorganen.
Ausserdem erkennen wir eine Blutung noch aus dem Blut-
ergusse selbst, der hinsichtlich der Qualität und Quantität, als
auch hinsichtlich der Dauer verschieden sein kann. Qualitativ
168 Häraorrhagiae. Blutungen.
bemerken wir bald ein hellrothes, nach dem Ausdrucke der älte-
ren Schule, oft eine Entzündungshaut bildendes Blut, wenn es
aus arteriellen Gefässen fliesst; ein schwarzes, schäumendes und
dünnflüssiges, wenn es aus venösen Gefässen kommt; oft coagu-
lirt, wenn es längere Zeit in den Höhlen des Körpers verschlos-
sen bleibt. Quantitativ lässt sich gar nichts bestimmen, da es
sowohl tropfen- als auch pfundweise ausgeleert werden kann:
eben so verhält es sich mit der Dauer.
Zufälle anderer Art, die uns besonders bei verborgenen Blu-
tungen das Dasein derselben verrathen, sind bei Blutergüssen
in die Schädelhöhle: Schwindel, Benommenheit und Betäubung
des Kopfs, soporöser Zustand, Lähmung, Apoplexie; bei Blu-
tungen der Lungen; Engbrüstigkeit, vermehrte Wärme und Sti-
che in der Brust, Husten, selbst bisweilen asthmatische Zufälle;
bei dem Bluterguss in den Magen: Oppression, Druck, Spannen
daselbst, das Gefühl der Vollheit, Uebelkeiten, Erbrechen, Ohn-
mächten; bei einem freien Erguss in die Bauchhöhle: Auftrei-
bung des Unterleibes, Fluktuation, das Gefühl einer vermehrten
"Wärme, die jedoch bald in das Gefühl von Schwere und Kälte
übergeht.
Wie viel ein Mensch Blut verlieren könne ohne nachtheilige
und lebensgefährliche Zufälle, lässt sich nicht so genau bestim-
men, da diess von dem Alter, der Constitution, dem Charakter
der Blutung, der Art des Ausfliessens abhängt. So viel ist ge-
wiss, dass das Mittelalter und die plethltösche Constitution den
grössten Blutverlust ertragen kann.
Zeichen von Blutleere, von Depletion bei gegenwärtigen
Blutungen sind: Blässe des Gesichtes, des Zahnfleisches, der
Lippen und der Wangen, Spitzigwerden der Nase, Zusammen-
fallen des Körpers, hinsichtlich seines Volumens ; der Puls wird
schwach, klein, intermittirend, das Auge trocken und matt, der
Kopf und die Hände überziehen sich mit einem kalten Schweisse,
der Körper nimmt eine Todtenkälte an, es erfolgt heftiger Durst,
Ekel, Erbrechen, convulsivisches Schluchzen, Ohrenbrausen,
Schwindel, Ohnmächten. Der Tod erfolgt nun entweder unter
heftigen Convulsionen, oder, wie es öfter der Fall ist, während
der Ohnmacht und unter schwachen Zuckungen.
Nach Beseitigung der Blutungen bleiben oft, längere Zeit,
Hämorrhagiae. Blutungen. 169
Frösteln und Schaudern des ganzen Körpers, Wüstigkeit des Kopfs,
Taumel, ziehende Kopfschmerzen, Kälte im Nacken, hysterische,
hypochondrische und andere Zufälle eines verstimmten Nerven-
systems zurück, ferner, allgemeine Schwäche und Mattigkeit,
Verdauungsbeschwerden, Cachexieen, besonders Wassersucht und
Abzehrung. Diese letzteren Krankheiten kommen jedoch , bei
einer richtigen homöopathischen Behandlung der Blutflüsse selbst,
wohl selten vor, wenigstens habe ich selbige in meiner Praxis
nicht oft beobachtet.
§. 103.
