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Author Topic: HOMEOPATHY HARTMANN 1847  (Read 10384 times)

Julian

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HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« on: April 30, 2013, 09:30:22 PM »

Als eines der Beispiele epochalen Schwachsinns der Sonderklasse hier ein Buch von 1847. Das ist ein Jahr vor 1848, falls Jemandem das etwas sagt.


http://archive.org/details/specielletherapi02hart

[*quote*]
Specielle Therapie acuter und chronischer Krankheiten nach homöopathischen Grundsätzen (1847)


Author: Hartmann, Franz, 1796-1853
Volume: 2
Subject: Homeopathy
Publisher: Leipzig, T. O. Weigel
Language: German
Call number: 1933829
Digitizing sponsor: Open Knowledge Commons and Yale University, Cushing/Whitney Medical Library
Book contributor: Yale University, Cushing/Whitney Medical Library
Collection: medicalheritagelibrary; cushingwhitneymedicallibrary; americana

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Sponsordate:    20120331
[*/quote*]

#######################################

http://archive.org/stream/specielletherapi02hart/specielletherapi02hart_djvu.txt

[*quote*]
Full text of "Specielle Therapie acuter und chronischer Krankheiten nach homöopathischen Grundsätzen"
YALE
MEDICAL LIBRARY
HISTORICAL
LIBRARY

Digitized by the Internet Archive

in 2012 with funding from
Open Knowledge Commons and Yale University, Cushing/Whitney Medical Library

Specielle Therapie chronischer Krankheiten.
Zweiter Band.
Erste Abtheilun
Chronische Hautausschläge.
Scrophulosis und Tuberculosis.
Phthisen.
Colliquationen.
Congestionen und Blutungen.
Carcinome.
Hydropsien.
Halblähmungen des Herzens. Asphyxie.

Anhang.
S p e c 1 e 1 1 e

THERAPIE

acuter und chronischer Krankheiten.

Nach
homöopathischen Grundsätzen

bearbeitet und herausgegeben
von

Dr. FRANZ HARTMANN.

Dritte umgearbeitete und sehr vermehrte Auflage.

Chronische Krankheiten.
Erste Abtheilung.
. Leipzig,

T. O. Weigel.
1848.
Vorrede.

Ächon seit Erscheinen der 1. Auflage dieser Therapie bin ich
vielseitig von bekannten und unbekannten Freunden, schriftlich
und mündlich aufgefordert worden, die chronischen Krankhei-
ten auch so zu bearbeiten, wie die akuten. Damals war es je-
denfalls noch zu früh, ein solches Unternehmen zu beginnen,
da die Erfahrungen in Heilung chronischer Krankheiten mit
antipsorischen Arzneien noch viel zu vereinzelt dastanden, als
dass man nur mit einiger Sicherheit für oder wider die Heil-
kräftigkeit dieser Arzneien in dieser oder jener chronischen
Krankheit sich hätte verbürgen können — ein Uebelstand, der
jedoch, nach den Ansichten aller Sachverständigen, mit jedem
Jahre mehr und mehr verschwinden musste. Dieser Glaube
nun brachte endlich in mir die Idee der Realisirung vollends
zur Reife, um so mehr, als ich durch eigene Beobachtungen
und Erfahrungen, wozu die Leitung der hiesigen homöopathi-
schen Poliklinik mir vielfach Gelegenheit geboten hatte, schon
viel für dieses Unternehmen gewonnen zu haben wähnte. Diess
war aber, wie ich später zu meiner Betrübniss erfahren sollte,
ein Trugbild! Dennoch aber lebte es selbst, nicht als solches,
in mir fort bei Umarbeitung des ersten Bandes dieser Auflage.
Leider fiel die Beendigung dieses Bandes mit dem Anfange ei-
ner schweren Krankheit, von der ich heimgesucht wurde, zu-
sammen und ich musste über drei volle Vierteljahre jeden Ge-
danken an Fortsetzung meiner Arbeit aufgeben, da meine gei-
stigen Kräfte so sehr darniederlagen, dass ich gänzlich an Voll-



IV Vorrede.

endung derselben zweifelte; ja ich konnte selbst gleichgültig
und theilnahmlos das Bedauern Anderer darüber mit anhören,
während früher der Wunsch nach baldiger Vollendung mich
lebhaft beseelte! Da endlich mit Schluss des vorigen Jahres
erwachte der Trieb zur Thätigkeit, die Lust zur Arbeit in mir
und, obschon noch unter vielen Schmerzen und Öfterer geisti-
ger Abspannung, versuchte ich meine mir gestellte Aufgabe zu
lösen. Die Schwierigkeiten, die ich mehr und mehr verschwun-
den glaubte, thürmten sich bei der fortschreitenden Arbeit im-
mer mehr und hätten mir die Theilnahme eines oder mehrer
Mitarbeiter wohl wünschenswerth gemacht; allein der Gedanke:
dass mein Beginnen vielseitig, sowohl begründeten als unbe-
gründeten Tadel erfahren würde, hiess mich diesen Wunsch
ganz aufgeben, um Niemand mit in mein Verhängniss zu zie-
hen. Von dieser Seite betrachtet, wird der freundliche Leser
mir meinen Egoismus verzeihen und den folgenden Blättern
vielleicht auch ein milderes Urtheil widerfahren lassen, wenn,
wie es unter meinen jetzigen Verhältnissen wohl nicht anders
zu erwarten stand, mehre Mängel in ihnen gefunden werden.

Das ganze Werk hoffe ich — tritt keine neue Störung
wieder für mich ein — in diesem Jahre riech zu beenden.

Leipzig, am Ostersonntage, den 23. April 1848.

Der Verfasser.



Inhalt

des zweiten Bandes erster Abtheilung.



Einleitende Bemerkungen zu den chronischen Krankheiten . 1

§. 1. Angabe, weswegen der Verfasser die Bintheilung in akute
und chronische Krankheiten gewählt hat. Gabengrösse und
Gabenwiederholung in chronischen Krankheiten.
Bemerkungen über die neuern physiologischen und anato-
misch - pathologischen Erfahrungen.

§. 2. Hahnemann's Ansichten über chronische Krankheiten . 4

Wie und wodurch Halme mann veranlasst wurde, dem
Urgründe chronischer Krankheiten nachzuspüren.

§. 3. Nach Hahne mann giebt es drei chronische Miasmen, Syphi-
lis, Sycosis, Psora, von denen chronische Krankheiten
abstammen ........ 6

§. 4. Psora ist die allgemeinste Mutter chronischer Krankheiten . 7

Zeichen schlummernder Psora.

§. 5. Hahne mann hält das Krätzmiasma für das ansteckendste

unter den drei Miasmen ... . . .10

§. 6. Heilung der Krätzkrankheit nach Hahn emann . . 12

Neunte Ordnung.
Chronische Hautausschläge. Impetigines . . 13

Allgemeines.
§. 7. Scabies vesicularis, s. lymphatica. Gewöhnliche Krätze,

Bläschenkrätze ....... 15

Bemerkungen über Acarus scabiei, Krätzmilbe.
§. 8. Bedingungen zur Entstehung dieser Krankheit ... 16

Verschiedene Formen der Scabies, als: Scabies papulosa

s. Prurigo scabida (gemeine, trockne Krätze); Scabies

purulenta (eiternde Krätze).

Prognose.
§. 9. Behandlung der Krätzkrankheit ..... 17



VI



Inhalt.



10.
11.



12.
13.



§. 14.



15.
16.

17.
18.
19.
20.

21.
22.

23.
24.



25.
26.

27.

28.

29.

30,
31



Crusta serpiginosa. Flechtengrind, fressende Borke, räudi-
ger Ansprung . . .

Meinungsverschiedenheit einiger Aerzte über die Natur
dieser Krankheit . ..•'■.

Unterscheidungszeichen zwischen C. lactea u. serpiginosa.

Therapeutisches Verfahren gegen diese Krankheit

Tinea capitis, Achores, Favus, Scabies capitis. Böser Kopf,
feuchter Kopfgrind, Honigwabengrind, Kopfkrätze
Abart: Erbgrind, böser Grind (Tinea capitis maligna).

Nebenbeschwerden bei dieser Krankheit; Angabe früherer
Pfuschereien dagegen ; Ursachen

Therapie .......

Achor larvata, Porrigo larvalis, Crusta lactea. Milchgrind
Milchborke, Milchschorf, Anfprung. Ursachen

Homöopathische Behandlung ....

Scabies alienata ......

Behandlung .......

Ulcera pedis. Fussgeschwüre ....
Ulcera varicosa. Ulcera phagedaenica.

Heilung derselben ......

Strophulus confervus. Gedrängte Schälknötchen , Zahn-
ausschlag .......

Therapie dieser Krankheit ....

Eczema. Hitzausschlag, Hitzblattern

Unterscheidende Arten: E. solare. E. impetiginoides
E. rubrum , Erythema mercuriale, Hydrargyria.

Behandlung dieses Ausschlags ....

Acne. Finne, Hautfinne . . . .

A. simplex. Heilung derselben.

Acne punctata. Die punctirte Finne, Mitesser
A. indurata. Die verhärtete Hautfinne.

Acne rosacea, Gutta rosacea. Kupferhandel, Rothnase,
Kupfergesicht. Therapie solcher Ausschlagsformen

Liehen simplex. Schwindflechte, Schwindknötchen
Therapeutisches Verfahren.

L. pilaris (Haarflug), L. circumscriptus (umschriebene
Schwindknötchen), L. agrius (feurige Schwindknötchen).

Psoriasis. Schuppige Flechte, Schuppengrind

P. inveterata, auch abdominalis (veralteter Schuppengrind).

Behandlung ........

Hautschrunden an Händen und Füssen. — Schrunden an
den Lippen. — Schrunden an den Brustwarzen. — Schorfe
um die Augen.

Herpes. Gewöhnliche Flechte .

Herpes phlyetaenodes. Blasenflechte ,

Behandlung dieser Ausschlagsform.



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56
56



Inhalt.



VII



§. 34. Herpes circinnatus. Ringflechte, kreisförmige Flechte

Behandlung. H. labialis (Lippenflechte).
§. 35. Herpes präputialis s. Pseudosyphilis. Vorhautflechte

(Balanorrhö'e). Behandlung.
§. 36. Ecthyma (Schmutzflechte) oder Rhypia ....

Impetigo. Eiterflechte, feuchter oder nässender Grind.
§. 37. Impetigo figurata. Der geformte feuchte Grind

I. sparsa (zerstreute feuchte Grind).

Heilung dieser Ausschlagsform.
§. 38. Impetigo rodens. Fressender, feuchter Grind

Heilung dieser Flechtenkrankheit.
§. 39. Sycosis. Feigenmahl, Feigenausschlag

S. menti. S. capillicii.
§. 40. Behandlung dieser Ausschlagsform ....

Schluss.

Zehnte Ordnnng.

Scrophulosis und Tuberculosis
A) Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

a) Skrophelanlage (Dispositio scrophulosa).

b) Ausgebildete Skrophelkrankheit.
Verlauf; entfernte Ursachen ; Ausgänge; Prognose
Therapie der Skrophelkrankheit im Allgemeinen

Behandlung der Skrophelanlage (Dispositio scrophulosa).
Zweites Stadium der Skrophelkrankheit; Zeichen derselben
Behandlung in diesem Stadium ....
Symptome des dritten Stadiums ....
Therapie der weiter vorgeschrittenen Krankheit
Letztes Stadium; Symptome desselben .
Therapeutisches Verfahren, das in diesem Stadio anzuwenden
Rhachitis, Spina nodosa, bifida. Zweiwuchs, engl. Krankheit
Therapeutisches Verfahren .
Knochengeschwüre und Knochenfrass (Fingergliedkrebs,
Paedarrthrocace).
§. 53. B) Tuberculosis. Tuberkulose .

Aetiologie. Verlauf. Ausgänge. Prognose.
§. 54. Tuberculosis pulmonum. Lungentuberkeln

Einfacher Lungentuberkel.
§. 55. Therapie dieser einfachen Lungentuberkeln
§. 56. Menstrual- und Puerperaltuberke
§. 57. Behandlung dieser Tuberkelform
§. 58. Tuberkeln durch kalten Trunk
§. 59. Exanthematische Tuberkeln
§. 60. Impetiginöse Tuberkeln
§. 61. Therapie dieser Tuberkeln
§. 62. Arthritische Tuberkeln



§.


41.


§•


42.


§•


43.


§■


44.


§■


45.


§.


46.


§.


47.


§.


48.


f.


49.


§•


50.


§-


51.


§.


52.



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VIII



Inhalt.



Seite
§. 63. Angeerbte Tuberkeln . . . . . . .96

§. 64. Therapeutisches Verfahren . . . . .97

§. 65. Tuberkeln des Gehirns ...... 98

Drei Stadien: Irritation, Convulsion, Lähmung. — Aetio-

logie. Prognose.
§. 66. Therapie dieser Krankheit ..... 100

§. 67. Tuberkeln des Rückenmarks nebst therapeutischer Angabe. 101
§. 68. Lebertuberkulose ........

Eilfte Ordnung.
§. 69. Phthisen 102

Physiologischer und anatomischer Charakter. Antheil des

Gesammtorganismus. Aetiologie. Ausgänge und Prognose.

Therapie.
§. 70. Phthisis laryngea et trachealis. Phthisis des Kehlkopfs und

der Luftröhre ....... 104

§. 71. Therapeutisches Verfahren ..... 105

Rheumatische, scrophulöse, hysterische Form.
§. 72. Phthisis pulmonalis. Lungensucht, Lungenschwindsucht . 108
§. 73. Physikalische Zeichen aus Percussion und Auskultation . 110

§. 74. Aetiologie 112

§. 75. Therapie . . . ... . . „

Phthisis fiorida. Galoppirende Schwindsucht . . 113

§. 76. Behandlung einer Phthisis florida . . . .114

§• 77. „ „ ,, pulmonalis m< 116

Schleimsch windsuchten. Lungenlähmung.
§. 78. Vorkommen und Abhülfe einiger bedenklichen Erscheinungen

bei einer Phthisis ....... 123

Hämorrhagien , Pneumorrhagien. SchwMsse. Colliquative

Diarrhöen. Aphthen. Decubitus. Stockender Auswurf.

Bangigkeit, Beklemmung.
§. 79. Paedatrophia, Atrophia mesenterica infantum, Phthisis mese-

raica. Darrsucht der Kinder . . . . .126

§. 80. Heilung dieser Krankheit ...... 127

§. 81. Phthisis hepatica. Leberphthisis .... 133

§. 82. Therapie dieser Krankheit ..... 134

§. 83. Gallensteine. Calculus biliarius s. felleus . . . 136

Diagnose. Ursache. Prognose. Therapie.
[*/quote*]





[Datum ergänzt, ama]
« Last Edit: July 26, 2015, 08:59:11 PM by ama »
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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #1 on: April 30, 2013, 09:30:53 PM »

Zwölfte Ordnung.

§. 84. Colliquationen . . . . . . . .138

§. 85. Diabetes. Harnruhr ....... 139

D. insipidus et mellitus. — Occasionelle Ursachen.

§. 86. Therapie dieser Krankheit ...... 140

§. 87. Lienteria. Magenruhr ...... 143

Diagnose. Erregende Momente.

§. 88. Therapie dieser Krankheit . . . . . . '•' ,,,



Inhalt. IX

Seite
§. 89. Ptyalismus, Salivatio. Speichelfluss . . . 144

§. 90. Pharmaceutisches Verfahren gegen Speichelfluss . . 145

§. 91. Ephidrosis. Schweisssucht ..... 148

Fusschweisse; stinkende mit Wundwerden; unterdrückte;

vertriebeue.

Handschweisse.

Achselgrubenschweiss.

Schweiss an den Geschlechtstheilen.
§. 92. Galactorrhoea. Milchfluss . . . . • .150

Vergehen der Milch.

Verweigern der Mutterbrust von Seiten des Kindes.
§. 93. Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss . . . 152

§. 94. Prädisposition; erregende Momente. Prognose . . 153

§. 95. Homöopathische Behandlung ......

Dreizehnte Ordnung.

Congestionen und Blutungen.
§. 96. A) Congestio. Congestionen . . . • • 157

§. 97. Prädisposition ; erregende Momente ; Eintheilung . . 158

§. 98. Congestiones ad caput. Congestionen nach dem Kopfe . 159

Behandlung derselben.
§. 99. Congestio ad pectus, Plethora pectoris. Congestionen nach

der Brust 162

Homöopathische Behandlung dagegen. — Herzklopfen.
§. 100. Plethora abdominalis, Congestio viscerum abdominis, Phys-

conia sanguinea. Congestionen nach dem Unterleibe . 163

Aerztliches Verfahren dagegen.
§. 101. Congestion nach dem Uterus und deren Behandlung . 166

§. 102. B) Hämorrhagiae. Blutungen . . . „

Einige allgemeine Bemerkungen über Blutungen.
§. 103. Eintheilung der Blutungen in active und passive . . 169

Bluttröpfeln (Stillicidium sanguinis); Blutfluss (Proflu-

viura sanguinis) ; Blutsturz (Haemorrhagia proprie sie

dieta). Kritische Blutflüsse. Aetiologie: Prädisposition,

Gelegenheitsursachen. Prognose.
§. 104. Behandlung der Blutungen im Allgemeinen . . . 170

Hämorrhagien der Respirationsorgane.
§. 105. Nasenbluten. Epistaxis,Haemorrhagianarium,Choanorrhagia. 171

Diagnose. Anlage. Gelegenheitsursachen.
§. 106. Behandlung des Nasenblutens. . . « • .172

§. 107. Haemorrhagia pulmonum, Haemoptysis, Haemoptoe, Sputum

cruentum. Bluthusten, Blutspucken, Lungenblutung . 174
§. 108. Anlage, erregende Momente, Prognose . . • . 175

§. 109. Behandlung einer Lungenblutung .... 176

Hämorrhagien der Chylopoese.
§. 110. Haematemesis , Vomitus cruentus, Melaena, Morbus niger



Inhalt.



Seite



Hippociatis, Haemorrhagia ventriculi et tractus intesti-
norum. Blutbrechen , schwarze Krankheit , Blutung des
Magens und Darmkanals ..... 180

Congestions-Stadium ; Stadium der Hämorrhagie.
§. 111. Verlauf; Prädisposition; Gelegenheitsursachen; Prognose . 182
§. 112. Behandlung einer Meläna ...... 183

Blutungen aus den Harn w e rkzeugen.
§. 113. Haemorrhagia renalis, Mictus ceuentus, Urina sanguinea . 186
§. 114. Prädisponirende und erregende Momente; Prognose . 187

§. 115. Therapeutisches Verfahren ..... 188

§. 116. Stymatosis, Urethrorrhagia, Haemorrhagia urethrae. Harn-
röhrenblutung . . . . . . . 191

§. 117. Therapie 192

§. 118. Hämorrhoidalkrankheit . . . . . . 193

Haemorrhoides, Fluxus haemorrhoidalis. Goldaderfluss,
Hämorrhoiden, Mastdarmblutfluss.
§. 119. Prädisponirende und erregende Momente . . . 196

§. 120. Heilung der Hämorrhoidalkrankheit . . . ,,

§. 121. Hämorrhoides vesicae et urethrae sanguineae. Blasen-

hämorrhoiden ....... 201

§. 122. Behandlung derselben 202

§. 123. Beobachtungen und praktis he Erfahrungen über seltner

vorkommende Blutungen aus anderen Organen . 203

Blutungen aus den Augen.
Blutungen aus dem Zahnfleische.
§. 124. Morbus maculosus hämorrhagicus Werlhofii, Haemorrhoea
petechialis. Blutfleckenkrankheit, fieberlose Petechien,
Bluterguss in's Zellgewebe ..... 205
§. 125. Therapeutisches Verfahren . v . . . 206

§. 126. Menstruatio. Monatliche Reinigung . . . ,,

§. 127. Diätetische Vorschriften 208

§. 128. Krankhafte Hemmung der ersten Entwickelung der monatlichen

Reinigung . . . . . . . .211

§. 129. Obstructio menstruorura. Unterdrückte und verzögerte

Menstruation 214

§. 130. Menstruatio nimia, Metrorrhagia. Uebermässige Menstrua-
tion, Mutterblutfluss ...... 216

Homöopathische Behandlung der ersteren.
§. 131. Therapie einer Metrorrhagie ..... 219

§. 132. Abortus. Frühgeburt 222

§. 133. Zu geringe Menstruation ...... 224

§. 134. Krankhafte Erscheinungen während des Monatsflusses . 225

Vierzehnte Ordnung.
§. 135. Cancer, Carcinoma. Krebsbildung, earcino-
matöse Neubildung, bösartige Pseudo-
plasmen. . ; . . . . . 227



Inhalt. XI

Seite
Ursachen; Verlauf und Ausgänge; Prognose; Therapie.
<). 136. Scirrhus et Carcinoma uteri. Skirrhosität und Krebs der

Gebärmutter 229

§. 137. Einschaltung einiger, wenn auch nicht unmittelbar hieher

gehörigen, weiblichen Krankheits - Erscheinungen . 230

Apoplexia sanguinea. — Dicker , starker Leib ; Hänge-
bauch. — Schwäche und Erschöpfung im Wochenbette.
— — Ausfallen der Haupthaare. — Vorfall der Mutter-
scheide oder des Uterus. — Unfruchtbarkeit.
§. 138. Fortsetzung des Scirrhus et Carcinoma uteri . . . 234

Erdbeerenähnliche Excrescenz des Muttermundes. Pha-
gedänisches oder fressendes Geschwür des Uterus.
§. 139. Behandlung dieser Krankheitsform .... 236

§. 140. Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse . 242

§. 141. Therapeutisches Verfahren gegen diese Krankheit . . 245

Fünfzehnte Ordnung.
§. 142. Hydropes, Hydropsien. Wasseransammlungen. Wasser-
suchten . * . . . . . . 252

Ueber Hydropsien im Allgemeinen. Physiologischer,
anatomischer Charakter, Antheil des Gesammtorgariismus.
§. 143. Aetiologie; Ausgänge; Prognose .... 254

§. 144. Therapie der Hydropsien im Allgemeinen . . . 256

Hydropsien der Respirationsorgane.
§. 145. Hydrothorax, Brustwassersucht ..... 262

§. 146. Aetiologie ; Prognose ...... 263

§. 147. Behandlung der Brustwassersucht . . . . 265

§. 148. Oedema pulmonum, Hydrops pulmonum. Lungenödem . 268

§. 149. Hydrops pericardii. Hydropericardie .... 269

Aetiologie; Prognose; Therapie.
Hydropsien der Bauchorgane.
§. 150. Hydrops abdominis, Hydrops ascites. Bauchwassersucht . 270

Aetiologie.
§. 151. Behandlung eines Ascites ...... 271

Hydropsien der Haut.
§. 152. Hydrops Anasarca. Hautwassersucht .... 274

Wassergeschwulst der grossen Schamlefzen (Oedema
pudendarum). — Hydrocele bei Männern.
Hydropsien der Genitalien.
§. 153. Hydrometra. Gebärmutterwassersucht .... 275

Vorfall der Vagina und des Uterus (Prolapsus vaginae
et uteri). — Drängende Schmerzen in den Geschlechts-
theilen. — Wundheitsschmerzen in der Vagina. — Bren-
nende und juckende Schmerzen. — Meteoristische Auf-
treibung des Uterus. — Emphysematische Anschwellung
der äussern Schamlippen.
§. 154. Hydrops ovarii. Eierstockwassersucht .... 278



XII Inhalt.



Seite



Sechzehnte Ordnung-.

Halblähmung des Herzens.
§. 155. Lipothymia, Syncope, Animi deliquium, Asphyxia, Suspensio

vitae. Ohnmacht, Scheintod, verborgenes Leben . 280

Ursachen ; Prognose.
§. 156. Aerztliches Handeln bei Ohnmächten. Scheintod durch Ver-
hungern ........ 281

§. 157. Asphyxia. Scheintod ...... 283

§. 158. Therapie . . . . . . . .284

§. 159. Asphyxie durch Ertrinken ...... 287

Prognose.
§. 160. Behandlung .........

§. 161. Asphyxie durch Erdrosseln, Erhängen .... 289

Behandlung.
§. 162. Scheintod durch Erfrieren 291

Behandlung.
§. 163. Sideratio. Asphyxie durch Blitzstrahl .... 292

Behandlung.
§. 164. Asphyxie durch irrespirable Gasarten. Durch Kohlendampf 294

Prognose; Behandlung.
§. 165. Asphyxie durch Cloaken-, Abtrittgruben, Schleussengas . 295

Vorsichtsmassregeln ; Behandlung.

Asphyxie durch Kohlensäure. — Behandlung . . 296

§. 166. Asphyxia neonatorum. Scheintod der Neugeborenen . 297

§. 167. Therapeutisches Verfahren dagegen .... 298



Anhang.
Ueber einige Beschwerden Neugeborener, die den mir
selbst vorgeschriebenen Ordnungen der Krankheiten
nicht hinzu gefügt werden können, die ich aber, da sie
den beiden ersten Auflagen dieser Therapie mit beige-
geben sind, nicht gänzlich unberührt lassen darf.
§. 168. Ankyloglossum. Angewachsene Zunge .... 301
§. 169. Anschwellungen einzelner Kindestheile , in Folge schwerer

Geburten 302

§. 170. Cephalaematoma, Tumor capitis sanguineus. Blutgeschwulst „
§. 171. Behandlung derartiger Geschwülste .... 303

§. 172. Anschwellung der Brüste, bald nach der Geburt . . ,,

§. 173. Das öftere vorkommende Schlucksen der Neugeborenen . 304

§. 174. Stuhl Verstopfung 305

§. 175. Das Schreien der Kinder, ohne wahrnehmbare Krankheits-
Ursache 307

§. 176. Heraustreten des Nabeis (Nabelbruch) und Leistenbrüche . 308
§. 177. Anuria, Stranguria. Harnverhaltung, Harnstrenge . . 309



Einleitende Bemerkungen zn den chroni-
schen Krankheiten.

ni

§.1.

Lrie Trennung der Krankheiten in akute und chronische ist ganz
willkührlich. Krankheiten überhaupt sind Plagen der Menschen,
von denen letztere befreit sein wollen. Uns ist es auch hier
nur um einen Anhaltepunkt zu thun und noch mehr darum, im
Geiste Hahnemann's, der diese Trennung in den späteren Jah-
ren durch seine chronischen Krankheiten schärfer hervorhob,
fortzuarbeiten. Ein Vorwurf kann uns deshalb nicht treffen, da
überhaupt in dieser Beziehung unter den Schriftstellern eine
grosse Willkühr obwaltet und jeder die richtige Ansicht zu
haben wähnt, Mag auch jeder Schriftsteller die Eintheilung
machen, wie ihm beliebt, so ist sie doch nun und nimmer von
der Art, dass dem Leser ungesucht die Krankheiten ohne Index
entgegenliefen; er muss suchen und nachschlagen, sich mit dem
Werke vertraut machen, sich orientiren — dasselbe muss er in
diesem Werke auch thun. Möge nun diess Alles zu unserer
Entschuldigung dienen, dass wir gerade diese und keine andere
Eintheilung gewählt haben, denn einen andern, besonderen
Grund dafür wüssten wir weiter nicht anzugeben.

Doch ganz nutzlos ist die Eintheilung wenigstens nicht für
den homöopathischen Praktiker, und zwar in Bezug auf Gaben-
grösse und Gabenwiederholung der Arzneien. Wenn in akuten
Leiden die Arzneien schon in etwas materielleren Gaben gereicht
werden, so ist es in chronischen, tief in dem menschlichen Or-
ganismus, fast in allen seinen Systemen, wurzelnden Krankhei-
II. 1



2 Einleitende Bemerkungen.

ten weit gerathener, die Arznei-Gaben weniger materiell zu ver-
abreichen und sie in feineren Dosen in Anwendung zu bringen.
Eben so bedarf die Wiederholung des höher potenzirten Medika-
ments in chronischen Leiden einer ruhigen Ueberlegung, ob sie
eben so gerathen als in akuten Krankheiten ist; immer aber wird
uns ein besonnenes Berathen von der so raschen Wiederholung
wie in akuten Leiden zurückhalten und uns dieses zurückhaltende
ärztliche Handeln in dieser Klasse von Krankheiten nie bereuen
lassen. Wir sprechen hier aus überzeugender, vielfältiger Er-
fahrung und haben es nie zu beklagen gehabt, dass wir gerade
hier Hahnemann's Handeln uns zum Vorbilde nahmen, der
in Heilung chronischer Krankheiten, nicht durch die Entdeck-
ung seiner antipsorischen Arzneien allein, sondern noch weit
mehr durch sein vorsichtiges und besonnenes Handeln, so un-
endlich viel geleistet hat.

Unbenommen bleibt uns übrigens , bei jeder einzelnen Krank-
heit, wo es zum Nutzen der Wissenschaft dient, der neuern
Richtungen, der überzeugenden Erfahrungen der gewonnenen
physiologischen und pathologischen Kenntnisse zu gedenken, die
insbesondere zur sicherern Diagnostik menschlicher Krankheiten
so wesentlich beigetragen haben. Schade, dass diese hochwich-
tigen Erfahrungen der Gesammtmedizin so wenig reellen Nutzen
zu gewähren versprechen! Ja, nach dem, was bis jetzt davon
bekannt worden ist, kann man ihnen sogar einen auffallenden
Schaden, den sie gestiftet haben, nrcht absprechen, denn er-
fahrne, wissenschaftlich gebildete, allopathische Aerzte haben
sich durch sie verleiten lassen, ihrer so schwankenden Arznei-
mittellehre vollends ganz Yalet zu sagen, da es ihnen bei den
basischen Zuständen ihrer Materia medica eine reine Unmöglich-
keil; schien, Um- und Rückbildungen in den von ihnen nun bes-
ser erkannten Krankheiten durch sie zu bewirken. Und so kam
es, dass das, was zum Heile der kranken Menschheit besser und
richtiger erkannt wurde, ihr nur zum Schaden gereichte und
höchstens den negativen Nutoen bewirkt hat, dass keine Krank-
heit mehr durch eine fehlerhafte Behandlung verhunzt, somit
künstlich verschlimmert und dadurch oft unheilbar gemacht wird.
Aber, aber wie tief ist die Allopathie durch diese Kenntnisse
physiologischer und pathologischer Bereicherungen gesunken,



Einleitende Bemerkungen« 3

wie sind statt des Vor-, Rückschritte bemerkbar geworden ! Män-
ner, wenn auch vorher schon wenig auf ihre speculativeetc. Arz-
neimittellehre vertrauend, haben nun vollends allen Glauben an
sie verloren, forschen nach andern, sicherern Mitteln, währertd
sie ihre Kranken einstweilen gelehrt über den Hergang und die
Natur ihrer Krankheit unterhalten und nach dieser Auseinander-
setzung sie, der NätUrheilkraft empfehlend, durch ihren determi-
nirten Ausspruch über die Heil- oder Unheilbarkeit ihrer Leiden,
in einer grenzenlos trostlosen Lage verlassen, die für die armen
Geschöpfe schrecklicher als der Tod selbst ist. Diess ist also
der gehoffoe Gewinn von diesen grossen neuern Entdeckungen,
dass ganze Spitäler voll Kranke ihrem guten oder bösen Genius
überlasse« bleiben und der Privatkranke seinen Arzt mit ängst-
licher Miene, bedenklichem Achselzucken, ohne für ihn einen
Rath zu wissen, sich entfernen sieht! Sind denn solche nutz-
lose Bestrebungen wohl so viel Aufhebens werth , als von ihnen
gemacht wird? — Doch zum Glück giebt es noch Männer, aü
denen derartige Entdeckungen nicht nutzlos vorübergehen, da
sie durch eine andersartige Richtung, die sie der Wissenschaft
abzugewinnen wussten, in den Stand gesetzt sind, Gebrauch von
ihnen zu machen. Und wer sind diese Männer? Die von den,
rationelle Heilkünstler zu sein, sich brüstenden allopathischen
Aerzten verunglimpften, verachteten und auf jede Weise verfolg-
ten Homöopathen. Und was giebt unä denn die Bevorzugung,
die Begünstigung vor Jenen? Unsere schon längst vorgearbei-
tete, und noch fort und fort in der weitern Ausbildung begrif-
fene physiologische Arzneimittellehre, die uns mit den rein phy-
siologischen Wahrnehmungen, als auch mit den aus Sectionen
gewonnenen pathologischen Resultaten in so vertraute Berührung
bringt, dass wir oft nun erst die von gesunden Arznei-Prüfern ge-
wonnenen physiologischen Erscheinungen (Arznei-Symptome) rich-
tig zu würdigen im Stande sind und sie darum mit weit grösserem
Nutzen, wie früher, krankhaften Zuständen anzupassen verstehen.
Doch, wir wollten keine Abhandlung über diesen Punkt nie-
derschreiben, die kurze Bemerkung kam uns ungesucht, ganz
absichtslos, und darum verlassen wir diesen Gegenstand wieder,
um zu dem Hauptzweck dieses zweiten Bandes therapeutischer
Andeutungen in chronischen Leiden zurückzukehren.

1*



4 Einleitende Bemerkungen.

§.2.

, Um zur Bearbeitung chronischer Krankheiten überzugehen,
ist es zweckmässig , dass wir erst

Hahnemann's Ansichten

■ '■ ' -

über diese Krankheiten besprechen und dann in seinem Geiste

fortarbeiten. Auffallend musste es nicht blos seinen Schülern und
Nachfolgern sein, sondern noch weit mehr seine Gegner befrem-
den, dass der Mann, der früher über alles Generalisiren der
Krankheiten das Anathema aussprach, der gegen die Beibehaltung
der alten, üblichen Krankheitsnamen, noch mehr aber gegen die
Aufstellung von Hypothesen über das innere, uns ewig unsicht-
bare Wesen , das dynamische Verhältniss und somatische Differenz
so sehr geeifert hatte, — nun selbst den so gefährlich und un-
sicher bezeichneten Weg einschlug und dadurch manchen boshaf-
ten Angriffen, manchem Spotte und mancher Satyre sich aussetzte,
die aber doch, bei ruhiger Prüfung des ersten Theils seiner
chronischen Krankheiten, worin er mit ausgezeichneter Gelehr-
samkeit, mit sattsam dargelegten und wohlerwogenen Gründen,
mit seltenem Scharfsinn aus den frühesten Zeiten, ja selbst aus
der heiligen Schrift die Beweise für seine Behauptungen aufge-
führt hat, — alle in ihr Nichts zerfallen und dem grossen Manne
wohl nicht viel anhaben können, da man ihm in den meisten
Fällen beizustimmen sich gedrungen fühlt. *

Bis dahin, wo er anfing über den Grund des Mislingens der
Heilung der gedachten Krankheiten nachzudenken , um ein sichere-
res Heilverfahren ausfindig zu machen , hatte er viel in der Fort-
bildung seiner neuen Lehre schon gethan. Er hatte das Mög-
lichste geleistet, um Jedem, der sich mit diesem neuen Heilsy-
steme befreunden wollte, in Allem klar, deutlich und möglichst
anschaulich zu sein ; er prüfte fort und fort neue Mittel , gab sei-
nen Schülern die genaueste Anleitung dazu und glaubte auf die-
sem Wege noch immer den Grund kennen zu lernen, warum die
Heilung mancher, namentlich chronischer, Leiden diesem schon
längst anerkannt besseren Heilverfahren nicht gelingen wollte;
ja er musste sich bei den Versuchen , chronische Krankheiten ; zu
heilen, am Ende selbst eingestehen, dass „der Anfang der Hei-



Hahnemann's Ansichten über chronische Krankheiten. 5

Iung immer erfreulich, die Fortsetzung der Cur minder günstig,
der Ausgang der Krankheit aber, bei den besten Anzeigen vom
Anfange, dennoch hoffnungslos sei!" — Noch entsinne ich mich
der Zeit in den Jahren 1817 und 18, wo ich mich eines intimem
Umgangs mit Ha linemann zu erfreuen hatte und seinen Kran-
ken-Examen oft beiwohnte, dass er an viele Leidende die Frage
richtete: haben Sie wohl je in Ihrem Leben an Krätze gelitten?
Später sagte er wohl auch mit Bestimmtheit zum Kranken: Sie
müssen einmal an Krätze gelitten haben, und sehr oft hörte ich
zu meiner grossen Bewunderung vom Kranken diesen Ausspruch
bejahen. Niemals habe ich von da an bei einem Kranken-Exa-
men diese Frage vernachlässigt und oft durch sie das passende
Mittel in Sulphur oder Hepar, sulph. gefunden, ehe noch die
chronischen Krankheiten von Hahnemann erschienen waren.
Aufmerksam wurde ich schon damals durch jene Frage, dass
Hahnemann langwierige Leiden von einer andern Seite be-
trachte, als die Aerzte sie anzusehen gewohnt waren. Auf die-
sem Wege — von der Ansicht ausgehend, dass den chronischen
Krankheiten ein Psora-Siechthum zum Grunde liegen müsse —
forschte er immer weiter fort und glaubte stets diese Annahme
bestätigt zu finden, so wie auch, dass das Ur-Uebel miasma-
tisch chronischer Natur sein müsse, weil es nie durch die Kraft
einer robusten Constitution aufgehoben, nie durch die gesunde-
ste Diät und Lebensordnung besiegt wird oder von selbst er-
lischt, sondern mit den Jahren sich immer mehr, durch Ueber-
gang in andere, bedenklichere Symptome verschlimmert bis ans
Ende des Lebens. — Dieses so viele Leiden erzeugende Urübel
bezeichnete er seines Ursprungs wegen mit dem Namen Psora
(innere Krätzkrankheit mit oder ohne ihren Hautausschlag) und
die dagegen von ihm erforschten hülf reichern Mittel antipso-
rische. Die Heilkraft dieser letztern in vielen chronischen
Krankheiten diente ihm als Beweis für die psorische Natur der-
selben und gewann ihm die feste Ueberzeugung, dass die mei-
sten jener vielerlei Hautausschläge, so wie fast alle Afterorgani-
sationen von der einfachen Fingerwanze an bis zu den grössten
Balg-Geschwülsten, von den Fingernägel-Verunstaltungen bis zu
den Knochen-Geschwülsten und den Verkrüppelungen des Rück-
grats und mehren andern Erweichungen und Verlegungen der



6 Einleitende Bemerkungen.

Knochen im zarten und spätem Alter, dass häufiges Nasenblu
ten eben sowohl als die Blutanhäufungen in den Venen des
Mastdarms und des Afters oder die Blutentleerungen aus den-
selben (blinde oder fliessende Hämorrhoiden), so wie Bluthusten,
Blutbrechen, Blutharnen, und eben sowohl die fehlende, als die
zu häufige Menstruation, der mehrjährige Nachtschweiss , als die
pergamentartige Dürre der Haut, der mehrjährige Durchfall und
die, stete Hartleibigkeit und Stuhlverstopfung, die langwierigen
Schmerzen und vieljährig wiederkehrenden Convulsionen — mit
einem Worte, dass Tausende von der Pathologie mit verschiede-
nen Namen belegter, langwieriger Leiden der Menschen — mit
wenigen Ausnahmen, wahre Abkömmlinge einzig der vielgestalti-
gen Psora seien- Fortgesetzte Beobachtungen, Vergleichungen
und Versuche belehrten ihn, dass die in ihren auffallenden Be-
schwerden so ungemein abweichenden und bei den verschiede-
nen Kranken so höchst verschieden scheinenden chronischen Lei-
den alle doch nur theilweise Aeusserungen jenes uralten chro*
nischen Aussatz- und Krätz-Miasmas (Abkömmlinge eines und
desselben Ur-Uebels) sind, die als Glieder einer und ebendersel-
ben Krankheit betrachtet werden müssen und ärztlich zu behan-
deln sind,

§. 3.

Nach Hahnemann giebt es nur 3 solcher chronischer Mi*
asmen , deren Krankheiten sich mit Local-Symptomen hervorthun
und von denen, wo nicht alle, doch die meisten chronischen Lei-
den abstammen, nämlich: erstens die Syphilis, zweitens die
Sycosis oder Fei gwarzenkrankhei t und endlich drittens
die dem Krätzausschlage zum Grunde liegende Psora.

Diese Psora ist die älteste, allgemeinste, verderblichste und
doch am meisten verkannte, chronisch-miasmatische (contagiöse)
Krankheit, die in den frühern Zeiten als Aussatz, Flechte, An-
toniusfeuer etc. sich zeigte und, von der Haut vertrieben, als la-
tente Psora bald Geistes- und Gemüthskrankheiten, bald als Ner-
venleiden, Lähmungen, Abzehrungen etc. auftrat, die wenigstens
sieben Achtel aller vorkommenden chronischen Krankheiten aus-
machten, während das übrige Achttheil der Syphilis oder Syko-
sis oder einer Complication von zweien dieser 3 Urübel, oder



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #2 on: April 30, 2013, 09:31:21 PM »

Hahnemann's Ansichten über chronische Krankheiten. 7

seltner, allen drei ihr Entstehen verdankt. — Nach und nach
minderte sich durch Reinlichkeit, einfachere Nahrungsmittel u. s. w.
die äussere Scheusslichkeit der Psora so weit, dass sie zu Aus-
gange des 15. Jahrhunderts nur noch in der Gestalt gewöhnli-
chen Krätz-Ausschlags erschien, aber ohne Nutzen für die lei-
dende Menschheit, weil man durch äussere Mittel dieses schein-
bare Localleiden so schnell als möglich zu vertilgen sich be-
strebte, ohne dadurch das innere Psora-Siechthum mit heben zu
können, das dann nach Wochen, Monaten, Jahren als ganz anders
geartetes chronisches Leiden zum Ausbruch kam. Ja, was noch
mehr war, dieser Krätzausschlag besass und besitzt noch jetzt
die Eigentümlichkeit, dass er^ von selbst, auf Veranlassungen,
die man nicht achtet, von der Haut verschwindet, z. B. durch
ein übles physisches oder psychisches Ereigniss , durch einen hef-
tigen Schreck, durch stete Aergerniss, tief eingreifenden Gram,
durch eine grosse Verkältung oder Kälte, durch kalte, laue und
warme Fluss- und Mineralbäder, durch ein, von irgend einer
Ursache entstandenes Fieber oder eine andersartige akute Krank-
heit, durch einen anhaltenden Durchfall, vielleicht auch zuweilen
durch eine besondere Unthätigkeit der Haut, und dann sind die
Folgen eben so schlimm, als wenn sie äusserlich durch Waschun-
gen und dergleichen vertrieben worden ist, denn die sekundären
Uebel der innern Psora brechen dann eben so sicher hervor.

Keineswegs aber weicht die jetzt so gemilderte Psora von
jenem frühern Aussatze in ihren Folgekrankheiten so bedeutend
ab; letzterer Hess sich, war er nicht zu veraltet, eben auch nicht
selten von der Haut vertreiben, aber auch damals achtete man die
bösen Folgen eben so wenig, als jetzt die akuten Uebel und die
schleichenden Siechthume bemerkt werden, die auf das Selbst-
entweichen oder die gewaltsame Vertreibung des jetzigen Krätz-
Ausschlags bald oder spät aus der inwohnenden Psora folgen.

§.4.

Bei dieser so geflissendlichen Nichtachtung des Krätz-Aus-
schlags Seitens der Aerzte ist es leicht begreiflich, dass die
Psora die allgemeinste Mutter der chronischen Krankheiten, die
unter allen am meisten verkannte, und ärztlich am übelsten und
nachtheiligsten behandelte Krankheit ist.



8 Einleitende Bemerkungen.

Wird doch eine akut contagiöse Ausschlags-Krankheit nicht
so leicht hin, so oberflächlich behandelt und sie verschwindet
binnen 2, 3 Wochen wieder gänzlich; anders verhält es sich mit
den chronisch-miasmatischen (contagiösen), die, wenn sie nicht
durch die Kunst geheilt werden, nie wieder verschwinden, wohl
aber die Form verändern. Ihre Ansteckung erfolgt in einem
Augenblicke der Berührung mit der Oberhaut und sogleich wird
auch der ganze lebende Organismus davon ergriffen (eben so
verhält es sich mit der Syphilis) ; Waschen, Aetzen und Brennen
hilft nichts mehr dagegen und die Infection ist dadurch nicht
ungeschehen zu machen. Die erste Krätzpustel, die sich auf der
Haut bildet, zeigt schon die völlige Entwickelung und Ausbil-
dung des den ganzen Organismus inficirten Krätz-Ausschlags an;
sie ist Product der innern Krankheit, das durch äussere Vertil-
gung nicht gehoben, wohl aber gefährlicher gemacht wird, weil
nun kein Yikariat für die innere, allgemeine Krankheit mehr
vorhanden ist. — Die Krankheit ist darum so allgemein verbrei-
tet, weil fast alle Menschen die Fähigkeit haben, davon ange-
steckt zu werden. — Bleibt die Krankheit sich selbst überlassen,
so bilden sich immer mehr Ausschlagsblüten, wobei das Allge-
meinbeünden weiter nicht gestört wird, aber die Krankheit sich
um so allgemeiner über und durch den Organismus verbreitet,
dem das äussere Exanthem um so nöthiger zum relativen Wohl-
befinden ist. Darum aber ist es auch so gefährlich, den Aus-
schlag mit äussern Mitteln zu vertilgen, inaem alsdann die nach-
theiligen Folgen schnell und deutlich hervortreten, was wohl
bei frischentstandener Krätze nicht in dem Grade der Fall ist,
aber dennoch auch nicht ausbleibt, nur etwas langsamer die
schädlichen Folgen sich entwickeln und bis an's Lebensende,
ohne Hülfe der Kunst, fortwuchern. Nach Vertreibung der äus-
sern Pusteln ist zwar, namentlich bei jugendlichen Subjecten,
oft Jahre lang ein scheinbares Wohlbefinden noch wahrzuneh-
men, oft aber sind auch die Zeichen der schlummernden Psora
so undeutlich, dass ihnen die Bedeutung nicht gegeben wird,
die sie verdienen. Bei manchen Menschen sind deren wenige, bei
andern mehre vorhanden, und sie wurzeln eben so gern im sen-
sibeln, wie im irritabeln und reproductiven Systeme. Die vor-
züglichsten derselben sind:



Hahnemann's Ansichten über chronische Krankheiten. 9

Oefterer Abgang von Spuhlwürmern und Askariden mit Krie-
beln im After, vorzüglich bei Kindern, oft aufgetriebener Un-
terleib, bald Heisshunger, bald Appetitlosigkeit, Blässe des
Gesichts und Schlaffheit der Muskeln, öftere Augenentzündun-
gen, Gerstenkörner, Halsdrüsengeschwülste, Kopfschweisse, Na-
senbluten, mehr bei jugendlichen als alten Personen, kalte oder
schweissige Hände, oder brennende Handflächen, starke Fuss-
schweisse, öfteres Einschlafen der Glieder, öfterer Klamm in
den Muskeln der Gliedmassen, Hüpfen einzelner Muskeltheile,
öftere Katarrhe, Fliess- oder Stockschnupfen, Nasenverstopfung,
lästige Trockenheit in der Nase, Schorfe in derselben, öftere
Halsentzündung und Heiserkeit, Hüsteln, Engbrüstigkeits - An-
fälle, leichtes Verkälten, leichtes Verheben der Glieder, oft
einseitiges Kopf- oder Zahnweh, öftere fliegende Gesichts-
hitze mit und ohne Aengstlichheit, Ausfallen der Kopfhaare,
Kleienflechten (Schuppen) auf dem Kopfe, Neigung zu Rose,
Unordnungen der weiblichen Periode, Zucken der Glieder beim
Einschlafen, Müdigkeit nach dem Schlafe, Neigung zum Schwi-
tzen bei Tage, belegte, oder blasse, oder rissige Zunge, viel
Rachenschleim, übler Mundgeruch, saurer Geschmack , Früh-
übelkeit, Leerheitsempfindung im Magen, Widerwillen gegen
warme Speisen, Trockenheit im Munde, öfteres Leibschneiden,
Hartleibigkeit oder Durchfall , blinde oder fliessende Hämor-
rhoiden, dunkler Harn, Varices an den Beinen, Frostbeulen und
Schmerz derselben selbst im Sommer, Hühneraugenschmerz
ohne Druck der Schuhe, leichtes Verknicken, Verstauchen,
Vergreifen eines Gelenks, Knacken der Gelenke bei Bewe-
gung, ziehende, spannende Schmerzen im Genicke, dem Rü-
cken, in den Gliedern, besonders den Zähnen, Erneuerung der
Schmerzen in der Ruhe und Nachlass derselben bei Bewe-
gung, Erneuerung und Erhöhung der meisten Beschwerden
zur Nachtzeit und bei tiefem Barometerstande, bei Nord- und
Nordwestwinden, im Winter und gegen den Frühling hin, un-
ruhige, allzu lebhafte Träume, unheilsame Haut , öftere Blut-
schwäre oder Nagelgeschwüre, dürre Haut an den Gliedmassen,
auch wohl auf den Backen, Abschuppungen der Haut an ver-
schiedenen Stellen , zuweilen mit Jucken und Brennen, Auf-



10 Einleitende Bemerkungen.

sprossen einzelner, mit Eiter sich füllender Bläschen, welche
erst ein wollüstiges Jucken, dann ein Brennen verursachen.
Diess sind die leichteren, oft nicht besonders lästigen Sym-
ptome der innwohnenden, schlummernden Psora, unter denen der
Mensch Jahre lang hinbringen kann, ehe er ernstlich erkrankt,
bis höheres Alter oder äussere schädliche Einwirkungen den Im-
puls zu bedeutenderer Entwicklung geben. Dann erfolgt Zu-
nahme der Beschwerden und Ausbildung irgend einer chronischen
Krankheit, deren Hahnemann mehrere, aus älteren Schriftstel-
lern gesammelt, in seinem Buche über chronische Krankheiten
zusammengetragen hat. Es sind folgende:

Engbrüstigkeit mit und ohne allgemeine Geschwulst; Ersti-
ckungs-Katarrh; asthmatische Erstickungen; Engbrüstigkeit und
Brustwassersucht; Seitenstechen und Brustentzündung; Seiten-
stechen und Husten ; heftiger Husten ; Bluthusten ; Bluthusten
und Schwindsucht; Eitersammlung in der Brust; Eiterbälge im
Gekröse; grosse Verderbnisse vieler Eingeweide; Wasserkopf;
Geschwüre am Magen; Sphacelus des Magens und Zwölffinger-
darms; allgemeine Wassersucht; Hodensack-Geschwülste; rothe
Geschwulst des ganzen Körpers; Gelbsucht; Ohrdrüsen- Ge-
schwülste; Augenverdunkelung und Presbyopie; grauer Staar;
schwarzer Staar ; Trübheit ; Eingeweide - Entzündung ; Harn-
ruhr; Harnunterdrückung; Rothlauf; scharfe, jauchige Aus-
flüsse; Geschwüre; Knochenfrass; Knochen - Geschwulst des
Knie's; Knochenschmerzen; Rhachitis uira Abzehrung bei Kin-
dern; Fieber verschiedener Art; drei- und viertägige Wech-
selfieber; Schwindel und gänzliches Sinken der Kräfte; fall-
suchtartiger Schwindel; Konvulsionen; Fallsucht; Schlagfluss;
Lähmung; Melancholie; Wahnsinn etc.

§.5.

Hahnemann hält das Krätzmiasm für das ansteckendste und
hält es für so leicht mittheilbar, dass schon der von einem Kran-
ken zum andern eilende Arzt beim Pulsfühlen es oft unwissend
Mehren einimpfte; Wäsche, mit krätziger Wäsche gewaschen; neue,
aber von einem Krätzigen schon anprobirte Handschuhe, ein frem-
des Naehtlager, ein fremdes Handtuch zum Abtrocknen diesen
Ansteckungszunder mittheilte, ja, dass oft schon das neugeborene



Hahnemann's Ansichten über chronische Krankheiten. U.

Kind während des Durchgangs durch die äusseren Geschlechts-
theile von seiner damit behafteten Mutter oder von der von einer
ähnlichen Kreissenden kommenden Hebamme diess unglückliche
Loos erhält, oder als Säugling von seiner Amme oder Wärterin,
oder von dem liebkosenden Streicheln einer fremden, unreinen
Hand angesteckt wird; uneingedenk der tausend und aber tausend
andern möglichen Berührungen mit diesem Miasm unsichtbar be-
sudelter Dinge im Gange des Menschenlebens,

Unglückliches Menschengeschlecht, das, nach diesen Ansich-
ten Hahnemann's, sich auf keine Weise vor dieser Krankheit
zu schützen vermag, und doch jeden Augenblick seines Lebens
der Gefahr, von Psora ergriffen zu werden, ausgesetzt ist! Und
sollte wirklieh die weise Vorsehung dieses, das Menschenge-
schlecht körperlich und geistig zerstörende Gift, diese Geissei
der Menschheit, diese nichts als Verderben und Unglück verbrei-
tende Krankheit, nicht durch andere uns unbekannte Schutzmittel
unschädlich gemacht haben ? Sollten die von H ahnemann ange-
führten Beschwerden nur Folgeleiden der im Körper schlummern-
den Psora sein? Giebt es wirklich keine andere Ursache zur
Entstehung derselben? Sonach wäre jeder Mensch psorisch,
denn wer hätte nicht in seinem Leben je einmal ein kleines Blüth-
ohen an seinem Körper gehabt, das ja, nach Hahnemann, ein
Zeichen der innern Psora ist? Nein, nein! Es kann dem nicht
so sein! Das höchste Wesen kann unmöglich seinen Liebling,
den Menschen, während seines Erdenwallens solcher augenschein-
lichen Gefahr aussetzen und ihm weniger Vorrechte einräumen,
als dem unvernünftigen Thiere! Eher und leichter ist anzuneh-
men, dass Hahnemann seinem Schooskinde zu Liebe zu weit
gegangen ist und zu dessen Gunsten Manches in den verworrenen
Knäuel der Psora mit hineinzog, was auf ganz anderem, ebenfalls
naturgemässem Wege seine Erörterung gefunden hätte. — Doch
tadeln wir ihn darum nicht; mag die Erklärung fallen, wie sie
will, viel Wahres ist an seiner Psora-Theorie und in vielen Fäl-
len lässt sie sich erweisen. Wäre sie aber auch in der That
ganz verwerflich, so hat sie doch das Gute gehabt, dass wir ihr
eine Menge kräftiger Mittel zu danken haben, ohne deren Kennt-
niss uns manches chronische Leiden zu heilen nicht vergönnt sein
würde. Und hier ist theilweise auch wohl der Irrthum Hahne-



.12 Einleitende Bemerkungen.

mann's mit zu suchen, dass er wähnte, Krankheiten, die durch
eins dieser von ihm entdeckten und geprüften Mittel geheilt wür-
den, müssten auf psorischem Grund und Boden wurzeln. Gehen
wir nun zu Hahnemann's

Heilung der chronischen Krankheiten, hier insbesondere der
Psora, über und geben in nuce wieder, was er in seinen „chro-
nischen Krankheiten" ausführlicher besprochen hat.

Bekommt der Arzt einen Kranken mit einem anfänglich durch-
sichtigen, dann schnell mit Eiter angefüllten Krätz-Bläschen, mit
einem schmalen, rothen Rande rundum, wäre es auch noch so
klein, wie einzelne Friesel -Körnchen, oder auch vom Ansehen
zerriebener Blüthen oder kleiner Schorfe, so kann er keinen Au-
genblick zweifeln, dass der Ausschlag Krätze sei, sobald der
Kranke (Kind oder Erwachsener) die Stelle unaufhaltbar reibt und
krazt, und Letzterer über einen, am meisten Abends und Nachts
unerträglichen, ohne Kratzen nicht auszuhaltenden Kitzel des wol-
lüstig juckenden Ausschlags klagt, worauf Brennschmerz folgt.
Wird diess zeitig bemerkt, so wird, unter gänzlicher Vermeidung
alles äusserlich Aufgelegten, die Eingabe eines oder zweier Mohn-
samen grossen Streukügelchen, mit geschwefeltem Weingeiste be-
feuchtet, zur Befreiung und Heilung eines Kindes von der ganzen
Krätzkrankheit, dem Ausschlage und dem mnern Krätzübel (Psora)
binnen zwei, drei, vier Wochen völlig und überflüssig hinreichend
sein. In einigen Fällen bedarf es noch einer Gabe hochpoten-
zirter Holzkohle, in änderen einer gleichen Gabe Sepia. — Ist
die Krankheit schon veraltet, der Ausschlag aber noch auf der
Haut vorhanden, eine Gabe Schwefel zur Heilung nicht ausrei-
chend, aber den vorhandenen Beschwerden noch immer entspre-
chend, so muss man vor Darreichung einer neuen Gabe Schwefel
eine Gabe (ein, höchstens zwei Streukügelchen) decillionfach po-
tenzirter Krähenaugen reichen zur Tilgung der etwa gegenwärti-
gen Reizbarkeit der Nerven, die der guten Wirkung des Schwe-
fels Hindernisse in den Weg legen könnte. Vorzüglich erfor-
derlich ist diess Verfahren, wenn der Kranke von der freien Luft
Beschwerden erleidet, übermässig geneigt ist zum Sitzen und
Liegen und einen Unmuth zeigt, der hartnäckig den Wünschen



Chronische Hautausschläge. Tmpetigines. 13

Anderer widerstrebt. — Die nun zu reichende zweite Schwefel-
gabe, deren Wirkung 36 — 40 Tage abzuwarten ist, wird ihre
Wirkung nicht versagen, wenn bei irgend einer der chronischen
Krankheiten das so lästige Symptom mehrtägiger Leibverstopfung
und harten, knotigen Stuhls, zugleich mit öfterm, vergeblichem
Drange dazu, vorhanden ist.

Diess das Wenige, was Hahnemann in Bezug auf Thera-
pie der Krätze in seinem Buche über chronische Krankheiten mit-
getheilt hat.

So sonderbar es nun wohl auch scheinen mag, dass ich den
Theil der chronischen Krankheiten mit der Therapie der chroni-
schen Hautausschläge beginne, die in andern therapeutischen
Handbüchern wohl eher am Schlüsse aller Krankheiten ihren
Platz finden: so folgerichtig glaube ich gerade hier, wo ich nach
den Ansichten Hahnemann's mich richte, zu handeln , wenn
ich sie als Eingang zu den chronischen Krankheiten betrachte,
da sie ja von Jenem als der Urstoff aller chronischen Krankhei-
ten angesehen und behandelt worden sind. Gehen wir nun über
zu der



Neunten Ordnung.



■ i -



Chronische Hautausschläge. Impetigines.



Peter Frank gab den chronischen Hautkrankheiten den Na-
men Impetigines, zum Unterschiede von den akuten Hautausschlä-
gen, die er Exanthemata nannte.

Physiologischer Charakter. Sitz im Hautorgan, be-
sonders Epidermis, Corpus papilare, Malpighisches Netz. — Ver-
änderung der Hautsekretion in quantitativer und qualitativer Hin-
sicht. — Tendenz des veränderten Hautsekrets zur organischen
Gestaltung; man unterscheidet folgende Perioden: Keim, Ent-
wickelung, Florescenz, Reife, Abfallen. — Die Impetigines be-
dürfen zu ihrem Fortbestehen zweierlei Momente: Respirable Luft,
höhere Formen bedürfen mehr Luft als niedere. Eine gewisse
Temperatur. Werden diese Momente entzogen, so werden innere



14 Chronische Hautausschläge.

Organe befallen und es treten andere Krankheitsformen auf, i. B.
Tuberkeln der Lungen, carcinomatöse Geschwüre.

Der anatomische Charakter ist nur unvollständig be-
kannt und beschränkt sich auf die Veränderungen in der Haut,
die doppelter Art sind: die Epidermis ist im Zustande breiiger
Erweichung und Zerfliessung, wie bei Genus Amorpha, oder sie
ist verdichtet, hat ihre Pelludicität verloren, zeigt lamellösen Bau
und hornartige Gewebe, wie z. B. bei Genus Ptyriasis. — Die
Veränderung beschränkt sich nicht auf die Epidermis, sondern
geht tiefer auf das Rete vasculosum und das malpighische Netz;
in diesem Falle entstehen Neugebilde, die S c h ö n 1 e i n impeti-
ginöse Früchte nennt, an denen er den Fruchtboden (Pericar-
pium) und eine eigentliche Frucht unterscheidet. Das Pericar-
pium unterscheidet sich durch Dichtigkeit, Farbe und Ansehen
wesentlich von der übrigen gesunden Haut; aus seiner Mitte ent-
wickelt sich die Frucht. Bald ist es blassroth, bald dunkelroth,
bald kupferfarbig, je nach Verschiedenheit der Krankheitsgattung
und Alter des Subjects; es ist kreisrund, oder eckig, oder grosse
Streifen bildend; oft wächst die Frucht auf Kosten des Pericar*
piums, oft vergrössern sich beide gleichmässig etc.

An der Frucht unterscheiden wir die von der Epidermis ge-
bildete Hülle und den Inhalt. Erstere bildet die kugeliche, ko-
nische, zugespitzte Gestalt, ist bald lederartig, bald leicht zer-
reisslich. Der Inhalt zeigt verschiedene Veränderungen, bald
ist er, bezugs der Farbe, honig-, bald citronengelb, bald mehr
braun oder grau, in Bezug auf Consistenz bald wie Wasser, bald
wie Syrup, bald wie dicker Brei etc. ; unter dem Microscope
zeigen sich sogar infusorielle Bildungen, wie diess bei Scabies
beobachtet worden.

Allgemeine Gefässreizung findet sich höchstens nur da, wenn
die impetiginöse Form sich rasch entwickelt, dann geht oft eine
Fieberreizung voraus, die selbst nach der Eruption nicht gänz-
lich verschwindet; ferner, wenn sie sich über einen grossen Theil
der Haut verbreitet; und endlich drittens, wenn sie sehr schwäch-
liche, reizbare Individuen befällt. Das Fieber hat dann meistens
den erethischen Charakter, nur selten den der Synocha, noch
seltner den des Torpors. Die reproductive Sphäre leidet oft
mehr, weil auf Kosten des Haatleidens die übrigen Theile dürf-



Scabies vesicularis. Bläschenkrätze. 15

tiger ernährt werden, woraus die impetiginöse Cachexie ent-
springt, die am deutlichsten auf der Haut mit sichtbar, die Mass
ist und in's Erdfahle spielt; Abmagerung der Theile; Schlaff-
heit der Muskeln.

Aetiologie: Erbliche Anlage, Lebensalter, scrophulöse
Disposition. Aeussere und erregende Momente sind: der lange
fortgesetzte Gebrauch gewisser Arzneistoffe, als: Schwefel, Co- r
paivabalsam, Terpenthin, Antimonialia, Merkurialia. Unreinlich-
keit und Vernachlässigung der Hautkultur.

Prognose ist im Allgemeinen günstig; sie richtet sich
nach der Form; nach der Dauer — je älter der Impetigo, desto
schwieriger die Heilung; nach dem Lebensalter — am leichte-
sten heilen Impetigines in den Blüthenjahren , schwieriger in
der Jugend und im Alter; nach dem Zustande der Haut — je
trockner, spröder, desto schwieriger, je feuchter, desto leichter
die Heilung ; nach den Ausgängen — Geschwürbildung ist schlimm,
schlimmer Vertreibung und Nachkrankheiten,

Hier betrachten wir nun zuerst die Urform derselben, die
Scabies, von Hahne mann vorzugsweise Psora genannt.

§. 7.

Scabies vesicularis, s. lymphatica. Gewöhnliche Krätze,
Bläschenkrätze.

Sie erscheint in kleinen, mit einer hellen Flüssigkeit ge-
füllten Bläschen, die von einem schmalen, lichtrothen Halo um-
geben sind und heftig jucken, zuerst zwischen den Fingern, an
der innern Seite der Handgelenke und am Epigastrium, dann an
den Hinterbacken und den Gelenkbeugen; bei längerer Dauer
verbreitet sie sich über den ganzen Rumpf, lässt aber das Ge-
sicht ganz frei, was charakteristisch für dieses Hautleiden ist,
eben so auch das heftige Jucken derselben, besonders Abends
im Bette, die beständigen Nachschübe, die Contagiosität, das
Nichtselbstheilen derselben. Verändert wird das Ansehen des
Uebels durch das häufige Kratzen des Patienten, wozu das ausser-
ordentliche Jucken, namentlich in der Bettwärme und beim Ein-
tritt aus der Kälte in die Wärme, stets Veranlassung giebt; da-
durch nun vermischt sich Blut und Feuchtigkeit mir einander,
trocknet auf den Bläschen ein und bildet rothbraune oder



16 Scabies vesicularis. Bläschenkrätze.

schwärzliche, dicke Schorfe und die Kranken sehen oft aus wie
gegeisselt.

Bekommt man die Krätze frühzeitig, noch ehe sie entartet,
mit Salbe und dergleichen behandelt worden ist, zu Gesicht, so
nimmt man wahr, dass von vielen der kleinen Bläschen aus, be-
sonders an den Fingern, eine feine Linie, oder ein Gang unter
der Epidermis hinläuft, der in einen kleinen dunkeln Punkt en-
digt. Dringt man an der Stelle dieses Punktes mit einer feinen
Nadel schief unter die Oberhaut ein und gelingt es, den Punkt
herauszuheben, so erkennt man in demselben ein äusserst klei-
nes, sich lebhaft bewegendes Thierchen, die Krätzmilbe oder
den Acarus scabiei (besser Sarcoptes hominis). —
Dieses Thierchen ist ungefähr % Millimeter gross, zeigt unter
dem Microscope einen rundlichen, von beiden Seiten etwas zu-
sammengedrückten, schildkrötenförmigen, weissen und mit Strei-
fen versehenen Körper und durch steife Wärzchen rauhen Rü-
cken. Von acht Füssen sind die vier vordem neben dem Kopfe
gleichsam handförmig vertheilt; die vier hinteren stehen weit
auseinander. Die hintern Füsse sind an den Leib befestigt, län-
ger als der letztere, cylindrisch und ohne Haftscheiben; die
Haftscheiben der Vorderfüsse sind einfach. Die vordem Füsse
kann das Thier nebst dem Kopfe unter seinem Brustschilde ver-
bergen. (Canstatt.)

§.8. *

Bedingungen zur Entstehung dieser Krankheit
sind wohl am seltensten spontan, auch ist es nicht Schmutz al-
lein, der sie erzeugt, sondern die mit Schmutz gemischte Wolle,
wie wir bei Wollarbeitern in Fabriken, Schneidern, Tuchmachern,
Tuchscheerem beobachten. Wir finden sie auch bei Tischlern,
die viel mit Copalfirniss zu thun haben, bei Schuhmachern, die
die Hände beständig mit Pech und Hanf verunreinigen. Am häu-
figsten überträgt sie sich durch Contact, und das Contagium ist
leicht verschleppbar, besonders durch Wolle und wollene Klei-
dungsstücke, und bleibt lange an diese Gegenstände gebunden;
doch bedarf es lange fortgesetzter Einwirkung und des Zusam-
mentreffens mit Wärme, ehe es sich überträgt. Nach diesen ge-
wiss richtigen Beobachtungen ist die Uebertragung der Krätze



Scabies vesicularis. Bläschenkrätze. 17

gewiss nicht so leicht, als Hahnemann annimmt, wenigstens
dürfte die Fortpflanzung derselben durch den Arzt, die Hebamme,
durch ein wohlmeinendes Streicheln, ja selbst beim Durchgange
durch die äusseren Geschlechtstheile des mit vielem Schleime
überzogenen Kindes etc. schwer zu erweisen sein. — Nahrungs-
mittel und Clima scheinen grossen Einfluss auf ihr Entstehen zu
haben, so der Genuss vielen sauren Käses ; hochgelegene Länder,
z. B. in der Schweiz und Tyrol. — Auch von Thieren wird sie
auf Menschen übertragen und diese ist gewöhnlich sehr bösartig.

Krätze, sich selbst überlassen, heilt nie von selbst, dauert
Jahre lang fort, und im Verlaufe gesellen sich nicht selten Krätz-
geschwüre, namentlich um die Knöchel, Krätzophthalmie etc. hin-
zu. Nach Vertreibung derselben entstehen jene unter den ein-
leitenden Bemerkungen angegebenen chronischen Nachkrankheiten.

Die verschiedenen Formen der Scabies haben keinen beson-
dern Einfluss auf die homöopathische Behandlung, doch führe ich
sie cursorisch hier noch an , dem Leser das Nachschlagen zur
ferneren Instruirung seiner selbst überlassend. Es sind: Die
Scabies papulosa s. Prurigo scabida (gemeine, trockne
Krätze). Es sind mehr einzeln stehende, kleine, meist unter der
Haut liegende, dem Friesel sehr ähnliche Knötchen, die bei Tem-
peraturwechsel ungeheuer jucken; diese ist am stärksten am Rü-
cken, Oberarm, Oberschenkel und Bauch. Die Scabies puru-
1 e n t a (die eiternde Krätze). Sie ist sehr heftig, grösser als die
gewöhnliche, vorzüglich an den Fingern und Gelenkknöcheln der
Hand und geht in Eiterung über.

Die Prognose hängt von der Bildungsweise der Krankheit
ab; sie ist günstiger, wenn sie durch Contagium, als spontan
sich erzeugte ; eben so von der Dauer, je früher sie zur Behand-
lung kommt, desto besser.

§. 9.

Behandlung der Krätzkrankheit. Hahnemann
spricht in dem ersten Theile seiner chronischen Krankheiten ein
Langes und Breites über die Psora - Behandlung; über die der
Krätze aber nur in einer Note S. 180 so kurz und stiefväter-
lich, dass man meinen sollte, es wäre nichts leichter gethan,
als die Heilung der Krätze ; auch liegt es ja wohl in der Natur
II. 2



18 Chronische Hautausschläge.

der Sache, dass die Urform aller chronischen (nicht syphiliti-
schen und sykotischen) Krankheiten, nach Hahnemann's Ansich-
ten, am sichersten und schnellsten müsse beseitigt werden kön-
nen, wenn der Homöopathie nicht der Vorwurf der Unzuläng-
lichkeit solle gemacht werden. — Dem ist aber nicht ganz so ;
wenigstens wird der homöopathische Arzt wohl thun, bei dieser
Krankheit sich nicht zu streng an die Vorschriften Hahnemann's
zu binden, damit die Kranken, durch die langsam vorschreitende
Heilung muthlos gemacht, • nicht vor Beendigung der Cur sich
stillschweigend entfernen und den Arzt in Zweifel lassen, ob er
gegen diese Krankheit mit seiner Behandlung überhaupt etwas
ausgerichtet habe oder nicht. Gerade bei der Krätze, der Ur-
form chronischer Krankheiten , muss es dem Arzte gleich sein,
ob er es mit einer frisch entstandenen oder veralteten zu thun
habe — heilen muss er sie können, und die völlige Heilung
darf nicht über's Jahr oft hinausgeschoben werden (diess erträgt
selten ein derartiger Kranker mit Geduld), wenn auch schon die
letztere Form einen längeren Zeitraum zur Heilung erfordert, als
die erstere. Es ist nicht zu verkennen, dass zwischen einer
frisch entstandenen und einer veralteten , tief eingewurzelten
Krätze ein wesentlicher Unterschied ist, und folglich auch die
Behandlung der erstem eine ganz andere sein müsse, als die der
letztern. Diess ist aber, meines Erachtens, ein Grund mehr, die
Behandlung dieser letzteren mit mehr Ausführlichkeit anzugeben,
als es von Hahnemann in seinem Buche über chronische Krank-
heiten geschehen ist, wo S. 181 und 182 wohl der veralteten
Krätze gedacht und gesagt wird, dass Schwefel allein bei der
Behandlung zur vollkommenen Heilung nicht ausreiche, sondern
der übrigen antipsorischen Arzneien noch bedürfe, weil der Aus-
schlag dann nicht mehr ganz vikarirend sei, sondern schon Lei-
den anderer Art sich aus ihm entwickelt hätten — aber eine
speciellere Angabe des eigentlichen Heilverfahrens der Leser nur
ungern vermisst. Mag die Krätze auch noch so «alt sein, so lange
sie noch als solche auf der Haut sichtbar ist, muss über die Be-
handlung derselben durchaus etwas Festes, Bestimmtes, Consta-
tirtes angegeben werden können. Ja selbst da, wo durch die
Länge der Zeit der Hautausschlag zu einer andern Form sich
umwandelte, muss der Homöopathie immer noch ein festständiges



Scabies vesicularis. Bläschenkrätze. 19

Heilverfahren su Gebote stehen und darf kein so unseliges
Schwanken in der Wahl der Mittel, wie wir diess bei Behand-
lung derartiger Leiden so häufig von homöopathischen Aerzten
beobachten, stattfinden. — Diess nun nach meinen jahrelangen
Beobachtungen und Erfahrungen hier mitzutheilen, ist der Zweck
dieser Blätter.

Die veraltete Krätze gestaltet sich allmälig anders und äh-
nelt oft sehr einer inveterirten, weit verbreiteten Flechte. Auf
diese kommen wir ebenfalls zu sprechen. — Folgende Bemerkun-
gen jedoch finde ich nicht überflüssig:

Der durch Ansteckung oder aus Unreinlichkeit entstandene
Ausschlag hat seine von Natur eigenthümliche Empfindung; er
bringt ein unnennbar wollüstig juckendes Gefühl auf
der Haut hervor, das nach dem Kratzen in Brennen sich
verwandelt.

Der durch Sulphur hervorgebrachte Ausschlag hingegen er-
zeugt auf und in der Haut eine brennende Empfindung,
die nach dem Kratzen in Wundheitsschmerz ausartet.

Schwefel ist das specifische Heilmittel in der eigentlichen
Scabies, und sein Gebrauch muss demnach und nach den so eben
gegebenen Bemerkungen so lange fortgesetzt werden bei einem
Aussätzigen, bis die durch ihn hervorgebrachten Blüthchen und
die schon vorher dagewesenen die dem Schwefel-Ausschlage ei-
genthümlichen Empfindungen an sich tragen. — Diesem Zeit-
punkte sieht man in den meisten Fällen vergeblich entgegen,
wenn man die Wirkung einer sehr kleinen Gabe gehörig po-
tenzirter Schwefel - Bereitung wochenlang abwartet, oder auch,
nach Hahnemann's neuester Vorschrift (s. das Vorwort über die
Wiederholung eines homöopathischen Arzneimittels in v. Bön-
ninghausen's Repertorium der homöopathischen Arzneien, I. Theil),
alle 7 Tage eine neue Gabe reicht. Nun ist zwar, nach meinen
Erfahrungen, ein solcher Schwefel -Ausschlag zur Heilung einer
primären Krätze nicht unumgänglich nöthig, allein je zeitiger er
sich zeigt, desto sicherer ist man der baldigen Heilung, und
man hat nicht zu fürchten, dem kranken Körper einen Nachtheil
dadurch zu erzeugen. Je später er eintritt, desto langsamer
erfolgt die Wiederherstellung. — Wo nach 8 — 10 Tagen nicht
schon einzelne Blüthchen erscheinen, da ist der sichere Beweis,

2*



20 Chronische Hautausschläge.

dass das Schwefel-Präparat entweder nicht in der passenden Po-
tenz gegeben, oder nicht oft und schnell genug wiederholt wurde.
— Der durch Schwefel während einer Krätzkrankheit erzeugte
Ausschlag darf nicht in solcher Menge den Körper überziehen,
wie die eigentliche Krankheit, sondern nur in einzelnen Blüth-
chen hie und da erscheinen. Diese sind in den meisten Fällen
daran erkennbar, dass der Kranke da, wo ein solches Blüthchen
zum Vorschein kommt, einen empGndlich brennenden Stich wahr-
nimmt, dann diese vorhin angegebene brennende Empfindung un-
ter allmäliger Erhebung der Haut immer lebhafter empfindet und
oft schon nach einigen Stunden die ganze Pustel vollkommen
ausgebildet dastehen sieht, deren Aeusseres von dem der eigent-
lichen Kratz -Bliilhe sich dadurch unterscheidet, dass es eine et-
was in's Gelbliche spielende Farbe hat, grösser und vollkomme-
ner als die natürliche Krätzpustel ist und eine mit viel Eiter ge-
füllte Spitze hat.

Zur Heilung dieser Krankheit bediene ich mich sowohl der
Tincl. Sulphuris und ihrer Verdünnungen, als auch des verrie-
benen Schwefels; der ersteren in der frisch entstandenen Krätz-
Krankheit; des letzteren bei inveterirter Krätze, wenn die Schwe-
fel-Tinktur nicht ausreichend ist, d. h. wenn sie nicht in den
ersten 14 Tagen schon wenigstens einen Schein von Besserung
hervorzubringen vermag.

Bei kleinen Kindern unter 5 Jahren wende ich meistens die
Tinct. Sulphur zu 2 — 3 Streukügelchen an und wiederhole die
Gabe alle 2 Tage. Zeigt sich nach der zweiten, dritten Gabe
nicht schon eine auffallende Besserung, so repetire ich täglich
und wende die Arznei nicht in Streukügelchen, sondern in flü-
ssiger Form an. — Bei grösseren Subjecten repetire ich die
Gabe gleich anfangs täglich tropfenweise. — Erwachsene ver-
langen selbst bei einer frisch entstandenen Krätze grössere Gaben;
bei ihnen wende ich die reine Schwefel-Tinktur zu einem Tropfen
täglich an und bei längerer Dauer des Uebels früh und Abends.

Diess sind die leichteren Fälle, bei denen am Ende jeder
homöopathische Arzt so gehandelt haben würde. Allein wenn
der Krätz-Ausschlag schon viertel, halbe, ganze Jahre gedauert
hat, wenn schon mancherlei Leiden anderer Art sich zu entwi-
ckeln drohen , wenn der Kranke schon vielerlei äussere und in-



Scabies vesicularis. Bläschenkrätze. 21

nere Mittel nutzlos dagegen gebrauchte : dann ist auch das vor-
hin angegebene Verfahren nicht ausreichend, sondern die Krank-
heit erfordert ein intensiveres Eingreifen mit dem specifischen Mit-
tel, worunter aber noch lange nicht jenes massive Verfahren der
altern Schule zu verstehen ist. Gewiss aber bleibt, — und diess
ist ein Grundsatz, den mir die Erfahrung vielfältig bestätigt ge-
zeigt hat — dass Krankheiten, z. B. übel behandelte veraltete
Krätze, oder nach solcher, oder nach übel behandelter Syphilis
entstandene Krankheiten nie anders gehoben werden können, als
wenn man das gegen die Urkrankheit specifische Mittel in An-
wendung bringt.

Hier ist es, wo die Schwefel-Verreibung angewendet und oft
wiederholt werden muss. In vielen Fällen reicht die erste Verrei-
bung — 1 Gran Sulphur mit 100 Gran Sech. lad. eine Stunde lang
innig zusammen gerieben — früh und Abends zu 4 Gran gereicht,
aus; in manchen anderen Fällen hingegen sieht man nach acht-
tägiger Anwendung dieser Verreibung noch gar keine Einwir-
kung, und dann muss die Dosis verstärkt werden — 5 Gran Sul-
phur auf 100 Grau Milchzucker ebenfalls eine Stunde lang ver-
rieben — und früh und Abends eine kleine Messerspitze voll
gegeben. Nach achttägiger Anwendung lässt man täglich nur
eine Gabe nehmen, nach 14 Tagen nur alle 2 Tage eine, nach
3 Wochen jeden dritten Tag eine, und zeigt sich dann jener
oben näher bezeichnete charakteristische Schwefel - Ausschlag,
nimmt diese charakteristische Schwefel - Ausschlag - Empfindung
die Oberhand: so ist es Zeit, neben dem innern Gebrauche des
Schwefels den äussern mit in Anwendung zu bringen und dabei
den Schwefel in denselben Zwischenräumen innerlich fortnehmen
zu lassen, wie ich es vorhin angab. Als äusseres Mittel wende
ich den Schwefel jetzt in der Tinktur an, mische 5, 10, 15, 20
Tropfen in eine halbe Tasse Wasser und lasse damit Abends die
am meisten ergriffenen Stellen waschen.

Die oben genannten leichtern Fälle heilen bei diesem Ver-
fahren in 14 Tagen, 3 bis 4 Wochen ; die schwierigeren in 6 — 8
Wochen. — Dasselbe Verfahren findet auch Anwendung in den
Fällen, wo schon allöopathisch viel Schwefel genommen worden
ist. Obschon ich mich später, nachdem Hahne mann seine
grosse Entdeckung der Welt bekannt gemacht hatte, dadurch



22 Chronische Hautausschläge.

abhalten liess, den Schwefel ebenfalls wieder gleich anfangs in
Gebrauch zu ziehen, sondern lieber andere, ebenfalls passend
scheinende, homöopathische Arzneien in Anwendung brachte, wohl
auch zuweilen eine glückliche, aber ungemein langsame Heilung
bewirkte: so kehrte ich doch seit mehren Jahren zu meiner frü-
heren Behandlungsweise zurück, wie ich sie vorhin angegeben
habe, ohne noch die ängstliche Furcht zu hegen, damit Schaden
anzurichten. In sehr vielen Fällen bediente ich mich zugleich
der täglichen Waschungen mit schwarzer Seife zum grossen Vor-
theil meiner Kranken. Zum Beweis meiner Behauptung und zum
Beweis, dass die uns eingeprägte Furcht ganz ungegriindet ist,
führe ich ein Beispiel, dass nun den 30sten Sommer zählt, statt
vieler hier an, wo Hahne mann selbst mir, der ich erst zwei-
jähriger Student war, das Verfahren, wie ich es angeben werde,
vorschrieb. —

Mein eigner Bruder, jetzt 56 Jahr alt, kam vor 30 Jahren
mit der Krätze behaftet aus der Fremde, um sich zu Hause einer
ordentlichen Cur zu unterwerfen, da er sich bereits über ein Jahr
mit dieser Krankheit schleppte und selbst in den Spitälern Wiens
und Umgegend nicht davon hatte befreit werden können. Es war
in den Osterferien 1816, als ich ihn sah und, um keine Zeit zu
verlieren, mich sogleich zu Hahnemann begab, um von ihm das
ärztliche Verfahren dagegen mir vorschreiben zu lassen, das in
Folgendem bestand: Einen halben Scrupe^ Schwefelblumen mit
100 Gran Concha präparata (deren er sich damals als Vehikel zu
der aufzunehmenden Arznei, wie des Milchzuckers, bediente)
innig zu einem ganz feinen Pulver zu verreiben und davon täg-
lich dreimal eine Messerspitze voll zu geben, bei Vermeidung
aller Säuren. Dieses Pulver sollte ich so lange fortnehmen las-
sen, bis ein unausstehliches Brennen in der Haut entstünde, wo-
durch Patient auch im Gehen sehr genirt wäre. — Es ist diess
die weiter oben angegebene charakteristische Schwefel-Ausschlag-
Empfindung. — Dann sollte ich nur täglich eine Gabe, dann ei-
nen Tag um den andern eine bis zur Beendigung der Cur geben,
wobei äusserlich die Schwefelsalbe, aus einem halben Scrupel
Schwefelblumen und einer Unze Schweineschmalz bereitet, Abends
in ganz geringer Quantität in die Gelenke eingerieben werden
müsse. Auf diese Weise war mein Bruder in 7 Wochen so voll-



Scabies vesicularis. Bläschenkrätze. 23

kommen hergestellt, dass auch nicht eine Spur von Ausschlags-
Krankheit mehr sichtbar war und er seit dieser Zeit auch nicht
einmal von einer Krankheit heimgesucht worden ist, er sich im
Gegentheil der besten Gesundheit erfreut.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #3 on: April 30, 2013, 09:31:49 PM »

Wenn ich nun auch eingestehe, dass ich durch kleinere und
seltner gereichte Schwefel - Gaben den Kratz -Ausschlag geheilt
habe, so ging die Cur doch jederzeit weit langsamer von Stat-
ten, als bei dem eben angegebenen Verfahren, und das Endre-
sultat war jederzeit zweifelhafter und unsicherer. — Eben so mag
ich auch nicht in Abrede stellen, dass die äussere Anwendung
des Schwefels nicht jedesmal erforderlich sein mag, dennoch
bringt sie keine Gefahr, wenn sie nicht früher in Anwendung
gezogen wird, als bis sich jene wollüstig juckende Empfindung,
durch den innern Schwefel-Gebrauch herbeigeführt, gezeigt hat,
ja diese überschüssige Schwefel-Kraft verschwindet sogar schnel-
ler. — Nur in den veraltetsten Fällen ist die vorhin angegebene
Schwefelsalbe an ihrem Orte, während in den weniger hart-
näckigen die Schwefel- Tinktur, als äusseres Mittel, immer aus-
reichend sein wird.

Mancher strenggläubige, den Worten des Meisters nur ver-
trauende Homöopath wird mein Verfahren tadelnswerth nennen.
Immerhin, ich fürchte den Tadel nicht, denn ich gebe hier, was
meine Erfahrung mir gelehrt hat, ohne Vertrauen dafür zu for-
dern. Es steht jedem andern Arzte, wenn er das Glück eben
so genossen hat, wie ich, derartige veraltete Fälle in Menge in
Behandlung nehmen zu müssen, frei, Gehrauch davon zu machen
oder nicht; doch denke ich, die Verzweiflung über das öftere
Misslingen bei seiner orthodoxen Verfahrungsweise wird ihm den
Widerwillen gegen die meinige bald benehmen. Uebrigens kann,
genau genommen, mir nicht einmal ein so grosser Vorwurf ge-
macht werden, da ja Hahnemann selbst die Thuya gegen Feig-
warzen, Arnica in geeigneten Fällen ebenfalls, selbst die in chro-
nischen Leiden innerlich angezeigte Arznei äusserlich anzuwen-
den empfiehlt!

§. 10.

Bevor ich zu der aus der Krätze hervorgegangenen Flech-
tenkrankheit übergehe, muss ich noch einer Krätzform gedenken,



24 , Chronische Hautausschläge.

die an keinem passenderen Orte einzuschalten ist, als hier. Ich
meine die

Crusta serpignosa. Flechtengrind, fressende Borke,
räudiger Ansprung.

Früher wurde dieser Ausschlag allgemein der Crusta lactea
beigezählt, bis Wich mann ihn als ein von jener in jeder Hin-
sicht verschiedenes Exanthem aufstellte und ihn mehr in die Classe
der herpetisch - syphilitischen Ausschläge verwies, wo er die
meiste Aehnlichkeit von einem Herpes squamosus hat. Die ein-
zige Aehnlichkeit, die er mit der Milchborke hat, ist die, dass
beide fast ausschliesslich Kinderkrankheiten sind, in den ersten
Monaten des Lebens, besonders noch in der Stillungsperiode vor-
kommen und beide auf unbehaarten Stellen des Kopfs ihren Sitz
nehmen. Autenrieth ist der erste, der die Krätznatur dieses
Ausschlags nachgewiesen hat.