Die Eintheilung der Blutungen in active und passive
hat ohnstreitig den grössten Werth in Bezug auf die Behand-
lung. Erstere beruhen auf einer erhöheten Thätigkeit der Ge-
fässe, letztere auf einer gesunkenen, auf Unthätigkeit und Läh-
mung der Gefässe.
In Hinsicht der Quantität des ausgeleerten Blutes nimmt man
an, ein Bluttröpfeln, Stillicidium sanguinis; einen Blutfluss,
Profluvium sanguinis, wobei das Blut in einem kleinen Strahle,
ruhig und ohne Gewalt fliesst ; und einen Blutsturz, Haemorrha-
gia proprie sie dieta, wobei das Blut in einem Strome mit Hef-
tigkeit hervorschiesst, und der Blutverlust den Kranken in kur-
zer Zeit erschöpft.
Anlangend die kritischen Blutflüsse, so habe ich mich
deutlich darüber ausgesprochen im ersten Theile. — In Bezug
auf Typus giebt es anhaltende, remittirende und intermittirende
Blutflüsse. — Auch können sie sporadisch, endemisch und epi-
demisch vorkommen. — Wir nehmen ferner eine Haemorrhagia
externa und interna und eine Haemorrhagia aperta und oeculta
ü. s. w. an.
Wir kommen nun zur Aetiologie der Blutungen und fin-
den unter der Prädisposition zuerst: die erbliche An-
lage und Uebertragung derselben von Eltern auf Kinder durch
fortgepflanzte Psora; eine hervorstechende erhöhete Reiz-
barkeit des Gefässsystems, vorzüglich im Kindes- und
Jünglings- Alter vorherrschend; Deformitäten des Thorax.
Gelegenheitsursachen sind dieselben, die wir schon
bei den Congestionen aufgezeichnet haben, als Wärme, Kälte;
170 Hämorrliagiae. Blutungen.
Alles, was die Circulation beschleunigt, im Gegentheil aber auch
wieder Alles, was den Blutumlauf hemmt; Unterdrückung ge-
wohnter Blutungen u. s. w.
Die Prognose richtet sich nach dem Charakter der Blu-
tung und nach der Menge des Blutverlustes, bei welcher aber
wieder das Alter des Kranken und die Wichtigkeit des blutenden
Organs zu berücksichtigen ist.
§. 104.
Die Behandlung der Blutungen im Allgemeinen beruht
auf Berücksichtigung der vorhin angegebenen prädisponirenden
und Gelegenheits- Momente. Bevor jedoch Mittel dagegen an-
gewendet werden, muss der Arzt das diätetische Regim berich-
tigen, die Einengung einzelner Körpertheile durch zu fest anlie-
gende Kleidungsstücke beseitigen, überlästige Zuschauer entfer-
nen, die zu grosse Hitze in Krankenzimmern massigen, und die
dem Zustande des Kranken angemessene Bedeckung anordnen.
Zugleich ist es auch nöthig, die Angehörigen darauf aufmerksam
zu machen, dass nicht eisig kalte, wohl aber verschlagene Ge-
tränke dem Kranken zuträglicher als warme sind, mit der Bemer-
kung, jede Säure darin zu vermeiden, damit nicht etwa die Wir-
kung der passenden Arznei sogleich wieder aufgehoben, oder
gestört oder verstärkt werde, was namentlich beim Aconit, beim
Mercur, bei Stramonium und bei Belladonna der Fall sein würde.
Diese Bemerkung ist um so bedeutungsvoller und beachteswer-
ther, je weniger die Angehörigen daran denken, ja wohl gar
durch sich einfindende Freundinnen darauf aufmerksam gemacht
werden, Citronenwasser, Limonade, Essigtränke und Essig -Um-
schläge anzuwenden und zu reichen, weil sie das in demselben
Falle unter der Anordnung eines allöopathischen Artztes auch hät-
ten thun müssen, eine nach der altern Heilmethode allerdings ganz
richtige Cautel, da die Säuren zu den styptischen Mitteln gehö-
ren. Entstanden die Blutungen von einer organischen Verletzung,
wodurch eine Trennung der Continuität der Gefässe bedingt wurde,
gleichviel, ob diess durch Zerreissung oder Ruptur der Gefässe
({"?£<£), °der durch Zerfressung {öiaßgcoaig) , oder mechanische
Verletzung irgend einer Art (Siatgtatg) geschah: so ist es nöthig,
dass die zweckmässige chirurgische Hülfe dabei in Anspruch ge-
Nasenbluten. Epistaxis. 171
nommen wird, die in vielen Fällen oft allein hinreichend ist,
die Blutung augenblicklich zu stillen und dem Arzte blos noch
der zurückgebliebene Schwä'che-Zustand zu beseitigen übrig bleibt.