Die Krankheit beginnt zuerst mit einer gerötheten, jucken-
den Stelle auf der Wange, vorn am Ohr in der Nähe der Paro-
tis. Auf dieser Stelle erscheinen eine Menge kleiner, dunkler
Knötchen, die sich zu kleinen, mit einem hellrothen Halo umge-
benen Bläschen umbilden und ein äusserst heftiges Jucken erre-
gen. Die Bläschen bersten und ergiessen im Verhältniss zu ih-
rer Grösse eine bedeutende Quantität einer scharfen, serösen,
corrodirenden Feuchtigkeit, die die Kinder zu einem anhaltenden
Kratzen reizt. Diese abgesonderte Feuchtigkeit entzündet neue
Stellen, wo ebenfalls neue Ausschwitzung gebildet wird. So
erhält der Ausschlag einen immer grösseren Umfang, verbreitet
sich auch über andere Stellen des Gesichts , ergreift bisweilen
selbst die Augenlider, verschont jedoch meistens den Bulbus
oculi und geht sogar in manchen Fällen zu den behaarten Thei-
len des Kopfes fort. Hierbei findet man zuweilen im weitern
Verlaufe der Krankheit dasselbe Exanthem auch an andern Stel-
len des Körpers, am Hals, Rücken, an den Lenden, an den
Extremitäten, selbst an diesen Stellen zuweilen noch dann, wenn
es schon im Gesicht verschwunden ist.

Da nun die Exsudation anhaltend fortgeht, verhärtet sich
ein Theil des Exsudirten zu kleinen, aber flachen und sehr dun-
keln Borken , die durch eine neue Exsudation sich heben und
trennen und dann die unterliegende, wunde, jauchende Stelle des



Crusta serpiginosa. Flechtengrind. 25

Hautorgans deutlich wahrnehmen lassen. So wechselt auch hier,
wie beim Herpes, die scharfe Ausschwitzung mit der Schuppenbil-
dung, bis endlich die Krankheit durch zweckmässige Mittel ge-
hoben wird.

Die Folgen des unerträglichen Juckens sind zunächst anhal-
tende Unruhe , anhaltende Schlaflosigkeit und allgemeine Entkräf-
tung. Allmälig magert das Kind ab und andere sekundäre Krank-
heits-Zustände des reproduktiven Systems treten hervor. Nach
Autenrieth's Beobachtungen gehören hieher: Anschwellungen
der Lymphdrüsen in der Achselgrube und Leistengegend bei einem
hohen Grade des Uebels; es bilden sich ferner am Rumpfe sowohl,
als an den Extremitäten Abscesse, von der Grösse einer Nuss, die
aufbrechen, und, wie die grossen Krätzpusteln bei Erwachsenen,
blaue Flecken auf der Haut hinterlassen.

§. 11,

Dieser Krankheit liegt ein psorisches Uriibel zum Grunde und
hier bestätigt sich gewiss Hahnemann's Ausspruch über ein inne-
res verborgenes Psora-Siechthum. Aber auch andere Aerzte
hatten, vor Hahnemann, dieselben Ideen in Bezug auf diese
Krankheit. Es sind die beiden Aerzte Wi ch mann und Auten-
rieth. Ersterer*) bemerkt sehr richtig, dass dieser Krankheit
immer eine Complication zum Grunde liege, und man bei genauer
Untersuchung irgend eine Ausschlagskrankheit, psorischer, syphi-
litischer oder sykotischer Natur bei den Aeltern oder der Amme
entdecke. Letzterer**) hingegen behauptet, es liege das Krätz-
gift zum Grunde, und dieser Ausschlag sei die wahre Krätze der
Säuglinge. Nach ihm soll nämlich die Krätze in jedem Lebensalter
eine besondere Form annehmen , bei Säuglingen die Crusta ser-
piginosa bilden, bei altern Kindern und jungen Erwachsenen sich
unter der Gestalt der gewöhnlichen Scabies humida zeigen, bei
alten Leuten aber stets die Scabies sicca erzeugen.

Beider Meinungen sind beachtenswert!! , und des Letzeren An-



*) J. E. Wichmann, Ideen znr Diagnostik. B. I. 2. Auflage.
Hannover 1800 S. 52.

.**) J. H. P. Autenr ieth, Versuche für die praktische Heilkunde
aus den klinischen Anstalten von Tübingen. B. I. Heft 2. S. 238.



26 Chronische Hautausschläge.

nähme eines Krätzgiftes nicht so hypothetisch, als Haase*) wohl
meint. Die Krätze oder vielmehr Psora ist ja die Erzeugerin einer
Menge chronischer Krankheiten; letztere sind nur eine metasche-
matisirte Psora. Die herpetischen Ausschläge sind alle scabiöser
Natur, selbst bei solchen Subjecten, bei denen eine früher dage-
wesene Krätze nicht nachgewiesen werden kann. Darum hat
Autenrieth ganz recht, wenn er diesen herpetischen Ausschlag
der Kinder eine veränderte Krätze nennt, nur sollte er keine so
bestimmte Form in den verschiedenen Lebensaltern annehmen, die
sich, erfahrungsmässig, in der Natur nicht nachweisen lässt.

Aber auch H aase's Meinung**) ist nicht ganz richtig, der,
nebst andern Aerzten , die Crusta serpiginosa bald für eine Compli-
cation des Herpes mit der Syphilis, bald mehr für eine Complica-
tion einer dieser beiden mit den Scropheln hält.

Die Wahrheit steht mitten inne. Und die Behandlungsart so
vieler chronischen Krankheiten beweist nicht blos mir, sondern
allen denkenden homöopathischen Aerzten , die nie in verba ma-
gistri schwören, sondern immer durch die Erfahrung sich überzeu-
gen müssen , dass Hahnemann's Ansicht die richtigste ist, nach
welcher diese fressende Borke, Milchgrind, Grindkopf u. s. w. nur
Formen und Abarten der Skrophelkrankheit, diese letztere aber
mit ihren Symptomen nur Ankündigungszeichen der innern, noch
nicht völlig entwickelten Psora des ganzen Organismus, nur sie
vikarirend beschwichtigende, äussere Local-Symptome sind.

Unterscheidungszeichen zwiscflfen Crusta serpiginosa
und lactea sind : Letztere befällt zuerst Stirne und Wangen, erstere
das Ohr; die C. lactea erscheint in unregelmässigen, ziemlich gros-
sen Eiterpusteln, die serpig. in kleinen, mit einer hellen Flüssig-
keit gefüllten Bläschen; bei der Iact.-feh.lt das heftige Jucken, be-
sonders des Nachts, was bei der serpig. charakteristisch ist; bei
letzterer sind die Borken mehr dünn, iu's Dunkelbraune ziehend,
nicht dick, gelblichweiss, wie dort. Die C. serpig. ist immer
eine langwierige Krankheit, die nur auf Anwendung passender
Mittel heilt, während jene oft schon nach 6 — 8 Wochen von
selbst heilt.



*) W. A.Haas e, Erkenntniss und Cur der chronischen Krankhei-
ten. Dritten Bandes 2. Abtheilnng. S. 314.
**) a. a. O.



Crusta serpiginosa. Flechtengrind. 27

Die Krankheit kommt nur bei säugenden Kindern vor, und
scheint sich nicht spontan zu entwickeln, sondern durch Uebertra-
gung von Krätze von Erwachsenen (Ammen, Muttern u. s. w.) auf
den kindlichen Organismus.

§.12.

Die Dauer eines solchen Exanthems hängt von dem früheren
oder späteren Eintritte einer zweckmässigen Behandlung ab. Sich
selbst überlassen, währt es mehre Jahre und gewinnt durch längere
Dauer auch an Hartnäckigkeit. Jenen ungünstigen Ausgang kann
die Krankheit nur dadurch nehmen, dass bei längerer Dauer das
reproduktive System zu sehr leidet und die sekundären Symptome
— die Zeichen einer ausgebildeten Skrophelkrankheit sind — die
Körperkräfte aufreiben, oder es können Nachkrankheiten entstehen
durch Vertreibung und diese befallen fast immer das Nervensystem,
als Hydrocephalus acut., Eclampsie, Krätzepilepsie u. s. w. Jedoch
ist bei einer homöopathischen Behandlung ein solches Umsichgrei-
fen der Krankheit nicht möglich, da hierbei nie unpassende Mittel
gewählt werden können, wenn der Arzt nur einige Einsicht in die
Pointe dieser Heilart hat, die ihn die Arzneien nie nach diesen ein-
zelnen Lokal-Symptomen, sondern nach dem gesammten Krankheits-
Complexe anwenden lehrt.

Das therapeutischeVerfahren gegen eine Crusta serpigi-
nosa ist folgendes: gegen die leichtere Form derselben, oder da, wo
die Krankheit nur erst im Entstehen begriffen ist, wird man oft mit
den Mitteln auszukommen im Stande sein , die ich gegen Crusta
lactea (s. in den folgenden §§.) empfohlen habe. Hat die Krank-
heit aber schon länger gestanden und ist sie mithin älter und einge-
wurzelter, so reichen jene angegebenen Mittel selten aus, und man
muss zu noch eingreifenderen seine Zuflucht nehmen. Ein vor-
zügliches Mittel ist hier Sassaparilla, die ich immer zu j^ Theil
angewendet, aber in den neueren Zeiten mich überzeugt habe, dass
eine höhere Potenzirung kräftiger einwirke, und dieses Mittel den
antipsorischen Arzneien gleich zu stellen sei. Besonders empfiehlt
sich diese Arznei dann, wenn der Ausschlag auf einem weit verbrei-
teten entzündeten Grunde sitzt und das Kind unerträglich und im
höchsten Grade unleidlich macht. Noch vorzüglicher wirkt dieses
Mittel, wenn in freier Luft die gebildeten Borken sich leicht los-



28 Chronische Hautausschläge.

trennten und die darunter befindliche junge Haut Risse und Schrun-
den bekam. — Ehe ich weiter fortfahre, rauss ich zuvor bemerken,
dass die passende Arznei in dieser Krankheit durchaus wiederholt
werden muss, weil ausserdem, wie die mehrmals gemachte Erfah-
rung mich überführt hat, die Heilung nicht gelingt, vorzüglich in
schon veralteten Fällen.

Arsenicum album wird immer dann mit Nutzen gegeben wer-
den, wenn der Ausschlag sich schnell weiter verbreitet durch
die aussiepernde scharfe Feuchtigkeit, die damit verbundene ju-
ckende und brennende Empfindung aber, die sich durch unru-
higes Hin- und Herwenden, Reiben und Kratzen des Kindes zu
erkennen giebt, in der Wärme und besonders in der Bettwärme
sich mindert. Dessenungeachtet aber, dass der Schlaf nicht son-
derlich gestört ist, magert das Kind sehr ab und der Kräfteman-
gel ist in die Augen fallend.

Der Clematis erecla bediente ich mich , bis zu der Bekanntma-
chung ihrer in dem gesunden menschlichen Körper hervorgebrach-
ten Befindensveränderungen im 1. Hefte des siebenten Archiv-Ban-
des, immer in der dritten oder vierten Verdünnung in dieser Krank-
heit, wenn ich von andern in der homöopathischen Arzneimittellehre
dagegen passend scheinenden Arzneien, die ich anwendete, keinen
wesentlichen Erfolg wahrnahm, und reichte sie dann mehr empi-
risch (in allöopathischem Sinne), auf das von Hofrath Hahnemann
in der Vorrede zu seinem Organon (IV. Auflage, S. 59) gegebene
Citat fussend. Dessenungeachtet war ich ort sehr glücklich damit,
und lernte dieses Mittel hoch schätzen. Bei dieser öftern Anwen-
dung gewann ich aber auch die Ueberzeugung, dass dieses Mittel
nur dann passe, wenn der oben beschriebene Gesichtsausschlag der
Kinder mehr in einem blüthenartigen, aber nicht zusammenfassen-
den besteht, bei dem die Blüthchen das Ansehen einer fetten Krätze
haben, sehr jucken, bald aufplatzen, und wenn sie im Abheilen be-
griffensind, durch neue aufschiessende Blüthchen, die immer auf
einem sehr entzündeten Grunde sitzen, ersetzt werden.

Mit mehr Zuversicht und Gewissheit wendete ich in derartigen
Leiden Dulcamara an, die sich mir schon öfters in ähnlichen herpe-
tischen Ausschlägen, aber an andern Theilen des Körpers, hülfreich
erwiesen hatte. Sollte sie aber nützen, so durfte der Ausschlag
immer nur mehr trocken als nässend sein ; bei um sich fressenden



Crusta serpiginosa. Flechtengrind. 29

habe ich nie Erfolg 1 von ihr gesehen , dagegen jederzeit vom Arse-
nicum. Am besten wirkte Dulcam., und mit Sicherheit war darauf
zurechnen, dass auch dann der Ausschlag durch sie gemildert
wurde, wenn zugleich angeschwollene Drüsen in den Weichen, am
Halse, im Nacken und in den Achselhöhlen mit zugegen waren.

Ein Mittel, das ich gern als Zwischenarznei benutzte, und sel-
ten ohne Erfolg, war Ledum palustre, doch waren es dann immer
weniger eiternde, als trockne Bückelchen, die sich vermehrten, an
ihrer Spitze einen Schorf ansetzten und eine trockne, aber sich
immer wieder neu erzeugende Borke, mehr der Milchborke ähn-
lich, bildeten.

Jetzt können wir weit schneller handeln seit Hahnemann's
neuester Entdeckung, denn in derartigen Leiden wird man mit den
später geprüften Arzneien immer mehr auszurichten vermögen, wie-
wohl jene vier zuerst genannten Mittel diesen letzteren unstreitig
beizuzählen sind, und darum auch nie ganz aus der Klasse der hier
indizirten Mittel verwiesen werden können. Doch ist auch hier,
wie in vielen chronischen Krankheiten, meine früher an e. a. 0.
aufgestellte Behauptung richtig , dass in den meisten Fällen der
Schwefel, als das vorzüglichste Mittel, den Anfang machen wird,
besonders, wenn die Mutter während der Schwangerschaft oder
während des Stillens an krätzähnlichem oder blos blüthenartigem
Ausschlage oder an einem milden Fluor albus litt. Wird das Kind
von einer Amme gesäugt, so ist diess Verfahren um so mehr zu
beobachten, je weniger diese Menschen geneigt sind, befriedi-
gende Antworten auf die ihnen vorgelegten Fragen in Bezug auf
jene Beschwerden zu ertheilen. — Reicht der Schwefel allein zur
Heilung nicht aus, so wird in solchen blüthigen — wo die Blüth-
chen truppweise beisammen stehen — flechtenartigen Ausschlägen
Acidum phosphoricum sich oft als ein kräftiges, heilsames Mittel
dagegen bewähren, das in einer solchen Krankheit leistet, was es
nur vermag. Hahnemann rechnet dieses Mittel zu den Antipso-
ricis , und als solches bedarf es einer weit höheren Potenzirung.
(In der neueren Zeit wird es ebenfalls bis x potenzirt und die
kleinste Dosis dieser Kraftentwickelung soll für alle Krankheiten
vollkommen genügend sich erweisen.)

Nicht immer wird die Phosphorsäure, unmittelbar nach dem
Schwefel, indizirt sein, denn es kommt darauf an, wie der Schwe-



30 Chronische Hautausschläge.

fei den Ausschlag hinterlässt. Verhält sich letzterer, nach Aus-
wirkung desSulphur, ganz unverändert, ist es eine wahre fressende
Borke, unter der noch mehr scharfe Feuchtigkeit hervordringt, um
die angrenzenden gesunden Theile ebenfalls in kranke zu verwan-
deln und dadurch beim Kinde die grösste Unruhe und Schlaflosig-
keit zu erzeugen: so habe ich durch Graphites die Krankheit einige-
mal wunderbar schnell binnen drei Wochen vollkommen heilen se-
hen, während er in andern Fällen, ziemlich unter denselben Be-
dingungen, in dieser Zeit und selbst bei längerem Abwarten seiner
Wirkungsdauer, nur Verschlimmerung ohne nachfolgende Besse-
rung bewirkte, die ich dann erst durch eine Gabe Lycopodium oder
Conium, oder Cicuta virosa hervorzurufen im Stande war.

Unstreitig eins der schönsten Mittel gegen derartige Beschwer-
den besitzen wir in der Sepia, und man kann fast mit Sicherheit
darauf rechnen, dass sie, zu Anfange gereicht, einen auffallenden
Effect hervorbringt , der aber nicht in allen Fällen von Dauer ist.
— Auch ist hier, wenn die genannten Mittel ganz erfolglos gege-
ben worden sein sollten, Natrum muriaticum sehr beachtenswerth,
besonders wenn noch ein eitriger Ausfluss aus den Ohren und Ge-
schwulst der letzteren damit verbunden ist.

Noch bleibt mir ein Mittel zu erwähnen übrig, das nicht blos
in dieser herpetischen Form der Skrophelkrankheit, sondern fast
in allen Formen derselben das wichtigste bleibt und überhaupt ein
herrliches Kindermittel ist, weil es bei diesra, nach meinen darüber
gemachten Erfahrungen, weit weniger eingreifend wirkt, weit ge-
ringere Aufregungen erzeugt und schlummernde Psora-Symptome
hervorruft, als bei Erwachsenen, aus dem einfachen Grunde, weil
bei jenen sich die Psora noch nicht so weit verbreitet hat und unter
so verschiedenartigen Gestaltungen im jugendlichen Körper zu fin-
den ist, als bei diesen. — Dieses Mittel ist Calcarea carbonica, in
kleiner Gabe.

Unter den etwa noch beachtenswerthen Mitteln dürften Rhas,
Ranunculus scelerat , Staphysagria und Mercur nicht zu verges-
sen sein.

Auch hier kann ich nicht unterlassen, meine Herrn Collegen an
das homopathische (isopathische) Mittel, das Psoricum, zu erinnern,
da alle vorhergenannten doch in manchen Fällen immer noch zu



Tinea capitis. Böser Kopf etc. 31

wünschen übrig lassen und derartige Krankheiten, selbst bei der
umsichtigsten Behandlung, oft jeder Arznei Hohn sprechen.

Eine ebenfalls hieher gehörige Krankheitsform, meistens bei
Kindern, die unter mannichfachen Gestaltungen und Abstufungen
auftreten kann, ist die

§.13.

Tinea capitis, Achores, Favus, Scabies capitis. Böser Kopf, feuch-
ter Kopfgrind, Hon igwaben grin d, Kopfkrätze.

Unter diesen angegebenen Namen versteht man im Allgemei-
nen solche chronische Exantheme des behaarten Theils des Kopfs,
die ihren Ausgang in eine lymphatische Exsudation und in eine
nachfolgende Schuppen- oder ßorkenbildung nehmen. Dieser
Bildung zufolge gehört diese Ausschlagsform, wenn wir ihr, nach
den Bestimmungen der gewöhnlichen Pathologieen, eine Stelle un-
ter den namhaft gemachten Krankheiten anweisen wollen, unter
diejenigen Exantheme, die die Schriftsteller unter dem Namen Her-
pes, und zwar Herpes crustaceus begreifen. Doch unter-
scheidet sie sich wesentlich von diesen dadurch, dass sie blos eine be-
stimmte Hautstelle, den behaarten Theil des Kopfs befällt und
durch bestimmte spezifische Mittel, die zwar in jenen Herpes-
Arten auch nützen können, geheilt werden kann.

Das allgemeine charakteristische Zeichen ist auch hier vom An-
fange ein lokaler entzündlicher Zustand, der durch Röthe, Jucken,
Brennen und spannenden Schmerz in der kranken Stelle sich zu er-
kennen giebt; ferner dass eine Lymph-Exsudation sich bildet, die
oft sehr übelriechend ist, und in Schuppen- oder Borkenbildung
übergeht, die bald mehr, bald weniger hart, bald von einem grösse-
ren, bald von einem geringeren Umfange ist. — Auf diesen cha-
rakteristischen Zeichen beruhen jene in der Ueberschrift angegebe-
nen verschiedenen Benennungen, deren speciellere Diagnose wir
hier etwas näher erörtern wollen.

Die geringeren Grade der Tinea kommen unter der Benen-
nung :KopfraudeundWachsgrind (Favus und Achor favosa s.
muciflua) vor, die fast durchgängig ihren Sitz am Hinterkopfe ge-
gen den Nacken herunter nehmen und am häufigsten zwischen dem
ersten und zwölften Lebensjahre vorkommen. Die ergriffenen
"Stellen röthen sich, sind heiss, hart, erhaben: sie erregen Schmer-



32 Chronische Hautausschläge.

zen, und fast immer erscheinen die Lymphdrüsen am Halse, im
Nacken, am Kopfe angeschwollen und empfindlich. — Nach eini-
gen Tagen zeigen sich kleine, runde, spitzige, auf einem rosenartig
entzündeten Grunde stehende Pusteln, die an ihrer Basis hart, an
ihrer Spitze weich und gelblich weiss sind, und sich allmälig mehr
erheben. Sie enthalten eine gelblich-weisse lymphatische, kleb-
rige, dickliche Feuchtigkeit, die, nach Aufplatzen der Pustel, aus-
fliesst und mehr oder weniger übel riecht. Durch dieses Ausflies-
sen verbreitet sich der Kopfausschlag immer weiter, die Haare kle-
ben zusammen und es erzeugt sich Ungeziefer, dass bei vernach-
lässigter Reinlichkeit immer mehr überhand nimmt. Bald bilden
sich schuppenartige, dicke, erhabene, harte Borken von verschie-
denem Aussehen.

Eine andere, aber bösartigere Form der Tinea ist der soge-
nannte Erbgrind, böseGrind (Tinea capitis maligna). Beide
Formen aber sind nur symptomatisches Leiden der im Organismus
des Kindes herrschenden Urkrankheit, der Psora (?), der in man-
chen Fällen wohl auch eine syphilitische Complication mit zum
Grunde liegen kann und welche erstere sich hier schon weiter als
skrophulöses Leiden ausgebildet hat. — Zunächst bemerken wir
den Ausschlag auf dem Wirbel und am Vorderkopfe, der eben so
wie bei der vorigen Form anfängt, aber mehre neben einander ste-
hende grössere Pusteln bildet, die, nach dem Aufspringen, eine
jauchigte, gelblich-grüne Feuchtigkeit auÄiessen lassen, die nach
und nach den grössten Theil des behaarten Kopfs, gleich einer
Pechhaube, überzieht. Die Feuchtigkeit verhärtet zu dicken, festen,
zusammenhängenden graugrünen Krusten, unter denen man immer
weiter um sich fressende Geschwüre, oft von bedeutendem Umfange
findet, die ein scharfes stinkendes Eiter absondern, das sogar die
Haarwurzeln zerstört, wodurch Ausfallen der Haare erzeugt wird.

§. 14.

Wie schon erinnert, sind diese verschiedenen Formen des
Kopfausschlags nur Symptome einer bedeutenderen dem Körper in-
wohnenden Krankheit, der Psora-Krankheit, und es sind, ausser
jener, noch andere Beschwerden zugegen. Hierzu gehören ; Stö-
rungen der Digestion, Verhärtungen der Lymphdrüsen, angeschwol-



Tinea capitis. Böser Kopf etc. 33

Jener, aufgetriebener Unterleib, mangelhafte Ernährung, Blässe des
Gesichtes und andere eigentümliche Beschwerden.

Werden diese Kopfausschläge der Naturheilkraft überlassen,
so dauern sie Monate, ja Jahre lang und werden nicht selten bis
zu den Jahren der Pubertät mit fortgeschleppt. Namentlich ist
diess wohl unter der niederen Klasse von Menschen der Fall , die
nichts dagegen brauchen will, weil sie von der Idee ausgeht: der
Kopfausschlag sei eine heilsame Ablagerung krankhafter Säfte, die
durch Arzneien nicht gehoben werden dürfte, weil nach seiner
natürlichen Abheilung die Kinder erst recht gesund würden. Die-
ser irrige Glaube datirt sich aus den früheren Zeiten her, wo man
die Krankheit als isolirt dastehend betrachtete, oder ihre richtige
Behandlung nicht verstand, und diesen Ausschlag plötzlich unter-
drückte oder austrocknete und darnach Augenentzündungen, Blind-
heit, Taubheit, Lungenübel und dergleichen entstehen sah. Noch
lebhaft entsinne ich mich meiner Jugendjahre, wo dieses Leiden zu
den Modekrankheiten gehörte und zu den Seltenheiten gerechnet
wurde, wenn ein Kind frei von dieser abscheulichen Krankheit blieb.
Auch ist mir's noch deutlich erinnerlich, dass mehren Kindern Pech-
hauben auf den Kopf gelegt, die dann mit Gewalt abgezogen wur-
den. Eine schreckliche Tortur, wonach allerdings der Kopfgrind
verschwand, aber grösstentheils Augenleiden entstanden, die nicht
viel besser waren, das Gesicht sehr entstellten und wobei die Ab-
magerung des Körpers immer fortschritt. Ein Jugendgespiele von
mir läuft noch, in Folge eines solchen abscheulichen Verfahrens,
als ein an Körper und Geist verkrüppelter Mensch , sich selbst zur
Last, herum, denn er wird, der fortwährenden Kränklichkeit wegen,
seines Lebens nicht froh.

Es ist wahr, die vor dem vernachlässigte Reinigung des Kopfes,
Ungeziefer, warme Hauben, Pelzmützen, fehlerhafte Diät, wie es
sonst sehr gebräuchlich war, trugen sehr viel zur Entstehung eines
solchen Uebels bei, aber sie konnten doch den Krankheitsstoff nicht
erzeugen, wenn er nicht schon im Körper vorhanden war. Es
ist daher wohl keinem Zweifel unterworfen , da die Erfahrung es
auch hinlänglich bestätigt, dass die Abschaffung dieser fehlerhaften
Erziehungs-Methode wesentlich zu dem seltnem Erscheinen dieses
ekelhaften Uebels beigetragen hat. Dennoch aber bin ich der
Meinung, dass diess allein nicht Mos die Veranlassung zu dem
II. 3



34 Chronische Hautausschläge.

seltneren Vorkommen eines Kopfausschlags abgiebt , sondern dass
diese Veränderung mehr in der ewig wechselnden Natur begründet
ist, die von Jahrzehend zu Jahrzehend immer neue.,Krankheiten ent-
stehen lässt, wie wir ja bei einem Vergleiche des Jetzt mit Sonst
leicht finden werden. Welchem Arzte war wohl in dem vorigen
Säculo das glatte, Sydenhamsche Scharlachfieber unbekannt? Und
welcher nur einigermassen beschäftigte Arzt kann jetzt diesen Aus-
schlag noch aufweisen? Diese Ausschlagsform ist seit dem Anfange
dieses Jahrhunderts immer seltner geworden und man findet jetzt
kaum noch hier und da ein reines Scharlachfieber, dagegen weit
häufiger das von Hahne mann zuerst erkannte Purpurfriesel, oder
eine Verschmelzung dieser beiden Exantheme mit einander. —
Fast gleiches Schicksal theilen die natürlichen Pocken ; diese kom-
men nun zwar noch öfter vor, scheinen aber doch lange nicht mehr
mit der Heftigkeit aufzutreten, als diess früher der Fall war, dage-
gen scheint ihre Tödtlichkeit auf ein anderes jenen verwandtes
Exanthem, die sogenannten Varioloiden, übergegangen zu sein,
die noch vor zwanzig und mehr Jahren bei uns ganz unbekannt wa-
ren. Der Croup ist ebenfalls eine Krankheit, die jetzt häufiger
zu werden scheint, und warum wird sie es? Weil die Skrophel-
krankheit — von der der Croup mit seinen Krankheits-Erscheinun-
gen nur ein Symptom ist, — seit mehren Jahren immer lebhafter
sich ausbildet, die früher weit häufiger nur unter den angegebenen
Ausschlagsformen auftrat. |

Erregende Ursachen zu dem Kopfgrinde sind zuerst die Dispo-
sitio scrophulosa und folglich auch Alles, was diese erzeugen kann,
besonders eine schwere, unverdauliche Diät, grobe, mehlige Nah-
rungsmittel, äussere Unreinlichkeit, der Aufenthalt in einer dumpfen,
feuchten, nasskalten Atmosphäre, in engen, niedrigen, unreinlichen
Wohnungen, u. s. w. ; ferner sehr häufig ein zu warmes Verhalten
und zu warme Bedeckungen des Kopfs u. s. f.

§. 15.

Das therapeutische Verfahren gegen derartige Kopf-
leiden ist nicht sowohl schwierig, als vielmehr in manchen Fällen
langweilig, da die Krankheit oft längere Zeit allen dagegen sehr
gut passend scheinenden angewandten Mitteln hartnäckig wider-
steht. Darum erinnere ich auch hier wieder den angehenden Ho-



Tinea capitis. Böser Kopf etc. 35

möopathiker, bei der Wahl der Mittel nicht etwa blos dieses ein-
zelne Symptom der Krankheit in's Auge zu fassen, sondern immer
das Gesammtleiden zu berücksichtigen , und darnach erst die pas-
sendste Arznei zu wählen.

Als eine der vorzüglichsten Arzneien gegen die erstere Form
des Kopfgrindes habe ich Dulcamara kennen gelernt, wenn gleich-
zeitig auch angeschwollene und verhärtete Lymphdrüsen am Halse,
im Nacken und an andern Theilen damit verbunden waren, das Ge-
sicht des Kindes auffallend blass und das Muskelfleisch ungewöhn-
lich welk war.

Oft fand ich auch, bei einem ähnlichen Zustande, Bryonia alba
sehr wirksam,, obschon durch sie allein dieses Leiden nicht besei-
tigt wurde. Sie giebt also, bei übrigens passenden Umständen,
eiu herrliches Zwischenmittel dann ab, wenn neue Entzündungsge-
schwülste am Kopfe, entzündete Drüsen am Halse und Nacken , der
blüthige Ausschlag mehr im Nacken und Rücken und ein beissendes
Fressen Nachts gegenwärtig sind.

Ein ebenfalls empfehlenswerthes Mittel in dieser einfacheren
Form des Kopfausschlags ist unstreitig Oleander. Mit grosser
Wahrscheinlichkeit kann man vermuthen, dass er nützen werde,
wenn bei einem schuppigen oder auch nässenden Kopfgrind, oder
bei juckenden Blüthchen, die den Krätzbläschen sehr ähnlich sind,
ein unausstehliches nächtliches , fressendes Jucken und Brennen
nach dem Kratzen auf dem Kopfe stattfindet, zu gleicher Zeit aber
auch die Meseraischen Drüsen affizirt zu sein scheinen , was sich
durch Anschwellung, Härte und Gespanntsein des Unterleibes, so
wie auch durch einen bald festen, mehr jedoch durchfälligen Stuhl,
durch den oft die Speisen unverdaut entleert werden — eine Art
Lienterie — zu erkennen giebt.

Hepar sulphuris empfiehlt sich in diesen leichteren Formen
ebenfalls, doch mehr dann, wenn der Ausschlag nicht blos den
Kopf, sondern auch den Nacken und das Gesicht theilweise befällt,
womit zu gleicher Zeit Augenbeschwerden, Psorophthalmie , Horn-
hautgeschwüre, Nachtschweisse u. s. w. verbunden sind.

Staphysagria ist ebenfalls ein beachtenswertes Mittel, wird
aber grösstenteils nur bei nässendem , sehr übelriechendem Kopf-
grinde , heftigem Jucken , angeschwollenen Halsdrüsen , sich hülf-
reich erweisen.

3*



36 Chronische Hautausschläge.

Sehr viel lässt sich in dieser Ausschlagskrankheit von Acidum
muriaücum erwarten.

Gegen Tinea maligna, die sehr nässt, einen unausstehlichen
Geruch verbreitet, die Haare wegfrisst, mit nächtlichem Jucken
und bedeutender Eiterabsonderung von grünlicher Farbe und dicker
Borkenbildung, und wo sich leicht Ungeziefer erzeugt, habe ich
selten ein anderes Mittel anwenden dürfen als Rhus. Selten je-
doch war eine Gabe ausreichend, immer bedurfte ich zur völligen
Heilung zwei, drei auch mehr Gaben. Es ist unstreitig das aller-
vorzüglichste Mittel in den verschiedenen Tinea-Arten und erweist
sich auch da äusserst hülfreich, wo der ganze Kopf bis an den
Rand der Haare mit einer Art Honigwabengrind bedeckt ist. Reichte
dieses Mittel allein nicht aus, so gab ich, besonders wenn der Aus-
schlag sehr jauchend und eiternd war, und diese aussickernde Flüs-
sigkeit sehr corrodirte und neue Geschwüre erzeugte Arsenicum
album, nach dessen beendeter Wirkungsdauer Rhus oft auffallend
nützlich sich erwies. So ereignete es sich wohl, dass ich einige-
mal mit diesen beiden Mitteln abwechseln musste, vorausgesetzt,
dass sie schon bei ihrer ersten Anwendung heilkräftig sich erwie-
sen hatten. Wo aber die erste Gabe von beiden Mitteln gar nichts
nützte, da war auch von den nachfolgenden nichts weiter, als un-
nützer Zeitverlust zu erwarten.

Baryta acelica, in der zweiten, dritten^erreibung, schien mir
früher nur in trocknen Kopfausschlägen nützlich , doch überführte
mich die Erfahrung bald, dass sie in feuchter Tinea oft noch mehr
nützte, besonders wenn sie mit Grindbildung, Ausfallen der Kopf-
haare, Jucken und Fressen auf dem Kopfe verbunden war. Sollte
dieses Baryt-Präparat nicht ausreichen, so gehe ich zu der carbonica
über und wende diese vorzugsweise gern an, wo neben dem Kopf-
grind auch Drüsen-Anschwellungen und Verhärtungen derselben an
andern Theilen sich hinzugesellt haben.

Bleibt die Anwendung aller dieser Mittel ohne Erfolg, was wohl
nur in den wenigsten Fällen, bei grosser Hartnäckigkeit des Uebels
und nach unpassend angewendeten allöopathischen Arzneien zu er-
warten steht, so wird man mit Tinctura sulphuris , Graphites, Ly-
copodium, Petroleum, Cicuta und Phosphor die Krankheit zu besei-
tigen im Stande sein. Die Wahl des einen oder des andern Mittels



Crusta lactea. Milchgrind. 37

hängt von den begleitenden Nebenumständen ab. — Auch ist
hier der Kermes minerale nicht ganz unberücksichtigt zu lassen.
Eine unter diese Form gehörende Krankheit muss ich noch
erwähnen, bevor ich zu den weitern Ausschlagsformen über-
gehe, diess ist:

§. 16.

Achor larvata, nach Bateman Porrigo larvalis, Crusta lactea. Milch-
grind, Milchborke, Milchschorf, Ansprung.

Diese Art kommt fast ausschliesslich bei Säuglingen zwi-
schen dem 7. und 8. Monate nach der Geburt und in der ersten
Dentitionsperiode vor; nach Alibert namentlich bei solchen,
die goldgelbes Haar haben.

Auf einer rothen , nicht umschriebenen Fläche zeigt sich
eine Eruption von vielen kleinen, gelblichweissen, gedrängt
stehenden Pusteln , die nach 2 bis 3 Tagen platzen und eine
helle, klebrige Flüssigkeit ergiessen,-die zu dünnen, durchschei-
nenden, weisslichgelben Krusten gerinnt, unter denen der Er-
guss dieser Flüssigkeit fortdauert, wodurch die Borken immer
dunkler und dicker werden, während neue Pusteln im Umkreise
entstehen, die denselben Process eingehen, mit den erstem zu-
sammenfliessen und so das ganze Gesicht, mit Ausnahme der
Augenlider, wie mit einer Maske überzogen erscheint (woher der
Beiname larvalis). Dieser Ausschlag hat einen widrigen und
ranzigen Geruch und ist manchen Abweichungen unterworfen;
so ist z. B. bei manchen sehr jungen Kindern die Aussonderung
bald sehr bedeutend und die Haut roth und exkoriirt, bald fin-
det gar keine Sekretion Statt und die Oberhaut bleibt mit einer
trocknen, braunen Borke bedeckt. Nach der gänzlichen Entfer-
nung dieser Borke bleibt eine rothe, erhabene, empfindliche,
von tiefen Linien durchzogene Oberhaut zurück, die sich meh-
rere Male exfoliirt, nicht aber solche tiefe Spalten wie Impe-
tigo zeigt.

Die Affection kommt zuerst an der Stirne und an den Wan-
gen vor, und verbreitet sich von da über das Gesicht, selbst
den Rumpf und die Extremitäten, wo die Eruption aber be-
schränkt bleibt. Bei fernerem Verlaufe des Uebels werden wohl
auch die Ohren und der beharrte Kopftheil ergriffen. Der Aus-



38 Chronische Hautausschläge.

schlag erregt verhältnissmässig wenig Jucken, und unterscheidet
sich dadurch von der Crusta serpiginosa, einer Krätzform. Wie
schon erwähnt, findet man die Krankheit selten nach dem 8. Le-
bensmonate, doch zuweilen in den Blüthenjahren bei stillenden
Frauen mit zarter, vulnerabler Haut. Dass die Krankheit blos
cachectische Kinder ergreifen solle, ist unwahr; denn gerade die
blühendsten, vollsaftigsten Kinder sind ihr am meisten unterwor-
fen und sie ist bei ihnen oft am beschwerlichsten, weil die Erup-
tion den vordem Theil des Halses mit überzieht ; und hier ist es
auch , wo zuweilen ein bedeutender Schwächezustand sich ein-
stellt, die Augenlider, wie die Augen selbst, sich entzünden
und aus ihnen, wie aus den Ohren, eine Ergiessung von puru-
Ienter Materie Statt findet, wozu nach und nach wohl auch Ent-
zündung der mesenterischen Drüsen sich gesellt und das Lei-
den in Marasmus, Diarrhöe und Hektik ausartet, die den Tod
herbeiführen. Der gewöhnliche Ausgang ist indessen fast immer
ein günstiger. Manchmal heilt die Krankheit nach dem Entwöh-
nen der Kinder, oder steht wenigstens eine Zeit lang. Auch
die Dentition zeigt bisweilen einen wohlthätigen Einfluss auf die-
selbe, doch findet auch das Gegentheil Statt. Neigt die Krank-
heit sich zur Genesung, so ist der Urin trübe und riecht wie
Katzenurin.

Obschon das Uebel auch bei den gesundesten Kindern vor-
kommt, so ist es doch Folge von Säftefülle und Reizung durch
unverdaute Nahrungsmittel bei sehr reizbarer Constitution, un-
reine, feuchte, nasskalte Atmosphäre, Eintritt der Menstruation
bei Mutter oder Amme etc., scheint aber auch Schutz gegen an-
dere krankhafte Einflüsse, wie gegen beschwerliches Zahnen,
Hydrocephalus acut, und akute Exantheme zu gewähren. Plötz-
liches Abfallen bringt sehr schlimme Zufälle hervor, namentlich
wenn es gegen die Zahnperiode hin geschieht, als akuten Was-
serkopf, Herzgespann etc.

§. 17.

Diese Krankheit ist so wenig gefährlich, dass man sie in
sehr vielen Fällen der Natur überlassen kann, die sie auch oft
ohne alle Hülfe glücklich beseitigt. Wo aber eine skrophulöse
Disposition schon sehr hervortritt, da vermag die Natur nichts,



Crusta lactea. Milchgrind. 39

sondern die Kunst muss sich ins Mittel schlagen und die Krank-
heit zu heben suchen. Ist das Kind sehr unruhig, sucht es die
kranke Stelle an jedem Gegenstande zu reiben, bemerkt man
selbst, dass der Ausschlag auf einem sehr entzündeten Grunde
sitzt, so thut man wohl, zur palliativen Beschwichtigung zuvor'
derst einige Gaben Aconitum zu reichen und erst nach ein, zwei
Tagen das specifische Mittel zu geben. Als eins der vorzüglich-
sten Mittel, nach meiner mehrmals darüber gemachten Erfahrung,
habe ich das Freisam -Veilchen, Viola tricolor, kennen gelernt.
Ganz besonders hülfreich ist dieses Mittel gegen das unerträglich
brennende, vorzüglich nächtliche Jucken des Ausschlags, wenn
zugleich jener charakteristische Geruch des Urins zugegen ist,
nicht minder findet man aber auch unter den Symptomen jene
eigentümliche Bildung des Ausschlags, die letzteren erst als
eine Art Milchschorf erkennen lässt.

Ehe ich dieses Mittel als vorzüglicher vor andern kennen
lernte, gelangte ich zwar durch die Anwendung anderer Mittel
auch zu meinem Zwecke, aber nur langsamer. Vorzüglich be-
diente ich mich der Staphysagria, des Uhus und des Sulphur.
Immer konnte ich mit Sicherheit darauf rechnen, dass Staphysa-
gria nützen würde, wenn unter den Schorfen eine gelbliche, fres-
sende Feuchtigkeit hervorsickerte, oder wenn auf der von Schor-
fen entblössten Fläche neue Bläschen sich bildeten, die ebenfalls
bald aufplatzten und jene gelbliche corrodirende Flüssigkeit ent-
leerten. Rhus zeigte sich hülfreich, wenn der Ausschlag auf
einer gerötheten Grundfläche sass und mit Recht vermuthen Hess,
dass ein brennendes Jucken das Kind belästige, welches auch durch
Reiben jenes Jucken zu mindern suchte. Konnte ich mit diesen
Mitteln allein den Ausschlag nicht beseitigen, so nahm ich, wenn
die Blüthchen einige Aehnlichkeit mit denen durch Schwefel er-
zeugten hatten, zu letzterem meine Zuflucht und war oft glück-
lich genug, bei diesem Verfahren dieses höchst lästige und das
Kind ganz entstellende Leiden zu beseitigen. In manchen Fäl-
len waren auch wohl noch andere Mittel erforderlich, unter de-
nen sich Aurum, Dulcamara, Arsenicum und Hepar sulphur.,
als besonders nützlich erwiesen.

In den neueren Zeiten sind wir durch die Kenntniss der anti-
psorischen Arzneien bei der Behandlung derartiger Ausschläge



40 Chronische Hautausschläge.

viel besser daran, denn es stehen uns eine Menge Mittel zu Ge-
bote, die uns früher ganz unbekannt waren. Wie viel mehr
schon richten wir jetzt durch die einfachere und doch kräftigere
Bereitungsart des Schwefels, der Tinctura sulphuris in solchen
und ähnlichen Ausschlägen aus. Und wie viel nützt Lycopodium,
Carbo negetabilis und Causticum in diesen Fällen.

Gegen die diese Krankheit zuweilen begleitende Augenent-
zündung wendete ich oft mit ausgezeichnetem Nutzen Euphrasia
an, wiewohl auch dann und wann einige Gaben Aconitum und
Hepar sulphuris erforderlich waren, bisweilen auch eine Gabe
Belladonna.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #4 on: April 30, 2013, 09:32:23 PM »

§. 18.

Der Scabies reihet sich zunächt die herpetische Form an,
da die erstere bei längerer Dauer leicht in letztere übergeht,
oder sich in selbige umwandelt. Es ist diess keine Art, wie sie
von den Schriftstellern unter einem besondern Namen angeführt
wird, sondern immer nur von ihnen als Folgekrankheit der Sca-
bies, unter der Bezeichnung „Krätzgeschwüre," genannt wird.
Auch ich wüsste sie unter keine besondere Rubrik zu bringen
und möchte ihr darum den Eigennamen:

Scabies alienata

beilegen, der dieser Krankheit darum am meisten zukommt, weil
sie wohl nur selten ohne vorangegangene Scabies zu Stande
kommt. Ich werde über selbige hier mittheilen, was eigene und
Anderer Erfahrungen mich gelehrt haben; nichts Hypothetisches,
sondern nur Constatirtes und darum einer Therapie menschlicher
Krankheiten gewiss von Nutzen.

Eine der schlimmem und hartnäckigsten Flechten -Art ist
die der Krätze ähnliche, die durch Ansteckung von einem Krätzi-
gen mittels Berührung, oft auch schon durch blossen Ekel ent-
stehen kann, fast dieselbe Empfindung wie jene zeigt, die bei
Warmwerden und nach Erhitzung am lebhaftesten hervortritt,
aber dadurch sich wesentlich unterscheidet, dass sie nicht wie
jene die Hände mit befällt und, geschähe diess ja einmal, kein
Jucken auf diesen erregt; ferner dass die durch Kratzen wund
gewordenen und nachher sich mit Schorf überziehenden Stellen



Scabies alienata. 41

nicht, wie bei jener, bald vertrocknen und heilen, sondern nach
24 Stunden eine neue, wenn auch nicht lebhafte, Entzündung in
ihrem Umkreise erregen, die zur Bildung einer jauchigten Flüs-
sigkeit unter dem Schorfe beitragen, welche letztere bei Drauf-
drücken auf den Schorf an den Rändern desselben hervordringt.
Je öfter diese Flüssigkeit entleert wird, desto schneller ver-
trocknet der Schorf; je länger sie unter demselben sich verhält,
desto ausgebreiteter wird die Entzündung und desto langsamer
geht die Abtrocknung von Statten. Je näher eine solche Stelle
der Abheilung ist, desto mehr zeigen sich neue Stellen, die
einen ähnlichen Process durchlaufen müssen. Am häufigsten kom-
men sie an solchen Stellen vor, wo viele Krätzblüthen beisam-
menstehen und darum sind sie auch selten unter der Grösse
eines Achtgroschenstücks, oft von der Grösse einer Hand. Hat
Patient da gekratzt, wo nur ein einzelnes, aber etwas grösseres
Blüthchen stand, so bildet sich da leicht ein Furunkel, der tie-
fer in die Haut eindringt und eine dicke schmutzig röthliche
Feuchtigkeit entleert. Ueberhaupt ist bei dieser Art Flechten die
Furunkel-Bildung nichts Seltenes, denn oft sind 5. 6 und mehre
zu gleicher Zeit vorhanden. Der Kranke fröstelt gewöhnlich ge-
gen Abend, empfindet die grösste Unruhe, nicht blos in den
Gliedmassen, sondern im ganzen Körper, ist sehr verstimmt und
leidet an einem sehr unruhigen, durch häufiges Jucken und ängst-
liche auffahrende Träume unterbrochenen Schlaf, während alle
andere Funktionen des Körpers ganz normal sich verhalten.

Noch nie habe ich diese Krankheit gleich zu Anfange ihres
Entstehens zur Behandlung übernommen, sondern immer erst,
wenn sie schon ein oder ein Paar Jahre gedauert hatte. Ob sie
wirklich der Krätze gleich zu achten ist, oder nicht, will ich
hier unentschieden lassen; so viel jedoch ist gewiss, dass sie
viel mit jener in ihren äussern Erscheinungen gemein hat, und
wohl nicht mit Unrecht als eine alienirte Krätze zu betrachten ist.

§. 19.

Die Behandlung dieser Art muss mit Schwefel begonnen
werden, der hier in der reinen unverdünnten Tinktur weit schnel-
ler heilkräftig einwirkt, als in der Verdünnung. Hat der Kranke
einige Tage dieses Mittel genommen, so lasse ich eine Pause



42 Chronische Hautschläge.

von 2—3 Tagen machen; ist die Besserung auffallend, so
warte ich noch länger ab, bevor ich den Schwefel repetire oder
zur Wahl eines andern passenderen Mittels übergehe. Tritt hin-
gegen gar keine Besserungs-Wirkung ein, so ist es auch ein
Zeichen, dass der Schwefel bei weiterem Fortgebrauche nichts
ausrichtet, so specifisch er auch der Krankheit zu entsprechen
schien. Jedoch gehört diess zu den seltensten Fällen und der
Arzt kann es nie vorher wissen, dass es so kommen könne.
Wüsste er es aber auch bestimmt vorher zu sagen, so würde er
doch 2 — 3 Gaben Schwefel, gleichsam als Vorbereitungscur,
zu Anfange der Behandlung nicht entbehren können, und so ist
es denn nie ein Zeitverlust, den Schwefel angewendet zu haben.
In dem Falle nun, dass Schwefel ganz nutzlos gegeben worden
wäre, kenne ich kein zweckdienlicheres Mittel, als Psorin, von
dem ich alle 2 Tage eine Dosis so lange fortnehmen lasse, als
ich nur eine gute Wirkung davon wahrnehme. Scheint die Bes-
serung nicht mehr die auffallenden Fortschritte zu machen , über-
haupt der Organismus an dieses Mittel gewöhnt zu sein, so warte
ich ebenfalls einige Tage ab , ehe ich zur Wahl einer neuen Arz-
nei schreite. So wenig auch der Schwefel vorher zu nützen
schien, so wird man doch durch das Fortbestehen (wenn auch
in geringerem Grade) der charakteristischen Symptome zu seiner
abermaligen Anwendung aufgefordert und noch nie sah ich einen
Fall, wo seine zweite Anwendung nicht auffallend schnell Besse-
rung, ja sogar bisweilen völlige Herstellung, bewirkt hätte.

Nur die Erfahrung kann uns bei solchen chronischen Haut-
ausschlags-Krankheiten , wo die etwaigen Nebenbeschwerden mei-
stens von dem mechanischen Hautreize abhängig sind und sonst
keine andere charakteristische Erscheinung zu Gunsten des einen
oder des andern Mittels spricht, lehren, welche Arzneien mit
Nutzen anzuwenden sind. Von den beiden genannten weiss ich
letzteres mit ziemlicher Gewissheit, obschon ich nicht läugne,
dass ich ähnlich kranke Subjecte 4 — 6 Wochen lang frucht-
los behandelte, und nicht eher Fortschritte bemerkte, als bis ich
eines anderen Mittels mich bediente. Den Vorzug vor vielen
andern verdienen dann in dieser Krankheitsform: Lachesis und
ein Paar fast in Vergessenheit gerathene Mittel — Clematis und
Vulcamara in wiederholten Gaben. Diese beiden letztern Mittel



Ulcera pedis. Fussgeschwiire. 43

habe ich, nach angewandtem Schwefel und Psorin, oft wechsels-
weise gegeben, jeden 4 Tag das eine oder das andere, und auch
zuweilen auf diese Art die Krankheit beseitigt. In den Fällen,
wo die hier angegebene Verfahrungsweise ganz ohne Nutzen war,
sah ich mich genöthigt, zu Sepia, Carbo vegetabihs, Kreosot.,
Causticum, Natrum muriat., Lycopodium, Mercur., Calcar. carb.
und Graphit meine Zuflucht zu nehmen. War diess , so war auch
mein Handeln mehr empirisch, denn es fehlten mir die sichern
Indicationen zur Anwendung des einen oder des andern, da, wie
schon erwähnt, ausser dem Exanthem, keine andern charakteri-
stischen Eigenthümlichkeiten die Wahl leiteten.

In kürzerer Zeit als einem Vierteljahr ist diese Krankheit
nicht zu heben, und diess ist der glücklichere Fall; weit öfter
braucht man halbe, ja ganze Jahre, ehe der Kranke der völli-
gen Wiederherstellung sich erfreuen kann.

§. 20.

Eine der Scabies alienata sehr verwandte Form, die wir sehr häu-
ßg bei Frauen und solchen Männern, deren Geschäfte stehend verrich-
tet werden, z. B. Schriftsetzern, Buchdruckern etc. finden, sind die

Ulcera pedis. Pussgeschwüre,

die dem homöopathischen Arzte häufiger zur Behandlung vorkom-
men, als dem Allopathen, weil dieser sie grösstentheils der Chi-
rurgie zur Behandlung übergiebt.

Bei Frauen, die während der Schwangerschaften an Varices
gelitten haben, kommen sie nicht gar zu selten in den klimak-
terischen Jahren vor; bei Männern entwickeln sie sich ebenfalls
häufig aus vorangegangenen Blutader-Anschwellungen und darum
verdienen diese Geschwüre nicht mit Unrecht den Namen; Ul-
cera varicosa, denen ich zugleich auch die Ulcera phage-
daenica, die einem Herpes exedens angehören, anreihe, da ihre
homöopathische Behandlung nicht wesentlich von einander differirt.

Die Geschwüre der erstem Art bilden sich meistens an den
Unterschenkeln, namentlich in der Gegend der Knöchel an den
Füssen, nach einer ganz leichten Verletzung, indem ein jucken-
der, oder kitzelnder Beiz Veranlassung zum Beiben oder Kratzen
gab, oder durch Stoss, Druck und andere mechanische Beizung
erzeugt wurde. Doch sind diese geringen Veranlassungen und



44 Chronische Hautausschläge.

Verletzungen nicht vermögend, ein so bedeutendes Leiden, wie
die Fussgeschwüre oft sind, zu erregen, wenn nicht eine innere,
allgemeine Ursache schon zum Grunde liegt, die sich, eben die-
ser geringfügigen äussern Ursachen wegen , als auch deshalb ver-
muthen lässt, dass ein solches Geschwür von selbst entsteht,
mehre vorher bemerkte Beschwerden verschwinden, ohne andere
Ursache hartnäckig ist, und nach einer allöopathischen Behand-
lung und scheinbaren Heilung mehrmals ohne Veranlassung von
selbst wieder aufbricht. — Werden diese Anfangs blutenden,
dann eiternden Stellen nicht gehörig gewürdigt, so arten sie in
schwer heilbare Geschwüre aus. Grossen Schaden richten hier
immer die deshalb häufig in Gebrauch gezogenen Pflaster und Sal-
ben an, welche als Hausmittel, ohne Zuziehung eines Arztes, auf
Anrathen ununterrichteter Personen, benutzt werden. — Am häu-
figsten werden Personen, die eine feine, zarte Haut und blonde
Haare haben, sehr reizbar sind, von solchen Geschwüren befal-
len, die als Ableitungs-Depot für andere Krankheiten zu betrach
ten sind , die dabei nicht leicht zum Ausbruch kommen. Hieraus
lässt sich mit Recht folgern, dass ein solches Geschwür, so un-
bedeutend es auch bei seinem Entstehen scheinen mag, doch sehr
wichtig ist und nur durch eine consequent durchgeführte anti-
psorische Behandlung geheilt werden kann.

Ein p hagedänisches Geschwür kann ohne Vorherge-
hen einer chronischen Hautausschlagskr^kheit nicht leicht zu
Stande kommen, daher wir es fast immer, nach Verschwinden
der Krätze, Flechten beobachten. Es unterscheidet sich von
jenem dadurch, dass es an verschiedenen Stellen des Körpers,
namentlich an weichen, muskulösen Theilen zum Vorschein kommt,
und eine dünne, wässrige, sehr scharfe und fressende Jauche
ausscheidet, die täglich mehr und mehr feste Theile im Umfange
des Geschwürs verdirbt und verzehrt, weshalb das Geschwür so
sehr schmerzhaft ist und täglich sich vergrössert.

§•21.

Die Heilung derartiger Geschwüre ist nur mittels einer
antipsorischen Behandlung glücklich durchzuführen; die früher
gekannten und dagegen empfohlenen Arzneien, wie Nux, Mer-
cur., Ferrum, Arnica, Rhus, Bryonia, Arsenicum, Pulsatüla u. s. w



Ulcera pedis. Fus6geschwüre. 45

nützen wohl etwas, aber nicht genug, um das Wiederaufbrechen
der geheilten Geschwüre zu verhüten. — Das souverainste Mit-
tel unter den antipsorischen Arzneien gegen beide Geschwürs-
Arten ist der Sulphur, und zwar die Tinctura sulphuris in der
ersten Verdünnung, früh und Abends gereicht. Er ist in der er-
stem Form darum so ausgezeichnet hülfreich, weil er der Er-
regungs-Ursache, den Varices, so gegenwirkend sich zeigt; der
zweiten Form entspricht er besonders wegen der im Körper
schlummernden Psora. Ich gestehe, dass ich mit dem beharrli-
chen Fortgebrauch dieses Mittels allein die meisten derartigen
Geschwüre geheilt habe und schon in den ersten Tagen seiner
Anwendung die juckenden, brennenden und fressenden Schmer-
zen in und an den kranken Theilen, nebst der sie umgebenden
Entzündung verschwinden sah. In 8 Tagen ist die Heilung frei-
lich nicht zu erzwingen, man bedarf mindestens so vieler Wochen
dazu, und da ist's durchaus nöthig, dass der Kranke folgsam ist,
wenn nicht die Cur mislingen soll.

Hat das Geschwür Neigung , leicht zu bluten , klagt der
Kranke über stechende brennende Schmerzen in demselben, ist
die Entzündung lebhaft, sind die Ränder hart und empfindlich, hat
das Geschwür Neigung, schwarz zu werden, oder tritt Schmerz
ein, wenn es kalt wird: dann entspricht kein Mittel dem Zu-
stande besser, als Arsenicum, das ebenfalls, nach meinen Er-
fahrungen, in Öfter wiederholten Gaben gereicht werden muss.
Zuweilen, und diess ist besonders der Fall, wenn während des
Arsenic.-Gebrauchs ein Stillstand in der Besserung eintritt, wird
man wieder zum Sulphur zurückkehren, oder zu Hepar sulphuris
seine Zuflucht nehmen müssen. Letzteres Mittel namentlich,
wenn die Geschwüre Nachts brennend-fressend, oder klopfend
schmerzen, leicht bluten, einen faulichten Geruch verbreiten;
auch in solchen von Mercur-Missbrauch herrührenden, oder eine
krebsartige Natur verrathenden, stechend-schmerzenden.

Nächst diesem habe ich auch Lachesis als eine sehr heil-
kräftige Arznei gegen solche Geschwüre kennen gelernt, wenn
sie ein schwammiges Ansehen hatten und bei Berührung bren-
nend schmerzten. — Auch Kreosot habe ich nicht vergeblich
angewendet, wenn das alte Geschwür Neigung zum Brandigwer-
den verrieth (wo aber auch China unter passenden Umständen,



46 Strophulus confervus. Zahnausschlag.

Berücksichtigung' verdient), oder eine faulichte , übelriechende
Jauche entleerte. — Nächst diesen, von mir aber weniger gekannt
und darum auch nicht nach sicheren Prinzipien angewendet, ver-
dienen noch folgende Mittel namentlich angeführt zu werden:
Lycopodium, Carbo vegetabilis (Arsenic correspondirend), Asa,
Graphit., Acidum phosphoricum, Silicea, Mezerewm, Psoricum;
letzteres namentlich, wenn die krätzartige Natur des Geschwürs
sich deutlich nachweisen lässt; doch darf dieses Mittel nicht zu
oft repetirt, sondern in einzelnen Gaben mit langen Zwischen-
räumen gegeben werden, denen man dann wieder Sidphur folgen
lässt. — Nöthig wird in vielen Fällen das Interponiren einer oder
einiger Gaben Nux, zur Minderung der oft vorherrschenden gros-
sen Reizbarkeit bei derartigen Kranken.

Es ist sehr leicht möglich , dass Andere auch andere und
vielleicht noch sicherere Erfahrungen in praktischer Beziehung
in derartigen Leiden gemacht haben; auch will ich zugeben, dass
mir vielleicht manche Mittheilung anderer homöopathischer Aerzte
über dergleichen Geschwüre in den verschiedenen homöopathi-
schen Journalen entgangen sein könnte: dennoch aber glaube ich,
dass meine hier mitgetheilten Erfahrungen, die sich auf jahrelange
Beobachtungen gründen, nicht so ganz verwerflich sind und ge-
wiss Manchem in seiner Praxis von Nutzen sein werden.

§. 22.

Strophulus confervus. Gedrängte Schälknotehen,
Zahnausschlag.

Die Krankheit entsteht in Folge des grossen Gefässreich-
thums und der Reizbarkeit der Haut bei kleinen Kindern, wenn
irgend eine Reizung im Körper, namentlich im Darmkanale und
Zahnfleische stattfindet. Ein solcher Reizzustand im Darmkanale
wird herbeigeführt durch Ueberfüttern der Kinder oder durch
Unregelmässigkeit in der Diät der Mutter während des Stillens.
— Der Ausschlag besteht in kleinen, gruppenweise stehenden
Knötchen von rother Farbe, am häufigsten in der Gesichtshaut
bei Kindern von 4 — 5 Monaten. Tritt der Ausschlag bei schon
altern Kindern auf, so zeigt er sich auch auf den Händen, Armen,
Schultern und Lenden, und zwar so dichtstehend, dass er den
ganzen von ihm besetzten Theil eine hochrothe Farbe giebt. In



Eczema. Hitzausschlag, Hitzblattern. 47

Zeit von etwa 14 Tagen bleichen die Knötchen, schilfern sich in
kleieförmigen Schuppen ab und verschwinden allmälig, wenn
nicht, wie so häufig, neue Nachschübe erfolgen. Fieberhafte
Reizung ist dabei unverkennbar, die Kinder bekommen oft eine
brennende Hitze, trinken viel, schreien plötzlich auf, fahren mit
den Händen in den Mund, fahren im Schlafe zusammen, erschre-
cken ungemein leicht, versagen das Essen, haben öftern durch-
fälligen Stuhl etc.

§• 23.
Die Therapie dieser Krankheit erfordert kein grosses Nach-
denken. Der Ausschlag selbst bedarf keine andere Behandlung,
als Verwahren gegen Erkältung, daher eine gleichmässige Tem-
peratur und öftere laue Waschungen von Milch und "Wasser. Nur
wo Unterleibs- und Nervenstörungen sich damit verbinden, da ist
der Arzt genöthigt, Mittel in Anwendung zu bringen, wozu im
ersten Falle Ipecac, Pidsatilla, Rheum, Chamomilla, Antimonium
crud. und tartar. etc., im zweiten Falle Aconit, Coffea, Bella-
donna, Ignatia u. a. sich eignen, von denen der Leser im ersten
Theile dieser Therapie an vielen Orten die nähere und bestimm-
tere Indication zur Anwendung dieses oder jenes Mittels schon
gefunden haben wird.

§. 24.
Eczema. Hitzausschlag, Hitzblattern.

Ein Ausbruch von kleinen, zugespitzten, nicht zusammen-
fliessenden, aber gedrängt stehenden Bläschen mit heftigem Ju-
cken und Prickeln. Die in den Bläschen enthaltene Flüssigkeit
ist entweder durchsichtig oder opak und vertrocknet zu dünnen
Schuppen.

Dieser Ausschlag wird bei reizbaren Personen durch man-
cherlei innere und äussere Reizungen hervorgebracht. Er kommt
entweder an einzelnen Stellen des Körpers oder allgemein ver-
breitet vor. Bei Männern erscheint er indessen am liebsten an
der innern Seite der Schenkel, an den Achseln und an solchen
Stellen der Haut, wo die meisten Schmeerbälge liegen. Die
meiste Aehnlichkeit hat der Ausschlag mit Miliaria, unterschei-
det sich aber von dieser dadurch, dass er fieberlos und, bei nicht
zu weiter Verbreitung, mit keinem Allgemeinleiden verbunden ist.



48 Eczema. Hitzausschlag, Hitzblattern.

Mit Scabies wird er dann leicht verwechselt, wenn er an Händen
und Fingern erscheint ; doch unterscheidet er sich von selbiger
durch die gedrängt stehenden, mehr gleichmässig vertheilten Bläs-
chen, durch das mehr schmerzhafte und brennende Gefühl, so
wie auch dadurch, dass er nicht in Ulceration übergeht. Durch
die Erregungsursache kann der Ausschlag in Form und Ausdeh-
nung verschieden sein, und daher werden von den Schriftstellern
folgende unterscheidende Arten angenommen:

Eczema solare, erscheint besonders an solchen Stellen,
die der unmittelbaren Einwirkung der Sonnenstrahlen oder der
Feuerhitze ausgesetzt sind. Die Dauer desselben ist verschieden,
von 3 — 4 Wochen, bei mehreren neuen Eruptionen, bis zu eben
so viel Monaten, und bei reizbaren Subjecten oft sogar die ganze
bessere Jahreszeit über.

Eczema impetiginoides entsteht durch die beständige
Einwirkung von irritirenden, ein eigentümliches Acre enthal-
tenden Dingen, z. B. scharfe Gewürze, Kalk, Canthariden etc.
Jedes einzelne Bläschen ist mit einem Halo umgeben, der aber
mit dem nächsten nicht confluirt. Nach 4 — 5 Tagen platzen die
Blüthen und der ergossene Inhalt röthet die unterliegende Haut
und erzeugt stechende, brennende Schmerzen in derselben.

Eczema rubrum s. mercuriale, Erythema mercu-
riale, Hydrargyria. Diese Form ist eine Folgekrankheit der
übermässigen Anwendung des Quecksilbers. Ich verspare die
nähere Angabe über diesen Ausschlag und werde bei Behand-
lung der Syphilis wieder auf ihn zurückkommen.

§. 25.

Es ist begreiflich, dass bei Behandlung dieses Ausschlags
die ihn erzeugenden Reize vermieden und unschädlich gemacht
werden müssen. So ist es nöthig, dass die Kranken bei dem
E. solare die Einwirkung der Hitze vermeiden, oder die befalle-
nen Theile wenigstens durch leichte Bedeckung schützen; eben
so bei dem E. impetiginoides, dass sie sich der erregenden Reize
entziehen. Nebenbei sind öftere lauwarme, schleimige Waschun-
gen der ergriffenen Theile, zur Milderung des heftigen Brennens
und Juckens, von grossem Nutzen.

Ueber die gegen derartige Ausschläge zu empfehlenden Mit-



Acne. Pinne, Hautfinne. . 49

tel bin ich mit mir noch nicht recht im Klaren, wenigstens weiss
ich sie nicht, auf sichere Indicationen gestützt, anzuwenden ; des-
halb muss ich nun schon auf die Nachsicht meiner Leser rech-
nen, wenn ich ihnen die mir am vorzüglichsten scheinenden an-
führe, ohne ihnen eine nähere Bestimmung beizufügen. Die da-
gegen von mir angewendeten Mittel sind namentlich: Arsenic,
Cantharides, Ranunculus, Nitrum, Bryonia, Rhus, Mercur, Cam-
phora, Sepia, Staphysagria, Thuja, Oleander, Sulphur. — Viel-
leicht gelingt es Andern, die Therapie dieser Ausschlags-Formen
richtiger zu ordnen und öffentlich damit hervorzutreten, was ich
dankbar anerkennen und bei einer nachfolgenden Auflage benu-
tzen würde.

§. 26.

Acne. Pinne, Hautfinne.

Diese Ausschlagsform besteht aus getrennt stehenden, har-
ten, entzündeten Tuberkeln, die bisweilen lange fortbestehen und
manchmal sehr langsam und partiell in Eiterung übergehen. Sie
kommen meistens im Gesicht, an der Stirn, an Schläfen, am
Kinn, bisweilen auch am Halse, an den Schultern und dem obern
Theile der Brust vor, gehen aber selten auf andere Theile über.
Bei diesem langsamen Verlaufe der einzelnen Tuberkeln, wo im-
mer neue nach einander erscheinen, kann man sie in ihren ver-
schiedenen Stadien beobachten und, wo sie intensiv auftreten,
sind auch die Spuren der altern noch sichtbar. Vorzugsweise
kommt dieser Ausschlag bei Personen von sanguinischem Tem-
perament und zwischen dem Alter der Pubertät und dem dreissig-
sten Lebensjahre oder fünf und dreissigten Jahre vor; doch er-
scheint er bisweilen auch noch später. Bei jungen Männern ist
er am heftigsten, verschont aber auch Frauenzimmer nicht.

Man nimmt vier Arten derselben an:

Acne simplex. Einzelne, nicht zahlreiche, wenig entzün-
dete Knötchen, die sich abschilfern und einige Bauhigkeit zurück-
lassen. Entzünden sie sich, ohne jedoch in Eiterung überzuge-
hen, so bleiben einige Zeit purpurrothe Fleckchen zurück. Man-
che dieser Knötchen aber entzünden und heben sich, werden
roth, glatt, härtlich, glänzend und schmerzhaft bei der Berüh-
rung, bilden zuletzt ein Eiterpünktchen an ihrer Spitze, das all-
II. 4



50 • Acne punctata. Die punctirte Finne, Mitesser.

mälig zu einer dünnen Kruste vertrocknet, worauf die Entzün-
dung naehlässt und das Grindehen abfällt. Zuweilen erscheint
er partiell, zuweilen allgemein, nach einer starken Mahlzeit,
nach viel Weingenuss, überhaupt nach Indigestionen, eben auch
so nach starker Bewegung in heisser Luft.

Die Heilung dieser Art ist mit mancherlei Schwierigkeiten
verbunden, ja sie gelingt in den wenigsten Fällen vollkommen,
da die Kranken, sonst von keiner andern Beschwerde geplagt,
selten die Ausdauer haben, die zur Heilung erforderlich ist, und
der Arzt nicht im Besitz eines specifischen Mittels gegen einen
derartigen Ausschlag ist. Er ist, wie wir gesehen haben, mei-
stens an die Pubertätsjahre gebunden und verschwindet selbst bei
einem sehr geregelten diätischen Verhalten nicht von selbst,
scheint aber auch oft durch die Diätfehler keine sonderliche Ver-
schlimmerung zu erleiden. Diese von den Patienten selbst ge-
machten Erfahrungen machen dem Arzte das schwere Spiel bei
der Heilung, da Jene es nicht so genau mit der vorgeschriebenen
nöthigen Diät nehmen und dadurch die Wirkung der passendsten
Mittel vernichten.

Die Mittel, die mir am passendsten geschienen haben, sind:
Cantharides, besonders wenn die juckenden Bläschen oder Knöt-
chen bei Berührung brennen und meistens um Kinn und Lippe
herum erscheinen; — Staphysagria, bei stechend juckenden,
bei Berührung aber wie unterschwo^^i schmerzenden Knöt-
chen, was aber nach dem Kratzen sogleich in die frühere
Empfindung übergeht; — Sulphur, wohl eins der Hauptmittel
mit in dieser Ausschlagsform, bei kleinen, runden Hautknöt-
chen mit weissgelblichen Grindchen ; — auch Capsicum er-
weist sich hülfreich bei derartigen, mehr um die Lippen herum
sich gruppirenden. Ausserdem empfehlenswerth sind noch : An-
timon. crud., Mezereum, Dulcamara, Natrum muriat. u. s. w.

§• 27.

Acne punctata. Die punctirte Finne, Mitesser.

Diess ist eine sehr häufig vorkommende Varietät, die eine
Menge schwarzer Punkte zeigt, welche gewöhnlich für Würmer
oder Maden gehalten werden, weil, wenn man sie drückt, eine
diesen Insecten ähnliche Masse herauskommt, was aber nichts an-



Acne rosacea, Gutta rosacea. Kupfergesicht. 51

deres ist, als verdickter Schleim, oder eine fette Materie, die in
den Talgdrüsen eine wurmartige Form angenommen hat, wovon
das äussere Ende durch Berührung mit der Luft oder Schmutz
geschwätzt ist.

Ob ein therapeutisches Verfahren gegen diese Ausschlags-
form einzuleiten ist, lasse ich dahin gestellt sein. Grosse Rein-
lichkeit ist in diätetischer Beziehung das vorzüglichste, was der
Kranke zu beobachten hat; ausserdem dürfte von Zeit zu Zeit
eine Gabe Sulphur, oder Sepia, oder Acidum nitri die passend-
sten Mittel sein.

Acne indurata. Die verhärtete Hautfinne unter-
scheidet sich nicht wesentlich von der A. simplex und erheischt
in therapeutischer Beziehung dasselbe Verfahren.

§. 28.

Acne rosacea, Gutta rosacea. Kupferhandel, Rothnase,

Kupfer gesicht.
Diese Form hat die Eigenthümlichkeit, an der Spitze der
Nase zu beginnen , und von da sich über Gesicht und Wangen,
selbst bis zum Kinn sich zu verbreiten. Sie bildet sich auf fol-
gende eigenthümliche Art: Die Haut wird an diesen Stellen roth,
dichter, fester, derber; es zeigen sich auffallende Gefässnetze,
aus erweiterten Venen bestehend, dann erst schiessen Knötchen
von der Grösse einer Linse, Erbse auf, die an der Spitze in Eiter
übergehen, der sich in einen Schorf verwandelt. Früh ist die
Hautfarbe bleich, röthet sich dann immer mehr und ist besonders
nach dem Mittagsessen und dem Genuss von Wein feuriger, flam-
mender. Die Entartung der Haut geht endlich so weit, dass sie
rauh, wulstig, kerbig wird, Einschnitte bekommt und die Nase
wie aus mehreren Theilen zu bestehen scheint. Am häufigsten
kommt die Krankheit bei altern Leuten vor, gegen Ende der
vierziger Jahre. Störungen in den Digestionsorganen , blinde
Hämorrhoiden sind oft damit verbunden, daher entsteht die Krank-
heit häufig bei solchen Individuen, die viel sauren Wein trinken,
in dessen Folge sie an Säurebildung- leiden. Derartige Individuen
haben grosse Anlage zur Erweiterung von Venen innerer Organe
und leiden in spätem Jahren häufig an Herzkrankheiten.

Therapie solcher Ausschlagsformen. Bei fortge-
setzter Lebensweise des Kranken ist, selbst beim Gebrauch der

4*



52 Acne rosacea, Gutta rosacea. Kupfergesicht.

passendsten Mittel, an Heilung nicht zu denken, darum ist Re-
gulirung der Diät das Haupterforderniss mit, wenn die Cur ge-
lingen soll, und der Kranke muss alle Irritantia vermeiden, muss
mehr einfache , vegetabilische Kost und wässeriges Getränk zu
sich nehmen. Ist Patient schon zu sehr an geistige Genüsse ge-
wöhnt, so dürfen sie ihm, bei schon vorgeschrittenem Alter, nur
allmälig, ja selbst nicht einmal ganz entzogen werden, wenn er
nicht durch deren gänzliche Entziehung einen grössern Nachtheil
erleiden soll.

Unter den vorzüglichsten Mitteln, die sich bewährt erwiesen,
nenne ich zuerst: Carbo animalis; sie leistet mehr, als die ve-
getabilis, und nicht blos, wenn sich der Ausschlag auf die Nase
beschränkt, sondern wo er sich schon weiter ausgebreitet hat und
heftigen Brennschmerz verursacht. — In einem solchen Falle,
wo der Ausschlag schon das Gesicht überzogen hat, auf lebhafter
Röthe basirt ist und den Kranken durch sein unangenehmes Bren-
nen sehr belästigt, eben so auch bei einzelnen, runden, rothen
Flecken und Knoten (im letztern Falle ist auch Kali carbon. hülf-
reich), findet Arsenicum immer einen für ihn passenden Wirkungs-
kreis. — Bei beginnendem Ausschlage, wenu erst rothe Flecken
sich bilden, auf denen nach und nach weisse Blüthchen aufschie-
ssen, wird man Veratrum nie nutzlos anwenden. — Dasselbe
gilt von Cannabis, nur mit dem Unterschiede, dass hier nur erst
die Kupferröthe, ohne Ausschlag, sichtba^ aber bedeutende Ge-
schwulst der Nase zugegen ist. — Schon bei sehr weiter Aus-
dehnung des Kupfergesichts ist Acidum nitri ein unentbehrliches
Mittel, besonders dann, wenn das Leiden einer syphilitischen Bei-
mischung zuzuschreiben ist, was dadurch leicht erkennbar wird,
dass der Ausschlag sich bis zum Rande der Kopfhaare ausbreitet.
— Findet der Ausschlag mehr unter der Nase und um das Kinn
herum statt, so ist Thuja allen andern Mitteln vorzuziehen. —
Auch Acidum phosphoricum ist gegen solchen Ausschlag äusserst
hülfreich, wenn derselbe sich noch auf Backen und Nase beschränkt,
die rothen Blüthchen mit Eiter gefüllt sind und bei Berührung
wund schmerzen; auch Phosphor steht der Säure nicht nach,
übertrifft ihre Wirkung sogar in vielen Fällen. — Euphra-
sia soll gegen Kupfernase, wenn nur erst einzelne grosse Eiter-
blüthen anfangen aufzuschiessen, heilsam sich erweisen; ich kann



Liehen simplex. Schwindflechte, Schwindknötchen. 53

nicht entschieden darüber sprechen, weil meine Erfahrungen zu
vereinzelt dastehen. — Ein eben so vorzügliches Mittel ist Si-
licea, namentlich bei puckendem Schmerze in dem entzündeten
Theile, auf dem Bläschen und Blüthen aufschiessen. — Ledum
palustre ist heilsam gegen Blüthchen und Blutschwäre an der
Stirn, gegen rothe Ausschlagsknoten im Gesichte, die bei BeTüh-
rung stechend schmerzen; gegen Ausschlagsknötchen an der Stirn,
wie bei Branntweinsäufern. — Ausserdem sind noch empfehlens-
werthe Mittel: Ruta, Aurum, Kreosot, Sepia, Petroleum, Plum-
bum, Sulphur und Acidum sulphuricum, Capsicum, Clematis,
Psoricum etc.

§. 29.

Liehen simplex. Schwindflechte, Schwindknötchen.

Allen Liehen - Arten geht eine febrile Reizung voran , als :
Frösteln, Hitze, gastrisch belegte Zunge, bitterer Geschmack,
Brechneigung, die aber meistens nach Ausbruch der Eruption
wieder verschwindet. Die Eruption kommt gewöhnlich zuerst im
Gesichte, und es erscheinen zuerst rothe Flecke, auf denen sich
dann einzelne oder gruppirt stehende Knötchen bilden, die von
Prickeln und Stechen, besonders Nachts, begleitet sind, die ge-
wöhnlich in Abschilferung enden, bisweilen wiederkehren. Vom
Gesichte aus verbreitet sich die Eruption über Hals, Rumpf und
Extremitäten. Unter den kleinen Schorfen erscheint die Haut
geröthet, und am längsten ist diess in den Gelenken wahrzuneh-
men. Seine Dauer ist höchstens 3 — 4 Wochen, doch bei Nach-
schüssen eben so viele Monate. Am liebsten kommt die Krank-
heit in der Sommerzeit vor; sie wird durch öftere Wiederkehr
hartnäckiger und langwieriger. Verwechselt wird sie oft mit
Masern, Scharlach, Scabies und Prurigo.

Die anfänglichen Beschwerden erheischen kein anderes the-
rapeutishes Verfahren, als ich §. 40 u. f. im ersten Theile
angegeben habe. Sind die Krankheits - Symptome auf jene dort
besprochene Art beseitigt, so findet der Arzt leicht selbst, ob
zur Beseitigung des Ausschlags selbst ihm noch etwas zu thun
übrig bleibt, oder ob er die Heilung desselben vollends der Na-
tur überlassen kann. — Hält das empfindliche Prickeln und Ste-
chen noch an, so sind einige Gaben Sulphur oft hinreichend,



54 Psoriasis. Schuppige Flechte, Schuppengrind.

den Ausschlag vollends zu beseitigen. In schon hartnäckige-
ren Fällen, wo die Eruption mehrmals wiederkehrt, reicht er
allein nicht aus, sondern es bedarf noch der Anwendung
von Conium, Carbo negetabilis , Ammonium carbon., Arsenic,
Sirontian, Acidum phosphor. — dieses ganz vorzüglich, wenn
die Blüthchen truppweis beisammen stehen — Calcarea carb.,
Agaricus muscarius, Staphysag. u. s. w.

Die übrigen Lichen-Arten, als : L. pilaris (Haarflug), L. cir-
cumscripta (umschriebene Schwindknötchen), L. agrius (feurige
Schwindknötchen) etc. erfordern keine andere Behandlung, als
die eben angegebene.

§. 30.

Diesen Ausschlagsformen schliesst sich die:

Psoriasis. Schuppige Flechte, Schuppengrind

an. Bei der P. simplex entstehen zuerst kleine Flecken vom
Umfange einer Linse, die eine schmutzigrothe, in's Bräunliche zie-
hende Farbe haben, über der Haut erhaben sind und sich derb
und fest anfühlen. Auf diesen Flecken bilden sich kleine Bläs-
chen , wie Stecknadelknöpfchen , die sehr bald platzen ; ihr In-
halt verwandelt sich in eine aus mehren Lamellen bestehende
Kruste — in eine Art von Schuppengrind, Rings um diesen
letzteren setzen sich neue Bläschen an, die ebenfalls platzen und
neue Schorfe bilden, so dass oft schon nach 14 Tagen der an-
fangs kleine Fleck die Grösse einer Hand und darüber hat. Ge-
wöhnlich geht die Affection von der Brust oder dem Rücken aus.
Vernachlässigt, verbreitet sich dieser Ausschlag über den ganzen
Körper mit Ausnahme der behaarten Theile. Er kommt in den
Blüthenjahren am häufigsten vor.

Die P. inveterata (veralteter Schuppengrind),
auch abdominalis (weil sie meistens mit Abdominal-, nament-
lich Pfortaderleiden gepaart ist), ist wohl die übelste Gattung.
Sie kommt nur bei bejahrten Individuen vor, die an Gicht oder
Hämorrhoiden leiden. Setzen sich derartige Subjecte einer Ver-
kältung oder Durchnässung aus, so bekommen sie ähnliche, rasch
um sich greifende Flecken, die sich mit Borken bedecken, und
von tiefen Furchen durchzogen werden, in welchen Eiter fliesst;



Psoriasis. Schuppige Flechte, Schuppengrind. 55

zuweilen erscheint dieses Leiden auch an Handtellern und Fuss-
sohlen, und hier klaffen die Furchen nicht selten einige Linien
weit auseinander und verursachen das heftigste Spannen und Bren-
nen, was Schlaflosigkeit mit sich führt und dadnrch und durch
den Säfteverlust sehr entkräftet.

§. 31.

Behandlung der verschiedenen Psoriasis-Arten. Ein Mit-
tel, das ich als eins der vorzüglichsten, besonders in der P.
simplex, kennen gelernt habe, ist Conium, namentlich, wenn der
Ausschlag nicht mehr im Entstehen, sondern schon zu Schuppen
und Schorfen sich gebildet hatte, mit viel stechendem Jucken,
und schon weit über den Körper verbreitet war. — Ihm zunächst
steht Sulphur, und zwar mehr zu Anfange des Ausschlags, bei
den ihm eigenthümlichen Empfindungen. — Diesem reihet sich
Dulcamara, Acid. phosphor., Phosphor selbst, Kali nitricum, Acid.
nitri und Clematis, auch wohl Psorin und Mercur an.

In P. inveterata ist zuerst Sulphur in einigen Gaben unerläss-
lich, schon darum, weil er fast specifisch den erregenden und be-
gleitenden Beschwerden entspricht. Sind diese letzteren sehr
hervorstechend, so ist sein Fortgebrauch längere Zeit unerläss-
lich, ehe man zu dem zunächst passenden Mittel übergeht. Es
lässt sich freilich der Zeitpunkt nicht genau vorschreiben, wann
gewechselt werden muss, sondern der Arzt muss ihn selbst fin-
den. — Das zunächst passende Mittel dürfte in den meisten Fäl-
len Lycopodium sein, besonders wenn die Borken mit tiefen Eiter-
furchen durchzogen sind und heftig schmerzen. War die Wahl
nicht ganz passend, verschlimmert sich der Ausschlag zusehends,
wird er mehr jauchend, so hilft Sepia schnell diesem Uebelstande
ab. — Ausser den genannten sind wohl noch Mercur und Acidum
nitri die indizirtesten Arzneien, namentlich wenn der Ausschlag
noch auf syphilitischem und merkuriell- syphilitischem Boden ba-
sirt ist. — Die natürlichen Schwefelbäder und Schwefel wasser
sind in derartigen Ausschlägen gewiss sehr zweckdienliche Heil-
mittel.

Gegen die oft empfindlich brennend - schmerzenden tiefen
Hautschrunden an Händen und Füssen, insbesondere an den
Rändern der Finger und Zehen, fand ich fast stets Hepar sidphu-



56 Herpes. Gewöhnliche Flechte.

ris c. hülfreich; wo diess Mittel nicht ausreichte, Sassaparilla,
und war auch diess noch unzulänglich, Arsenic. — Wo das Uebel
bei Bäckern und solchen Personen erscheint, die in trocknen und
staubigen Substanzen arbeiten, sind Silicea und Graphit die vor-
züglichsten Mittel, denen ich aber auch noch Aurum anreihe.

Gegen die Schrunden an den Lippen, wie wir sie in
den Kinderjahren häufig beobachten, finden wir passende Heil-
mittel an: Pulsatitta, Mezereum, Acid. phosphoricum, Zincum, Ar-
nica, Ignat, Mercur, Natr. muriat. — Bei Schrunden an den
Brustwarzen: Sulphur, Graphit.

Bei Schorfen um die Augen sind: Mercur., Sepia, Phos-
phor, Jod., Lyoopod., Natr. mur., Staphysagr. u. e. a. empfeh-
lenswerthe Arzneien.

i 32.

Herpes. Gewöhnliche Flechte.

Eine vesikulöse, in keiner ihrer Formen ansteckende Aus-
schlagskrankheit, die in den meisten Fällen einen regelmässigen
Verlauf der Zunahme, Reife und Abnahme hat und ohngefähr in
10, 12, 14 Tagen endigt. — Zuweilen, bei bedeutender Eruption,
sind grosse Störungen im Allgemeinbefinden bemerkbar, es zeigt
sich Gefühl von Hitze und Prickeln, manchmal von heftigem, tief-
sitzendem Schmerz der affizirten Theile begleitet. Die anfangs
klare und farblose Lymphe in den Bläschen trübt sich allmälig
und verdickt sich bisweilen zu Borken, TJisweilen aber ergiesst
sie sich in bedeutender Menge, woraus langwierige Ulcerationen
entstehen. Die Schriftsteller nehmen verschiedene Formen die-
ser Ausschlagskrankheiten an, deren erste, nach Bateman,

§. 33.

Herpes phlyctaenodes, Blasen flechte,

ist, deren Ausbruch gewöhnlich einige Tage ein leichter Fieber-
anfall vorangeht, wonach kleine, durchsichtige, bald mit farblo-
ser, bald mit bräunlicher Lymphe gefärbte Bläschen in unregel-
mässigen Gruppen erscheinen, neben welchen einige Tage nach-
her neue Gruppen hervorbrechen. Sehr verschieden ist die Stelle,
wo die Bläschen erscheinen, gewiss aber ist, dass sie selten in
mehr als zwei oder drei Gruppen auftreten. Die Flüssigkeit in



Herpes circinnatus. Ringflechte, kreisförmige Flechte. 57

den Bläschen trübt sich bald , und etwa am vierten Tage wird
die Entzündung um dieselben intensiver; sie brechen auf, ent-
leeren sich und bedecken sich dann mit gelblichen Borken, die
nach etwa 8 — 10 Tagen abfallen und eine geröthete und reizbare
Oberfläche hinterlassen, die nur langsam ihr gesundes Ansehen
wieder erlangt. Der Ausschlag schleppt sich an 14 Tage, da
immer neue Eruptionen erscheinen. Er verursacht viel Bren-
nen, Jucken und Stechen, namentlich bei äusserer und in der
Bettwärme.

Behandlung dieser Ausschlagsform. Sie tritt nie ohne
Erregung des ganzen Organismus auf und das Fieber trägt fast
stets den Charakter des Erethismus , ist wohl auch selten ohne
Mitleidenheit der Reproductions - Organe. Hieraus ergiebt sich
die Notwendigkeit, diesen Prodromen entsprechende Mittel ent-
gegenzusetzen, um den nachfolgenden Krankheits-Zustand zu mil-
dern oder ihn sogar zu coupiren. Der Leser findet unter den
ersten Fieber -Zuständen im ersten Theile dieser Therapie leicht
die hier angezeigten Mittel. Dessenungeachtet scheint mir die
Bemerkung nicht unnütz , das mir besonders immer Mercur und
Belladonna als die vorzüglichsten Mittel erschienen sind, nament-
lich wenn irgendwo schon ein Hautreiz sich zu zeigen begann.
Oft fand ich unter diesen beiden Mitteln aber auch ohne letzte-
ren das passende heraus, wenn die Vorläufer jene schon oft an-
geführten charakteristischen Eigenthümlichkeiten darboten, die
bestimmt das eine oder das andere zu ihrer Anwendung erfordern.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #5 on: April 30, 2013, 09:32:52 PM »

Tritt der Ausschlag dennoch hervor, artet er sich, wie vor-
hin beschrieben, dann sind, ausser den beiden schon genannten
Arzneien (denen ich namentlich das Calomel einschalte, in erster
Verreibung, wenn die Lymphgefässe wie entzündete Stränge von
der Eruptionsstelle auslaufen), besonders folgende beachtenswerth:
Natrum muriat., (nach Hahnemann's eigner Versicherung das
Hauptmittel, was dnrch Stapf 's Beobachtungen bestätigt wird),
Ammonium murial., Mezereum, Clematis, Cantharides, Hepar
sulphur., Ranuncul. bulbos., Phosphor., Arsen.

§. 34.

Herpes circinnatus. Ringflechte, kreisförmige Flechte.
Diese Flechte erscheint in kleinen kreisförmigen Flecken, an



58 Herpes praeputialis, Vorhautflechte, s. Pseudosyphilis.

deren Rande in einer Reihe, oft kranzförmig aneinander schliessend,
kleine, mehr rundliche, auf einer massig gerötheten Basis sitzende
Bläschen hervorbrechen, deren Inhalt anfangs mehr hell ist, bald
strohgelb wird. In etwa 3 — 4 Tagen platzen die Bläschen und bil-
den dunkelgelbe, in's Bräunliche fallende Borkengrinde, um welche
nicht selten ein neuer Blasenkreis aufschiesst, der denselben Verlauf
macht u. s. w. , so dass sich in der Mitte eine Art Insel bildet,
wo die Haut rauh, rissig, dunkelroth wird und sich exfoliirt. —
Innere Störung ist selten damit verbunden, wohl aber ein unan-
genehmes Jucken und Brennen. — Diese Form beobachtet man
häufig bei Kindern, sie dauert gewöhnlich den ganzen Sommer und
verschwindet mit dem Winter, kehrt aber mit der bessern Jah-
reszeit zurück.

Ueber die Behandlung dieser Form weiss ich nicht viel
zu sagen; öfters heilte sie von selbst, wurde oft von den Ange-
hörigen gar nicht beachtet und der Ausschlag war verschwunden,
ehe etwas dagegen gethan war, besonders wo blos eine Bläschen-
bildung stattfand, wo dann mit 8 — 10 Tagen die ganze Krank-
heit abgethan ist. Wo hingegen immer neue Nachschübe kom-
men, die Krankheit die ganze Sommerszeit sich hinzieht, da-
durch immer hartnäckiger wird und für das nächste Jahr wieder
neues Auftreten in Aussicht stellt, da wird das ärztliche Eingrei-
fen erforderlich. Meistens gelang mir die Heilung und auch
Verhütung für nächstes Jahr durch mehre Gaben Sulphur, dem
ich zum Schluss der Cur einige Gaben Sepia in immer längeren
Zwischenräumen folgen liess, wenn nämlich so lange die Cur von
den Angehörigen für nöthig erachtet wurde.

Dieser Form sehr ähnlich ist Herpes labialis (Lippen-
flechte), die keiner besondern Behandlung bedarf, da sie mei-
stens in wenigen Tagen von selbst verschwindet.

§. 35.

Herpes praeputialis, Vorhautflechte, s. Pseudosyphilis.

Der Kranke bemerkt anfangs ein Brennen und Jucken am
Präputium, wo sich bald ein oder mehrere Flecken zeigen, auf
denen eine Anzahl kleiner, sehr durchsichtiger Bläschen dicht
zusammenstehen, die sich binnen 24 — 30 Stunden vergrössern,
wornach die Flüssigkeit in denselben trübe und milchig wird ; am



Herpes praeputialis. Vorhautflechte. 59

dritten Tage confluiren dieselben und sehen dann fast pustulös aus.
Auf der innern feuchten Fläche des Präputiums brechen sie mei-
stens am vierten oder fünften Tage auf, gewöhnlich durch Rei-
ben der Kranken, und bilden kleine Ulcerationen. Sie sitzen auf
einem dunkler gerötheten Fleck, der etwas über das Niveau der
umliegenden Haut erhaben ist. Nach dem Aufplatzen sieht man
eine Excoriation, die beständig fort eine jauchige Flüssigkeit ab-
sondert , während auch die umliegende Schleimhaut einen gelb-
lichen, übelriechenden, tripperähnlichen Schleim (Balanorrhöe)
ausscheidet, wodurch leicht Phimose, selbst Paraphimose herbei-
geführt wird.

Schanker unterscheidet sich dadurch von dieser Form des
Herpes, dass immer nur ein Bläschen aufschiesst, das grösser
(stecknadelkopfgross), fester und derber ist, nicht die rothen,
erhabenen Parthieen mit den kleinen, unscheinbaren, schnell pla-
tzenden Bläschen. Der Schanker ist nicht erhaben über die um-
liegende Haut, bildet sich auch nicht so schnell aus. Nur schwie-
rig wird der Unterschied, wenn der Schanker besonders äusser-
lich mit Quecksilber behandelt wurde. — Die Krankheit kommt
bei Männern mit langer Vorhaut vor, die früher an Herpes
oder Scabies gelitten haben , und bei denen sich die unter
der Vorhaut eigenthümliche Schmiere in zu grosser Menge an-
sammelt.

Die Behandlung anlangend, so ist Reinlichkeit hier das
erste Erforderniss, das Patient in Obacht zu nehmen hat. Daher
bei äusserem Herpes Schutz gegen fortwährendes Frottiren der
Leibwäsche durch Umwickeln eines mit Altheasalbe leicht bestri-
chenen Läppchens ; bei innerem öfteres Einspritzen mit lauer
Milch oder Althea- Abkochung und jedesmaliges sorgfältiges Rei-
nigen nach Urinlassen. — Das vorzüglichste Mittel bei dem stär-
keren Grade dieser Flechte auf der Inseite des Präputiums ist,
nach meinen Erfahrungen, Mercur. praecipit. ruber in der 2 — 3ten
Verreibung früh und Abends, dem man Acidum nitri folgen lässt,
wenn ersterer nicht schon nach 3 Tagen das Uebel'zu beseitigen
vermochte und argen Juckreiz verursachte. Wo das Leiden mehr
um das Bändchen herum sich concentrirte, ist Acid. phosphoric.
vorzüglicher; wo es auf der Aussenseite seinen Sitz hat, em-
pfiehlt sich Hepar sulphur., Silicea oder Sepia, vorzüglich aber



60 Impetigo. Eiterflechte.

Petroleum, insbesondere wenn anhaltende Durchfälle das Uebel
begleiten.

§. 36.

Wir übergehen die Ecthyma (Schmutzflechte) oder
Rhypia (unter welchem Namen sie von Schön lein angegeben
ist), da sie gegen die vorige Art keine sonderlichen Eigenthüm-
lichkeiten darbietet, ausser dass der Ausschlag bei jener auf ei-
nem hellrothen Grunde, bei dieser auf einem schmutzig -rothen
Grunde sitzt, in Bezug auf ärztliche Behandlung aber gar keinen
Unterschied macht, und wenden uns zu dem

Impetigo. Eiterflechte, feuchter oder nässender Grind.

Der Ausschlag wird von keinem Fieber begleitet; er besitzt
auch keine Contagiosität; der Grund, auf dem er sitzt, ist mehr
hellroth, öfters in's Violette und Purpurrothe sich ziehend. Auf
diesem Grunde bilden sich gruppenweise kleine, an der Basis
nicht ganz kreisrunde, mehr zugespitzte, wenig über die Haut
erhabene, mit Eiter gefüllte Bläschen, die platzen und eine Grind-
borke bilden. Man unterscheidet mehrere Arten, die wir darum
genauer bezeichnen , weil sie in therapeutischer Beziehung eini-
gen wesentlichen Unterschied erleiden.

§. 37.

Impetigo figurata. Der geformtetffeuchte Grind.

Diesem schliesst sich Impetigo sparsa (zerstreute
feuchte Grind) an, dem ich keinen besondern Paragraphen
widme, da er keinen besondern Unterschied mit dem eben zu
besprechenden darbietet.

I. figurata zeigt sich in umschriebenen Flecken von ver-
schiedener Form, welche an den obern Extremitäten meistens klein
und rund, an den untern aber gross, oval und unregelmässig
sind. Grund dunkelroth, purpurfarbig; auf ihm zahlreiche gelb
gefärbte Pusteln, die nach wenigen Tagen platzen, worauf die
befallene Stelle sehr gespannt erscheint und eine Menge, den
einzelnen Bläschen entsprechende Löcher zeigt, aus welchen eine
ätzende Jauche ausfliesst, die die umliegenden Theile corrodirt,
viel Jucken, Hitze und Schmerz verursacht und später zu einem



Impetigo figurata. Der geformte feuchte Grind. 61

gelben oder schmutzig-grün gefärbten Grinde gerinnt. Heilt die
Stelle, so geht die Heilung von der Mitte aus, die Grinde fallen
dann innerhalb drei bis vier Wochen ab und hinterlassen eine
rauhe, etwas verdickte und spröde Oberfläche, welche aufzupla-
tzen und sich abermals zu excoriiren geneigt ist, so dass da-
durch die Krankheit sich oft auf mehre Monate hinauszieht. Häu-
fig verschwindet die Krankheit im Winter und kehrt im Frühjahr
wieder ; am häufigsten kommt sie bei Bäckern und Müllern vor,
insbesondere an den obern, vordem Extremitäten, an den untern
fast nur bei alten Leuten, wo sie dann mit Digestionsfehlern zu-
sammenhängt.

Heilung dieser Ausschlagsform. Gewiss eins der ausge-
zeichnetsten Mittel ist hier der Schwefel; er entspricht allen
Anforderungen, die an ihn nur zu machen sind, besonders wenn
er mit der gehörigen Umsicht, d. h. in nicht zu übereilter, aber
auch nicht zu sparsamer Gabe angewendet wird. Selbst lebhafte
Entzündung des Grundes giebt keine Gegenanzeige, und der ju-
ckende Brennschmerz fordert eher noch zu seiner Anwendung
auf. — Ihm sehr nahe steht hier der Graphit, und diese Aus-
schlagsform scheint unter den vielen chronischen sein eigentli-
cher Wirkungskreis zu sein. — Nur wo der Grund der Eruption
sehr entzündet erscheint, hochroth, und mit einem empfindlichen
spannenden Schmerze verbunden ist, da wird es vorsichtig ge-
handelt sein, dieser Empfindlichkeit durch eine oder ein Paar Ga-
ben Belladonna zu begegnen und so den nachfolgenden Mitteln
den Weg zu bahnen. — Ist diese Entzündung aber mit bedeu-
tender Eiterung unter den Borken und jückend-stechendem, sehr
empfindlichem Schmerz verbunden, hat der Ausschlag immer Nei-
gung, sich nach aussen, also in die Breite, zu vergrössern, so
verdient Mercur den Vorrang vor jener. — I. bei alten Leuten
an den Füssen nimmt leicht einen faulichten Charakter an und
erregt an seinem Umfange Brennschmerz ; diesem entspricht am
meisten Acidum muriat. in wiederholten Gaben. — Wo viel cor-
rodirende Feuchtigkeit abgesondert wird, ist besonders auf Mer-
cur, Conium und Carbo vegetabilis Rücksicht zu nehmen. —
Ganz ausgezeichnet in dieser Form ist auch Sepia, wenn der Aus-
schlag sehr nässt, juckt, brennt; sie bessert hier ganz bestimmt.
— Sind noch Nebensymptome damit verbunden, dann kann leicht



62 Impetigo rodens. Fressender, feuchter Grind.

noch ein anderes Mittel zur Heilung sich herausstellen, ja dann
kann es sich treffen, dass sogar Chamom., Pulsat., Rhus, Viola
tricolor, Coloquinte oder auch Asa, Silicea, Arsenic, Calcar.
carb., Acid. nitri indizirt sind. — Aeusserlich: Reinhalten der
Stellen, Bestreichen mit etwas fetter Milch oder etwas Oel.

§. 38.

Impetigo rodens. Pressender, feuchter Grind.

Eine nicht gar zu häufig vorkommende, aber hartnäckige Aus-
schlagsform, die oft mit krebsartigen, syphilitischen Geschwüren
verwechselt wird. Ihr Hauptsitz ist an der Nase, wo die Nasen-
flügel mit der Wangenhaut zusammenstossen. Hier entsteht unter
heftigem Brennen ein dunkler Fleck, auf dem mehr spitzige, Ei-
ter enthaltende Pusteln aufschiessen, die bald platzen und einen
dicken grünen, oder bräunlichen Grind bilden, unter dem die
Zerstörung der Weichtheile fortdauert. Nicht nur die Hautdecke
und die unterliegenden Muskeln, auch die Knorpel werden zer-
stört (Knochen niemals), und so enorme Deformitäten erzeugt,
die nie wieder verschwinden. Die untenliegende Haut ist sehr
gespannt, die Epidermis spröde, einreissend, sich abschuppend.
Die Krankheit kommt bei Frauen vor der Pubertät und in der
Involutionsperiode vor, und hängt mit Störungen in der Menstrua-
tion zusammen. Zuweilen entwickelt sie sich auch an den Brü-
sten. Nicht selten wird aber auch das jnännliche Geschlecht in
dem besten Mannesalter von ihr befallen, ohne dass eine syphi-
litische Dyskrasie nachzuweisen wäre.

Zur Heilung dieser Flechtenkrankheit bedarf es mehrer
Mittel, unter denen das meiste mir immer noch Staphysagria,
in wiederholten Gaben, geleistet hat, obschon Phosphor, Sepia,
Mezerewm nicht ganz nutzlos dagegen angewandt wurden, doch
aber das nicht nützten, was sich, nach den Symptomen, von ih-
nen hätte erwarten lassen. Bei einem später vorkommenden Falle
glaube ich die Heilung schneller durch Kali hydrojod. in refracta
dosi erzielt zu haben und noch später gelang es mir noch schnel-
ler durch Staphysagria, neben der Anwendung der Dampfbäder,
die ich einen Tag um den andern brauchen liess. — Bei Frauen
hat die eigenthümliche Störung der Menstruation grossen Ein-
fluss auf die Wahl der Mittel.



Sycosis. Feigenmahl, Feigenausschlag. 63

§. 39.

Sycosis. Feigenmahl, Feigenausschlag.

Dieser Ausschlag gehört der Familie „Porrigo" an; der all-
gemeine Charakter ist: entzündete, dimkelrothe, truppenweis
stehende, oft zusammenfliessende, fleischige Knötchen (Tuber-
keln) bildend, die am Bart und Haarrande des Kopfs erscheinen
und zum Theil eine jauchige Absonderung entleeren. Die Schrift-
steller nehmen zwei Formen an, die Sycosis menti und ca-
pillicii, die aber keinen Unterschied in der Therapie bedingen.

Bei S. menti schiessen unregelmässige, kreisförmige Grup-
pen von Knötchen auf, von der Grösse einer Erbse, hellroth, mehr
conisch, die hart und sehr schmerzhaft sind. Nach 8 — 10 Tagen
zeigt sich an der Spitze der meisten Knötchen ein Eiterpunkt,
der wenige Tage hernach berstet und eine Borke bildet, wodurch
die Barthaare an einander kleben und das Rasiren unmöglich ma-
chen. Die Krankheit beginnt gewöhnlich an der Unterlippe und
dem Kinn und verbreitet sich von da gegen Hals und Ohren.

Bei der S. capillicii stehen die Knötchen ebenfalls kreis-
förmig, sind aber weicher und zugespitzter als bei der vorigen Art
und gehen schneller und tiefer in Eiterung über; sie confluiren
und bilden eine höckrige, ulcerirte Oberfläche, welche mit dem
innern Mark einer Feige Aehnlichkeit hat, wobei eine Flüssig-
keit aussickert, die einen widrigen, ranzigen Geruch verbreitet.
Diese Form kommt gewöhnlich erst an der behaarten Grenze des
Hinterhauptes vor und zieht sich von da , oft kreisförmig der
behaarten Grenze des Kopfes folgend, gegen Schläfe und Ohren
hin; oft geht sie auch in die behaarten Theile selbst hinein, das
äussere Ohr schwillt dann an , röthet sich , bedeckt sich mit ähn-
lichen Eruptionen und nicht selten entsteht sogar Blennorrhoe des
Ohres. — Beide Arten finden sich häufiger bei Männern in den
Blüthenjahren und sind nicht selten mit Störungen in den Abdo-
minalorganen verbunden.

§. 40.

Behandlung dieser Ausschlagsformen. Im Allgemeinen
verdienen folgende Mittel als die empfehlenswerthesten genannt
zu werden: Arsenic, Ledum, Staphysagria , Thuja, Spigelia,



64 Sycosis. Feigenmahl , Feigenausschlag.

Hepar sulphur., Silicea, Sulphur, Ammonium muriat., Magnesia
muriat. , Graphit , Carbo animal. , Cicuta , Conium , Oleander etc.
Unter allen hat mir doch keins in letzterer Form grössere
Dienste geleistet, als Arsenic, und zwar in der heftigsten Art,
wo der Ausschlag am Hinterkopfe sich tief in den behaarten Theil
hineingezogen und fast eine Art Weichselzopf gebildet hatte; der
Geruch war penetrant moltrig und die Läusebildung und das da-
mit verbundene Jucken und Fressen unerträglich; Nachts weckte
der beissende brennende Schmerz das 15jährige Mädchen ge-
wöhnlich 12 Uhr aus dem Schlafe und hielt es mehre Stunden
wach. Ich habe seitdem mehre derartige Fälle in Behandlung
gehabt und stets die Kraft des Arsenic erprobt gefunden. — Le-
dum ist ebenfalls ein schönes Mittel bei diesem Exanthem, je-
doch nur, wenn die Knötchen die beharrte Grenze an der Stirn
besetzt haben, wie diess so häufig bei Säufern wahrzunehmen
ist. — Diesem zunächst steht Conium, wenn die Knötchen bis
zu einer nicht unbedeutenden Grösse wachsen und bei Berührung
sehr schmerzen. — Auch Hepar sulphur. ist eine nicht unbe-
deutende Arznei in beiden Ausschlagsformen, wobei das Exan-
them blos bei Berührung wie wund schmerzt. — Bei der erstem
Form sind, ausser den schon genannten, besonders noch Thuja,
Sulphur, Carbo, Oleander zu beachten.



Die Bearbeitung dieser chronischen Hautausschläge mag blos
als ein Versuch therapeutischer Andeutungen angesehen werden,
da ich selbst zu gut fühle, wie unbeholfen ich mich, aus Man-
gel vieler Erfahrungen theils, theils aus früherer Unkenntniss
der so speciell bezeichneten Exantheme, (die mir erst seit we-
nigen Jahren klarer vor Augen stehen und mich richtiger ver-
gleichen lassen, was allerdings bei dem, die Hautausschläge be-
treffenden, Symptomen -Verzeichnisse unserer Materia medica so
überaus schwierig ist) benommen habe. Nehme der Leser daher
das Wenige mit Nachsicht auf, und überzeuge sich, dass mir die-
ses Wenige (wie es beim Lesen zwar nicht den Anschein haben
wird) dennoch Mühe genug verursachte; benutze er es zu sei-
nem eigenen und Anderer Frommen, so wird später dieses stief-
mütterlich bearbeitete Capitel doch auch noch reichhaltiger aus-



Scrophulosis und Tuberculosis. 65

fallen und mit der Zeit anderen bekannteren Krankheitsformen
in therapeutischer Beziehung nicht nachstehen.



Zehnte Ordnung.
§. 41.

Scrophulosis und Tuberculosis.

Nach den neuesten Ansichten und Erfahrungen ist es jetzt
gewagt, von Skropheln und Skrophelkrankheit zu. sprechen, da
sie mit Tuberkeln für identisch angesehen werden und ein eigen-
thümliches local abgelagertes Krankheitsproduct bilden, das sich
auszeichnet durch Reichthum von Eiwejss - und Käsestoff in seiner
chemischen Zusammensetzung und durch Bildung von sehr unvoll-
kommenen Zellen, welche zu raschem Zerfallen geneigt sind.

Es ist uns diese neuere Forschung nicht fremd geblieben
und darum nehmen wir an, dass auch die Leser den Fortschrit-
ten in der Wissenschaft ebenfalls gefolgt sind und sich mit ih-
nen vertraut gemacht haben. Deshalb nun, dass durch diese For-
schungen die Identität der Skropheln mit den Tuberkeln nachge-
wiesen worden ist: ist doch nicht zugleich ihre veränderte Natur
und ein anderes dadurch bedingtes Heilverfahren dagegen erwie-
sen. Ich glaube daher hier ohne Vorwurf dem angenommenen
Sprachgebrauche folgen zu dürfen und in dieser neuen Auflage
auch den Skropheln, oder besser der Skrophelkrank-
heit — um sie nicht unter den erstem Namen als örtliches
Product zu betrachten — ihren Platz zu gönnen und therapeu-
tische Regeln dagegen vorzuschlagen, unbekümmert, was der
Leser für sich daraus machen will.

§. 42.

A) Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

Es ist diess eine weit und viel umfassende Krankheitsform,
deren Grenzen bald zu weit, bald wieder zu eng gesteckt wur-
den. Der Krankheitsprocess dieser Krankheit giebt sich im Le-
ben durch folgende Merkmale zu erkennen:

a) Die Skrophelanlage (Dispositio scrophulosa), im kind-
II. 5



66 Scrophulosis. Scrophelkrankheit.

liehen Alter durch folgende Zeichen bemerkbar: die Abkunft von
skrophulösen Eltern, wo der erbliche Uebergang so gewiss ist,
dass man jederzeit auf Skrophelanlage bei den Kindern schlies-
sen kann; ein ungewöhnlich grosser Kopf, besonders im Hinter-
haupt, kurzer, dicker Hals, eingedrückte Schläfe, breite Kinn-
backen, Aufgedunsenheit des Gesichts, besonders die Oberlippe
und Nase öfters geschwollen (ein Hauptzeichen), blonde Haare,
schöne weisse Haut mit rothen Wangen, mehrentheils blaue
Augen und grosse Pupillen, der ganze Körper voll und wohl ge-
nährt, aber das Fleisch nicht derb, sondern schlaff, welk und
schwammig anzufühlen, der Unterleib stark und aufgetriebener,
als gewöhnlich, öfteres Nasenbluten und beständige Neigung zu
Schleimanhäufungen in den Lungen, Luftröhre, Nase und Darm-
kanale, Würmererzeugung , unregelmässiger Stuhlgang, bald Ver-
stopfung, bald Diarrhöe, lebhafter, frühreifer Geist, dagegen
Zurückbleiben oder Unregelmässigkeit der körperlichen Entwicke-
lungen, z. B. des Zahnens, des Laufens.

b) Die ausgebildete Skrophelkrankheit. Drüsen-
geschwülste und Verhärtungen, als allgemeinste, gewöhnlichste
und sicherste Kennzeichen, zuerst am Halse, unter den Kinnla-
den, im Nacken, dann aber auch an andern drüsigen Theilen des
Körpers, unter den Achseln, in den Weichen, zuletzt überall,
anfangs weich, unschmerzhaft, beweglich, später härter, grös-
ser, empfindlich, sich röthend, in Eiterung übergehend und
Skrophelgeschwüre bildend. Derartige Drüsenknoten entstehen
auch in innern Theilen, hauptsächlich im Mesenterium, in den
Lungen, doch auch in der Leber, Milz, selbst im Gehirn; häufig
finden sich Entzündungen drüsiger Organe, besonders der Augen
(Ophth. scrophulosa); öftere und langwierige Blennorrhöen (Otor-
rhöa, Fluor albus), Hautkrankheiten (Achores, Favus, Tinea) von
mancherlei, besonders herpetischer Form; beständiger aufgetrie-
bener harter Unterleib, lymphatische Geschwülste, Extravasate,
Verhärtungen, Skirrhen, Knochenauf treibungen (Spina ventosa,
Paedarthrocace) und Caries. Hufeland rechnet auch den Kre-
tinismus, als die vollendetste, ausgebildetste und • allgemeinste
Skrophelkrankheit des ganzen Organismus, wo selbst die Seele
der Krankheit unterliegt, hieher. — Bei längerer Dauer der
Krankheit geht sie in Atrophia mesenterica, Tabes scrophulosa,



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 67

Hydrops (besonders Ascites und Hydrocephalus) und Cancer scro-
phulosus, namentlich an den Lippen und im Gesicht über.

i 43.

Ihr Verlauf ist verschieden. Häufig ist sie Kinderkrank-
heit und endigt mit den Jahren der Pubertätsentwickelung. Be-
merkbar wird sie meistens erst im zweiten, dritten Lebensjahre,
und oft durch zufällige Ursachen oder pathologische Reizungen
hervorgerufen, z. E. durch starke Verletzungen, durch das Zah-
nen, hitzige Fieber, besonders exanthematische und kontagiöse,
Pocken, Masern,- Scharlach, selbst die Vaccine. — Bisweilen tritt
sie erst zur Zeit der Pubertät auf, vom 20 — 50sten Lebensjahre.
— Das Frühjahr scheint bedeutenden Einfluss auf die Entwicke-
lung dieser Krankheit zu haben, nicht minder der Mond, beson-
ders im Zunehmen.

Entfernte Ursachen sind: scrophulöse Eltern, so auch
durch Ausschweifungen und Alter sehr geschwächte, desgleichen
syphilitische; ferner schlechte Ernährung im ersten Jahre durch
kränkliche, skrophulöse, oder auch syphilitische Mütter und Am-
men, besonders durch das Aufziehen ohne Muttermilch, durch
künstliches Auffüttern; eben so das Leben in unreiner, einge-
schlossener, animalisirter, feuchter, nasskalter Luft, überhaupt
Unreinlichkeit ; schlechte, zu schwere, nicht ausgegohrene Mehl-
speisen, Kartoffeln, frühzeitiger Genuss des Branntweins, vieles
Sitzen und unterlassene Leibesbewegung der Kinder; zu früh-
zeitige Anstrengung des Geistes; Versäuerung; Wurmanhäufung
in den ersten Wegen, vorhergegangene Krankheiten, wie schon
vorher genannt, u. s. w. (Hufeland.)

Ausgänge sind: in Genesung, aber meistens nur langsam
unter der Form der Lysis, durch ällmäliges Verschwinden der
Klee - und Benzoesäure im Harne. — In theilweise Genesung,
durch rückbleibende Narben vorhanden gewesener Geschwüre,
am Auge durch Leucom, Staphylom, am Knochen durch Krüm-
mung und Veränderung seiner Form bemerkbar. — In eine an-
dere Krankheit: in Phthisen und Hydrops. — In den Tod wohl
nur durch den Uebergang in die eben genannten Krankheiten.

Prognose ist im Allgemeinen nicht ungünstig; folgende
Momente sind bestimmend für sie: erbliche Anlage, ungünstig,

5*



68 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

eben so ausgezeichnet skrophulöser Habitus; die längere Dauer
der Krankheit bedingt eine schwierigere Heilung; Ausbreitung
und Sitz der Affection, je beschränkter die Affection, desto bes-
ser; dagegen sind Skropheln der Chylopoese und der Respira-
tionsorgane ungünstig. Aeussere Verhältnisse zeigen ihren Ein-
fluss nirgends in einem höhern Grade, als gerade hier, darum
ist die Prognose so ungünstig in niedern Ständen. — Ungünstig
ist die Prognose, wenn die Krankheit zur Wasserbildung und
Phthise übergeht.

§. 44.

Therapie der Skrophelkrankheit im Allgemei-
nen. Die Kur ist langwierig und schwer, denn bei keiner ist
Geduld von Seiten des Arztes so nothwendig, als hier, wo Mo-
nate und selbst Jahre erforderlich sind, indem nicht durch Stür-
men , sondern durch ruhig und consequent fortgesetztes Behan-
deln das Ziel erreicht wird. Oft wird es hier nöthig, Pausen
in der Anwendung der Mittel eintreten zu lassen, um die heilsa-
men und wirksamsten wiederum benutzen zu können, was bei ei-
nem gar zu langen Fortgebrauche nicht der Fall ist. Reguli-
rung der Diät bildet die Grundlage mit zum glücklichen Gelingen
der Heilung, darum für's erste: gesunde Nahrung, d. h. näh-
rende, aber leicht verdauliche Kost, nicht zu viel Fleisch mit
Vegetabilien, als Karotten, Pastinackwui^eln etc. Zum Getränk
reines Wasser, leichtes einfaches Bier, auch Eierwasser; ferner
reine, gesunde Luft, am besten Landluft in einer trocknen Ge-
gend, möglichst beständiger Aufenthalt in freier Luft, besonders
aber Lüftung der Schlafstuben; nicht minder Reinlichkeit, öfterer,
täglicher Wechsel der Wäsche, Betttücher, Schlafen auf Matra-
tzen ; Muskularbewegungen , gymnastische Uebungen; tägliches
Abwaschen des ganzen Körpers mit kaltem Wasser und alle zwei
Tage ein laues Bad mit Zusatz von wenig Seife oder Malz.

Das eigentlich therapeutische Verfahren im Allgemeinen hier
anzugeben, würde zu nichts frommen , indem ich nur die Mittel
— und deren giebt es eine unzählige Menge — zu nennen hätte,
die in dieser oder jener Form der Scrophulosis hülfreich gewe-
sen wären, was doch nur als Raumverschwendung sich heraus-
stellen würde. Ich gehe daher hier gleich zur Behandlung



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 69

der Scrophelanlage (Dispositio scrophulosa) über, und be-
merke, dass bei der so eben angegebenen, gehörigen Sorgfalt,
Wartung und Pflege der Kinder, wenn sie durch eine vernünf-
tige ärztliche Handlungsweise unterstützt wird, die Krankheit in
ihrem ersten Entstehen unterdrückt, und selbst allmälig dieser
skrophulöse Habitus beseitigt werden kann. Ein Mittel, das ich
früher stets gegen diese Anlage mit wesentlichem Nutzen ange-
wendet habe, ist Cina. Wenn diess nicht ausreichte, wie diess
freilich nur bei den wenigsten Subjecten der Fall sein konnte,
so gab ich Belladonna in nicht zu niedriger Verdünnung. Hatte
diese ausgewirkt und hinterliess noch einen Krankheitsrest, so
war in manchen Fällen Ferrum acet., in andern China indizirt.
Doch liess ich die Mittel nie so schnell auf einander folgen, son-
dern machte immer eine lange Zwischenpause, bevor ich das
zunächst passende Mittel reichte. In vielen Fällen musste ich
mich auch, ausser den genannten, noch mehrer andern Mittel
bedienen, z. B. des Arsenicum, der Calcarea acetata, des Rheum,
der Nux, Ignatia, Pulsatilla u. s. w., und erreichte auf diese Art
zwar oft, meistens aber langsam, meinen Zweck, musste aber
doch auch zuweilen die Krankheit sich immer mehr ausbilden
sehen, ohne ihr bei diesem Verfahren wesentlichen Einhalt thun
zu können, bis Hahnemann seine grosse Entdeckung über die
eigentliche Natur und die homöopathische Behandlung der chroni-
schen Krankheiten der Welt bekannt machte. Seit dieser Zeit
bin ich in der Heilung dieser eigentümlichen Kinderkrankheit
ungleich glücklicher gewesen, und habe durch vielfache Erfah-
rung die Ueberzeugung erlangt, dass namentlich Tinctura sulphu-
m, vorzüglicher wohl noch der verriebene Schwefel, Calcarea
carbonica, Aurum met. und Magnesia carbonica fast immer die
Hauptmittel gegen diese Dispositio scrophulosa sind und der wei-
teren Ausbildung der Skrophelkrankheit ein Ziel setzen. Diese
Mittel, denen alsdann noch Sepia hinzuzufügen ist, sind auch
dann geeignet, die Krankheit zu beseitigen, wenn jene vorhin
angegebene scrophulöse Anlage, unberücksichtigt und sich selbst
überlassen, sich weiter ausbildete und folgende Erscheinungen
hervorbrachte.

Sehr oft finden wir in diesem Zeiträume der Skrophel-Krank-
heit eine blasse Anschwellung, ja selbst Verhärtung der Ober-



70 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

lippe, deren Heilung nebst der Gesammtkrankheit mir öfters
durch wiederholte Gaben Dulcamara gelang. Einigemal waren
die damit verbundenen Zufälle so geartet, dass Bovist das Heil-
mittel wurde. In den meisten Fällen jedoch wird Silicea den
Vorzug vor den beiden genannten Mitteln verdienen.

Eines Mittels muss ich hier noch Erwähnung thun, das die
homöopathische Materia medica zwar nicht aufzuweisen, das aber
durch den vielseitigen Gebrauch allopathischer und homöopathi-
scher Aerzte einen so grossen Ruf in fast allen Formen dieser
Krankheit erlangt hat, dass es von meiner Seite unverzeihlich
wäre, wollte ich es mit Stillschweigen übergehen, um so mehr,
als es mir selbst schon die grössten und oft die besten Dienste
geleistet hat. Es ist der Leberthran {Oleum jecoris aselli). Mit
dem grössten Nutzen gab ich ihn im Stadium prodromorum oder
der Dispositio scrophulosa, wo ein bestimmtes Leiden, eine auffal-
lende Affection dieses oder jenes Organs sich noch nicht heraus-
stellte, sondern nur ein blasses, leidendes Aussehen, schlaffe,
welke Muskeln, Magerkeit, trotz alles Essens von Butterbrod,
Verschmähen aller Fleisch- und vegetabilischen Kost die sichtba-
ren Beschwerden waren. Ich Hess ihn früh und Abends zu einem
Kinderbreilöffel voll längere Zeit fortnehmen und erreichte fast
immer meinen Zweck. Eben so auch bei scrophulösen Knochen-
leiden; bei den übrigen Beschwerden stellte sich der Nutzen
nicht immer so eclatant heraus.

Die genannten Zufälle werden immffr sichtbarer; die Sym-
ptome und Folgen der unregelmässigen Assimilation und Ernäh-
rung nehmen zu, es findet sich Neigung zu Blähungen, Versto-
pfung oder Abgang von zähen, schleimigen, thonartigen Exkre-
menten, Wurmbeschwerden. Die Entwickelung und Ausbildung
des Körpers ist gestört. Das Zahnen kommt langsam, spät und
unregelmässig zu Stande (gegen dieses beschwerliche Zahnen,
wo der Zahnreiz nie aufhört, fand ich immer Calcarea carbo'n.
vermögend, diesen Krankheitsreiz binnen drei bis vier Tagen voll-
kommen zu beseitigen); die Knochen erlangen später als ge-
wöhnlich die gehörige Festigkeit, und die Muskeln ihre Stärke.
Dagegen werden die Geisteskräfte früher entwickelt, und krank-
haftes Jucken an den Geschlechtstheilen veranlasst häufige Rei-
bungen schon bei zarten Kindern, frühes Erwachen des Ge-



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 71

schlechtstriebes, Onanie und Schleimfluss aus denZeugungstheilen.
Oft schon entwickeln sich sehr frühzeitig chronische Hautausschlä-
ge, wie ich schon an mehreren Orten dieser Therapie gezeigt habe.

§. 45.

Wir betrachteten die Dispositio scrophulosa und deren fort-
schreitende Ausbildung gleichsam als ein Stadium prodromorum
der Skrophelkrankheit, und gehen nun hier zu dem zweiten
Stadium, oder dem der ausgebildeteren Krankheit über.

In dem niedern Grade der Krankheit sehen wir die Skro-
pheln oft blos als ein örtliches Leiden des Lymphdrüsensystems.
Die Lymphgefässe, noch mehr aber die Lymphdrüsen, vorzüglich
am Halse und im Nacken, schwellen an und verhärten sich.

Es sind diess, nach den neueren Ansichten, die eigentlichen
Evolutionsskropheln, Lymphskropheln äusserer Organe, die
bis gegen die Pubertät hin angetroffen werden, wo sich dann,
nach Schön lein, der Bubo crescentium leicht bildet, der in
den Blüthenjahren den acquirirten Skropheln, die keine Neigung
zur Entzündnng, noch weniger zur Suppuration haben, Platz
macht und dann im Alter in die Involutionsskropheln übergeht,
die meistens in der Inguinalgegend ihren Sitz haben und von da
benachbarte drüsige Organe, namentlich Uterus und Prostata, in
Mitleidenheit ziehen und dadurch mancherlei auffallende und be-
schwerliche Störungen verursachen.

Nur allmälig treten die Drüsen in die Höhe, wachsen lang-
sam, und nehmen verschiedene Grade der Grösse, von der einer
Erbse, bis zu der einer Wallnuss und eines Taubeneies an. Spä-
terhin trifft man sie auch in den Achselgruben, den Weichen, an
den Extremitäten, ja, bei genauer Untersuchung des Unterleibes,
im Gekröse, oft in sehr grosser Anzahl, überall verbreitet an.
Nur in wenigen Fällen trifft man eine einzelne angeschwollene
Drüse an, fast immer mehre neben einander, zwischen welchen
die Lymphgefässe ebenfalls verhärten und gleichsam einen mit
Knoten besetzten Bindfaden durch's Gefühl unterscheiden lassen,
die anfangs weich und beweglich, später hart und fest aufsitzend
zu fühlen sind. Solche degenerirte Drüsen und Lymphgefässe
sind meistens unschmerzhaft und verlieren diese Eigentümlich-
keit nur dadurch, dass sie sich entzünden, sich jedoch in diesem



72 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

Zustande langsam ausbilden und daraus entweder in Eiterung oder
in höhere Grade der Verhärtung übergehen.

Hierbei bestehen zugleich die unter dem ersten Stadio ge-
nannten Zufälle in grösserer und geringerer Anzahl und Ausbil-
dung fort. Besonders wird die Digestion auffallend gestört; das
Kind leidet an Säure im Magen und Darmkanale, schlechter Ver-
dauung und daraus hervorgehenden normwidrigen Stuhlausleerun-
gen, und nährt sich schlecht.

%• 46.

Hier sind ebenfalls die in dem Paragraph gegen scrophulöse
Disposition angegebenen Mittel indizirt, doch sind in diesem
Stadio auch noch einige Heilmittel namhaft zu machen, die be-
sonders specifisch auf das Drüsenleiden einwirken. Vorerst ist
es Rhus ioxicodendron , das dann immer den Vorzug vor allen
andern Mitteln verdient, wenn eine Drüse am Halse, im Nacken
oder am Unterkiefer, vorzüglich entzündet, geschwollen und stein-
hart ist, während die andern in der Nähe gelegenen weniger
fühlbar sind. Durch dieses Mittel verliert sich oft schon in den
ersten Tagen alle Entzündungsröthe, die Drüse wird weicher,
und in einigen Wochen ist sie ganz verschwunden. Merkwür-
dig ist, dass, je mehr diese einzelne Drüse schwindet, die ande-
ren daneben liegenden fühlbarer werden, zu gleicher Zeit aber
mit ihr doch wieder verschwinden. Vor einiger Zeit habe ich
einen ähnlichen Fall gebäht, zu dessen Beseitigung ich blos eine
einzige Gabe Rhus, bei einem Kinde von ziemlich 5 Jahren, nö-
thig hatte, die eine von der Grösse einer Wallnuss steinharte
Drüse binnen 6 Wochen vollkommen beseitigte, die anfangs so
bedeutend entzündet war, dass die Eltern an trockne und feuchte
Umschläge, Einreibungen, ja selbst das Messer dachten, weil die
Drüse durchaus nicht den Anschein hatte, als ob sie sich würde
zertheilen lassen; allein schon 3 Tage nach dem Einnehmen von
Rhus fing die Besserung an, die ohne Unterbrechung bis zum
völligen Verschwinden der Drüse fortging. Abermals -wieder ein
Beweis für Hahnemann's Behauptung: nie ein neues Mittel «u
geben, bevor ein auffallender Stillstand in der Besserung bemerk-
lich ist; auch bestätigt die hier auffallend lange Wirkungsdauer



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 73

von Rhus meine im ersten Bande angegebene Behauptung über
die lange Wirkungskraft der Arzneien überhaupt.

Ihm zunächst steht in verhärteten Halsdrüsen Dulcamara,
namentlich dann, wenn die Entwicklung der Krankheit entweder
durch eine auffallende Erkältung, oder durch den Eintritt einer
nassen feuchten Luft vor sich ging. Doch sind diese Prämissen
nicht allemal zur Anwendung der Dulcamara erforderlich, da sie
eine specifische Heilkraft auf das kranke Lymphdrüsensystem be-
sitzt, und sich vorzüglich immer da hülfreich erwiesen hat, wo
die Nackendrüsen und die damit verbundenen Lymphgefässe gleich
knotigen Strängen, die Drüsen oft von der Grösse eines Tauben-
eies, angeschwollen waren, und Kopf- und andere Ausschläge
damit in Verbindung standen.

Ausgezeichnetes leistet in diesem Stadium Conium maculatum.
Schon bei angeschwollenen Drüsen, sie mögen eine Stelle ein-
genommen haben, welche sie nur immer wollen, ist Conium pas-
send; noch mehr aber dann, wenn die Drüsen hart und doch
auch nicht ganz ohne Empfindung sind und namentlich den Hals
und Nacken eingenommen haben. Als eins der vorzüglichsten
Heilmittel erweist es sich, wenn das Kind vorher viel Mercurial-
und Schwefel-Mittel verschlucken musste (was bei allopathischer
Behandlung gewöhnlich der Fall ist, weil da Mercur und Sulphur
für die Hauptmittel gegen diese Krankheit mit angesehen werden),
die die angeschwollenen Drüsen nicht nur nicht beseitigten, son-
dern eher noch zu der gegenwärtigen, ich möchte sagen, carci-
nomatösen Härte beitrugen. Eben so hülfreich aber ist es auch,
wenn der homöopathische Arzt auf die hier unpassend gegebene
homöopathische Gabe Quecksilber Verschlimmerung der Drüsen-
Leiden entstehen sieht. Uebrigens ist es ein specifisches Mittel
gegen Drüsenleiden, dem Natrum carbonicum zur Zertheilung
von Drüsenverhärtungen nicht nachsteht. Empfehlenswert ist
diese Arznei insbesondere, wenn leicht Verkälten, Schnupfen,
Unsicherheit im Gehen, Stolpern, Ausgleiten, grosse Abmage-
rung, Angegriffenheit und Trägheit, Scheu vor Bewegung, Zu-
sammenfahren und Aufschrecken im Schlafe, starke Nachtschweisse,
harte Knoten am Hinterkopfe neben den angeschwollenen Hais-
und Nackendrüsen gegenwärtig sind.

Nicht minder wichtig ist ferner Spongia marina tosta, die



74 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

ebenfalls, wie allgemein bekannt ist, eine specifische Heilkraft
gegen krankhafte Drüsen besitzt, die wir nicht etwa aus ihrer
heilkräftigen Einwirkung auf den Kropf, diese krankhafte Bildung
der Schilddrüse, schliessen, sondern aus der Erfahrung geschöpft
haben, die uns beweist, dass Spongia nicht blos Halsdrüsen-Ge-
schwülste, die spannend, bei Berührung schmerzhaft sind und die
Bewegung des Halses hindern, sondern sogar schmerzhafte Ho-
den- und Samenstrang- Anschwellungen skrophulöser Knaben zu
heilen im Stande ist, vorzüglich wenn zugleich auch ein weicher
durchfälliger Stuhl damit in Verbindung steht.

Von Baryta carbonica habe ich ebenfalls gute Wirkungen in
schmerzhaften Drüsen-Anschwellungen und Verhärtungen am Un-
terkiefer skrophulöser Subjecte gesehen, wie ich schon in dem
Paragraphen über die Behandlung der Tinea capitis mit erwähnte.

Unentbehrlich ist Aurum foliatum ebenfalls in derartigen
schmerzhaften Unterkieferdrüsen - Anschwellungen, wenn diese
Schmerzhaftigkeit erst während der allopathischen Behandlung
nach Anwendung von Merkur eintrat und ausserdem sich noch
Hautausschläge mancherlei Art und Schwäche des ganzen Kör-
pers entwickelten.

Lycopodium ist namentlich da anwendbar, wo die geschwol-
lenen Drüsen bis an den Kinnladenwinkel sich hinziehen und da-
durch der Bewegung derselben so hinderlich sind, dass sie nur
wenig geöffnet werden kann; der Schmerz in *den Drüsen ist
meistens bohrend.

Ausser den genannten Mitteln verweise ich noch auf die ge-
gen Dispositio scrophulosa und die Vorläufer der Skrophelkrank-
heit empfohlenen, und gehe nun zur Behandlung der weiteren
Stadien dieser Krankheit über.

§. 47.

Die Krankheit verräth sich als eine höhere Form theils durch
die Zunahme des topischen Leidens in den Lymphdrüsen, theils
durch die erhöhete Mitleidenheit des reproductiven Systems, wor-
aus nun sekundäre Krankheits-Zustände hervorgehen.

Die früheren kleinen Skropheldrüsen- vergrössern und ver-
härten sich immer mehr und treten nun deutlicher an den Stelleu
hervor, an denen sie früher noch unbemerkbar waren. Der Un-



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 75

terleib schwillt merklich auf, wird hart und gespannt, die Funk-
tionen der Abdominalorgane, namentlich die des Darmkanals,
bleiben innormal. Es entzünden sich jetzt öfter, als in dem vor-
hergehenden Stadio, einzelne Drüsen, besonders im Unterleibe,
am Halse und an den Extremitäten. Im ersteren Falle bildet
sich leicht eine Mesenteritis , und dann treten die Zeichen der
Entzündung lebhafter auf, die namentlich bei solchen Subjecten
alle jene Ausgänge bilden kann, die ich im ersten Theile bereits
angegeben habe.

In den beiden letzteren Fällen ist die Entzündung zwar nicht
so lebhaft, aber darum nicht minder bedenklich, weil sie mehr
einen schleichenden Charakter annimmt, hier leicht in Eiterung
und bei sehr verdorbenen Säften und grosser Angegriffenheit des
Körpers sogar in Scirrhus übergehen kann. Diese Entzündung
bildet dann die sogenannten skrophulösen Geschwüre, die immer
ihren Sitz in den Lymphdrüsen haben, durch immer weiteres Fort-
schreiten der chronischen Entzündung eine Drüse nach der andern
ergreifen, eine langsame Eiterung bilden, kein gutes Eiter, son-
dern mehr eine dünne, lymphatische, oft scharfe Feuchtigkeit in
grosser Quantität absondern, ein schwammiges, unreines Ansehen
haben, mit angeschwollenen, blassen und harten Rändern verse-
hen sind, sehr schwer heilen, tief eingehen, grosse Zerstörun-
gen der weichen Theile, fistulöse Gänge verursachen, und selbst
den Knochenfrass herbeiführen.

Hierbei erzeugen sich sekundäre Krankheits - Erscheinungen,
als Folge der Mitleidenheit des reproduktiven Systems. Auch
die conglomerirten Drüsen, die Parotiden, die Submaxillar- und
Sublingualdrüsen, die Schilddrüse, das Pancreas, eben so die Le-
ber schwellen auf und verhärten. Daher bisweilen Hindernisse
für die Deglutition, in andern Fällen dyspeptische und icterische
Erscheinungen. Ueberhaupt nehmen diejenigen Organe, welche
sehr lymphatisch sind, auf eine ausgezeichnete Weise an der
Skrophelkrankheit Theil. Nicht selten bilden sich Entzündungen
der Augenhäute und Augenlider, und in deren Folge chronische
Blennorrhöen der Meibom'schen Drüsen, Flecken, Verdunkelungen
und Felle auf den Augen, bisweilen der graue, seltner der schwarze
Staar. Dieses Stadium ist es auch, in welchem fast unaufhör-
lich Katarrhe und Verschleimungen vorkommen und die mannich-



76 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

fachen, vorher abgehandelten, scrophulösen Ausschläge sich hin-
zugesellen.

Natürlich sinkt bei einem solchen Allgemeinleiden die Re-
produktion immer mehr; der Kranke zehrt ab, wird atrophisch,
und bei Manchem tritt ein phthisischer Zustand de*r Lungen hinzu,
an dem er nicht selten zu Grunde geht, weil sich dann gewöhn-
lich ein schleichendes Fieber hinzugesellt , dessen Hinzutritt in
diesem Stadio überhaupt nichts Seltenes ist.

§. 48.

Bevor wir das therapeutische Verfahren dieses Stadiums et-
was näher erörtern, ist nicht zu übersehen, ob der homöopathi-
sche Arzt die Skrophelkrankheit vom Anfange ihres Entstehens
bis zu diesem Stadio behandelte, oder ob er das kranke Sub-
ject erst in diesem Stadio in seine Behandlung nahm. Ist Er-
steres der Fall, so wird er, bei dem Eintritte der mancherlei im
vorigen Paragraphen aufgezählten Beschwerden, wenn sie nicht
gerade zu lästig sind, und er in Hinsicht des gereichten Mittels
seiner Sache gewiss ist, nicht leicht ein anderes Mittel zu ge-
ben nöthig haben, um so weniger, da bei dem Fortschreiten der
Krankheit, trotz der besten und passendsten angewandten Mittel,
ihm keine andere Arznei als eine antipsorische, will er einen
Stillstand in der Krankheit bewirken, zu Gebote steht. Wollte
er sich aber dennoch verleiten lassen, während einer antipsori-
schen Behandlung den eingetretenen krankhaften Beschwerden
Beschwichtigungsmittel entgegen zu setzen, so wird er auf diese
Art eine radikale Heilung nie zu bewirken im Stande sein , da
durch diese letzteren, die bei einer solchen Kur nie intensiv ge-
nug einwirken, die Wirkung der antipsorischen Arzneien immer
gestört, auch wohl aufgehoben wird. (Spätere Erfahrungen ha-
ben mir bewiesen, dass diese letztere Behauptung nicht in allen
Fällen volle Gültigkeit hat, was ich auch in dieser dritten Be-
arbeitung berichtigend anzuzeigen mich für verpflichtet hielt.
Der Arzt wird am besten bei Behandlung einer solchen Krank-
heit darüber urtheilen können und sich, findet er ein nicht anti-
psorisches Mittel nach einem Antipsoricum indizirt, nicht abhal-
ten lassen, ersteres anzwenden, da die Erfahrung noch nicht
bestimmt entschieden hat, ob ein Nichtantipsoricum, passend ge-



Scrophulosis. Skrophelkrankheit. 77

wählt, nicht ebenfalls auch so viel nützen könne, als ein Anti-
psoricum.)

Anders verhält sich die Sache, wenn der homöopathische
Arzt die Behandlung in diesem Stadio übernimmt, wo er sich
zuvörderst erst eine genaue Kenntniss der vorher angewandten
allöopathischen Arzneien verschaffen muss, um zu ergründen, hat
er es blos mit Krankheits- oder auch mit Arznei-Symptomen zu
thun, in welchem letzteren Falle er vorerst durch Gegenmittel
selbige zu beseitigen suchen muss. Erfordern die Entzündungen
der Drüsen eine baldige Abhülfe, so wird er sich, je nach den
verschiedenen Aeusserungen, aller der Mittel bedienen können,
die ich im ersten Bande schon genauer angegeben habe; hat er
es mit einer Mesenteritis zu thun, so wird eine von Zeit zu Zeit
gereichte Gabe Aconitum, als Zwischenmittel der dort genannten
Arzneien, das Fortschreiten der Besserung beschleunigen. Ueber-
haupt muss er hier erst die beschwerlichsten Symptome durch
die früher dagegen gekannten Mittel zu beseitigen suchen, bevor
er die antipsorischen Arzneien in Anwendung bringt; zu diesen
Ersteren gehören: Belladonna, Mercurius, Cocculus, Ferrum,
China, Dulcamara, Bryonia, Hepar sulphuris, Rhus, Pulsatilla,
und in den Fällen, wo die Reproduktion schon sehr in Mitlei-
denheit gezogen ist, Nux, Antimonium crudum, Digitalis und
mehre andere Mittel, über deren Anwendung ich an anderen Or-
ten ausführlicher mich ausgesprochen habe.

Unter den Antipsoricis sind es namentlich wieder Conium,
Baryta und Magnesia carbonica, vorzüglich aber Sulphur, Calca-
rea carbonica, Silicea, Phosphorus, Sepia, Lycopodium.

Hinsichtlich der Behandlung skrophulöser Augenentzündungen
verweise ich auf den ersten Theil und erinnere blos noch, dass
ohne Calcarea carb. und Causticum derartige skrophulöse Leiden
nicht leicht beseitigt werden können, die wechselsweise mit den
a. a. 0. angegebenen Mitteln zu geben sind, je nach den hervor-
stechenden Symptomen.

% 49.

Mit diesem Paragraphen gehen wir nun dem letzten Sta-
dio, dem höchsten Grade der Ausbildung der Skrophelkrankheit
entgegen, wo die bisher aufgezählten Symptome der topischen



78 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

Affection sowohl, als die genannten sekundären Krankheits-Zu-
stände in ihrer vollkommenen Entwickelung vorhanden sind, ja
das sekundäre und allgemeine Leiden des reproduktiven Systems
sogar bis in die Knochen sich erstreckt. Nicht in Folge der
schlechten Ernährung allein, sondern vielmehr in Folge der aus-
gebreiteteren Krankheit werden die Knochen weich und nachgie-
big, und krümmen sich bei der Last des Körpers. Die Kinder
lernen nicht laufen; sie wanken, gehen einwärts, kriechen und
rutschen nur. Die Knochenköpfe fangen an sich zu vergrössern,
aufzuschwellen; die Diaphysen erscheinen dagegen dünn und
schwach; die Beine werden krumm, die Zähne kariös, das Rück-
grat fängt an sich zu krümmen, die Rückenwirbel verschieben
sich, und allerhand Deformitäten sind die Folgen davon. In
andern Fällen werden die Knochen und Gelenke schmerzhaft, sie
treten in einen massigen, aber chronischen Entzündungs-Zustand,
der später zu lymphatischen oder serösen Gelenkgeschwülsten,
zu Anchylosen, und zur Caries hinführen kann. Fast durchge-
hends vergrössert sich zugleich der Kopf. Die Kopfknochen blei-
ben weich, schliessen sich nicht, weichen aus einander, mei-
stens in Folge eines innern Wasserkopfs, der sich hier langsam
ausbildet. Ist die Beschaffenheit der Krankheits-Symptome von der
letzteren Art, so ist der Uebergang der Skrophelkrankheit in
eine andere Form, die Rhachitis, schon geschehen, über die ich
nachher noch einige Worte sprechen wiü.

Die ganze Form des Kindes erhält nun eine unförmliche Ge-
stalt, indem der Kopf und der Bauch, ihrer enormen Grösse we-
gen, in gar keinem Verhältnisse zu den übrigen Theilen des Kör-
pers stehen. Die Stirn und der Hinterkopf ragen hervor, die
Augen liegen tief in der Orbita; die Kinder bekommen ein aus-
gezeichnet nachdenkliches und altkluges Ansehen; das Fleisch
hängt schlaff an den Knochen herab , und alle Sypmtome der
höchsten Muskelschwäche stellen sich ein.

Merkwürdig ist bei dieser krankhaften Körper-Veränderung
das ungeschwächte Fortbestehen der Geisteskräfte, die sogar vor
der Zeit und früher als gewöhnlich sich entwickeln, und mei-
stens bemerken wir bei skrophulösen Kindern mehr Fassungs-
und Beurtheilungskraft, als bei andern gesunden von gleichem



Scrophnlosis. Skrophelkrankheit. 79

Alter; selten werden wir das Gegentheil, Stumpfheit des Geistes
oder Blödsinn wahrnehmen. Wo aber diess letztere der Fall ist,
da ist es wohl immer Folge des innern Wasserkopfs, dem sich
dann Convulsionen, epileptische Anfälle, heftige Kopfschmerzen
und Amaurosen beigesellen.

Nicht unbemerkt darf hier gelassen werden, dass dieses Sta-
dium der Skrophelkrankheit meistens von einem schleichenden
Fieber begleitet wird, das fast durchgängig den Charakter einer
Febris lenta lymphatica, pituitosa, an sich trägt. Dieses Fieber
ist eine remittens, mit abendlichen Exacerbationen, massigem
Frösteln, nicht allzugrosser Hitze, mit Neigung zu starken Schweis-
sen, vorzüglich an Kopf und Oberkörper, mit Symptomen- eines
Status pituitosus, mit schleimigen Durchfällen und grosser Ent-
kräftung.

§. 50.

Will man in diesem Stadio der Krankheit noch etwas aus-
richten, so kann von einer Palliation nicht mehr die Rede sein,
wodurch nur Zeit verschwendet und in Hinsicht der Besserung
nichts gewonnen wird. Weniger ist es hier der Drüsen-Zustand,
auf den der Arzt bei der Behandlung vorzüglich Rücksicht zu
nehmen hat, als vielmehr das Knochenleiden. Ueberhaupt muss
hier besonders, wenn man bei dieser so weit vorgeschrittenen
Krankheit nicht blos Linderung, sondern noch Heilung bezwecken
will, der gesammte Krankheits-Zustand berücksichtigt werden,
und man muss, wo möglich, Mittel wählen, die diesem, wenig-
stens in den charakteristischen Symptomen, entsprechen. Eine
überaus missliche Behandlung wird es in diesem Stadio immer
bleiben, wenn das Knochenleiden schon mancherlei Verunstaltun-
gen erzeugte, und ein hektisches Fieber sich dazu gesellte. In
solchen Fällen gehört es zu den Glücks-Umständen, wenn die
gegebenen, passend gewählten Mittel nicht blos eine vorüber-
gehende, sondern eine dauernde Besserung bewirken, was im-
mer ein gutes Zeichen ist, und sehr viel Wahrscheinlichkeit für
die vollkommene Wiederherstellung des Kranken gewährt, weil
es als ein sicheres Merkmal der noch thätigen, und der Reaction
fähigen Lebenskraft betrachtet werden kann.

Wir kommen nun zu dem eigentlichen therapeutischen Ver-



80 Scrophulosis. Skrophelkrankheit.

fahren, das in diesem Stadio anzuwenden ist. Ganz vorzügliche
Dienste leistet hier Belladonna , wenn sie gleich zu Anfange die-
ses Stadiums gegeben wird. Dieses Verfahren ist selbst dann
nützlich, wenn der homöopathische Arzt schon längere Zeit die
Krankheit mit antipsorischen Heilmitteln, aber vergeblich, be-
handelte. Oft wird auf diese Art sogar eine wohlthätige Ver-
änderung herbeigeführt, die früher, trotz der zweckmässigsten
Arzneien, nicht bewirkt werden konnte. Belladonna wird im-
mer indizirt sein, wenn kachektischer Zustand, Abmagerung,
Trockenheit der Haut, Gedunsensein der Extremitäten und des
Gesichtes, dicker Bauch, Drüsenanschwellungen und dergleichen
gegenwärtig sind. That die Belladonna in einem solchen Falle
aber nicht, was man von ihr erwartete, so wird sich Arsenicum
album hülfreich erweisen, wiewohl nach den Umständen Pulsatilla,
Nux vomica, China, Ferrum, Staphysagria und andere angezeigt
sein können.

Sind Convulsionen, Epilepsieen und überhaupt krampfhafte
Beschwerden, als sekundäre Symptome damit verbunden, so hat
man von Ignatia, Opium, Seeale cornut., Calc. carb., Caustic.,
Conium, Cuprum metallicum viel zu erwarten, besonders, wenn
diese Mittel auch dem übrigen Krankheits-Zustande nicht unan-
gemessen sind.

Hauptmittel in diesem Stadio sind aber unstreitig Aurum,
Asa foetida, nach ihr Silicea, alsdann jMphne Mezereum, Phos-
phor und Acid. phosphor., Calcarea und Baryta carbonica. Nur
in sehr seltenen Fällen wird man von Mercurius vivus Gebrauch
machen können, der in solchen tief eingewurzelten chronischen
Krankheiten meistens nur schmeichelhaft — palliativ — wirkt,
ohne eine andauernde Besserung hervorbringen zu können. Doch
sind die hier angedeuteten Mittel nicht die alleinigen, mit denen
die Heilung einer so tief gewurzelten Krankheit zu beseitigen ist;
oft bedarf man dazu mehrer Aritipsorika, und die vollkommene
Wiederherstellung ist oft erst nach Jahren auf diese Art zu be-
wirken.

Die Behandlung der bei skrophulösen Subjecten vorkommen-
den Entzündungen der Nase und Knochenentzündungen sehe der
Leser im ersten Theile.



Rhachitis. Englische Krankheit. 81

§. 51.

Rhachitis, Spina nodosa, bifida. Zweiwuchs, englische
Krankheit.

Sie ist ebenfalls nichts Anderes, als eine Form oder Modi-
fikation der allgemeinen Skrophelkrankheit, welche letztere fast
immer mit ihr in Verbindung auftritt. Sie offenbart sich gröss-
tentheils zwischen dem neunten Monate und dem zweiten Jahre
und ergreift vorzüglich die Knochen. Die erste getreue und voll-
ständige Beschreibung dieser Krankheit gab Glisson, im Jahre
1650, und seit dieser Zeit haben die Aerzte dieser Krankheit
mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als früher, ihr auch wohl des-
halb den Namen „englische Krankheit" beigelegt.

Im Allgemeinen versteht man unter Rhachitis eine krank-
hafte Veränderung im Knochensysteme, in deren Folge Geschwül-
ste, Erweichen und Verunstaltungen der Knochen entstehen, völ-
lig unabhänging von äusserer Gewalt. — Ich übergehe hier die
Erscheinungen, die von den Schriftstellern als Vorboten angege-
ben werden, da es keine anderen sind, als solche, die eine gestörte
Reproduction und einen Morbus scrophülosus bezeichnen, und
die ich schon, weiter oben, genau auseinander gesetzt und das
zweckmässigste Heilverfahren dagegen angegeben habe.

Ich beziehe mich also hier blos auf die sogenannten eigen-
thümlichen pathognomonischen Zeichen der Krankheit, welches fol-
gende sind: die Deformitäten an den Knochen des Kopfes sind
daran kenntlich, dass die Stirn- und Seitenbeinknochen aus ein-
ander weichen, die Suturen sich nicht schliessen, die Fontanel-
len offen bleiben, weshalb die Stirn immer mehr hervortritt, und
der Kopf eine ungewöhnliche Grösse und Schwere erhält, wobei
in sehr vielen Fällen zugleich Hydrocephalus vorhanden ist. Der
Kopf sinkt zwischen die Schultern hinein, und das Kind neigt
und legt ihn, um Unterstützung zu haben, bald nach dieser, bald
nach jener Seite, auf die Schultern auf. Später nehmen auch
die Röhrenknochen an der Krankheit Theil; sie werden weich,
die Epiphysen schwellen an, dagegen in demselben Verhältnisse
die Diaphysen dünner und länger werden. Diese Anschwellun-
gen sind am auffallendsten am Radius, am Ellbogengelenke, an
den Knieen und an den untern Enden der Tibia und Fibula. Daher
auch der Name: Zweiwuchs, doppelte Glieder. — Die
II. 6



82 Rhachitis. Englische Krankheit.

weichen Knochen geben der Wirkung der Muskeln nach und die-
nen letzteren nicht mehr als Stützpunkt, daher krümmen sich die
Schlüsselbeine, die Schultern treten hervor, das Rückgrat weicht
nach hinten, (Cyphosis) oder seitwerts, oft nach verschiedenen
Richtungen (Scoliosis), oder nach vorn (Lordosis), daher ein
hohler Rücken mit starker Hervorragung des Bauches. Daraus
folgen Verschiebungen der Rippen und des Beckens, Buckel,
Verunstaltungen des Körpers, Krümmungen der Extremitäten, be-
sonders der unteren, bald nach innen, bald nach aussen. Sehr
natürlich ist es, wenn bei solchen Verkümmerungen, bei einer
so grossen Nachgiebigkeit der Knochen, das Kind sich nicht
halten und nicht laufen lernt, oder, wenn es letzteres schon
konnte, dieses nicht mehr vermag; daher sitzen die Kinder be-
ständig, hocken in sich hinein und drücken dabei die erweichten
Knochen immer mehr zusammen. Der verschobene Thorax macht
sie asthmatisch und drückt bei dem beständigen Sitzen die Un-
terleibseingeweide, besonders die Leber zusammen. Lernen die
Kinder späterhin laufen, so wird ihr Gang, in Folge der Schief-
heit des Beckens und der Krümmungen der Füsse, unsicher,
gleichsam rudernd, und auffallend von einer Seite zur andern
hinüberschwankend. Zuweilen entzünden sich die aufgetriebenen
Knochen und bilden dann bedeutende Anschwellungen (Tophi,
Osteomalacia), schlechte Eiterung, Zerstörung und Caries. Hier-
mit treten dann, wenn es nicht schon v^-her der Fall war, alle
jene unter den verschiedenen Stadien der Skrophelkrankheit ange-
gebenen Digestions-Beschwerden, Blennorrhöen, Hautausschläge,
entkräftende Schweisse und dergl. hinzu.

Die Rhachitis ist eine sehr langwierige Krankheit von unbe-
stimmter Andauer, oft hält sie viele Jahre lang an und hinter-
lässt dann, bei einer fehlerhaften Behandlung, oft Spuren der
Krankheit, als Missbildungen des Knochensystems, die zu man-
cherlei andern Krankheiten, z. B. zur Phthisis, zu asthmatischen
Beschwerden, zu Hydrothorax, zu Abortus, schweren Geburten
und dergleichen prädisponiren.

§. 52.

Ich kann bei der Angabe des therapeutischen Verfahrens ge-
gen einen solchen Krankheitszustand mich kurz fassen, da ich die



Rhachitis. Englische Krankheit. 83

Therapie einzelner Formen skrophulöser Zustände nach meinen
besten Erfahrungen mit Genauigkeit schon angegeben habe, und
die unter jenen Formen angegebenen Mittel auch hier ihre An-
wendung finden. Doch sind schon einzelne Specifica gegen diese
Krankheitsform bekannt, weshalb ich sie auch einer näheren
diagnostischen Angabe würdigte, um alsdann die Mittel mit mehr
Sicherheit dagegen empfehlen zu können. Vorher jedoch erlaube
ich mir noch eine Bemerkung, die ich der Beachtung werth
finde.

Diese Krankheitsform kommt bei weitem am häufigsten unter
Kindern vor; bildet sich aber doch auch nicht selten in den Jah-
ren der Pubertät, namentlich bei Mädchen, erst aus, und tritt
hier meistens so unvermerkt und ohne alle begleitende Krank-
heitszeichen auf, dass die Verschiebungen oft schon auffallende
Verunstaltungen hervorgebracht haben, ehe das kranke Subject
oder seine Angehörigen es gewahr werden. Häufiger scheint in
den Jahren der Pubertät eine Scoliosis als eine andere Form sich
auszubilden, wenigstens haben vielfache Beobachtungen mir die
Wahrheit dieses Satzes bestätiget. Man sollte nun wohl meinen,
dass eine Krankheit, die von ähnlichen, ja fast gleichen Ur-
sachen abhänging ist, und in beiden Fällen dem Morbus scrophu-
losus am häufigsten sein Entstehen verdankt, auch einen glei-
chen Werth in Bezug auf die Prognose haben müsse, vorzüglich
wenn man erwägt, dass zur Beseitigung dieser Krankheit sowohl
in den Jahren der Pubertät, als in dem kindlichen Alter diesel-
ben Heilmittel erforderlich sind. Und doch ist es nicht so, denn
unter zehn Fällen heilt man in den Kinderjahren wenigstens acht
vollkommen, während man in den Pubertätsjahren unter eben so
vielen nur mit Wahrscheinlichkeit auf die Hälfte etwa rechnen
darf, zum Beweis, dass die Constitution, das vorgeschrittene
Lebensalter, die Entwickelungsperioden im Menschen, vorzüg-
lich aber die in jedem Körper, wo sie vorhanden ist, sich eigen-
tümlich artende und ausbildende Psora Einfluss auf die Prog-
nose und die Behandlung einer Krankheit haben müssen. Ich
denke hier nur an die Fälle, wo ausser der Verkrümmung des
Kückgrats auch keine Spur von andern Beschwerden aufzufinden
ist. Wo letztere mit zugegen sind, gelingt die Heilung weit
öfter, weil das Krankheitsbild sich viel charakteristischer dar-

6*



84 Rhachitis. Englische Krankheit.

stellt. Nach dieser kleinen Diversion kehren wir zur Behand-
lung zurück.

Eins der ausgezeichnetsten Mittel ist, wo die Krankheit im
zarten Kindesalter vorkommt, Belladonna, vorzüglich dann, wenn
zugleich eine starke Hervorragung, Anspannung und Härte des
Bauches, die bei Lordosis stets gegenwärtig ist, sich damit ver-
bindet und das Kind nur wackelnd sich fortbewegen kann, aus-
serdem aber ein welkes, schlaffes Ansehen, blasse Farbe mit
schnell überlaufender Röthe wechselnd, einen wenig empfindli-
chen Augenstern u. s. w. hat.

Kein Mittel jedoch leistet in der Skrophelkrankheit und ih-
ren verschiedenartigen Abstufungen, von den einfachen Drüsen-
geschwülsten bis zur Atrophie und Rhachitis, welcher letzteren,
wie ich schon gezeigt habe, die Cyphosis, Scoliosis und Lordo-
sis beizuzählen sind, zu Anfange der Cur mehr als Sulphur. Nach
vollendeter Wirkungsdauer der letzten Gabe, die, namentlich bei
der in Rede stehenden Krankheit, öfters über sieben bis acht
Wochen sich erstreckt, passt meistens Calcarea carb. in mehrere
Unzen Wasser getropft und täglich ein Esslöffel davon verbraucht;
sie äussert auf diese Weise auf die Knochen-Auftreibungen und
Verschiebungen eine ausgezeichnete Wirkungskraft, und dehnt
selbige oft auf mehre Wochen hinaus, binnen welcher Zeit man
immer noch auffallende Besserungsfortschritte wahrnimmt. Ihr zu-
nächst steht dann unstreitig Silicea, eb^ji so angewendet, die
gegen Knochenkrankheiten überhaupt, besonders aber gegen Os-
teomalacie, gegen Tophen und kariöse Beschaffenheit der Kno-
chen viel auszurichten im Stande ist. — Sind nach Auswirkung
dieser drei Mittel nur noch einige Beschwerden gegenwärtig, die
die abermalige Anwendung des Schwefels erheischten, so ist es
nicht blos rathsam, sondern sogar vortheilhaft, selbigen noch
einmal zu geben, weil alsdann die zunächst passenden Mittel kräf-
tiger einwirken, als es ohne diese Cautel geschehen sein würde.

Noch habe ich in keinem homöopathischen Journale erwähnt
gefunden, ob einer der Herren Collegen eine Bestätigung meiner
schon längst mitgetheilten Beobachtung gefunden hat, nach wel-
cher in derartigen Verkrümmungen, besonders bei Auswärtsdre-
hen der Füsse und Laufen der Kinder auf den innern Knöcheln,
Brucea anüdysenterica sich so ausgezeichnet hülfreich erwiesen



Rhachitis. Englische Krankheit. 83

hatte. Ich nehme hier Geglegenheit, von Neuem darauf hinzu-
weisen und diese Arznei wenigstens nicht so ganz unbeachtet
zu lassen.

Nicht zu vergessen sind in dieser skrophulösen Krankheits-
Form Acidum phosphoricum , Phosphor selbst, Mezereum , nament-
lich auch Asa foetida, Acidum nilri, Lycopodium und Petroleum.
Schlüsslich erwähne ich noch die in skrophulösen Leiden
nicht selten sich zeigenden Knochengeschwüre und Kno-
chenfrass, (Fingerglied krebs, Pädarthrocace) gegen
die ich früher immer mit grossem Nutzen China, Pulsatilla, He-
par sulphuris, Staphysagria , Cuprum, Mercurius, Dulcamara,
Uhus, Asa und Mezereum angewendet habe.

Bei einem skrophulösen Subjecte, das an Excoriatio fau-
cium und narium litt, und schon längere Zeit fruchtlos behan-
delt worden war, gab ich eine einzige Gabe Mezereum, in der
dritten Verdünnung, worauf ich das Leiden binnen acht Tagen
völlig verschwinden und nicht wieder zurückkehren sah.

Nicht selten gesellt sich auch noch Hydrocele zu einer noch
nicht völlig ausgebildeten Skrophelkrankheit. Einer solchen
suchte ich früher mit Mercur, China und Digitalis zu begegnen,
und war oft glücklich genug, sie zu beseitigen; ungleich glück-
licher aber bin ich jetzt, wo ich sie mit Silicea behandle und
weit schneller mein Ziel, als früher, erreiche.

Diesen früheren Erfahrungen reihe ich die neueren mit an,
die jedoch erstere nicht ungültig machen.

Vorzüglicher als Sulphur scheint Hepar sulphuris sich in der-
artigen Leiden zu erweisen, worauf alsdann die erwähnten Mit-
tel angewendet werden. Hepar schliesst aber den Gebrauch des
Schwefels selbst nicht aus.

Da diese Beschwerden grösstentheils psorischen Ursprungs
sind, so wird der Leser Psorin ganz am passenden Orte empfoh-
len finden, dem ich manche schöne Heilung der Art in der neue-
sten Zeit zu danken habe.

§. 53.

B. Tuberculosis. Tuberkulose.

Nach Schönlein ist Tuberkulose mit Skropheln nur ver-
wandt, nicht identisch, was er durch Vergleich der physiologi-



86 Tuberculosis. Tuberkulose.

sehen Charaktere darzulegen sich bestrebt. Ist ein Unterschied
zwischen beiden irgend anzunehmen, ohne dabei die physiologi-
schen und anatomischen Charaktere zu berücksichtigen, so möchte
der allenfalls als ein solcher gelten können, den Hufeland,
ohne weitere Kenntniss über Skrophulose und Tuberkulose nach
den neueren Bestimmungen und Behauptungen zu haben, bei Be-
sprechung der Skrophulose annimmt, nämlich ein Schema exter-
num und internum ; im ersten Falle ergreift die Krankheit mehr
die äussern Drüsen, Lymphgefässe, Haut und überhaupt die äus-
sern Theile; im letztern die innern, das Mesenterium, die Lun-
gen, das Gehirn, die Knochen. Wollte man nun einen Unter-
schied machen, ohne weitere Berücksichtigung aller übrigen Ver-
hältnisse, so könnte man das Schema externum der Skrophulo-
sis und das internum der Tuberkulosis überweisen. — Doch diess
ist nur ein Vorschlag, der eben so wenig ein gültiges Recht
hat, wie viele andere und die neuere Ansicht, die auf vollwich-
tigen Basen ruht, nicht verdrängen wird. Das soll er auch
nicht, wie ich mich denn überhaupt in keine spekulativen Erör-
terungen und skrupulöse Demonstrationen in diesem Buche ein-
lassen will. Mit einem Worte, es war eine kleine Diversion,
die eben so gut auch hätte unterbleiben können.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #6 on: April 30, 2013, 09:33:22 PM »

Hier noch einige nöthige Andeutungen über Tuberkeln. Zur
Aetiologie. Einfluss auf Tuberkulose hat die Lebenspe-
riode; die Anlage zu Tuberkelbildung nimmt mit der Evolution
des Organs zu, und ist am höchsten gesTeigert, wenn dasselbe
seine höchste Entwickelung erreicht hat. Erbliche Anlage;
zur Entwickelung kommt der Keim des Tuberkels erst zur Zeit
der höchsten Ausbildung des Organs, in dem er sich findet, wenn
nicht besondere Verhältnisse eine frühere Entwickelung dessel-
ben begünstigen. Tuberkuloser Habitus. Hier ist bei Kin-
dern eine grosse Anlage zu Ausscheidungen von Kohlenwasser-
stoffprodueten, zu Pigmentbildung, auffallend. Das Pigment wird
theils unter der Form von Ephiliden abgelagert, theils spricht
es sich durch eine eigentümliche Färbung der Haut aus, die
übrigens bei den verschiedenen Tuberkelformen verschieden ist,
z. B. bei Lungentuberkeln mehr bräunlich, bei Lebertuberkeln
mehr grünlich, wie bei chlorotischen. — Aeussere Momente
sind besonders Unterdrückung der Hautsekretion. —



Tuberculosis pulmonum. Lungentuberkeln. 87

Der Verlauf der Tuberkel hängt ab von der Jahreszeit;
im Sommer z. B. steht der Lungentuberkel still, während er mit
Eintritt des Winters , wo die Hautthätigkeit unterdrückt wird,
rasch vorwärts schreitet. Umgekehrt ist's mit Lebertuberkeln;
jeder Katarrh und jede Entzündung befördert die Entwickelung
der Tuberkeln.

Ausgänge. In Genesung geht dieses Leiden über durch
Zusammenschrumpfung, Ablagerung erdiger Massen, Verknöche-
rung des Tuberkels. In eine andere Krankheit; durch Zerflies-
sen der tuberkulösen Massen in Phthise; in Hydrops, wozu be-
sonders Lebertuberkeln Veranlassung geben, während Lungen-
tuberkeln zur Phthise führen. In den Tod.

Prognose ist ungünstig. Sie hängt ab: von der Dauer
der Krankheit. Anfangs wäre wohl noch Hülfe möglich, wenn
der Tuberkel in seinen ersten Anfängen nicht so schwer zu er-
kennen wäre. Vom ursächlichen Moment; erbliche Anlage, tu-
berkuloser Habitus sind sehr ungünstig; Tuberkeln, nach akuten
Exanthemen sich bildend, sind weniger gefährlich, als solche,
die den Skropheln, der Arthritis oder impetiginösen Formen ihr
Entstehen verdanken. Von den Organen, wo sie ihren Sitz ha-
ben. Von der Dignität des Organs. Von der Ausbreitung der
Affection. Vom Alter des Individuums ; die Jugend ist gefähr-
deter als das Alter, ausser bei Lebertuberkel. Von den Ueber-
gängen; Phthise und Hydrops, beide sind gleich ungünstig.

§• 54.

Tuberculosis pulmonum. Lunge ntub erkeln.

Sie entspringen bekanntlich aus verschiedenen Quellen und
sollen deshalb, nach Schönlein, Verschiedenheiten in Sympto-
matologie und Gang zeigen und eine verschiedene Behandlung
fordern.

Der einfache Lungentuberkel findet sich im tuberku-
lösen Habitus. Patient klagt über einen sich nicht gleich bleiben-
den, dumpfen Druck unter der Clavicula am obern Theile der
Lunge; von den Brustmuskeln strahlen ziehende, sogar reissende
Schmerzen gegen den Oberarm aus, mit Gefühl von Taubheit und
Schwere in letzterm. Diess wird gewöhnlich für leichter Rheu-
matismus gehalten. Patient hustet Abends beim Bettgelien und



88 Tuberculosis pulmonum. Lungentuberkeln.

früh beim Aufstehen; ersterer ist meistens trocken, krampfhaft,
letzterer fördert einen grauen, einfachen Trachealschleim, zuwei-
len mit Blutstreifen gemischt, zu Tage. Mittels der Percussion
nehmen wir meist unter der Clavicula oder zwischen dieser und
der Scapula einen dumpfen, matten Ton wahr, anfangs auf eine
kleine Stelle beschränkt, weshalb die Percussionsversuche öfters
zu wiederholen sind. Die Auscultation lässt an dieser Stelle
undeutliches Respirationsgei'äusch, zuweilen Schleimrasseln in den
Bronchien hören. Die Kranken nehmen bei bedeutender Esslust
nicht zu, fette magern eher ab. Die Krankheit erscheint in den
Blüthenjahren, zwischen dem 18. und 30. Jahre, vor und nach
dieser Periode ist sie selten. Ein schlechter Chylus , durch
schlechte Nahrungsmittel und geistige Getränke erzeugt , giebt
zur Entstehung der Krankheit mehr Veranlassung, als unterdrückte
Hautausdünstung. Sie endet gewöhnlich in Phthise, der häufig
heftige Pneumorrhagien vorangehen, wozu sich dann hektisches
Fieber gesellt, das gewöhnlich in den Nachmittagsstunden an-
fängt mit leichtem Frösteln, dem Hitze und in der Nacht partiel-
ler Schweiss folgt.

§. 55.

Therapie dieser einfachen Lungentuberkeln. In
diätetischer Beziehung ist hier insbesondere nöthig: Unterhaltung
der Transpiration durch Aufenthalt in gleichmässig warmer Tem-
peratur, durch Tragen wollener Kleidungsstücke und, wo es nö-
thig, Luftveränderung. Zur Nahrung nährende, aber nicht rei-
zende Dinge, Fleisch, aber ohne Gewürze, überhaupt mehr ani-
malische als vegetabilische Kost ; zum Getränk am besten einfa-
ches Wasser, vielleicht auch zuweilen Kohlensäure haltiges Sel-
terswasser. Als vorzüglich heilsame Mittel, nicht den diätetischen
angehörig, sind auch dem Homöopathen für diese Tuberkelform
zu empfehlen, nämlich: Bäder, und unter diesen das Soolbad,
das Seebad, Obersalzbrunn und Ems.

Die pharmazeutische Behandlung erfordert folgende
Arzneien: Die erste, deren gewiss jeder nur einigermassen rou-
tinirte Homöopath beim Durchlesen der so eben verzeichneten
Krankheitssymptome sogleich gedacht haben wird , ist Bryonia,
die allen Anforderungen entspricht, die diese Krankheit die erste



Tuberculosis pulmonum. Lungentuberkeln. 89

Zeit ihres Entstehens an den behandelnden Arzt macht. Es sind
die scheinbar rheumatischen Beschwerden, der Abends krampfige,
Morgens lösende Husten; die eigenthümlich gearteten Druck-
schmerzen auf der Brust, die Gefrässigkeit und Abmagerung da-
bei, der träge, zuweilen aussetzende Stuhl.

Von sehr grosser Dignität ist auch Belladonna; wollte man
einen Unterschied mit ihr und der vorigen Arznei machen, so
würde diese mehr dem männlichen , Belladonna aber mehr dem
weiblichen Geschlecht entsprechend sich erweisen. Doch ist diess
nur eine Vermuthung, die noch der Bestätigung durch die Er-
fahrung bedarf, bis wohin wir dieses Mittel auch fernerhin in
dieser Krankheitsform unter folgenden Umständen anwenden wol-
len: Patient klagt über klopfende stechende Schmerzen unter
dem Brustbeine, zuweilen auch unter der Clavicula, insbesondere
beim Gehen, mit starker Unruhe und zitterndem Herzklopfen;
fortwährender Beiz zum Husten, namentlich in der Herzgrube, der
krampfig wird in den Nachmitternachtsstunden und gegen Morgen
etwas blutstreifigen Auswurf herausbefördert. Bei Frauen hängt
der Zustand oft mit Menstruationsfehlern zusammen, die Begel
tritt verstärkt zu spät ein, ist zu blass, oft ganz unterdrückt;
Stuhlverstopfung etc.

Nicht zu übersehen ist bei diesem Tuberkel, als auch bei
den exanthematischen, impetiginösen und den von kaltem Trunk
entstandenen, Sulphur, dieser Heros in der Arzneimittellehre.
Ich glaube mehre derartige Fälle in den letztern Jahren meiner
Praxis mit dieser Arznei geheilt zu haben, und grösstentheils mit
1, 2 und 3 Gaben. Mit Bedacht sage ich „ich glaube", denn
ich unterliess die Anwendung des Plessimeters und Sthetoscops
und hielt mich nur an die Krankheitszeichen, die allerdings die
getreueste Aehnlichkeit der angegebenen Symptome wiederspie-
gelten; der Huslen war kurz und trocken, erregte Schmerz im
Brustbeine, war auch oft so anstrengend, als wolle er die Brust
zersprengen, und das Gefühl dabei, als ob innerlich kleine Bläs-
chen platzten, zugleich war Kurzathmigkeit, Pfeifen und Schnär-
cheln damit verbunden, der Husten kam meistens Abends, Vor-
mitternachts und Morgens. Stuhlgang fand sich fast immer un-
regelmässig vor, bald durchfällig, in der Regel jedoch unge-
nüglich; die Kranken fühlten sich matt, angegriffen, magerten



90 Tuberculosis pulmonum. Lungentuberkeln.

ab, schwitzten leicht bei der geringsten Bewegung und waren
sehr missmüthig und ärgerlich.

Inm sehr nahe verwandt in dieser Krankheitsform ist Pulsa-
tilla, d. h. zu Anfange der Krankheit, nur mit dem Unterschiede,
dass hier der Husten, wenigstens am Tage, immer ein etwas We-
niges Schleim lösender, Nachts hingegen trocken ist, durch Auf-
sitzen vergeht, durch Niederlegen wiederkehrt; dabei stechender
Schmerz vom rechten Schulterblatte nach dem Arme zu. Stuhl-
gang ist grösstenteils durchfällig. Die eigenthümlichen Men-
struationsstörungen machen dieses Mittel eben so wie den Sul-
phur geeignet für das weibliche Geschlecht, wenn es an diesen
einfachen Lungentuberkeln leidet.

Unentbehrlich in Tuberkulose überhaupt und mithin ganz be-
sonders in den ersten Anfängen derselben ist Calcarea carbon.
Sie entspricht dem Missmuthe und der Melancholie des Patienten,
eben so dem kitzelnden, meist trocknen Nachthusten, durch den
nur gegen Morgen etwas zäher, gelbschleimiger Auswurf heraus-
befördert wird; dabei immer das Gefühl, als könne die Lunge
sich nicht genug ausdehnen, als wäre die Brust zu enge, zu-
gleich starkes Herzklopfen, das bis zwischen die Schulterblätter
hinauf Stösse macht. Folgender Umstand wird den Arzt noch
besonders auf dieses Mittel hinweisen, wenn er nämlich an sei-
nen sonst wohl genährten Kranken ein plötzliches Magerwerden
beobachtet, das doch, nach den nicht unbedeutenden Zusichneh-
men von Nahrungsmitteln, durchaus nicht mattfinden könnte, wenn
nicht ein tiefer gelegenes Leiden dasselbe herbeiführte.