Diess ist ohngefähr Alles, was sich über die Behandlung der
Blutungen im Allgemeinen angeben lässt, da die Aufzeichnung
der Mitte] gegen Blutungen überhaupt hier keinen besondern
Zweck weiter haben kann. Mit Gewissheit dürfte sich im Allge-
meinen Amica, sowohl innerlich als äusserlich angewendet, ge-
gen Blutungen von organischer Verletzung angeben lassen ; so
wie China als Hauptmittel in den nach Blutungen zurückbleiben-
den Beschwerden.
Hämorrhagieen der Respirationsorgane.
§. 105.
Nasenbluten. Epistaxis, Haemorrhagia narium, Choanorrhagia.
Das Nasenbluten kann sowohl eine dynamische, als auch
eine örtliche Blutung sein; im letztern Falle ist sie von mecha-
nischen Verletzungen abhängig und lässt sich leicht durch Ein-
ziehen von kaltem Wasser in die Nase, oder durch Wasser mit
einigen Tropfen Arnica vermischt, heben. — Hier beschäftigen
wir uns blos mit der dynamischen Nasenblutung und bemerken
zuvörderst, dass sie vorzüglich Kinder und Jünglinge trifft und
öftere Katarrhe dazu disponiren. Zuweilen ist sie auch ein Zei-
chen von Würmern.
In vielen Fällen gehen dem Nasenbluten Vorboten voraus,
die sich immer durch Congestion nach dem Kopfe manifestiren,
und durch folgende Zeichen sich aussprechen: glühende Röthe
des Gesichts, Druck in den Schläfen und in dem Nacken, Schwin-
del, Ohrenklingen, Funken vor den Augen, vermehrtes Pulsiren
der Carotiden und Schläfearterien, vermehrte Wärme, Jucken
und das Gefühl von Vollheit in der Nase. — Die Blutung selbst
erfolgt bald aus einem, bald aus beiden Nasenlöchern, bald in
grösserer, bald in geringerer Menge, bald tropfen-, bald strahl-
weise. In der Regel fliesst das Blut aus den Nasenlöchern,
manchmal aber fliesst es in die Mundhöhle, z. B. im Schlafe, und
erregt durch seinen Reiz Husten und Erbrechen, diess ist vor-
nehmlich der Fall, wenn die blutenden Gefässe sehr nach hinten
172 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.
liegen. Bei tief nach vorn übergebeugtem Kopfe geht es durch
die Nase ab; ist hingegen die Nase mit Blutklumpen verstopft,
so fliesst es ebenfalls durch den Mund. Zuweilen stürzt plötz-
lich, während eines gemischten Anfalles von Husten und Erbre-
chen, eine Menge geronnenen und flüssigen Blutes hervor. Oft
bilden sich Blutpfröpfe und werden mit Räuspern ausgeworfen.
Eine besondere Anlage zum Nasenbluten finden wir, ausser
dem vorhin angegebenen Kindes- und Jünglingsalter, vorzüglich
bei robusten, vollsaftigen, kräftigen und plethorischen Subjek-
ten ; sodann aber auch bei vorwaltender Reizbarkeit des Gefäss-
und Nervensystems, bei einem gracilen Körperbau, skrophulöser
Disposition und einem phthisischen Habitus; erbliche Anlage.