Lycopodium, ein ebenfalls nicht zu verachtendes Mittel, ent-
spricht allen den bekannten Beschwerden und schmerzhaften Ge-
fühlen, die ich schon mehrmals anführte, und verdient da vor
allen schon genannten den Vorzug, wo der Auswurf von grauli-
cher Farbe ist.

Auch Nux vomica ist eine der Arzneien, die hier Beach-
tung verdienen. Sie nützte uns in jener Zeit, wo die antipsori-
schen Mittel uns noch ganz fremd waren, unendlich viel in der-
artigen Leiden und Hess uns oft bei Beharrlichkeit, wenn auch
auf Umwegen, unser Ziel erreichen. Der trockne, schmerzhafte
Husten bei einem sehr empfindlichen Drucke auf den obern Theil
des Brustbeins nach innen, dabei das Kopfweh, als sollte der



Menstrual- und Puerperal - Tuberkeln. 91

Schädel zerspringen, oder auch der Zerschlagenheitsschmerz im
Leibe, sprechen ganz für die Anwendung der Nux. Finden wir
nun noch, wie so häufig in diesen Leiden, Stuhlverstopfung bei
einem sehr cholerischen Temperamente dabei , ist Patient ein
passionirter Liebhaber der Spirituosen , dann ist der Nux kein
anderes Mittel an die Seite zu setzen.

Nicht minder empfehlenswert« ist Kreosot, insbesondere wenn
der oben beschriebene Zustand einer vorangegangenen Grippe
folgt, ein pfeifender, krampfiger Husten bis zum Brechwürgen,
zuweilen auch mit vielem dicken, weisslichen Schleimauswurfe
zurückgeblieben ist, dabei Schwere auf dem Brustbeine, als würde
es nach innen gedrückt, so dass es bis nach den Schlüsselbeinen
hinausstrahlt und die Nackenmuskeln, mit einnimmt.

Ausser den genannten sind alle die unter Skrophulosis und
den dieser Krankheit angehörigen chronischen Exanthemen ver-
zeichneten Mittel hier mit berücksichtigungswerth , auf die ich
deshalb die Leser verweise und ihnen das eigene Nachschlagen
anempfehle.

§. 56.

Menstrual- und Puerperal-Tuberkeln.

Mehr der Vollständigkeit wegen führe ich die noch folgen-
den Tuberkelarten hier an, weniger der Behandlung wegen, die
dadurch keine erhebliche Veränderung erleidet, wie jeder Ho-
möopath mir bezeugen wird, da die Symptomenähnlichkeit ent-
scheidend für die Wahl des Mittels ist.

Die Menstrualtuberkeln kommen bei Frauen in den Pubertäts-
und Blüthenjahren , zwischen 20 und 30, vor, mit der Eigen-
tümlichkeit, sich in den unteren Lungenlappen festzusetzen. Die
Menstruation fängt an spärlich zu fliessen, wird immer geringer,
hört endlich ganz auf und statt ihrer tritt nun fluor albus ein,
wozu sich Menstrualkolik gesellt, nach einigen Tagen Magen-
schmerzen, Aufstossen, Erbrechen, selbst blutiges. Nach we-
nigen Tagen geht die Affection weiter gegen die Brust, erzeugt
Schwerathmigkeit, Herzklopfen und Husten mit Blutauswurf, der
oft sogar den eigenthümlichen Menstruationsgeruch hat, der so
lange mit den genannten Beschwerden anhält, als gewöhnlich die
Menstruation zu dauern pflegte. Dazu findet sich beschleunigter



92 Menstrual - und Puerperal -Tuberkeln.

Puls, erhöhte Temperatur der Haut und vermehrter Durst. Je
öfter nun diese Erscheinungen vierwöchentlich wiederkehren, desto
länger halten sie in der Lunge an, die Intervalle werden kürzer,
verschwinden endlich ganz und die Lungensymptome sind perma-
nent und zeigen nur noch zur Zeit, wo die Menstruation eintre-
ten sollte, Exacerbation. Dasselbe geschieht bei Inflammation
der Lunge. — Bedingt wird die Krankheit durch Unterdrückung
der Menstruation durch Erkältung, Durchnässung und pathische
Processe in der Lunge zur Zeit der Menstruation. Die Krank-
heit geht bald früher, bald später, oft schon in 6 — 8 Wochen,
in Phthise über (galoppirende Schwindsucht).

Puerperal-Tuberkeln bilden sich bei Wöchnerinnen in Folge
der Unterdrückung des Lochialflusses, der Wochenschweisse oder
der Milchsekretion. Sie erregen stechende Schmerzen in der
Brust an einer umschriebenen, begrenzten Stelle, gewöhnlich im
untern Lappen. Die Kranken können nicht tief einathmen, ohne
zu husten, wodurch ein heller, erst später eine grünliche, dunkle
Farbe annehmender Schleim in reichlicher Menge ausgeworfen
wird. Auch Puerperaltuberkeln zerfliessen äusserst rasch, und
führen oft schon nach 8 — 10 Wochen den Tod herbei.
( S c h ö n 1 e i n. )

'§. 57.

Die B ehandlung dieser Tub erkel f orm en erfordert
nach homöopathischen Grundsätzen ebenfalls die genaue Verglei-
chung der Krankheits- mit den Arzneisymptomen, woraus alsdann
die richtige Wahl der homöopathischen Arznei hervorgeht. —
Diess ist diese Form, wo auch etwas reizende Fussbäder aus Holz-
asche, Salz, Seife ganz am passenden Orte angebracht sind, oder,
wo noch intensiver eingewirkt werden soll, Breiumschläge von
Hafergrütze, Leinsamenmehl auf die Fusssohlen.

Ist ein bedeutender Blutsturm in der Brust ersichtlich, athmet
die Kranke schnell und schwer, klagt sie über Herz-Pulsation mit
ängstlicher Unruhe, wodurch ein schmerzhafter Husten erregt
wird; gesellt sich jener volle, härtliche, beschleunigte Pulsschlag
mit erhöheter Haut-Temperatur und vermehrtem Durst hinzu: so
ist die Anwendung einiger Gaben Aconit unerlässlich , das bei
noch grösserer Steigerung der Fieber-Symptome, bei lebhafterem



Tuberkeln durch kalten Trunk. 93

Stichschmerz in der Brust, bei Mitaffection des Gehirns, der Bel-
ladonna weichen muss. — Anders verhält es sich wieder, wenn
der Blutandrang nach der Brust zwar sehr ersichtlich, doch nicht
mit solchem Sturme verbunden, sondern mehr mit beklemmen-
der Schwerathmigkeit, klemmendem Zusammenschnüren ganz oben
in der Brust etc. — Da wird Phosphor den Vorzug vor vielen
andern Mitteln verdienen. Ueberhaupt verweise ich bei dieser
Krankheitsform die Leser auf S. 351 u. f. des ersten Bandes,
wo unter der Behandlung der Pneumonie eine Menge Arzneien
mit angegeben sind , die hier als heilende sich harausstellen wer-
den. Eben so sind es mehre der schon genannten Antiscrophu-
losa, die ebenfalls mit concurriren. Ausserdem möchte ich noch
besonders auf folgende Mittel aufmerksam machen, die aber mehr
nach beseitigtem Fiebersturme Anwendung finden, nämlich: J)ul-
cam., Arsen., Spongia, Jod., Conium, China, Ferrum u. e. a.

§. 58.

Tuberkeln durch kalten Trunk.

Häufig vorkommend, aber in ihrem ersten Anfange leicht
verkannt, zuerst von Autenrieth beschrieben. Subjecte, in
den Pubertätsjahren, ziehen sich dieselben nach heftiger Anstren-
gung und Erhitzung durch kalten Trunk zu. Hier treten sie ein
unter verschiedenerlei Magenerscheinungen, als: die Esslust ver-
liert sich, nach dem geringsten Genuss aber entsteht gleich Druck
im Magen, Brechneigung, wirkliches Erbrechen. Die Magenge-
gend ist etwas aufgetrieben, schmerzhaft gegen Druck; Stuhl-
verstopfung, zuweilen mit Durchfall wechsend. Die Affection
wird gewöhnlich für einen verdorbenen Magen gehalten. — In
therapeutischer Beziehung gehören hierher alle die Mittel, die
ich unter Gastroataxie und gastrischem Fieber namhaft gemacht
habe, wornach sich die gastrischen Symptome allmälig verlieren.
Tritt dagegen die Brustaffection lebhaft hervor; fangen die Kran-
ken an, Morgens und Abends trocken zu husten, klagen sie über
Schwerathmigkeit und asthmaähnliche Zufälle; kommen später
leichte, stechende Schmerzen, wird der bisher trockne Husten
feucht, bringt blutgestreiften Schleim und allmälig eitrige Mas-
sen hervor, dann kommt auch hectisches Fieber und Phthise. —
Die hier besonders zu empfehlenden Mittel sind: Arnica, Lau-



94 Exanthematische Tuberkeln.

roceras , Ferrum , China , Sahina , Millefol. , Bryon. , Phosphor,
Dulcam., Drosera etc.

§.59.

Exanthematische Tuberkeln.

Fast ausschliesslich bei jungen Leuten vor der Pubertät vor-
kommend durch den exanthematischen Krankheitsprocess , na-
mentlich Masern und Scharlach, erzeugt, der in seinem letzten
Stadium gestört wird. — Die Kranken beklagen sich über grosse
Beklommenheit, und Schwere auf der Brust, über flüchtig stech-
ende Schmerzen hier und da in der Brust; Respiration kurz,
keuchend. Perkussion und Auskultation geben die bekannten Er-
scheinungen. Husten, sehr heftig, entleert grosse Mengen eines
hellen, eiweissähnlichen Schleimes. Sehr frequenter, selten ge-
spannter, harter Puls, starke Schweisse und viel Sediment ab-
lagernder Harn; rothe, umschriebene, glühende Wangen, bren-
nende Hitze in den Handtellern und Fusssohlen. (Schönlein.)
— Hier verweise ich auf die unter Masern, Scharlach, rothen
Hund im ersten Bande dieser Therapie, und besonders auf die
unter den Nachkrankheiten dieser akuten Exantheme verzeichne-
ten Mittel.

§. 60.
Impetiginöse Tuberkeln.

Grösstentheils bei Erwachsenen zwischen 20 — 30 Jahren,
nach unterdrückten chronischen Hautkrankheiten, namentlich Sca-
bies und Herpes. Anfangs klagt Patient, besonders gegen Abend,
von Zeit zu Zeit über asthmatische Zufälle, als ob die Brust zu-
sammengeschnürt wäre, als ob er nur mit Mühe athmen könnte
und als ob er Schwefeldampf zu athmen glaubte. Binnen Kur-
zem endet der Anfall unter Aufräuspern von etwas Schleim, oft
unter Brechwürgen. Zuweilen ähneln die Anfälle dem Globus
hystericus. Nach Jüngerer Zeit, meistens mit Eintritt der schlim-
men Witterung, klagt Patient über stechende Schmerzen, die
meist quer durch die Brust schiessen , von der Brustwarze bis
gegen die Scapula. Dazu kommt Husten; der Husten ist perma-
nent, mit grösster Heftigkeit gegen Abend, der Auswurf serös,
speichelähnlich, mit kleinen bröcklichen, tuberkulösen Massen,



Tmpetiginöse Tuberkeln. 95

selten mit Blutstreifen gemengt. Die übrigen Erscheinungen sind
die der gewöhnlichen Tuberkulose.

§. 61.

Kein Mittel entspricht dem Zustande treffender, auch bezüg-
lich der veranlassenden Momente, als Sulphur, in wiederholten Ga-
ben, und zwar besser in dem Präparat, das aus der Verreibung
bereitet ist, als in der Tinktur, da das erste bei weitem kräftiger
ist und bleibt und gerade in fieser Krankheitsform das. Wesent-
lichste davon abhängt, ob ich mit einem stärkeren oder schwä-
cheren Präparate operire. Hier gilt es den ersten Eindruck, der
kräftig sein muss, wenn er einer so schwierigen Krankheit sich
hemmend entgegenstellen soll ; auch gelingt die Heilung nur, ob-
schon Sulphur das specifische Mittel ist, wenn die Behandlung in
derzeit eingeleitet wird, und nicht erst dann beginnt, wenn
schon die Krankheit weit um sich gegriffen hat. — Nach Sulphur
dürften dann Calcarea carbon., Phosphor, Hepar sulphur. u. e. a.
die zweckentsprechendsten Mittel sein. — Diess ist auch die
Tuberkelform, gegen die der Arzt mit grossem Nutzen ein so-
genanntes Pechpflaster als äussern Reiz auf die Haut legen kann,
das aber längere Zeit fortgetragen und von Zeit zu Zeit erneu-
ert werden muss , wenn es die innere Cur kräftig unterstützen
soll. Diess war gewiss auch die Form, wo Hahnemann Nut-
zen von den Pechpflastern sah, während es die übrigen, schon
genannten und noch zu nennenden, Tuberkulosen ganz unberührt
Hess, wodurch er später zu dem Glauben verführt wurde, dass
sie in allen diesen Fällen ganz nutzlos wären und nur immer
palliativ gewirkt hätten, weil ihm die neuern Erfahrungen ganz
unbekannt geblieben waren und geblieben sind und er nur, wie
wir altern Aerzte früher alle, von einer Phthisis tuberculosa ge-
hört und sie oberflächlich gekannt hat, ohne von dem Zustande-
kommen der Tuberkeln überhaupt nur eine Ahnung zu haben,
die, hätte er sie gehabt, ihn auch belehrt haben würde, dass es
doch manche Krankheiten noch im menschlichen Leben giebt,
die auch ohne latente Psora zum Vorschein kommen können.

§•62.

Arthritische Tuberkeln.
Sie erscheinen im vorgerückten Lebensalter zwischen dem



96 Arthritische Tuberkeln.

50. und 60. Jahr bei solchen Individuen, die früher an vollkom-
men entwickelter Arthritis oder nur an Andeutungen derselben
gelitten haben und wo diese, namentlich durch Erkältung, in-
normal geworden, oder ganz verschwunden sind.

Erscheinungen sind: Pat. wird heiser, klagt über ein eigen-
thümlich brennendes Gefühl im Larynx und die Trachea herab,
was einen beständigen Hustenreiz abgiebt, wodurch ein zäher,
grünlicher Schleim in nicht unbedeutender Menge ausgehustet
wird. Hier gesellt sich sehr bau ein drückendes Gefühl unter
der Clavicula, unter Abnahme der Larynx und Tracheasymptome.
Die Magenerscheinungen verschwinden ebenfalls, wenn sich die
Lungensymptome ausbilden; dazu kommt Husten. Der Auswurf
enthält Schleim mit Massen wie gequollene Gerste, die bisweilen
fadenförmig an einander gereiht sind, oft kleine, unter dem Na-
geldrucke knirschende, sich zerbröckelnde Massen. Der Harn
ist Anfangs sedimentös; die Sedimente sind gewöhnlich arthriti-
sches Purpurat und rosige Säure; später, wenn es zu Tuberkel-
bildung gekommen ist, hellt er sich allmälig auf, höchstens macht
der nach Tische gelassene unbedeutende Sedimente. (Schönlein.)

In Bezug auf Therapie dieser Tuberkelform verweise ich zu-
förderst auf die Behandlung der Gicht im ersten Theile dieser
Therapie S. 404. u. f. und mache ausserdem noch besonders auf-
merksam auf Carbo vegetab., Argilla, Phosph., Nilrum, Sassa-
parilla, Stronlian, Causticum, Hepar sylph. c, Conium u. a.,
denen ich aber, aus Mangel hinreichender Erfahrungen, keine
sichern Indikationen hinzufügen kann.

§. 63.

Angeerbte Tuberkeln.

Eltern starben an Lungenschwindsucht, oder litten an Herz-
fehlern. Die Kranken selbst besitzen den phthisischen Habitus,
für den folgende Momente charakteristisch sind: ein graciler, fei-
ner Körper; ungewöhnlich lange Arme mit langen Fingern (die
Nagelphalangen bisweilen trommeiförmig angeschwollen, die Nä-
gel klauenförmig gekrümmt); ein langer, schmaler Hals ohne
alle Anschwellung der Glandula thyreoidea, eine besonders nach
oben schmale, abgeplattete Brust; nach vorne gerichtete, soge-
nannte flügelförmige Schulterblätter (die Kranken gehen daher



Angeerbte Tuberkeln. 97

auch 'meistens etwas nach vorne gebückt), eine blendendweisse
Haut; eine eigentümliche , durch psychische und somatische
Reize schnell sich steigernde Röthe der Wangen. Im Kindes-
alter sind diese Individuen heftigem Nasenbluten unterworfen,
später werden sie häufig von Anginen befallen, die fast stets in
Suppuration übergehen. In den Pubertätsjahren bilden sich Con-
gestionen gegen die Brust aus, die bis hieher ganz gesund er-
schien; Pat. bekommen Herzklopfen, die Brust wird ihnen zu
enge , sie haben das Gefühl des Aufsteigens einer warmen Welle
und fangen an, Blut zu husten, später wird eine eiterähnliche,
bröckliche Masse ausgeworfen.

Die Prognose ist für alle Tuberkeln im Allgemeinen un-
günstig; günstiger ist sie für die impetiginöse und arthritische;
das jugendliche Alter ist am meisten gefährdet.

§.64.

Fragt der Leser: was ist in therapeutischer Beziehung für
diese letztere Form zu erwarten? so muss ich antworten. Nichts,
gar nichts, denn der phthisische Habitus, der schon in der Kind-
heit sich documentirt, ist auf keine Art umzuwandeln und doch
wird vom Arzte verlangt, sein Heil zu versuchen und das Unmög-
liche zu ermöglichen. Nach meinen vielfältigen Erfahrungen, die
mir in dieser Krankheitsform leider zu hunderten zu Gebote ste-
hen, kann ich nicht anders sagen, als es ist mir nur in vielen
Fällen die Palliation bis zu einem gewissen Lebensabschnitte ge-
lungen; Heilung für die ganze Lebenszeit zu erzielen, war mir
in keinem Falle dieser Art vergönnt. Mit grossem Vertrauen ging
ich viele, viele Jahre meiner praktischen Laufbahn an die Be-
handlung dieser Krankheitsform, die mir erst in den spätem Jah-
ren meines Lebens klarer geworden ist, immer von Neuem hof-
fend, dass es dem homöopathischen Heilverfahren gelingen würde,
diese Krankheit zu besiegen. Neuen Muth schöpfte ich nach Ver-
öffentlichung der chronischen Krankheiten und der antipsorischen
Arzneien und glaubte durch letztere zu erreichen, was mir bis-
her unmöglich gewesen war, da ja in diesem Buche Heil für alle
Krankheiten sich finden sollte — aber vergebens! Ich operirte
wieder mehre Jahre mit Vertrauen , bis ich ebenfalls sah , Unmög-
liches sei nicht möglich zu machen! — Doch, es ist wohl un-
II. 7



98 Tuberkeln des Gehirns.

recht, meine Meinung in dieser Hinsicht so unverholen atiszu-
sprechen und meinen jungen Lesern den Muth zu benehmen, da
selbst Hufeland ernstlich warnt: „nie die Hoffnung, nie den
Muth zu verlieren; Hoffnung erweckt Ideen, erhebt den Geist
zu neuen Ansichten und neuen Versuchen, und kann selbst das
unmöglich scheinende möglich machen; wer nicht mehr hofft,
denkt auch nicht mehr; Apathie und Geisteslähmung sind unaus-
bleibliche Folgen, und der Kranke muss nothwendig sterben,
weil der Helfer schon gestorben ist." So Hufeland, und darum
mögen meine Leser meine Worte nur für das nehmen, für das
ich sie eigentlich genommen wissen möchte, nämlich; für eine
ernste Mahnung zur Vorsicht bezüglich der Stellung der Prog-
nose und zur grössten Aufmerksamkeit bei der Wahl der Mittel,
um sie wenigstens, wenn auch oft nur palliativ, so treffend als
möglich dem gegenwärtigen Krankheitszustande anzupassen , um
doch einige Erleichterung zu verschaffen.

Die eigentliche Cur beginnt schon und muss beginnen in der
Kindheit, ja sie muss, wenn sie von Nutzen sein sollte, fortge-
setzt werden bis in die Pubertätsjahre und weiter hinaus, wenn
sie Hülfe bringen soll. Wo findet denn der Arzt aber diese Aus-
dauer bei seinen Kranken? Findet er sie auch in sich? — Doch
genug: die Cur beginnt im Kindesalter und fordert da alle jene
Mittel, die unter Scrophulosis verzeichnet sind, auch hier indi-
zirt, wenn der Arzt mit der gehörigen Genauigkeit bei Verglei-
chung der charakteristischen Symptome %er Mittel mit denen der
Krankheit zu Werke geht. Ich habe daher nicht nöthig , hier
noch einmal zu wiederholen, was ich schon ausführlich genug
an verschiedenen Orten dort angegeben habe. Ich verweise des-
halb den Leser zurück.

§. 65.

Tuberkeln des Gehirns.

Lange bin ich mit mir zu Rathe gegangen, ob ich auch diese
Krankheitsform hier mit aufnehmen soll, die so wenig bestimmte
charakteristische Zeichen darzubieten hat, aus denen mit Si-
cherheit eine klare Diagnose für das Vorhandensein des oben ge-
nannten Krankheitszustandes zu entnehmen und noch weniger
ein heilbringendes Heilverfahren darauf zu basiren wäre; doch



Tuberkeln des Gehirns. 99

entschied ich mich endlich für die Aufnahme, um nicht den
Vorwurf auf mich zu laden, eine wesentliche Lücke, gerade in
diesen neuern Krankheitsformen, gelassen zu haben. Darum nehme
der Leser mit diesem Wenigen, was geringe Erfahrung und Com-
bination bieten können, vorlieb und suche selbst mit der Zeit
sicherere Indicien zu finden.

Drei Stadien sind bei dieser Krankheit, nach Schönlein,
unterscheidbar: das der Irritation, Convulsion und der Lähmung. —
Die Erscheinungen des ersteren sind: Patient klagt an einer Stelle
des Kopfs über das Gefühl eines dumpfen Drucks und später,
rings um dieselbe, über einen mehr oder minder heftigen Schmerz,
welcher periodisch auftritt. Von Zeit zu Zeit stellt sich Schwin-
del ein. Dieses Stadium dauert oft Monate, Jahre lang, biswei-
len ist es auch ungewöhnlich kurz, von 8 — 12 Tagen, dann aber
sind die Erscheinungen von Inflammation rings um die Stelle des
Drucks viel heftiger, so dass die Kranken die Nächte schlaflos
hinbringen.

Im zweiten Stadium bekommen die Kranken epileptische An-
fälle, die ebenfalls periodisch auftreten, welche Perioden aber
keinen bestimmten Typus haben. Eine Aura epileptica geht nicht
voran, wohl aber Steigerung des drückenden Schmerzes bis zur
grössten Heftigkeit. Die Convulsionen sind in der Regel halb-
seitig, und wenn sie auch auf beiden Seiten vorkommen, sind sie
doch auf der Seite, die dem Sitze des Tuberkels entgegengesetzt
ist, am heftigsten. Nach beendigtem Anfalle fühlen sich die Kran-
ken sehr betäubt, verfallen in einen kurzen, mehr soporösen
Schlaf und klagen fortwährend über heftigen Schmerz an der be-
stimmten Stelle des Kopfs. Die Dauer dieses Stadiums ist eben-
falls verschieden: Tage, Monate, Jahre.

Drittes Stadium. Es tritt jetzt Lähmung ein, die ebenfalls,
bei Vorkommen der Tuberkeln nur auf einer Hälfte des Gehirns,
nur halbseitig ist. Nur bei Vorkommen der Tuberkeln auf der
Varolsbrücke trifft sie beide Seiten, aber eine mehr als die an-
dere. Auch bei eintretender Lähmung dauert der mehrmals be-
zeichnete Druck im Gehirn und der stechende und brennende
Schmerz im Umkreise fort. Die Geisteskräfte sinken, und der
Zustand ähnelt dem des Idiotismus. Nicht immer kommt es

7*



100 Tuberkeln des Gehirns.

übrigens zu diesem Stadium ; oft gehen die Kranken schon im
zweiten zu Grunde.

'In ätiologischer und anatomischer Hinsicht unter-
scheiden sich: Hirntuberkeln durch vorausgegangenen Tripper
erzeugt, dieAehnlichkeit mit den Tripperskropheln in äussern Orga-
nen haben ; gichtische, die bei chemischer Untersuchung die arthri-
tischen Salze nachweisen; Menstrual- und impetiginöse Tuberkeln.
Die Prognose ist äusserst ungünstig, insbesondere für die
gonorrhoischen, dann für die arthritischen ; weniger für Menstrual-
und impetiginöse. Die Ausbreitung des Schmerzes hat ebenfalls
grossen Einfiuss auf die günstige oder ungünstige Vorhersage,
eben so das Stadium

§. 66.

Therapie dieser Krankheit. Das erste Stadium hat offen-
bar viel Aehnlichkeit mit Encephalitis und der Arzt wird sich
mit Nutzen aller dort von mir angegebenen Mittel (s. ersten Theil
S. 528) unter den hier passenden Symptomen bedienen können.
Ausserdem aber sind jedenfalls folgende Arzneien noch von ho-
hem Werthe: Cina bei einem lastenden Herabdrücken an einer
Stelle im Kopfe; Amica bei einem schweren Druck, der in der
Ruhe sich mildert; Coloquinte bei einem pressend -klemmenden
Druck auf kleiner Stelle, durch Bücken und Liegen auf dem Rü-
cken verschlimmert, zuweilen mit Uebelkeit und Erbrechen; Carbo
vegetabilis, Arsen., Phosphor, besonders oei den stechend -bren-
nenden Schmerzen um die Druckstelle und so auch wohl noch
einige andere, die versuchsweise anzuwenden sind.

Das zweite Stadium, in dem die Krankheit nicht mehr so iso-
lirt steht, sondern schon das ganze Nervensystem in Mitleiden-
heit gezogen hat, bietet in Bezug auf Heilung schon mehr Schwie-
rigkeiten dar, indem die indizirtesten Mittel, und wenn sie mit
der grössten Umsicht gwählt sind, das nicht nützen, was man von
ihnen in anderen ähnlichen Fällen, die aber nicht durch gleiches
Grundleiden entstanden sind, erwarten darf. Wem fallen bei
diesen epilepsieartigen Anfällen nicht alle folgenden Mittel ein:
Ignatia, Belladonna, Opium, Stannum, Cuprum, Hyosc, Calcar. c,
Caustic., Cicuta, Agaric. u. v. andere, die aber stets nach Symp-
tomenähnlichkeit gewählt werden müssen.



Tuberkeln des Rückenmarks. 101

Läge die Heilung- einer solchen Krankheit noch in dem Be-
reiche der Möglichkeit, so könnte sie diess nur in den beiden
ersten Stadien, im dritten und letzten kann von einer solchen
nicht mehr die Rede sein, und wenn die Mittel mit der treffend-
sten Aehnlichkeit gewählt werden. Empfehlenswerth sind: Rhus,
Zincum, Strontian, Cocculus, Natrum murialic., Plumbum, Nux,
Anacard., Stannum, Caustic, Silic. etc.

§. 67.

Tuberkeln des Rückenmarks.

Nur cursorisch gebe ich dieses Leiden an, da mir über das-
selbe alle Erfahrungen mangeln. Die Erscheinungen des ersten
Stadiums sind: Patienten haben das Gefühl von umschriebener
Inflammation, dabei aber schon die Erscheinungen von Druck.
Sie klagen an einer umschriebenen Stelle des Rückgrats, ohne
andere merkbare oder fühlbare äussere Veränderung, einen bren-
nenden, stechenden Schmerz, der gewöhnlich einen oder den
andern Nerven verfolgt. Die Schmerzen sind meist ausserordent-
lich intensiv. Nach kürzerer oder längerer Dauer kommen Zu-
ckungen in den Theilen, die ihre Nerven von der leidenden
Partie des Rückenmarks erhalten.

Im zweiten und dritten Stadium werden die Theile, in wel-
chen die Zuckungen zugegen waren, gelähmt. Dabei dauern
die Erscheinungen an der ursprünglich affizirten Stelle fort.

Der therapeutische Theil dieser Krankheitsform erstreckt
sich bei mir nur auf die Angabe zweier Mittel, die aber, nach
Analogie mit andern ähnlichen Krankheiten, viel in dieser Tu-
berkelform zu leisten versprechen. Es sind diess: Belladonna
und Arsenic. — Cocculus scheint im zweiten Stadio grosse Be-
rücksichtigung zu verdienen, da diess Mittel offenbar auf das
Rückenmark einwirkt, wie seine herrlichen Heilungen bei Läh-
mung der Untergliedmassen bestätigen. — Ausser ihm noch Kali
carbon., Caustic.

§. 68.

Lebertuberkulose.

Sehr selten ist die Leber der Sitz von Tuberkelablagerung,
häufiger noch bei Kindern; nie wird die Leber primär, stets nur



102 Lebertuberkulose.

bei sehr ausgebreiteter Tuberkulose und besonders bei solcher,
der Unterleibsorgane davon befallen. — Wo sie jedoch vorkommt,
finden sich anfangs blos dyspeptische Erscheinungen, Gefühl von
Druck im Magen nach dem Essen, Auftreibung der Magengegend,
Aufstossen , selten Erbrechen galliger Massen und genossener
Speisen; träger Stuhlgang, die Fäces hart, verkohlt. Zeitweise
Druck im rechten Hypochondrium und stechende, nach oben schies-
sende Schmerzen; Veränderung der Hautfarbe in schmutzig-grau;
Gedunsenheit des Gesichts. Bei Zunahme der Schmerzen Ver-
grösserung der Leber, ungleich, aufgetrieben, knotig, schmerzhaft.

Die Krankheit ist häufiger bei Männern als Frauen, zwischen
den dreissiger und fünfziger Jahren; sie scheint erblich zu sein,
besonders bei Individuen, die dem Branntweingenusse ergeben
waren.

Den so eben angegebenen Krankheitszeichen entsprechen viele
von den Mitteln, die unter Gastroataxie, gastrischen und biliösen
Fiebern von mir ausführlich angegeben sind, die ich hier nach-
zuschlagen und zu vergleichen bitte.



Eilfte Ordnung.

. §. 69.
Phthisen.

Im Allgemeinen bezeichnet man mit diesem Ausdrucke einen
Krankheitsprozess der sich während des Lebens durch folgende
Merkmale ausspricht:

Physiologischer Charakter. 1. In dem leidenden Or-
gane bildet sich eine krankhafte Sekretionsfläche, die einen ei-
genthümlichen Stoff, gewöhnlich „Eiter" genannt, absondert. —
2. In dem Maasse, als die Absonderung der pathischen Sekretions-
fläche copiöser wird, nimmt die Masse des ganzen Körpers ab,
daher der Name „Schwindsucht", weil ein grosser Theil der
Stoffe, sonst zur Ernährung einzelner Organe verwendet, zur
Bildung des Eiters verbraucht wird. — 3. Nebst der pathischen



Phthisen. 103

Sekretion dauern auch die normalen Sekretionen quantitativ und
häufig qualitativ unverändert fort, ja, sie sind in der Regel sogar
copiöser als im gesunden Zustande.

Anatomischer Charakter. Das Charakteristische in den
Leichen der Phthisiker ist jene Veränderung in den Organen, auf
welche schon der erste Moment des physiologischen Charakters
hinweist, die krankhafte Sekretionsfläche. Diese neuen Sekre-
tionsflächen sind sehr abändernd in Bezug auf Gestalt, Structur,
Dichtigkeit, Umfang und Gefässvertheilung, nach der Art der Phthi-
sis, dem ätiologischen Momente und dein Organe, in welchem
sie vorkommen. Nur darin stimmen sie im Allgemeinen überein,
dass sie die grösste Aehnlichkeit mit Schleimhäuten haben. Aus-
serdem finden sich noch die materiellen Symptome des Schwin-
dens in den übrigen Organen, Abnahme oder gänzliches Ver-
schwinden des Fettes, bedeutende Verringerung des Umfanges,
der Grösse, der Dichtigkeit und Festigkeit der einzelnen Organe,
der Muskeln etc.

Der Antheil des Gesamm torganismus an dem phthi-
sischen Krankheitsprocesse giebt sich durch eine „febris hectica"
zu erkennen, die einen quotidian- oder tertian- Typus hält, wie
eine intermittens, und zu ihrer Bildung folgende Momente nöthig
hat : 1. Zerfliessen einer pathisch-veränderten, organischen Masse,
(jie aus dem Zustande des Festen in den des Flüssigen übergeht.
2. Es muss die zerflossene pathische Masse in's Venenblut aufge-
nommen werden und bis zum Herzen gelangen; wo diess nicht
der Fall, findet auch keine hectica statt. — 3. Die Luft muss zur
eiternden Fläche Zutritt haben; doch scheint dieses Moment von
geringerer Bedeutung. — 4. Es muss der Nervenverband zwi-
schen dem affizirten Organe und den Centraltheilen des Nerven-
systems fortbestehen. (Schönlein.)

Für die Aetiologie gelten dieselben Momente, die für die
Tuberkulose galten.

Die Ausgänge und Prognose sind für diese Krankheits-
Gattung zu bekannt, als dass ich sie hier nochmals aufzuführen
für nöthig erachte.

Therapie. Giebt es eine solche für einen secundären
Krankheitsprocess, wie die Phthisis ist? Wohl nicht! Demnach
bleibt die Aufgabe des Arztes auch hier, den begründenden Krank-



104 Phthisis laryngea et trachealis.

heitsprocess zu tilgen, bevor er sich zur Phthisis entwickelt hat.
Dennoch will ich unter den einzelnen Formen einer Phthisis ver-
suchen, die Indicationen für einige dagegen bekannt gewordene
Mittel genauer festzustellen und werde mich freuen, wenn mir
diess bei einigen wenigstens gelingen sollte.

Hier beschränke ich mich im Allgemeinen nur auf das diä-
tetische Regim. Ernährung des phthisischen Organismus durch
so viel als möglich assimilirbare Stoffe ist ein Haupt-Erforderniss.
Die Nahrungsmittel müssen den Digestionskräften der Kranken
entsprechen und dürfen sie nicht beschweren; daher leicht ver-
dauliche, nährende, nicht reizende Alimente, in kleinen Mengen;
mehr Fleischnahrung, als Geflügel, Wildpret, zartes Rind- und
Schöpsenfleisch etc.; in vielen Fällen wird auch Milch sehr zu
empfehlen sein, besonders wird die Ziegen- und Eselsmilch sehr
gerühmt, nur darf sie nicht zu fett sein. Als Getränk ferner:
abgekochtes Brodwasser mit Eigelb, ein Malz.trank mit Zucker.
Zugleich auch Berücksichtigung der atmosphärischen Temperatur;
Vermeidung jeder geistigen Erregung, Vertrauen erweckende Re-
den über ihren Krankheitszustand, damit ihre Hoffnung, ihr Muth
belebt wird u. s. w.

§. 70.

Phthisis laryngea et trachealis. Phthisis des Kehlkopfs und
der Luftröhre.

Beide kommen häufig mit einander verbunden vor und ihre
Symptome haben viel Uebereinstimmendes. — Die Erscheinungen
sind : Patient klagt bald über ein prickelndes, bald über ein ste-
chendes, bald brennendes Gefühl an einer Stelle des Larynx, als
läge eine glühende Kohle da, bald hat er auch nur ein Zusammen-
schnüren daselbst. Alle diese Empfindungen machen sich auch
beim äussern Druck bemerkbar. Ist das Geschwür an der hin-
tern Fläche dieser Theile, so stellt sich Schmerz beim Schlingen
und Schlingbeschwerde ein, die sich oft bis zur Dysphagie stei-
gern, wodurch die Speisen durch Mund und Nase wieder ausge-
stossen werden. Durchfrisst ein solches Geschwür den Oesopha-
gus, so erregt jeder Genuss Husten, durch den das Genossene
wieder mit Vehemenz ausgeworfen wird. Die Sprache wird
stumpf, heiser, später tritt förmliche Aphonie ein.. Der Husten



Phthisis laryngea et trachealis. 105

ist anfangs nur ein Reizhusten mit wenig Auswurf, der später ein
eiterähnlicher mit vielem Speichel vermischter Schleim ist; der
Husten tritt oft paroxysmenartig auf, mit Verengerung der Stimm-
ritze, croupähnlichen Anfällen, einem Zusammenschnüren im Halse
und drohender Suffocation. Bei Untersuchung mit dem Finger
fühlt man die Glottis und den Kehldeckel aufgetrieben, ödematös.
Die Auskultation ergiebt Rasselgeräusch. — Das schleichende
Fieber fehlt lange bis zur Anzeige der Eiterung, dann: frequen-
ter, schneller Puls, colliquative Schweisse, auch Durchfälle und
dunkler Urin.

Aetiologie. Die Krankheitsanlage besonders in den Blü-
thenjahren, häufiger bei Frauen als Männern. Tuberkeln, und
hier gesellt sie sich zur Pneumophthisis; skrophulöse Disposition;
Erkältung, daher häufig bei Wäscherinnen ; Syphilis — diess ist
eine der häufigsten Formen; Hysterie und Verknöcherung, letz-
tere nur bei Erwachsenen.

Prognose ist ungünstig; höchstens bei Hysterie, Syphilis
und Erkältung ist Heilung möglich.

§. 71.

Das therapeutische Verfahren wird in den wenigsten
Fällen noch einen glücklichen Erfolg bringen, wenn die Krank-
heit einmal bis zur Phthisis vorgeschritten ist, deshalb muss der
Arzt schon in den früheren Epochen der Krankheit thun, was in
seinen Kräften steht, um den Uebergang zur Phthisis möglichst
zu verhüten, wozu ich ihm in einer Menge der vorhergehenden
Paragraphen die Mittel geboten habe. Bekommt er die Krank-
heit in diesem Stadio aber erst zur Behandlung, dann bleibt ihm
freilich nichts übrig, als bei gehöriger Berücksichtigung der Er-
regungs-Ursache die zweckdienlichsten Mittel zu wählen.

Von der tuberkulösen Laryngo- und Trachea-Phthisis spreche
ich hier nicht, da sie mit der Phthisis tuberculosa in eins zusam-
menfällt. — Wohl aber darf hier die auf Syphilis basirte nicht
übergangen werden, deren Heilung mir in mehren Fällen gelun-
gen ist. . Anfangs, wenn noch syphilitische Geschwüre im Halse
sichtbar waren, die sich tief hinab erstreckten, den Kehlkopf
mit ergriffen und dadurch Heiserkeit und jenen ominösen Reizhu-
sten durch Brennen und Kitzeln am Kehlkopfe erzeugten, gab ich



106 Phthisis laryngea et trachealis.

mehre Gaben Mercur. solubile wenn er nicht schon vorher vielleicht
in zu reichlichen Gaben angewendet worden war; im letztern Falle
wechselte ich mit dem Präparat, reichte am liebsten Sublimat und
sah oft den eklatantesten Erfolg davon, indem die Geschwüre bald
nach seiner Anwendung verschwanden und viel von der Kehlkopf-
Affection mit hin wegnahmen. Andere Fälle aber wollten diesem Ver-
fahren nicht so glänzend weichen, und dann wendete ich versuchs-
weise, wenn mir die Indication für Mercur überhaupt noch vor-
schwebte, den Mercur. nitrosus an, wodurch zuweilen noch ein ähn-
licher glücklicher Erfolg herbeigeführt wurde. War hingegen der
Mercur schön in zu grossen Massen vor meiner Behandlung ange-
wendet worden, wie aus den Recepten ersichtlich, da verlor ich
nie unnütze Zeit mit neuen Mercurialgaben, sondern gab sogleich
das hier in den meisten Fällen indizirte Nitri acidum, das, bei
vorsichtiger Repetition, wohl auch jenen günstigen Zustand her-
beiführte, aber die Kehlkopf-Affection nicht in dem Grade daran
Theil nehmen Hess, wie ich weiter oben angab. Hier war es
nun besonders Hepar sulphur. c. , das, als ein ausgezeichnetes
Mittel schon in diesen Phthisen bekannt, sich ungemein heilsam
erwies und die Krankheit fast unscheinbar machte. Dennoch
darf man dieser scheinbaren Besserung aber nicht trauen, son-
dern man muss auch jeden Rest zu beseitigen suchen, will man
vor etwaigen Rückfällen gesichert sein, und da stellen sich dann
oft Drosera, Spongia oder Jodium, auch Phosphor, als passende
Heilmittel heraus, die alsdann auch im Wechsel mit Hepar s. c,
Acid. nur. oder einer andern Arznei zu reichen sind. — Hatte
der Arzt die Hals- und Rachen -Geschwüre nicht genau angese-
hen, hatte er sie fälschlich für syphilitische gehalten, waren es
vielmehr nur scrophulöse, so ist es wünschenswerth, dass er sei-
nen Irrthum zeitig genug erkenne, um das eingeschlagene Heil-
verfahren baldigst zu verlassen und statt des verordneten Mer-
cur das Kali hydrojod. in refract. dosi und in öfter wiederholten
Gaben in Anwendung zu bringen, worauf hernach alle die genann-
ten Arzneien ebenfalls gebraucht werden können. — Sollte der
Arzt aber dessungeachtet noch eine Anzeige zur Anwendung des
Mercur haben, so könnte er nur in dem Mercur bijodat. unter
bewandten Umständen die Aushülfe finden, die er von diesem
Mittel zu hoffen sich für berechtigt hielte.



Phthisis laryngea et trachealis. 107

Nächst dieser ist es wohl die rh eu ma tis ch e Phthisi s der
in Rede stehenden Respirations- Organe, der wir die gehörige Auf-
merksamkeit vom Anfange schenken müssen, wenn wir sie vor Ein-
tritt in das wahre phthisische Stadium schützen und folglich reüssi-
ren wollen. •Beachtenswerth ist sonach hier die Heiserkeit, die
immer als erstes Symptom nebst einem kurzen Hüsteln mit wenig
schleimigen Auswurf, auftritt. — Ich kenne kein Mittel, das mir
in diesen ersten Anfängen, ja selbst schon bei weiter vorgeschritte-
ner Krankheit so ausserordentliche Dienste geleistet hätte, als Dul-
camara; ihr habe ich bei derartigen Kranken viel zu danken und
ich hege die feste Ueberzeugung, dass ohne sie eine Heilung dieser
Krankheitsspecies nicht gelingen kann. — Ihr hülfreich zur Seite
steht Nuxvomica, besonders wennderHusten trocken undmiteinem
schmerzhaften Anstosse im Kehlkopfe begleitet ist. — Auch Cha-
momilla und Bryonia können unter manchen Verhältnissen im An-
fange der Krankheit anwendbar sein und das ihrige nützen. —
Nur bei schon weit vorgeschrittener Krankheit reichen diese Mittel
nicht aus , sondern man wird unter den weiter unten zu nennenden
zu wählen haben.

Ueber die s c r o p h u 1 ö s e Form spreche ich hier weiter nicht,
da die Behandlung der ersten Bildungs- Anfänge keine andere, als
die der Scrophulosis überhaupt ist.

Die hysterische dürfte, bei richtiger Symptomenwahl, nicht
selten das passende Heilmittel vom Anfange der Krankheit unter
folgenden finden: Ignat., Pulsat. , Platin. , Coccul.^ Sepia, Nux
moschata, Sannum, Sulphur etc.

Bei Zunahme der Krankheit nun, bei wirklicher Phthisis ist eins
der hülfreichsten Mittel D rückwärts verengter
Thorax, flügeiförmig auswärts stehende Schulterblätter, langer
Hals, schmächtiger, in die Länge gestreckter Körper, schneeweisse
Zähne, vor Allem aber eine besondere Reizbarkeit des Blutsystems
und der Lungen , daher umschriebene rothe Wangen, besonders
nach Essen, heisse Hände, leicht zu erregender Husten, ein reiz-
bares sanguinisches Temperament. — Erbliche Anlage; Le-
bensalter, die Zeit der Jugend, von der Pubertät an, dem 16.
bis zum 25. 30. Jahre; sehn elles Wach sthum, weil sich der
Thorax gewöhnlich nicht in demselben Verhältniss in die Breite
ausdehnt; Luftbeschaffenheit des Wohnorts, Klima; Lebensart, Be-
schäftigung; habituelleLungenerhitzung, Lungenanstrengung; früh-
zeitiger, übermässig geübter Coitus, häufige Wochenbetten, zu
langes Stillen; katarrhalische Lungendisposition; örtliche Lungen-
schwäche; skrophulöse Anlage; Verwachsung, Rückgratskrüm-
mung, rhachitische Deformitäten des Thorax. — Gelegenheits-
ursachen: Vernachlässigter Katarrh; Hämoptysisj Lungenentzün-
dung; Erregung heftiger Blutcongestionen nach den Lungen; Ein-
athmung reizender scharfer Stoffe; Verwundungen; Contusionen
der Brust; Metastasen nach den Lungen, Masern, nebst dem
Katarrh.

§• 75.

Therapie. Fürwahr, ein Symptomen- Reichthum bietet sich
uns bei dieser Krankheit dar, wie er nicht leicht bei einer andern
wieder in dem Maasse gefunden wird ; auch haben sich die Aerzte
die richtige und genaueste Diagnose zur Aufgabe gestellt, dass man
meinen sollte, es wäre ihnen nun um nichts mehr zu thun, als eine



Phthisis florida. 113

eben so specielle Therapie darauf zu bauen, was aber, nach den
therapeutischen Handbüchern zu urtheilen, eben nicht der Fall ist.
Selbst wir homöopathischen Aerzte meinen, eine Krankheit mit vielen
und so ausgezeichneten charakteristischen Symptomen sei sicherer zu
heilen, als ein Symptomenarmes Krankheitsbild. Leider ist diess
bei dieser Krankheits-Species auch nicht anwendbar und ich sehe
schon im Voraus, wie ich mich bei Bearbeitung des therapeuti-
schen Verfahrens abmühen werde, den Wirkungskreis der Mittel in
dieser Krankheit so fest und sicher als möglich stellen zu wollen,
und mir am Ende doch selbst werde sagen müssen — doch, weg
davon; meine Aufgabe ist, soviel in meinen Kräften steht, genaue
Angabe der hier passendsten Mittel. Ueber die Prophylaxis phthi-
sica in therapeutischer Beziehung sehe der Leser, was ich unter
Scrophulosis und besonders unter dem einfachen Tuberkel (s. §.55.)
gesagt habe, was ich also hier, wo es ebenfalls gültig ist, nicht
wiederhole.

Die homöopathische Behandlung einer

Phthisis florida. Galoppirenden Schwindsucht.

Diese Krankheit befällt sehr häufig junge und blühende Mäd-
chen, besonders solche, welche sanguinischen Temperaments sind
und viel Colorit haben: deren Puls lebhaft, voll und hart ist, die
grosse Geneigtheit zu Blutcongestionen nach Kopf und Brust haben
und daher zu Nasenbluten und Bluthusten inkliniren, die leicht in
entzündliche Krankheiten der Lungen verfallen , die mehr an einem
trocknen als feuchten Husten leiden. Man nennt diese Krankheit
darum die blühende und galoppirende Schwindsucht, wegen der
cirkumskripten Röthe der Wangen und des raschen Verlaufs der
Krankheit zum Tode. Folgenden Zeichen ist vom Anfange beson-
dere Aufmerksamkeit zu schenken, wenn vielleicht noch ein glück-
licher Ausgang herbeigeführt werden soll :

Kurzer, trockner Husten, beschleunigtes Athemholen beider
geringsten Bewegung, Hitze in der Brust, flüchtige Stiche, zuwei-
len auch Drücken zwischen den Schultern , umschriebene Backen-
röthe. Sind auch diese Zeichen nicht immer gleichzeitig zugegen,
so sind doch eins und das andere schon hinreichend, die Aufmerk-
samkeit zu erregen. Später tritt schleichendes Fieber hinzu; der
Husten wird immer peinigender, ist bald mit wenig, bald mit gar
II. 8



]14 Phthisis florida.

keinem Auswurf verbunden ; endlich tritt Durchfall, Fussgeschwulst,
Schwämmchen, Aufliegen etc. hinzu.

§. 76.

Die Behandlung einer Phthisis florida anlangend, wird man
finden, dass in vielen Fällen gegen die Vorboten sowohl, als gegen
die völlig ausgebildete Krankheit Nux vomica indizirt ist, vornehm-
lich dann , wenn das Subject vorher vollblütig, blühend und kraftig
war, der Husten nun trocken, kurz, oder auch mit Anstrengung
etwas Eiter entleerend ist; dabei Brustschmerzen, mehr rheumati-
scher Art, zugegen sind; Patient an Stuhlverstopfung leidet und
der Appetit nicht mehr so gut als früher, auch der Geschmack oft
ein veränderter, am meisten ein saurer, ist. — Wiederholte Gaben
(jeden Abend eine, 5 — 6 Tage hintereinander) sind hier durchaus
erforderlich.

Ist immer wiederkehrender oder veralteter (chronisch gewor-
dener) Schnupfen die Veranlassung, so wird man bei einem reich-
lichen, schleimigen oder eitrigen Husten -Auswurfe bald Pidsaliüa,
bald China, bald Bfaföniä, bald Dulcamara , bald Slannum, bald
Arnica , oder ein anderes Mittel anwendbar finden.

Sehen wir, dass die noch nicht völlig ausgebildete Krankheit
den Kehlkopf mehr zu afficiren droht, so sind, je nach den verschie-
denen Nebenbeschwerden, bald Pulsatilla, Drosera^ Spongia, Mer-
curius, bald Stannmn, Manganum, Acris Tinctura, Hepar sulphur.,
oder Sulphur und Carbo vegetabüis die voraüglichsten Heilmittel.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #7 on: April 30, 2013, 09:33:58 PM »

Ist die Krankheit besonders mit heftigen Brustschmerzen , vie-
lem Eiterauswurfe und einem fauligen, eitrigen Geschmacke im
Munde verbunden, so wird sich Drosera rotundifolia immer hülf-
reich erweisen; dagegen eine Phthisis florida, durch vieles Blut-
spucken hervorgerufen, und von einem immerwährenden Husten
mit Eiterauswurfe begleitet, in China ein ausgezeichnetes Heilmit-
tel finden, der aber von Zeit zu Zeit eine oder ein paar Gaben Aconit
zu interponiren sind. Hier fällt auch zuweilen Arnica mit in die
Wahl. — DussStannum in einem so gefährlichen Brustleiden ausser-
ordentlich hülfreich sich erweise, habe ich schon mehrmals zu be-
obachten Gelegenheit gehabt, ebenso Arsenicum album, wenn schon
Zehrfieber, mit umschrieben gerötheten Wangen und Abmagerung
bei einem sehr heftigen Husten mit Auswurfe gelblicher, schlecht



Phthisis florida. 115

riechender und schmeckender Materie und grösstem Luftmangel,
vorzüglich bei der geringsten Bewegung, statt fand. Unter ähn-
lichen Verhältnissen ist auch in manchen Fällen Mercurius subli-
matus corros. indizirt, namentlich dann, wenn grosse Beengung der
Brust, ja sogar Erstickungsanfälle, stöhnendes, ächzendes, seuf-
zendes Athemholen, bei heiserer Stimme, hohlem, tiefem Husten,
der wegen Schwäche der Lunge nichts zu lösen vermag, zugegen
sind ; auch dann fand ich Sublimat von Nutzen , wenn ein dämpfiger
Husten, durch Sprechen vermehrt, mit weissschleimigem , zähem,
bisweilen grünlichem Auswurfe, schlimmer des Nachts, als am Tage;
Trockenheit im Halse und der Luftröhre, zu immerwährendem Trin-
ken reizend: flüchtige Stiche bald hier bald da in der Brust; öftere
Hitzanfälle bei sehr beschleunigtem Pulse, kalten Füssen und häu-
figen Schweissen und einer sehr grossen Gereiztheit und öfterem
Wechsel des Gemüths — sich mit jenen Beschwerden verbanden.
— Bei derartigen nächtlichen krampfhaften Hustenanfällen schafft
man oft auch sehr grosse Erleichterung mit öfter wiederholten Ga-
ben Ipecacuanha. — Dass Laurocerasus eine Art florider Lungen-
sucht mit unaufhörlichem Husten und sehr copiösem, gelatinösem,
blutpunktigem Auswurfe beseitigt habe, führen Hartlaub und
Trinks in ihren Annalen, IL S. 129 an, zur Bestätigung der von
D. Gross gemachten einmaligen Erfahrung; ich enthalte mich jedes
Unheils darüber, da ich bis jetzt diess Mittel anzuwenden noch nicht
Gelegenheit gefunden habe. Hingegen weiss ich von Ferrum me-
tallicum, dass es gegen einen steten kitzelnden Hustenreiz mit viel
grünlichem, blutstreifigemEiterauswurfe, bei grösster Mattigkeit, Ab-
magerung und Zehrfieber, überhaupt bei Colliquation, gänzlicher Ces-
sationderCatamenienund vorhandener Blennorrhoe derGeschlechts-
theile viel vermag und die Krankheit, nach vollbrachter Wirkung,
so verändert zurücklässt, dass alsdann eins der vorhergenannten
Mittel den Rest vollends beseitigt.

Ein sehr passendes Mittel in florider Lungensucht ist Digitalis
purpurea, vornämlich bei sehr aufgeregtem Blutgefässsystem ; bei
blutiggefärbtem Hustenauswurfe, mit klemmenden Stichen über der
Herzgrube; bei erhöheter Herzthätigkeit mit erstickender Zusam-
menschnürung der Brust.

Unter den später bekannt gewordenen Arzneien, die bis jetzt
gegen derartige Leiden angewendet wurden , zeichnen sich vorzüg-

8*



116 Phthisis pulmonalis.

lieh Phosphor, Hepar sulphur. c, Sulphur, Lycopod., Nitrum, Cal-
carea c, Kali carbon., Nitriacid. uniNatrum muriat, vorteilhaft
aus. In einigen Fällen, wo die Krankheit noch nicht zu weit ge-
diehen war, habe ich mit Calcarea, Nitrum und Phosphor Heilung
bewirkt.

:- §. 77.

Und nun zur Behandlung der Phthisis pulmonalis überhaupt.
Es giebt nicht leicht eine Krankheit, die so sehr dem Genius epi-
demicus unterworfen ist, als eine Phthisis, daher ihr häufiges Ge-
bundensein an den herrschenden Krankheitscharakter, der, wenn
er in verwandtschaftlicher Beziehung zum erkrankten Organe steht,
es auch um so intensiver ergreift. Deshalb ist Katarrh, der so
häufig herrscht, wenigstens immer bei Uebergängen des Winters
ins Frühjahr oder des Herbstes in den Winter, so höchst nachthei-
lig für diese Krankheit und führt sie oft schnell zum Schlechtem,
insbesondere durch den neu auftretenden inflammatorischen Zustand,
der in diesem leidenden Organe weit lebhafter, als in einem gesun-
den, sich entwickelt. Diesem letzteren nun muss der Arzt zuvör-
derst begegnen und darf sich nicht abhalten lassen, rasch einzu-
greifen und die Verderben drohende Inflammation zu coupiren,
selbst wenn er nicht längst erst ein dem Gesammt- Krankheitszu-
stande entsprechendes Mittel gereicht hätte, das ja unter obwalten-
den Umständen so auch nicht seine richtige Wirkungsthätigkeit
entfalten kann, die durch den Hinzutritt neuer Krankheits-Erschei-
nungen alienirt, oder ganz aufgehoben werden muss. Nie, oder
doch wenigstens sehr selten, tritt aber ein inflammatorischer Zu-
stand in derartigen kranken Lungen so weit verbreitet ein, dass er
zur ausgedehnten Pneumonie oder Pleuresie ausartete, sondern
immer bleibt es nur ein begrenzter, ein von einem neu entwickelten
Tuberkel etc. ausgehender, so dass der homöopathische Arzt selten
seinen ganzen antiphlogistischen Apparat in Anwendung zu bringen
nöthig hat, wie ihn jene vorhin genannten Krankheiten fordern,
um so weniger, als für diese Zustände uns einige Specifica zu Ge-
bote stehen, die zugleich dem Gesammtzustande der Krankheit mit
entsprechen. Dennoch darf ich aber auch nicht verhehlen, dass
es doch Fälle geben kann, wo durch Zusammentreffen von Umstän-
den ein so lebhaftes synochales Fieber sich entwickelt, und einen



Phthisis pulmonalis. 117

solchen Sturm in den leidenden Organen erregt, dass man ohne
Darreichen von Aconit nur langsam die so sehr zu wünschende
Beruhigung herbeiführen würde, die diesem Mittel so wunderbar
schnell gelingt. Schon mehrmals bezeichnete ich im ersten Bande
dieser Therapie den fieberhaften Zustand , der für Aconit sich
eignet, hier füge ich also nur noch bei, dass es besonders die
lebhaften Stiche an dieser oder jener Stelle in der Brust beim
Athmen sind, die in Verbindung mit jenem Fieber zu seiner An-
wendung auffordern, die so lange fortgesetzt werden muss, bis
der frühere ruhigere Zustand wieder eingetreten ist. — Ist der
stechende Schmerz mehr in den Seiten bei massigerem, mehr
erethischem Fieber, steht er hemmend der Ausdehnung der Brust
entgegen, dann tritt Bryonia an die Stelle des Aconit. — Geht
das Stechen von der Mitte der Brust oder den Seiten bis zum
Rücken hindurch, so ist Mercur mehr vorzuziehen. — Amica
ist ein ausgezeichnetes Heilmittel bei angehender tuberkulöser
Lungenschwindsucht, die einer nach vorangegangener Erhitzung
folgenden Erkältung ihr Entstehen verdankt.

Nicht gar zu selten finden sich Fälle, wo nach Auswirken
des einen oder des andern der genannten Mittel, der Zustand so
gestaltet dasteht, dass Dulcamara das zunächst passende Mittel
ist; meistens ist diess der Fall, wenn besonders die Schleim-
häute der Luftwege vorher vorzugsweise affizirt waren und die
eingetretene Verschlimmerung durch offenbare Erkältung herbei-
geführt wurde; bei fortdauerndem Stechen in den Brustseiien
wird durch den verstärkten Husten eine Menge zähen Schleims
ausgeworfen unter heftiger Brustbeklemmung. Diese Arznei ist
eine der ausgezeichnetsten in Schleimschwindsuchten, wo
sie sich schon vielfach als eine völlig heilende erwiesen hat, wenn
die übrigen Verhältnisse, die Gelegenheitsursachen und die beglei-
tenden Krankheitszeichen nicht gar zu ungünstig sich herausstellten.

Ihr sehr nahe steht Phosphor in dieser Phthisis -Form, ob-
schon er auch bei anderen Formen nicht ausgeschlossen bleibt,
z. B. in der geschwürigen. Bei der ersteren muss aber, soll
diess Mittel nützlich sich erweisen, der Husten ein starker, Tag
und Nacht anhaltender und mit vielem Schleimauswurf verbunde-
ner sein, oft Athemversetzung mit Angst in der Brust nach sich
ziehen ; ist Blutdrang nach der Brust, insbesondere nach jeder



118 Phthisis pulinonalis.

leichten, gemüthlichen Aufregung, öfteres starkes Herzklopfen
mit gelindem Stechen in der linken Seite, auch wohl ein mit
Blutstreifen durchzogener Schleimauswurf zugegen, so geben diese
Zerehen ein Criterium mehr zur Anwendung des Phosphor ab.

Von keinem Mittel kann ich rühmen, dass ich es so lieb in
diesen Krankheisformen gewonnen hätte, als von Stannum; nur
der tuberkulösen Phthisis scheint es nicht hold zu sein, wenig-
stens kann ich ihm hier das Lob nicht ertheilen, das es in der
schleimigen und eitrigen verdient. Charakteristisch für dieses
Mittel ist: die ungeheure Schwerfälligkeit der Kranken, die Nei-
gung immer zu sitzen oder zu liegen; die dabei vorherrschende
Mattigkeit auf der Brust mit Angst- Anfällen; die Kraftlosigkeit
und Abspannung des Geistes und Körpers; die grosse Abmage-
rung bei fortbestehendem gutem Appetite; die Muthlosigkeit,
Schwermuth und Verdriesslichkeit; die fliegende Gesichtshitze bei
sonstiger Blässe und Eingefallenheit des Gesichts; und nun ganz
besonders der heftige, erschütternde, tief aus der Brust kom-
mende Husten mit Zerschlagenheitsschmerz in der Herzgrube und
vielem schleimigen oder grünlichem, eitrigem Auswurfe. Nie
fand ich Stannum heilbringend bei Blutauswurfe, ja in einzelnen
Fällen schien es mir sogar, als begünstige es dieses Symptom.
Auch klagen die Kranken immer über eine lästig werdende Be-
klommenheit im obern Theile der Brust, bei grossem Leerheits-
gefühle im untern Theile.

Ehe wir noch mit den antipsorischÄl Arzneien bekannt wa-
ren, weiss ich mich noch recht gut der Zeit zu erinnern, wo wir
in Phthisen sehr häufig mit grossem Nutzen der Pulsatilla uns
bedienten, die jetzt ganz in Vergessenheit in diesen Krankheiten
gekommen zu sein scheint, was sie keineswegs verdient, da sie
ihren Wirkungskreis in dieser Beziehung durchaus nicht geändert
hat. Hätten wir ihr auch früher wirklich zu viel zugetraut, hät-
ten wir auch in unserer Exaltation mehr von ihr gesehen, als
wirklich zu sehen war: so viel steht dennoch immer fest, dass
sie auch jetzt kein zu verachtendes Mittel, und in Phthisen, wo
manche Arznei zur Heilung erforderlich, eine sehr schätzenswerthe
Zwischenarznei ist, die sowohl helfend als vorarbeitend sich er-
weist. Ihr glücklichster Wirkungskreis sind ebenfalls die „Schleim-
schwindsuchten", vorzüglich beim weiblichen Geschlecht oder



Phthisis pulmonalis. 119

auch bei Männern von sanftem, gutmüthigem Charakter. Im er-
stem Falle ist die Phthisis häufig an Unregelmässigkeit der Fun-
ctionen im Genitalsystem gebunden; wir beobachten sie da-
her nicht zu selten bei zögerndem Durchbruch der Menstrua-
tion in den Pubertäts-, als auch bei unregelmässiger Cessation
in den klimakterischen Jahren. Tritt auch zuweilen fliegende
Hitze ein, immer ist die Frostperiode mit Durstlosigkeit vorherr-
schend. Längere Zeit schon hat Patient mit katarrhalischem Hu-
sten zu kämpfen gehabt, immer achtlos ihn vernachlässigt, bis
er mehre Belästigungen und dadurch grössere Achtsamkeit her-
vorgerufen hat; er plagt Patient nun zu allen Tageszeiten, vor-
nämlich Abends, Nachts, wo er durch Aufsitzen vergeht, aber
beim Legen sogleich wiederkehrt; bald ist er trocken, erschüt-
ternd, krampfhaft, bald — und diess ist der häufigere Fall —
ist er mit vielem weiss -gelblichem Schleim - Auswurfe begleitet;
zuweilen ist der Auswurf ein blutiger, besonders bei unterdrück-
ter Regel; Beklommenheit auf der Brust, wie bei Blutandrang,
dass sie die Kleider wegwerfen muss, bis zu Erstickungsanfälien,
fehlt selten.

Auch China ist eine nicht zu verachtende Zwischen -Arznei,
ja in Einzelfällen eine vollständig heilende, wie ich einige Male
selbst erfahren habe. Hahnemann selbst hat in der Vorrede
zu diesem Mittel auf die Fälle aufmerksam gemacht, die von ihm
zu heilen sind. Es sind vornämlich diejenigen phthisischen Zu-
stände, die durch häufige Lungenblutungen erzeugt wurden. Die
Fälle, die ich zur Behandlung übernahm, betrafen Männer in den
hoch vorgerückten dreissig und angehenden vierziger Jahren ;
beide waren in sehr ärmlichen Verhältnissen, und die vorkom-
menden Blutstürze (gegen die, nebenbei gesagt, nichts gebraucht
wurde) waren aus Atonie entsprungen; diese sind es denn auch
vorzugsweise, wo China hülfreich sich erweist; diese Phthisen
entwickeln sich bald nach dem zweiten oder dritten Blutsturz,
sind von einem steten Hustenreize begleitet, durch den ein blut-
streifiger, eiterartiger Auswurf herausbefördert wird, und nehmen
einen höchst akuten Verlauf; das Fieber hat meist den intermit-
tirenden Typus und bei der Auskultation hört man knisterndes
Respirationsgeräusch.

In diesen eitrigen Phthisen giebt es aber noch eine Menge



120 Phthisis pulmonalis.

Mittel, die als wichtige vielseitig empfohlen und auch von mir
mit Nutzen angewendet worden sind. Eins der vornehmsten ist:
Kali carbonicum, das Hahnemann hei geschwüriger Lungen-
sucht ein unentbehrliches nennt. Geht man die verschiedenen
Hustenarten durch, die es bei Prüfungen an Gesunden erregt hat,
so kann man unmöglich an seinem vielseitigen Gebrauche zwei-
feln; noch sicherer wird man, wenn man den häufigen Eiter-
Auswurf wahrnimmt; verbindet man damit noch die eigengear-
teten Brustbeschwerden, das Pfeifen auf der Brust, die Athem-
versetzung, die Nachts immer aus dem Schlafe weckt etc. : so un-
terliegt es keinem Zweifel, dass diese Arznei passend für den
gegenwärtigen, so gearteten Krankheitszustand sein muss.

Oft hinterlässt diese Arznei den Krankheitszustand so gear-
tet, dass Nifri acidum das spezifisch passende Mittel ist und ge-
rade nach dem vorhergehenden auch ausgezeichnet günstig wirkt.
Namentlich ist diess der Fall, wenn die Krankheit schon in das
zweite Stadium vorgerückt ist und colliquative Durchfälle zuge-
gen sind; zugleich findet sich sehr grosse Magerkeit, besonders
an Oberarmen und Oberschenkeln, mit Mattigkeit, bei ärgerlicher,
reizbarer Stimmung, bei Aengstlichkeit mit Athem versetzenden
Herzklopfen; dabei eine Art Brechhusten, durch den ein gelber,
eiterartiger Auswurf herausbefördert wird ; zuweilen wird auch
Blut ausgeworfen, dann ist aber auch gewöhnlich ein Schnor-
cheln in der Luftröhre damit verbunden, wodurch angehende
Lungenlähmung sich ankündigt, der^Iieses Mittel ebenfalls
ausnehmend entspricht; Beklemmung der Brust mit kurzem, ängst-
lichem, beschwerlichem Athem, als dränge das Blut mit Gewalt
nach dem Herzen, fehlt nie.

Ein Mittel, dem in dieser Krankheits - Species zeither wohl
zu wenig Aufmerksamkeit von den homöopathischen Aerzten ge-
schenkt worden ist, das sich mir in mehren Fällen schon oft
hülfreich erwiesen hat, ist Cuprum, aber nicht das metallicum,
sondern das aceticum {essigsaures Kupfer, Grünspan). Vornäm-
lich ist es im ersten und zweiten Stadium einer tuberkulösen
Phthisis indizirt, wenn schon Colliquationen sich ankündigen und
die grösste Schwäche und Hinfälligkeit zugegen war, bei Abma-
gerung, eingefallenem Gesicht, Herzklopfen, blutigem Husten mit
Athemversetzung und schmerzhafter Zusammenziehung der Brust,



Phthisis pulmonalis. 121

bei Unruhe und stetem Umherwerfen, bei feuchter Zunge, hef-
tigem Durste und kleinem Pulse.

Nitrum ist in allen Stadien einer Phthisis anwendbar; am
nützlichsten fand ich es immer dann, wenn neue inflammatorische
Aufloderungen in Tuberkeln vorkommen, die dann einen stär-
keren Husten mit betäubendem Kopf- und lebhaftem Wundheits-
schmerze in der Brust herbeiführen; der Husten wird durch einen
Kitzel mitten in der Brust erregt und wird oft so arg, dass er
den Athem benimmt und hörbares Herzklopfen in seinem Gefolge
hat; selten ist der Auswurf bedeutend, meistens der wenige mit
Blut gemischt, ja selbst geronnenes Blut. Ist die Krankheit schon
weiter vorgeschritten, so fehlen ihr die durchfälligen Stühle und
ermattenden Nachtschweisse nicht.

Fast noch vorzüglicher, wenigstens oft entsprechender, ist
unter ähnlichen Verhältnissen Digitalis purp. Nie versagte die-
ses Mittel seine Dienste, wenn ich es unter folgenden Umstän-
den reichte: Ein Hauptcriterium war immer Beschleunigung des
Pulses, Kleinerwerden desselben, nicht Verlangsamerung, gegen
die sie in dieser Krankheit nie passend sein wird; dabei eine
allgemeine Schwäche, ein jählinges Sinken der Kräfte; eine Bäng-
lichkeit bis zur Angst sich steigernd; steter Husten, von Kitzel
im Kehlkopfe ausgehend, zuweilen mit etwas blutiggefärbtem
Auswurfe verbunden. Das Vorherrschendste aber vor allen An-
derm war: der ungeheure Blutsturm in der Brust mit den fast
hörbaren Herzschlägen und der Todesangst etc.

Senega ist in Lungenphthisen ein ebenfalls nicht zu verach-
tendes Mittel bei häufigem, mehr trocknem, oder doch nur zähen
Schleim mit Mühe herausbeförderndem Husten, mit Erschütterung
und Beklemmung der ganzen Brust; ebenso bei angehender Lun-
genlähmung mit Pfeifen und Schleimrasseln.

Lycopodium mag ein ganz schönes Mittel in geschwüriger
Lungensucht sein, obgleich ich es nicht sonderlich rühmen kann,
doch ist diess kein Beweis für seine Unzulänglichkeit in diesen
Krankheiten, denn jedenfalls liegt die Schuld an mir, dass ich
entweder den Zeitpunkt, wo es zu geben ist, nicht gehörig treffe,
oder dass ich überhaupt nicht genau distinguire. Ich denke, es
ist mehr die spätere Zeit einer purulenten Phthisis, wo Lycopod.
Ausgezeichnetes leisten muss, da, wo nach langwierigem, trock-



122 Phthisis pulmonalis.

nem Kitzel-Husten, Roh- und Wundheitsschmerz in der Brust sich
einstellt und nur mit Mühe dann Eiterpflocken ausgeworfen wer-
den; dazu gesellt sich Fieber mit heftigen Nachtschweissen. Vor-
züglich wirkt es dann, wenn die Krankheit durch vorher gebrauch-
ten Mercur in allopathischen Dosen sich verschlimmert hatte.

Lachesis, dieses äusserst Symptomen -reiche Mittel, ist in
allen Phthisis -Arten als ein sehr probates gerühmt, wie nicht
anders zu erwarten war; es soll in Schleim-, Eiter- und andern
Lungensuchten immer Gutes geschafft haben. Auch ich habe Gu-
tes von ihm in manchen Krankheiten gesehen, gestehe aber
ehrlich, dass ich den eigentlichen Wirkungskreis dieser Arznei
im Allgemeinen sowohl, als auch, bezüglich der Lungensuchten,
für die Brustorgane nie klar aufzufassen vermocht habe, woher
denn natürlich ein unsicheres Schwanken bei der Wahl entstehen
musste, die auch fast immer empirisch geschah. Bei richtiger
Wahl scheint das Mittel viel zu versprechen, und darum führte
ich es für Andere mit an, die vielleicht mehr daraus zu machen
verstehen, als ich.

Calcarea carbonica, dieses herrliche Mittel in so mancherlei
Krankheiten, scheint für Skrophulosis, Tuberkulosis und Phthisis
ganz besonders auch geeignet zu sein, wie sie sich denn auch
in Schleim- und Eiter-Phthisis vielmals herrlich bewährt gezeigt
hat. Sie passt eben so ausgezeichnet für die ersten Anfänge,
wie für die letzten Ausgänge dieser Krankheitsform, und verlaugt
nur immer den richtigen Zeitpunkt zum*Darreichen, wenn ihr
Nutzen bis zur Evidenz hervortreten soll. Vornämlich ist es der
dicke eiterartige Schleim, der in Massen ausgeworfen wird durch
Früh- und Abend-Husten, mit Wundheitsschmerzen in der Brust
und erschütternden Stichen im Kopfe, Athemversetzung von Brust-
beengung, als könne die Lunge sich nicht genug ausdehnen etc.,
der zur Anwendung der Calcarea auffordert.

Vitium antimonii, zwar ein allopathisches, aber doch auch
ein sehr heilsames homöopathisches Erleichterungsmittel im letz-
ten Stadio einer Phthisis purulenta, alle 3 — 4 Stunden zu einem
Tropfen gegeben; es mindert den Husten und dadurch die asth-
matischen Beschwerden sehr und schafft auf diese Art dem Kran-
ken die gewünschte Erleichterung.

Ohne speciellere Angabe der Symptome erinnere ich den



Phthisis pulmonalis. 123

Leser noch an die Carbonen, Natrum muriat., Conium. Graphit,
Staphys., Silic, Sepia, Baryt., Mangan, u. m. a.



Obschon ich bei Aufzeichnung der gegen phthisische Zustände
überhaupt empfohlenen Arzneien keine von einiger Dignität über-
gangen zu haben glaube, so muss ich doch um Nachsicht bitten,
dass ich nicht Allen gleiches Recht bei Angabe der entscheiden-
den Criterien habe wiederfahren lassen und kann zu meiner Ent-
schuldigung nur anführen, dass diess mir aus Mangel richtiger Beob-
achtungen bei manchen Mitteln unmöglich war. Vielleicht hat
mancher Leser so viele Erfahrungen über diese Mittel, dass es
ihm leicht werden wird, diese Lücke auszufüllen und das Feh-
lende zu ergänzen. Eben so zweifle ich nicht, dass es noch
mehre Arzneien giebt, die in diesen Krankheitsformen sich heil-
kräftig erwiesen haben oder noch erweisen können; mir sind sie
aber bis jetzt unbekannt geblieben und darum musste ich mit
Stillschweigen sie übergehen.

Hier nun noch einige kurze therapeutische Bemerkungen über
Erscheinungen, die im Verlaufe einer Phthisis die augenblickliche
Hülfe des Arztes in Anspruch nehmen, wodurch die Indicatio
symptomatica bedingt wird.

% 78.

Zuvörderst sind es Hämorrhagieen, namentlich Pneu -
morrhagieen, in Folge von Congestionen, die so häufig rasche
thätige Hülfe erheischen. Mir sind mehre derartige Fälle aus
allopathischer Praxis zugekommen , wo die Verordnung lautete,
jederzeit den Chirurgen eher, als den Arzt rufen zu lassen, weil
jener durch Aderlass mehr nützen könne, als der Arzt mit Arz-
neien. Diesen setze ich stets Aconit in kleinen und oft wieder-
holten Gaben entgegen und habe auf diese Art manchem der-
artigen Kranken noch Jahre lang das Leben gefristet, wenn ich
zu rechter Zeit das Mittel in Anwendung brachte. Die Pneu-
morrhagieen kamen immer seltner, und ich konnte in der Zwi-
schenzeit die passenden Heilmittel geben, während nach Veuä-
sectionen die Blutungen immer öfter wiederkehrten und das Le-
ben in viel kürzerer Zeit aufrieben. — Entstehen die Hämorrha-



124 Phthisis pulmonalis.

gieen durch Zerreissung von Lungengefässen, in Folge heftigen
Hustens, so ist ebenfalls zweckdienlich, eine oder ein Paar Ga-
ben Aconit zu reichen, nachher aber Arnica beharrlich fortzu-
geben. — Sind die Blutungen hämorrhoidalischen Ursprungs, wie
sich aus den sie begleitenden charakteristischen Kreuzschmerzen
ergiebt, sind sie mit Schwere und Beklommenheit der Brust, Stuhl-
verstopfung, mit einem schwachen unterdrückten und intermitti-
rendem Pulse verbunden: so ist für einen solchen Zustand kein
Mittel empfehlenswerther, als Kreosot. — Hat die Blutung den
Charakter der Dissolution, mit Fieber, das den Charakter des
Torpors hat und zu dem der Putrescenz hinneigt, wobei das Blut
braun, übelriechend ist, da können auch wohl einige Gaben Ar-
nica nützen, mehr jedoch thun hier einige Gaben China, denen
alsdann Acid. phosphor., oder, je nach den Umständen, Phosphor
selbst folgen kann. Uebrigens ist es in diesen Fällen sehr ge-
rathen, warme Fussbäder mit etwas Salz und Asche in Anwen-
dung zu bringen, oder noch besser, warme Breiumschläge aus
Hafergrütze, Leinsamen oder Leinsamenmehl zu machen.

Die enormen Schweisse sind Phthisikern meistens im höch-
sten Grade lästig und Minderung oder gänzliche Beseitigung dersel-
ben ist das Wünschenswertheste, was ihnen wiederfahren kann.
Zuweilen gelingt diess durch Mittel, die zugleich dem Gesammt-
krankheitszustande entsprechend anzuwenden sind , insbesondere
bei vorherrschender grosser Schwäche, durch Mercur, Acidum
phosphor., Acid. sulphur. — Oefters abe%ging die Wirkung der
besprochenen Mittel ganz spurlos vorüber, die Schweisse dauerten
ungestört fort und die Kranken wurden immer matter und muth-
loser. Hier war es, wo mir einigemale Salvia als Tinktur oder
als leichter Theeaufguss ; manchmal auch die Tr. Cort. Sambuci;
in wieder andern Fällen auch der Boletus laric. (Lerchenschwamm),
in dritter Verdünnung, grosse Dienste leisteten, wenigstens auf
längere Zeit den Schweiss verhüteten.

Zur Linderung colliquativer Diarrhöen lässt sich im
Allgemeinen nicht viel thun, indem solche meistens von Exulce-
ration in den Därmen im letzten Stadio einer Phthisis abhängen
und den höchsten Grad der gesunkenen Lebenskraft bekunden.
Berücksichtigungswerth sind besonders folgende Mittel: Acid.phos.,
Mercur, Calcar. acetic, Ferrum acet., Rhus, Seeale com. u. m. a.



Phthisis pulmonal!.?. 125

Eruption von Aphthen tritt unter heftigem Brennen auf
der Zunge und in der ganzen Mundhöhle ein und erzeugt jene
Veränderung, als wären diese Theile mit heissem Wasser über-
gössen; dieses Leiden erstreckt sich häufig nach hinten, erzeugt
Schlingbeschwerde und heftigen Larynxhusten. — Diesem Zu-
stande entspricht am treffendsten Acid. tiitrioli zu 1 oder einigen
Tropfen in 5J Wasser mit etwas Himbeersaft, Theelöffelweise ;
es wirkt schneller und weniger irritirend als Mercur. solub. , der
hernach zu geben ist, wenn jenes nutzlos angewendet worden
sein sollte. - — Wäre auch diess nicht ausreichend , (wie diess in
solchen Fällen häufig vorkommt, dass kein Mittel mehr seine
eigentümliche Wirkung entfaltet) so dürfte von Borax etwas
zu erwarten sein, in homöopathischer Gabe. — Werden die Aph-
then, die anfangs graulich-weiss sind, gelblich und die Theile
trocken, so ist diess ein schlimmes Zeichen und vielleicht nur
noch von Arsenic Hülfe zu erwarten.

Ein eben so beschwerliches als lästiges Symptom ist der De-
cubitus, weil die Kranken häufig ganz abgemagert, nichts als
Haut und Knochen sind. Um ihn zu verhüten, müssen die Kran-
ken wenigstens einige Stunden des Tages ausser dem Bette zu-
bringen, auf Matratzen und einem gegerbten Rehfelle liegen; die
Bettwäsche muss weich sein, darf nie in Falten liegen; die Stel-
len, wo Decubitus zu werden droht, werden täglich mehr-
mal mit Branntwein, Rum, Citronensäure oder verdünnter Ar-
mca-Tinctur gewaschen, was freilich nicht mehr geschehen kann,
sobald das Uebel völlig sich entwickelt hat, wo dann nichts an-
deres mehr zu thun ist, als mit Bleisalbe oder Cerat zu verbin-
den, denen das Gerbstoffblei, als Schlamm, täglich 2 — 3 Mal
auf feine Leinwand gestrichen, aufgelegt, noch vorzuziehen ist.
(Bereitungsart: Dct. Corl. Quere, sjij c. ^7 5XXVÜJ ad rem. ^xij.
Col. add. Extr. Saturn, q. s. ad perfeetam präeipitationem. Colat.
rejeet. residuo in filtro add. Spir. Vin. rectificatiss. %&f) Es ist
diess allerdings kein homöopathisches Mittel, aber hier, wo keine
Heilung mehr zu erzielen ist, wo es blos noch Erleichterung zu
verschaffen gilt, darf der homöopathische Arzt vor keinem Mittel
zurückschrecken, das ihm für seine Kranken Nutzen verspricht. —
Bei üblem, missfarbigem Ansehn des Decubitus empfehlen sich
besonders die mit Kartoffel gemischten Carottenbreiumschläge.



126 Phthisis pulmonalis.

Ein grosser Uebelstand ist, wenn der Auswurf ins Stocken
geräth ; leider aber ist diess auch meistens' schon ein beginnen-
des Zeichen des bald herannahenden Todes. Ist es Folge von
hinzugetretener Entzündung, so ist dieser Reizung zuweilen durch
einige Gaben Aconit zu begegnen, dem bei pleuritischen Schmer-
zen Squilla nachfolgen kann; ausserdem dürfte Bryonia hier
ebenfalls ganz an ihrem Platze sein. — Wo das Stocken des
Auswurfs aber in Folge beginnender Lungenlähmung eintritt, da
empfiehlt sich: Tart. emet., Moschus, Senega, Nitri acid., Vitium
antimon. etc. — Gegen Kitzel husten habe ich mit Nutzen fast
immer Bell, Ipecac, Sepia, Calc. c. angewendet.

Bangigkeit und Beklemmung martern die armen Kran-
ken oft sehr durch die heftige Angst, von der sie glauben er-
sticken zu müssen. Oefteres Riechen an Arsenic. beseitigt die-
ses Leiden am schnellsten, wiewohl auch Sepia, Phosphor, Bryon.,
Veratrum u. e. a. sich hülfreich erweisen können.

§. 79.

Paedatrophia, Atrophia mesenterica infantum, Phthisis meseraica. Darr-
sucht der Kinder.

Diese Form der Abzehrung ist nichts weiter als eine andere
Gestalt, in welcher die Skrophelkrankheit auftritt, oft mehr Folge
eines höheren Grades dieser Krankheit, wie wir auch schon in
einem der früheren Paragraphen gezeigt haben. Am häufigsten
tritt diese Krankheit bei jüngeren Kinder% bis zum vierten , fünf-
ten Jahre ein, kommt aber selten nach dem siebenten, achten
vor; sie bildet sich nur nach und nach aus, so dass die Zufälle
der Skrophelkrankheit im Allgemeinen ihr vorangingen und dann
noch neben derselben fortbestehen.

Ausser den den Skropheln eigenthümlichen Zufällen bemer-
ken wir hauptsächlich folgende: häufigere Stuhlausleerungen, als
bei gesurften Kindern, wirkliche Diarrhöen, wodurch sehr ab-
norm gemischte, meistens zugleich sauer riechende oder sehr
stinkende Flüssigkeiten ausgeleert werden, die nicht gehörig mit
Galle gefärbt, meistens missfarbig, grau, weisslich, zähe, schlei-
mig, oft einem mit vielem Wasser verdünnten Thone am ähn-
lichsten sind. Bisweilen wechseln Durchfälle und Stuhlverstopf-
ung mit einander ab, und natürlich wird hierdurch die Ernäh-



Paedatiophia. Darrsucht der Kinder. 127

rung sehr gestört. Ein Paar auffallende Erscheinungen gleich
anfangs sind: eine ausserordentliche Gefrässigkeit der Kinder und
ein saurer Geruch nicht Mos der Stuhlausleerungen, sondern auch
der Hautausdünstung, oft sogar des trüben, gummentösen Urins,
und saurer Geruch aus dem Munde , saures Erbrechen. Trotz
des grossen Appetits sehnt sich das Kind nicht nach nahrhaften,
kräftigen Speisen, Fleisch, Fleischbrühen, sondern nach schwe-
ren unverdaulichen Nahrungsmitteln, besonders nach saurem,
schwarzem Brode, nach Mehlspeisen, Kartoffeln u. s. w.

Bei Zunahme der Krankheit tritt auch der Unterleib immer
mehr in die Höhe, und wird oft so hart, dass er dem Drucke
wenig oder gar nicht nachgiebt, und im Verhältnisse zu den übri-
gen abgemagerten Theilen des Körpers unförmlich wird. Zu-
gleich treten das Leiden des Lymphdrüsensystems und die rha-
chitischen Zufälle immer mehr hervor, und die Abmagerung und
Kraftlosigkeit wird immer grösser; das Kind wird mürrisch, ver-
driesslich, still, unthätig und träge. Bei der Untersuchung des
Unterleibes, in dessen Tiefe die Kranken von Zeit zu Zeit über
flüchtig stechenden, kolikartigen Schmerz klagen, fühlt man
deutlich Anschwellungen von verschiedener Grösse und Form,
die etwas verschiebbar und schmerzhaft gegen Druck. Es sind
diess die vergrösserten, mit scrophulöser und tuberkulöser Masse
gefüllten Drüsen des Mesenteriums.

Nimmt die Krankheit noch einen höheren Grad an, was frü-
her oder später geschieht, wenn der Zustand zuweilen über ein
Jahr gedauert und zugenommen hat, so tritt Zehrfieber mit Ver-
schlimmerungen gegen die Nacht, mit heftigem Durste, vieler
Unruhe und Schlaflosigkeit hinzu, und reibt die Kräfte des Kin-
des immer mehr auf. Der Puls hat immer 90 — 100 Schläge
als Minimum; am Tage schweigen die febrilen Erscheinungen,
aber gegen Abend wird das Gesicht des Kranken geröthet. Die
meist reine Zunge wird fleischroth, trocken, die Lippen werden
rissig, springen auf, die Haut wird heiss und der Puls steigt bis
auf 110 — 120 Schläge.

§. 80.

Wie die Heilung einer Krankheit immer von dem Grade der-
selben abhängt, so ist es auch hier. Ist das Leiden noch nicht



128 Paedatrophia. Darrsucht der Kinder.

völlig ausgebildet, so gelingt die Heilung bei einer passenden
Behandlung meistens ; wenig Hoffnung hingegen ist da , wo schon
Zehrfieber, höchste Abmagerung und anhaltender Durchfall zu-
gegen sind. Demungeachtet ist mir selbst in diesen misslichen
Fällen die Heilung zuweilen noch gelungen, wenn ich auf strenge
Befolgung der vorgeschriebenen Diät mit Sicherheit rechnen
durfte; unter günstigeren Verhältnissen hingegen misslungen, wo
theils aus Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit, theils aus über-
grosser Liebe gegen die leidenden Kinder, fortwährend Fehler
in der Diät gemacht wurden. Ueberhaupt wird man bei skro-
phulösen Krankheiten nie grosse Fortschritte in der Besserung
bemerken, wenn man als Arzt nicht streng auf die Befolgung
einer zweckmässig vorgeschriebenen Diät Aufsicht hält.

Bei dem Entstehen dieser Krankheit, das oft nur durch öftere
diarrhöeartige Stühle sich zu erkennen giebt, das Kind zwar bis-
weilen an kleinen Drüsen-Anschwellungen litt, doch aber nicht
so bedeutend, dass man bei seinem übrigens munteren Aussehen
auf ein ausgebildeteres Drüsenleiden hätte schliessen können; bei
diesen veränderten Stuhlausleerungen ist auch der Unterleib et-
was gespannt und hart, doch hat er noch nicht jene oben be-
schriebene ominöse Härte — ich sage, bei diesem Entstehen
sind oft schon eine oder einige Gaben Chamomilla hinreichend,
das Fortschreiten zu verhindern. Nicht selten wird man verlei-
tet, einen solchen geringfügig scheinenden Zustand, wenn er
besonders in der Periode der Dentition* sich ereignet, für Zei-
chen des Zahndurchbruchs zu halten, und wohl gar nichts dage-
gen zu thun. Obgleich nun die Krankheit durch dieses passive
Verfahren mehr einwurzelt, hartnäckiger wird, und man auf
diese Art erst später die tiefere Bedeutung derselben kennen
lernt, so rathe ich doch immer wieder, zuerst Chamomilla zu
reichen, die auch hier noch geeignet ist, das weitere Umsich-
greifen zu verhüten, denn sie ist, wie ich schon mehrmals an
andern Orten gesagt habe, ein ganz vorzügliches Mittel in Kin-
derkrankheiten, dessen Wirkung besonders auf das Ganglien-
system sich erstreckt und darum sekundär die ebenfalls nur con-
sensuell entstandenen Störungen der Unterleibsorgane hebt, die
sich bei einem solchen atrophischen Zustande sekundär gebildet
haben. Nur dann müssen Gegenmittel angewendet werden, wenn



Paedatrophia. Darrsucht der Kinder. 129

der Chamillenthee in oft wiederholten Gaben dem Kinde als wohl-
thätiges Hausmittel gereicht wurde. — Also in vielen Fällen
wird man mit Chamomilla ausreichen, die zuweilen erst nach
mehren Tagen, vorzüglich bei ganz kleinen Kindern, bei denen
ein solcher Zustand sich auszubilden anfängt, sich hülfreich er-
weist und in diesem Falle auch öfter wiederholt werden kann.

Bei schon älteren Kindern oder bei mehr eingewurzelter Krank-
heit jedoch steht sie anderen Mitteln an Wirksamkeit nach. So
wird z. B. , wenn jene beiden charakteristischen Erscheinungen,
das grosse Verlangen nach sauren Genüssen und der saure Ge-
ruch bei fortdauernden durchfälligen, sehr stinkenden, weissli-
chen Stuhlgängen, Hepar sulphuris weit vorzüglicher als Chamo-
milla wirken, obgleich diese ebenfalls einen widernatürlichen
Hunger aufzuweisen hat: Hepar ist darum aber auch dann noch
hülfreicher, weil sie zugleich auch intensiver auf das kranke Drü-
sensystem einwirkt. — Sind mit diesen Stuhlausleerungen Ab-
gang von Madenwiirmern, auffallende Gesichtsblässe und jene
Gefrässigkeit verbunden , so wird kein Mittel der herrlichen Wir-
kung der Cina gleich kommen, während unter denselben Ver-
hältnissen, nur bei einiger'Empfindlichkeit des Unterleibes und
teigiger Anschwellung desselben, Gefrässigkeit, grosser Abge-
spanntheit und Hinfälligkeit, oftem, weisslichem, breiartigem
Stuhle China das vorzüglichste Mittel bleiben wird. — Nur we-
nige Fälle giebt es, wo Stuhlverstopfung einen atrophischen Zu-
stand begleitet, aber wo diess statt findet, da ist auch fast kein
Mittel geeigneter, die Krankheit schnell und ohne Beihülfe ande-
rer zu beseitigen, als Nux. — Eben so passt Nux auch dann,
wenn der atrophische Zustand sich schon weiter ausgebildet hat,
das Kind ein fahles, gedunsenes Ansehn hat, sehr abgemagert
ist, nicht gehen, sondern fast immer liegen will, viel Hunger,
vorzüglich nach Brod hat; das Genossene öfters wieder ausbre-
chen muss, grossen Durst empfindet, der Unterleib dick und hart
ist, das Kind bald an Durchfall, bald an Stuhlverstopfung leidet
und äusserst verdriesslich ist. Doch dürfte, wo grosser Heiss-
hunger sich mit einem so eben beschriebenen Zustande verbindet,
Bryonia nicht ganz aus der Wahl der Mittel ausgeschlossen sein.
Wo Nux oder Bryonia nicht ganz ausreichen , da sind die Krank-
heits-Zeichen oft so gestaltet, dass Arsenicum, vornehmlich bei
IL 9



130 Paedatrophia. Darrsucht der Kinder.

ausserordentlichem Sinken der Kräfte und höchst empfindlichem
Leibschneiden, oder China den Rest vollends zu beseitigen im
Stande sind. Zuweilen ist nicht blos das eine oder das andere,
sondern alle beide zur vollständigen Tilgung des Leidens erfor-
derlich , und man wird sogar noch mehrer Mittel sich bedienen
müssen, unter denen wiederum Belladonna rühmlich genannt zu
werden verdient. Ausser den genannten Mitteln ist vorzüglich
auch Pulsalilla dann indizirt, wenn bei öfters sich einstellendem
Heisshunger die entarteten, mit vielem Schleime gemischten, mehr
breiigen, als ganz wässrigen Stuhlausleerungen häufiger des
Nachts, als am Tage eintreten; dagegen Rhus, wenn bei einem
Wechsel von Heisshunger und Gleichgültigkeit gegen Essen die
diarrhoeartigen mit Leibschneiden verbundenen Stuhlausleerungen
mehr nach Mitternacht sich einstellen. Beide Mittel aber sind
nicht blos geeignet, wie der Leser auch schon aus früheren An-
gaben wird abnehmen können, den hier angedeuteten sekundä-
ren Zustand zu beseitigen, sondern sie passen recht eigentlich
auch für das Primärleiden, den skrophulösen Zustand, und ihre
specifische Wirkung muss gegen diesen berechnet sein, wenn sie
gegen jenen etwas ausrichten sollen.

Obgleich Mercurius, wie ich auch schon in einem der früh-
ern Paragraphen erinnert habe, in derartigen skrophulösen Lei-
den oft nur palliativ wirkt, so ist er doch aus der Reihe der ge-
gen Atrophie angezeigten Mittel nicht zu verweisen; wenigstens
bringt er nicht selten eine so wohlthätig%Besserung hervor, dass
alsdann die darauf zunächst passende Arznei weit kräftiger ein-
wirkt und mehr zu bessern vermag, als es ohne Mercur der Fall
gewesen sein würde. Vorzüglich nützlich wird er sich da erwei-
sen, wo bei einem schon vorhandenen skrophulösen Zustande,
bei eiternden Lymph- und Drüsen-Geschwülsten, bei grosser Ab-
magerung, bei unverhältnissmässiger Grösse des Kopfs (Hydro-
ce/)/&a£ws)undUnterleibszu den übrigen Körpertheilen, auch öfte-
rer Heisshunger nach dem Essen, Widerwillen gegen warme Spei-
sen, entkräftende Nachtsch weisse, besonders am Oberkörper, die,
wie die gehackten, grünlichen Stuhlausleerungen, einen ekligen,
sauren Geruch verbreiten, zugegen sind. — Noch ausgezeichne-
ter wirkt Sublimat als das auflösliche oder lebende Quecksilber,
wenn der Atrophie sich schon eine Febris lenta beigesellt und



Paedatrophia. Darrsucht der Kinder. 131

ein phthisischer Zustand eingefunden hat, der durch seinen kur-
zen, angreifenden, zuweilen wohl auch lösenden, aber, ehe es
so weit kommt, Brechreiz erregenden Husten die wenige Le-
benskraft, und die geringen Körperkräfte vollends aufzureiben
droht.

Die vorzüglichsten Mittel bleiben aber auch hier wieder, wie
in allen chronischen Krankheiten, die Antipsorika, und die vor-
her angegebenen Mittel sind zwar in vielen Fällen geeignet, die
Krankheit zu beseitigen, wenn sie noch nicht zu weit gediehen
ist, doch aber steht es nicht in ihrer Kraft, die Wiederkehr einer
solchen Krankheit zu verhüten, was zwar bei nur wenigen Sub-
jecten, wenn die Krankheit einmal gehoben ist, der Fall sein
wird. Die genannten Mittel sind ferner da anwendbar, wo eine
radikale Hülfe nicht mehr zu erzielen , dem Arzte aber doch um
Linderung der Beschwerden zu thun ist. Besitzt das kranke Sub-
ject noch Lebenskraft genug, so wird durch diese Mittel die
Reaction derselben aufgeregt, und die Krankheit gemindert, und
dann ist der Zeilpunct da, wo das passende Antipsorikum ge-
reicht werden muss.

Das erste Mittel gegen Atrophie der Kinder ist und bleibt
der Schwefel , und zwar als Tinctura sulphuris. Er deckt alle
die bei Atrophie vorkommenden Beschwerden. Jeder Zweifel aber
ist gehoben, und der angehende homöopathische Arzt kann mit
Sicherheit den günstigen Erfolg der Schwefel-Wirkung erwarten,
wenn durch die fortdauernden, scharfen Stuhlabgänge, Wundheit
des Afters, der Zeugungstheile, der innern Seite der Oberschen-
kel, wohl auch dadurch eine frieselartige Ausschlagsform an die-
sen Theilen erzeugt wurde, in manchen Fällen sogar ein Weiss-
fluss ähnlicher Abgang bei ganz kleinen Mädchen, Entzündungs-
Geschwulst, tripperähnlicher Ausfluss bei Knaben und Schwer-
harnen bei Beiden gegenwärtig ist.

Ist der oben angegebene charakteristische Säure- Geruch aller
ausgeschiedenen Flüssigkeiten gegenwärtig, der auf freie Säure
im Magen und davon abhängende Unregelmässigkeiten in den
Funktionen der Unterleibsorgane schliessen Iässt, die grössten-
theils durch eine ganz fehlerhafte Diät erzeugt wurde, so wird
kein Mittel, bei geordneten diätetischen Vorschriften, sich heil-
kräftiger erweisen, als Magnesia carbonica.

9*



132 Paedatrophia. Darrsucht der Kinder.

Sind die Durchfälle, die bei atrophischen Zuständen immer
das constanteste Symptom ausmachen, durch keines der hier an-
gegebenen Mittel zu beseitigen, so ist Phosphor oder Acid.phos-
phor. immer diejenige Arznei, die es am ersten vermag, wenig-
stens habe ich mit dieser immer die hartnäckigsten Durchfälle
bei Kindern gehoben, die keinem andern vorher gegebenen und
doch passend scheinenden Mittel wichen. Uebrigens deckt die
Phosphor-Arznei noch eine Menge Symptome, die der Atrophie
eigenthümlich sind, namentlich sind es die drüsigen Anschwel-
lungen und Verhärtungen, die in der Erstwirkung dieser Arznei
sich wieder finden lassen.

Bei fühlbarer Anschwellung derGlaudulae meseraicaebei
einem atrophischen Zustande mit dickem Bauche, Drüsengeschwül-
sten, Empfindlichkeit der Bauchdecken bei Berührung, mit hell-
farbigen, oder auch mit Blut gemischten, durchfälligen Stuhl-
entleerungen etc. sind die übrigen Beschwerden oft -von der Art,
dass Baryta carbonica ihnen entspricht.

Ein ebenfalls nicht zu verachtendes Mittel in dieser Krank-
heit ist Conium maculat., wie ich auch schon mehrmals unter
scrophulösen Beschwerden, bei Drüsen-Geschwülsten und Ver-
härtungen angegeben habe. Namentlich ist es empfehlenswerth:
bei saurem Aufschwulken des Genossenen, bei Aufgetriebenheit
und Härte des Bauches, bei sehr schwächenden, wässrigen Durch-
fallstühlen, die unter Brennen und Pressen im After ausgeleert
werden. *

Ehe ich diesen Abschnitt beschliesse, muss ich noch auf
einige Mittel aufmerksam machen, die meines Erachtens grosse
Beachtung in derartigen Kinder-Krankheiten verdienen, und de-
ren heilsame Wirkung ich auch schon durch die Erfahrung be-
stätigt gefunden habe. Das erste ist Sepia, die sich stets nütz-
lich erwies, wenn nach jedesmaligem Milchgenusse durchfälliger
Stuhl eintrat. Das zweite ist Petroleum, das ich anwendete, wenn
der mehr breiige, aber täglich mehrmals auszuleerende Stuhl-
gang nur mit Mühe und Anstrengung fortgeschafft werden konnte,
und jedesmal grosse Ermattung zurückliess. Mein Recensent
nennt auch noch Lycopodium als ein ganz vorzügliches Mittel in
den hier genannten Fällen. Und endlich ist es Jodium (die Jo-
dine), als das vierte Mittel, was ich mehr vergleichend mit den-



Phthisis hepatica. Leberphthisis. 133

jenigen Fällen, in denen die allöopathischen Aerzte es anzuwen-
den pflegen, und, rückschliessend, früher versuchsweise anwen-
dete, und damals schon sehr guten Erfolg davon wahrnahm; jetzt
gebe ich es mit weit mehr Nutzen in der von Hahnemann
vorgeschriebenen Dosis, und kann mit Sicherheit auf einen gün-
stigen Heilerfolg rechnen, wenn das Krankheitsbild in seinen
charakteristischen Eigenheiten mit denen von der Jod-Wirkung
übereinstimmt. — Es versteht sich übrigens von selbst, dass
der homöopathische Arzt die hier angegebenen Mittel nicht blos
aufs Gerathewohl und auf meine Empfehlung hin anwenden darf,
sondern sich erst vorher genau überzeugen muss, ob sie auch
den gegenwärtigen Symptomen der Krankheit entsprechend sind.
Genug, wenn er hier schon die vorzüglichsten Mittel angegeben
findet und nur in diesen nachzuschlagen nöthig hat. Doch darf
es ihn auch nicht befremden, wenn er in einzelnen Fällen keins
von allen diesen dem gegenwärtigen Symptomen-Complexe ent-
sprechend findet, sondern ein ganz anderes wählen muss, da ja
die Krankheits-Fälle so äusserst verschieden sind, dass man bei
der grössten Erfahrung nicht immer mit bestimmter Gewissheit
die passendsten Mittel dagegen angeben kann.

§. 81.

Phthisis hepatica. Leberphthisis.

Hätte ich nicht vor wenigen Monaten einen Fall der Art
selbst in Behandlung gehabt, ich würde mich wohl hüten, über
die bei uns so selten vorkommende Krankheit, deren Beschrei-
bung deshalb so sehr unvollständig ist, nur ein Wort zu spre-
chen; so aber denke ich ein Recht zu haben und wäre es auch
nur zu festerer Begründung der Diagnose. Der therapeutische
Theil hingegen kann nur ein negativer sein, da ich auf keine
Art Heilung erzielen, sondern nur theilweise beschwichtigend
handeln konnte.

Nie tritt die Krankheit ein, wo nicht Hepatitis vorausgegan-
gen ist, die einen Ausgang in theilweise Genesung, in Eiterbil-
dung genommen hat; darum bieten sich auch immer noch leichte
entzündliche Erscheinungen dar, die aber selten den Kranken
sehr belästigen; Auftreibung der Leber, Hervorragung derselben
über den Rand der falschen Rippen, Schmerz beim Drucke und



134 Phthisis hepatica. Leberphthisis.

zuweilen stechender Schmerz gegen die Schulter, oft sogar zum
Oberarm hinziehend. Nicht immer ist äusserlich viel zu fühlen,
nur etwa da, wo der Abscess auf der obern Fläche der Leber
sitzt. Der Abscess kann sich verschiedene Wege bahnen; nach
aussen; nach Perforation der Bauchbedeckungen, oder in den
Magen, dann erbrechen die Kranken periodisch den Lebereiter;
oder ins Colon nach vorgängiger Verwachsung mit demselben,
und die Kranken entleeren dann den Lebereiter mit dem Stuhle;
oder endlich in die Lungen und der Eiter wird durch Husten
ausgeworfen. Hierzu gesellen sich noch Störungen in der Func-
tion der Leber; icterische Erscheinungen: gelbe Färbung der Al-
buginea, bald über die Haut sich verbreitend und schmutzig-gelb
werdend; auch der Urin nimmt mehr oder weniger icterische
Färbung an. Zugleich tritt Schwinden und Abmagerung des Kör-
pers und Febris hectica ein.

Die Prognose ist wohl in den meisten Fällen ungünstig.

§. 82.

Die Therapie dieser Krankheit ist sehr mager und lässt
sich selbst bei dem besten Willen nicht mit nur einiger Gewiss-
heit angeben. — Es sei mir erlaubt, den mir vorgekommenen
Fall etwas ausführlicher mitzutheilen. Er entwickelte sich nach
zweimal überstandener Leberentzündung, deren erste der zwei-
ten ein ganzes Jahr voranging und in dessen Zwischenzeit Pat.
sich vollkommen frei von allen BeschvÄrden fühlte. Eine hef-
tige Erkältung führte die zweite herbei, von der er durch Bryon.,
Beileid., Nux, China binnen 6 Tagen so weit hergestellt war,
dass er, Mattigkeit abgerechnet, keine Klage weiter zu führen
hatte, was ihn bewog, ohne meine Erlaubniss, an einem rauhen
Herbsttage auszugehen, wodurch er sich auch sogleich einen so
tüchtigen Rückfall zuzog, dass er nun weit länger das Zimmer
zu hüten sich genöthigt sah, als das erstemal. Trotzdem ich
meine Zustimmung verweigerte, glaubte er doch, nach getroffe-
ner Uebereinkunft mit seiner Braut, die schon längst bestimmte
Hochzeit nicht aufschieben zu dürfen, wozu er eine Reise von
mehren Meilen zu machen hatte, von wo er, wie gedacht, krän-
ker zurückkehrte als er gegangen war. Jetzt klagte er beson-
ders immer bei Bewegung einen stumpfstechenden Schmerz im



Phthisis hepatica. Leberphthisis. 135

untern Theile der Leber nach dem Rücken und der Schulter zu,
der mit der Zeit immer lebhafter wurde, Hustenreiz hervorrief,
durch den anfangs selten, kleine, schmutzig-gräuliche, eckelhaft
riechende Pflöckchen ausgeworfen wurden, die nach und nach in
immer grösserer Menge erfolgten, bis Pat. endlich jedesmal einen
halben Spucknapf voll entleerte. Einschalten muss ich, dass der
Kranke nie über Husten oder irgend eine andere Brustbeschwerde
sich zu beklagen hatte, auch beim Gehen und Steigen nie Athem-
mangel fühlte, der Husten sich nur einstellte, wenn diese eitrige,
wie verdorbener Kümmel riechende und wie alter zerlaufener
Käse aussehende Masse entleert werden sollte. Pat. lief bei alle-
dem noch herum und hütete nur erst dann das Zimmer, als ein
empfindlicher Hüftschmerz der kranken Seite ihm das Gehen be-
schwerlich und das Treppensteigen fast unmöglich machte. Aeus-
serlich sichtbar wurde das Leiden erst bei immer grösserer Ver-
kürzung des Schenkels durch eine kleine Erhöhung in der rech-
ten Inguinalgegend. Kurz der Ausgang einer vorhanden gewe-
senen Psoitis, durch den Leberabscess erregt, in Eiterung war
durch Mercur, Beilad., Sulphur, Coloquinte, Ledum, Sepia, Cal-
carea nicht zu verhüten, höchstens die damit verbundenen Schmer-
zen zu lindern. Ehe diese Psoitis hinzutrat, sah ich von Stan-
num, Caustic. und Lycopod. den meisten Nutzen gegen diesen
eckelerregenden Auswurf — wenn eine Verminderung desselben
ein Nutzen genannt werden kann. — Die Bubonenartige Erhöh-
ung in der rechten Leistengegend wuchs zusehends, verkürzte
den Fuss immer mehr und bestätigte durch ihr Aufplatzen meine
Vorhersage vollkommen: dass mit der Eiterentleerung hier die
aus den Lungen aufhören würde und merkwürdig, von diesem
Moment an war aller Husten und Auswurf verschwunden und die
Eiterentleerung aus dem Inguinalabscess war von derselben Qua-
lität wie jene aus den Lungen. — Genug, nach längerem Hinhal-
ten, nach Bildung von Fistelgängen, von hydropischen Erschei-
nungen, bedeutendem Decubitus und endlichem Marasmus unter-
lag der Kranke dann sehr bald (etwa 10 — 12 Tage), nachdem
er dem hiesigen Spitale übergeben worden war. Leider hinderte
mich eigene Krankheit der Section beizuwohnen, die sich aber
doch (wie ich durch meinen Sohn erfuhr) in allen meinen Aus-
sprüchen bestätigt gezeigt hatte.



136 Phthisis hepatica. Leberphthisis.

Die Mittel, durch die der Kranke bei der enormen Eiterung
(täglich circa 4 Nachtgeschirr voll — wenigstens 4 Monatelang)
noch so hingefristet wurde, waren: Silicea, Arnica, Kalicarb., He-
par sulph. , mitunter einige Gaben Mercur, Phosphor, China, Acid.
phosphor., Sulphur, Arsenic. , Ferrum , Asa etc. — Diess sind
ohngefähr die Mittel, von denen in ähnlichen Fällen etwa Gebrauch
zumachen wäre, und auch diese nicht alle, weil viele davon dem
Psoas- Abcesse mit entsprechend gewählt wurden. — Da Hesse
sich vielleicht von der therapeutischen Behandlung radicale Hülfe
erwarten, wo der Leberabscess in seiner Nähe die Bauchdecken
durchbräche und es liesse sich durch jene Vernarbung herbei-
führen.

§. 83.

Noch einige Worte vergönne mir der Leser über

Gallensteine. Calculus biliarius s. felleus.

und seine Beschwerden zu sagen.

Diagnose: Oefterer Druck und Beschwerden in der Leber-
und Magengegend, besonders Magenkrämpfe mitErbrechen. Haupt-
zeichen sind aber : Gallensteinkoliken, die sich dadurch aus-
zeichnen, dass der Kranke von Zeit zu Zeit die heftigsten Schmerzen
in der Leber- und Magengegend mit heftigem Würgen und Er-
brechen und darauf folgender, einige Tage anhaltender, gelber
Hautfarbe bekommt, wonach sich im Stuhlgang zuweilen Ab-
gang von Gallensteinen findet, was aber Win Stein, sondern eine
harzige, erdige, brennbare Masse, eine Konkretion der Galle, ist.

Veranlassende Ursachen sind: cholerisches Tempera-
ment, Genuss vieler schwerer, fetter, animalischer Speisen, unter-
lassenes Trinken, sitzendes Leben, Zusammenschnüren des Unter-
leibes, anhaltender Gram und Kummer, besonders verschluckter
Aerger bei dem Essen (daher in unglücklichen Ehen häufig).

Therapie dieser Koliken.

Eins der vorzüglichsten , obschon nicht souverainsten — denn
dazu ist seine Kraft nicht ausreichend — Mittel ist und bleibt hier
Chamomüla, in öfter wiederholten, nicht zu starken Gaben; sie ist
den ersten leichtern Anfällen bei cholerischen Temperamenten,
nach verschlucktem Aerger während des Essens entsprechend, wird



Gallensteine. Calculus biliarius e. felleus. 187

aber nie stichhaltig sein, wo die veranlassende Ursache immer von
Neuem einwirkt. Die auf sie hinweisenden Symptome sind .-drückende
Schmerzen in der Herzgrube, dem Magen und den Hypochondern,
besonders nach dem Essen mit anfänglichem Aufschwulkcn des
Genossenen, dann aber bittrem und galligem Erbrechen, bei un-
ruhigem, verzweifelndem Umherwerfen und argem Kopfweh, als
solle der Kopf zerspringen.

Unter fast ähnlichen Verhältnissen, nur bei grösserer Intensität,
nach innerer, nagender Kränkung oder unwürdiger Behandlung,
steht Coloquinte jener als Heilmittel voran in Gallensteinkoliken.
Diese veranlassenden Ursachen werden wenigstens stets die Auf-
merksamkeit des Arztes für dieses Mittel in Anspruch nehmen, wenn
besonders noch Gallerbrechen mit Druckschmerzen in der Magenge-
gend vorhanden sind.

Mehrmals Hessen mich beide Mittel im Stich; wo ich glaubte
ganz sicher gewählt zu haben, und nur erst die eintretende gelb-
liche Färbung der Haut leitete mich auf die richtig passende Arznei,
auf Digitalis. Merkwürdig schnell war ihr Heilerfolg, wenn die
drückende Schwere im Magen mit ungeheurem, heftigem, grünen
Erbrechen, schnellem, jählingem Sinken der Kräfte und öfteren
Ohnmächten begleitet war. Stuhlgang hatte gewöhnlich eine weiss-
liche Farbe, erfolgte nur nach Lavements und der Urin war dunkel
gefärbt. Auch Laurocerasus, China, Veratrum, Cuprum, habe ich
nach den hervorstechendsten Symptomen, mit mehr oder weniger
Nutzen in dieser verzweifelten Krankheitsform angewendet, denn
es ist wirklich höchst schwierig, in diesem grässlichen Sturme der
Erscheinungen, wo der Kranke in den heftigsten Graden mit dem
Tode ringt, das entsprechendste Mittel jedesmal herauszufinden, da
man nur auf seine eigenen Beobachtungen angewiesen ist und vom
Kranken gar nichts wegen der überaus grossen Schmerzen erfahren
kann. Auch Nux vomica und moschata leisteten etwas ; erstere,
wo der Krampf mehr auf den Magen concentrirt, Stuhlverstopfung,
sowie Vomituritionen mit saurem Aufstossen mehre Tage schon
vorangegangen waren. Mit einiger Erleichterung wurden jeder-
zeit öliche Lavements, wenn sie auch keine Fäces entleerten,
angewendet, wenigstens schienen danach immer die Intermissionen
länger anzuhalten, eben so nach warmen Oel- Einreibungen der
Hypochondern.



138 Colliquationen.

Von keinem Mittel jedoch habe ich den dauernden Nutzen ge-
sehen , als von Arsenicum und zwar in den allerheftigsten Graden,
wo Leben und Tod mit einander rangen, wo die Kranken gänzlich
besinnungslos, mit Todtenblässe und Angstschweiss überzogen,
apathisch dalagen, die Ohnmächten gar nicht mehr wichen, nur
noch zuweilen vergebliche Brechanstrengungen gemacht wurden.

Hier kehrte auf eine einzige Gabe nach 5 Minuten Leben zurück,

die Reaction wurde thätig und rastete nicht eher, bis auch der
letzte Rest der Krankheit überwunden war. Zwei Stunden hatten
die Trauerscene in freudige Dankgefühle umgewandelt ! Später gab
ich ihn, wo die Scene mit Magenkrämpfen und Kolikschmerzen
der heftigsten Art begannen, fast ohne Nachlass, mit enormem
Brennen in den ergriffenen Theilen, öfterem Erbrechen , höchster
Schwäche, Stuhlverstopfung und dem deutlichsten Ausdruck des
Sckmerzgefühls im Gesichte verbunden waren.

Wo immer neue Anfälle wieder auftauchen, mithin der Beweis
vorliegt, dass die Gallensteinbildung auch immer von Neuem vor
sich geht, da ist der Gebrauch der Karlsbader Thermen ganz am
passenden Orte und es würde sogar das künstliche den Kranken,
die der Kosten wegen die Reise nach Karlsbad scheuen, von we-
sentlichem Nutzen sein.



Zwölfte Ordnung.

§. 84. %

Colliqu ationen.

Sie finden sich ausschliesslich in Sekretionsorganen, einerseits
auf den Schleimhäuten der verschiedenen Gebilde, andrerseits auf
der äussern Haut. Die Secretion ist immer vermehrt, die Qualität
des Secernirten ebenfalls auf mannichfache Weise verändert Es
unterscheidet sich diese Klasse von Krankheiten dadurch wesent-
lich von den Phthisen, dass die Secretionsthätigkeit im leidenden
Organe concentrirt, in allen übrigen mehr oder weniger unter-
drückt ist, während sie bei Phthisen sogar colliquativ vermehrt sein
kann. — Auch hier findet bedeutende Abmagerung; eben so
chemische Veränderung im Blute statt.

Anatomischer Charakter: Das kranke Organ zeigt sich



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #8 on: April 30, 2013, 09:34:32 PM »

Diabetes. Harnruhr. 139

im Zustande der Erweichung, Auflockerung, Zerstörung, doch
nur durch Erosionen , nicht durch Geschwürsbildnng ; dagegen ist
die Muskelhaut auffallend verdickt, hypertrophisch, wie das auf-
fallend wahrnehmbar beiLienterie und Diabetes ist. — Die dem er-
griffenen System zugehörigen Organe sind dabei mehr oder weni-
ger zerstört. — Auffallendes Schwinden des Fettes und der orga-
nischen Masse. — Später gesellen sich Veränderungen im Nerven-
systeme hinzu.

§.85.

Diabetes. Harnruhr.

Es ist diess jede ungewöhnliche Vermehrung der Harnabson-
derung, mit oder ohne qualitative Veränderung derselben, mit
krankhaften Einfluss auf dem ganzen Organismus. Die vorzüglichsten
unterscheidenden Arten sind: Diabetes insipidus (ge-
schmacklose Harnruhr) und D. mellitus (zuckrige Harnruhr).

Am häufigsten, merkwürdigsten und gefährlichsten ist diese letz-
tere Form; der Urin wird geruchlos, süss schmeckend entleert und
enthält bei Verminderung des Harnstoffes Zuckerstoff. Meistens
schleicht die Krankheit sich unbeachtet heran, weshalb der Arzt sie
auch erst völlig ausgebildet zu Gesicht bekommt.

Begleitende Zufälle einer Harnruhr sind: Ausserordentlicher
Durst mit zunehmender Schwäche und Abmagerung, dass es dem
Kranken selbst auffällt und er nach ärztlicher Hülfe sich sehnt.
Die Menge des abgehenden Harns ist oft enorm, von 10 — 60
Pfund und darüber in 24 Stunden und übertrifft die Menge des ge-
nossenen Getränkes, unaufhörliches Drängen zum Harnen quält
den Kranken und unterbricht häufig seinen Schlaf. Zuweilen
klagt der Kranke über Schmerzen in der Nierengegend, über ein
Gefühl, wie wenn kalte Tropfen in die Blase herabfielen. Der
Geschlechtstrieb erlischt zuweilen mit gleichzeitiger Verschrum-
pfung der Hoden. Die Esslust steigert sich bis zum Heisshunger;
besonders gross ist der Hang nach Brod. Unlöschbar der Durst,
namentlich zur Nachtzeit. Alle übrigen Sekretionen sind mehr
oder weniger unterdrückt; die Haut fühlt sich spröd , trocken, per-
gamentartig an , ist schilfrig , Stuhl angehalten , hart , von nicht
fäculentem multrigem Gerüche; zwischen Verstopfung und Durch-
fall wechselnd. Oft ist das Zahnfleisch aufgelockert, die Zähne



140 Colliquationen.

fallen aus. Die Kräfte schwinden, bei zunehmender Abmagerung;
die Kranken sind schwermüthig, bald sehr reizbar, bald apathisch;
ihre Stimme ist rauh, hohl, schwach; Gesicht und Gehör nehmen
ab; zuweilen bildet sich grauer Staar; zuweilen Amaurose im Auge
aus. Die Zeichen der Lungentuberkulose und hectisches Fieber
treten mehr hervor, unter Nachlass der Hyperdiurese und des
Zuckergehalts im Harne, mit colliquativen Schweissen — oder
die Fiisse schwellen an. Die Krankheit endet durch Erschöpfung,
Phthisis, Wassersucht, oder zuweilen durch Apoplexie.

Occasionelle Ursachen sind: die vorzüglichste und
wichtigste, chronisch unterdrückte Hautabsonderung und Ueber-
tragung derselben auf die Nieren ; Schwächung der Nieren und des
Rückenmarks durch Excesse in der Liebe und dem Trünke (Weiss-
bier, Thee,Most); Blutcongestionen nach diesen Organen, auch
Unterdrückung der Hämorrhoiden und Menstruation, Hysterie und
Hypochondrie etc. Erwiesen ist, dass kein Zuckergehalt im Urin
producirt wird, so lange der Kranke keine Vegetabilien geniesst,
sondern nur von Eiern und Fleisch lebt; obschon nun dadurch allein
keine Radicalkur bewirkt wird, so ist diese diätetische Regel zur
Heilung doch förderlich und wesentlich zur Kur gehörend.

§. 86.

In therapeutischer Beziehung lässt sich nicht viel sagen,
aber auch das Wenige ist schon ausreichend, denkende Aerzte zu
grösserer Achtsamkeit auf diese nicht ebe^eu häufig vorkommende
Krankheit anzuspornen, da die von mir anzugebenden Mittel noch
viel zu wünschen übrig lassen.

Als das souverainste Mittel in dieser Krankheit ist von Hahne-
mann selbst Argentum metallic. gerühmt worden, das aber von
allen oben aufgezeichneten Symptomen kein anderes als Anhalte-
punkt bietet, als: „öfteren Harndrang." Ich habe keine Erfah-
rungen darüber, denn die wenigen Fälle, die sich mir zur Behand-
lung boten , waren von der Art, dass stets andere Miltel indizirt
waren. Ich muss mich also auch hier begnügen, darauf hinge-
wiesen zu haben.

Weit vorzüglicherscheint mir, nach meinen Beobachtungen,
Ledum palustre zu sein , das ich , nach unterdrückter Hautausdün-
stung und nach vorher angewandter Dulcamara, stets mit ausge-



Diabetes. Harnruhr. 14 L

zeichneten! Erfolge gab , wenn Schmerzhaftigkeit der Glieder und
des ganzen Körpers wie zerschlagen und zerstossen , Reissen im
Rückgrat, insbesondere in der Gegend der Nieren, zugegen waren.
Dazu gesellte sich unruhiger Nachtschlaf, durch die ofte Anregung
zum Urinlassen hervorgerufen; Patient ist mürrisch, verdriesslich;
Appetit fehlt; ßrechwürgen stellt sich schon früh ein; breiiger
Stuhl.

Ich mag es nicht Iäugnen, däss Nux vomica für mich von jeher
ein Mittel von hoher Bedeutung gewesen ist, ja, ich könnte sagen,
ich bin mit ihm in der Homöopathie aufgewachsen, Idenn 1815 war
nur erst der erste Band der Arzn. M. Lehre von Hahnemann er-
schienen und ich heilte mit ihm die meisten der damals mir zu
Gebote stehenden Krankheitsfälle. Ich bin nun wohl hinreichend
mit den Wirkungen der Nux vertraut, dass der Leser gewiss über-
zeugt ist, ich weiss dieses Mittel am passenden Orte anzuwenden.
So fand ich es denn auch in dieser Krankheitsform anwendbar,
sah mich selbst oft genöthigt, im Verlaufe der Krankheit wieder
auf diese Arznei zurückzukommen. Jederzeit nutzte sie, wo die
Krankheit durch übermässigen Genuss von Weissbier bei sitzender
Lebensweise, oder nach Erkältung entstanden war; Stuhlver-
stopfung, wenigstens träger Stuhl, darf nie fehlen; ärgerliche
hypochondrische Gemüthsstimmung; zuweilen Jähzorn; Schwindel
wie von Trunkenheit; Widerwille gegen Schwarzbrod ; Ekel und
Erbrechen waren immer zugegen, wo ichiVwa? anwendete; so gross
der Durst auch war, so belästigte das Getränk doch den Magen
und erregte brecherliche Uebelkeit. Natürlich fehlte der im Ver-
hältniss zum Getränk vermehrte Harnabgang nie; im Gegentheile
aber gab ich Nux stets nutzlos, wo der Geschlechtstrieb erloschen
war. — Es passt in jedem Stadio der Krankheit, wenn es durch
andere zweckdienliche Mittel gehörig unterstützt wird, ja selbst
•im letzten Zeitraum, nur kann es dann eben so wenig wie ein an-
deres Hülfe bringen.

Unter allen Arzneien finden sich nicht leicht welche, die in
ihren Erstwirkungen auf den gesunden menschlichen Körper so
viel in die Augen fallende diabetische Symptome aufzuweisen hätten,
als die Natrum- Präparate, und unter allen war es namentlich Na-
trum muriaticum , das sich am bewährtesten in dieser Krankheit
zeigte, wenn der Symptomen -Complexohngefähr folgendermassen



142 Colliquationen.

sich gestaltet: Säfteverlust oder Zorn und Aerger gaben die Ver-
anlassung zur Entstehung der Krankheit; sie kündigte sich durch
Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, bei dem sie jeden Tritt fühlt,
grosse Mattigkeit und Schwere der Füsse , Brechwürgen etc. an ;
später treten die charakteristischen Symptome immer deutlicher
hervor, das Harnen wird immer reichlicher, stört Nachts fast alle
halbe Stunden, dagegen schläft der Geschlechtstrieb immer mehr
und mehr ein , der Stuhl wird härter und artet zur Stuhlverstopfung
aus: Ziehschmerzen in der linken Bauchseite nach dem Becken
herab fehlen nie , dabei zugleich Wehmuth und Kummer für die
Zukunft. — Natr. carbon. steht ihm sehr nahe, und ich verweise
die Leser auf das eigene Nachschlagen.

Aber auch die Ammonium- Präparate verdienen hier rühm-
lichst erwähnt zu werden, indem wir ihrer in dieser Krankheit ge-
wiss bedürfen als wahre Heil-, nicht als Palliativ -Mittel. Eine
nähere Angabe der für sie sich eignenden Symptome kann ich
nicht machen, da ich noch nicht Gelegenheit gefunden habe, bei
den Kranken, die ich zur Behandlung bekam, sie in Anwendung
zu bringen, indem die gegenwärtigen Symptome mich auf andere
Mittel hinwiesen.

Squilla hat mir ebenfalls Nutzen gebracht , weil ich die Urin-
treibende Kraft dieser Arznei nicht als Nachwirkung, sondern als
wohlbegründete Wechselwirkung betrachtete , die mich auch nie
trog. Der Heisshunger, der grosse Durst, die Stuhlverstopfung,
in Verbindung mit erethischen Brustbeschwerden gaben stets ein
gutes Criterium ab.

Auch Veratrum erwies sich hülfreich bei Harnfluss, mit starkem
Hunger und Durste mit Kopfschmerz; mit starkem Schnupfen; mit
Bauchweh; mit Kollern im Bauche ; mit Hartleibigkeit, selbst mit
unwillkürlichem Harnen.

Obgleich bei Carbo vegetabilis der Harnfluss unter den Symp-*
tomen deutlich genug aufgezeichnet ist, so fand ich doch in den
wenigen mir gebotenen Fällen die charakteristischen Symptome
unter denen der Carbo animalis mehr ausgedrückt, als unter
ersterem. Die Harnsymptome sind die bekannten, der Geschlechts-
trieb fehlt, der Stuhlgang wird oft erst nach langem vergeblichen
Drängen in bröcklichen, harten Massen entleert; der Appetit ist
nicht erloschen, nicht vermehrt, wohl aber ist immer ein abson-



Lienteria. Magenruhr. 143

derliches Verlangen nach sauren Genüssen und erfrischenden Dingen
zugegen. In einem Falle fand ich auch eine Affection der Mund-
und Zungenschleimhaut — aphthenähnlich — mit vor, die übri-
gens keine Gegenanzeige abgab.

§.87.

Lienteria. Magenruhr.

Ueber diese Krankheit ist nicht viel zu sagen, da sie ja eigent-
lich nur ein Symptom einer solchen, keineswegs aber dieselbe
selbst ist. Man hat ihr nun aber in den therapeutischen Handbü-
chern einen selbstständigen Platz angewiesen und so will ich ihr
denn hier auch einen kleinen Raum vergönnen.

Das charakteristische Symptom ist: Abgang der Speisen und
Getränke in unverdautem Zustande durch den After sehr kurze Zeit
nach ihrem Genüsse. Oft ist weder Consistenz, noch Farbe, noch
Geruch des Genossenen verändert. Der Kranke fühlt oft sogleich,
nachdem er etwas zu sich genommen, Druck, Aufblähung, eine
gewisse Kälte in der Magengegend, Aufstossen, Kollern, Poltern,
Kolik, und diese Symptome dauern bis zu der sich rasch, ohne
langes Vorgefühl, ohne Drängen, ja beinahe unwillkürlich eintre-
tenden Entleerung an. Später tritt Heisshunger, Gefühl von Leere
im Magen ein, das sich bis zur Cardialgie steigert. Der Durst
ist meist sehr heftig, Zunge rein, selten belegt. — Bei längerer
Dauer der Krankheit wird die Haut trocken, spröd, rissig; der spär-
lich abgehende Harn nimmt ein saturirtes, trübes, dunkelrothes
Aussehen an. Die Kräfte sinken immer mehr, die Kranken wer-
den schlaflos , magern ab , werden verdriesslich.

Erregende Ursachen sollen sein: schwerverdauliche,
wenig Nahrungsstoff enthaltende, rohe, gährende vegetabilische
Alimente, saure Weine; Missbrauch von scharfen Purganzen;
Durchnässung, Erkältung der Haut; als Nachkrankheit der Rose,
Cholera etc.

$. 88.

Therapie dieser Krankheit. Noch jetzt denke ich mit eini-
gem Widerwillen der Arznei, und habe viele Jahre diese schön
blühende Topfpflanze nicht lieben können, weil sie mich bei ihrer
Prüfung in einen wahren Katzenjammer ähnlichen Zustand versetzte



144 Collipuationen.

und mir ein Leibgericht zuwider machte, das mich lange nachher
noch anekelte. Ich hatte früh 6 Uhr mehre Tropfen Oleander-
Tinctur genommen, nach y 2 Stunde dieDosis verdoppelt und bekam
bald darauf einen so enormenSchwindel, dass ich nicht vermögend war
zu stehen oder zu gehen, ohne zu befürchten, hinfallen zu müssen
und bei jedesmaligem derartigen Versuche Brechwürgen zu bekom-
men. Der Zustand dauerte bereits 4 Stunden und war mir so lästig,
dass ich endlich davon frei zu sein wünschte, weshalb ich mir zur
Störung der Wirkung einen Gurkensallat mit Eierkuchen bestellte,
der mir auch anfangs wohl schmeckte und alles Krankhafte ver-
scheucht zu haben schien. Aber, o Himmel, nach etwa zur Hälfte
beendeter Mahlzeit brach die Explosion ohne Vorboten plötzlich
aus: ich erbrach den grössten Theil des Genossenen und war kaum
vermögend den Nachtstuhl zu erreichen, in dem sich der Ueberrest,
völlig unverdaut, entleerte, was im Laufe des Tages nach jedem
Genüsse sich noch einige Male wiederholte. — Seitdem aber hat
sich mir dieses Mittel oft schon in ähnlichen lienterjschen Zuständen
so probat gezeigt, dass ich es in dieser Krankheitsform unbestreit-
bar für das souverainste anerkennen muss.

Ihm zunächst steht die China, namentlich in den Fällen, die
nach langen, angreifenden, den Körper sehr schwächenden Krank-
heiten, Cholera, Diarrhöe, Ruhr, Typhus, oder nach Missbrauch
drastischer Purganzen, entstanden, wo die ganze Krankheit also
nur auf einer Atonie des ganzen Darmkanals beruht, wozu viele
andere dyspeptische Erscheinungen sich gesellen.

Ausserdem ist Arsenic wohl noch die einzige hier als Antilien-
tericum zu verzeichnende Arznei und zwar im letzten Stadium der
Krankheit, wo schon andere krankhafte Erscheinungen , insbeson-
dere der Schleimhäute, sich mit ausgebildet haben. — Ausser
diesen 3 Mitteln lassen sich noch einige als passend für die Krank-
heit aufführen , wie Conium, Phosphor, Acid. phosph. , Ferrum,
Arnica , Sulphur , Mercur , Calcar. carb. etc., die vielleicht leich-
teren Fällen entsprechend sich erweisen, doch kann ich ihnen nicht
so recht empfehlend das Wort reden.

§. 89.

Pfcyalismus, Salivatio. Speichel flass.
Er ist die Colliquation der Schleimhaut der Deglutitionsorgane.



Ptyalismus , Salivatio. Speichelfluss. 145

Dem Kranken läuft fortwährend der Mund voll Wasser, so dass in
24 Stunden 2 — 3 Pfund Wasser ausgespuckt werden. Der Schleim
ist Anfangs zähe, mit Speichel gemischt, bis er später dicklicher,
undurchsichtig wird und einen eigenthümlichen faden, siisslichen
Geschmack annimmt. Bei Merkurial-Salivation ist der Ausfluss
von einem eigenthümlichen Geruch aus dem Munde begleitet, die
Zähne erscheinen wie zu lang, das Zahnfleisch wird livid, schwam-
mig aufgetrieben etc. Bei der Salivation nach Durchnässung, Er-
kältung der Haut ist das Zahnfleisch blass und etwas zusammenge-
schrumpft; die Kranken klagen über grosse Trockenheit im Munde
und längs der Trachea; die Sprache ist etwas rauh und misstönig.
Die Esslust ist gut, aber der Durst vermehrt; alle übrigen Sekre-
tionen beschränkt. Bei längerer Dauer des Uebels treten gegen
Abend leichte febrile Erscheinungen hinzu.

§. 90.

Das pharmazeutische Verfahren richtet sich nach der
veranlassenden Ursache. — Oben an für alle vorkommenden Fälle
steht die Dulcamara und sie scheint dieser Krankheitsform ganz
besonders entsprechend zu sein und als Heilmittel für kranke
Schleimhäute und Schleimdrüsen der Deglutitionsorgane zu gelten,
wozu noch ihr Werth als Gegenmittel von Merkur - Missbrauch,
Erkältungs- Beschwerden und Drüsenleiden überhaupt zu zählen
ist. Man beachtet diese Arznei in der Homöopathie überhaupt zu
wenig und selbst, dass sie Hahnemann unter die antipsorischen
Arzneien verwiesen und dadurch ihren hohen Werth geltend ge-
macht hat, konnte ihr keine grössere Anerkennung verschaffen.
Mir hat sie manchen Nutzen gebracht, schon in früherer Zeit, wo
uns nur wenige Mittel noch zur homöopathischen Behandlung zu
Gebote standen. Aus jener Zeit schon datirt sich bei mir dieKennt-
niss von der Heilkraft der Dulcamara in Merkurial- Ptyalismus.
Vorzüglich empfehlenswerth ist sie, wenn die Beschwerden Nachts
sich verstärken, der Speichel -Ausfluss ein zäher, seifenartiger ist,
bei lockerem schwammigen Zahnfleische, Trockenheit des Mundes
mit heftigem Durste, leichtes Kneipen in den Gedärmen mit mehr-
maligen täglichen , schleimigen Durchfallstühlen.

Nach ihm dürfte Nitri acidum im Merkurial- Speichelfluss den
Vorrang vor allen anderen verdienen. Man giebt diese Arznei
II. 10



146 Colliquationen.

nie ohne Nutzen, wenn Lockerheit der Zähne, Verlängerungs-
Gefühl derselben, Geschwulst des Zahnfleisches, Trockenheit im
Munde und Halse mit vielem Speichelfluss , ekelhaft riechendem
Mundgestank, Wundheitsschmerz im Munde, Appetitlosigkeit
mit fortwährender Uebelkeit — die Krankheit bilden.

Ausser N. a. ist noch Acidum sulphur. ein gewichtiges Mit-
tel, das wohl ebenfalls nur dem Merkurial-Speichelfluss entspricht,
wenn derselbe mit leichten Febricitationen und Schwämmchen im
Munde verbunden ist. Es finden sich wohl auch noch mehr
Symptome, die in grosser Beziehung zu dieser Arznei stehen und
zu ihrer Anwendung auffordern, die der Leser selbst zu finden
wissen wird.

Hierher gehört auch noch Jodium, als eins der vorzüglichsten
Antidote gegen die verschiedenen Merkurial- Präparate, das in
naher Beziehung zu der besprochenen Krankheit steht und dem
Arzte gewiss bei einem solchen Falle mit in's Gedächtniss kommt.

Ein unstreitig noch wenig dagegen gekanntes, von mir schon
öfters mit entschiedenem Erfolg aber in dieser Krankheit ange-
wandtes Mittel ist Tartarus emeticus. Unentschieden lasse ich,
ob die Krankheit nur vom Merkur - Missbrauch herrührte, oder
ob sie nicht auch noch beigetretenen anderen Zufälligkeiten ihr
Entstehen verdankte; genug, er nützte immer, wenn die vorher-
genannten Mittel vergeblich gegeben worden waren, aber ich
reichte ihn in keiner Verdünnung, sond^tn löste 1 Gran in 4 Un-
zen Wasser auf, wovon ich erst zweistündlich, dann immer selt-
ner, Theelöffelweise nehmen Hess und die schwierigsten Fälle,
die über ein halbes Jahr schon angehalten hatten, binnen weni-
gen Tagen vollständig beseitigte. Immer gab mir ein fortwäh-
rendes Uebelseins-Gefühl, grosse Magerkeit und Mattigkeit, abend-
liches Frösteln einen Wink, dass dieses Mittel wohl der Beach-
tung werth sei.

Hat der Merkurial - Ptyalismus schon längere Zeit gedauert,
ohne dass neue Merkur-Gaben ihn verstärkt haben, und der Ho-
möopath bekommt ein solches Subject zur Behandlung, so ist es
gerathen, zu Anfange erst noch ein Mercurial- Präparat in An-
wendung zu bringen, wozu sich am vorzüglichsten Mercur. Subli-
mat eignet. Hätte dieser hingegen die Krankheit hervorgeru-



Ptyalismus , Salivatio. Speichelfluss. 147

fen, dann würde der Mercur bijodatus das geeignete Präparat
dafür sein.

Andere Ptyalismen, denen kein Merkur-Missbrauch zum Grunde
liegt, erfordern unter jeder Bedingung erst die Anwendung des
Mercur und werden fast immer in ihm ihr Heilmittel finden, wenn
nämlich das richtige Präparat, wohin auch Cinnabaris zu zählen,
gewählt wird, was zu bestimmen dem behandelnden Arzte ob-
liegt. " Wo es diesem nicht gelingt, da sind folgende Arzneien
indizirt: '

Colchicum autumn. steht der Dulcam. bezüglich der Erre-
gungs- Ursache der Krankheit am nächsten, nur ist letztere mit
manchen andern Nebenbeschwerden verbunden, die dem Haupt-
leiden ganz heterogen zu sein scheinen, es jedoch nicht sind
und gerade am sichersten auf die passende Wahl der Arznei hin-
deuten. Diese Ptyalismen, denen Colchicum entspricht, kommen
am häufigsten bei nasskalter Witterung vor und sind durch un-
terdrückte Transpiration entstanden, daher sie denn auch meistens
mit ziehenden, zuckenden, reissenden Gliederschmerzen verbunden
auftreten, deren Verschlimmerung Abends und Nachts bis zum
Unerträglichen sich erhöht und wobei natürlich auch der Spei-
chelfluss sich verstärkt, der, neben Trockenheit des Halses, noch
die Eigenthfcmlichkeit besitzt, dass beim Verschlucken des Spei-
chels brecherliche Uebelkeit sich erzeugt.

Derjenige, für den Cantharides passend sich erweisen, muss
mehr ein in periodischen Zwischenräumen erscheinender sein,
wenigstens denke ich mir es so und glaube, die Homöopathen,
die ihn gegen diese Krankheit anwendeten, benutzten gerade diese
Eigenthümlichkeit als charakteristisches Moment für die Wahl
dieses Mittels. Ich habe es nie angewendet, ich würde mich aber
auch nicht dazu verstehen können, im vorkommenden Falle Ge-
brauch von ihm zu machen, weil ich der Ansicht bin, dass der
Ptyalismus, der Canthariden angehört, nicht ohne Entzündung der
innern Schlingorgane, des Larynx und der Trachea zu Stande
kommt, die Krankheit alsdann aber nicht mehr der in Rede ste-
henden, sondern einer ganz andern Familie angehört.

Noch eins für alle Fälle, nur unter manchen andern Verhält-
nissen und charakteristischen Nebensymptomen, passendes Mittel
ist Sulphur. Ich habe schon vielmals in diesem Werke über ihn

10*



148 Colliquationen.

gesprochen, dass ich diessmal unterlasse, die specielle Anzeige
für ihn aufzuzeichnen.

§. 91.

Ephidrosis. Schweisssucht.

Ihr so wenig, wie ich es .der Phthisis pituitosa thue, würde
ich hier noch ein Wort vergönnen, da ich ihrer schon an einem
für sie passenden Orte Erwähnung gethan, und namentlich die
Ephidrosis nur als ein andere Krankheiten begleitendes Symptom
betrachtet habe, als welches sie auch nur anzusehen ist.

Aber der Ephidrosis localis, die an Füssen, Genitalien,
Händen, unter den Armen sich fixirt, möchte ich noch einige
therapeutische Andeutungen zukommen lassen, da dieses Local-
leiden oft von grosser Bedeutung für die Existenz mancher Men-
schen ist, ja selbst, insbesondere Fussschweisse, zu Eheschei-
dungen Veranlassung geben kann, dass es sich wohl der Mühe
lohnt, zu Gunsten der Anfänger noch mit ein paar Worten ih-
rer zu gedenken.

Diese Local-Ephidrosen sind gewöhnlich mit einer qualitati-
ven Sekretionsverderbniss verbunden, wodurch ein höchst übler
Geruch verbreitet und das Uebel höchst lästig und unangenehm
wird. Doch lasse man sich ja nicht, durch das ©rängen des
Kranken verleitet, überreden, zu Pellentibus seine Zuflucht zu
nehmen und das Uebel etwa durch Waschen mit Alaun, Blei-
wasser und dergl. zu supprimiren, Updurch so sehr leicht
Blindheit, Asthma, Taubheit, Phthisis und eine Menge anderer
Arten von Krankheiten metastatisch herbeigeführt werden können.

Fussschweisse sind es besonders, deren Beseitigung sehr
häufig gewünscht wird. Oft ist ihr Entstehen nicht zu enträthseln,
oft ist aber auch ein fehlerhaft behandeltes Hautleiden die Veran-
lassung und das Uebel schleicht so allmälig heran, dass der Patient
oft erst Notiz von demselben nimmt, wenn es durch seinen Übeln
Geruch auch der Umgebung auffallend genug wird. — Ein Spe-
cificum gegen dieses Uebel kenne ich nicht, glaube auch kaum,
dass eins dagegen gefunden werden wird, da es von so verschie-
denen Ursachen abhängig sein kann, die alle ein anderes Heil-
mittel erfordern. Gerathen ist es bei einem solchen Uebelstande
fast immer, da die Heilung selten durch ein Mittel herbeizufüh-



Ephidrosis. Schweisssucht. 149

ren ist, mit Sulphur den Anfang zu machen, da er nicht nur dem
Hauptübel, sondern oft der erregenden Ursache, durch Unter-
drückung von Hautausschlägen, entspricht, und ihn mehrtägig
zu einer Gabe darzureichen. Hat man ihn dann ruhig mehre Tage,
ja, bei beginnender Besserung, Wochen lang fortwirken lassen,
so stellt sich dann gewöhnlich unter folgenden Mitteln eins als
das passendste heraus, was sich vielleicht durch ein oder mehre
von Sulphur hervorgerufene Neben-, aber charakteristische
Symptome noch sicherer wählen lässt: Lycopodium. Ich habe
diese Arznei in vielen Fällen mit solchem ausgezeichneten Erfolg
gegeben, dass es zur vollständigen Heilung nur einiger Zwischen-
gaben von Sulphur bedurfte, um dann durch Wiederholung des
erstem das Uebel vollends zu heben.

In manchen anderen Fällen wurde es mir aber wieder nicht
so wo|^ und ich wählte dann so gut als möglich unter Magne-
sia muriat., Sepia, Carbo lieget., Calcar. carb., Kali carb. —
Dann aber bedurfte es gewöhnlich der Anwendung mehrer Mittel,
um das Uebel zu beseitigen.

War mit den Fussschweissen Kälte der Füsse, als ob
sie in kaltem Wasser stünden, verbunden, so erwies sich Coc-
culus sehr oft allein hülfreich; in andern Fällen hingegen musste
ich wieder meine Zuflucht zu Sulphur und Lycopod. oder Rhus
und Mercur nehmen.

In stinkenden Fussschweissen zeichneten sich besonders
noch Kali carbonic. und Baryta carb. aus, wiewohl auch hier
Zincum, Graphit und Silicea nicht immer zu umgehen sind.

Stinkenden Fussschweiss mit Wund wer den der Zehen
beim Gehen hebt Zincum am öftersten; zuweilen noch Jodium
und Lycopod.

Von Durchnässung unterdrückte lassen sich oft schnell
durch einige Gaben Rhus wiederherstellen, während auch manch-
mal noch Sepia, Nalr. muriat. u. a. dazu erforderlich sind.

Plötzlich vertriebene erregen oft so bedenkliche Zufälle,
dass ihre Wiederherstellung ein unerlässliches Bedingniss wird,
vorzüglich noch, wenn Kälte der Unterfüsse sich mit den Be'
schwerden paart. Silicea ist hier Hauptmittel.



150 Colliquationen.

Die Schweisse der oben genannten andern Theile sind nicht
von so hoher Bedeutung, dass oft Abhülfe dagegen gewünscht
würde; am öftersten kam es mir noch mit den Handschweis-
sen vor, die zuweilen dadurch lästig werden, dass man zarte
Gegenstände nicht, ohne Fettflecke zu hinterlassen, berühren darf.
Ein vorzügliches Mittel ist hier Thuja; ausserdem noch Natrum
mur., Calc. carb., Sulphur und vielleicht noch einige andere. Ich
muss mich hier mit der Angabe begnügen, da mir zu wenig si-
chere Erfahrungen darüber zu Gebote stehen.



Lästiger vielleicht noch als jener ist der Achselgruben-
sch weiss, wozu wohl oft die enge und geschnürte Bekleidung
an diesen Theilen Veranlassung geben mag, die natürlich auch
abbestellt werden muss, wodurch allein schon oft das U^|el ge-
hoben wird, oft aber auch ist es schon so eingewurzelt, dass
es doch noch der Nachhülfe Seitens der Kunst bedarf, und da
sind es besonders Sulphur, Bovist, Thuja, Sepia, Natrum muriat.
etc. — Bei stinkendem ist es Hepar sulphur. und Phosphor;
bei nach Zwiebeln riechendem Bovist, der sich vorteilhaft
auszeichnet.



Schweiss an den Geschlechtstheilen findet seine
Heilmittel ebenfalls wieder in Thuja, Mwcur, Sepia, Sulphur.

§. 92.

Galactorrhoea. Milchfluss.

Zuweilen hört nach geendigtem Stillen die Milchabsonderung
gar nicht wieder auf, sondern dauert, oft in bedeutendem Grade,
immer fort. Anfangs ist die Milch noch die gewöhnliche, all-
mälig aber verliert sich der Käsestoff und die Milch besteht fast
aus nichts mehr, als aus Eiweiss und einer grossen Menge Zu-
cker. Alle übrigen Sekretionen sind vermindert; träger Stuhl,
trockne Haut, Unterdrückung der Menstruation, Gefühl von Tro-
ckenheit im Munde, beschränkte Hautsekretion; auffallende Ab-
magerung, endlich Hinzutritt von Lungentuberkeln, die rasch zur
Pneumophthise führen.



Galactorrhoea. Milchfluss. 151

Die gegen einen solchen widernatürlichen Zustand theils von
dem verstorbenen Gross, theils von mir empfohlenen Mittel,
von denen, nach den begleitenden Nebenbeschwerden, bald das
eine, bald das andere zu wählen ist, sind: Aconit, Rhiis, Bella-
donna, Calcar. carb., Phosphor.



Gegen das plötzliche Vergehen der Milch in den Brü-
sten aber, ohne irgend eine sichtliche Ursache, wodurch leicht
eine Versetzung auf die Unterleibsorgane bewirkt werden und
eine febris puerperalis heraus sich bilden kann, fand ich Pnlsa-
t'dla, Calcarea und Zincum am passendsten, die etwa entstehen-
den Nachtheile zu verhüten, ja selbst in manchen Fällen die Milch
wieder in Fluss zu bringen. Später zeigte sich mir Didcamara
vorzüglicher, wenn das Vergehen der Milch durch Erkältung her-
beigeführt worden war, der sich in manchen Fällen Sidphur,
Chamomilla, Rhns anschliessen.



Ein Zustand, den ich hier, als am zweckmässigsten Platze,
mit einschiebe und für den Praktiker gewiss von hohem Werthe,
ist folgender: Bei aller Fülle von Nahrungsstoff in den Brüsten,
bei dem ungetrübtesten Wohlsein der Wöchnerin, bei sichtbarer
Gesundheit des Säuglings, überhaupt bei der schönsten Harmonie
aller Kräfte und Functionen, wo auch nicht die geringste Krank-
heitsursache sich auffinden lässt, will das Kind die Brust
nicht mehr nehmen, trotz aller wiederholten Versuche, und
bringt so die zärtliche Mutter um das schönste Vergnügen, ihren
Liebling selbst nähren zu können. Alle unsere Philosophie reicht
hier nicht aus, diesen Zustand genügend zu erklären, und keine
andere Heilmethode, als nur die homöopathische, vermag da-
gegen etwas auszurichten, die uns, vor der Hand wenigstens,
zwei Mittel darbietet, deren Bekanntmachung wohl jedem homöo-
pathischen Arzte wünschenswerth ist. Es ist Cina und Mercu-
rius solub., die, nach Verschiedenheit der etwa begleitenden Um-
stände, bald das eine, bald das andere, der Mutter gereicht wer-
den und schon nach wenigen Stunden eine so günstige Verände-
rung hervorbringen, dass das Kind von nun an, ohne den ge-



152 Colliquationen.

ringsten Widerstand, die Brust nimmt, deren Quelle ausserdem
hätte versiegen müssen.

§. 93.

Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss.

Erscheinungen. Die Kranken hatten sich früher durch
eine Verkältung (beim Tanzen) eine akute Blennorrhoe zugezo-
gen. Diese hat sich in eine chronische verwandelt, welche bald
den Charakter der Colliquation annimmt. Die Kranken verlieren
nun beständig Schleim aus der Vagina, der Schleim ist zähe,
froschleichähnlich, wie gekochter Sago durchsichtig, nicht ätzend,
wie dieses bei katarrhalischen und syphilitischen Affectionen der
Fall ist. Die Schleimhaut der Genitalien wird auffallend schlaff
und welk. Zur Zeit der Menstruation ist der Ausfluss am stärk-
sten. Anfangs hält diese noch an, später aber wird sie miss-
farbig und verschwindet endlich ganz. Unter diesen Erschei-
nungen verlieren die Kranken ihr blühendes Aussehen, die Haut
wird erdfahl, welk und trocken; die Kranken magern ab, wer-
den kraftlos, der Appetit mindert sich und ist auf vegetabilische
Nahrungsmittel, besonders auf Milch, gerichtet; Fleischspeisen
erregen ihnen Horripilationen ; der Puls wird klein, leer, schwach,
bei längerer Dauer des Uebels etwas frequent.

Diesem nicht ansteckenden, oft sehr lästigen und langweili-
gen Uebel, dessen Quelle in der Gebärmutter und der Mutter
scheide ist, sind Frauenzimmer von jedem Alter unterworfen.
Eine solche Blennorrhoe ist doppelter Art, entweder akut oder
chronisch. Im ersteren Falle ist sie fast ohne Ausnahme durch
Ansteckung mit Tripperstoff erzeugt und hat im Allgemeinen die
grösste Aehnlichkeit mit dem Tripper, indem sie dieselben Sta-
dien durchläuft und aus derselben Ursache entspringt. Nur eine
Verschiedenheit waltet da hinsichtlich des Sitzes ob: dort ist letz-
terer in der Harnröhre, hier in der Vagina, und darum erregt
hier das Urinlassen keinen oder nur unbedeutenden Schmerz.

Hängt die Blennorhöe von Ansteckung ab, so entsteht sie
plötzlich und es gehen ihr am zweiten oder dritten Tage nach
erfolgter Infektion Brennen in den Geburtstheilen, erhöhetere
Temperatur der Vagina, Jucken, Kitzeln, Stechen, Spannen in
derselben voran ; die äussern Genitalien sind wulstiger und mehr



Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss. 153

geröthet, der Geschlechtsreiz ist stärker und es finden sich so-
gar leichte Fieberbewegungen, vermehrter Durst u. s. w. ein.
Nachdem dieses entzündliche Stadium einige Tage angehalten hat,
tritt dann der Schleimfluss selbst ein, welcher hier gewöhnlich
von mehr verdickter, dem Eiter sich nähernder Consistenz, selbst
von ansteekender Beschaffenheit ist, und nun, nach der kräftige-
ren oder schwächeren Constitution der Kranken, entweder kür-
zere oder längere Zeit anhält, ja selbst habituell und bleibend
werden kann.

§. 94.

Eine Prädisposition für diese Krankheit finden wir vor-
zugsweise bei skrQphulösen, reizlosen, torpiden, schwammigen,
aufgedunsenen Subjecten, und die Krankheit ist sogar in man-
chen Familien erblich. Unter den erregenden Momenten
steht die dem Körper inwohnende Psora, die von Mutter auf
Tochter übertragen wird, oben an, deren Ausbildung zu der hier
in Rede stehenden Krankheit durch eine weichliche, sitzende,
erschlaffende Lebensweise, durch den anhaltenden Genuss schlech-
ter, unverdaulicher, fetter und mehliger Nahrungsmittel, durch
das Uebermaass warmer, erschlaffender Getränke, durch grosse
Blut- und Säfteverluste, durch vorausgegangene wichtige entkräf-
tende Krankheiten , durch deprimirende Gemüthsaffecte , durch
feuchte, dumpfe Wohnungen und nasskalte, neblige, feuchte Wit-
terung begünstigt wird. Aber auch örtliche Schädlichkeiten ge-
ben oft die Erregungs-Ursache ab, z. B. zu warmes Verhalten
der Genitalien, langes Schlafen in warmen Federbetten, Missbrauch
der Kohlentöpfe; Onanie; zu früh und zu häufig genossener Bei-
schlaf, Metrorrhagieen und Abortus ; öftere und schwere Wochen-
betten und dergleichen mehr.

Anlangend die Prognose, so ist die chronische Form die-
ser Krankheit keineswegs als eine gefährliche, wohl aber als
eine hartnäckige und in vielen Fällen als eine sehr langsam zu
beseitigende zu betrachten, weil sie nur nach vollkommener Til-
gung der inwohnenden Psora, wozu oft mehre Antipsorika er-
forderlich sind, gelingt.

§. 95.
Wir kommen nun zur homöopathischen Behandlung



154 Colliquationen.

einer Leukorrhoe und wenden uns zuvörderst zu der akuten Form
oder zu der, die von Ansteckung abhängt. Der praktische Arzt,
dem derartige Fälle einer syphilitischen Ansteckung bei Mädchen
und Frauen schon öfters zur Behandlung vorgekommen sind,
wird mit mir einverstanden sein, wenn ich behaupte: dass ihm
in sehr vielen Fällen die Erforschung der Erregungs - Ursache
sehr schwierig, ja oft unmöglich wird, weil es ein zu delikater
Punkt ist, und der Arzt zudringlich und neugierig erscheinen
und darum leicht wieder abgewiesen werden würde, wenn er
der Entstehungs -Ursache so genau auf den Grund zu kommen
suchte. Obgleich nun diess letztere Verfahren von Seiten des
Arztes allerdings ganz regelrecht ist,' so ist es doch, um seiner
selbst wegen, nicht rathsam, durch Voreiligkeit und Unklugheit
sich das Vertrauen eines Menschen zu verscherzen. Den Allöo-
pathen würde es sehr in Verlegenheit setzen, wenn er die Grund-
ursache einer Krankheit nicht erfahren könnte, weil dadurch sein
ärztliches Handeln auf ein rein "empirisches beschränkt werden
müsste. Den Homöopathen hingegen leiten auch bei dieser Krank-
heit, wie bei allen andern, die verschiedenen Schmerz-Aeusserun-
gen, so wie die mancherlei zu berücksichtigenden Angaben über
das Entstehen, den Fortgang, die Beschaffenheit des Schleimab-
"gangs u. s. w. wieder bei der Wahl des passenden Mittels, wie
J*ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, und darum wurde ich
nur in sehr wenigen Fällen in die Nothvvendigkeit versetzt, ge-
nau nachzufragen, ob Ansteckung stattg^unden habe oder nicht.
Oft klagt die Kranke in den ersten Tagen, wie ich oben an-
gab, über ein vermehrtes Wärme- Gefühl, über Vollheit und Span-
nung in den innern Geschlechtstheilen, über ein beständiges, je-
doch nicht unangenehmes Kriebeln, welches sie immer zu kratzen
nöthigt, wohl auch über ein brennendes Gefühl während des
Wasserlassens, womit zugleich ein geringer, doch merkbarer Fie-
ber-Zustand verbunden ist. Bei derartigen Krankheits- Sympto-
men wird kein Mittel dem Aconitum gleich kommen, ds es alle
diese Symptome in treffender Aehnlichkeit an Gesunden aufzuwei-
sen hat, und darum sogar oft die angegebene Krankheit in ih-
rem Entstehen zu unterdrücken vermag.

Einen ähnlichen Zustand habe ich einigemal bei neu Ver-
heiratheten zu behandeln gehabt, den der Arzt mit Unrecht ei-



Leucorrhoea, Fluor albus. Weisser Fluss. 155

ner syphilitischen Ansteckung zuschreiben würde, da er meistens
von zu grosser Engigkeit der Geschlechtstheile und der durch
den Beischlaf herbeigeführten Quetschung herrührt, wie auch die
Anschwellung und Röthe der äussern Schamlippen oft deutlich
dokumentiren, womit sich zugleich empfindlich brennender Schmerz
beim Wasserlassen, ja sogar Harnverhaltung, durch Entzündung
und Anschwellung der Harnröhre und der innern Geschlechtstheile
insgesammt herbeigeführt, verbindet. Diesem Zustande entspricht
am treffendsten Arnica montana.

Klagt die Kranke über ein Brenngefühl in der Vagina und
ausserhalb in den Schamlefzen, bei Abfluss von dünnem, aber
scharfem, beissendem Schleimabgange aus den Geschlechtstheilen,
bei fortwährendem Frösteln, Neigung zum Niederlegen, Traurig-
keit, Niedergeschlagenheit, Missmuth und dergleichen, so wird
Pulsatilla das erste Mittel sein, das diesen Krankheits- Zustand
am sichersten zu beseitigen vermag.

Findet bei dieser akuten Form im ersten Stadio viel Harn-
brennen statt, ist diess wohl mit schmerzhafter Dysurie und Ischurie
verbunden, so kommt kein Mittel den Cantharides gleich.

Das Hauptmittel in einer solchen Leucorrhöe, bei empfindli-
chem Jucken an den äussern Schamlippen, bei bedeutender An-
schwellung und damit verbundener Empfindlichkeit der Lymph-
gefässe in den Schamlefzen, bei innerer Entzündungs- Geschwulst
der Mutterscheide, als ob sie roh und wund wäre, bei einem
eiterartig fressenden Weissflusse, ist Mercurius solubilis, den
man hier nach Umständen ein und mehre Male wiederholt.

Ist der Ausfiuss ein wundfressender, stinkend -faulichter, so
empfiehlt sich Nitri acid. als die hülfreichste Arznei, der, ohne
die beiden letzteren Eigenschaften, noch Bovist und Silicea bei-
zufügen ist.

Ausser diesen Mitteln wird man noch, bei darauf hindeuten-
den Symptomen, Ferrum (dass ich besonders bei sehr beissen-
dem Weissfluss nützlich fand und zuweilen mit Lolium temulentum
wechselte), Arsenicum, Thuja, Mezereum, Staphysagria, Bella-
donna, Piatina — letztere beide besonders bei einem damit ver-
bundenen empfindlichen Herabdrängen in den innern Geschlechts-
theilen — passend finden, ja sogar öfters Sulphur in Anwendung
bringen können.



156 Colliquationen.

Der nicht von Ansteckung', sondern von einem allgemein
verbreiteten psorischen Siechthume abhängende Fluor albus —
die chronische Form — findet zwar wohl auch zuweilen sein
Heilmittel unter den so eben genannten, doch sind diess gewiss
die wenigsten Fälle und in den bei weitem häufigsten werden
sie höchstens nur zuweilen als Zwischenmittel angewendet wer-
den können.

Unter den Antipsoricis steht hier Sulphur oben an, wenn
der Weissfluss-Abgang nicht zu bedeutend und mehr schleimar-
tiger Natur ist, höchstens etwas ziehende Kreuz- und Lenden-
schmerzen, Mattigkeit in den Schenkeln, wechselnder, fast dünn-
flüssiger Stuhl damit sich verbinden.

Lycopodium ist nach meinen damit gemachten Erfahrungen
immer dann indizirt, wenn dem ruckweise erfolgenden Weissfluss-
Abgange jederzeit Schneiden tief im Unterbauche vorangeht, der
Schleimfluss gilblich aussieht, bei einer blassen Gesichtsfarbe öf-
tere Anfälle von Gesichtshitze vorkommen, und mancherlei Un-
terleibsbeschwerden, die auf die gestörte Function der Verdau-
ungsorgane hindeuten, damit verbunden sind.

Natrum muriaticum ist, so viel mir bekannt, ein unentbehr-
liches Heilmittel in dieser Krankheitsform, wenn der Schleimfluss
von öfterm zusammenziehenden Leibschmerze, von öfters wech-
selnde^ Gesichtsfarbe, die für gewöhnlich auf einem gelblichen
Teint beruht, von Hartleibigkeit, Uebelkeit, und bisweilen Er-
brechen u. s. w. begleitet wird. %

Auch Graphites, Conium, Nitri acid., Calcarea, Silicea, Se-
pia, Carbo negetabilis und als ein ganz ausgezeichnetes Mittel
in dieser Krankheitsgattung Lycoperdon Bovista unter den Anti-
psoricis; Stannum, Ignatta, Guajac, Nux, China, Cocculus,
Arnica, Sabina, Aurum und andere unter den früher gekannten
Arzneien, habe ich bei gewissen auf diese Mittel hindeutenden
Symptomen passend in derartigen Leiden gefunden.



Congestionen und Blutungen. 157

Dreizehnte Ordnung.

Congestionen und Blutungen.

§. 96.

A) Congestio. Congestionen.

Die Congestion, der Orgasmus, ist ein Zustand erhöh-
ter vitaler Spannung im Gefäss- und Blutsysteme, sie ist für die
Hämorrchagie, Entzündung, vermehrte Sekretion etc. Element,
Vorläufer, kann also entweder in sich selbst erlöschen oder mit
jenen enden. Der flüchtige Turgor, der das wesentliche Merk-
mal der Congestion ist, lässt sich in äussern Theilen ohne Mühe
aus der plötzlich erhöhten Röthe, der flüchtigen Expansion der
Theile, der vermehrten Wärme, dem lebhaften Pulsiren der
Schlagadern erkennen. Für die Congestion in innern Organen
sind die Merkmale nicht so untrüglich und oft ist es unmöglich,
active Congestion, passive Hyperämie und wirkliche Entzündung
eines innern Organs klinisch zu unterscheiden, wenn nicht der
flüchtige Charakter der Krankheitserscheinungen die congestive
Natur des Leidens wahrscheinlich macht. Denn die Congestion
veranlasst, gleich der Hyperämie und der Entzündung, Functi-
onsstörung des betheiligten Organs (im Gehirne. Delirien , in den
Sinnesorganen Phantasmen, oder Functionshemmung, bei Gehirn-
congestion Bewusstlosigkeit, Sopor, Lähmung u. s. w.); sie ruft,
gleich der Entzündung und Hyperämie, antagonistische, sympa-
thische Erscheinungen in andern Organen durch Nervenreflex,
durch ungleichmässige Blutvertheilung (Kälte, Blässe, Blutleere
in äussern Theilen, wenn innere Organe ergriffen werden), her-
vor; sie kann, wie jene pathischen Zustände, mit allgemeiner
Reaction, mit Fieber, verbunden sein.

Leichter, wie schon gesagt, sind die Congestionen in äus-
seren Theilen, schwieriger, wo sie in inneren Organen vorkom-
men, doch nur für diejenigen, die den Ansichten der älteren
Schule huldigen, die folglich das Wesen, die causa morbi in-
terna, erforschen zu müssen wähnen, während der homöopathi-
sche Arzt um letzteres sich nicht zu kümmern nöthig hat, son-
dern nur die in die Augen fallenden, äusserlich sieht- und wahr-
nehmbaren Krankheitszeichen genau auffasst, und selbige durch



158 Congestionen und Blutungen.

specifische Mittel, ohne Blutvergiessen, heilt, und nichts ande-
res als Gesundheit an die Stelle der vorher scheinbaren oder
wirklichen Blutanhäufung in einem einzelnen Organe eintreten
sieht. Diess gelingt letzterem oft durch die Anwendung eines
einzigen Mittels in weit kürzerer Zeit, als jenem, der oft den
ganzen vollständigen Apparatus antiphlogisticus dazu bedarf und,
im glücklichsten Falle, eine noch lange nachhallende Reconva-
leszenz zu bekämpfen liat.

§• 97.

Eine Prädisposition zu Congestionen lässt sich aller-
dings nicht in allen Fällen mit Bestimmtheit nachweisen, im All-
gemeinen aber doch so viel angeben, dass sie sich häufig an
bestimmte Lebensperioden bindet, in welchen die Ausbildung
wichtiger Organe Statt findet. So unterscheidet sich z. B. das
kindliche Alter im Allgemeinen durch hervorstechende Aufreg-
barkeit seiner organischen Thätigkeiten und daraus entspringen-
dem allgemeinen Ergriffensein des Gefässsystems, das bei vor-
waltender Plastizität des Kopfs auch hier am deutlichsten er-
kennbar ist, und leicht bis zur krankhaften Congestion sich stei-
gert, namentlich zur Zeit der Dentition; das jugendliche Alter
charakterisirt sich durch eine grössere Thätigkeit in den Brust-
organen, und es ist daher begreiflich, warum bei einer grösse-
ren Consumtion des bildenden Stoffs in dieser Zeitperiode leicht
pathologische Congestionen nach den L^gen vorherrschend sind,
während wieder bei mehr vorgeschrittenem Alter und bei dazu
gegebenen erregenden Momenten leichter krankhafte Stockungen
in den Unterleibsgefässen vorkommen. Im Allgemeinen findet
sich aber auch zweitens: die Anlage zu Congestionen in einer
widernatürlich hervortretenden Reizbarkeit des Gefässsystems;
ferner in organischen Fehlern und Missverhältnissen der Grösse
einzelner Organe zu einander, und endlich dort, wo einzelne
Orgaue und ihre Gefässe durch früher öfter stattgefundene Con-
gestionen in den Zustand der Erschlaffung gesetzt worden sind.
Uebergehen dürfen wir auch nicht, das congestive Ergriffenwer-
den des respiratorischen Systems im Winter und Frühjahr, das
abdominale im Sommer und Herbst.

Erregende Momente sind: übergrosse Wärme, aber auch



Congestionen nach dem Kopfe. 159

Kälte, welche letztere deutlich als Gelegenheitsursache, nament-
lich nach Erkältung der Füsse, in die Augen springt, wo wir
dann Congestionen nach Kopf und Brust eintreten sehen: ferner
erhitzende Getränke und Arzneien, als Spirituosa, ätherische
Oele, Naphthen, Narkotika u. s. w. ; eben so heftige Anstren-
gungen einzelner Organe; hierher gehören auch die Congestio-
nen nach dem Kopfe, durch heftige Leidenschaften, anhaltendes
Denken erregt, nach der Brust durch Laufen, Tanzen, Sin-
gen u. dergl. ; endlich auch unterdrückte Blutfiüsse.

Da "die verschiedene E in th eilung der Congestionen kei-
nen wesentlichen Einfluss auf die homöopathische Behandlung hat,
so übergehe ich selbige hier, um so mehr, da ein Kliniker die-
ser, ein anderer jener huldigt und keine richtige Uebereinstim-
mung darin obwaltet. Die richtigste Eintheilung ist, nach unse-
rer Ansicht, die in den verschiedenen Organen, in welchen sich
Congestionen bilden können. Um nun nicht jedes einzelne Or-
gan namentlich anführen zu müssen, theilen wir sie in Congestio-
nen nach dem Kopfe, nach der Brust und nach dem Unterleibe.
Die Congestionen blos nach den Wangen, nach den Handtellern
und Fusssohlen glauben wir hier ganz weglassen zu müssen, da
sie kein eigenthümliches Leiden bilden, sondern nur einzelne
Symptome weit bedeutenderer Krankheiten ausmachen, und folg-
lich keine specielle Behandlung erfordern, sondern mit der Ge-
sammtkrankheit beseitigt werden müssen.

§. 98.

Wir kommen nun zur Behandlung der verschiedenen Con-
gestionen, die wir nach der im vorigen Paragraphen angegebe-
nen Eintheilung etwas genauer durchgehen wollen.

Congestiones ad caput. Congestionen nach dem Kopfe.

Sie weichen der Nux vomica, wenn sie durch eine sitzende
Lebensart, anhaltendes Denken und den häufigen Genuss geisti-
ger und erhitzender Getränke erzeugt wurden, oder sich durch
folgende Symptome charakterisiren: Aufgetriebenheit der Kopf-
venen mit heftigem Pulsschlage im Kopfe, dass der Kranke das
Pulsiren durch den ganzen Körper zu fühlen wähnt, Hitze, Bötbe
und Gedunsenheit im Gesichte mit Schwindel-Anfällen, heftigen



160 Congestionen und Blutungen.

Kopfschmerzen, namentlich in der Stirn und über den Augen-
höhlen, die sich durch Bücken und Husten ungemein verstärken,
und traumvollen Schlaf.

Belladonna ist in den heftigsten und stärksten Kopfcongestio-
nen dann indizirt, wenn wir grosse Äufgetriebenheit der Haut-
venen am Kopfe wahrnehmen, verbunden mit enormen, ruckweise
brennend stechenden Schmerzen auf der einen Seite des Kopfes,
die durch jede Bewegung des Körpers, als auch durch jedes
Geräusch, helles Licht u. s. w. empfindlich erhöht werden. Auch
gesellt sich häufig Funken und Flimmern, ja sogar Schwarzwer-
den vor den Augen dazu, in deren Verbindung dann Ohrensau-
sen, ja wohl Ohnmachtanfälle und soporöse Zustände auftreten.
Wir finden sie grossentheils bei Ausbildung wichtiger Organe,
namentlich zur Zeit der Dentition im Kindesalter, wo sehr oft
Krämpfe aus dieser Quelle entspringen; nicht selten aber auch
bei noch nicht völlig regulirten Catamenien in der Periode der
Pubertät, und endlich auch nach Fusserkältungen zur Zeit der
Menstruation oder bei unterdrückten Menstruen. Diese Art Con-
gestion findet leichteren Eingang beim weiblichen, als beim
männlichen Geschlechte, und sie ist es, die am sichersten durch
Belladonna gehoben wird. Zur Unterstützung und schnelleren
Beförderung der Belladonna-Wirkung kann man sich auch hier
nebenbei mit grossem Nutzen der Hafergrütz-Umschläge auf die
Fusssohlen, als eines unschädlichen, revulsivischen Mittels, be-
dienen, und oft ist schon binnen einer S%nde die Heftigkeit des
Anfalls gemildert und in kurzer Zeit das ganze Leiden gehoben.
Diess sind auch diejenigen Congestionen beim zweiten Geschlecht,
wo oft mit Nutzen Crocus anzuwenden ist.

Aconitum wird in Kopfcongestionen immer ein gutes Zwi-
schenmittel abgeben, namentlich dann, wenn sie in höhere Krank-
heitsgrade überzugehen drohen, oder zugleich ein Reizzustand
des gesammten Gefässsystems damit verbunden ist. Hauptmittel
ist Aconitum da, wo die Congestion durch heftigen Schreck und
Aerger zugleich hervorgerufen wurde. Aber auch selbst dann
habe ich es als das alleinige Heilmittel erkannt, wo durch hef-
tige gemüthliche Aufregung, durch einen lebhaft geführten Streit,
nicht ohne einigen Aerger, ein Congestiv-Zustand nach dem
Kopfe hervortrat, der, neben den äusserlich auffallenden sieht-



Congestionen nach dein Kopfe. 161

baren Erscheinungen, mit wirklichen heftigen Delirien, Lach-
und Weinkrämpfen sich verband, nach deren Nachlass die Kran-
ken gegen den Kopf schlugen, um den innern Schmerz dadurch
zu dämpfen.

Arnica montana ist unstreitig das vorzüglichste Mittel ge-
gen derartige Congestionen, die einem heftigen Falle, Stosse
oder Schlage auf den Kopf ihr Entstehen verdanken. Einer sol-
chen Erregungs-Ursache vermag kein Arzt ein passenderes Mit-
tel entgegenzusetzen als dieses, und die Chirurgie mag in sol-
chen Fällen einen noch grösseren äusseren Heilapparat empfeh-
len, so wird das einfachere Verfahren der Homöopathie doch
einen glänzenderen Erfolg davon tragen, besonders wenn sie
das speciflsche innere Heilmittel, zur schnelleren Aufsaugung der
ausgetretenen Feuchtigkeiten, äusserlich in einer passenden Form
(1 Theil zu 6 — 8 — 10 12 Theilen Wasser) auf die verletzte
Stelle applizirt.

Wo die Congestionen nach dem Kopfe sich vorzüglich durch
anhaltendes Ohrenbrausen und daraus entspringender Schwer-
hörigkeit documentirten, und von Fusserkältung abhingen, wen-
dete ich einigemal Dulcamara mit sehr glücklichem Erfolge an.

Congestionen nach dem Kopfe durch heftige Gemüthsbewe-
gungen, freudiger oder unangenehmer Natur, erregt, weichen
ebenfalls, wie jeder Homöopath weiss, leicht den passenden Mit-
teln. Bei sehr sensibeln Personen sehen wir sie leicht nach freu-
digen Ereignissen auftreten und lange anhalten, bevor die eigne
Körperkraft selbige wieder zu verwischen vermag. Ist das Sub-
ject nicht an Kaffee gewöhnt, so wird ein bis zwei Theelöffel
voll gewöhnlichen reinen Kaffeetranks bald die gewünschte Hülfe
schaffen; ist hingegen der tägliche Kaffeegenuss schon zur Ge-
wohnheit geworden, so erreicht man seinen Zweck durch Coffea
cruda.