Gelegenheits-Ursachen sind besonders: grosse Hitze,
wenn sie auf den Kopf einwirkt; spirituöse, erhitzende Getränke;
starke Gerüche; heftige Anstrengungen des Kopfs, aber auch
psychische Einwirkungen, als Schreck, Beschämung u. s. w. ;
Fusserkältungen ; zu enge Halsbinden, Schnürbrüste; Kröpfe
u. dergl. m.
§. J06.
Die Behandlung des Nasenblutens anlangend, sind die Mittel
im Allgemeinen, deren ich mich stets mit Erfolg in den passen-
den Fällen bediente, folgende: Aconit, China, Pulsatilla, Cina,
Rhus, Arnica, Belladonna, Bryonia, Crocus, Moschus, Nux.
Später werde ich noch einige Antipsorikatsamhaft machen, durch
deren Anwendung mir es gelang, die Anlage zu Nasenblutungen
vollkommen zu beseitigen.
Oft verhinderte ich das Nasenbluten ganz durch eine Gabe
Nux, wenn die vorhin angegebenen Zeichen von Congestion nach
dem Kopfe vorangingen, die, weil sie schon öfters vorgekom-
men waren, den Ausbruch des Nasenblutens mit Gewissheit pro-
gnostiziren Hessen. Einigemal liess ich blos an eine Verdün-
nung von Nux riechen. In einigen Fällen habe ich durch mehr-
malige Anwendung dieses Mittels, in längeren Zwischenräumen
gegeben, das Nasenbluten dauernd beseitigt, vornehmlich dort,
wo das Subject sehr vollblütig, plethorisch, und sehr errreg-
bar war.
Aconitum wird immer bei allgemeiner Plethora und erhöhe-
Nasenbluten. Epistaxis. 173
ter Reizbarkeit des Gefässsystems indizirt sein, während Rhus,
jßryonia, Mercur und Belladonna immer dort sich empfehlen, wo
das Nasenbluten grösstenteils Nachts aus dem Schlafe weckt,
und immer mit heftigem Blutandrange nach dem Kopfe verbun-
den ist; in diesem letzteren Falle und bei einem schwarzen und
zähen Blute ist auch Crocus empfehlenswerth; öfters ist auch
Rlms anwendbar, wenn das Nasenbluten durch Bücken, starkes
Ausschnauben, durch Rachsen und Räuspern erregt wird, und
Bellad. und Bryon. ebenfalls, wenn die Blutung in den Morgen-
stunden einzutreten pflegt; während Sabadilla dann anwendbar
ist, wenn durch Ausrachsen hellrothes Blut aus den hintersten
Nasenöffnungen ausgeworfen wird; doch dürfte da Nux, bei übri-
gens passenden Symptomen, nicht contraindizirt sein; Bryonia
erweist sich auch in demjenigen Nasenbluten oft hülfreich, das
plötzlich durch Unterdrückung der Menstruation entstand. — Pul-
satilla wendete ich immer an, wenn das Nasenbluten in den Abend-
oder VormiMernachts-Stunden jedesmal zu repetiren pflegte, nicht
minder aber auch, wenn es bei einem öftern Wechsel von Fliess-
und Stockschnupfen sich zeigte. — Arnica nützte mir ebenfalls
sehr oft, und Cina, wenn ich durch den öftern Abgang von Wür-
mern auf Wurmreiz schliessen konnte, in welchem Falle aber
auch gewöhnlich ein Jucken und Kriebeln in der Nase vorkam,
welches das Subject zum Jucken, Reiben und Bohren in derselben
so lange nöthigte, bis das Nasenbluten eintrat. — China hilft
immer dort, wo das Nasenbluten von Erschlaffung der Gefasse
herzurühren scheint, sehr häufig vorkommt, oft aber auch sehr
lange anhält; sie ist auch dann anwendbar, wenn die bereits be-
schwichtigte Blutung den Körper sehr geschwächt und angegrif-
fen hat. Die-Arten von Nasenbluten, wo die Blutung mit eini-
ger Gewalt hervorstürzt, das Blut sehr hellroth aussieht, aber
auch bald den Körper schwächt, beseitigte ich immer schnell
durch Crocus, wie auch Herr Dr. Kretzschmar*) bestätigt;
doch dürfte hier Dulcamara wohl auch zu berücksichtigen sein ;
die allerheftigste Nasenblutung aber, mit beginnender Depletion
und eintretendem krampfhaften Muskelzucken, hob ich in weni-
gen Minuten durch Moschus. — Lachesis, ein Mittel, mir früher
*) S. Allgem. hom. Zeit. Bd. II. S. 75.
174 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.
-ganz unbekannt, scheint in dieser Krankheitsform nicht vernach-
lässigt werden zu dürfen, wie die Symptome deutlich zu erken-
nen geben, als; Bluten aus der Nase, auch 3, 4 Tage vor jeder
Regel; Ausfallen einiger Tropfen Blut aus der Nase, auch beson-
ders nach Bohren mit dem Finger, oder Abends beim Schnauben;
Blutschnauben, früh, nach oder bei Kopfschmerz neben den Augen,
oder mit nachfolgenden oder gleichzeitigen Congestionen; trö-
pfelndes Nasenbluten, beim Schnauben; dickes, dunkelrothes Blut
fliesst aus der Nase.
Die Blutungen aber für die Dauer zu heben, d. h. ihren Wie-
dereintritt zu verhindern, gelang mir, wie schon erwähnt, einige
Mal durch Nux, öfter jedoch durch die Anwendung der Anti-
psorika, unter denen Schwefel oben an steht, der mehrmals allein
im Stande war, die Krankheit zu heben, mehrmals aber zu seiner
Unterstützung der Ambra, des Graphit, der Sepia, des Lycopo-
dium, des Nitri acidum, des Phosphor, der Silicea und der Carbo
veget. noch bedurfte.
§. 107.
Haemorrhagia pulmonum, Haemoptysis, Haemoptoe, Sputum cruentum.
Bluthusten, Blutspucken, Lungenblutung.
Unter diesen Benennungen verstehen wir jede Blutung aus
dem Kehlkopfe, der Luftröhre, den Bronchien und den Lungen,
wobei das Blut meistens durch den Mund ausgeleert wird.
Meistens sind Vorboten da, z. ß. »in Gefühl von Vollheit,
Druck, Spannung, Beklommenheit, ein Stechen, Kitzeln, Brennen,
eine aufsteigende Wärme oder Wallung tief in der Brust, oder
unter'm Brustbein, auch wohl am Halse, oder zwischen den Schul-
terblättern, mit Schwerathmen, Herzklopfen, Angst; namentlich
ist die Inspiration sehr beschwerlich und doch fortwährend Nei-
gung dazu, Reiz zu einem kurzen, trocknen Hüsteln, rothe Wan-
gen, oft auch ein salziger, bitterer oder süsslicher, oder sonst
ein fremder, oder der eigne Blutgeschmack; öfter Schauder mit
Hitze abwechselnd, Zittern, oft auch krampüge Erscheinungen.
Die Blutung selbst ist sehr verschieden. Gewöhnlich
kommt sie hier mit Husten, stossweise, zum Vorschein: doch ist
es bisweilen nur ein sehr geringes Hüsteln, oder blos ein starkes
Ausräuspern, wenn sehr viel Blut abgeht. Meistens wird es auch
Haemorrhagia pulmonum. Lungenblutung. 175
mit einem eigenen Geräusche in der Luftröhre ausgeworfen, zu-
gleich auch mit dem Gefühle, als ob es tief aus der Brust komme,
gleichsam als stiege ein Dampf von heissem Wasser tief aus den
Lungen in die Höhe. Gewöhnlich hat es ein hellrothes, flüssi-
ges, schäumiges Ansehen und ist anfangs unvermischt, bei'm
Nachlass des Anfalls aber mit schaumigem Schleime vermischt.