Eben so leicht beseitigt man die nach Aerger durch eine
kleine Gabe Chamomilla, die, nach verbissenem Aerger oder
nagendem Grame durch lgnatia; die, von schneller Zornaufwal-
lung, durch Nux vomica; die, von Schreck, durch Opium; die
von anhaltendem Kummer, Sorge und Gram, durch Siaphysa-
gria; die von Aerger und Zorn, durch Natrum muriaticum: Und
so wird der homöopathische Arzt, bei gehöriger Individualisi-
II. 11



162 Congestionen und Blutungen.

rung des ihm vorkommenden Falles, immer leicht das spezifi-
sche Mittel zu finden wissen, auch wenn keine so bestimmte Ur-
sache zur Entstehung des Leidens vorhanden wäre, in welchem
letzteren Falle er auch Pulsatilla, Amica, Ambra, China, Anti-
monium crudum, Baryta acetica, Mercurius u. a. Mittel beach-
tenswert finden wird. Mercurius wird sich ihm besonders nütz-
lich erweisen, wenn eine innere gewaltige Hitze, ohne äusser-
lich fühlbare, mit Pulsiren im Kopfe, bei grossem, vollem Pulse —
Sinnestäuschungen, täuschende Wahrnehmungen , z. B. Hören von
Lärm auf der Strasse, Vögel singen etc. zur Begleiterin hat.

Ein bei Congestionen nach dem Kopfe, mit schlafloser, ängst-
licher Unruhe, bei geschwächten Personen, — wo es die innor-
mal angehäufte, in den übrigen Theilen aber mangelnde Lebens-
kraft gleichmässig durch den Organismus zu vertheilen gilt, —
sehr heilsames Unterstützungsmittel ist: ein einzelner, mit weni-
ger starkem Willen vom Scheitel herab mit flach aufgelegten
Händen , nicht allzu langsam , über den Körper bis über die Fuss-
spitzen geführter thierisch-magnetischer Strich.

. §. 99.

Congestio ad pectus, Plethora pectoris. Congestionen nach der

Brust.

Sie werden nicht selten auch durch Nux vomica beseitigt,
wenn sie durch eben diese Ursachen wie die nach dem Kopfe er-
zeugt wurden, und sich durch Herzklopfen, kurzes, keuchendes
Odemholen, Beklemmungen, Aengstlichkeit, asthmatische Be-
schwerden überhaupt, charakterisiren, und durch ihre öftere Wie-
derkehr leicht zu habituellen Brustkrämpfen Veranlassung geben.

Auch Belladonna hebt einige Arten derselben, die durch
ähnliche Anlagen und Ursachen, wie die nach dem Kopfe, ent-
standen. Folgende Symptome besonders stimmen für die Anwen-
dung dieses Mittels: sehr grosse Kurzäthmigkeit mit einem im-
merwährenden, kurzen, die Ruhe sehr störenden, Husten, Aengst-
lichkeit, Unruhe, starkes und schnelles, im Kopfe dröhnendes
Herzklopfen, selbst leise Andeutungen von Brustkrampf, bren-
nende Hitze, grosser Durst, womit sich nicht selten auch einige
Zeichen von Congestion nach dem Kopfe verbinden. In einzelnen
Fällen kann auch wohl hier Pulsatilla , besonders wenn der Blut-



Congestionen nach der Brust. 163

andrang nach der Brust Nachts auftritt oder Ignatia Anwendung
finden. Die Congestionen nach der Brust, die nach anstrengenden
Bewegungen mit Schwäche, Hinfälligkeit und Uebelkeit eintreten,
hebt man am schnellsten durch eine kleine Gabe Spongia. —
Sind damit, namentlich bei jugendlichen Subjecten, Obstruktio-
nen verbunden, so erleichtert man durch ein ganz einfaches La-
vement die Zufälle sehr.

Mehre von den im vorigen Paragraphen genannten Arzneien
sind auch in diesen Congestionen anwendbar, wenn diese durch
die bei jedem einzelneu Mittel angegebenen Gelegenheits-Ur-
sacheu entstanden sind. Ausser diesen sind aber für diese Art
Congestion noch vorzüglich zu erwähnen: Bryonia, Ipecacu-
anha, Rhus, unter gewissen Bedingungen, Squilla, Digitalis, Se-
pia, Phosphor, Sulphur u. a.

Bei sehr lebhaftem Herzklopfen besonders Aurnm, China,
Pulsatilla, Sulphur, Sepia, Natrum mur., Phosph. etc. — Das
Herzklopfen, das durch Bewegung, Musik, nach dem Mittags-
schlafe und Geistesanstrengung sich sehr verstärkt, findet in Sta-
physagria sehr oft sein Heilmittel. — In fast jeder Art Herz-
klopfen, besonders wenn es Abends und nach Gemüthsbewegung
lebhafter eintritt, ist Phosphor eine ganz vorzügliche Arznei. —
Ein deutlich sieht- und hörbares Herzklopfen, mit Erweiterung
des linken Herzens, Ausdehnung des linken Brustkastens mit
ängstlichem, jagendem Athem, ungeheurem Pulsiren aller Arte-
rien, Angst im Gesichte sich abspiegelnden Zügen, wich bald
der Anwendung von Belladonna, indem mit jeder neuen Gabe
mehr Ruhe eintrat.

§. 100.

Plethora abdominalis, Congestio viscerum abdominis, Physconia sanguinea.
Congestionen nach dem Unterleibe.

Congestion nach dem Unterleibe erregt mancherlei Beschwer-
den, unter ihnen besonders ein lästiges Gefühl von Hitze, Bren-
nen, Schmerz, Härte, Spannung ohne die Gegenwart einer In-
digestion. Sie erzeugen Stockungen und Desorganisation der
Unterleibsorgane, werden aber auch umgekehrt durch diese er-
regt; daher sind sie besonders hämorrhoidalischen und hypochon-
drischen Personen eigen und geben bei letzteren häufig die Ur-

11*



164 Congestionen and Blutungen.

sache zu allen den Abdominalbeschwerden ab, über welche der
Hypochondrist so ausgezeichnet zu klagen hat. Durch die Stö-
rung der Circulation des Blutes im Unterleibe, stören sie sekun-
där die Funktionen der hier gelegenen Organe; sie führen aus
diesem Grunde zu dyspeptischen Zufällen, zu schlechter Verdau-
ung, zu Gelb- und Wassersucht.

Zur Hebung dieser Congestionen, wenn sie schon lange an-
gehalten und folglich ein chronisches Leiden gebildet haben, sind
oft antipsorische Arzneien erforderlich, wiewohl auch einige der
früher genannten hier anwendbar sind, und oft auch, unter stren-
ger Befolgung der diätetischen Vorschriften von Seilen der Kran-
ken, Heilung bewirken. Da diese Leiden grösstentheils durch
eine sitzende, schwelgerische und ausschweifende, im Gegensatz
aber auch durch eine streng züchtige Lebensart bedingt werden,
so sind fleissige Bewegung in freier Luft, Vermeidung von Aus-
schweifungen und massiger Genuss des Geschlechtstriebes im letz-
teren Falle die ersten Erfordernisse, denen der Kranke streng
nachzukommen sich bestreben muss.

Bei einem solchen Verhalten wird dem Arzte die Heilung
oft möglich, durch die schon oft genannte Nuxvomica, die sich
vorzüglich dann empfiehlt, wenn Spannung, Aufgetriebenheit,
Drücken, Hitze, Brennen im Unterleibe Statt finden, Schmerzen
im Kreuze zugegen sind, als ob es zerbrechen sollte, und gar
keine Kraft in demselben wäre, so dass der Kranke wegen Halt-
losigkeit desselben nur mühsam zu gehÄ vermag, wie wir diess
besonders bei Stockungen in den Hämorrhoidal- und Uterin-Ge-
fässen finden, womit zugleich Stuhlverhaltung mit Drängen auf
den Mastdarm und auf die Blase verbunden ist. Hier verdient
auch Mercurius Beachtung, selbst wenn kein syphilitisches Lei-
den zum Grunde liegt.

Ein ganz ausgezeichnetes Mittel in derartigen Unterleibs-
Congestionen, namentlich nach voraus angewandter Nux, ist
Phosphor unter folgenden Umständen: Das Leiden verdankt dem
Uebermaass der Geschlechtsbefriedigung sein Entstehen, doch
kann es auch ohne diese Erregungs-Ursache zu Stande kom-
men, auch wohl durch eine sitzende Lebensweise herbeigeführt
werden. Die Kranken klagen über ein stetes Vollsein im Ma-
gen mit Aufstossen, Schwindel und Beklommenheit in der Herz-



Congestlonen nach dem Unterleibe. 165

grübe; über Schmerzhaftigkeit der Magen- und Herzgrubenge-
gend, die sich durch Berührung und namentlich durch Bewe-
gung so verstärkt, dass sie in ein förmliches Zerren ausartet
mit Pulsiren, zum Krummgehen zwingt und förmliche Kurzath-
migkeit herbeiführt; die Pulsation ist fortwährend in der Herz-
grube und tiefer, eben so in der Lebergegend; letztere ist em-
pfindlich, verträgt keinen Druck, deshalb auch das Liegen auf
der rechten Seite nicht.

Eine andere, sehr zweckdienliche, Arznei in dergleichen Ab-
dominal-Congestionen ist Sepia, besonders dann, wenn die Pul-
safion im Unterleibe so lebhaft ist, dass sie der Kranke wie durch
den ganzen Körper zu fühlen wähnt, was am deutlichsten her-
vortritt, wenn während des Sitzens der Oberkörper zurückgelegt
wird; dabei grosse Empfindlichkeit in Herzgrube und Leberge-
gend, empfindlicher noch durch Draufdrücken, bei Aufgetrieben-
heit dieser Theile und heftigem Klopfen, besonders in der Herz-
grube; Aengstlichkeit; hypochondrische Stimmung etc.

Eine unvergleichliche Arznei in derartigen Leiden ist auch
Pulsat. Immer ist ein Vollheits-, ein Aengstlichkeits-Gefühl in
der Magengegend mit Klopfen und Pulsiren daselbst und fühlba-
rem Schlage der Adern, was immer Abends sich verstärkt, wo-
bei weinerliche Stimmung-, in den Hypochondern klagen die Kran-
ken immer über ein zusammenziehendes Klemmen und Spannen,
über ein widriges Gefühl beengender Spannung im Leibe, als
wäre alles zu voll und hart.

Wahrhaft heilbringend ist auch Spigelia, wenn sie unter fol-
genden Symptomen in Anwendung gebracht wird: Drücken im
Unterbauche wie zum Zerspringen, oder mit dem Gefühl, als falle
eine grosse Last herab, besonders beim Einathmen; dabei grosse
Empfindlichkeit der Herzgrube, die mindeste Berührung oder
feste Bekleidung erzeugt grosse Angst, mit dem Gefühl in der
Brust, als wenn da Etwas abrisse; dabei Traurigkeit mit Aerger-
lichkeit und Gesichtsröthe.

Ausser diesen mache ich noch auf folgende, hieher gehö-
rige, höchst wichtige Mittel aufmerksam, die ich aber dem eig-
nen Nachschlagen der Leser empfehle: Arsen. , Lycopod., China^
Staphys., Natrum mur. etc.



166 Congestion nach dem Uterus.

§. 101.

Congestion nach dem Uterus.

Sie fällt immer mehr oder weniger mit der des Unterleibs
in eins zusammen, die im zweiten Geschlecht weniger lebhaft
sich zeigt, dagegen häufiger als Uterus -Congestion hervortritt.

Es zeichnet sich in diesen Congestionen nach den Uterin -
und Hämorrhoidal-Gefässen die Belladonna wiederum als vorzüg-
liches Heilmittel aus, und zwar wieder unter denselben Bedingun-
gen, die ich im vorletzten Paragraphen bei diesem Mittel schon
erwähnte. Die vorhin angegebenen allgemeinen Zeichen von
Congestion nach dem Unterleibe finden sich auch hier vor, doch
ist es ganz besonders die Congestion nach dem Uterus,
die sich zur Heilung für Belladonna eignet, wenn sie mit folgen-
den Zufällen vereint auftritt: Brennen, Stechen, Vollsein, Span-
nung und Drängen tief im Unterleibe und in den inneren Ge-
schlechtstheilen, öfters mit einem ziehenden Schneiden um die
Lenden herum und einer bänglichen Hitze in dieser Gegend, auch
wohl mit einem empfindlichen Drucke und Klammschmerz im
Kreuze verbunden, welcher letztere nur ganz langsame vorsich-
tige Bewegungen gestattet. Consensuell finden sich bei länge-
rer Dauer auch wohl Congestionen nach Kopf und Brust mit ein,
die, wenn sie von der in dem vorigen Paragraphen angegebenen
Art sind, ein Criterium mehr zur Anwendung dieses Mittels dar-
bieten. — Doch collitiren hier noch eyuge Mittel, unter denen
ich blos auf Millefolium, Senna, Sabina (beide letzteren vorzüg-
lich in Schwangerschaft), Crocus, China, Piatina, Ipecac, Bryo-
nia, Hyoscyamus, Hepar sulphuris u. s. w. aufmerksam mache,
auf die ich schon öfters wieder zurückkomme.

§. 102.

B. Hämorrhagiae. Blutungen.

Einige allgemeine Bemerkungen über Blutungen.

Es mag sonderbar scheinen , dass ich diese Krankheitsspe-
cies den chronischen Krankheiten anreihe, da es fast keinen aku-
teren Zustand giebt und geben kann, als eine Blutung: allein
sie ist doch öfters der endliche Ausgang einer Congestion , und
darum reihe ich sie diesen gleich an. Uebrigens gilt es ja ganz



Hä'morrhagiae. Blutungen. 167

gleich, wenn Ich auch hierin nicht so ganz regelrecht zu Werke
gehe, wenn nur der Leser sonst mit meinen therapeutischen An-
gaben zufrieden ist.

Unter den Blutungen sind die naturgemässen , normalen,
wohl von den normwidrigen, innormalen zu unterscheiden, wor-
unter jeder Ausfluss des Blutes aus den Gefassen zu verstehen
ist, der nicht zur Norm des Organismus gehört. Im engeren
Sinne jedoch verstellt man unter Blutfluss solche Blutentleerun-
gen, durch welche der Gesundheitszustand örtlich oder allgemein
gestört und die Funktionen der leidenden Organe beeinträchtigt
werden.

Leicht erkennbar sind die Blutungen dort, wo das Blut nach
aussen entleert wird; schwer hingegen, wo das Blut in Höhlen
des Körpers sich ergiesst, die keinen Ausweg haben, z. B. in
die Schädel-, Brust- und Bauchhöhle, ja zuweilen sogar in den
Uterus, wenn partiellem Krampf oder irgend ein mechanisches
Hinderniss den natürlichen Ausgang desselben versperrt; doch
müssen uns hier die vorangegangenen, wie die begleitenden
Krankheitszeichen, die Diagnose erleichtern. Zu diesen ersteren
gehören die in den vorigen Paragraphen genauer angegebenen
Zeichen der Congestion nach den Organen, in welchen die Blu-
tung vorkommt. Die gewöhnlichen Zufälle sind: das Gefühl des
Druckes, der Schwere, des Juckens und Kitzeins in dem leiden-
den Theile, erhöhete Wärme, Röthe und Anschwellung, Klopfen
und Spannen ; Unruhe, Schlaflosigkeit, schreckhafte Träume, Be-
täubung oder auch Exaltation des Gehirns und der Sinnesorgane,
bisweilen Delirien. Merkwürdig sind hierbei die eigentümlichen
Abnormitäten des Pulsschlages, der ein doppelschlägiger (pulsus
dicrotus) sein soll beiBlutungen aus Organen oberhalb desZwerch-
fells, dabei zugleich hart, voll und massig beschleunigt, verbun-
den mit dem Gefühle einer veränderten Temperatur des Körpers,
mit abwechselnden Schaudern, Frost und Hitze; dagegen ein in-
termiltirender bei Blutungen aus Organen unterhalb des Zwerch-
fells, in Verbindung mit den allgemeinen Zeichen der Congestion
nach den Unterleibsorganen.

Ausserdem erkennen wir eine Blutung noch aus dem Blut-
ergusse selbst, der hinsichtlich der Qualität und Quantität, als
auch hinsichtlich der Dauer verschieden sein kann. Qualitativ



168 Häraorrhagiae. Blutungen.

bemerken wir bald ein hellrothes, nach dem Ausdrucke der älte-
ren Schule, oft eine Entzündungshaut bildendes Blut, wenn es
aus arteriellen Gefässen fliesst; ein schwarzes, schäumendes und
dünnflüssiges, wenn es aus venösen Gefässen kommt; oft coagu-
lirt, wenn es längere Zeit in den Höhlen des Körpers verschlos-
sen bleibt. Quantitativ lässt sich gar nichts bestimmen, da es
sowohl tropfen- als auch pfundweise ausgeleert werden kann:
eben so verhält es sich mit der Dauer.

Zufälle anderer Art, die uns besonders bei verborgenen Blu-
tungen das Dasein derselben verrathen, sind bei Blutergüssen
in die Schädelhöhle: Schwindel, Benommenheit und Betäubung
des Kopfs, soporöser Zustand, Lähmung, Apoplexie; bei Blu-
tungen der Lungen; Engbrüstigkeit, vermehrte Wärme und Sti-
che in der Brust, Husten, selbst bisweilen asthmatische Zufälle;
bei dem Bluterguss in den Magen: Oppression, Druck, Spannen
daselbst, das Gefühl der Vollheit, Uebelkeiten, Erbrechen, Ohn-
mächten; bei einem freien Erguss in die Bauchhöhle: Auftrei-
bung des Unterleibes, Fluktuation, das Gefühl einer vermehrten
"Wärme, die jedoch bald in das Gefühl von Schwere und Kälte
übergeht.

Wie viel ein Mensch Blut verlieren könne ohne nachtheilige
und lebensgefährliche Zufälle, lässt sich nicht so genau bestim-
men, da diess von dem Alter, der Constitution, dem Charakter
der Blutung, der Art des Ausfliessens abhängt. So viel ist ge-
wiss, dass das Mittelalter und die plethltösche Constitution den
grössten Blutverlust ertragen kann.

Zeichen von Blutleere, von Depletion bei gegenwärtigen
Blutungen sind: Blässe des Gesichtes, des Zahnfleisches, der
Lippen und der Wangen, Spitzigwerden der Nase, Zusammen-
fallen des Körpers, hinsichtlich seines Volumens ; der Puls wird
schwach, klein, intermittirend, das Auge trocken und matt, der
Kopf und die Hände überziehen sich mit einem kalten Schweisse,
der Körper nimmt eine Todtenkälte an, es erfolgt heftiger Durst,
Ekel, Erbrechen, convulsivisches Schluchzen, Ohrenbrausen,
Schwindel, Ohnmächten. Der Tod erfolgt nun entweder unter
heftigen Convulsionen, oder, wie es öfter der Fall ist, während
der Ohnmacht und unter schwachen Zuckungen.

Nach Beseitigung der Blutungen bleiben oft, längere Zeit,



Hämorrhagiae. Blutungen. 169

Frösteln und Schaudern des ganzen Körpers, Wüstigkeit des Kopfs,
Taumel, ziehende Kopfschmerzen, Kälte im Nacken, hysterische,
hypochondrische und andere Zufälle eines verstimmten Nerven-
systems zurück, ferner, allgemeine Schwäche und Mattigkeit,
Verdauungsbeschwerden, Cachexieen, besonders Wassersucht und
Abzehrung. Diese letzteren Krankheiten kommen jedoch , bei
einer richtigen homöopathischen Behandlung der Blutflüsse selbst,
wohl selten vor, wenigstens habe ich selbige in meiner Praxis
nicht oft beobachtet.

§. 103.

Die Eintheilung der Blutungen in active und passive
hat ohnstreitig den grössten Werth in Bezug auf die Behand-
lung. Erstere beruhen auf einer erhöheten Thätigkeit der Ge-
fässe, letztere auf einer gesunkenen, auf Unthätigkeit und Läh-
mung der Gefässe.

In Hinsicht der Quantität des ausgeleerten Blutes nimmt man
an, ein Bluttröpfeln, Stillicidium sanguinis; einen Blutfluss,
Profluvium sanguinis, wobei das Blut in einem kleinen Strahle,
ruhig und ohne Gewalt fliesst ; und einen Blutsturz, Haemorrha-
gia proprie sie dieta, wobei das Blut in einem Strome mit Hef-
tigkeit hervorschiesst, und der Blutverlust den Kranken in kur-
zer Zeit erschöpft.

Anlangend die kritischen Blutflüsse, so habe ich mich
deutlich darüber ausgesprochen im ersten Theile. — In Bezug
auf Typus giebt es anhaltende, remittirende und intermittirende
Blutflüsse. — Auch können sie sporadisch, endemisch und epi-
demisch vorkommen. — Wir nehmen ferner eine Haemorrhagia
externa und interna und eine Haemorrhagia aperta und oeculta
ü. s. w. an.

Wir kommen nun zur Aetiologie der Blutungen und fin-
den unter der Prädisposition zuerst: die erbliche An-
lage und Uebertragung derselben von Eltern auf Kinder durch
fortgepflanzte Psora; eine hervorstechende erhöhete Reiz-
barkeit des Gefässsystems, vorzüglich im Kindes- und
Jünglings- Alter vorherrschend; Deformitäten des Thorax.

Gelegenheitsursachen sind dieselben, die wir schon
bei den Congestionen aufgezeichnet haben, als Wärme, Kälte;



170 Hämorrliagiae. Blutungen.

Alles, was die Circulation beschleunigt, im Gegentheil aber auch
wieder Alles, was den Blutumlauf hemmt; Unterdrückung ge-
wohnter Blutungen u. s. w.

Die Prognose richtet sich nach dem Charakter der Blu-
tung und nach der Menge des Blutverlustes, bei welcher aber
wieder das Alter des Kranken und die Wichtigkeit des blutenden
Organs zu berücksichtigen ist.

§. 104.

Die Behandlung der Blutungen im Allgemeinen beruht
auf Berücksichtigung der vorhin angegebenen prädisponirenden
und Gelegenheits- Momente. Bevor jedoch Mittel dagegen an-
gewendet werden, muss der Arzt das diätetische Regim berich-
tigen, die Einengung einzelner Körpertheile durch zu fest anlie-
gende Kleidungsstücke beseitigen, überlästige Zuschauer entfer-
nen, die zu grosse Hitze in Krankenzimmern massigen, und die
dem Zustande des Kranken angemessene Bedeckung anordnen.
Zugleich ist es auch nöthig, die Angehörigen darauf aufmerksam
zu machen, dass nicht eisig kalte, wohl aber verschlagene Ge-
tränke dem Kranken zuträglicher als warme sind, mit der Bemer-
kung, jede Säure darin zu vermeiden, damit nicht etwa die Wir-
kung der passenden Arznei sogleich wieder aufgehoben, oder
gestört oder verstärkt werde, was namentlich beim Aconit, beim
Mercur, bei Stramonium und bei Belladonna der Fall sein würde.
Diese Bemerkung ist um so bedeutungsvoller und beachteswer-
ther, je weniger die Angehörigen daran denken, ja wohl gar
durch sich einfindende Freundinnen darauf aufmerksam gemacht
werden, Citronenwasser, Limonade, Essigtränke und Essig -Um-
schläge anzuwenden und zu reichen, weil sie das in demselben
Falle unter der Anordnung eines allöopathischen Artztes auch hät-
ten thun müssen, eine nach der altern Heilmethode allerdings ganz
richtige Cautel, da die Säuren zu den styptischen Mitteln gehö-
ren. Entstanden die Blutungen von einer organischen Verletzung,
wodurch eine Trennung der Continuität der Gefässe bedingt wurde,
gleichviel, ob diess durch Zerreissung oder Ruptur der Gefässe
({"?£<£), °der durch Zerfressung {öiaßgcoaig) , oder mechanische
Verletzung irgend einer Art (Siatgtatg) geschah: so ist es nöthig,
dass die zweckmässige chirurgische Hülfe dabei in Anspruch ge-



Nasenbluten. Epistaxis. 171

nommen wird, die in vielen Fällen oft allein hinreichend ist,
die Blutung augenblicklich zu stillen und dem Arzte blos noch
der zurückgebliebene Schwä'che-Zustand zu beseitigen übrig bleibt.
Diess ist ohngefähr Alles, was sich über die Behandlung der
Blutungen im Allgemeinen angeben lässt, da die Aufzeichnung
der Mitte] gegen Blutungen überhaupt hier keinen besondern
Zweck weiter haben kann. Mit Gewissheit dürfte sich im Allge-
meinen Amica, sowohl innerlich als äusserlich angewendet, ge-
gen Blutungen von organischer Verletzung angeben lassen ; so
wie China als Hauptmittel in den nach Blutungen zurückbleiben-
den Beschwerden.

Hämorrhagieen der Respirationsorgane.
§. 105.

Nasenbluten. Epistaxis, Haemorrhagia narium, Choanorrhagia.

Das Nasenbluten kann sowohl eine dynamische, als auch
eine örtliche Blutung sein; im letztern Falle ist sie von mecha-
nischen Verletzungen abhängig und lässt sich leicht durch Ein-
ziehen von kaltem Wasser in die Nase, oder durch Wasser mit
einigen Tropfen Arnica vermischt, heben. — Hier beschäftigen
wir uns blos mit der dynamischen Nasenblutung und bemerken
zuvörderst, dass sie vorzüglich Kinder und Jünglinge trifft und
öftere Katarrhe dazu disponiren. Zuweilen ist sie auch ein Zei-
chen von Würmern.

In vielen Fällen gehen dem Nasenbluten Vorboten voraus,
die sich immer durch Congestion nach dem Kopfe manifestiren,
und durch folgende Zeichen sich aussprechen: glühende Röthe
des Gesichts, Druck in den Schläfen und in dem Nacken, Schwin-
del, Ohrenklingen, Funken vor den Augen, vermehrtes Pulsiren
der Carotiden und Schläfearterien, vermehrte Wärme, Jucken
und das Gefühl von Vollheit in der Nase. — Die Blutung selbst
erfolgt bald aus einem, bald aus beiden Nasenlöchern, bald in
grösserer, bald in geringerer Menge, bald tropfen-, bald strahl-
weise. In der Regel fliesst das Blut aus den Nasenlöchern,
manchmal aber fliesst es in die Mundhöhle, z. B. im Schlafe, und
erregt durch seinen Reiz Husten und Erbrechen, diess ist vor-
nehmlich der Fall, wenn die blutenden Gefässe sehr nach hinten



172 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.

liegen. Bei tief nach vorn übergebeugtem Kopfe geht es durch
die Nase ab; ist hingegen die Nase mit Blutklumpen verstopft,
so fliesst es ebenfalls durch den Mund. Zuweilen stürzt plötz-
lich, während eines gemischten Anfalles von Husten und Erbre-
chen, eine Menge geronnenen und flüssigen Blutes hervor. Oft
bilden sich Blutpfröpfe und werden mit Räuspern ausgeworfen.

Eine besondere Anlage zum Nasenbluten finden wir, ausser
dem vorhin angegebenen Kindes- und Jünglingsalter, vorzüglich
bei robusten, vollsaftigen, kräftigen und plethorischen Subjek-
ten ; sodann aber auch bei vorwaltender Reizbarkeit des Gefäss-
und Nervensystems, bei einem gracilen Körperbau, skrophulöser
Disposition und einem phthisischen Habitus; erbliche Anlage.

Gelegenheits-Ursachen sind besonders: grosse Hitze,
wenn sie auf den Kopf einwirkt; spirituöse, erhitzende Getränke;
starke Gerüche; heftige Anstrengungen des Kopfs, aber auch
psychische Einwirkungen, als Schreck, Beschämung u. s. w. ;
Fusserkältungen ; zu enge Halsbinden, Schnürbrüste; Kröpfe
u. dergl. m.

§. J06.

Die Behandlung des Nasenblutens anlangend, sind die Mittel
im Allgemeinen, deren ich mich stets mit Erfolg in den passen-
den Fällen bediente, folgende: Aconit, China, Pulsatilla, Cina,
Rhus, Arnica, Belladonna, Bryonia, Crocus, Moschus, Nux.
Später werde ich noch einige Antipsorikatsamhaft machen, durch
deren Anwendung mir es gelang, die Anlage zu Nasenblutungen
vollkommen zu beseitigen.

Oft verhinderte ich das Nasenbluten ganz durch eine Gabe
Nux, wenn die vorhin angegebenen Zeichen von Congestion nach
dem Kopfe vorangingen, die, weil sie schon öfters vorgekom-
men waren, den Ausbruch des Nasenblutens mit Gewissheit pro-
gnostiziren Hessen. Einigemal liess ich blos an eine Verdün-
nung von Nux riechen. In einigen Fällen habe ich durch mehr-
malige Anwendung dieses Mittels, in längeren Zwischenräumen
gegeben, das Nasenbluten dauernd beseitigt, vornehmlich dort,
wo das Subject sehr vollblütig, plethorisch, und sehr errreg-
bar war.

Aconitum wird immer bei allgemeiner Plethora und erhöhe-



Nasenbluten. Epistaxis. 173

ter Reizbarkeit des Gefässsystems indizirt sein, während Rhus,
jßryonia, Mercur und Belladonna immer dort sich empfehlen, wo
das Nasenbluten grösstenteils Nachts aus dem Schlafe weckt,
und immer mit heftigem Blutandrange nach dem Kopfe verbun-
den ist; in diesem letzteren Falle und bei einem schwarzen und
zähen Blute ist auch Crocus empfehlenswerth; öfters ist auch
Rlms anwendbar, wenn das Nasenbluten durch Bücken, starkes
Ausschnauben, durch Rachsen und Räuspern erregt wird, und
Bellad. und Bryon. ebenfalls, wenn die Blutung in den Morgen-
stunden einzutreten pflegt; während Sabadilla dann anwendbar
ist, wenn durch Ausrachsen hellrothes Blut aus den hintersten
Nasenöffnungen ausgeworfen wird; doch dürfte da Nux, bei übri-
gens passenden Symptomen, nicht contraindizirt sein; Bryonia
erweist sich auch in demjenigen Nasenbluten oft hülfreich, das
plötzlich durch Unterdrückung der Menstruation entstand. — Pul-
satilla wendete ich immer an, wenn das Nasenbluten in den Abend-
oder VormiMernachts-Stunden jedesmal zu repetiren pflegte, nicht
minder aber auch, wenn es bei einem öftern Wechsel von Fliess-
und Stockschnupfen sich zeigte. — Arnica nützte mir ebenfalls
sehr oft, und Cina, wenn ich durch den öftern Abgang von Wür-
mern auf Wurmreiz schliessen konnte, in welchem Falle aber
auch gewöhnlich ein Jucken und Kriebeln in der Nase vorkam,
welches das Subject zum Jucken, Reiben und Bohren in derselben
so lange nöthigte, bis das Nasenbluten eintrat. — China hilft
immer dort, wo das Nasenbluten von Erschlaffung der Gefasse
herzurühren scheint, sehr häufig vorkommt, oft aber auch sehr
lange anhält; sie ist auch dann anwendbar, wenn die bereits be-
schwichtigte Blutung den Körper sehr geschwächt und angegrif-
fen hat. Die-Arten von Nasenbluten, wo die Blutung mit eini-
ger Gewalt hervorstürzt, das Blut sehr hellroth aussieht, aber
auch bald den Körper schwächt, beseitigte ich immer schnell
durch Crocus, wie auch Herr Dr. Kretzschmar*) bestätigt;
doch dürfte hier Dulcamara wohl auch zu berücksichtigen sein ;
die allerheftigste Nasenblutung aber, mit beginnender Depletion
und eintretendem krampfhaften Muskelzucken, hob ich in weni-
gen Minuten durch Moschus. — Lachesis, ein Mittel, mir früher



*) S. Allgem. hom. Zeit. Bd. II. S. 75.



174 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.

-ganz unbekannt, scheint in dieser Krankheitsform nicht vernach-
lässigt werden zu dürfen, wie die Symptome deutlich zu erken-
nen geben, als; Bluten aus der Nase, auch 3, 4 Tage vor jeder
Regel; Ausfallen einiger Tropfen Blut aus der Nase, auch beson-
ders nach Bohren mit dem Finger, oder Abends beim Schnauben;
Blutschnauben, früh, nach oder bei Kopfschmerz neben den Augen,
oder mit nachfolgenden oder gleichzeitigen Congestionen; trö-
pfelndes Nasenbluten, beim Schnauben; dickes, dunkelrothes Blut
fliesst aus der Nase.

Die Blutungen aber für die Dauer zu heben, d. h. ihren Wie-
dereintritt zu verhindern, gelang mir, wie schon erwähnt, einige
Mal durch Nux, öfter jedoch durch die Anwendung der Anti-
psorika, unter denen Schwefel oben an steht, der mehrmals allein
im Stande war, die Krankheit zu heben, mehrmals aber zu seiner
Unterstützung der Ambra, des Graphit, der Sepia, des Lycopo-
dium, des Nitri acidum, des Phosphor, der Silicea und der Carbo
veget. noch bedurfte.

§. 107.

Haemorrhagia pulmonum, Haemoptysis, Haemoptoe, Sputum cruentum.
Bluthusten, Blutspucken, Lungenblutung.

Unter diesen Benennungen verstehen wir jede Blutung aus
dem Kehlkopfe, der Luftröhre, den Bronchien und den Lungen,
wobei das Blut meistens durch den Mund ausgeleert wird.

Meistens sind Vorboten da, z. ß. »in Gefühl von Vollheit,
Druck, Spannung, Beklommenheit, ein Stechen, Kitzeln, Brennen,
eine aufsteigende Wärme oder Wallung tief in der Brust, oder
unter'm Brustbein, auch wohl am Halse, oder zwischen den Schul-
terblättern, mit Schwerathmen, Herzklopfen, Angst; namentlich
ist die Inspiration sehr beschwerlich und doch fortwährend Nei-
gung dazu, Reiz zu einem kurzen, trocknen Hüsteln, rothe Wan-
gen, oft auch ein salziger, bitterer oder süsslicher, oder sonst
ein fremder, oder der eigne Blutgeschmack; öfter Schauder mit
Hitze abwechselnd, Zittern, oft auch krampüge Erscheinungen.

Die Blutung selbst ist sehr verschieden. Gewöhnlich
kommt sie hier mit Husten, stossweise, zum Vorschein: doch ist
es bisweilen nur ein sehr geringes Hüsteln, oder blos ein starkes
Ausräuspern, wenn sehr viel Blut abgeht. Meistens wird es auch



Haemorrhagia pulmonum. Lungenblutung. 175

mit einem eigenen Geräusche in der Luftröhre ausgeworfen, zu-
gleich auch mit dem Gefühle, als ob es tief aus der Brust komme,
gleichsam als stiege ein Dampf von heissem Wasser tief aus den
Lungen in die Höhe. Gewöhnlich hat es ein hellrothes, flüssi-
ges, schäumiges Ansehen und ist anfangs unvermischt, bei'm
Nachlass des Anfalls aber mit schaumigem Schleime vermischt.
Ist die Blutung bedeutend, so nimmt die Respiration einen zi-
schenden, rasselnden Ton an. Der Anfall setzt Stunden, Tage,
Wochen aus, kehrt aber auch oft schon nach einigen Stunden
wieder zurück. Die Quantität des ausgeworfenen Blutes ist sehr
verschieden; bisweilen sind es blosse Blutstreifen mit dem aus-
geworfenen Schleime vermischt, bisweilen ist es aber auch reines
Blut. Erfolgt der Auswurf langsam, nur nach und nach, so ver-
dient die Krankheit den Namen eines Blutspuckens, Blut-
hustens (Haemoptysis) ; erfolgt er aber schnell und in grosser
Menge, dann bezeichnen wir sie mit dem Namen: Lungenblut-
stur z (Haemorrhagia pulmonum).

§. 108.

Eine besondere Anlage zur Hämoptysis finden wir: in ei-
nem fehlerhaften Bau und Deformitäten des Thorax, doch
wird das Blutspucken auch häufig durch die Brust einengende
Kleidungsstücke erzeugt. Am häufigsten ist es ferner zwischen
dem löten und 40sten Jahre, zumal bei phthisischer Anlage,
wahrscheinlich weil diess die Jahre sind, in welchen die Ent-
wickelungsperiode der Brustorgane vor sich geht, wo an und
für sich schon Congestionen nach diesen Theilen stattfinden. Im
weiblichen Geschlechte tritt diese Periode früher ein, hört aber
auch zeitiger auf, weil die Natur einen periodischen Blutabgang
regulirt, der gleichsam als Ableitung für die Blutanhäufung in
den Brustorganen dient. Eine weitere Anlage zu Lungenblutun-
gen sehen wir ferner in einer plethorischen Constitution;
ferner in manchen Beschäftigungen und Handwerken,
z. B. bei Musikern, Predigern, Müllern, Steinarbeitern, bei Hüt-
ten- und Metallarbeitern.

Erregende Momente sind: erhitzende und spirituöse
Getränke, heftige, körperliche Bewegungen, namentlich diejeni-
gen, die die Lungen vorzüglich angreifen, wie Tanzen, Singen,



176 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.

Blasen von Instrumenten; hohe Wärmegrade; bedeutender Säfte-
verlust, z. B. nach langem Stillen ; unterdrückte Blutflüsse ; Ein-
athmen von scharfem Staube u. s. w. Nicht selten sind Lungen-
blutungen auch in der Schwangerschaft, und bei Desorganisatio-
nen grösserer Gefässe, besonders derjenigen in der Brust selbst,
z. B. des Herzens, der Aorta.

In prognostischer Hinsicht ist jede Lungenblutung,
wenn auch nicht immer gefährlich, doch wenigstens bedenklich.
Immer richtet sich die Vorhersagung nach dem Alter, der Con-
stitution und dem Geschlechte des Kranken, nach dem einmaligen
oder öfteren Erscheinen derselben, nach der abgehenden Quan-
tität, nach den erregenden Momenten und ob diese für die Zu-
kunft vermieden werden können, endlich aber auch nach den be-
gleitenden Erscheinungen, die oft das Hauptmoment der Krankheit
ausmachen, bei welchem also die Lungenblutung nur consensuell
ist. Oefter wiederkehrende Lungenblutungen geben nicht selten
Veranlassung zur Entstehung eines phthisischen Leidens.

§. 109.

Behandlung einer Lungenblutung. Ich verstehe hierunter
nicht jenen Blutauswurf aus der Brust, der erst durch heftigen
Husten herbeigeführt wird, sondern jenen, der nur mit etwas
Räuspern verbunden ist, dem eine Wallung in der Brust voran-
geht, die auch bei der Blutung noch fortdauert, mit der sich zu-
gleich ein Vollheits- Gefühl, ein Brennet, ein Herzklopfen, eine
Aengstlichkeit und Unruhe, letztere schlimmer beim Niederlegen,
ein schwacher, fadenförmiger, kaum fühlbarer Puls verbindet,
wobei ein Angst ausdrückendes, blasses Gesicht zugegen ist, und
das Blut absatzweise in grossen Quantitäten ausgeworfen wird.
— In einem solchen Falle erweist sich, nach meiner Erfahrung,
kein Mittel hülfreicher, als Aconitum. Oft tritt schon, bei An-
wendung dieses Mittels, nach 2, 3 Minuten Nachlass jener ge-
nannten Beschwerden ein, und verschwindet die Angst, Unruhe,
das Herzklopfen und Wallen in der Brust, so ist wenigstens für
den Augenblick die Gefahr für beseitigt anzusehen. Doch kehrt
auch der Zustand nach 2, 3 Stunden leicht wieder, und dann
wird eine neue und mehr Gaben Aconit erforderlich. Diess Mit-
tel ist hier ein sehr heilsames Palliativ, dem kein anderes an die



Haemorrhagia pulmonum. Lungenblutung. 177

Seite zu setzen ist, dessen man sich bedienen muss, um nur erst
die höchste Gefahr zu beseitigen. Tritt kein neuer Anfall ein,
sind aber die begleitenden Beschwerden noch nicht ganz geho-
ben, so rathe ich, zur Verhütung einer neuen Blutung, immer
Aconit noch ein- und mehrmal zu wiederholen, worauf alsdann,
nach etwa 5 — 6 Stunden, besonders wenn noch immer ein Blut-
geschmack, ein gelindes Hüsteln mit blutgestreiftem Schleimaus-
wurfe zurückbleibt, eine kleine Gabe Ipecacuanha passend sein
wird. Wo sich aber das Aengstlichkeits- Gefühl, die Wallung
und das Herzklopfen nicht verlor, im Gegentheil sich immer von
Zeit zu Zeit verstärkte, vorzüglich aber in den Mitternachtsstun-
den lebhafter wurde, aus dem Schlafe aufweckte, eine brennende
Hitze über den ganzen Körper sich dabei verbreitete, die Kranke
sich aufzusetzen, auch wohl aufzustehen genöthigt war: da er-
wies sich kein Mittel hülf reich er, als Arsenicum album, das auf
mehre Tage, ja Wochen den Zustand beseitigte, und nach einem
gegebenen Zwischenmittel auch ein zweites und drittes Mal gute
Dienste leistete. — Diese Ansicht, nach Arsenik immer erst ein
passendes Zwischenmittel zu geben, habe ich auch noch jetzt, da
mehrfache Versuche mit unmittelbarer Wiederholung dieser Arz-
nei nach der ersten Gabe mich belehrt haben, dass dieses Ver-
fahren, wenigstens in derartigen Leiden, nicht den guten Erfolg
herbeiführt, den man von ihm in andern Krankheiten beobachtet.

Bei einem vorhandenen gelbsüchtigen Teint, bei grosser Eng-
brüstigkeit, vorzüglich Nachts, mit reissenden Schmerzen zwi-
schen den Schulterblättern, bei leichtem Kotzen und dadurch her-
aufgebrachtem reinem Blutauswurfe, jedoch nicht in zu grosser
Menge, leistete Ferrum acetic. sehr viel.

Ein ausgezeichnetes Mittel im Bluthusten ist Amiod, beson-
ders auch, wenn er durch bedeutende körperliche Misshandlungen
erzeugt wird; bei folgenden Symptomen wird man sie immer
anwendbar finden, auch wenn keine derartige Veranlassung zur
Entstehung des Bluthustens da war: Auswurf geronnenen und
schwärzlich aussehenden Blutes, ohne bedeutende Anstrengung
und Husten, bei empfindlichen Stichen, Brennen und Zusammen-
ziehen in der Brust, Blutwallungen, Herzklopfen und eine auf-
fallende Hitze im Thorax, Kraftlosigkeit, Anfälle von Ohnmacht ;
doch giebt ein hellrothes, schäumiges, zuweilen mit Klümpchen
II. 12



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #9 on: April 30, 2013, 09:35:03 PM »

178 Hämorrhagieen der Respirationsorgane.

und Schleim gemischtes Blut, das immer erst durch Kotzen und
Husten ausgeworfen wird, der seinen Erregungsreiz unter dem
Brustbeine findet, keine Gegenanzeige für die Arnica.

Fast in allen Arten von Blutungen und vorzüglich auch bei
Lungenblutungen ist Millefolium eine unersetzliche Arznei, vor-
nehmlich bei starken und robusten Frauen und bei wirklichem
Blutspeien ohne, oder doch nur mit sehr geringem Husten, der
seinen Erregungsreiz mehr dem neu angesammelten Blute zu dan-
ken hat; zugleich ist ein Aufwallen und Kochen in der Brust zu-
gegen, und das Gefühl, als ob warmes Blut im Halse heraufkäme,
das sich allmählig so verstärkt, bis auch wirkliches Blut erscheint.
— In der neueren Zeit habe ich gefunden, dass ein derartiger
Zustand sicherer durch öfter wiederholte Gaben Aconit gehoben
wird, als durch Millefolium, von dem wir noch zu wenig Symp-
tome, an Gesunden beobachtet, besitzen.

Ein eben so wirksames Mittel für die passenden Fälle ist
Ledum palustre, mehr aber wieder da , wo das Blut niit Husten
ausgeworfen wird. Es war diess eins meiner ersten Mittel, was
ich in derartigen Fällen mit Nutzen angewendet habe. Immer
leitete mich ein starker, hellrother Blutauswurf mit heftigem Hu-
sten, bei einem zischenden, rasselnden Tone in der Luftröhre
und einem fixen, brennenden Schmerze auf irgend einer Stelle
in der Brust, zu seiner Anwendung.

Hyoscyamus soll nach anderer Homöopathen Erfahrung eben-
falls gute Dienste im Bluthusten leisten. Ich selbst kann nicht
darüber urtheilen, da ich dieses Mittel anzuwenden auch bis
jetzt noch keine Gelegenheit gefunden habe, indem die mir vor-
gekommenen Fälle immer die Anwendung anderer Mittel er-
heischten.

Bei einer phthisischen Anlage und bei einem schon vorhan-
denen eitrigen Auswurfe aus den Lungen mit beklemmenden, ste-
chenden Schmerzen auf der Brust, wozu sich blutiger Auswurf
gesellte, gab ich Plumbum mit dem glücklichsten Erfolge. Ihm
zur Seite steht Stannum.

Noch gehört hieher China, ohne deren Beihülfe man selten
derartige Beschwerden, die überhaupt durch die gewöhnlichen
Mittel zu beseitigen sind, ganz wird heben können. Ich bediente
mich ihrer früher immer erst dann, wenn noch ein kleiner Rest



Haemorrhagia pulmonum. Lungenblutung. 179

der Krankheit nebst bedeutender Schwäche zurückgeblieben war,
doch habe ich sie in der neueren Zeit auch gegen Bluthusten
selbst mit gutem Erfolge angewendet.

Ausser diesen Mitteln ist Rhus toxicodendron dann am meisten
indizirt, wenn der Bluthusten schon habituell geworden ist, zu Zei-
ten wohl auch grosse Quantitäten hellrothen oder geronnenen Blu-
tes ausgeworfen werden mit Weichlichkeitsgefühl und schmerzhaf-
ten Beschwerden im untern Theile der Brust; der Kranke immer
über Frösteln und allgemeines Schwächegefühl u. s. w. klagt. —
Hier collitirt Pulsatilla, die den Vorzug hat, wenn der Blutauswurf
aus schwarzem, geronnenem Blute besteht, der Bluthusten meist in
den Morgenstunden eintritt, die Sputa theilweise auch mit anderen
Massen gemischt sind, und ein beengtes Athmen sich damit ver-
bindet. Noch gehören hieher Sabina, Belladonna , Drosera,
Bryonia, Digitalis, Hepar sulph., Mezer eum, Dulcamara, letztere
vorzüglich nach Erkältung, und einige andere Mittel.

Belladonna empfiehlt sich bei jenen mehrmals angegebenen
Zeichen von Congestion nach der Brust, mit höchster Erschöpfung
und einem immerwährenden kitzelnden Reize im Kehlkopfe zum
Husten, als ein ganz vorzügliches Zwischenmittel.

Bei schon eingewurzeltem, chronischem Bluthusten aber wird
man mit allen den genannten Mitteln nicht ausreichen, sondern
zu den Antipsoricis seine Zuflucht nehmen müssen, unter denen
ich, als eine ganz ausgezeichnete Arznei, besonders bei Brenn-
Gefühl in der Brust, während des Bluthustens und auch nachher
anhaltend, Carbo negetabilis kennen gelernt habe. Ein eben so
bewährtes Mittel ist Phosphor, den ich ebenfalls öfters anzuwen-
den Gelegenheit hatte, namentlich bei Frauenzimmern, bei denen
die Periode oft stockte und beim Eintritt ungewöhnlich schwach
floss, wo mithin eine Versetzung des Blutes nach den Brustorga-
nen vorgegangen zu sein schien. Ammonium carbonicum be-
währte sich als vorzügliches Heilmittel im Bluthusten da, wo
letzterer mit Atembeschwerden, Dyspnoe, Orthopnoe verbunden
war, die auch, wenn der Bluthusten nachliess, noch fortdauer-
ten. — Nicht bloss möglich, sondern gewiss ist, dass die übri-
gen Antipsorika, wenn auch nicht alle, doch wenigstens einzelne,
namentlich Calcarea carb., Sepia, besonders aber Acidum sulphu-
ricum und Magnes. carb., unter gewissen Bedingungen und Ver-

12*



180 Hämorrhagieen der Chylopoese.

hältnissen in derartigen Brustleiden indizirt sein können, wes-
halb der Arzt den vorliegenden Fall immer genau und indivi-
duell erwägen muss, bevor er das antipsorische Heilmittel wählt,
weil sich hier bei fehlerhafter Wahl das Versehen nicht gleich
wieder gut machen lässt durch ein anderes, besser passendes
Antipsorikum.

Hämorrhagieen der Chylopoese.
§. 110.

Ilaematemesis , Vomitus cruentus , Melaena , Morbus niger Hippocratis,
Haemorrhagja ventriculi et tractus intestinorum. Blutbrechen,
schwarze Krankheit, Blutung des Magens und Darm

kanals.

Schönlein trennt diese Krankheit in Magenblutbrechen
(Vomitus cruentus), in Blutung aus dem Dünndarm, schwarze
Krankheit (Melaena, Morbus nig. Hippocratis) und in Blu-
tung aus dem Mastdarme (Proctorrhoea). Ich begnüge
mich, diese Trennung hier bloss cursorisch zu erwähnen, da sie
auf die Behandlung doch keinen wesentlichen Einfluss äussert,
und da ich bei jedem einzelnen Mittel doch die nöthigen Indica-
tionen stelle, wo ich besonders noch hervorheben werde, ob das
Mittel im reinen Blutbrechen oder auch in der Blutung aus dem
Dünndarme anwendbar ist.

Mit dem angeführten Namen bezeiÄhien wir eine Blutung
aus den Gefässen der Speiseröhre, des Magens und der zwischen
Zwerchfell und Nabel gelegenen Organe, die durch Erbrechen,
oder auch zugleich durch den Stuhl entleert wird. — Das Blut-
brechen ist eine höchst akute Krankheit, die nur dadurch zu ei-
ner chronischen sich umwandelt, dass sie öfters wiederkehrt und
zwar in längeren Intervallen.

Congestions- Stadium. Vorläufer sind bei einer
derartigen Krankheit, längere oder kürzere Zeit vor deren Aus-
bruch, immer bemerkbar, es sind: Schwere, Druck, Vollheit,
Spannung, Schmerz, Krämpfe in der Magengegend und den Hy-
pochondrien, Beängstigung, besonders nach jedem Genuss und
bei'm Druck auf den Magen; normwidriger Geschmack, Appetit
und Stuhlgang, Uebelkeiten, Brechen; Ohnmächten, Schwindel



Haematemesis. Blutbrechen. 181

und andere Nervenzufälle, bisweilen aussetzender Puls, biswei-
len aber auch sichtbarer und deutlich fühlbarer, starker Puls-
schlag in der Gegend des Magens, in der Herzgrube; öftere
Koliken, brennende Hitze im Unterleibe, meistens an der Magen-
gegend. — Viele dieser Zufälle sind auch während des Anfalls
zugegen, kalte Schweisse, hippokratisches Gesicht und andere
Zeichen einer überhand nehmenden Schwäche treten bald hinzu.
Manchmal ist die Magengegend oder der Unterleib, theilweise
oder ganz, aufgetrieben, hart, schmerzhaft. Vielleicht kommt
auch etwas Husten hinzu.

Stadium der Hämorrhagie. Meistens kommt das Blut-
brechen in Anfällen wieder: bisweilen fühlt der Kranke deut-
lich, wie sich das Blut im Magen wieder anhäuft, es wird ihm
weich und warm .um's Herz, wie er sich ausdrückt, und voll um
die Herzgrube; dem Erbrechen gesellt sich gewöhnlich der Ab-
gang eines schwarzen, geronnenen Blutes durch den Stuhl hinzuc
Beim Erbrechen sind Uebelkeiten, Magenschmerzen und Ohn-
mächten zugegen, und ersteres ist so anhaltend, dass Alles ohne
Unterschied herausgebrochen wird; bei dem Abgange des Blu-
tes durch den Stuhl sind gewöhnlich Kolikschmerzen, Durchfall
oder Stuhlverhaltung gegenwärtig; bei dem einen mir vorgekom-
menen Falle sah ich 5 Tage lang gar keinen Stuhlabgang, blos
Blut. — Das ausgeworfene Blut ist verschieden, je nachdem es
früher oder später nach seinem Austritt aus den Gefässen aus-
geleert wird ; arterielles und gleich ausgeworfenes ist roth, hell,
klar und flüssig; venöses, oder im Magen und Darmkanal län-
ger liegen gebliebenes, wird dunkel, schwarz, faulig und ver-
schiedenartig verändert ausgeleert. — Die Quantität variirt eben-
falls sehr: von einigen Unzen bis zu mehren Pfunden; überhaupt
ist sie desto grösser, je öfter die Krankheit wiederkehrt, und je
bedeutender die organischen Fehler sind, von denen sie abhängt.

Nach der Blutentleerung, die jederzeit in mehren Absätzen
erfolgt, fühlt sich der Kranke meistens in Hinsicht der voraus-
gegangenen Abdominalbeschwerden erleichtert, aber höchst er-
schöpft. Bei sehr bedeutender Blutung entstehen alle Zufälle
der Blutleere: die Nabelgegend tritt auf, der ganze Körper wird
kalt und blass, die Lippen weiss; es entstehen Ohnmächten, kalte
Schweisse, grosse Schwäche. Unter solchen Umständen tritt,



182 Hämorrhagieen der Chylopoese.

bei nicht bald zu schaffender Hülfe, unter Ohnmächten der Tod
ein; oder bei beginnender Besserung erfolgt diese doch nur sehr
langsam, wenn sie nicht in kachectische Krankheiten, Abzehrung
und Wassersucht, übergeht.

§. 111.

Der Verlauf einer solchen Krankheit ist sehr verschieden.
Wo sie einmal erschien, kehrt sie fast jederzeit, bald in länge-
ren, bald in kürzeren Zwischenräumen, oft mehrmals des Tages,
zurück. Auch in Hinsicht auf Dauer hat eine solche Krankheit
nichts Beständiges, denn sie kann im ersten Anfalle tödten, aber
auch Wochen, Monate und Jahre lang anhalten.

Eine Prädisposition zu einer derartigen Krankheit finden
wir immer in dem mittlem oder höhern Alter; häufiger beim
männlichen als weiblichen Geschlechte; bei letzterem wohl nur,
wenn Stockungen der Menstruation vorkommen; bei kachecti-
schen, atrabilarischen, reizbaren Subjecten.

Gelegenheits- Ursachen finden wir in dem häufigen
Genüsse solcher Nahrungsmittel und Getränke, die erhitzend auf
das Gefässsystem einwirken ; ferner in den heisseren Sommer-
monaten, daher vorzüglich im Juli und August; in einer sitzen-
den Lebensart, in dem Aufenthalte in ungesunden, feuchten Woh-
nungen; in deprimirenden Gemüths-Affecten; in schlechten Nah-
rungsmitteln, im Uebermaass im Essen u. s. w. Noch gehören
hieher: unterdrückte Menstruation durclfr Erkältung der Füsse,
plötzliche Cessation der Catamenien in den klimacterischen Jah-
ren bei vollblütigen Subjecten; hauptsächlich aber wohl Unter-
drückung chronischer Hautausschläge; ferner: organische Fehler
der Leber und Milz, und endlich örtliche, mechanisch und che-
misch wirkende Ursachen.

Die Prognose ist sehr ungünstig wegen des Uebergangs
der Krankheit in andere chronische Krankheitsformen, wenn sie
nicht schon im ersten Anfalle tödtlich geworden ist; doch rich-
tet sie sich auch nach dem Alter, Geschlecht und der Constitu-
tion des Kranken, ferner nach dem ursächlichen Momente, und
nach der grösseren oder geringeren Wahrscheinlichkeit, selbiges
zu entfernen; sind keine ersichtlichen Ursachen aufzufinden, ist
der Blutverlust nicht zu bedeutend, das Subject nicht zu alt und



Haematemesis. Blutbrechen. 183

kraftlos, dann ist die Prognose allemal günstiger zu stellen, als
unter entgegengesetzten Verhältnissen und bei organischen Feh-
lern, denen die Krankheit ihr Entstehen verdankt.

§• 112.

Die Behandlung einer Meläna ist eine der schwierigsten,
da sie die volle Aufmerksamkeit des Arztes für den gegenwärti-
gen Fall, so wie die genaueste Kenntniss der Heilstoffe und ih-
rer spezifischen Eigentümlichkeiten in Bezug auf die vorlie-
gende, leicht im Anfall selbst tödtlich werdende Krankheit er-
fordert, um durch die passende Wahl des Heilmittels den näch-
sten Anfall zu verhüten. Zuerst werde ich mein Verfahren bei
einem mir vorgekommenen ähnlichen Krankheitsfalle angeben,
dann auf das anderer, homöopathischer Aerzte zurückkommen,
und endlich werde ich auf die Mittel noch aufmerksam machen,
die in ähnlichen Fällen sich hülfreich erweisen können.

Das Subject, an welchem ich die Krankheit zu behandeln
hatte, war ein Mann in den angehenden sechziger Jahren, von
einer plethorischen, atrabilarischen Constitution, der schon mehr-
mals an diesem Uebel, aber noch nicht in so hohem Grade, ge-
litten hatte: Ich kam so eben dazu, als er eine Masse dunkel
gefärbtes, carbonisirtes Blut ausbrach, und dann der Ohnmacht
nahe auf sein Lager zurücksank. Nach kurzer Zeit repetirte der
Anfall; wobei die Schwäche immer mehr überhand nahm; das
auf drei Mal ausgebrochene Blut betrug ein halbes Nachtgeschirr
voll, und doch schien die Krankheit vor der Hand noch nicht
aussetzen zu wollen, denn das enorme sichtbare und fühlbare
Klopfen in der Herzgrube, die Uebelkeit, das Aufstossen —
Alles Vorläufer eines neuen Anfalls — dauerten fort, der Kranke
fühlte sich kalt an, das Gesicht war collabirt und er holte stöh-
nend und seufzend Athem. Kein Mittel schien jetzt besser indi-
zirt, als China, von der ich ihm auch einen Tropfen von der
18. Verdünnung reichte. Noch ein, aber kleinerer Anfall er-
schien nach 3 Stunden und der Kranke hatte sich bis zum näch-
sten Morgen doch so weit erholt, dass er einzelne Worte mit
mir sprechen konnte, nicht mehr so sehr über das Weichlich-
keits-Gefühl, dagegen über eine brennende Empfindung in der
Magengegend klagte; das seufzende Odemholen war verschwun-



184 Hämorrhagieen der Chylopoe.se.

den, aber das sichtbare Pulsiren in der Herzgrube mit etwas Aengst-
lichkeit noch zugegen; die geringste Bewegung verschlimmerte
die Uebelkeit, die auch mit allen genannten Beschwerden in der
Nacht sich erhöhete. Appetit und Stuhlgang fehlten ganz, nur
grosser Durst plagte den Kranken. Ungeachtet ich die Wirkungs-
dauer der China bis zum 4. Tage abwartete, so besserte sich
doch im Ganzen nichts mehr; im Gegentheile kehrten die An-
fälle täglich zwei Mal wieder, und es stellten sich auch täglich
mehrmalige aus schwarzem coagulirtem Blute bestehende Stuhl-
gänge ein, die die Kräfte noch mehr mitnahmen. Der bren-
nende Schmerz in der Magengegend, der unauslöschliche Durst,
das sich verstärkende Pulsiren in der Herzgrube mit bedeutenden
Angstanfällen u. s. w. waren sichere Criterien zur Anwendung
des Arsenicum album, den ich den 4. Tag früh gab, wonach
sich alle Symptome von Tage zu Tage so minderten, dass der
Kranke den 5. Tag nachher das Bett verlassen konnte. Bemer-
ken muss ich noch, dass zwei Tage lang nach Einnehmen des
Arseniks, die blutigen Stuhlgänge fortdauerten, alsdann aber all-
mählig in Kothstuhl übergingen. Vierzehn Tage nach gereichtem
Arsenik bestand das Pulsiren und das brennende Gefühl in der
Herzgrube fast noch in gleichem Grade, und ich vermuthete ein
Aneurysma der Aorta descendens. Calcarea carbon. besserte
sehr viel; Carbo vegetabilis aber beseitigte es vollends ganz.

Dr. Gross behandelte einen recht ausgebildeten Krankheits-
fall der Art, gegen den die Allöopathie%nchts mehr vermochte,
und der die ungünstigste Prognose gewährte, mit kleinen Gaben
Nux vomic., Bellad. und Stannum, und war ebenfalls so glück-
lich, ihn ganz zu beseitigen. Das Subject war in den fünfziger
Jahren und wurde so gesund , als er in seiner kräftigsten Jugend
nicht gewesen war. Allein nach etlichen Jahren kehrte das alte
Uebel ebenfalls wieder und die vorher spezifischen Mittel wirkten
diessmal nur als Palliative, weshalb er ebenfalls eine antipsori-
Behandlung anfangen musste, wodurch er auch den Kranken
rettete *)•

Ich erlaube mir nun noch, auf einige hieher gehörende Mit-
tel aufmerksam zu machen.



*) S. Archiv VII., Heft 2-, S. 117.



Haematemesis. Blutbrechen. 185

Nux vomica ist unstreitig eins der ersten und hülfreichsten
in derartigen Fällen, namentlich bei einer plethorischen Consti-
tution und Neigung zu Stuhlverstopfung. Doch dürfte sie wohl
mehr dort indizirt sein, wo ein chronisches Leiden des Magens
längere Zeit vorausgegangen, mit dem immer sehr heftiges ge-
waltsames Erbrechen verbunden ist, wobei alsdann Blut mit zum
Vorscheine kommt, das aber in diesem Falle mehr arteriell ist.

Ihr zunächst steht die Arnica, die bei kräftigen, robusten
Constitutionen, sanguinisch-cholerischem Temperamente und einem
geronnenen dunkeln Blutauswurfe durch Erbrechen ihre Anwen-
dung findet; noch leichter wird die Wahl für dieses Mittel, wenn
der Kranke dabei noch über Zerschlagenheit aller Glieder klagt.

Hyoscyamus ist in blossem Blutbrechen ein herrliches Mit-
tel, wenn Erkältung die Veranlassung dazu gab, krampfhafte Be-
schwerden und besonders Congestionen nach Brust und Kopf da-
mit verbunden sind, und das Blut eine hellrothe Farbe hat und
folglich arteriellen Ursprunges ist.

Veratrum ist ein unersetzliches Mittel in dieser Krankheit,
wenn folgende Symptome die vorzüglichsten sind: Patient ist
durchaus genöthigt immer zu sitzen oder zu liegen, aufstehen kann
er durchaus nicht, weil ihn da sogleich die schrecklichste Angst
mit Brechübelkeit und kaltem Schweisse, selbst Ohnmachtsgefühl
überfällt ; dabei höchst muthlos und verzweifelnd ; schwarzes Er-
brechen von schwarzer Galle und Blut; heftige, blutige Durch-
fallstühle.

Millefolium, dieses in Blutflüssen überhaupt so kräftige Mit-
tel, wird auch hier seine Dienste nicht versagen, doch kann ich
aus Erfahrung ihm für diese Krankheit noch nicht das Wort re-
den, was spätere Beobachtungen thun müssen.

Cantharide.s finden Anwendung besonders im Blntbrechen un-
ter heftigem Würgen und argen Leib- und Magenschmerzen mit
Umherwerfen und verzweifelndem Aussersichsein, bei höchster
Erschöpfung und Kraftlosigkeit. — Auch Aconit ist öfters indi-
zirt, weniger aber im Blutbrechen, als in der Meläna; obgleich
die in dieser Krankheit so charakteristischen blutigen Stuhlgänge
bei diesem Mittel nicht so deutlich unter den Erstwirkungen die-
ses Mittels zu finden sind, so deutet doch das Erbrechen gros-
ser Massen schwarzrothen , geronnenen Blutes darauf hin.



186 Blutungen aus den Harnwerkzeugen.

Dass auch Mezereum in einer ähnlichen Krankheit etwas lei-
sten könne, wage ich zu behaupten, gewiss aber nicht in einem
sogenannten idiopathischen, als vielmehr in einem consensuel-
len, von einem inflammatorischen Zustande oder einer Desorga-
nisation des Magens abhängig. — Ausser den von mir vorhin
schon genannten gegen ein ähnliches Leiden passenden antipso-
rischen Arzneien, erweisen sich Phosphorits*), Natrum muria-
tic.**), Cicuta virosa , Sulphur, Lycopodium, Zincum und einige
andere gewiss noch sehr hülfreich.

Blutungen aus den Harnwerkzeugen.
§. 113.

Hämorrhagia renalis, Mictus cruentus, Urina sanguinea. Blut harnen.

Mit diesem Namen bezeichnen wir jede Blutung der Nieren,
der Ureteren und der Blase, mit Ausschluss der Harnröhren-
blutung (Urethrorrhagia, Stymatosis).

Die Diagnose ist bei dieser Krankheit, wo das Blut durch
den Urin mit ausgeleert wird, leicht; schwieriger ist es dage-
gen, das leidende Organ genau anzugeben. Immer ist das Blut
mit dem Harne vermischt, und das Uriniren mit Drängen und An-
strengungen verbunden. — Bei einer Nierenblutung (Hae-
maturia renalis) ist der Harn dunkler oder heller roth, auch braun
und schwarz gefärbt, meist aber rosenf^big; immer bleibt das
Blut innig mit dem Harne vermischt; nur etwa bei grösserer
Menge setzt sich ein Theil desselben in dem Nachtgeschirre, als
ein gleichförmiger Brei ohne Zusammenhang; selten wird ganz
reines Blut ohne Harn ausgeleert, zuweilen sind kleine Kliimp-
chen und Fasern darin. Diese Ausleerung ist meistens stark, er-
folgt zuweilen pfundweise, ohne Blasenschmerz , wohl aber unter
und nach Druck, Reissen, ziehenden oder krampfhaften Empfin-
dungen und Schmerzen in der Nieren - und Lendengegend , man-
cherlei Beschwerden im Unterleibe, Beängstigung, Taubheit der
Schenkel, Anziehn der Hoden, Verstopfung und andern Zufällen,



*) S. Allgem. hom. Zeitung. B. I. S. 53.
**) S. Allgem. hom Zeitung B. II. S. 75.



Hämorrhagia renalis. Blutharnen. 187

nach Verschiedenheit der Ursachen. — Am schwierigsten ist
wohl eine Harnleiter blutung (Haematuria ureterica) zu er-
kennen, auch kommt sie wohl sehr selten vor. Im Allgemeinen
findet man hier ähnliche Symptome wie bei einer Nierenblutung,
mit dem einzigen Unterschiede, dass sich die ziehenden, span-
nenden Schmerzen von der Lendengegend aus, nach dem Laufe
der Ureteren bis ins Becken herab erstrecken, mit Harnstrenge,
auch wohl Ekel und Erbrechen. — Bei Blutungen aus der
Blase (Haematuria vesicalis) beschränken sich ursprünglich die
Beschwerden auf die Blasengegend. Wir finden Blasenkrampf,
Harnzwang, bisweilen sehr heftiges Brennen und Schmerzen in
der Blase, im Mittelfleische, Penis und After, während und nach
dem Harnen; Zufälle des Blasensteins, welcher doch nicht immer
gegenwärtig ist. Dazu kommen, wenn der Harnabgang sehr
schwierig ist, grosse Angst, kalte Schweisse, Frost, Schwäche,
Ohnmächten. Der Harn ist hier mehr dunkelfarbig, dunkelroth,
fasrig, häutig, öfters mit Schleim, zuweilen mit Eiter oder mit
Fleischklumpen vermischt; das Blut tingirt ihn nicht vollkommen,
ist nicht innig mit ihm vermischt, schwimmt vielleicht nur in
Flocken darin, und fällt, meistens in geringer Menge, schwärz-
lich klumpig, geronnen, oder auch flüssig, roth und klar, bald
zu Boden, wo es eine zusammenhängende Masse bildet; biswei-
len geht es ganz unvermischt ohne Harn ab; bisweilen häuft es
sich koagulirt in der Blase an und erzeugt leicht Harnverhaltung.

§. 114.

Prädisponirende und erregende Momente sind wohl
grösstentheils schon gegenwärtige Krankheiten der bei diesem
Uebel leidenden Organe, z. B. Nierensteine, Entzündung der Nie-
ren, nach äusserer Gewaltthätigkeit, heftiger Erschütterung u. s.w.;
doch können auch Ataxieen der Menstruation und die climakte-
rischen Jahre, so wie Störungen bei Hämorrhoiden, eine Prä-
disposition abgeben. Erregt wird das Blutharnen durch grosse
Erhitzungen, heftige körperliche Bewegungen, besonders hefti-
ges Reiten und Fahren auf schlecht gepflasterten Strassen , durch
den Genuss spirituöser Getränke und starker Gewürze; eben so
durch den häufigen Gebrauch der Canthariden, äusserlich und
innerlich, den Genuss der Maikäfer, des Spargels, des Knob-



188 Blutungen aus den Harnwerkzeugen.

lauchs, nicht minder aber auch durch die übermässige Geschlechts-
befriedigung.

Das Uebel wird leicht hartnäckig, gern wiederkommend, und
endlich zur Gewohnheit, besonders bei alten Leuten. Mit der
Zeit entstehen dann Geschwüre und örtliche Fehler der Nieren.
Doch hängt die Prognose noch besonders von dem Charakter
der Blutung ab, wo dann die passive immer eine ungünstigere,
als die active giebt; eben so bestimmt auch die Möglichkeit, die
erregenden Ursachen zu entfernen, oder sie unschädlich zu ma-
chen, die Vorhersagung ; das Alter des Kranken; die Dauer und
Wiederkehr der Blutung; die begleitenden Erscheinungen. Schlimm
ist es, wenn das ausgetretene Blut in der Blase gerinnt, wozu
sich die schrecklichsten Schmerzen und Krämpfe, selbst tödtliche
Ischurie gesellen.

§. 115.

Das therapeutische Verfahren bei dieser Krankheit
richtet sich sehr nach den erregenden Ursachen. Der homöopa-
thische Arzt wird also , wo das Blutharnen nur sekundäres Symp-
tom einer Nephritis oder Cystitis ist, es durch eine zweckmässige
Behandlung dieser letzteren zu beseitigen suchen. Man sehe
hier, was ich im ersten Theile über diese Krankheiten gesagt
habe. — Geben äussere Gewaltthätigkeiten und Erschütterungen
das erregende Moment ab, so wird imm# Arnica das geeignetste
Mittel für den ersten Augenblick bleiben, das vornehmlich da
auch das Hauptmittel bleibt, wo die äussere Gewaltthätigkeit unmit-
telbar auf die Nieren - oder Blasengegend einwirkte. — Ist der zu
häufige Genuss geistiger und erhitzender Getränke die Erregungs-
Ursache einer solchen schmerzhaften Krankheit, so kann anfangs
kein anderes Mittel, als Nux vomica indizirt sein, um wenig-
stens eine momentane Beschwichtigung der Gefäss-Ueberreizung
zu bewirken. — Erregte ein häufiger Geschlechts-Genuss das
Leiden, so versteht sich von selbst, dass Patient dieses, nicht
Mos den ganzen Körper, sondern in diesem Falle vorzüglich die
uropoetischen Zeugungs-Organe schwächende Causal-Moment zu
meiden sich zur Pflicht mache, worauf der Arzt ihn durch eine
oder mehre Gaben China von seinem Leiden befreien wird. —



Hämorrhagia renalis. Bluthamen. 189

Sind die Canthariden die erregende Ursache — gleichviel ob sie
vom Arzte dem Kranken verordnet wurden, oder letzterer durch
öfter gelegte Vesikatorien sich einen solchen Zustand erzeugte,
oder endlich auch , ob ein abgestumpfter Venusritter sich dadurch
bei seiner Dame wieder in Gunst zu setzen sich bestrebte, wo-
durch gleichsam eine Art Toxication erzeugt wurde — so sind
öftere kleine Gaben Camphora zur Vernichtung ihrer Wirkungen
erforderlich, und alsdann, wenn die Krankheit dadurch nicht voll-
kommen gehoben wurde, eins von den noch zu nennenden Mit-
teln, das dem Symptomencomplexe am passendsten entspricht.
Als Hauptmittel in dieser Krankheit, besonders wenn keine
in die Augen springende Ursache nachgewiesen werden kann,
stehen unstreitig die Cantharides oben an, die nicht blos den
blutigen Harn, sondern auch die mit dem Abgange desselben
verbundenen Schmerzen in ihrer Erstwirkung aufzuweisen haben.
Der gewöhnlichste Schmerz, den ein blutiger Harn, längs der
Harnröhre hin, erzeugt, den auch dieses Mittel am sichersten hebt,
ist der brennende, und er ist um so empfindlicher, je weniger
Blut, mit oder ohne Harn vermischt, auf einmal abgeht, daher
wir ihn bei dem tropfenweisen Abgange am deutlichsten wahr-
nehmen. Zuweilen hängt dieses Schwerharnen von einer mecha-
nischen Verstopfung der Harnröhrenmündung in der Blase, von
coagulirtem Blute ab, zuweilen aber auch von einer krampfhaf-
ten Zusammenziehung der Sphincteren; im ersteren Falle gehen
dann immer bei dem tropfenweisen Abgange blutige Fasern oder
auch schwärzliche, coagulirte Blutklümpchen mit ab, so lange,
als noch letztere in der Blase vorhanden sind, worauf alsdann
reines, helles Blut abgesondert wird; im letzteren Falle schaffen
die an die Blasengegend und die Zeugungstheile geleiteten Däm-
pfe von heisser Milch oder Wasser Linderung. In beiden Fällen,
die mit heftig schneidenden, drängenden und krampfenden Schmer-
zen in der Blasengegend, die sich längs der Harnleiter bis nach
den Nieren hinaufziehen, verbunden sind, werden die Canthari-
des mit grossem Nutzen angewendet werden und die ersehnte
Hülfe bringen. Aber nicht blos im Blutharnen, das von der
Blase ausgeht, sind die Canthariden indizirt, sondern auch in
demjenigen, das von einem Leiden der Nieren und Harnleiter ab-
hängig ist, und gewöhnlich mit brennenden, stechenden, ziehen-



190 Blutungen aus den Harnwerkzeugen.

den, sehr empfindlichen Schmerzen in der Lenden- und Nieren-
gegend sich verbindet.

Nächst den Canthariden ist wohl Mezereum, unter den uns
bekannten Mitteln, eins der vorzüglichsten mit in dieser Krank-
heit, nur mit dem Unterschiede, dass die Zufälle hier weni-
ger heftig sind als dort, wo die Canthariden passen, und auch
das Blutharnen selbst nicht in so reichlicher Menge vorkommt;
auch ist es hier mehr ein eben erst ausgetretenes, weniger coa-
gulirtes Blut , das entleert wird. Der Kranke verspürt vor dem
Harnen einiges Klemmen auf der Blase und nach dem Harnen
kommen noch Bluttropfen nach.

Auch Fulsatilla hat sich als eine hülfreiche Arznei im Blut-
harnen erwiesen; dasselbe war mit einem brennenden Schmerze
an der Harnröhrmündung verbunden und es gesellte sich ihm ein
zusammenziehender und schneidender um den Nabel bei, der sich
bis ins Kreuz erstreckte, wo er am heftigsten war, und auch
am längsten anhielt; dabei war nicht blos das Skrotum und der
Penis krampfhaft hinaufgezogen, sondern es stellte sich ein ähn-
lich krampfhafter Schmerz im rechten Beine, vom Knie bis in die
Weichengegend ein.

Die Uva ursi wendete ich einmal, da kein Mittel die ge-
wünschte Hülfe brachte, versuchsweise mit sehr glücklichem Er-
folge im Blutharnen an, das zugleich mit Abgang von Schleim,
sehr beschwerlichem Drängen vor dem Harnen und Hartleibig-
keit verbunden war. Ich liess die Jmia uvae ursi zu einem
Quentchen mit einem Pfunde Wasser kochen und davon alle
3 Stunden einen Esslöffel voll nehmen. Es ist diess allerdings
kein homöopathisches Verfahren, allein es verdient Entschuldi-
gung"; weil ich es vor vielen Jahren that, wo die homöopathi-
sche Arzneimittellehre noch keine so grosse Auswahl von Mitteln
für einen ähnlichen Fall darbot. Die Erfahrung von der Bären-
traube verdient Beachtung, und mag zu Versuchen mit diesem
Mittel auf den gesunden menschlichen Körper führen, die viel-
leicht von manchen Homöopathiker schon angestellt worden sind.

Eine mir früher in diesen Leiden unbekannte Arznei, habe
ich in der neuern Zeit als eine sehr heilkräftige kennen lernen
— Terebinthina. Sie ist beachtenswerth, wenn Patient neben
dem Blutharnen über heftige, brennende und ziehende Nieren-



Stymatosis. Harnröhrenblutung. 191

schmerzen, über ein krampfhaftes Drängen und Drücken in der
Blasengegend, das zuweilen ebenfalls nach beiden Nieren, na-
mentlich im Sitzen, hinaufzieht, klagt und nur durch Bewegung
sich verliert; die ziehenden Nierenschmerzen erstrecken sich oft
bis nach der Hüfte herab; vor dem Harnen fühlt Patient, wäh-
rend der Ruhe, Zwängen und Schneiden in der Blase, das durch
Gehen im Freien gemindert wird, aber mit einem ähnlichen
Schmerze neben dem Nabel wechselt; dagegen verstärkt sich
das anfangs gelinde Brennen in der Blase immer mehr, wird
beim Harnen unerträglich und trägt sich auch auf die Harnröhre
mit über.

Die Bemerkung ist hier nicht überflüssig, dass in dieser
Krankheit die passenden Arzneien nicht in zu starken Dosen an-
gewendet werden müssen, um uunöthige Verschlimmerungen zu
verhüten, aber eine Wiederholung der Gaben auch hier uner-
lässlich sein wird.

Aehnliche gute Effecte sah man, in den passenden Fällen,
von Squüla(?), Mercurius solubilis und Hepar sulphuris.

Ob Mercur und Hepar bei eigentlichen Nierenblutungen an-
wendbar sind, wage ich nicht bestimmt zu entscheiden — die
Symptome deuten nicht darauf hin und aus Erfahrung kann ich
nicht darüber sprechen; mehr wohl sind es die Harnröhrblutun-
gen, denen beide Mittel entsprechen.

Cannabis ist stets von Nutzen , wenn das blutige Harnen mit
Harnverhaltung, oder mindestens Harnstrenge, namentlich Nachts,
verbunden ist; dabei brennendes, beissendes Stechen während
des Hamens. — Unentschieden lasse ich, ob Capsicum sich als
Heilmittel für diese Krankheit, eignet; eigne Erfahrungen habe
ich nicht darüber.

Unter den Antipsoricis erweisen sich Lycopodiwn, Sulphur,
Zincum, Conium, Calcar. carbon. und Plwspltor in chronischen
Fällen als Heilmittel.

§. 116.

Stymatosis, Urethrorrhagia , Haemorrhagia urethrae. Harnröhre n-

blutung.

Hier geht das Blut ohne Harn, seltner mit ihm ab, unver-
muthet, unwillkürlich, freiwillig und ohne Pressung, selten mit



192 Blutungen aus den Harnröhrenwerkzeugen.

Drängen, oder wenig örtlichem Schmerz, zuweilen mit einer Art
von Wollust, wobei das Glied meistens schlaff, doch öfters auch
starr ist und während der Blutung schlaff wird, z. B. während
des Beischlafs (Haematuria ejaculatoria) oder unter Pollutionen.
Sehr selten, z. B. etwa bei der Hämorrhoidalstymatose, findet
man heftiges Brennen und krampfhafte Zusammenziehungen vor,
bei und nach dem Abgange. Farbe und Menge des Blutes ist
verschieden, bald ist es flüssig, bald geronnen, mehrentheils
geht es tropfenweise ab, oder auch in einem Strahle, nach leich-
ten Bewegungen, bisweilen in ansehnlicher Menge, so dass manch-
mal eine gefährliche Erschöpfung, Zuckungen, Kälte der Extre-
mitäten, Ohnmächten u. dgl. m. hinzukommen. Gewöhnlich kommt
es vor dem Harnen, oder es lässt sich mittels Streichen und
Drücken der Harnröhre herausbringen. Zuweilen ist an einer
Stelle der Harnröhre eine bestimmte Empfindung, welche die
Quelle der Blutung anzudeuten scheint; bei Erektionen und äus-
serm Druck fühlt der Kranke Schmerz an dieser Stelle.

Man findet diess Uebel, dessen gewöhnlichste Ursache ört-
liche oder allgemeine Schwäche ist, vorzüglich bei Männern, zu-
weilen periodisch, besonders im Alter, als Folge anomaler Hä-
morrhoiden, oder nach häufigem Samenverlust, Onanie, über-
mässigem Beischlaf, als Folge häufiger Tripper und Harnröhr-
Geschwüre, oder als Zufall des Trippers (bei Gonorrhoea chor-
data, nach heftigen Erektionen, Pollutionen, Manustuprationen,
Beischlaf), wo dann gewöhnlich nur w^nig, vielleicht nur ein
rothgestreifter Schleim, bisweilen jedoch aber auch sehr viel
Blut abgeht; fast immer liegt die blutende Stelle weit hinten,
nahe am Blasenhalse.

Das Blut kann aber auch aus den Gefässen der Vorsteher-
drüse, und der Samenbläschen kommen, vorzüglich bei alten und
jungen Wollüstlingen, nach übermässigen Samenausleerungen
durch Beischlaf oder Onanie, und dann oft mit dem Samen ver-
mischt abgehen.

§. 117.

Die Therapie einer solchen Krankheitsform wird ebenfalls
oft durch die veranlassenden Momente bestimmt. Ist eine me-
chanische Verletzung die erregende Ursache, so ist Arnica auch



Stymatosis. Harnröhrenblutung. 193

hier wieder das souveränste Mittel, wie es die China ist, wenn
häußger Beischlaf, Onanie, übermässige Pollutionen die Krank-
heit erzeugten, das Blut mag nun in diesem Falle allein, oder
mit Samen vermischt abgehen. Finden wir sie als sekundäres
Symptom einer Gonorrhöe, so sind oft die Canthariden das
entsprechendste Mittel; nicht blos für dieses Symptom, sondern
für den gesammten Krankheits-Complex, wiewohl ich auch einige-
mal Sulphur noch vorzüglicher gefunden habe, welcher letztere
auch wohl, nebst Nux, am passendsten ist, wenn die Krankheit
anomalen Hämorrhoiden ihr Entstehen verdankt.

Ausser den genannten Mitteln, die auch ohne eine solche
bestimmte Ursache in Fällen, wo die Symptome auf ihre Anwen-
dung hindeuten, nützlich sein können, ist Mercurius solubilis ganz
besonders zu nennen, wenn das Blut mit dem Samen vermischt
abgeht, doch nicht während des Beischlafs, sondern bei nächt-
lichen Pollutionen, wo Ledum palustre und Mezereum eine ähn-
liche Empfehlung verdienen.

Die Heilung einer derartigen Blutung, die nur während des
Beischlafs bei der Ejaculation des Samens, das Blut also mit letz-
terem vermischt, vorkam, bewirkte ich bei einem Manne von
37 Jahren durch die in passenden Zwischenräumen angewendeten
Mittel: Nux, Sulphur und Causticum, in den höchsten Potenzi-
rungen. — Ausser diesen erinnere ich noch an Carmabis, Cal-
carea carb. und Lycopodium.

§. 118.

Hämorrhoidalkrankheit.

Haemorrhoides , Fluxus haemorrhoidalis. Goldader fluss, Hämor-
rhoiden, Mastdarmblutfluss.

Hämorrhoidalkrankheit und Härnj>rrhoiden sind zu unterschei-
den, wie Gichtkrankheit und örtliche äusserliche Gicht, oder
Skropheln und Skrophelsucht. Sie verhalten sich zu einander
wie Ursache und Wirkung. Hämorrhoidalkrankheit ist der innere
Krankheitszustand, der den Hämorrhoiden zum Grunde liegt; die
Hämorrhoiden sind nur die örtlichen äussern Erscheinungen,
Symptome derselben.

II. 13



194 Hämorrhoidalkrankheit.

Sie ist nur selten Mos örtlich, sondern in der Regel Aeus-
serung eines innerlichen Krankheitszustandes, dessen Krisis der
Hämorrhoidalfluss ist. Doch ist est immer eine unvollkommne
Krise, die die Grundkrankheit nicht vollkommen hebt, aber doch
grosse Hülfe für ihre Wirkungen gewähren kann.

Die Krankheit gehört zu den höchst chronischen und beglei-
tet oft den Menschen durch das ganze Leben. Die Kur ist nur
möglich, wenn sie nicht erblich, sondern noch neu ist und wenn
die entfernten Ursachen, wohin freilich gewöhnlich die ganze
Lebensart gehört, zu heben sind. Sie ist an sich nicht tödtlich,
kann es aber werden durch Zurücktritt der Kongestion auf edle
Organe und durch Hämorrhagie. Oft aber ist sie als Blutentlee-
rung höchst wohlthätig und kritisch, sowohl in akuten als chro-
nischen Krankheiten.

Die Krankheit ist sehr allgemein und höchst wichtig, nicht
allein für sich selbst, sondern weil sie, besonders die Hämor-
rhoidalanlage, eine der häufigsten und oft verkannte Grundur-
sache von einer Menge chronischer Krankheiten ist , auf welche
der Arzt nicht genug Rücksicht nehmen kann.

Der Hauptsitz dieser Krankheit, wenn sie vollkommen sich
entwickelt, ist der Mastdarm, und sie erhält diesen Namen von
den in dem untern Ende des Darmcanals verbreiteten Arterien
und Venen, die durch einen widernatürlichen Blutandrang in
diesen krankhaften Zustand versetzt werden, den wir mit dem
Namen Hämorrhoiden belegen. *

Hufeland nimmt 4 Hauptformen der Hämorrhoidalkrankheit
an, entweder als Anlage (Molimina haemorrhoidalia), oder als
ausgebildete örtliche Hämorrhoiden, Krankheit des
Mastdarms (entweder blind oder fliessend (Hämorrhoides ani coe-
cae et fluentes), oder als Zurücktritt der Hämorrhoiden
(Hämorrhoides retrogressae) , oder als Ausartung derselben
(Hämorrhoides anomalae) , pid hier wieder entweder in Bezie-
hung des Orts (Hämorrhoides incongruae) oder der Art (Hämor-
rhoides mucosae).

So streng trennbar für die Therapie sind nun diese Formen
nicht, und deshalb werde ich mich auch nicht so pedantisch daran
binden, sondern nur der Ausartung derselben als Blasenhä-
morrhoiden noch ein besonderes Capitel widmen.