Ist die Blutung bedeutend, so nimmt die Respiration einen zi-
schenden, rasselnden Ton an. Der Anfall setzt Stunden, Tage,
Wochen aus, kehrt aber auch oft schon nach einigen Stunden
wieder zurück. Die Quantität des ausgeworfenen Blutes ist sehr
verschieden; bisweilen sind es blosse Blutstreifen mit dem aus-
geworfenen Schleime vermischt, bisweilen ist es aber auch reines
Blut. Erfolgt der Auswurf langsam, nur nach und nach, so ver-
dient die Krankheit den Namen eines Blutspuckens, Blut-
hustens (Haemoptysis) ; erfolgt er aber schnell und in grosser
Menge, dann bezeichnen wir sie mit dem Namen: Lungenblut-
stur z (Haemorrhagia pulmonum).
§. 108.
Eine besondere Anlage zur Hämoptysis finden wir: in ei-
nem fehlerhaften Bau und Deformitäten des Thorax, doch
wird das Blutspucken auch häufig durch die Brust einengende
Kleidungsstücke erzeugt. Am häufigsten ist es ferner zwischen
dem löten und 40sten Jahre, zumal bei phthisischer Anlage,
wahrscheinlich weil diess die Jahre sind, in welchen die Ent-
wickelungsperiode der Brustorgane vor sich geht, wo an und
für sich schon Congestionen nach diesen Theilen stattfinden. Im
weiblichen Geschlechte tritt diese Periode früher ein, hört aber
auch zeitiger auf, weil die Natur einen periodischen Blutabgang
regulirt, der gleichsam als Ableitung für die Blutanhäufung in
den Brustorganen dient. Eine weitere Anlage zu Lungenblutun-
gen sehen wir ferner in einer plethorischen Constitution;
ferner in manchen Beschäftigungen und Handwerken,
z. B. bei Musikern, Predigern, Müllern, Steinarbeitern, bei Hüt-
ten- und Metallarbeitern.
Erregende Momente sind: erhitzende und spirituöse
Getränke, heftige, körperliche Bewegungen, namentlich diejeni-
gen, die die Lungen vorzüglich angreifen, wie Tanzen, Singen,
176 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.
Blasen von Instrumenten; hohe Wärmegrade; bedeutender Säfte-
verlust, z. B. nach langem Stillen ; unterdrückte Blutflüsse ; Ein-
athmen von scharfem Staube u. s. w. Nicht selten sind Lungen-
blutungen auch in der Schwangerschaft, und bei Desorganisatio-
nen grösserer Gefässe, besonders derjenigen in der Brust selbst,
z. B. des Herzens, der Aorta.
In prognostischer Hinsicht ist jede Lungenblutung,
wenn auch nicht immer gefährlich, doch wenigstens bedenklich.
Immer richtet sich die Vorhersagung nach dem Alter, der Con-
stitution und dem Geschlechte des Kranken, nach dem einmaligen
oder öfteren Erscheinen derselben, nach der abgehenden Quan-
tität, nach den erregenden Momenten und ob diese für die Zu-
kunft vermieden werden können, endlich aber auch nach den be-
gleitenden Erscheinungen, die oft das Hauptmoment der Krankheit
ausmachen, bei welchem also die Lungenblutung nur consensuell
ist. Oefter wiederkehrende Lungenblutungen geben nicht selten
Veranlassung zur Entstehung eines phthisischen Leidens.
§. 109.
Behandlung einer Lungenblutung. Ich verstehe hierunter
nicht jenen Blutauswurf aus der Brust, der erst durch heftigen
Husten herbeigeführt wird, sondern jenen, der nur mit etwas
Räuspern verbunden ist, dem eine Wallung in der Brust voran-
geht, die auch bei der Blutung noch fortdauert, mit der sich zu-
gleich ein Vollheits- Gefühl, ein Brennet, ein Herzklopfen, eine
Aengstlichkeit und Unruhe, letztere schlimmer beim Niederlegen,
ein schwacher, fadenförmiger, kaum fühlbarer Puls verbindet,
wobei ein Angst ausdrückendes, blasses Gesicht zugegen ist, und
das Blut absatzweise in grossen Quantitäten ausgeworfen wird.