Hämorrhoiden. Mastdarmsblutfluss. 195

Die Verschiedenheit der blinden und fliessenden Hämorrhoi-
den ist nur eine qualitative, und der Unterschied beruht auf dem
längeren oder kürzeren, schwächeren oder stärkeren Andränge
des Blutes nach diesen Gefässen. Dass durch dieses gewaltsame
Anströmen des Blutes nach dem Mastdarme, durch den daraus
hervorgehenden Druck eine Mitleidenheit der Kreuzbeinnerven
erzeugt werden muss, ist sehr natürlich. Diese spricht sich auf
folgende Art aus: bald geringerer, bald heftigerer Schmerz, Zie-
hen im Kreuze und in den Lenden, Klopfen, Brennen, Reissen,
Stechen, Jucken, ein Gefühl des Vollseins und der Anschwellung
im Mastdarme, plötzliche Stiche durch das Becken, Krampf und
Tenesmus im After, variköse Ausdehnungen der Mastdarmvenen
(Haemorrhoides coecae), Jucken, Fressen und lästige Schweisse
im Perinäum u. s. w.

Unter solchen Zufällen, bei denen es aber auch oft blos sein
Bewenden hat, bricht nun die Blutung selbst aus, die dem Kran-
ken die Empfindung erzeugt, als gingen warme Winde oder ein-
zelne Tropfen warmes Wasser aus dem After. In der Regel
geht zuerst Koth, dann Blut ab, entweder reines Blut, oder mit
Koth oder Schleim gemischt; gewöhnlich ist die Kothausleerung
sehr hart. Der Blutabgang geschieht periodisch; oft sehr regel-
mässig, aller 4 Wochen, aller 3 Monate, oder seltener, vielleicht
nur im Frühjahre und Herbste, oder nur einmal im Jahre, oder
sehr öfters, alle Wochen; zuweilen kommt er ohne Ordnung,
nach besondern Veranlassungen. Jedem neuen Blutflusse gehen
auch jene genannten Beschwerden voran, doch werden sie bei
einem regelmässigen Gange des Uebels immer gelinder, je öfter
die Blutung sich wiederholt; zuletzt erfolgt sie ohne alle Em-
pfindung.

Das abgehende Blut hat einen eignen widerlichen Geruch,
zumal bei einem hohen Grade des Uebels, wo es oft auch scharf
wird. In der Regel ist es hellroth, flüssig, und nur, wenn es
einige Zeit im Mastdarme verweilte, ist es schwarz und geron-
nen. Oft sind es nur wenige Tropfen, die mit dem Gefühle einer
warmen auströpfelnden Feuchtigkeit abgehen, oder ein geringer
Abgang ohne Ermattung. Manchmal aber ist der Ausfluss so stark,
dass er offenbar nachtheilig wirkt und zur erschöpfenden Hämor-
rhagie wird.

13*



196 Hämorrhoidalkrankheit.

§. 119.

Prädisponirende Momente in dieser Krankheit finden
sich häufiger im männlichen als weiblichen Geschlecht, einmal,
weil das erstere häufiger sich denjenigen Schädlichkeiten aussetzt,
welche als erregende Momente einwirken, dahin gehört vorzüg-
lich der reichliche Genuss spirituöser Getränke, dann aber auch,
weil die Menstruation das weibliche Geschlecht überhaupt ge-
gen Blutflüsse schützt; häufiger im Mittelalter, als in jeder
andern Lebensperiode; auch finden wir sie als erbliche Ueber-
tragung.

Zu den erregenden Momenten sind zuzählen: der Genuss
starker, spirituöser Getränke, des Weins, besonders des rothen
und des Bischoffs, des Branntweins, starker Biere, besonders der
Weissbiere, des starken Kaffee's; die scharfen in- und ausländi-
schen Gewürze, scharfe Vegetabilieh ; auch entstehen sie leicht
nach dem langen und anhaltenden Gebrauche scharfer drastischer
Arzneimittel (bei allöopathischer Behandlung) z. B. der Aloe, der
Rhabarber , der Jalappe, der Coloquinte u. s. w.

Ferner sind hieher zu zählen: deprimirende, niederschla-
gende Leidenschaften, übermässige Geistesanstrengungen, tiefe
Meditationen bei sitzender Lebensart, erschlaffende Speisen und
Getränke, Uebermaass im Genuss des Thee's, blähende, vege-
tabilische Nahrungsmittel, anhaltendes Zusammendrücken des Un-
terleibes bei Stubengelehrten , KünstleÄ und manchen Hand-
werkern.

Wir sehen diese Krankheit auch bei solchen entstehen, die
an hartnäckiger Stuhlverstopfung, Würmern, besonders Askari-
den leiden; auch wird sie hervorgerufen durch zu fest anliegende
Kleidungsstücke, enge Beinkleider, Schnürbrüste; durch den
schwangeren Uterus u. s. w.

% 120.

Zur radikalen Heilung der Hämorrhoidal - Krankheit ist
durchaus eine stärker eingreifende Behandlung erforderlich, die
der homöopathische Arzt auch in den Fällen, wo es ihm mög-
lich ist, anzuordnen nicht unterlassen wird. Allein die Stellung
des Arztes zu den Kranken ist so mannigfach, dass es ihm nicht



Hämorrhoiden. Mastdarmsblutung. 197

in allen Fällen erlaubt sein wird, eine solche Cur zu unterneh-
men, oder den Kranken für eine solche zu stimmen. Es ist hier
nicht der passende Ort, diese Verhältnisse und Situationen des
Arztes anzugeben und auseinander zu setzen; auch wird jeder
praktische Privatarzt sich dieses leicht selbst enträthseln. Will-
kommen aber wird es dem angehenden Homöopathen sein, einige
von den Mitteln kennen zu lernen , die eine vieljährige Erfah-
rung uns als herrliche Palliative gegen derartige Beschwerden
kennen gelehrt hat, die ich hier nach meinem besten Wissen
aufzählen will.

Nux vomica gehört zu denjenigen Mitteln, die in manchen
Fällen sogar die Hämorrhoidalkrankheit zu beseitigen vermögen,
sie mögen als fliessende oder blinde Hämorrhoiden auftreten.
Angezeigt sind sie: wenn die Hämorrhoiden durch den Genuss
starker, erhitzender Getränke, des Weines, Branntweines, starker
erhitzender Biere und des Kaffee's hervorgerufen wurden; ferner
wenn Geistesanstrengungen, Meditiren bei einer sitzenden Lebens-
art, folglich anhaltendes Zusammendrücken des Unterleibes, ihr
Entstehen begünstigte; nicht minder dann, wenn sie durch har-
ten Darmunrath, Würmer, und besonders Askariden erzeugt wur-
den (hier könnte auch in gewissen Fällen Valeriana, Mercur,
Ignat, Warum verum etc. angezeigt sein); und endlich dann,
wenn der schwangere Uterus, Anschwellung der Abdominalorgane,
organische Fehler des Mastdarms und nahe gelegener Theile sie
hervorriefen. Klagen die Kranken, dass bedeutende Hämorrhoi-
dalknoten mit brennend stechenden Schmerzen vorhanden sind;
haben sie das Gefühl eines Zusammenschnürens im Mastdarme
und klagen sie über Engigkeit des letzteren beim Durchgange
des Kothes, verbunden mit ruckähnlichen, stumpfen Stichen im
Kreuze und den Sitzknochen; entsteht bei der kleinsten Bewe-
gung des Körpers ein Zerschlagenheitsschmerz im Kreuze, über
den sie laut aufschreien und der ihnen nur in gebückter Stellung
zu stehen und zu gehen erlaubt; geht nach dem Stuhlgange,
oder auch ausserdem, aber immer mit Drang zum Zustuhlegehen
verbunden, reines, helles Blut ab: dann ist Nux vomica indizirt.

Belladonna ist ein ausgezeichnetes Mittel in fliessenden
Hämorrhoiden, die mit unerträglichen Kreuzschmerzen ver-
bunden sind: eine Empfindung, als ob das Kreuz zerbrechen



198 Hämorrhoidalkrankheit.

sollte. Oft werden durch ßellad. die Beschwerden beseitigt, oft
aber auch nur geändert, dass Hepar sulphuris das zunächst pas-
sende Mittel wird. Der Arzt wird am Krankenbette am sicher-
sten zu unterscheiden im Stande sein, ob bei so bewandten Um-
ständen nicht vielleicht auch Rhus indizirt ist.

Wie Sabina überhaupt ein unersetzliches Mittel in vielen
Arten von Blutungen ist, so ist sie auch ein Mittel von gröss-
ter Wichtigkeit in übermässigem Goldaderblutflusse, besonders
bei hellrothem oder einem mit Schleim gemischten Blutabgange
und wenn die begleitenden Symptome auf ihre Anwendung hin-
deuten, die namentlich in einem schneidenden Darmschmerze tief
in der Unterleibshöhle, in einem drängenden Schmerze im Schliess-
muskel des Afters, in einem fortwährenden Nöthigen zum Stuhle,
in einem Kriebeln und Brennen im After, in einem ruckweisen
Stichschmerze im Kreuze, dass der Kranke eine Zeitlang gebückt
stehen muss, in lähmigen, ziehenden, auch wohl drückenden Kreuz-
schmerzen bestehen.

Ihr zur Seite steht Millefolium, das ich auch in ähnlichen
Fällen jederzeit versuchsweise, aus unzureichender Kenntniss sei-
ner reinen Wirkungen auf den gesunden menschlichen Körper,
aber oft mit Glück, angewendet habe.

Capsicum fand ich einigemal sehr hülfreich, wenn der mehre
Tage anhaltende Blutfluss aus dem After, bei seinem Abgange,
immer mit heftig brennenden Schmerzen verbunden war, die im-
mer nur da stattfanden, wo bedeutende Anschwellungen der Hä-
morrhoidalknoten zugegen waren; doch fand ich es da auch manch-
mal indizirt, wo Leibschneiden, wie von Blähungen, den Stuhl-
ausleerungen , aus wenig Koth , aber viel blutigem Schleime be-
stehend, vorangingen. Selten wird man derartige Hämorrhoidal-
Beschwerden ohne ziehende Schmerzen im Kreuze und Rücken
auftreten sehen. Sind hingegen die blutigen Abgänge aus dem
After, sie mögen nun gering oder stark sein, mit brennenden
Schmerzen in demselben, aber mit einer auffallenden Hinfällig-
keit und Schwäche durch den ganzen Körper begleitet: so kenne
ich kein Mittel, das Arsenicum album zu ersetzen vermögte, be-
sonders wenn auch die übrigen gegenwärtigen Symptome für seine
Anwendung stimmen. — Neuerdings gemachte Erfahrungen haben
mich in ähnlichen Fällen auf Carbo vegetabilis aufmerksam ge-



Hämorrhoides. Mastdarmsblutfluss. 199

macht, die ich auch dann indizirt fand, wenn heftiger Blutandrang
nach dem Kopfe, ja selbst Nasenbluten sich zeigte, und der Kranke
über eine immer stattfindende Schleimabsonderung am After klagte,
die garstige Flecke in der Wäsche erzeugte. In diesem letztern
Falle hat sich auch Antimonium crudum hülfreich erwiesen.

Wenn ein fieberhafter Zustand, ein Reizfieber, die fliessen-
den Hämorrhoiden begleitet, wird der homöopathische Arzt nie
unrecht handeln, wenn er eine Gabe Aconit reicht, um so we-
niger, da häufiger Abgang eines Hämorrhoidal-Blutes in der Erst-
wirkung dieses Mittels liegt, das auch noch obenein jene Schwäche
der Gedärme, wie wir sie zuweilen nach dem häufigen Gebrauche
von Laxanzen wahrnehmen , jenes Stechen und Drücken im Af-
ter, jenen spannenden und drückenden, auch wohl kolikartigen
Schmerz mit Vollheits-Gefühl tief im Unterleibe, jenes Zerschla-
genheits - Gefühl in den Kreuz- und Lendenbeinen aufzuweisen
hat, das wir so oft mit einem solchen Blutabgange auftreten
sehen.

Aber auch Chamomilla kann als palliatives Heilmittel bei flies-
senden Hämorrhoiden sich erweisen, wenn ein zusammenpressen-
der Schmerz im Unterleibe, bei öfterm Noththun und untermisch-
ten durchfälligen Stuhlgängen und bei ziehend reissenden, vor-
züglich nächtlichen, Schmerzen im Kreuze zugegen ist.

Wer sollte nicht an die Anwendung der Pulsatilla denken,
wenn in ähnlichen Beschwerden die öfteren, aus Blut und Schleim
bestellenden Stuhlgänge unter dem schmerzhaftesten Pressen der
vorhandenen Hämorrhoidalknoten und Rückenschmerzen, bei erd-
fahler Gesichtsfarbe und Ohnmächtigkeit abgehen, um so mehr,
wenn das Subject sehr zart gebaut und sensibel ist? Hier könnte
auch Wer cur mit in die Wahl fallen.

Auch Cantharides sind unter gewissen Bedingungen bei flies-
senden Hämorrhoiden anwendbar, doch wird hier immer ein kram-
pfiger Schmerz im Unterleibe, wobei die Blasengegend mit affi-
zirt ist, zugegen sein müssen.

Ein sehr grosser, die Kranken ungemein belästigender Uebel-
stand sind die alten, oft austretenden und geschwollenen Ader-
knoten am After, wogegen sehnsüchtig Abhülfe gewünscht wird.
Die vorzüglichsten Mittel sind: Nitr. acid., Calcar. c. , Aciduni
mur., Lycopod. u. e. a.; — gegen brennend -schmerzende ins-



200 Hämorrhoidalkrankheit.

besondere: Carbo, Arsen., Phosphor (namentlich im Sitzen und
Liegen) Acid. sulphur., Graph.; — gegen juckend - nässende:
Graphit und Acid. sulphur.

Eins der zuverlässigsten Mittel sowohl bei fliessenden als
blinden Hämorrhoiden, das fast immer specifisch hülfreich sich
erweist, ist Sulphur. Er steht in dieser Krankheit unter allen
Arzneien oben an und wird jederzeit bei folgenden Symptomen,
gleich anfangs, indizirt sein : immerwährendes Drängen und Pres-
sen zum Stuhlgange, das auch nach durchfälligen und blutigen
Ausleerungen nicht nachlässt, wozu sich ein stechender Wund-
heits - Schmerz am und im After gesellt, der zur Verzweiflung
treibt; die Blutaderknoten brennen, nässen, erzeugen eine drän-
gende Fülle im Mastdarme und erregen leicht Vorfall desselben;
zugleich finden wir hier heftige stechende Rücken- und Kreuz-
schmerzen im Sitzen, mit Steifigkeit im Kreuze, wie eine Span-
nung, als ob Alles zu kurz wäre, häufige Schweisse bei Bewe-
gungen, und am meisten in der Nacht; Gehen ermüdet sehr, oft
bis zur Ohnmacht; dabei zuweilen brennende Schmerzen in der
Harnröhre vor und nach dem Urinlassen. Auch gegen sogenannte
Hämorrhoidal- Kolik mit krampfhaft zusammenziehenden Bauch-
schmerzen um den Nabel, die sich bis in die Brust, den Schooss
und die Geburtstheile erstrecken, mit Schneiden und Stechen, ist
Sulphur Hauptmittel.

Ausser den hier genannten Mitteln verdienen noch Ferrum,
Antimonium crudum, Cuprum, Acidum mi&aticum, Calcar. carb.,
Phosphor, Sepia, Carbo veg., Ammonium carb., Caustic, Lycopod.,
Natrum mur., Coloquint., Baryta carb., Borax, Graphit, Nitri
acidum u. s. w. rühmlichst genannt zu werden, die auch, im
Verein mit jenen, zur Heilung der Hämorrhoidalkrankheit selbst,
wo diess irgend möglich, zu benutzen sind.

Ich gehe nicht speciell auf die Angabe der Mittel zur Hei-
lung dieser Krankheit ein, da es so sehr schwierig ist, etwas
Genaueres darüber zu bestimmen, indem die Hämorrhoidal-Krank-
heit in so verschiedene Systeme hineinspielt und dadurch so höchst
verschiedenartig sich gestaltet, dass man ein Buch allein darüber
würde schreiben können, um die mancherlei Nuancen gehörig zu
würdigen. Drum mag der Leser mit der Angabe der Mittel zu-
frieden gestellt sein und für den concreten Fall selbst das pas-



Haemorrhoides vesicae etc. Blasenhämorrhoiden. 201

sendste herauswählen, was er um so leichter kann, als die Krank-
heit ihm durch ihre Langweiligkeit Zeit zum Nachschlagen las-
sen wird.

§• 121.

Haemorrhoides vesicae et urethrae sanguineae. Blasenhämorrhoiden.

Derartige Hämorrhoiden, welche man gern bei Greisen, sel-
ten bei Frauenzimmern findet, sind Öfters Folge unterdrückter
Afterhämorrhoiden, oder einer besondern Schwäche und Reiz-
barkeit der Geschlechtstheile. Sie erscheinen nicht selten, in
sehr unordentlichen Perioden, nach vorhergegangenen, oder mit
nebenbei noch gegenwärtigen, deutlichem oder dunklern Hä-
morrhoidalbeschwerden, oder abwechselnd mit Blutungen aus dem
After.

Sie sind immer mit Harnbeschwerden, als Brennen bei'm Har-
nen, Harnverhaltung, oder unwillkürlichem Abgange des Harns,
mit krampfigen, spannenden, drängenden, zuweilen sehr heftigen
Schmerzen in der Blasengegend und Harnröhre verbunden; Schmer-
zen, Brennen, Spannen im After, Kreuze, Rücken und Mittelflei-
sche, Stuhlzwang, Kolik, Auftreibung des Unterleibes, Priapismus,
Pollutionen, Jucken an der Eichel, örtliche Schweisse und andere
Begleiter der Afterhämorrhoiden. Nicht selten ist ein fieberhaf-
ter Zustand dabei.

Diese Hämorrhoiden sind, wie die Afterhämorrhoiden, flies-
send und blind. Erstere bezeichnet man mit dem Namen: Hae-
maturia haemorrhoidalis s. Haemorrhoides vesicae fluentes; letz-
tere mit dem Namen: Haemorrhoides vesicae coecae. Bei er-
sterer bewirkt gewöhnlich die Blutung, deren Quelle meisten-
theils in den Gefässen des Blasenhalses, ausserdem in der Harn-
röhre ist, einen Nachlass obiger Beschwerden. Das Blut geht
bald vor, bald nach dem Harne, auch mit demselben, zuwei-
len ganz allein ab; gewöhnlich in geringer, selten in grösserer
Menge; theils flüssig und roth, theils schwarz und geronnen
Oft gehen unter fürchterlichen Schmerzen und Krämpfen von
Zeit zu Zeit kleine polypöse Gebilde ab, zuweilen Eiter mit Blut
vermischt.

Blinde Blasenhämorrhoiden sind ein sehr schmerzhaftes trau-
riges Uebel, und wenn es eingewurzelt ist, sehr schwer zu he-



202 Hämorrhoidalkrankheit.

ben. Die Schmerzen und das Brennen in der Blase und Harn-
röhre sind oft fürchterlich. Der Harn geht tropfend ab.

§. 122.

Vergleicht man Blasenhämorrhoiden mit Blutharnen, so fin-
det man die grösste Aehnlichkeit und Uebereinstimmung zwischen
den Krankheits- Symptomen beider. Auch darin treten sie ein-
ander nahe, dass sich bei beiden in den meisten Fällen die er-
regende Ursache nicht wird auffinden lassen, wenn man nicht das
im Körper schlummernde Psora-Siechthum als eine solche be-
trachtet. Besonders schwer wird es halten, die Ursache von
blinden Blasenhämorrhoiden zu erforschen, die sich durch nichts
Anderes weiter, als durch ihre Symptome von andern Blasen-
krankheiten unterscheidet und dadurch abermals den Beweis lie-
fert, dass kein Verfahren, die Krankheiten der Menschen zu er-
forschen, richtiger sei, als Hahne mann 's, der nur die Sym-
ptome derselben, das nach aussen reflektirte Bild, genau zu er-
fragen und aufzufassen anräth, um diesem entsprechend eine ho-
möopathische Arznei zu wählen, die dann immer passend sein
wird, weil ihre Wirkung nicht gegen blos vermuthete und wahr-
scheinliche krankhafte Aeusserungen im Innern des Organismus,
sondern gegen bestimmte, gewisse, deutlich sichtbare, nicht weg-
zuleugnende Krankheits -Erscheinungen gerichtet ist, die sie, bei
der Möglichkeit einer Heilung, d. h. bei nicht gänzlich consumir-
ter Lebenskraft, auch gewiss hebt. *

Die Behandlung einer solchen Krankheit weicht im Gan-
zen auch wenig von der eines Blutharnens ab, und man wird häu-
fig alle die dort angegebenen Mittel auch hier passend finden. Aus-
ser den dort angegebenen werden sich aber auch in diesem Falle
noch ein paar andere hülfreich erweisen. Das erste ist: Nux
vomica, für deren Anwendung die widernatürliche Empfindung
theils in der Blase und Harnröhre, theils auch die prädisponiren-
den Momente und das Gemüth des Kranken sprechen. Da Er-
kältung häufig die Ursache zur Entstehung dieser Krankheit ist,
so wird auch oft Dulcamara, nach genauer Berücksichtigung der
vorherrschenden Symptome, anwendbar sein. Auch von Plum-
bum, Antimon, crud., Nitri acid., Euphorbium, Cantharid. und
Capsicum lässt sich in unserer Krankheit viel erwarten, obschon



Blutungen aus anderen Organen. 203

ich selbst noch zu wenig Erfahrung darüber habe. Unstreitig
aber bleibt auch hier das Hauptmittel Sulphur, und zwar die Tinc-
tura sulphuris, wie eigene Erfahrung mich mehrmals gelehrt
hat. — Von meinem Recensenten bin ich auch noch auf Calcarea
carb. aufmerksam gemacht worden, besonders deshalb, weil bei
dieser Krankheit von Zeit zu Zeit polypöse Gebilde mit abgehen,
und Calcarea Blasenpolypen hebe. Ich habe in diesem Punkte
keine Erfahrung darüber, und ein Fall, wo dieses Mittel genützt
hat, entscheidet noch nicht über alle; ferneren Beobachtungen
ist es daher hier vorbehalten, das Wahre zu ermitteln. — Da-
gegen möchte ich noch hier auf die Uva ursi hinweisen, von der
uns allerdings noch wenig Symptome, an Gesunden erprobt, vor-
liegen, die aber doch schon öfters heilsam in derartigen Leiden
sich erwiesen hat.

§. 1*23.

Beobachtungen und praktische Erfahrungen über

seltner vorkommende Blutungen aus anderen

r,g a n e n.

Hier als Nachtrag zu den Blutungen noch Einiges, was von
den Schriftstellern über Therapie gewöhnlich nicht angeführt
wird, da es zu selten vorkommt, und in eine bestimmte Rubrik
nicht zu bringen ist. Die Leser des Archivs finden im 2. Hefte
des VI. Bandes S. 38 u. f. von mir zwei Krankengeschichten mit-
getheilt, Blutungen aus den Augen betreffend. Sie ge-
hören zu den seltner vorkommenden Fällen, und sind an und für
sich allerdings nicht gefährlich, können es aber leicht durch ihre
Folgen werden, indem sie zu wichtigen Augenfehlern Veranlas-
sung geben. Gewöhnlich sind, sie Begleiter heftiger Augenent-
zündungen, bedeutender Körperschwäche und Cachexieen über-
haupt. Gegen ein so isolirt dastehendes Symptom, als eine Blu-
tung aus den Augen ist, lässt sich nun keineswegs ein bestimm-
tes Mittel angeben, wenn man nicht zugleich den ganzen Krank-
heits-Zustand berücksichtigt, wie auch die am angeführten Orte
aufgezeichneten Krankengeschichten deutlich beweisen. Dessen
ungeachtet sind diese Blutungen, obgleich sie bei ganz verschie-
denen Krankheitszuständen auftreten, so charakteristisch, dass
fast immer eins von den anzugebenden Mitteln indizirt sein dürfte.



204 Blutungen aus anderen Organen.

— So wird man bei einem kachectischen Zustande der Kinder,
durch zu schwere Nahrungsmittel, Unreinlichkeit und dergleichen
erzeugt, wo bei dünnflüssigen Stühlen, feuchter Haut, grosser
Unruhe, ein dem angegebenen ähnliches Leiden der Augen vor-
kommt, bald Chamomilla, Belladonna, Pulsatilla; bei hartnäcki-
ger Stuhlverstopfung und einem ähnlichen, eben angegebenen
Krankheitsbilde, bald Nux, Bryonia, Staphysagria; bei mit jenen
verbundenen allgemeinen Fieber-Zuständen, Aconit, Bellad., Mer-
cur. , Clematis; und bei einem allgemeinen atrophischen, hekti-
schen, phthisischen Leiden, das sich mit solchen Zufällen ver-
bindet, wiederum Hepar sulphuris, Sulphur, Stannum, Plumbum,
Rhus, Dulcamara, Arsenic. u. s. w. anwenden können.

Nicht anders verhält es sich mit Blutungen aus dem
Zahnfleische, obschon diese eher als jene, auch als eigen-
thümliches Leiden des Zahnfleisches vorkommen können, jedoch
immer von einer krankhaften Affection des ganzen Organismus
abhängig sind, wie die Zahnschmerzen selbst, die man oft durch
ein einziges Mittel zu beseitigen im Stande ist. — Dieses Blut
wird ohne Husten und Räuspern aus dem vordem Theile der
Mundhöhle ausgespuckt. Durch Saugen und Ziehen mit der Zunge
wird die Blutung gewöhnlich vermehrt; das Blut ist hellroth
oder schwärzlich, rein, oder mit Speichel, nur nicht innig ver-
mischt, nie schäumig, ausser wenn es etwa durch Berührung mit
der Luftröhre Husten erregt. Bisweilen ist eine solche Zahn-
fleischblutung mit einer kitzelnden, oder%rennenden, oder einer
andern schmerzhaften Empfindung begleitet. Oft kann hier der
zu starke Ansatz von Weinstein an den Zähnen die Veranlassung
zur Entstehung einer solchen Blutung werden, in welchem Falle
natürlich erst dieser mechanische Reiz durch mechanische Mittel
entfernt werden muss, bevor innere Mittel gegen eine solche Blu-
tung anzuwenden sind. Eine der wichtigsten Arzneien bei blu-
tendem Zahnfleische, wobei letzteres blass und welk, auch wohl
weggefressen wird, ist Staphysagria, in der höchsten Potenzirung,
die überhaupt eine specifische Wirkung auf die Zähne zu haben
scheint, und darum auch die heftigsten und verschiedenartigsten
Zahnschmerzen zu heilen vermag. Doch ist sie oft auch dann
indizirt, wenn das Blut erst durch das Reinigen der Zähne zu
fliessen anfängt. Nicht selten passt aber auch Mercurius vivus,



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #10 on: April 30, 2013, 09:35:35 PM »

Blutungen aus anderen Organen. 205

der bei blutendem Zahnfleische dann am heilkräftigsten sich er-
weisen wird, wenn das Zahnfleisch geschwollen, aufgelockert,
schwammig, mit gezackten Rändern, oft sehr schmerzhaft, sich
zurückziehend gefunden wird. Mit Glück habe ich früher auch
Acidum phosphoricum angewendet, wenn das Bluten des Zahn-
fleisches durch Berührung und Reibung entstand und zugleich
mit Wundheitsschmerz verbunden war. In den neuern Zeiten
dagegen habe ich, wo sonst die Phosphorsäure angezeigt war,
Phosphor mit dauernderem Nutzen gegeben und oft mit diesem
und Carbo vegetabilis den gesammten Krankheits-Zustand, durch
latente Psora erzeugt, beseitigt. Argilla oder Alumina, obgleich
sie von mir noch nicht dagegen angewendet worden ist, scheint
in derartigen Leiden ähnliche gute Dienste zu leisten ; eben so
Rhus, Ambra und Ruta , und unter den Antipsoricis, ausser den
beiden genannten, Sepia, Natrum muriaticum, Lycopodium, Kreo-
sot, Agaricus, Ratanhia, vornemlich, wenn beim Saugen Blut mit
Säure- Geschmack aus dem Zahnfleische quillt.

§. 124.

Morbus maculosus haemorrhagicus Werlhofii, Haemorrhoea petechialis.

Blutfleckenkrankheit, fieberlose Petechien, Bluterguss

in's Zellgewebe.

Es ist diess eine seltene, sporadische, nicht ansteckende
Krankheit, die vorzüglich schwächliche Subjecte befällt. Man
erkennt sie an der Gegenwart von Blutflecken in dem Hautorgan
und an dem gleichzeitigen Erscheinen anderer Blutungen. Die
in einzelnen Fällen auftretenden Vorboten übergehe ich hier ganz,
da aus ihnen die in Rede stehende Krankheit nicht vorher be-
stimmt werden kann, indem derartige Symptome häufig vorkom-
men, ohne dass man auf den Eintritt einer solchen Krankheit zu
schliessen berechtigt wäre. In vielen Fällen tritt die Krankheit
plötzlich ein, und die sich zeigenden Blutflecken sind ganz den
Petechien ähnlich, wie wir sie in akuten Krankheiten beobach-
ten. Es sind kleine, rothe, runde, meistens linsengrosse Flecken
in der Haut, die die Epidermis nicht erheben und einem frischen
Flohstiche am ähnlichsten sind, von dem sie sich nur dadurch
unterscheiden, dass in ihrer Mitte der Stich fehlt; sie sind dun-
kelroth, bisweilen auch bläulich und schwärzlich; doch sah ich



206 Morbus maculosus etc. Blutfleckenkrankheit.

sie auch schön sckarlachroth, den zweiten Tag bläulich und grün-
lich werden, wie die durch Stoss, Quetschung und dergleichen
erzeugten Blutunterlaufungen. Sie sind oft in grosser Anzahl
vorhanden und stehen dicht beisammen. Sie zeigen keine ent-
zündlichen Erscheinungen im Hautorgane, jucken nicht, wie die
Exantheme, verlieren sich allmälig und endigen ohne die gering-
ste Spur von Abschuppung. Am häufigsten findet man sie an
bedeckten Stellen des Körpers. — Gleichzeitig erscheinen bis-
weilen Blutungen aus anderen Organen, unter denen ich nur die
aus dem Munde hier namentlich anführe. — Ein fieberhafter Zu-
stand mangelt durchaus, der Puls ist langsam, klein, kraftlos,
gesunken; hingegen findet man eine allgemeine Schwäche, Blässe
und Kälte des ganzen Körpers, Appetitlosigkeit, zuweilen wohl
auch Schwindel, Wüstigkeit des Kopfs, dumpfen, drückenden
Kopfschmerz u. s. w. — Die Dauer einer solchen Krankheit wird
von den Schriftstellern allgemein auf 9 Tage angegeben, doch
habe ich sie bei der homöopathischen Behandlung und trotz dem,
dass den andern Tag neue Blutflecken erschienen, in 4 Tagen
verschwinden sehen.

§. 125.

Ueber das therapeutische Verfahren weiss ich nur
wenig zu sagen, da mir Fälle der Art nur selten zur Behand-
lung vorgekommen sind. Ein Fall war so geartet, dass ich den
ersten Tag Bryonia, den dritten Belladonna — beide Mittel in
der höchsten Potenzirung — anwendete und den vierten Tag,
nach Beginn der Krankheit, selbige spurlos und ohne Nachkrank-
heit verschwinden sah. Ausser diesen Mitteln dürften Aconitum,
Arnica, Lednm, Rhus, Seeale com., Phosph., Sulphur. aeid., Kreo-
sot und Arsenik in manchen ähnlichen Fällen und bei passenden,
begleitenden Krankheits- Symptomen indizirt sein.

§. 126.

Menstruatio. Monatliche Reinigung.

Es giebt wohl keine passendere Stelle in diesem Buche, die-
ses Capitel einzuschalten und das Nöthigste in physiologischer
und pathologischer Beziehung über Menstruation zu besprechen,
als hier, wo von Blutungen überhaupt die Rede und die Metror-



Menstruatio. Monatliche Reinigung. 207

rhagie noch abzuhandeln ist; Vieles im therapeutischen Theile
der letztern wird dann leichter sich besprechen lassen, da schon
manche Anklänge dazu in der krankhaften Menstruation sich vor-
finden müssen.

Nach Hufeland's Ansicht nicht allein, sondern nach der
aller denkenden Aerzte, ist die monatliche Reinigung die Blüthe
des Sexuallebens, Zeichen der Fähigkeit zur Prokreation, aber
auch zugleich Zeichen und Erhaltungsmittel der ganzen Gesund-
heit des weiblichen Organismus. Daher die grosse Wichtigkeit
dieser Function für die weibliche Gesundheit und das weibliche
Leben. Je regelmässiger dieser physiologische Akt, desto ge-
sunder das Weib, und gerade hierin ist der Grund zu suchen,
warum das Weib manchen Krankheiten weniger unterworfen
ist, und ihnen länger widersteht, z. B. der Lungensucht, als die
Männer.

Der Grund der Menstruation ist die doppelte Sanguifikation
des Weibes, und die Notwendigkeit, den Ueberschuss des Blutes,
der für die Bildung und Ernährung des Fötus bestimmt ist, von
Zeit zu Zeit auszuleeren. Folglich ist die Menstruation eigent-
lich nur ein Surrogat der Schwangerschaft, eine zeitliche stell-
vertretende Sekretion, um die Gefahr der Blutanhäufung zu ver-
hüten, zugleich aber auch das Weib der physischen Notwen-
digkeit der Geschlechtsbefriedigung zu entheben und seine mo-
ralische Freiheit zu sichern.

Die Ursache, warum diese Absonderung durch den Uterus ge-
schieht, ist die durch den erwachten Geschlechtstrieb erhöhete
Reizbarkeit desselben.

Die Menstruation ist also keineswegs als ein blos passives
Ausfliessen, sondern als eine aktive, kritische, periodische Ab-
sonderung zu betrachten, nicht blos für das Blut, sondern auch
für die damit verbundene Produktivität. Daher auch ihr sicht-
barer Einflnss auf den ganzen Organismus , nicht blos Erregung
und Reinigung des Uterus, sondern Erregung und Reinigung des
ganzen Organismus, die sich bei Vielen durch veränderten Geruch
des Athems, trübe Augen, kleine Hautausschläge, Aufregung, Ver-
stimmung des Nervensystems und Gemüths, ja oft durch wirk-
liche Nervenzufälle hinreichend erweist. Genug, es ist eine
vollkommene monatliche Krise.



208 Diätetische Vorschriften.

Gewiss nicht überflüssig erscheint es dem Leser, wenn ich
hier einige Lebensregeln für das Weib im Allgemeinen voran-
schicke, bevor ich die hieher gehörigen kranken Zustände wei-
ter erörtere.

§. 127.

Diätetische Vorschriften.

Alle Aufmerksamkeit verdient besonders die geistige und ge-
müthliche Sphäre des Weibes, damit die gesteigerte Einbildungs-
kraft, die erregte Phantasie gezügelt und die höchst empfindliche
Reizbarkeit nicht noch mehr aufgeregt werde, wodurch, wie be-
kannt, leicht Veranlassung zum Erkranken gegeben wird. Darum
sollte das Weib stets mit Aufmerksamkeit, Schonung und Duld-
samkeit behandelt werden, was zur Zeit der Periode oder wäh-
rend der Schwangerschaft um so erforderlicher ist. Aber auch
jeder Gemüthsaffekt , vorzüglich deprimirender Art, als Aerger,
Schreck, Zorn wirkt nachtheilig schon im gesunden, vielweniger
im kranken Zustande ein.

Nicht minder verdient auch das physische Leben des Weibes
etwas genauer betrachtet zu werden, da diess in den wenigsten
Fällen regelrecht und oft schon so zur Gewohnheit geworden ist,
dass ein fehlerhaftes diätetisches Verhalten selbst in Krankheiten
fortgesetzt werden soll, weshalb der Arzt vorzüglich auf folgende
Punkte bei Krankheiten der Frauenzimmer Obacht haben muss:
1) dass sie, wenn irgend möglich, swh. mehr Bewegung ma-
chen, als es zeither bei ihnen der Fall war, wo sie mehr
eine sitzende Lebensart führten, und nur mit Mühe aus ih-
rem Pflegma herauszubringen waren. Es ist diess eins der
ersten Erfordernisse: häufige Bewegung und namentlich in
freier Luft, womit zugleich die grösste Reinlichkeit, fleissi-
ges Baden und Waschen und öfterer Wechsel der Wäsche
verbunden werden muss; nur während der Menstruation
sind jede Erhitzung, besonders Tanzen, und Erkältung,
schwere Mehlspeisen, vorzüglich frisch gebackenes Brod,
heftige Gemüthsaffekte, der Coitus, Brech-, Purgier-Mittel,
Bäder zu vermeiden. Diess ist selbst in Krankheiten, wo
Brunnenkuren gebraucht werden, zu beobachten und die
Menstruation zu respektiren, ausgenommen in Krankheiten,



Diätetische Vorschriften. 209

wo dringende Lebensgefahr die Anwendung der Heilmittel
erfordert. Der Arzt muss

2) darauf sehen, dass die Kranke mehr Flüssigkeit, als zeither,
zu sich nehme. Viele Damen trinken, ausser den früh und
Mittags gewohnten drei Tassen Kaffee, den ganzen Tag über
gar nichts weiter; verringert man nun, wie es bei einem
homöopathischen Verfahren geschehen muss, die täglich ge-
nossene Quantität des Kaffee's nur immer um ein Weniges, so
bleibt am Ende gar nichts übrig, und dann muss dieses Ge-
tränk durch ein anderes, z. B. Cacao, Milch, Warmbier, un-
gewürzte Chocolade, leichten grünen Thee, noch besser
aber gebranntes Korn oder Gerste, ersetzt werden. Jedoch
sind alles dieses warme Getränke, die, .wie die Erfahrung
uns belehrt hat, nach und nach den Magen und die Ge-
därme zu sehr erschlaffen, und darum wird es Bedingung:
dass die Kranke täglich ein oder ein paar Gläser Wasser
oder leichtes Bier zu sich nimmt. Alle anderen erhitzen-
den, stark geistigen und gewürzhaften Getränke, als Wein,
Liqueur, Arrak, Rum, Punsch, Negos u. s. w. sind ganz
zu untersagen. Eine sehr üble Angewohnheit ist bei vie-
len Damen

3) das fortwährende Essen zu jeder Tageszeit, welches, wie
jede andere eingewurzelte Unordnung, ein wesentliches Hin-
derniss für das glückliche Gelingen einer homöopathischen
Behandlung wird und darum vom Arzte abgeändert werden
muss. So wie eine gewisse Ordnung in allen Dingen von
grossem Nutzen ist, so ist sie es ganz besonders auch in
dieser. Hinsicht, und es ist den Kranken begreiflich zu ma-
chen, dass täglich wenigstens eine warme Mahlzeit zu einer
bestimmten Stunde genossen werden muss, während das
Frühstück und Abendbrod aus kalten Speisen bestehen kann.

4) Allzu langer und binnen 24 Stunden zu oft wiederholter
Schlaf ist nur dann zu billigen, wenn bei Kranken eine
grosse Schwäche und Blutleere hervorsticht; dann aber
darf dem Körper auch durch kein Kleidungsstück Zwang
angethan werden, wenn der Schlaf den Nutzen und die
Erquickung gewähren soll, die man von ihm erwartet. Na-
mentlich bePm zweiten Geschlechte herrscht häufig die üble

II. 14



210 Diätetische Vorschriften.

Angewohnheit, sich mit vielen Kleidungsstücken schlafen
zu legen, wodurch nicht Mos das schnellere und leichtere
Warmwerden des Körpers verhütet, sondern, was noch weit
mehr sagen will, die freie Circulation des Blutes verhindert
wird, woraus manche Beschwerden entspringen, die sich zu
der schon vorhandenen Krankheit gesellen. In diese Rubrik
gehört ganz besonders auch das Schnüren der Damen,
das oft einzig und allein den Grund zu der gegenwärtigen
Krankheit gelegt hat. In solchen Fällen würde es doch,
wie bei allen andern langen Angewöhnungen, nicht räth-
lich sein, das Schnürleib ganz weglegen zu lassen, son-
dern nur lieber darauf zu dringen, dass es nicht zu fest
angelegt werde. Sollte es die Kranke, wenn sie ausser-
halb des Bettes sein kann, ganz ablegen, so würde sie bald
über Halt- und Kraftlosigkeit nicht blos im Rücken, son-
dern im ganzen Körper klagen, und die an den Damen-
kleidern nothwendigen Bänder würden ihr weit mehr Un-
bequemlichkeit verursachen, als das Tragen eines leicht ge-
schnürten Schnürleibs mit sich bringt.

5) Hat der Arzt zu berücksichtigen, ob die Kranke, wie diess
in höheren Ständen nicht selten geschieht, nicht etwa der
Schmink- und Schönheits- Mittel zur Erhöhung der Haut-
farbe im Gesichte sich bedient, oder auch wohl zur Herab-
stimmung derselben nachtheilige und sogar schädliche Sub-
stanzen benutzt, z. B. häufiges Essigtrinken, den Genuss
vielen Thee's, austrocknender Holz- und Kräutertränke, den
Gebrauch des Kalkes, der Kreide, gebrannter Muschelscha-
len u. s. w. Dasselbe gilt von allen Haarpomaden und
wohlriechenden Waschwassern für die Haare, welche letz-
tere, bedürfen sie einer Fettigkeit, am liebsten mit etwas
Rindsmark bestrichen werden.

6) Eine noch sehr wichtige Regel für die Damen ist: bei jedes-
maligem Stuhldrange diesen nicht zu übergehen, sondern
wo möglich darauf zu sehen, dass dieser täglich wenigstens
einmal befriedigt wird. Kein Geschlecht leidet mehr an
Stuhlverstopfung, als das zweite, welches diesen für den
Körper so grossen Nachtheil theils durch Vernachlässigung,
theils durch Pflegma, theils durch vieles Sitzen, theils aber



Diätetische Vorschriften. 211

auch durch übertriebene Schaam meistens selbst herbeiführt.
Eine sehr beachtenswerte Regel ist auch
7) dass der Arzt in Krankheiten der weiblichen Geschlechts-
theile vorzüglich auf tägliche mehrmalige Reinigung der-
selben sehe, die ausser der Zeit der Periode mit frischem
Wasser, in derselben aber seltner und nur mit lauem Was-
ser vorgenommen werden darf. Alle andere diätetischen
Regeln weichen von den schon mehrfach und an verschie-
denen Orten angegebenen nicht im Geringsten ab und be-
dürfen hier der nochmaligen Wiederholung nicht.

§. 128.

Krankhafte Hemmung der ersten Entwickelung der mo-
natlichen Reinigung.

Es ist das Erwachen des Sexuallebens, eines neuen Systems
im Organismus, neue Reize, neue Sympathieen, neue Verhältnisse
in demselben entwickelnd, ja dem ganzen Leben, nicht blos dem
physischen, sondern auch dem geistigen, einen neuen Charakter
aufdrückend, folglich eine der wichtigsten Revolutionen des or-
ganischen Lebens.

In unserm Klima tritt sie zwischen dem 14. und 18. Jahre
ein, im Süden früher, bei thätigem arbeitsamen Leben später,
bei müssigem früher; in seltnen Fällen erst im 20., ja nach der
Verheirathung. Zu frühzeitiges Erscheinen deutet immer auf eine
schwache Natur und starken Geschlechtstrieb. Es ist immer
besser, wenn sie zu spät, als wenn sie zu früh erscheint. Es ist
daher von der höchsten Wichtigkeit, diesen Zeitpunkt nicht zu
beschleunigen, und nicht, wie es oft geschieht, alle in diesem
Zeitpunkte bei einem jungen Mädchen vorkommenden Krankhei-
ten und Kränklichkeiten aus dieser Quelle abzuleiten und durch
Beförderung der Menstruation heben zu wollen. Aber eben so
wichtig ist es auch, da, wo wirklich eine krankhafte Verhaltung
vorhanden ist, der Natur zu Hülfe zu kommen und die Menstrua-
tion zu befördern.

Mehr oder weniger finden sich derartige Erscheinungen, die
immer lebhaft hervortreten, je sensibler, zarter und verweichlich-
ter das Subject ist. Obschon nun diese Beschwerden nicht je-
derzeit so sehr bedeutend sind, so bedürfen sie doch häufig, zu

14*



212 Krankhafte Hemmung der ersten Entwicklung

ihrer Beseitigung-, einer Unterstützung, die oft einer zweckmässig
geführten Diät schon gelingt, in vielen Fällen aber auch ärzt-
liche Hülfe in Anspruch nimmt. Die gewöhnlichsten Zufälle sind:
Andrang des Blutes nach dem Kopfe, durch Schwere desselben
sich charakterisirend ; nach der Brust mit Herzklopfen und zu
Zeiten mit einiger Beklommenheit verbunden; Gefühl von Wärme,
Vollheit im Unterleibe; allgemeine Trägheit des Körpers, zuwei-
len fliegende Hitze und Rothwerden im Gesichte; Mattigkeit in
den Schenkeln und Füssen ; schmerzhafte Empfindungen im Kreuze
und in der Beckengegend, Ziehen in den Oberschenkeln; öfter
Urindrang. Alles diess sind Zeichen, die als Molimina menstrua-
tionis betrachtet, sehr bald die Periode in Gang bringen und mit
ihrem Eintritte verschwinden. Wo diess nicht geschieht, son-
dern diese Zeichen, ohne Erfolg, längere Zeit fortdauern, da
sind viel Bewegung in freier Luft, mehr vegetabilische als ani-
malische Kost, mehr Getränk, als die Kranke sonst zu trinken
gewohnt ist, Zerstreuung in erheiternder Gesellschaft, als diäte-
tische Mittel sehr zu empfehlen.

Sollten aber jene genannten Zufälle heftiger und anhaltender
werden, das Blut Wallungen, Aengstlichkeit, Herzklopfen, fort-
währende Hitze, unruhigen, traumvollen, durch häufiges Aufschre-
cken unterbrochenen Schlaf, hohe Röthe des Gesichts u. s. w.
hervorbringen, überhaupt alle jene früher genannten Zeichen von
Congestionen nach dem Kopfe und nach der Brust zugegen sein:
so sind auch alle jene dort aufgezeichnet^ Mittel, unter den an-
gegebenen Bedingungen, anwendbar. Unstreitig eins der vor-
züglichsten Mittel bei derartigen Beschwerden ist Pulsatilla, be-
sonders wenn sich mit jenen Blutcongestionen auch solche nach
dem Unterleibe und der Gebärmutter, als ob ein Stein daselbst
drückte, verbinden und zugleich ein Frieren, Dehnen, Renken
der Glieder, Gähnen und andere fieberhafte Beschwerden zugegen
sind. — Unter den für Chamomilla und Veratrum passenden
Symptomen können auch diese beiden Mittel in manchen Fällen
ihre Anwendung finden, wobei zugleich die vorhin angedeuteten
diätetischen Regeln mit benutzt werden müssen.

Unstreitig aber haben hier dieAntipsorika den grössten Werth,
da dieser physiologische Akt nur in solchen Fällen als ein patho-
logischer erscheint, wo entweder angeerbte, oder erlangte Psora



der monatlichen Reinigung. 213

dem, weiblichen Körper innwohnt. Zu den vorzüglichsten Mit-
teln für diese Krankheits-Gattung gehören Sepia, Conium, Murias
Magnesiae und Lycopoclium.

Steht das Subject in den Jahren der Pubertät, ohne dass die
Periode Anstalt zum Eintreten macht, jedoch aber auch ohne ir-
gend eine Beschwerde; mit einem Worte, wo sich das Mädchen
ganz wohl fühlt: da thut der Arzt nie wohl, mit Arzneien auf
den Körper loszustürmen, sondern er handelt regelrecht, wenn
er der Natur das Zustandebringen dieser physiologischen Erschei-
nung überlässt, um so mehr, wenn der ganze Körper noch ein
Zurückbleiben in seiner Ausbildung verräth. Nur bei grösserer
Fülle, sich immer mehr entwickelnder Vollkommenheit und bei
vorgeschrittenen Jahren ist es gewiss nicht unzweckmässig, der
Natur durch ärztliches Eingreifen zu Hülfe zu kommen und sie
durch passende Arzneien zu unterstützen, wozu sich unbezweifelt
die Antipsorika am besten qualificiren. Dessenungeachtet mache
ich nicht gleich anfangs von ihnen Gebrauch, sondern benutze
zuvörderst PidsatiUa wiederum — bei sicherer Indikation sogar
in öfter wiederholter Gabe — , vorzüglich da, wo durch das Aus-
bleiben der Menstruation, ohne andere körperliche Beschwerden,
eine höchst reizbare Nervenstimmung, ein weinerliches, ärgerli-
ches, furchtsames Gemüth, eine blasse Gesichtsfarbe, welke, schlaffe
Muskeln herbeigeführt wurden. — Nux hingegen wird bei der
entgegengesetzten Gemüthsstimmung, bei einem jähzornigen, cho-
lerischen Temperamente, bei sichtbarer Vollblütigkeit ohne her-
vorstechende Congestionen, bei Wangenröthe und einem wahren
Turgor des Körpers im Allgemeinen sich vorzüglicher vor jenem
Mittel bewähren. Ist die Anwendung dieser Mittel aber, denen
wohl auch noch einige andere beizuzählen sind, fruchtlos, so
sind als ganz vorzügliche Arzneien von meinem Piecensenten em-
pfohlen: Causticum und Graphites, besonders da, wo der Durch-
bruch der Regeln nur erschwert ist und der Abgang endlich in
geringer Quantität erfolgt, und bald wieder aufhört; Natrum mu-
riaticum und Kali carbonicum aber, wo er gar nicht erfolgt, und
Calcarea carbonica, wo er zwar auch nicht erfolgt, aber die
ganze Constitution eine abnorme Blutfülle andeutet. Sulphur ist
und bleibt aber auch hier wohl eins der Hauptmittel, das allen
anderen antipsorischen in einer oder mehreren Dosen voranzu-



214 Obstructio roenstruorum. Unterdrückte Menstruation.

schicken ist, namentlich wenn Entartung des Blutes sich unver-
kennbar durch bleichsüchtigen Teint zu erkennen giebt.

§. 129.

Obstructio menstruorum. Unterdrückte und verzögerte Men-
struation.

Die Menstruation, die eben im Flusse war, bleibt oft plötz-
lich weg während einer heftigen Erkältung, namentlich der Füsse
und des Unterleibes, welche letztere häufig durch Waschen und
Baden der Geschlechtstheile während des Flusses mit kaltem
Wasser herbeigeführt wird; es kann aber auch unmässiges Tan-
zen, heftiger Aerger, Schreck, Zorn, Geilheit, der Genuss war-
men Brodes und heissen Kuchens die Veranlassung dazu geben.
Doch sehen wir aber auch die Menstruation nach und nach, nicht
plötzlich, verschwinden, bei zu dürftiger Kost, nach dem Miss-
brauche warmer Getränke, durch die häufiger vorkommende Ein-
wirkung trauriger Leidenschaften.

Je plötzlicher die Unterdrückung des Monatsflusses ist, desto
heftiger sind gewöhnlich auch die Zufälle, die daraus entsprin-
gen. Vornehmlich finden wir das heftigste Kopfweh , grosse
Angst und Brustbeklemmung, Ausbruch von innern und äussern
Krämpfen, heftiges Nasenbluten, Blutspucken, Congestionen nach
Kopf, Herz und Lungen und dergleichen. — Es ist natürlich, dass
der Arzt, vorzüglich wenn er bald gerufen wird, auch hier nach
der Entstehungs-Ursache sich erkundige ifnd die nachtheilige Ein-
wirkung selbiger, z. B. die Folgen des Schrecks, des Aergers,
des Zorns, der Indigestion u. s. w. durch die schon oft genann-
ten und bekannten Mittel zu verhüten sich bestrebe. Wo Pa-
tientin aber schon eine längere Zeit verstreichen Hess, ehe sie
sich ärztlicher Hülfe bediente, da werden dann jene bekannten
Mittel selten noch etwas ausrichten, sondern der Arzt muss die
Hauptbeschwerden genau auffassen, und diesen das passendste
Mittel entgegensetzen. Auch hier wird er finden, dass die im
vorigen Paragraphen genannten Mittel oft indizirt sind.

Stellen sich aber zu der Zeit, wo die Regel eintreten sollte
und doch nicht erscheint, heftige Unterleibskrämpfe ein, so wird
sich Cocculus oft als das passendste Mittel bewähren, vornehm-
lich wenn mit den Krämpfen tief im Unterleibe, Drücken auf der



Obstructio menstruorum. Unterdrückte Menstruation, 215

Brust, Beklommenheit, Bangigkeit, Seufzen und Stöhnen, eine
lähmungsartige Schwäche, dass die Kranke kein lautes Wort
sprechen kann und ihr die Glieder schlaff herabhängen, convul-
sivische Bewegungen der Glieder und kaum fühlbarer Puls ver-
bunden sind. — Ein Mittel, das dem eben genannten sehr nahe
steht, ist Cuprum aceticum, oder noch besser, Cuprum metalli-
cum. Es empfiehlt sich namentlich bei solchen typischen Paro-
xysmen von der heftigsten Art, die in den unerträglichsten Kräm-
pfen im Unterleibe bestehen, die sich bis nach der Brust herauf
erstrecken, Ekel, Würgen, sogar Brechen hervorbringen, zu-
gleich auch die Gliedmassen mit affiziren und Krämpfe in diesen
erzeugen, die den epileptischen sehr ähnlich sind, wobei die
Kranke ein durchdringendes Geschrei ausstösst.

Ausserdem noch empfehlenswerthe Mittel sind: Valeriana,
Piatina, Belladonna, Ignatia, Magnes arclicus , Mezereum, Di-
gitalis und andere.

Ist mit diesen Arzneien die Menstruation nicht wieder her-
zustellen, so bleibt dem Arzte nichts übrig, als die Anwendung
der antipsorischen Heilstoffe, unter denen Magnesia carbonica,
Murias Magnesiae, Sulphur , Sepia, Zincum, Silicea, Lycopo-
dium, Graphit, Acidum nitri die vorzüglichsten und auch da an-
wendbar sind, wo die unterdrückte Menstruation gar keine Be-
schwerden verursacht.

Mit der verzögerten oder verspäteten monatlichen Reinigung
hat es ähnliche Bewandniss und der Arzt muss bei ihrer Behand-
lung nach denselben Regeln und Grundsätzen verfahren, die ich
so eben hier bei der ganz unterdrückten Menstruation angegeben
habe. — In Folge des zögernden oder unterdrückten Menstrual-
flusses treten oft Unterleibskrämpfe und andere Beschwerden ein,
wogegen Pulsat. sich stets hülfreich erwiesen hat. — Auch Ci-
cuta, Terebinthina , Zincum (besonders bei Unterdrückung der
Menstruation und schmerzhaft angeschwollenen Brüsten), Calcar.
carb (ebenfalls bei Unterdrückung und zu grosser Blutfülle), Gra-
phit (bei zu spät eintretendem, zögerndem Monatlichen, wenn
Heiserkeit, Kopfschmerz, Fussgeschwulst, Frost und wehenarti-
ger Kreuzschmerz sich damit verbinden) , Natrum mur. (bei ver-
spätetem und zu geringem Monatlichen), Stronlian (bei verspäte-
tem, hernach erst wie Fleisch wasser, dann in Stücken abgehen-



216 Menstruatio nimia. Mutterblutfluss.

dem Monatlichen), Sassapar. (bei zu spätem; zu geringem und
zu scharfem Monatlichen), u. s. w.

Von guter Wirkung sind hier oft die äussern Unterstüzungs-
mittel: Fuss- und Dampfbäder ad Genitalia, Reiben der Schen-
kel, Lavements, Ventosen an die innere Seite der Schenkel.

§. 130.

Menstruatio nimia, Metrorrhagia. Uebermässige Menstruation,
Mutterblutfluss.

Uebermass der Menstruation ist eine gar häufige Klage nicht
blos der Mädchen, sondern des zweiten Geschlechts überhaupt,
das im weiblichen Körper nicht wenige und nicht geringe Nach-
theile herbeiführt. Zwar lässt es sich nicht bestimmen, wieviel
Blut jedes Weib durch die jedesmaligen Katamenien verlieren
solle,, da bei der Einen viel, bei der Andern wenig abgeht, und
sowohl die grosse, als die geringe Quantität normal ist: doch
darf man annehmen, dass die Quantität zu gross und innormal
ist, wenn viel Blut fliesst, es sei diess nun in einer längeren
oder kürzeren Zeit, in zwei oder in acht Tagen, wo es viele
Tage zu zeitig erscheint und sich viele Tage unordentlich hin-
zuschleppen pflegt, so dass die Gesundheit dadurch leidet, Schwä-
che der Geschlechtstheile und des ganzen Körpers, blasse Farbe
des Gesichts, wie sie nach starkem Blutverluste zu sein pflegt,
und alle die krankhaften Erscheinungen , die Blutleere im Körper
begleiten, daraus entspringen. w

Diess die übermässige Menstruation. Bei der Metrorrha-
gie zeigen sich kürzere oder längere Zeit vor dem Eintritt der-
selben congestive Erscheinungen, als: schmerzhaftes Ziehen und
Drängen im Kreuze gegen die Geschlechtstheile und Schenkel zu,
ein Gefühl von Schwere, Völle, von vermehrter Wärme und
Klopfen im Becken, selbst kolikartige Schmerzen; öfterer Trieb
zum Harnlassen, ein Kitzeln und Brennen in den Geschlechtsthei-
len, begleitet von Frösteln, Hitze, beschleunigtem, weichen,
manchmal doppelschlä'gigem Pulse, Herzklopfen, Anschwellen und
Empfindlichkeit der Brüste etc. — Die Blutung selbst tritt oft
unter Frostschauer, Blässe des Gesichts und Kälte der Extremi-
täten ein, besteht bald nur in einem Stillicidium sanguinis, bald
in periodischem Ergüsse grösserer Mengen eines gewöhnlich dun-



Menstruatio nimia. Mutterblutfluss. 217

kein schwarzen Blutes, das wegen seines Reichthums an Fibrine
mit viel Gerinnseln vermischt ist, wozu sich dann noch eine
Menge Erscheinungen des allgemeinen Orgasmus und eine leb-
haftere Theilnahme des Nervensystems gesellen, als: wehenar-
tige Schmerzen, krampfhafte Urinbeschwerden, Convulsionen,
Erbrechen, Lach-, Wein- und Schüttelkrämpfe etc. — Bei einem
solchen Blutverluste treten dann bald alle jene bekannten Zei-
chen der Anämie ein und die Kranke kann rasch ein Opfer der-
selben werden.

Meistens erscheint dieses widernatürliche Auftreten bei gros-
ser Schwäche der Uterin-Gefässe und krankhaft erhöheter Reiz-
barkeit des Uterin-Systems, überhaupt bei sehr reizbarem, ner-
vösen Temperamente. Veranlassung dazu geben vornehmlich sol-
che Schädlichkeiten, die Congestionen nach dem Uterus
zu erregen vermögen, als da sind: Onanie, schlüpfrige Gespräche,
Romanenlektüre, wodurch die Phantasie erhitzt wird, starke, spi-
rituöse Getränke, starker Kaffee, schwere, rothe, erhitzende
Weine, Negos, Punsch; Excesse während und bei der Reinigung,
besonders das Tanzen und weit getriebene Liebeleien u. d. gl.

Immer wird in übermässiger Menstruation Nux vomica ein
Haupthülfsmittel sein, besonders dann, wenn durch üble Ein-
drücke auf das Gemüth der Kranken eine solche Angegriffenheit
und Gereiztheit des ganzen Nervensystems entsteht und alle Sinn-
Werkzeuge so überempfindlich werden, dass die Kranke jedes
unschuldige Wort empört, sie einen störrigen, heftigen, wider-
spenstigen Sinn hat, jedes kleine Geräusch sie erschreckt, jedes
unbedeutende Ereigniss sie ängstlich macht, und ausser sich bringt,
sie einen besondern Hang zum Liegen , und einen Widerwillen
gegen freie Luft hat. — Obgleich Pulsalilla bei übermässiger
Menstruation nie anwendbar sein wird, so finden sich doch hier
ebenfalls einzelne Fälle, wo man sie mit Nutzen geben kann,
namentlich zur Stillung hoher Reizbarkeit, in gehörigen Zwischen-
räumen, abwechselnd mit Krähenaugen. — Auch Coffea cruda,
so wie mehrminütliche Berührung des Magnes arcticus können
unter gewissen Umständen zur Beseitigung der grossen Ueberrei-
zung erforderlich sein, und der homöopathische Arzt wird die
Indikationen zu ihrer Anwendung leicht selbst zu finden wissen.

Unter allen Mitteln zur Mässigung des zu starken Menstrual-



218 Menstruatio nimia. Mutterblutfluss.

Blutflusses, so wie zur Verhütung der zu oft zurückkehrenden
monatlichen Reinigung, als auch zur Hebung der zu lange sich
hinschleppenden Katamenien ist, wie schon erwähnt, Nux no-
mica das vorzüglichste. Doch ist sie nicht die einzige hülfreiche
Arznei, indem auch viele Fälle von übermässiger Menstruation
vorkommen, wo z. B. Chamomilla anzuwenden ist, vorzüglich
wenn der Blutabgang dunkel , fast schwärzlich und coagulirt er-
scheint, mit ziehenden, greifenden Schmerzen vom Kreuze nach
den Schamknochen zu, auch wohl mit Ohnmachtanfällen, Kälte
der Extremitäten und vielem Durste verbunden ist.

Dass die Menstruation in den jetzigen Zeiten oft zu einer
übermässigen, ja zur wahren Metrorrhagie ausartet, befremdet
den Arzt durchaus nicht, da er weiss, welcher Missbrauch mit
dem Genüsse des Chamillenthee's getrieben wird, den man so-
wohl zur Beförderung des ersten Eintritts der Menstruation, als
auch bei schmerzhaften Katamenien, und eben so bei übermässi-
gem M'enstrual-Blutflusse , Tassenweise, zu trinken anräth, oft
ohne Erlaubniss des Arztes, oft aber auch mit Zustimmung des-
selben, weil der Arzt älterer Schule die Chamille nur als ein ge-
meines Hausmittel betrachtet, das, selbst beim Gebrauche ande-
rer Mittel, nie Nachtheile bringen kann. Der homöopathische
Arzt weiss dieses gemeine Hausmittel besser zu würdigen, und
erkennt die aus seinem Missbrauche entsprungenen Krankheits-
Besch werden sehr bald, denen er dann auch leicht, bald mit
Nux, bald mit Ignatia, bald mit China zfc begegnen wissen wird.

Ueberhaupt passen bei der übermässigen Menstruation häufig
die gegen Metrorrhagieen anzuführenden Arzneien, die ich hier
folgen lasse. Nur bemerken muss ich hier noch, dass ich sonst
bei öfter eintretender und lange anhaltender Menstruation häufig
durch wiederholte Gaben Ignatia amara diese Unordnung besei-
tigt, und selbst Uterinkrämpfe, aus Klamm und Zusammenpressen
bestehend, gehoben habe.

Gesetzt aber der homöopathische Arzt könnte mit allen die-
sen Mitteln keinen Nachlass der übermässigen Menstruation und
der damit verbundenen krankhaften Beschwerden, so wie der zu
oft wiederkehrenden Catamenien erzwingen, oder er sähe noch
vor Beginn der Cur ein, dass mit diesen Arzneien nur eine pal-
liative, keineswegs aber eine radicale Heilung zu bewerkstelli-



Menstruatio nimia. Mutterblutfluss. 219

gen wäre: so muss erder antipsorischen Arzneien sich bedienen,
unter denen Sulphur, Calcarea, Lycopodium , Phosphor, Kall
carbonicum, Carbo vegetabilis, Murias Magnesiae, Silicea und
Sepia sich als die vorzüglichsten auszeichnen, die der Arzt den
gegenwärtigen Beschwerden zufolge auszuwählen wissen wird.

§. 131.

Metrorrhagie der Wöchnerinnen ist häufig Folge einer
unregelmässigen Zusammenziehung des Uterus, durch unruhiges
Verhalten der Wöchnerin oder andere Reize herbeigeführt; dem-
nach ist ein Haupt-Erforderniss bei der Behandlung : ruhiges Ver-
halten der Wöchnerin, horizontale Lage und Beseitigung aller
den Blutandrang gegen die Geburtstheile vermehrenden Reize,
wohin namentlich auch die Entziehung des Kaffees und Thees zu
rechnen ist. — Dieselben diätetischen Regeln gelten auch bei
Metrorrhagien, die ausser dem Wochenbette vorkommen.

Hülfreich erweist sich auch hier Chamomilla , vorausgesetzt,
dass sie vorher nicht schon als Chamillenthee in grösserer Menge
genossen worden ist, wenn der Blutfluss dunkel, fast schwärzlich
ist, absatzweise und coagulirt abgeht, was zugleich den Beweis
liefert, dass dieses Mittel mehr für venöse als arterielle Blutun-
gen passt; ferner, wenn der jedesmalige Blutabgang mit hefti-
gen wehenartigen Schmerzen im Unterleibe, mit vielem Durste
und Kälte der Extremitäten verbunden ist.

Ist die Metrorrhagie Folge von Chamillenthee-Missbrauch, so
wird eins der hier anzugebenden Mittel indizirt sein. Tritt näm-
lich ein Blutfluss in Folge einer Atonie der Gebärmutter nach
der Entbindung ein, also als passive Metrorrhagie, so dass die
zur Verkleinerung des Uterus nöthigen Contractionen ganz man-
geln, die Entbundene kalt und blau wird und einzelne Stösse und
Rucke, wie Krampf, durch den ganzen Körper fahren, (was mehr
von Depletion, als von Krampf abhängig zu sein scheint), da ist
wohl ein mechanischer Reiz der Gebärmutter selbst, durch ge-
lindes Reiben des Unterleibes, vielleicht auch eine aus Wasser
mit einigen Tropfen Essig vermischte Einspritzung zur schnellen
Wiederbelebung nicht zu verwerfen, während der Arzt der Kran-
ken China reicht.

Ist mit einer Metrorrhagie, wobei das abgehende Blut keine



220 Menstruatio nimia. Mutterblutfluss.

besondere Abzeichnung hat, sondern die Mitte zwischen dunkel
und hellroth hält, ein immerwährendes Vordrängen in den in-
nern Geschlechtstheilen, als ob ein Vorfall der Gebärmutter oder
Mutterscheide eintreten sollte, verbunden, — ebenfalls eine Art
Ätonie — und mit heftigen Kreuzschmerzen, als sollte das Kreuz
zerbrechen, gepaart, so zeigt sich Belladonna am hülfreichsten.

Dieser Arznei correspondirend ist die Piatina, namentlich
dann, wenn der Blutabgang dunkel, dickflüssig ist, ohne gerade
coagulirt zu sein; der Schmerz im Kreuze ist weniger empfind-
lich und wird es mehr dadurch, dass er sich in beide Schösse
zieht und dadurch ein Herabpressen der innern Theile mit einer
übermässigen Empfindlichkeit und grosser Aufregung der Ge-
schlechtsorgane erzeugt.

Ist hingegen der Blutabgang bei einer solchen Metrorrhagie
mehr schwarz, klumpig, zähe, dehnig, mit schneidenden Schmer-
zen tief im Unterleibe, nach dem Kreuze zu ziehend, verbunden,
so empfiehlt sich Crocus als das passendste Heilmittel, während
bei mehr hellrother Farbe und wehenartigen, vom Kreuze nach
dem Schosse ziehenden Schmerzen Sabina indizirt ist. Diess sind
wohl die Fälle, wo auch Ferrum, Ratanhia und Kreosot Be-
rücksichtigung verdienen. — Ferrum ist besonders von grossem
Nutzen, wenn der Blutfluss mit reichlichem Abgang bald flüssi-
gen, bald schwarzklumpigen Blutes, unter wehenartigen Schmer-
zen in den Lenden und im Unterleibe , mit starker Erregtheit des
Blutsystems und feurigrothem Gesichte verbunden auftritt. —

Die Metrorrhagieen, die für Ratanhia sich eignen, sind mei-
stens mit den heftigsten Kreuzschmerzen verbunden. Diese Angabe
ist allerdings nicht distinct genug, doch habe ich auch noch
nicht Gelegenheit gefunden, sie zu vervollständigen.

Kreosot sollte in diesen Krankheits-Zuständen nicht vernach-
lässigt werden, da es eins der ausgezeichnetsten Mittel ist und
noch mehr zu werden verspricht, wenn die Beobachtungen noch
schärfer mitgetheilt werden, als diess zeither geschehen. Fest
steht, dass es da passt, wo ein dunkles Blut in grosser Menge
ausgeschieden wird; dann wieder einige Tage scharfriechende,
blutige Jauche unter fressendem Jucken und Beissen an den Thei-
len ausfliesst, worauf der Blutfluss wieder, mit geronnenen Stücken



Menstruatio nimia. Mutterblutfluss. 221

untermischt anfängt, wobei Patientin oft über Brummen und Sum-
men , auch Herauspressen zum Kopfe klagt.

Bryonia zeichnet sich dann als vortheilhaft aus, wenn das
Blut in grosser Menge dunkelroth abfliesst, mit heftig drücken-
den Kreuzschmerzen und auseinander pressenden, sehr empfind-
lichen Schmerzen im Kopfe, namentlich aber in den Schläfen.

Ein nicht minder selten ansvendbares Mittel in derartigen Lei-
den ist üyoscyamus , vorzüglich dann, wenn bei eintretender Me-
trorrhagie allgemeine Krämpfe des ganzen Körpers sich einstellen,
die durch Stösse oder Rucke desselben oder Zucken einzelner Glie-
der unterbrochen wird, wornach eine allgemeine Steifheit aller
Gelenke wieder eintritt. Gewöhnlich treten diese Fälle bei sol-
chen Frauen ein, die schon während der Schwangerschaft zuwei-
len an Krämpfen gelitten haben. Das mehr hellrothe Blut fliesst
dabei fortwährend, kommt aber jedesmal stärker, wenn eine neue
krampfhafte Erschütterung des Körpers eintritt; natürlich wird in
solchen Fällen der Puls immer schwächer, die Zahl der Schläge
vermindert sich immer mehr und setzt aus.

Wird die Metrorrhagie immer nur durch Bewegung wieder
hervorgerufen, so erweist sich der Süd-Pol des Magnets,
den die Kranke nur eine Minute zu berühren braucht, ausge-
zeichnet hülfreich.

Ipecacuanha, öfter wiederholt, scheint dem eben genannten
Mittel, in ähnlichen Fällen sehr nahe zu stehen, nur findet hier
gewöhnlich ein schneidender Bauchschmerz um den Nabel herum,
ein Drang und Pressen nach der Gebärmutter und dem After
Statt, mit Frost und Kälte des Körpers, während innere Hitze
nach dem Kopfe steigt.

Sabina ist in Metrorrhagieen eine der wichtigsten Arzneien,
wie sich auch aus ihrem Symptomen-Verzeichnisse schon deutlich
abnehmen lässt. Ihr vorzüglichster Wirkungskreis ist da, wo das
Blut, unter wehenartigem Ziehen in den Lendenwirbeln und der
Uteringegend, in grossen geronnenen Klumpen entleert wird;
doch giebt es auch keine Contraindication, wenn der Abgang des
Blutes hellroth ist, ruckweise und besonders stark bei jeder Be-
wegung fliesst, wobei der Muttermund stets geöffnet ist.

Seeale cornutum passt mehr in Metrorrhagieen, die aus Atonie
der Gebärmutter entspringen, wo die Schmerzen entweder ganz-



222 Abortus. Frühgeburt.

lieh fehlen oder doch sehr unbedeutend sind; dabei Auftreibung
des Uterus. Ist besonders in den Metrorrhagieen nach Entbin-
dungen beachtenswerth.

Vielleicht sind ausser den genannten noch einige andere
Mittel, z. B. Ignat., Nux, Achiüea Millefolium u. a. anwendbar,
doch habe ich über sie in diesen Fällen keine genügenden Er-
fahrungen gemacht. Man sehe hierüber nach, was ich im ersten
Theile bei Betrachtung der, nach den Ansichten der altern Schule,
critischen Blutflüsse gesagt habe.

§. 132.

Abortus. Frühgeburt.

Will ich gegen die früheren Auflagen dieses Werkes für den
Leser, der jene besitzt, nicht eine fühlbare Lücke lassen, so
muss ich auch dieses Capitel wieder mit aufnehmen und dann ist
der schicklichste Platz hier nach den Metrorrhagieen , deren The-
rapie oft beim Abortus selbst in Anwendung zu bringen ist.

Blutflüsse in der ersten Zeit der Schwangerschaft erregen
leicht Abortus, der gewöhnlich dann auch in den nachfolgenden
Schwangerschaften um dieselbe Zeit wieder einzutreten pflegt.
Ist der Abortus schon erfolgt, so wird der dabei Statt findende
Blutfluss durch ein ruhiges Verhalten, karge Diät und die An-
wendung von Chamomilla, Sabina, Crocus, Calcarea carb. u. s. w.
bald gehoben und nachtheiligen Folgen vorgebeugt. Zu verhü-
ten ist er hingegen nur dann, wenn gleich zu Anfange der
Schwangerschaft ein ärztliches Heilverfahren dagegen eingeleitet
wird, das um so nöthiger ist, je öfter wir den Grund des häufi-
gen Abortirens in einem psorischen Siechthum zu suchen haben.
Oft trägt aber auch Unvorsichtigkeit der Schwangern die Schuld
beim ersten Abortus, und die Gebärmutter erhält dadurch eben-
falls die Geneigtheit bei einer nachfolgenden Schwangerschaft in
demselben Monate sich ihrer Last zu entledigen. Die Ursache
sei nun aber welche sie wolle, so muss immer dagegen gehan-
delt werden, und das ärztliche Verfahren bleibt auch dasselbe.
Liegt der Grund in einem psorischen Siechthum, so reichen wir
mit den gewöhnlichen Mitteln nicht immer aus, sondern bedür-
fen dazu der tiefer eingreifenden. Dennoch gelingt es aber auch
nicht selten — ich kann diess aus Erfahrung sagen, — diess



Abortus. Frühgeburt. 223

im ersten Zeiträume der Schwangerschaft durch einige, in län-
geren Zwischenräumen wiederholte Gaben der Sabina zu ver-
hindern.

Seitdem ich dieses schrieb, habe ich den bei Frauen schon
öfters vorgekommenen Abortus durch ein paar Gaben Seeale cor-
nutum, besonders bei einem Aufgetriebensein des Uterus, mehr-
mals verhütet. Diess Mittel scheint hier speeifisch zu sein, und
wird seine Dienste bei einem übrigens regelmässigen Regim ge-
wiss nicht versagen, wenn der Arzt gleich nach dem ersten
Aussenbleiben der Menstruation eine Dosis davon reicht und sel-
bige in längern oder kürzern Zwischenräumen so lange repetirt,
bis der gewöhnliche Zeitpunkt des Abortirens vorüber ist, wor-
nach alsdann höchstens noch eine Gabe erforderlich sein wird.

Doch können wohl aber auch Fälle vorkommen, wo die An-
wendung der antipsorischen Arzneien erforderlich wäre, wenn
man nicht vielleicht durch eine oder ein paar Gaben Nux diesen
Zweck (Verhütung des Abortus) ebenfalls zu erreichen gedächte.
Diese Fälle, in denen Nux sich hülfreich erweist, finden wir
da, wo die Erregungsursache des häufigen Abortirens in einem
varikösen Zustande der innern Geschlechtstheile zu suchen ist,
der durch öfter wiederkehrende Congestionen erzeugt wird.
Dass dieser pathologische Zustand durch mancherlei Bedingungen
herbeigeführt werden könne, ist gewiss; am häufigsten jedoch
ist er Folge des in grosser Menge genossenen Kaffeetranks, des-
sen reizende Einwirkung auf die Zeugungsorgane allgemein aner-
kannt ist, in deren Gefolge dann auch Stuhlverstopfungen ent-
stehen, wodurch oft, besonders durch das vergebliche Pressen
beim Stuhlgange, frühe Contractionen im Uterus erzeugt werden.
Seitdem ich solchen Frauen, die so häufig abortiren, gleich zu
Anfange ihrer Schwangerschaft den Kaffee zu verbieten mir zum
Gesetz gemacht habe, ist es mir oft dadurch allein schon ge-
lungen, den Abortus zu verhüten, was früher durch öfter wie-
derholte Aderlässe bei allöopathischer Behandlung nicht gelin-
gen wollte. Sehr zweckmässig ist es , dieses Verfahren noch
dadurch zu unterstüzen, dass man einige Gaben Nux reicht, die
man ebenfalls nach Tagen oder Wochen wiederholt. — ■ Wo aber
das noch nicht vollkommen ausgebildete Psora-Siechthum (das,
wie schon erwähnt, meistens die Erzeugerin des häufig vorkom-



224 Zu geringe Menstruation.

menden Abortus sein soll) sich doch als einzeln auftretende Symp-
tome schon als solches documentirt, da kann das angegebene
Verfahren allerdings wohl auch von Nutzen sein, allein man
würde dann die öftern Gaben Nux weglassen müssen, und an
deren Statt lieber ein Antipsorikum reichen müssen, das für .einen
ähnlich beschriebenen innern wie äussern varikösen Zustand am
besten in Carbo veget., Calc. carb., Lycopod. und Zincum zu
finden ist; wo dieser nicht vorhanden, finden hingegen folgende
Mittel Anwendung: ausser den eben genannten: Sepia, als eins
der ausgezeichnetsten, Sidphur, Silicea, Cannabis, vielleicht auch
Ratanhia, nach Angabe meines Recensenten.

§. 133.

Zu geringe Menstruation.

So wie die Bezeichnung übermässige Menstruation immer
ein relativer Begriff bleibt, so bleibt es auch der Ausdruck zu ge-
ringe Menstruation. Die Quantität des abgehenden Blutes ent-
scheidet hier nicht, sondern die Constitution der Menstruirten
und das Befinden der letzteren. Leidet die Gesundheit der-
selben auffallend dabei, und ging vielleicht früher, wo sich die-
selbe besser befand, mehr Blut ab, so lässt sich daraus schlies-
sen, dass verhältnissmässig zu wenig ausgeschieden wird. Be-
findet sich jedoch das Subject dabei wohl, so hat es nichts auf
sich, und die Natur wirkt hier nach eigenem Ermessen, wäh-
rend im entgegengesetzten Falle heftige Wallung des Blutes nach
Kopf und Brust, Hitze, Trägheit, Schwere der Füsse, harter,
voller Puls und dergleichen deutlich die zu geringe Ausschei-
dung des Menstrualblutes anzeigen.

Bei der Behandlung ist zu erinnern, dass der zu geringe
Menstrualfluss allein den Heilplan nicht bestimmen kann, sondern
alle Neben-Beschwerden dabei zu berücksichtigen sind. Obschon
nun hier Pidsatilla, Nux, Ferrum, Rhus, Dulcamara und an-
dere Mittel immer vom Anfange, wo man als Arzt consulirt wird,
Beachtung verdienen, auch wohl in vielen Fällen mit Glück an-
gewendet werden: so wird man doch auch wiederum in vielen
Fällen nichts mit ihnen auszurichten im Stande sein, weil dieser
allmähligen Verminderung des gesetzlichen Blutabganges gröss-
tentheils ein verborgenes psorisches Leiden zum Grunde liegt,



Krankhafte Erscheinungen während des Monatsflusses. 225

das ohne Antipsorika in den wenigsten Fällen selten vollkom-
men getilgt wird. Demnach ist es auch rathsam, mit der An-
wendung dieser nicht zu lange zu warten, sondern wenn ein,
zwei jener genannten Mittel nichts geleistet haben, zuvörderst,
bei nur einigen darauf hindeutenden Symptomen, Sulphur anzu-
wenden, und alsdann Graphites, Magnesia, Natrum muriaticum,
Causticum, Sepia, Silicea, Ammonium carbonic, Conium, das
auch besonders in Mutterkrämpfen sehr zu empfehlen ist, jedes
nach seiner spezifischen Eigenthümlichkeit, in Bezug auf die ge-
genwärtigen Symptome, zu wählen.

§. 134.

Krankhafte Erscheinungen während des Monatsflusses.

Es ist kein gar seltner Fall, dass auch krankhafte Beschwer-
den bei Damen vorkommen, bei denen die Periode übrigens in
Ordnung ist. Oft finden wir, dass diese Beschwerden schon
einige Tage vorhergehen, und mit dem Eintritte des Blutabgangs
allmählig nachlassen; oft aber auch erst mit diesem sich einstel-
len. Derartige Leiden treten am häufigsten bei schwächlichen,
sehr reizbaren Frauenzimmern auf, und verdanken nicht selten
einer erblichen Anlage und einer verzärtelten Erziehung ihr Ent-
stehen. Diätetische Hülfsmittel müssen mit den arzneilichen Hand
in Hand gehen , wenn diese Letzteren sich wirksam erweisen sol-
len. In manchen Fällen sehen wir schon bei Befolgung der er-
steren Genesung, wenigstens Besserung erfolgen. Zu diesen
zweckmässigen diätetischen Hülfsmitteln sind zu zählen: eine thä-
tigere Lebensweise, Abhärtung gegen äussere atmosphärische
Einflüsse, Heiterkeit der Seele, täglicher Genuss der freien Luft,
fleissige Bewegung, und in diätetischer Beziehung: Vermeidung
Alles dessen, wovon die Kranke jederzeit Nachtheil für ihren
Körper sah; eben so ist auch erforderlich eine zweckmässige,
jeder Jahreszeit entsprechende Bekleidung, welche dem Unter-
leibe keinen Zwang anthut, wodurch so sehr leicht zu Stuhlver-
stopfung Veranlassung gegeben wird.

Diese krankhaften Erscheinungen, die als Begleiter des Mo-
natsflusses auftreten, sind, wie jedem Arzte bekannt sein wird,
so verschieden geartet, dass es ein schwieriges Unternehmen
sein würde, alle diese mannichfachen Eigentümlichkeiten auf-
II. 15



226 Krankhafte Erscheinungen während des Monatsflusses.

zählen und Mittel dagegen angeben zu wollen, da die Constitu-
tion, das Alter, die Idiosynkrasieen, die Lebensart u. s. w. die-
sen Beschwerden einen ganz eigenthümlichen Charakter aufdrü-
cken, der fast bei jedem einzelnen Subjecte ein anderes Mittel
zur Heilung erfordert. Für die gewöhnlichen Zufälle, die wäh-
rend, vor oder nach der Menstruation auftreten, als Wallung,
Kopfcongestion, Kopfschmerz, Brustbeklemmung, Uebelkeit, Er-
brechen, kolikartige Beschwerden, Ohnmacht- Anfälle u. s. w. sind
Chamomilla, Pulsatilla, Nux, Ignatia, Belladonna, Veratrum,
Cocculus, China, Hyoscyamus, Coffea, Piatina, Cuprum und ei-
nige andere Mittel ausreichend, von denen der Arzt auch leicht
das passende für jeden individuellen Fall finden wird. Schwie-
riger sind schon die Fälle , wo zu dieser Zeit Geistesstörungen
mit hinzutreten, bei denen, will der Arzt das richtige Mittel nicht
verfehlen, der Körper-Zustand vor der Periode, die Periode selbst,
ob sie stark oder schwach, mehr schleimig und dergleichen ist,
und andere Nebenverhältnisse wohl zu berücksichtigen sind. Oft
wird es sich dann zeigen, dass Pulsatilla, Veratrum, Belladonna,
Byoscyamus, Piatina, Stramonium, Capsicum und einige andere
die hülfreichsten Arzneien für diese Krankheitsform sind. Am
schwierigsten sind die Fälle, wo bei fast gänzlich unterdrückter
Menstruation Geistes-Krankheiten, Unterleibs-Leiden mancherlei
Art, gichtische Beschwerden und dergleichen vorherrschen, die
stets um die Zeit des Eintritts der Catamenien neue Paroxysmen
bilden. Diese sind mit den gewöhnlichen Mitteln selten radical
zu beseitigen, sondern bedürfen der kräftiger einwirkenden anti-
psorischen Arzneien, z. B. Sepia, Conium, Lycopodium , Murias
Magnesiae, Silicea, Natrum muriaticum, besonders wenn vor dem
Eintritte der Regel Schwermuth und Traurigkeit das Subject be-
herrscht, u. s. w.

Eine andere krankhafte Erscheinung vor dem Eintritte der
Periode, auch wohl während derselben, ist das Anschwellen und
der Schmerz der äussern Brüste, wobei zugleich die Warze und
deren Hof heftig brennt, und sich röthet. Wärme ist hier jeden-
falls ein gutes diätetisches Hülfsmittel , und die diesem Symptome
am meisten entsprechenden Arzneien sind: Chamomilla, Pulsa-
tilla, Belladonna, Rhus, Conium, Calcar. carb., Carbo vegetab.,
Psorin.



Cancer, Carcinoma. Krebsbildung. 227

Vierzehnte Ordnung.
§. 135.

Cancer, Carcinoma. Krebsbildung, karcinomatöse Neub ildun g,
bösartige Pseud oplasm en.

Obgleich ich hier nur wenig Formen der Art specieller an-
führe und therapeutisch bearbeite, die übrigen etwa noch vor-
kommenden aber bei dem sie betreffenden Organe etwas näher
mit betrachten werde: so halte ich doch für zweckmässig, eini-
ges Wenige im Allgemeinen über diese Neubildungen hier vor-
anzuschicken, um den Leser durch dieses Wenige zum eigenen
Nachschlagen und zu seiner eigenen Weiterbildung anzuregen.

Neubildungen auf niederer Organisationsstufe gleichen den
ausgebildeten physiologischen Geweben nicht, sondern bestehen
aus Elementen, die entweder gar nicht in den normalen Gewe-
ben auftreten oder wenigstens nur auf den frühen Entwickelungs-
stufen derselben vorkommen.*) Die Mehrzahl trägt den Keim
zum Zerfallen in sich und zieht das normale Gewebe, in welches
diese Neubildungen abgelagert wurden, mit in die Zerstörung
hinein. Hieher gehört denn auch diese Krebsbildung, die
meist unmerklich und langsam entsteht; zuweilen jedoch auch
schnell und unter Entzündungssymptomen auftritt; entweder als
Infiltrat, oder in Form von Knoten von der verschiedensten
Grösse und Gestalt oder eingebalgt (Cystokarcinom) sich zeigt.
Die verschiedenen Arten der Krebse entstehen aus den verschiede-
nen Bildungs- Elementen, ob sie flüssiger, zelliger oder faseriger
Natur sind (Fett, Gallerte, Eiweiss, Bildungskugeln, Bildungszellen
mit Kernen, Fasern, Pigmentzellen, Fettzellen, Knorpelzellen etc.),
ob sie jedes einzeln oder zusammen vereinigt einwirken ; nicht
geringeren Antheil an diesen Afterbildungen hat das Entwicke-
lungsstadium, ihre Zusammensetzung, ihr Sitz und das Alter des
Patienten. Ihre Consistenz ist bald weich wie Hirnsubstanz,
bald derb wie Speck, bald hart wie Knorpel. Die Metamorpho-
sen, die ein solches Krebsgebilde eingehen kann, sind: Verjau-
chung, brandige Nekrosirung, Verseifung und Verschrumpfung ;



*) Bock, Dr. C. E. , Lehrbuch der patholog. Anatomie.