— In einem solchen Falle erweist sich, nach meiner Erfahrung,
kein Mittel hülfreicher, als Aconitum. Oft tritt schon, bei An-
wendung dieses Mittels, nach 2, 3 Minuten Nachlass jener ge-
nannten Beschwerden ein, und verschwindet die Angst, Unruhe,
das Herzklopfen und Wallen in der Brust, so ist wenigstens für
den Augenblick die Gefahr für beseitigt anzusehen. Doch kehrt
auch der Zustand nach 2, 3 Stunden leicht wieder, und dann
wird eine neue und mehr Gaben Aconit erforderlich. Diess Mit-
tel ist hier ein sehr heilsames Palliativ, dem kein anderes an die
Haemorrhagia pulmonum. Lungenblutung. 177
Seite zu setzen ist, dessen man sich bedienen muss, um nur erst
die höchste Gefahr zu beseitigen. Tritt kein neuer Anfall ein,
sind aber die begleitenden Beschwerden noch nicht ganz geho-
ben, so rathe ich, zur Verhütung einer neuen Blutung, immer
Aconit noch ein- und mehrmal zu wiederholen, worauf alsdann,
nach etwa 5 — 6 Stunden, besonders wenn noch immer ein Blut-
geschmack, ein gelindes Hüsteln mit blutgestreiftem Schleimaus-
wurfe zurückbleibt, eine kleine Gabe Ipecacuanha passend sein
wird. Wo sich aber das Aengstlichkeits- Gefühl, die Wallung
und das Herzklopfen nicht verlor, im Gegentheil sich immer von
Zeit zu Zeit verstärkte, vorzüglich aber in den Mitternachtsstun-
den lebhafter wurde, aus dem Schlafe aufweckte, eine brennende
Hitze über den ganzen Körper sich dabei verbreitete, die Kranke
sich aufzusetzen, auch wohl aufzustehen genöthigt war: da er-
wies sich kein Mittel hülf reich er, als Arsenicum album, das auf
mehre Tage, ja Wochen den Zustand beseitigte, und nach einem
gegebenen Zwischenmittel auch ein zweites und drittes Mal gute
Dienste leistete. — Diese Ansicht, nach Arsenik immer erst ein
passendes Zwischenmittel zu geben, habe ich auch noch jetzt, da
mehrfache Versuche mit unmittelbarer Wiederholung dieser Arz-
nei nach der ersten Gabe mich belehrt haben, dass dieses Ver-
fahren, wenigstens in derartigen Leiden, nicht den guten Erfolg
herbeiführt, den man von ihm in andern Krankheiten beobachtet.
Bei einem vorhandenen gelbsüchtigen Teint, bei grosser Eng-
brüstigkeit, vorzüglich Nachts, mit reissenden Schmerzen zwi-
schen den Schulterblättern, bei leichtem Kotzen und dadurch her-
aufgebrachtem reinem Blutauswurfe, jedoch nicht in zu grosser
Menge, leistete Ferrum acetic. sehr viel.
Ein ausgezeichnetes Mittel im Bluthusten ist Amiod, beson-
ders auch, wenn er durch bedeutende körperliche Misshandlungen
erzeugt wird; bei folgenden Symptomen wird man sie immer
anwendbar finden, auch wenn keine derartige Veranlassung zur
Entstehung des Bluthustens da war: Auswurf geronnenen und
schwärzlich aussehenden Blutes, ohne bedeutende Anstrengung
und Husten, bei empfindlichen Stichen, Brennen und Zusammen-
ziehen in der Brust, Blutwallungen, Herzklopfen und eine auf-
fallende Hitze im Thorax, Kraftlosigkeit, Anfälle von Ohnmacht ;
doch giebt ein hellrothes, schäumiges, zuweilen mit Klümpchen
II. 12