15 *



228 Cancer, Carcinoma. Krebsbildung.

letztere beiden können zur Heilung führen, vorausgesetzt, dass
das Allgemeinleiden, die Krebsdyskrasie, gehoben ist; Verjau-
chung oder Vereiterung ist der am häufigsten vorkommende
Ausgang.

Im mittleren und vorgerückteren Lebensalter findet sich vor-
züglich: Brustdrüsen-, Uterus-, Magen- und Darmkrebs; in der
Jugend: Lymphdrüsen-, Gehirn-, Bulbus- und Knochenkrebs.

Die verschiedenen Formen des Krebses sind: a.) Mark-
schwamm, Medullarkrebs, Zellenkrebs (Carcinoma
medulläre, Cancer s. fungus medullaris, Encepha-
loid); er umfasst den Fungus haematodes, wenn viel Blut-
gefässe eingewebt sind, und den Fungus melanodes, wenn
körniges Pigment sehr reichlich darin sich vorfindet. In Bezug
auf Consistenz ist er halbflüssig, speckig, knorplig; in Bezug
auf Farbe weiss, röthlich, grau - röthlich, schwarz ; in Bezug auf
Textur körnig, faserig, gefächert, gelappt, drüsig etc. Er ist
darum der bösartigste, weil er oft in grossen Massen und sehr akut
abgesetzt wird, sehr bedeutend und rasch wuchert, leicht exul-
cerirt und das normale Gewebe zerstört, auch wegen seines Ge-
fässreichthums leicht einer Entzündung und Hämorrhagie unter-
worfen ist. Am häufigsten kommt bei ihm aber auch die Natur-
heilung zu Stande durch Jauchung, Verseifung, Incrustation. Er
kommt vor in der Leber, Nieren, Hoden, Lymphdrüsen, Lungen,
Knochen.

b.) Faserkrebs, Skirrhus, Carcinoma fibrosum s.
simplex, in welchem die Faserbildung vorherrscht und darum
ist er der dichteste und härteste. Er wächst sehr langsam und
erzeugt durch seine Härte eine sehr nachtheilige Verdichtung und
Verschrumpfung der Nachbartheile; auch verschmilzt er mit letz-
teren, zieht sie an sich heran und bedingt Verkürzung, Verenge-
rung, Ortsveränderung der Organe. Wir finden ihn meistens in
Knotenform, höckerig, gelappt oder verästigt, in Brustdrüse, Ma-
gen, Dickdarm, Uterus, Speicheldrüsen, Knochen.

c.) Gallertkrebs, Alveolar- oder A reolar krebs ;
er besteht aus verschieden grossen und mehr oder weniger dick-
wandigen, zelligen Räumen, deren Wände aus Fasern gebildet
und welche mit einer gallertartigen, leimigen, gräulichen oder
gelblichen, durchsichtigen Masse gefüllt sind. Er kommt vor,



Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter. 229

besonders im Magen und Dickdarm, auf dem Bauchfelle, im Ova-
rium, in den Knochen; selten im Uterus, Leber, Niere.

Ursachen: Eine carcinomatöse Dyskrasie, eine primäre
Bluterkrankung, ausgezeichnet durch die Tendenz zur Carcinom-
bildung; Potenzen, welche die Vitalität im Allgemeinen herab-
setzen, als: schlechte Nahrung, Lichtmangel, feuchte Luft, ver-
nachlässigte Hautkultur, unterdrückte Sekretionen u. s. w. Oft
schon ehe noch das Dasein einer karcinomatösen Ablagerung durch
örtliche Symptome sich zu erkennen giebt, kündigt es sich schon
durch das Allgemeinleiden der Blutmasse an durch allgemeine
Schwäche, Abmagerung, Gefühl von Unwohlsein, Abgeschlagen-
heit, cachectisches Aussehen, Darniederliegen der Nerventhätig-
keit, unregelmässige Fieberanfälle u. s. w.

Ueber den Verlauf und die Ausgänge findet der Leser
in dem Vorhergehenden schon das Wissenswerteste mit berührt;
eben so in Bezug auf Prognose.

Ein therapeutisches Verfahren im Allgemeinen gegen
Krebs anzugeben, würde nur ein nutzloses Unternehmen und Ab-
mühen von meiner Seite sein, das dem Anfänger auch nicht den
geringsten Gewinn brächte. Das ist aber vielleicht keine ganz
unerspriessliche Bemerkung, dass auch der Homöopath in diesem
weit vorgeschrittenen Leiden sich oft in die Notwendigkeit
wird versetzt sehen, die symptomatische Indication als
die wichtigere in der Behandlung eines Carcinoms zu betrachten
und darnach zur Linderung der oft so furchtbaren Schmerzen, als
auch zur Verhütung der nachtheiligen Wirkung der Krebsjauche
auf die Nachbargebilde — sein Heilverfahren umzuändern.

§. 136.

Scirrhus et Carcinoma uteri. Skirrhosität und Krebs der
Gebärmutter.

Nicht leicht findet sich in diesem ganzen therapeutischen
Handbuche eine passendere Stelle, diese Krankheit des weiblichen
Geschlechts zu besprechen, als hier, wo von Gongestionen und
Blutungen dieser Organe ebenfalls die Rede war, von denen die
ersteren doch gewiss einen nicht unbedeutenden Antheil an der
ersten Bildung der in der Ueberschrift angegebenen Krankheit



230 Einschaltung anderer weiblichen Krankheits-Erscheinungen.

haben; die letztern aber beim Fortschreiten der Krankheit oft
auf eine sehr beunruhigende Weise auftreten.

Bevor ich jedoch in Angabe dieser Krankheit weiter fort-
fahre, muss ich mir die Aufmerksamkeit der Leser noch auf einige
Minuten für krankhafte Erscheinungen, die die klimak-
terischen Jahre mit sich führen und die nicht unbedeutend für
das Entstehen der Eingangs besprochenen Krankheit sind, erbitten.

§. 137.

Einschaltung einiger, wenn auch nicht unmittelbar hieher
gehörigen, weiblichen Kr ankheits - Erschei nung e n.

In der Zeit der natürlichen Cessation der Menstruen sind Feh-
ler in der Diät und Lebensweise nicht selten Ursache, dass das
Wegbleiben der Menstruation nicht ohne stürmische Zufälle er-
folgt. Die Periode erscheint sehr unordentlich, bald alle 14
Tage oder drei Wochen, bald erst nach mehreren Wochen und
Monaten, und dann oft als Metrorrhagie. Congestionen nach
verschiedenen Theilen des Körpers sind dann dadurch bedingt,
besonders bei Vollblütigkeit, vieler Ruhe, guter Nahrung und
bei dem reichlichen Genüsse von Kaffee, Thee, Wein u. s. w.
Nicht selten erscheint eine solche Congestion an der Peripherie
des Körpers und zeigt sich als Sugillation, Extravasat in der
Haut, mit brennendem Stechen und Jucken im ganzen Hautorgane,
mit Unruhe des ganzen Körpers, unruhigem, beängstigendem
Schlafe, Hartleibigkeit und Stuhlverstopfung. Unter solchen Um-
ständen ist es ein leicht möglicher Fall, dass die Beschwerden,
bei nur einiger Steigerung, in Apoplexia sanguinea über-
gehen können. — Bei geregelter Diät entspricht kein Mittel dem
Zustande besser, als Nux vomica in öfter wiederholter Gabe,
die überhaupt vielen Frauen, namentlich robusten und vollblüti-
gen, in dieser Zeit am besten zusagen wird.

Aeussert sich dagegen die Congestion in den eigentlich affi-
zirten Theilen , giebt sie sich durch Brennen, Stechen, Vollsein,
Spannung und Drängen in den ihnern Geschlechtstheilen zu er-
kennen, verbinden sich wohl auch ziehend-schneidende oder em-
pfindlich drückende, klammartige Schmerzen in der Lenden- und
Kreuzgegend damit: so ist Belladonna der Nux, ebenfalls in
wiederholten Gaben, vorzuziehen, der alsdann Hepar sulphur.



Einschaltung anderer weiblichen Krankheits-Erscheinungen. 231

oder Sulphur selbst wird folgen müssen, versteht sich, wenn die
Krankheitszeichen diese Mittel indiziren, was allerdings der öfter
vorkommende Fall ist.

Eben so sehr wie starken und vollblütigen sind aber auch
sehr reizbaren und nervenschwachen Personen Kaffe, Thee und
andere erhitzende Getränke zu untersagen und ihnen in dieser
Zeit fleissige Bewegung in freier Luft anzurathen. Wenn auch
ihnen eine von Zeit zu Zeit gereichte Gabe Nux von Nutzen ist,
so dürfte ihnen doch Aconit und Coffea, im Wechsel gegeben,
weit erspriesslicher sein und von lgnatia und Pulsalilla, je nach
den hervorstechenden Symptomen, wesentlich unterstützt werden.

Ist die Congestion nach dem Kopfe in dieser Zeit vorherr-
schend, giebt sie sich durch Brenngefühl im Kopfe, wohl auch
Nasenbluten und andere schon unter Kopfcongestion angeführte
Zeichen zu erkennen: so finden wir hier in öfteren Dosen Cro-
cus ein herrliches Heilmittel, dem Carbo vegelab. dann, zur voll-
ständigen Heilung der krankhaften Disposition, wird folgen müssen.

Ich schliesse hier noch einige andere krankhafte Zustände
an, die zwar noch weniger hieher gehören, die ich aber doch
nicht ganz unberührt lassen mögte, da ich sie in den beiden vo-
rigen Auflagen mit erwähnte und ich dem Vorwurfe der Unvoll-
ständigkeit ausweichen will. Der Leser möge daher den unpas-
senden Ort entschuldigen, für den ich keine gelegenere Stelle
zu finden wusste.

Aus der Zeit der zeugungsfähigen Jahre nehmen Frauen oft
einen dicken starken Leib, mitunter sogar einen wahren
Hängebauch, mit in ihr späteres Leben hinüber, dem sie gern
abgeholfen wissen mögten. Jörg empfiehlt dagegen: öfteres
Waschen mit einer Mischung aus gleichen Theilen Rum und Wein-
essig und das Tragen einer zweckmässigen Leibbinde. Unser
verstorbener Gross hingegen glaubt, dass sich von dem Ein-
nehmen einer von Zeit zu Zeit wiederholten Gabe Sepia weit
mehr erwarten lasse.

Wochenbetten legen durch ihre eigenthümlich krankhaften
Erscheinungen wohl oft den Grund mit zu dem in spätem Jahren
sich entwickelnden Mutterkrebs. Hieher sind vorzüglich mit zu
zählen die während der Entbindung selbst und nachher im Wo-
chenbett durch störende Einflüsse eintretenden Metrorrhagieen,



232 Einschaltung anderer weiblichen Krankheits- Erscheinungen.

die aber in der Zeit die höchste Schwäche und Erschö-
pfung mit sich führen. Letzterer entsprechen wir am treffend-
sten mit China, die hier die gesunkenen Kräfte am schnellsten
hebt und der man nach einigen Gaben Kreosot wird folgen las-
sen müssen. — Wäre die Schwäche und Erschöpfung hingegen
rein nervöser Art, so sind täglich einige magnetische Striche oft
schon zur Hebung derselben ausreichend; wo nicht, so sind Cof-
f'ea, Veratrum, Valeriana, Viola odorata, Aconit, Nitri aciclum,
Sulphur und besonders Kali carbon. indizirt.

Dem Ausfallen der Haupthaare, häufig von den weiter
oben bezeichneten Kopfcongestionen abhängig, kann am häufigsten
durch öftere Gaben Lycopodium Einhalt gethan werden. Nach
Gross's Erfahrungen sind aber auch noch Tinct. sulphur., Natrum
muriat., Carbo veget. und Sepia hülfreich befunden worden, denen
sich Calcar. carb. besonders dann anschliesst, wenn Patientin ihre
Regeln von jeher sehr stark hatte. Noch Vorzüglicheres Hesse
sich vielleicht gegen diesen Uebelstand von dem Mutterkorn des
türkischen Weizens erwarten, das in Amerika unter dem Namen
Mais peladero bekannt ist*).

Ein anderes, beschwerlicheres Leiden ist ein Vorfall der
Mutterscheide oder des Uterus (Prolapsus vaginae
s. uteri.) Unerlässlich sind hier die mechanischen Hülfsmittel,
durch welche die vorgefallenen Theile in ihrer normalen Lage
erhalten werden, denn ohne sie ist eine Heilung nicht denkbar;
eben so nöthig ist aber auch eine öfter* horizontale Lage mit
erhöhetem Kopfe. Zweckdienliche Heilmittel sind bei Vorfall
der Scheide: Arnica, Mercur., Nux; bei Vorfall des Uterus: Se-
pia, Bellad., Aurum, Nux und Calcar. carb.

Unfruchtbarkeit des Weibes liegt der in der Ueberschrift
des vorigen Paragraphen angegebenen Krankheit nicht zu fern,
wenigstens finden wir doch nicht so gar selten, dass unfruchtbare
Weiber diesem Leiden unterworfen sind. Ich sehe ganz von den
Missbildungen und Desorganisationen der weiblichen Geschlechts-
theile ab, die unbedingt Sterilität herbeiführen müssen und be-
spreche hier nur diejenige, der durch homöopathische Mittel ab-
geholfen werden kann.

*) S. Allg. homöop. Zeitung. Bd. I. S. 68.



Einschaltung anderer weiblichen Krankheits-Erscheinungen. 233

Oft finden wir, dass Frauen viele Jahre vermählt sind, ohne
schwanger zu werden, und erst später zu diesem Glücke gelan-
gen. Dass in solchen Fällen wichtige Hindernisse obwalten müs-
sen, liegt auf der Hand; häufig mag wohl die Verschiedenheit
der Temperamente und die Gemüthsart ein Hinderniss sein, das
erst durch vieljähriges Zusammenleben ausgeglichen wird. Auch
grosse Abneigung gegen den Gatten in geistiger Beziehung und
mancherlei Krankheitszustände des letztern sind oft der Grund,
dass das übrigens gesunde Weib nicht concipirt. Diese Ursachen
lassen sich nun beim Weibe durch Arzneien nicht ausgleichen. —
Mehrere andere Hindernisse hingegen hebt die Zeit oft von selbst,
oder sie sind durch die Kunst zu beseitigen. Diese Hindernisse
nun müssen erforscht und die ihnen entsprechende Behandlung
eingeleitet werden. So haben wir dem durch Onanie herbeige-
führten Fluor albus, der eine gewöhnliche Ursache der Sterilität
ist, auf die schon früher angegebene Art mit den dort genannten
Mitteln zu begegnen. — Liegt der Grund der Unfruchtbarkeit in
übermässiger Geilheit des Weibes, so wüsste ich kein passende-
res Heilmittel als Piatina, der vielleicht noch Phosphor zur Seite
gesetzt werden dürfte. — Giebt unterdrückte Regel die Ursache
ab, so ist Conium nicht leicht durch eine andere Arznei zu er-
setzen. — Ist hingegen zu starke Menstruation der Grund, so
erweist sich Mercur hülfreich, der auch bei zu früher und zu
starker Regel, neben Nafrum mur., Calcar. carb., Acid. sulphur.
und Sulphur, mit in die Wahl fällt. — Zögernde Menstruation
deutet ebenfalls auf Innormalität in der Function des Uterus und
davon abhängende Sterilität hin und findet ihre Hülfsmittel in
Graphit und Caustic. — Zu schwache Regel bedingt in sehr vie-
len Fällen Unfruchtbarkeit; sie wird am sichersten durch die An-
wendung des Ammon. carb. regulirt.

Wo aber keine von den genannten Ursachen aufzufinden ist,
im Gegentheil Mann und Weib sich nicht blos körperlich gesund
und wohl, sondern auch geistig sich nahe verwandt und überein-
stimmend fühlen, da vermag die Homöopathie noch oft zu helfen.
Eins der ersten und obenanstehenden Mittel ist Sabina, sowohl
dem Manne als auch dem Weibe gegeben, öfters wiederholt. —
In keiner Beziehung dem genannten nachstehend ist Cannabis,
auf gleiche Art und täglich wiederholt anzuwenden. Ich wen-



234 Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter.

dete früher diese Mittel unverdünnt an, musste aber, namentlich
bei letzterem, zur Beschwichtigung lästiger Nebensymptome, den
Mercur. solub. zwischen ein geben, wodurch ich aber vielleicht
erst noch die nöthige Empfänglichkeit herbeiführte. Jetzt über-
lasse ich Jedem die Anwendung nach seiner Art.

Ausser den verzeichneten Arzneien dürften vielleicht noch
folgende zu berücksichtigen sein: Ruta, Dulcam., Agnus castus,
Camphora, Cicuta, Hyosc, Croc, Sepia, Nalr. mur.

§. 138.

Kein Organ ist mehr zu krebsiger Entartung geneigt, als der
Uterus. In der Regel beginnt sie am Mutterhalse und an der
Vaginalportion, breitet sich in den Wänden des Uterus und in
der Scheide aus. Der Uterinkrebs ist meist der medulläre, sel-
ten der fibröse, häufig sind beide combinirt. Es bildet sich dann
das eigentliche Krebsgeschwür mit callösem und schwammigem
Grunde und Rändern, blumenkohlartigen, fungösen Wucherungen
und fortschreitender krebsiger Infiltration der Umgebung; durch
die immer weiter um sich greifende Verjauchung entsteht die
fürchterlichste Zerstörung; die Höhle des Uterus bildet oft mit
Mastdarm und Harnblase eine weite Kloake. — Canstatt un-
terscheidet noch zwei andere Zustände des Uterus, die dem We-
sen nach zwar verschieden, doch viel Gemeinschaftliches in Be-
zug auf Symptome und Ausgänge haben.

Zuerst die b lumenkohl ähnliche^ passender erdbee-
renähnliche Excrescenz des Muttermunds, die ihren
Sitz auf einer der beiden Lefzen hat, oder von dem ganzen Umkreise
des Muttermunds mit breiter Basis entspringt. Sie ist weich, hat
eine unregelmässige granulirte, erdbeerenähnliche Oberfläche, oder
fühlt sich an wie eine Placenta auf ihrer der Gebärmutter zugekehr-
ten Fläche ; sie hat eine lebhafte oder fleischrothe Farbe, ist oft
nicht grösser als eine Haselnuss, kann aber auch die ganze Scheide
ausfüllen und theilweise aus den Geschlechtstheilen hervorragen.

Als eine zweite, vom Mutterkrebse verschiedene, zerstörende
Krankheitsform führt er an: das sogenannte phage dänische
oder fressende Geschwür des Uterus. Es geht eben-
falls som Cervix uteri aus, charakterisirt sich aber dadurch, dass
der Vers.chwärung keine Scirrhescenz , keine feste pseudoplasli-



Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter. 235

sehe Ablagerung oder Infiltration der Theile vorauszugehen scheint;
rund um die Verschwörung ist das Uteringewebe gesund, oder er-
weicht und gelb oder rothbraun gefärbt; die Zerstörung kann
sich auf die Wandungen der Gebärmutter und Vagina, auf Mast-
darm, Harnblase und Bauchfell ausbreiten.

Die Anfänge des Uterinkrebses werden häufig verkannt und
für einfache Menstruationsanomalie, Leucorrhöe und chronische
Metritis gehalten ; die ersten Erscheinungen sind gewöhnlich Stö-
rungen in der Menstruation, als: Aufhören derselben, oder häu-
figere Wiederkehr; statt ihrer irreguläre Blutungen, weisser
Fluss, Nach den klimacterischen Jahren erscheinen die Regeln
unerwartet wieder und arten bald zu Hämorrhagieen aus. Anfangs
klagt die Kranke oft nur über ein Gefühl von Schwere, Ziehen
im Becken, Drängen nach den Geschlechtstheilen, oder die Schmer-
zen werden durch Körperbewegung, Erschütterung, Beischlaf, Tou-
chiren erregt. — Bei der Untersuchung zeigt sich die Vaginal-
portion härter, als im gesunden Zustande, von ungleichem Wider-
stände, angeschwollen, missgestaltet, knotig und höckerig, em-
pfindlich gegen Druck und leicht blutend; die Muttermundslippen
sind aufgetrieben, aufgeworfen, eingekerbt, der Muttermund wei-
ter geöffnet als gewöhnlich. — Im Verlaufe der Krankheit wer-
den die Schmerzen, besonders Nachts, äusserst heftig, drängend,
stechend, schiessend, brennend, nicht blos im Becken, sondern
längs der Lenden, Hüften, Schenkel herab, entweder anhaltend
oder in Öftern Paroxysmen wiederkehrend, so dass man sie oft
für neuralgischen Ursprungs hält. Charakteristisch sind die mehr
oder weniger heftig brennenden und stechend -bohrenden Schmer-
zen über den Schambeinen und im Kreuze, längs den Hüften und
Schenkeln, die das Gehen, oft selbst das Sitzen erschweren;
ein Anschwellen und Spannen der Drüsen in der Weichengegend;
oft ist ein brennender Schmerz tief im Becken andauernd mit
flüchtigen durch die Gebärmutter fahrenden Stichen. Aus den
Geschlechtstheilen fliesst in grosser Menge eine penetrant rie-
chende missfarbige, weinhefenfarbene, braunröthliche scharfe
Jauche aus , die Jucken und Schmerz in den äussern Genitalien
erregt, die Haut der Schenkel exeoriirt und die Atmosphäre
der Kranken verpestet. Copiöse Blutungen, coagulirte und
faserige Substanzen enthaltend, treten häufig ein und erschö-



236 Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter.

pfen die Kranke immer mehr. — In dieser Periode nun hat sich
das Krebsgeschwür zu einem offenen, unregelmässigen ausgebil-
det, das man leicht mittels des Fingers erkennt; der Gebärmut-
terhals ist höckerig und mit jenen oben bezeichneten weichen
leicht blutenden Auswüchsen besetzt, die an der Basis wie einge-
schnürt sind und die ganze Scheide ausfüllen, die ebenfalls Theil
an der Krankheit nimmt, denn ihre Wände sind verhärtet oder
entartet, so dass dieselbe sich beim Einführen des Fingers wie
ein harter zusammengezogener Ring anfühlt.

Der Zustand der Kranken nimmt nun immer deutlicher das
Gepräge der Krebscachexie an, Gesichts- und Hautfarbe werden
blass, färben sich mit dem charakteristischen strohfarbenen Co-
lorit, in den Gesichtszügen liegt der Ausdruck tiefen Leidens;
die Verdauung wird beschwerlich, Schlaflosigkeit, Schmerzen und
Säfteverlust entkräften die Kranke, sie magert ab und bald tritt
hektisches Fieber hinzu. — Es ist verzugsweise eine Krankheit der
climacterischen Jahre, die zwischen den 40. und 50. Jahren auftritt.

Die Prognose ist die ungünstigste.

§. 139.

Behandlung dieser Krankheitsform. Nur wenige
homöopathische Aerzte haben, so viel mir bewusst, etwas über
die Behandlungsart dieses Leidens bekannt gemacht; es wird da-
her wohl selbst manchem erfahrenen Homöopathen, dem diese
Krankheit noch nicht zur Behandlung vorgekommen ist, nicht un-
willkommen sein, wenn ich hier meine darin gemachten Erfahrungen
mittheile, die sich zwar, bei schon völlig ausgebildetem, auf der
höchsten Stufe stehenden Leiden nicht auf Heilung, sondern nur
auf Linderung beschränken, womit jedoch den armen Leidenden
wesentlich gedient ist, indem sie, wie schon unter der Diagnose
gedacht, oft über unnennbare Schmerzen zu klagen haben. —
So viel ist gewiss, dass die Krankheit beseitigt werden kann, wenn
sie noch im Entstehen begriffen ist, also dann: wenn die Gebär-
mutter aufgetrieben ist, dicht über den Schamknochen als ein
harter Körper sich fühlen lässt, der zu der Annahme einer Schwan-
gerschaft berechtigt (die selbst in diesem Zeiträume noch vor-
kommen kann), besonders wenn dabei, wie es hier nicht selten
der Fall ist, die Brüste mit anschwellen. Genauere innere und



Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter. 237

äussere Exploration lehrt uns übrigens genau diesen Zustand er-
kennen, der uns durch folgende Zeichen noch klarer wird: Drän-
gen und Völle in den inneren Geschlechtstheilen, die das Stehen
sehr erschweren und wobei zugleich auch die Kreuzbeingegend
schmerzhaft affizirt ist. Verbindet sich hiermit schon zur unregel-
mässigen Zeit ein blutig-jauchiger Ausfluss aus den Geschlechts-
theilen, stellen sich, wenn auch nicht anhaltend, doch paroxys-
menartig, krampfhafte und oft drängende, kolikartige Beschwer-
den im Uterus ein, in deren Folge oft ein dickflüssiger, schmie-
riger, carbonisirter Blutabgang ausgeschieden wird, so wird im
erstem Falle Belladonna, im letztern, namentlich wenn das Sub-
ject früher sehr stark menstruirt war, Piatina als das passendste
Mittel indizirt sein, das noch gewichtiger in die Wagschale fällt,
wenn man erwägt, dass es Verhärtung des Uterus mit Krampf und
Stechen in demselben heilt. — Sollten Stuhlverstopfung, sehr
gesteigerte Nervenreizbarkeit des kranken Subjects, ein zwar mehr
geregelter, nur etwas lange sich hinschleppender Blutabgang, der
sehr scharf ist und ein brennendes Beissen und Jucken in den
Geschlechtstheilen erregt, sich damit verbinden, so thut der Arzt
wohl, von Zeit zu Zeit eine oder einige Gaben Nux zu interpo-
niren, um ein Hinderniss zu entfernen, das auf die Wirkung der
specifischen Arzneien so grossen Einfluss äussert. — Sehr oft finden
wir, dass nicht allein die fortwährenden Schmerzen, sondern auch
die von Zeit zu Zeit sich einstellenden Blutungen die Kräfte
der Kranken sehr mitnehmen und letztere auf eine enorme Art
schwächen. In einem solchen Falle ist dann und wann ein ma-
gnetischer Strich ganz am passenden Orte, der die Wirkung der
hier ganz besonders indizirten China wesentlich unterstützt, die
aber öfter wiederholt werden muss.

Klagt die Kranke über ein vehementes Brenngefühl nicht blos
in den innern Geschlechtstheilen, sondern überhaupt in der Tiefe
des Uuterleibs, exacerbiren die Schmerzen besonders in den Mit-
ternachtsstunden, wird dabei die Brust consensuell mit ergriffen
und stellt sich in derselben eine unbeschreibliche Angst ein, die
der Kranken an keinem Orte Ruhe lässt; ist dieser Zustand von
einem unauslöschlichen Durste begleitet; zeigt die innere Unter-
suchung bedeutende Verhärtung des Uterus, bei einem fortwäh-
renden scharfen, wundfressenden Schleimausflusse aus den Ge-



238 Scirrhus et cacrinoma uteri. Krebs der Gebärmutter.

schlechtstheilen: so wüsste ich kein Mittel zu nennen, was eine
heilbringendere Wirkung in dem Gesammtleiden hervorbrächte,
als Arsenicum album. — Fehlen hingegen alle diese hier ge-
nauer bezeichneten Schmerzen, bestehen sie mehr in krampfhaf-
ten Zusammenziehungen dicht über und hinter den Schamknochen,
wobei jedesmal ein fleischwasserähnliches Serum ausgeschieden
wird, so wird Cocculus am schnellsten Hülfe zu schaffen im Stande
sein. Aehneln die krampfhaften Zusammenziehungen mehr den
Geburtswehen, wodurch coagulirtes, dunkel aussehendes Blut aus
den Geschlechtstheilen hervorgetrieben wird, so ist Chamomilla
öfters das passendste Heilmittel.

Diess sind nun wohl die leichtern, noch unentwickelten, noch
in der Ausbildung begriffenen Fälle, denen das angegebene Ver-
fahren und die bezeichneten Mittel entsprechen, denen wohl noch
einige andere, wie Bryonia, Ignat. etc. beizufügen sind; für die
weiter vorgeschrittenen, schon in ein höheres Stadium eingetre-
tenen Fälle reichen diese Arzneien nicht aus (obschon Arsen.
aus diesem Cyclus auch nicht ausgeschlossen bleibt), sondern wir
müssen zu kräftigeren, oder besser, zu specifischeren unsere
Zuflucht nehmen. Unter allen aber steht, nach den wenigen Er-
fahrungen, die ich seitdem gemacht habe,

Kreosot oben an, was auch Dr. Wähle in seinen Memora-
bilien aus der Praxis im 1. Hefte des 3. neuen Archiv-Bandes be-
stätigt. Diese wundervolle Arznei bietet der Aehnlichkeiten mit
der so furchtbar zerstörenden Krankheit % viele dar, dass man
beim Durchlesen der weiblichen Geschlechts -Symptome unwill-
kürlich auf seine heilbringende Kraft in der besprochenen Krank-
heit hingeführt wird. Es hat die elektrischen Stiche in der
Scheide, wie aus dem Bauche, zum Erschrecken und Auffahren;
das wollüstige Jucken tief in der Scheide, mit Brennen und Ge-
schwulst der innern und äussern Lefzen; die innere Untersuchung
zeigt am Mutterhalse harte Knoten; beim Beischlafe Geschwür-
schmerz; Regel erscheint um 4 — 10 Tage zu früh, hält bis zu
8 Tagen an, wobei starker Abgang eines dunkeln, oft stückwei-
sen Blutes stattfindet, mit Kreuzschmerzen und nachfolgendem
Abgange scharf riechender, blutiger Jauche, unter fressendem
Jucken und Beissen an den Theilen; die Regel setzt Stunden
und Tage lang aus, kehrt aber dann unter heftigen Leibschmer-



Scirrhas et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter. 239

zen, nur dünnflüssiger wieder; das Drängen und Pressen nach
unten dauert nach der Regel unter heftigen Unterleibskrämpfen,
besonders in den Schössen, fort; Mutterblutflüsse, selbst der an-
dauernde fressende Weissfluss fehlen nicht; ausserdem finden wir
die Exacerbation der Schmerzen zur Nachtzeit, die Ohnmachts-
Anwandlungen beim Aufstehen, das leichte Frieren zur Regel-
zeit, die verdriessliche wehmüthige Stimmung, die erdfahle Ge-
sichtsfarbe etc.

Ihm zunächst steht unstreitig Jodium, von dem ich zwar
noch nicht Gebrauch habe machen können, da die gegenwärtigen
Symptome in zu grellem Widerspruche mit den übrigen dieses
Mittels standen. Charakteristisch ist die Verhärtung des Uterus
(wohl nur des untern Segments) und die krebsartigen Zerstörun-
gen am Mutterhalse, die heftigen langdauernden Mutterblutflüsse,
die selbst bei jedem Stuhlgange repetiren, unter Schneiden im
Bauche, Schmerzen im Kreuze und den Lenden, das Schwinden,
die Abmagerung, das Welken der Brüste, die braungelbe Gesichts-
farbe, Abgeschlagenheit, Abspannung, Neigung zu Ohnmächten
und Krämpfen.

Nach ihm kommt, meinen gemachten Erfahrungen zu Folge,
Thuja. Ich habe mit ihr in früheren Zeiten wesentlichen Nutzen
gebracht, konnte aber freilich mit ihr allein nicht heilen und die
ausser Jod. und Kreosot verzeichneten Mittel waren auch nicht
vollkommen ausreichend; möglich jedoch konnte es auch sein,
dass die Fälle, die sich mir darboten, in ihren Zerstörungen schon
so weit vorgeschritten waren, dass überhaupt die Heilung in das
Reich der Unmöglichkeiten gehörte. Genug, ich heilte mit ihr nicht
blos bedeutende Verhärtungen und Schrunden des Mutterhalses
und Muttermundes, sondern auch die dem Blumenkohl ähnlichen,
leicht blutenden, übel und scharf riechenden Auswüchse vermin-
derten sich und erschlafften. Ich habe seit jener Zeit so exqui-
site Fälle noch nicht wieder zu Gesicht bekommen, glaube aber
gewiss, dass ich auch jetzt noch viel und vielleicht weit mehr mit
der Thuja ausrichten würde, weil wir vor der Wiederholung der
Arzneidosen nicht mehr so zurückschrecken, wie sonst, was wohl
auch der mögliche Fall des damaligen Misslingens sein konnte.
Passender scheint mir die Thuja jedoch für die Fälle zu sein,
wo die wuchernden Auswüchse trocken, mehr gewöhnlichen War-



240 Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter.

zen ähnlich sind und beim Harnen ein empfindlicher Stichschmerz
und Brennen in denselben gefühlt wird.

Jedenfalls hat Herr Dr. Wähle in Rom noch eine grössere
Kenntniss der physiologischen Wirkungen des Graphit, als wir
sie unter diesem Mittel verzeichnet finden, aus denen sich unmög-
lich die im Mutterkrebs vorkommenden Zerstörungen abstrahiren
lassen; nur das eine, etwas unsicher dastehende Symptom könnte
eine Analogie verstatten: ein verhärteter Eierstock schwillt auf,
mit Steinhärte und heftigem Schmerze bei Berührung und hefti-
gen Stichen zum Rasendwerden beim Einathmen und Räuspern,
unter allgemeinem Schweisse und Schlaflosigkeit. — Die Symp-
tome, nach denen er dieses Mittel anwendete, waren folgende:
„Vagina sehr heiss und schmerzhaft; Anschwellung der Lymph-
gefässe und Schleimdrüsen, deren einige die Grösse einer Lam-
bertsnuss hatten; Mutterhals hart und geschwollen, auf der lin-
ken Seite desselben 3 Knoten von verschiedener Grösse, die aus
mehreren einzelnen Tuberkeln bestanden, die sich zu einem blu-
menkohlartigen Auswuchs umzugestalten drohten; Schmerz die-
ser Knoten; beim Aufstehen empfindet sie eine grosse Last tief
im Unterleibe bei vermehrten Schmerzen, zugleich bei grosser
Schwäche und Zittern der Beine, zur Zeit ihrer Periode, die sich
alle 6 Wochen einstellt, leidet sie am meisten, kurz vor dersel-
ben und bei deren Eintritt; das Blut ist schwarz, klumpig, riecht
stark; sie klagt stets über Schwere, gleich einem Bleiklumpen,
im Leibe mit heftigen, lanzinirenden Stiegen in der Gebärmutter,
die sich wie ein elektrischer Strom den Schenkeln mittheilen;
immer sind die Schmerzen brennend und stechend ; sehr oft hef-
tige Stiche im Uterus, als wenn mit einem Dolch hindurch ge-
stochen würde, die sich ebenfalls den Schenkeln mittheilen; we-
nig Appetit, Stuhlverstopfung, 2 — 4 Tage lang, dann mit vielem
Pressen; erdfahle Gesichtsfarbe, häufiges Frösteln ohne nachfol-
gende Hitze und Schweiss; traurig, ängstlich, mitunter desperat;
Puls frequent und härtlich."

Obgleich ich in den früheren Auflagen dieser Therapie Se-
eale comutum als ein Heilmittel in dieser Krankheisform mit em-
pfohlen habe, so habe ich doch meine Ansicht dahin abgeändert,
dass diese Arznei in dieser Krankheit ihren richtigen Wirkungs-
kreis nicht findet, sondern mehr für die Putrescentia uteri



Scirrhus et Carcinoma uteri. Krebs der Gebärmutter. 241

passend ist; überhaupt also, wo das Leben in diesen Organen
zu erlöschen droht oder schon erloschen ist, nicht da, wo es zu
einer excentrischen, krankhafte Bildungen erzeugenden Thätig-
keit sich erhebt. Ich nehme diese Bemerkung mehr aus dem
allgemeinen Charakter dieses Mittels ab, der mehr diese uner-
bittlich kalt zerstörende Kraft in sich birgt, als eine Leben brin-
gende, und wäre es auch nur eine unheilbringende, Desorgani-
sationen bildende. Doch ist es immer beriicksichtigungswerth und
aus der Reihe der hier indizirten Mittel nicht ganz zu verweisen.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #11 on: April 30, 2013, 09:36:10 PM »

Mehr Anspruch auf Heilkräftigkeit im Uterin - Carcinom als
das vorige hat wohl noch Sabina, die für das weibliche Geschlecht
ganz besonders passend zu sein scheint. Das lastende Drücken
im Unterbauche, mit dem wehenartigen Zusammenziehschmerz im
Uterus und den Lendenwirbeln, dieser häufige Abgang geronne-
nen, klumpigen Blutes, besonders stark bei Bewegung, wobei der
Muttermund stets geöffnet ist — geben gute Criterien für ihre
Anwendung in diesen Leiden ab.

Ich habe früher Mercur und Staphysagria als passende Zwi-
schen-, ja Heilmittel mit aufgeführt, besonders bei Schmerzen in
den Becken- und Oberschenkelknochen, die oft sogar aufgetrieben
sind; aber auch selbst ohne diese Beschwerden bleiben sie unent-
behrliche Arzneien in dieser Krankheit, vornemlich wenn eine sy-
philitische oder mercuriell-syphilitische Beimischung als Grundur-
sache der ersten Formation des Leidens mit angenommen werden
muss, was hier ein nicht gar zu seltner Fall ist. Aus diesem Grunde
wird auch Acidum nitri immer mit in die Wahl fallen, wenigstens
beachtenswerth sein, wenn besonders die Kranken über Drücken
im Bauche und Kreuzschmerzen, über Krampfschmerzen, als sollte
der Leib zerspringen, dass sie an keiner Stelle Ruhe finden, kla-
gen; ferner über Drängen und Pressen bis tief in die Scheide,
als sollte Alles zu diesen Theilen heraus, mit Kreuzschmerz und
Ziehen in den Hüften, die Beine herab; höchste Schwäche, däss
es ihnen Sprache und Luft benahm und sie liegen mussten.

Ich kann auch jetzt noch nicht die Carbo vegetab. aus der
Reihe der zweckdienlichen Unterstützungsmittel verbannen, da
ich mich zu gut entsinne, welche auffallende Dienste mir diese
herrliche Arznei gegen den oft unerträglichen, zu bestimmter Zeit
des Tages eintretenden, mehr und mehr sich steigernden, dann
II. 16



242 Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse.

allmälig wieder nachlassenden Brennschmerz tief im Becken lei-
stete, der mit 2 — 3 Gaben vollständig beseitigt wurde.

Kali carbon. hat mir früher in diesen Leiden genützt und
wird daher auch ferner nicht ausgeschlossen bleiben dürfen von
den hieher zu zählenden Mitteln, da diese Krankheit in ihren
Schmerzäusserungen und anderen Erscheinungen sich so höchst
verschiedenartig gestaltet, dass wir der helfenden, die Cur we-
sentlich unterstützenden Mittel — wären sie auch nur gegen ein-
zelne Symptome gerichtet — nicht genug haben können, was
bis jetzt gerade noch nicht der Fall ist. Immer wird es zu be-
rücksichtigen sein, wenn ein scharfes, übelriechendes, qualitativ
verändertes Monatsblut ausgeschieden wird, unter Frösteln und
krampfhaften Schmerzen im Unterleibe.

Conium, dieses auf weibliche drüsige Organe so einfluss-
reiche Mittel, bedarf der besondern Empfehlung in diesen Leiden
nicht weiter; wir können es nicht entbehren, so wenig wie Sul-
phur. Die besonderen Indicationen vermag ich nicht weiter an-
zugeben, da die früher behandelten Fälle meinem Gedächtnisse
gänzlich entschwunden und die aufgezeichneten Data mir leider
nicht mehr zu Gebote stehen.

§. 140.

Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse.

Fast keine Drüse wird häufiger vom Scirrhus ergriffen, als
die Brustdrüse, doch weniger bei Mänifcrn, als Frauen. Wohl
ist es möglich, dass der Keim zur Entstehung dieses Leidens häu-
fig in den früheren Jahren bei Frauenzimmern dadurch gelegt
wird, dass sie Knötchen und Verhärtungen in den Brüsten un-
beachtet oder aus übergrosser Schamhaftigkeit einem erfahrenen
Arzte sich anzuvertrauen unterlassen. Wundern darf es dann
nicht, wenn diese bis in die klimakterischen Jahre durch die
Kraft der Jugend zurückgehaltenen, wenigstens unverändert ge-
bliebenen und nicht schmerzhaft gewordenen Knoten nun mit ei-
nem Male zu wachsen und schmerzhaft zu werden anfangen. Läge
ihnen aber nicht ein schlummerndes Psora-Siechthum zu Grunde,
so würden sie dennoch in den wenigsten Fällen zur weitern Aus-
bildung gelangen, sondern als unschädliche todte Masse unver-
ändert stehen bleiben.



Scirrhus s. Cancer maramae. Krebs der Brustdrüse. 243

Am gewöhnlichsten zeigt sich aber, entweder ohne auffal-
lende vorausgegangene Ursache oder nach einem Stosse , Drucke
u. s. w. , ein harter Knoten in der Brust, der rund und beweg-
lich ist, bei seiner Vergrösserung aber uneben und höckerig
wird; es entsteht ein zweiter und dritter Knoten, welche durch
Stränge verhärteten Zellgewebes mit einander verbunden schei-
nen. Indem diese einzelnen Knoten sich nun vergrössern, ver-
schmelzen sie sich unter einander und mit der Drüse, und brei-
ten sich besonders nach der Achselhöhle hin aus. Es stellen
sich vorübergehende Iancinirende Schmerzen ein, durch Druck
nicht vermehrt, die sich häufig nach der Schulter und über den
Arm ausbreiten. Bei weiterer Zunahme der Geschwulst und ver-
mehrter Heftigkeit der Schmerzen nähert sie sich der Haut, die
nun ein gestreiftes, narbenähnliches Aussehen erhält, und deren
Talgdrüsen oft mit schwarzer Masse gefüllt sind. — Die Haut
verwächst mit der Geschwulst, welche sich an einer Stelle be-
deutender erhebt, röthet sich, wird dünn, die Venen schwellen
an, die Brustwarze zieht sich zurück und bildet statt einer Erha-
benheit eine Vertiefung. Die Haut bricht endlich auf und bildet
ein nach allen Richtungen fortschreitendes Geschwür mit harten,
dunkelroth glänzenden Rändern, mit unreinem, abgestorbenem
Grunde, doch nicht so copiösem und übelriechendem Ausflusse;
das Geschwür ist mehr eine tiefe Spalte, ohne wuchernde Ex-
crescenzen. — Die Achseldrüsen, die Drüsen am Schlüsselbeine,
im Nacken u. s. w. schwellen an, wenn es nicht schon früher
geschehen v/ar. In diesem Zeiträume besonders, wo die Knoten
fest aufsitzen, unbeweglich und steinhart sind, klagen die Kran-
ken über ein Gefühl lästiger Schwere, mit anhaltenden, nur we-
nig aussetzenden, stechenden, bohrenden, durchfahrenden, von
der Achsel herschiessenden Schmerzen ; ferner über rheumatische
Schmerzen in verschiedenen Theilen, besonders in den Lenden
und Schenkeln. Die Ernährung leidet bedeutend, das Gesicht
bekommt ein eigenthümlich schlechtes, erdfahles Ansehen, der
Arm der leidenden Seite schwillt an, kann nicht mehr vom Kör-
per entfernt werden, und endlich treten zu den fortdauernden
unerträglichen Schmerzen noch Colliquationen hinzu, die den
Tod dann unausbleiblich zur Folge haben.

Die Erscheinungen, welche die Entwickelung und den Ver-

16*



244 Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse.

lauf des Brustkrebses begleiten, sind ausser den angegebenen
noch mancherlei Verschiedenheiten unterworfen. — Oft besteht
der Scirrhus in der Brust lange Zeit, ohne Beschwerden zu ver-
ursachen, oft entwickelt er sich schnell und mit ihm zugleich das
allgemeine Leiden, welches bei andern erst später eintritt. Oft
ist der Uebergang in Ulceration die Folge einer äussern Gewalt-
tätigkeit, oft des Ausbleibens der Menstruation. Zuweilen ist
der offene Krebs wenig schmerzhaft, gewöhnlich aber in hohem
Grade. — Je bedeutender überhaupt die Schmerzen beim Scir-
rhus und Krebse sind, um so schneller ist ihr Verlauf. In dieser
Hinsicht kann man einen akuten und chronischen Brustkrebs
annehmen. — Der erste fängt als ein tief in der Brust liegen-
der harter Knoten an, der anfangs beweglich, in 1 — 2 Monaten
mit der Haut verwächst, welche missfarbig wird. Die Härte
nimmt bald die ganze Brust ein, nur irgend eine Stelle ragt stär-
ker hervor, ist glänzend purpurroth und elastisch, als ob sie
Flüssigkeit enthielte, und die Schmerzen äussern sich wie beim
Panaritium heftig schiessend. Die Brustdrüse vergrössert sich
nicht gleichmässig, sondern in einzelnen Geschwülsten; die Haut-
drüsen scheinen vergrössert, die Oberfläche mit kleinen weissen
Punkten besetzt, die bei zunehmender Geschwulst immer deutli-
cher werden. An der erhabensten Stelle fängt sie an auszu-
sickern, doch kommt es zu keiner Eiterung, aber von nun an
vergrössert sich der Scirrhus schnell bei zunehmender Röthe und
vermehrten Schmerzen ; das Gesicht bektonmt einen schmerzhaft
angstlichen Ausdruck, die Haut eine blassgelbe Farbe; Patientin
ist sehr matt und niedergeschlagen. Die grösseren Hautknoten
werden schwarz, brechen auf, entleeren ein wenig Blut, später
Serum. Unvermuthet stösst sich die Oberfläche in beträchtlichem
Umfange ab, die Brust erscheint tief ausgehöhlt durch ein unre-
gelmässiges, mit schwarzen, abgestorbenen Pfropfen angefülltes
Geschwür, dessen Ränder erhaben und mit Knötchen besetzt sind,
die bersten, sich entleeren und tiefe, unreine Geschwüre bilden,
wodurch das Geschwür überhaupt immer unaufhaltsam weiter
schreitet. — Als chronische Scirrhen sind die anzunehmen,
die trocken und hart wie Knorpel sind und, wenn sie einen ge-
wissen Grad erreicht haben, zusammenschrumpfen, so dass die
Geschwulst durch die zusammengezogene und gerunzelte Haut



Scirrhus s. Cancer maromae. Krebs der Brustdrüse. 245

verschiedene Einkerbungen zeigt, in welchen die zurückgezogene
Warze ganz versteckt ist. Man beobachtet sie besonders bei
alten magern Weibern, mit trockner, straffer Faser. Die Schmer-
zen sind nicht sehr bedeutend und das Uebel kann Jahre lang
bestehen, ohne besondere Fortschritte zu machen.

Man beobachtet viele Geschwülste in der Brustdrüse, die
Aehnlichkeit mit dem Scirrhus haben und leichter Heilung zulas-
sen als der Scirrhus, woher auch wohl die glücklichen Fälle ge-
heilter Scirrhen herrühren mögen. Ich führe sie hier namentlich
mit auf, überlasse aber dem Praktiker, sich über ihre Eigen-
thümlichkeiten und Unterscheidungszeichen selbst zu informi-
ren. Geschwülste dieser Art sind: 1) Entzündliche Affection und
schmerzhafte Anschwellung der Lymphgefässe, oder der Brust-
drüse selbst; — 2) Milchknoten; — 3) Scrophulöse Anschwel-
lungen; — 4) Herpetische und psorische Affectionen, besonders
im Umfange der Warze; — 5) Balggeschwülste; — 6) Steato-
matose Entartung; — 7) Medullär - Schwamm ; — 8) Blutge-
schwulst; — 9) Hypertrophie. (Chelius, Hdbch. d. Chirurgie
II. Bd. S. 615.)

§. 141.

Das therapeutische Verfahren gegen diesen Leidens-
zustand ist gerade nicht auf zu wenig, scheinbar hülfreiche, Arz-
neien beschränkt, lässt aber doch noch viel zu wünschen übrig.
Den im vorigen Paragraphen zuletzt verzeichneten Beschwerden
entsprechen manche unserer Mittel sehr treffend und bringen in
vielen Fällen auch Heilung; anders ist's beim Brustkrebs, wo die-
selbe wohl nur in den ersten Stadien der Krankheit zu ermögli-
chen ist, im letzten hingegen nicht einmal die Grenzen der Mög-
lichkeit berührt. So war es bis jetzt und wird vielleicht noch
lange so der Fall sein; dennoch aber darf uns der Muth nicht
verlassen , denn unsere schöne Welt ist gross und die Reiche der
Natur bieten noch eine Menge von Schätzen dar, unter denen
sich wohl auch noch einige für uns finden werden, aus denen
der schöpferische Geist vieler denkenden Aerzte gewiss noch
Manches wird zu machen verstehen, was hier und da eine noch
vorhandene Lücke in unserm Arzneischatze auszufüllen verspricht.
Fahren wir nur fort zu forschen, ermüden wir nicht bei sich ent-



246 Scirrhus s. Cancer mamraae. Krebs der Brustdruse.

gegenstellenden Schwierigkeiten, lassen wir die Kraft nicht er-
lahmen, wenn eine neue Täuschung die zu sicher gestellte Hoff-
nung zu Schanden machte — unsere Bestrebungen sind darum
nicht nutzlos gewesen, denn 'was uns nicht gelang, gelingt viel-
leicht folgenden Geschlechtern, die entweder auf dem angebahn-
ten Wege weiter forschen, oder, selbigen in der Zeit als falsch
erkennend, den richtigeren betreten, wodurch also selbst unsere
begangenen Fehler einen negativen Nutzen gewähren und neue
Forscher durch selbige gewarnt werden.

Die bei Mädchen oft schon vorkommenden Knoten in den
Brüsten, ohne wahrnehmbare Gelegenheits-Ursache, mit grosser
Schmerzhaftigkeit derselben, finden in vielen Arzneien ihr Heil-
mittel. So z. B. in Chamomilla, die ich gar oft mit Nutzen an-
gewendet habe; wenn ziehende, rheumatische Schmerzen in den
verhärteten Drüsen-Geschwülsten, auf die die freie Luft nachthei-
lig einwirkte, sich Nachts verschlimmern ; oder auch, wenn ery-
sipelatöse Röthe an den verhärteten Brustdrüsen sich zeigt, mit
ziehendem Reissen und Schmerz bei Berührung. — Auch kann
hier Arnica mit collitiren, wenn nicht das charakteristische Symp-
tom der Nachtverschlimmerung für jene entscheidet. — Nicht
minder wichtig ist unter ähnlichen krankhaften Verhältnissen Bel-
ladonna, twenn rosenartige Entzündung die Geschwulst und Ver-
härtung der Brustdrüsen begleitet und brennendes Stechen , durch
die geringste Berührung und Bewegung erhöht, vorherrschend
ist. — Hier könnte wohl auch Arsen, inmzirt sein, wenn nicht
der Brennschmerz statt von Stechen, von Reissen begleitet wäre
und bei der Bewegung sich minderte, sich durch äussere Wärme
erhöhete und der Kranken das Liegen auf der ergriffenen Seite
ganz unmöglich machte. — In derartigen Knoten und Verhär-
tungen in den Brüsten ist auch Bryonia beachtungswerth , wenn
der Schmerz in selbigen ein Spannen, Ziehen und Reissen, ein
den rheumatischen ähnlicher Schmerz ist und durch Bewegung
des Arms der leidenden Seite sich verschlimmert, so wie bei
Berührung. — Clematis ist in Verhärtungen einzelner Drüsen in
der Brust, die nur bei Berührung schmerzen, ein unvergleichli-
ches Mittel , das aber auch bei schon krebsartigen Entartungen
noch grosse Berücksichtigung verdient, ja selbst bei offenen Ge-
schwüren derselben mit brennendem Klopfen in denselben und



Scirrhus s. Cancer mammae. Kreba der Brustdrüse. 247

stechenden Schmerzen bei Berührung in den Rändern des Ge-
schwürs. Diess Mittel ist empfehlenswerter als die Cicuta vir.,
die ich in der vorigen Auflage noch unter den Mitteln gegen
Knoten in den Brüsten namentlich mit anführte, wozu mich das
Symptom: Wundheitsschmerzen, oder Gefühl wie nach Stoss oder
Schlag, verleitet hatte, es in diesen Leiden mit in Gebrauch zu
ziehen. Fernere Erfahrungen haben mich aber belehrt, dass
dieses Symptom in nur geringer Beziehung zu dem fraglichen
Leiden steht und darum auch nur einen unbedeutenden Effect
bewirkt, der hingegen deutlicher hervortritt, wenn jenes Symp-
tom an andern Theilen des Körpers sich äussert. — Pulsaliila,
dieses eigentliche Hauptmittel für das weibliche Geschlecht, das
in vielen Beziehungen Anknüpfungspunkte für die fragliche Krank-
heit bietet, wird auch hier, besonders wenn bei jungen Mädchen
es sich ereignet, dass derartige Knoten sich bilden, nicht zu ent-
behren sein, denn der schon jetzt so weit sich erstreckende Wir-
kungskreis der Pulsatilla ist noch nicht geschlossen, seine Gren-
zen 6ind noch nicht bestimmt und darum dauern die Forschungen
noch fort, die dem scharf beobachtenden Arzte ungesucht bei
Anwendung der Pulsat. in Krankheiten sich ergeben. — Unter
den Mercurial-Präparaten ist es besonders der Sublimat, der un-
ter den hier indizirten Arzneien mit in die Wahl fallen könnte.
Ich habe schon lange keinen Gebrauch mehr vom Mercur in die-
sem Leiden gemacht, weil ich mich stets mehr überzeugte, dass
er hier nur schmeichelhaft wirkt, seine Einwirkung aber nie von
nachhaltiger Dauer ist.

Wären alle die genannten Mittel ganz fruchtlos angewendet
worden, so kann man sich wohl zu der Annahme berechtigt hal-
ten, dass eine tiefer gelegene verborgene Ursache schlimmerer
Art der Krankheit zum Grunde liegen müsse, die nur durch die
ferner anzugebende Verfahrungsweise zu beseitigen ist. — Ent-
wickeln sich derartige Knoten nach Stoss, Quetschung, Fall, so
ist innerlich und äusserlich Arnica indizirt, vorausgesetzt, der
Arzt wird in der Zeit zu Rathe gezogen, und Patientin Hess nicht
erst längere Zeit ungenützt verstreichen , dass das durch jene
mechanischen Reize hervorgerufene Leiden schon bis zur Knoten-
Bildung mit flüchtig stechenden Schmerzen in der Geschwulst aus-
arten und sich entwickeln konnte. In diesem letztern Falle ist



248 Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse.

dann von der Anwendung der Arnica kein Heil mehr zu erwar-
ten, sondern wir müssen zu einem kräftigeren, d. h. specifische-
ren Mittel unsere Zuflucht nehmen, das für viele Fälle schon in
dem Conium maculat. gefunden ist, aber doch auch noch nicht
für alle ausreichend sich erwiesen hat. Obschon dieses Mittel
nicht entbehrt werden kann, wenn die Krankheit schon in ein
höheres Stadium, in den wirklichen Brustkrebs, vorgeschritten
ist: so ist sein eigentlicher und glücklichster Wirkungskreis doch
hier, wo die Drüsen noch nicht den so höchst verdächtigen Cha-
rakter angenommen haben, wo sie aber doch schon durch jede
leichte Verkühlung in einen scheinbar entzündlichen Zustand ge-
rathen , die brennend stechenden Schmerzen in denselben viel
empfindlicher, und namentlich Nachts so heftig werden, dass sie
oft aus dem Schlafe wecken.

Selbst aber auch bei grosser Angemessenheit dieser Arznei
für das fragliche Leiden wird uns doch nur in den wenigsten
Fällen die Heilung mit ihr allein gelingen, weil gewöhnlich ein
psorisches Siechthum, wenn ein solches im Körper verborgen
lag, sich mit jener oft unscheinbaren Erregungs-Ursache verbin-
det und die Krankheit, trotz der zweckdienlichsten Arzneien, zu
einer gefährlicheren Form umgestaltet, die dann nach und nach
die Anwendung vieler andern Mittel noch erforderlich macht.
Zu diesen gehören unter den schon genannten insbesondere Bei-
lade Arsen, und Clemalis und ausser diesen namentlich :

Kreosot, das mir da ausgezeichnet nilfelich erschien, wo die
ganze Brust eine Härte war, äusserlich blauroth und höckerig
sich zeigte, auf mehren dieser Höcker ein Grindchen sich befand,
eins besonders gross dicht neben der Warze, das öfters sich los-
trennte und aus der dadurch entstandenen Oeffnung dann oft sehr
viel und dickes, dunkles Blut sich entleerte, wornach gewöhn-
lich Ohnmacht eintrat. Durch Kreosot beschränkte ich diese Blu-
tungen sehr auf längere Zeit und führte wenigstens einen erträg-
licheren Leidens-Zustand herbei, konnte aber weder mit Acid.
nitri, noch Thuja, Conium, Hepar, noch irgend einem anderen
Mittel eine Rückbildung der so gewaltig vorgeschrittenen Desor-
ganisation bewirken — die Kranke starb an einer nochmals
eingetretenen heftigen Blutung, die völlige Anämie zur Folge
hatte. — Genug, ich habe die Ueberzeugung gewonnen, dass



Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse. 249

Kreosot im ausgebildeten Brustkrebs Grosses zu leisten vermag,
nur muss es früher angewendet werden können , als es mir ver-
gönnt war, es zu thun, d. h. nicht erst dann, wenn die Unmög-
lichkeit einer noch zu bewirkenden Heilung auf den ersten Blick
in die Augen springt.

Die Carbonen nützen viel in diesem Leiden ; das wussten die
allöopathischen Aerzte sonst besser als jetzt, wo sie wieder mehr
von ihnen zurückzukommen scheinen, weil sie ihre grossen arz-
ueilichen Kräfte nicht kennen, aber auch nie kennen gelernt ha-
ben; derartige Mittel nützen in ihrem Naturzustande nur wenig,
es ist mit ihnen wie mit Natrum mur. , Lycopod., Silicea u. a.,
sie wollen aufgeschlossen, ihre Kräfte entwickelt sein, was nur
durch Verreiben mit einem unarzneilichen Vehikel zu ermögli-
chen ist; je mehr sie entwickelt sind, desto kräftiger ist ihre
Einwirkung; darum aber sollte man sie auch nur hoch potenzirt
anwenden (ich verstehe darunter nicht Hoch- und Höchstpoten-
zen, sondern 12. 15. 18 etc ) und man wird dann über den glän-
zenden Erfolg, waren sie gut und glücklich gewählt, staunen.
Mit grossem Nutzen habe ich mich in Drüsengeschwülsten man-
cherlei Art, insbesondere aber in harten, schmerzhaften Brust-
drüsen-Knoten der Carbo animalis bedient, der ich nur dann die
vegetabilis vorzog, wenn der Charakter der Schmerzen brennend
reissend war, die Kranke sich dabei über Athemlosigkeit und
Angst beklagte und dabei den grössten Kleinmuth hatte, der oft
bis zu weinerlicher Verzweiflung ausartete.

In vieler Beziehung steht ihnen auch Phosphor zur Seite,
wenigstens was die Bremischmerzen anlangt; übrigens ist er wohl
mehr da indizirt, wo die fleischigen Nachbartheile und die Ach-
seldrüsen mit afficirt, auch wohl früher schon ergriffen waren.
Die begleitenden Nebensymptome, die grösstentheils sehr in die
Augen falle«, entscheiden bei der Wahl für dieses Mittel fast
mehr noch, als das Hauptleiden; eben so ist der allgemeine Cha-
rakter dieser Arznei hier schärfer als irgend wo ins Auge zu
fassen; schwach gebaute Brust mit vorherrschender, selbst er-
sichtlicher Anlage zu Tuberkelbildung, höchst sensibel gegen
kühle Witterung, Vermehrung der Schmerzen, Genickschmerz,
Steifigkeit der Arme bei Wetterveränderung etc. sind Zeichen,
die ganz für Anwendung des Phosphor sprechen.



250 Scirrhus a. Cancer mammae. Krebs der Brustdrüse.

Lachesis mögte ich in den Fällen, wo ich Kreosot anempfahl,
diesem zur Seite stellen und obschon ich selbst noch nicht aus
Erfahrung darüber sprechen kann, so behaupte ich doch dreist,
sind die physiologischen Beobachtungen richtig, dass es in so
gearteten Fällen sich hülfreich erweisen muss und selbst im eigent-
lichen Brustkrebs nicht zeitverschwendend angewendet würde.
Bluten der Wunden überhaupt und insbesondere des Krebsge-
schwiirs ist unter den Symptomen scharf hervorgehoben; das Blut
ist schwarz und missfarbig, der Grund des Geschwürs bläulich,
dunkelroth, wie schwarze Streifen geronnenen Blutes auf dem-
selben.

Ferrum aceticum, so wenig eigentlich auch die Symptome
für seine Anwendung in Brustkrebs sprechen, hat es mir doch
wesentliche Dienste in dieser Krankheit und erst noch kürzlich
bei einer Frau vom Lande geleistet, wenn ich es im Wechsel mit
Arsenic anwendete. Die Frau hatte sich mehrmals Drüsen aus-
schälen lassen, nach der letzten Operation aber waren sie nun
in solcher Menge auch unter dem Arme erschienen, dass wohl
an keine Operation mehr zu denken war. Leider waren bei ih-
ren etwas sehr beschränkten Geisteskräften viel Fragen nicht an
sie zu richten und in Bezug auf Schmerz nur die allgemeine Aus-
kunft: es thut sehr weh, zu erhalten. Sie erhielt Anfangs Sul-
phur, dann Ferr., Arsen., Graphit, Kreosot und die Krankheit hält
sich bei diesem Verfahren wenigstens unverändert, ja einige klei-
nere Drüsen, die noch im Werden begriftn waren, sind wieder
verschwunden.

Nächst diesem dürfte Graphit ebenfalls nicht beachtungslos
sein, wie die Geschwulst und Härte der Brustdrüsen unter seinen
Symptomen deutlich nachweist; übrigens zeigt dieses Mittel in
vielen Einzelnheiten seine heilkräftige Einwirkung auf die Zeu-
gungstheile des Weibes und namentlich auf die drüsigen Organe,
dass sich schon daraus auch ein folgerichtiger Schluss auf seine
Heilkräftigkeit im Brustkrebs entnehmen lässt. Ferneren Beobach-
tungen geehrter Collegen bleibe die Bestätigung meiner Behaup-
tung vorbehalten, die ich durch nur wenige Erfahrungen nicht als
genugsam constatirt hinzustellen wagte.

Sicherer und fester begründet stehen die günstigen Erfah-
rungen über Hepar sulphur. in für diese Arznei geeignetem Brust-



Scirrhus s. Cancer mammae. Krebs der Brustdruse. 251

krebs da und schon die Entzündungen und Eiterungen in drüsi-
gen Anschwellungen, wogegen Hepar mit entschiedenem Nutzen
gereicht wird, würden für seine Heilkraft in der fraglichen Krank-
heit sprechen, wären nicht unter den physiologischen Beobach-
tungen selbst „krebsartige Geschwüre an der Milchbrust, mit
stechendem Brennen der Ränder und Gestank wie alter Käse"
mit aufgeführt.

Bei dem Allen aber muss ich doch noch bemerken, dass ich
nie unterlassen habe, wo ein psorisches Leiden bei dem kranken
Subjecte deutlich nachweisbar war, zuerst eine oder ein Paar
Gaben Psorin anzuwenden und dann Sulphur, der ebenfalls in der
genauesten Beziehung zu krebsartigen Leiden der Brüste steht,
nachfolgen zu lassen. Ausser den genannten Arzneien sind wohl
noch beachtenswerth: Lycopod., Aurum muriat. und Baryta mu-
riat., Nitri acid., Silic, Sepia, Coloquinte u. e. a.

Unheilbar für die Homöopathie bleiben aber gewiss diejeni-
gen Subjecte; bei denen das Messer schon in Anwendung ge-
bracht wurde, weil dann die Krankheit weit fürchterlicher, aus-
gebreiteter, ja selbst in den Eierstöcken mit hervorbricht und
unaufhaltsam schnell fortschreitet. Scirrhöse Härten in der Brust,
so wie offener Brustkrebs sind ein noli me tangere! Nie ist je
durch die Operation ein Brustkrebs geheilt worden und wird
auch in Ewigkeit nicht durch Wegschneiden dieses Lokalsymptoms
geheilt werden! Wo es aber dennoch geschehen sein soll, da
beruht die Heilung ganz gewiss auf Täuschung, indem kein scir-
rhöser Knoten, sondern eine ganz unschuldige angeschwollene
Drüse herausgeschält wurde; man müsste denn das Heilung durch
die Operation nennen, wenn ein halbes Jahr oder vielleicht noch
etwas später nach letzterer kein Leiden der äussern Brust, son-
dern ein ganz anderes, den Tod aber ebenfalls schnell herbei-
führendes zum Vorschein käme.



252 Hydropes. Wassersuchten.

Fünfzehnte Ordnung.

§. 142.

Hydropes, Hydropsien. Wasseransammlungen, Wasser-
suchten.

So wenig auch in der Jetztzeit von Wassersuchten gespro-
chen wird, so wenig sie auch als selbstständige Krankheiten gel-
ten und angesehen werden, da sie, wie jedem nur einigermassen
routinirten Arzte hinreichend bekannt ist, nie eine Krankheit für
sich, sondern stets nur Symptom einer andern örtlichen oder
allgemeinen Krankheit sind, die natürlich geheilt werden müssen,
wenn man der dauernden Heilung einer Wassersucht vergewis-
sert sein will: so würde es doch eine zu grosse und fühlbare
Lücke für dieses Handbuch sein, wollte ich die Hydropsien, eben
dieser neuem Erfahrungen wegen, ganz ignoriren und sie mit
Stillschweigen übergehen. Ich thue diess um so weniger, als
ich eben jetzt an mir selbst erfahren habe und die Beobachtun-
gen darüber, wegen des noch immer fortdauernden Leidens, nicht
geschlossen sind, dass es vom Arzte höchst gewissenlos gehan-
delt sein würde, nur der Indicatio causalis zu entsprechen, und
die Indicat. symptomatica darüber ganz zu vernachlässigen! Ist es
auch im Sinne der Kunst und Wissenschaft regelrecht gehandelt,
so verlangt doch die Pflege des uns anA%rtrauten Kranken , seine
in die Augen springenden zunehmenden Leiden bei unserem schul-
gerechten Verfahren gebieterisch Abhülfe, die der Arzt gewäh-
ren muss, steht es nur irgend in seiner Macht; ja sollte es selbst
den Anschein haben, als würde er für Einzelfälle seinem Sy-
steme untreu, was doch nie der Fall sein kann, sobald er sei-
nen Kranken die Hülfe bringt, die dieser von ihm erheischt,
wozu ja der Arzt einzig und allein da ist. Das ist die ächte,
wahre Heilkunst , die dem innern Heiligthume des Arztes ange-
hört, während das System der Zeit, deren Produkt es ist, ge-
hört! Wir haben andere Namen, selbst andere Formen der Krank-
heiten, andere Mittel der Heilung, andere Begriffe und Erklä-
rungsarten, als die Vorzeit; aber die Heilkunst ist immer noch
dieselbe, die Natur dieselbe, und es bedarf noch immer dersel-



Hydropes. Wassersuchten. 253

ben Eigenschaften, um ein grosser Arzt zu sein, wie zu Hippo-
krates Zeiten.

Ueber Hydropsien im Allgemeinen. — Physiologi-
scher Charakter. Der hydropische Krankheitsprocess hat sei-
nen Sitz im Zellgewebe, serösen und einigen den serösen ver-
wandten Hauten, z. B. der innern Haut des Uterus. — Bei allen
Hydropsien lässt sich entweder ein örtliches Uebel nachweisen
oder es finden sich Veränderungen im Blute, das spezifische Ge-
wicht desselben vermindert sich und zwar in dem Grade, als die
Krankheit zunimmt; dagegen vermehrt sich die Menge des Se-
rums; die des Eiweisses, der Fibrine und des Cruorins vermin-
dern sich. Daher ist die Fähigkeit zu gerinnen geringer, und
es zeigen sich im Blute die Erscheinungen der Dissolution. —
Die Temperatur an der Peripherie der Organe nimmt ab. — Die
Haut wird Mass, erdfahl, bekommt ein cachectisches Colorit. —
Das neu gebildete Krankheitsproduct besteht aus einer grossen
Menge Wassers, in dem Eiweissstoff und eine kleine Menge Os-
mazom und Salze gemischt sind.

Veränderungen in den übrigen Secretionen sind: Verminde-
rung der Haut- und Harnsecretion, zugleich aber auch qualitative
Veränderung der letzteren, z. B. bei manchen Formen ungeheure
Mengen von Eiweiss, bei andern, wie bei Hydrothorax, die als
Nachkrankheiten des Scharlachs kommen , Cruorine in ziemlich
reichlicher Menge; bei Hydrothorax hingegen, mit Degeneration
der Milz und Leber zusammenhängend, eine grosse Menge von
Harnstoff und der entwickeltsten Harnsäure, rosige Säure und Pur-
purat. — Endlich zeigen sich auch Symptome vom Druck des
Wassers auf Organe, als: bei Hydrothorax Störungen in der Be-
spiration, bei Hydropericardie Störungen in der Function des
Herzens, bei Ascites Störungen in der Function der Verdau-
ungsorgane.

Anatomischer Charakter. Die Section weist Folgen-
des nach: Anfüllung mit dem pathischen Producte. Qualität des
Wassers: bald klar und hell, bald getrübt, und zwar molkig,
eiterähnlich, bald enthält es filamentöse Concretionen, bald thie-
rische Gestaltungen, Hydatiden etc. — Die serösen Häute sind
immer verändert, bei dem entzündlichen Hydrops verdickt, bei



254 Hydropes. Wassersuchten.

dem torpiden verdünnt, immer aber haben sie ihre Pellucidität
verloren; was man in gesunden serösen Häuten nie findet, ist
hier deutlich zu sehen, weit ausgebreitete Gefässnetze. — Das
Venensystem, namentlich die Venen des leidenden Organs, sind
mit Blut überfüllt. — Das Fett ist geschwunden, an seine Stelle
tritt Wasser; das Fett schwindet von der Peripherie gegen das
Centrum hin und erhält sich in der Mitte am längsten, wie man
diess am deutlichsten im Unterleibszellgewebe sieht, wo in der
Mitte jeder Zelle sich ein Kern von Fett findet, der inselförmig
von Wasser umgeben ist. — Allmälig tritt allgemeine Erwei-
chung der Organe ein, sie werden matsch, verlieren ihre Tur-
gescenz, am schärfsten au den Muskeln hervortretend. — Eine
Veränderung in den Nebennieren scheint constant zu sein: sie
schwellen an, vergrössern sich und kehren in den Zustand zu-
rück, in dem sie sich während des Fötallebens befanden. — An
den Lymphgefässen lassen sich wenig, oder gar keine Verände-
rungen nachweisen, diese letztern sind nur an den Venen wahr-
zunehmen.

Der Antheil, den der Gesammtorganismus an Hydrop-
sie nimmt, ist anfangs nicht immer deutlich ersichtlich; zuwei-
len tritt ein Fieber hinzu, besonders wenn sie sich aus akutem
Rheumatismus oder aus misshandelten Exanthemen entwickeln;
dann aber auch bei Jüngern Subjecten. Bisweilen ist das Fieber
synochal, z. B. bei Hydrops nach Scharlach; sehr bald aber neigt
es sich zum Charakter des Torpors hi# Von diesem Fieber ist
das zu unterscheiden, das im Verlaufe des Hydrops sich einstellt
und Verkündiger des nahen Todes ist; hier wird der Puls klein,
schnell, fadenförmig, leer, die Zunge trocken, die Kranken fan-
gen an zu deliriren, oder werden gleich comatös, betäubt. — In
manchen Fällen nehmen auch einzelne Partien des Nervensystems
Antheil, z. B. bei Hydrothorax und Oedema pulmonum treten hef-
tige asthmatische Anfälle ein; bei Ascites finden sich heftige ko-
likähnliche Schmerzen, vom plexus coeliacus beginnend, die mit
zunehmendem Ascites verschwinden. (Schön lein)

§. 143.

Aetiologie. Lebensalter: In den Kinderjahren häufig
akuter Hydrocephalus, Ascites, Anasarka; in den Blüthenjahren



Hydropes. Wassersuchten. 255

finden sich weit seltner Hydropsien, zu Ende derselben vielleicht;
Hydropsien des Genitalsystems; am häufigsten erscheinen sie in
den Jahren der Involution, wo nicht allein die grösste Zahl, son-
dern auch die mannichfaltigsten Formen vorkommen. — Ge-
schlecht: Bei Männern häufiger Hydrothorax; bei Weibern hin-
gegen Ascites. Hydrocephalus alter Leute häufiger bei Männern,
als bei Weibern.

Aeussere Momente: Schneller Wechsel von Wärme und
Kälte; häufige, anhaltende Nebel. — Vermittelnde: In der
Reconvalescenz nach akuten Krankheiten, wo die Lebensthätigkeit
durch angreifende Curen sehr erschöpft ist — ein vermittelndes
Moment, das nur nach allopathischer Behandlung, nie nach ho-
möopathischer, sich geltend macht; nach heftigen Blutungen;
nach Scarlatina, Arthritis; organische Fehler des Herzens, der
Milz, Leber.

Ausgänge sind: Genesung durch längere Zeit fort-
dauernde, oft Wochen lang sich hinziehende Crisen, namentlich
durch Haut und Harn; zuweilen auch durch vermehrten Schleim-
auswurf bei Hydrothorax, wässrige Diarrhöe bei Ascites. In
manchen Fällen entleert sich das Wasser auf natürlichen Wegen
nach aussen, wie bei Hydrometra, Hydrops ovarii; oder es ent-
leert sich — doch weit seltener noch als auf erstere Art —
auf künstlichen, selbstgebildeten, z. B. aus dem Nabel bei Asci-
tes, aus der zerrissenen Haut bei Anasarka. — Bei th eil wei-
ser Genesung sind die Crisen incomplet und geschehen nur
bis zu einem gewissen Punkte hin — die Affection bleibt ste-
hen, geht nicht vor und nicht rückwärts und bedingt dann De-
generationen in den Organen. — In den Tod.

Prognose, nicht zu günstig. Sie hängt ab: Von der Ge-
genwart oder Abwesenheit des Fiebers. Akute Hydropsien las-
sen leichter Heilung zu als fieberlose; solche mit dem Charakter
des Torpors sind äusserst ungünstig. — Je notwendiger das be-
fallene Organ zum Leben, desto gefährlicher. — Je beschränk-
ter die Krankheit, desto besser; je ausgebreiteter, desto schlim-
mer. — Je grösser die Störung in den nahe gelegenen Organen,
desto schlimmer. — Das ursächliche Moment ist ebenfalls be-
stimmend; die aus grossen und häufigen Blutungen und allgemei-
ner Schwäche entstandenen, sind günstiger, als die nach andern



256 Hydropes. Wassersüchten.

Krankheiten, oder aus Desorganisationen entstandenen. Brandige
Rose in ödematösen Theilen sind besonders ungünstig. — Je
älter, decrepider der Kranke, desto schlimmer. — Der Grad der
Beschränkung der normalen Sekretionen ist bestimmend mit für
die Prognose.

§. 144.

Therapie der Hydropsien im Allgemeinen. Bei Behand-
lung der Hydropsien mag die Homöopathie ja nicht etwa stolz
sich über ihre ältere Schwester erheben, und derartige Heilun-
gen, die sie bewerkstelligte, als etwas Ausserordentliches her-
vorheben; sie bieten nichts Besonderes, was einer gut geleiteten
allöopathischen Behandlung nicht ebenfalls gelänge, nur mit dem
einzigen Unterschiede , dass diese mehr Arzneikräfte bedarf, als
unser Heilverfahren — der Fälle denke ich dabei nicht, die
durch Schlendrianisten vernachlässigt und verpfuscht waren und
die dann mit leichter Mühe von uns geheilt wurden und oft gros-
ses Aufsehen erregten; es waren Fälle, wo Jene das ursächliche
Moment nicht gehörig zu würdigen verstanden. Betrachten wir
einmal genau jene torpiden Hydropsien, wo unsere Potenzen,
selbst Urtincturen, nichts über die Reaction des erkrankten In-
dividuums vermögen, wo diese auf keine Art aus ihrer Lethar-
gie zu erwecken ist: ob es uns gelingen wird, viel mit ihnen
auszurichten? Der Allopath weiss sie zu zwingen — und wäre
es auch für den Augenblick nur Palliativ^Hülfe — er erregt con-
sensuell Haut, Nieren, Darmkanal, Schleimhäute und oft reüssirt
er per ambages. Ich will darum diesem Heilverfahren in diesen
Krankheitsformen nicht etwa das Wort reden, da ich nur zu oft
selbst erfahren, dass bei Allopathen misslungene Fälle der Art
von mir noch geheilt wurden ; aber fast nicht minder selten musste
ich zu meinem Leidwesen auch die Erfahrung machen, dass hy-
dropische Kranke aus meiner Behandlung sich entfernten, weil
sie ihnen zu langweilig erschien, und hernach in allopathischer
bald wieder hergestellt wurden. Nun gebe ich ebenfalls zu, dass
die Schuld des nicht baldigen Gelingens an meiner Unerfahren-
heit der Arzneien, bezüglich ihrer Wirkungssphäre für hydropi-
sche Erscheinungen gelegen haben mag, allein die Auswahl der
Mittel für Hydropsien ist in der Homöopathie nicht so gross, ihr



Hydropes. Wassersuchten. 257

Cyclus ist klein zu nennen im Verhältniss zu dem, der der Allo-
pathie zu Gebote steht. Dennoch wird mit der Zeit dieser Uebel-
stand immer mehr und mehr sich ausgleichen und in der näch-
sten Hälfte des Jahrhunderts wird weit mehr erreicht werden,
als in dem verflossenen, wo der Kräfte noch so wenig und des
Ausbaues zu viel war. So viel aber steht fest bei mir, durch
Erfahrung und erlangte Ueberzeugung gewonnen: dass der
homöopathische Arzt in diesen Krankheiten stets eine doppelte
Indication zu erfüllen hat — er muss bei einer solchen Cur wech-
selnd zu Werke gehen, bald der Indicatio causalis entsprechen,
bald aber wieder, bei ersichtlicher Zunahme der hydropischen
Erscheinungen , palliativ oder symptomatisch handeln ; so wird es
ihm am ersten gelingen, die Heilung zu bewirken und den Kran-
ken sich zu erhalten. Jeder denkende Arzt wird mir die Wahr-
heit dieses Satzes zugestehen müssen, sie liegt ja auch zu sehr
auf der Hand, dass der Druck dieses pathischen Sekrets auf die
ursprünglich krankhaft ergriffenen Organe eine halbe Tödtung
der zur Heilung nothwendigen Reactionskraft herheifiihren müsse
und dadurch ein Hinderniss werde für die richtig sich entfal-
tende Wirkungskraft der gegen die Urkrankheit gereichten Arz-
neien. Zweckmässiger erscheint es hier doch gewiss, dieses
Hinderniss vorher zu entfernen, mit dessen Beseitigung oft schon
die Hälfte gethan ist, weil eine Menge von Symptomen mit ver-
schwinden, die die ganze Krankheit vorher viel gefährlicher er-
scheinen liessen. Man entgegne ja nicht, dass diess keine gut
durchgeführte homöopathische Cur sei; man sage ja nicht, dass
sie zu sehr nach Allopathie schmecke; man behaupte nicht, dass
es nur eine symptomatische, folglich Palliativ-Cur sei ! Die Homöo-
pathie bedarf ihrer auch und wird sie so lange noch nöthig haben,
als ihr nicht für alle Krankheiten Mittel zu Gebote stehen , die stets
dem Gesammt-Krankheitszustand zu entsprechen vermögen. Uebri-
gens begreife ich nicht, was dadurch verloren gehen sollte? Zeit?
Die wird nur gewonnen, denn indem ich durch Entfernung des pa-
thischen Sekrets — gleichviel auf welche Art diess geschieht —
eine Menge Krankheits-Symptome mit entferne, schwäche ich die
Krankheit zugleich mit und habe den Weg geebnet, auf dem ich
dann mit leichterer Mühe fortschreiten kann. Tritt nach einiger
Zeit dann die Hydropsie wieder deutlicher hervor, so wird der
II. 17



258 Hydropes. Wassersuchten.

Arzt, ist er vorsichtig, sie nicht auf die frühere Höhe erst wieder
steigen lassen, sondern in der Zeit dazu thun, sie zu entfernen,
um so bald als möglich wieder der Indic. causal. entsprechen zu
können — und so rückt er seinem Ziele, der Heilung, immer
näher und wird in immer längern Zwischenräumen, endlich gar
nicht mehr, sich genöthigt sehen, palliativ zu verfahren und wird
die Haupt-Indication von nun an immer im Auge behalten kön-
nen. — Erscheint dieser angegebene Weg manchem Leser falsch,
so tadle er mich im Stillen, aber nicht laut, denn vielleicht bieten
sich ihm auf seinem Berufswege auch noch Fälle der Art dar, wo
er sich genöthigt sehen wird, ein ähnliches Verfahren einzuschla-
gen und dann würde es ihn schmerzen, mir Unrecht gethan zu ha-
ben. — Die vielen Erfahrungen, die ich während einer nun fast
30jährigen praktischen Laufbahn gemacht habe, machen mich im-
mer toleranter gegen die Meinungen, Ansichten, Handlungs- und
Verfahrungsweisen meiner Mitcollegen ; sie belehren mich täglich
mehr, wie viel noch zu thun übrig bleibt, ehe wir das schöne Ziel
erreichen, nach dem wir Alle streben — nach einem Systeme alle
die Krankheiten zu heilen, die in dem Kreise der Möglichkeit lie-
gen. Darum bekrittle ich wohl manches Verfahren , tadle aber den
nicht, der es sich zur Norm gewählt hat; er glaubt eben so gut
Recht zu haben, als ich!

Bei der Behandlung dieser Krankheit im Allgemeinen ist die
Hauptsache: Regulirung der Diät, ohne welche die beste
Cur nicht gelingen kann. Bezüglich derTuft befinden sich Hydro-
pische am besten in warmer, trockner, reiner Luft; feuchte, kalte
ist ihnen schädlich und darum gehen sie auch gewöhnlich mit Ein-
tritt der schlimmen Jahreszeit zu Grunde. Daher ist es nöthig,
feuchter Luft durch Aufstellen von Gefässen mit Schwefelsäure ih-
ren Wassergehalt zu entziehen — ein Verfahren, das auch bei ho-
möopathischer Behandlung anwendbar ist — ; erlauben es dagegen
die ökonomischen Verhältnisse des Kranken, so ist Ortswechsel
noch mehr zu empfehlen. Hier ist das Reisen weit vortheilhafter
als bei Phthisis, besonders bei jenen Formen, die von Abdominal-
leiden ausgehen und mit früher bestandener Intermittens zusammen-
hängen. Diese Formen heilen in den sumpfigen Thälern nicht,
während die Versetzung auf Gebirgshöhen, wo eine leichte,
trockne, reine Luft herrscht, oft schon für sich allein Heilung er-



Hydropes. Wassersuchten. 259

giebt. — Die Kost anlangend, muss sie in akuten, gleich Anfangs
fieberhaften Hydropsien gleich sein der in akuten Krankheiten über-
haupt. Bei der chronischen Form ist eine leicht verdauliche , aber
nährende Kost empfehlenswerth, nur darf der Kranke nie viel auf
einmal, lieber öfter essen. Vorzüglich gilt diess bei Ascites , wo
die grösste Rücksicht auf die Digestionsorgane zu nehmen ist, be-
sonders auf die etwa bestehenden Störungen in der Leber. — Oft
werden Hydropische von dem fürchterlichsten Durste gequält;
wollte man ihnen das Getränk entziehen, so würde man barbarisch
handeln, ohne etwas dadurch zu gewinne.

Aetiologie. Innere Momente: Vorgerücktes Lebensalter;
Individualität, geschwächte Lungen, durch öfter wiederkehrende,
chronische Catarrhe, Lungenentzündung; Individuen mit schwam-



264 Hydropsien der Respirationsorgane.

migem, cachektischem, zur Fettbildung geneigtem Habitus; Indi-
viduen, die ihre Lungen sehr anstrengen, z. B. Musiker. —
Missbildungen des Thorax, Verkrümmungen der Wirbelsäule und
davon abhängende Deformitäten der Rippen und des Sternum; Ar-
thritis ; Pfortaderleiden ; die Krankheit kommt häufiger bei Män-
nern als Frauen vor.

Veranlassende Momente : Organische Fehler der Lungen, der
Rippen, der Pleura, der grossen Gefässe, Dilatation der Aorta,
Verknöcherung der Gefässe im Bogen; tuberkulöse und steato-
matöse Massen auf der Pleura. Ueberhaupt kommt die Krankheit
gern im ersten Stadium tuberculöser Phthisis vor. — Erschö-
pfung der Lebensthätigkeit durch übermässige Anstrengung. —
Missbrauch der Spirituosa , namentlich des Branntweins. —
Erschöpfung der Nerventhätigkeit der Lunge. — "Weiterverbrei-
tung des Krankheitsprocesses, der anderswo seinen Ursprung
genommen hat. — Metastasen des Podagra, zugeheilter Fussge-
schwüre.

Prognose. Die active und metastatische Art ist wohl die
leichter heilbare Art; ungünstiger die passive, durch unheilbare
Desorganisationen, Herzfehler, Venenobliteration begründete; doch
gehört auch diese nicht ganz zu den unheilbaren. — Vorgerück-
tes Alter macht die Prognose sehr zweideutig. — Je träger und
verschlossener die Excretionsorgane sind, je weniger der Kranke
Harn lässt, je trockner Haut, Darm, Bronchien sind, desto schlim-
mer; das Gegentheil ist von günstiger Vorbedeutung. — Schlimme
Zeichen sind: Verschwinden des äussern Oedems unter Zunahme
der Dyspnoe, Torpor und Anschwellung, schmutzig -gelbe Haut-
farbe, hoher Grad von Abmagerung und Entkräftung, beständige
Unruhe und Erstickungsangst, die den Kranken keinen Augen-
blick mehr im Bette duldet, soporöser Zustand, röchelnder Athem,
blutiger Auswurf. — Bemerken muss ich hier noch, dass der Ho-
möopathie, so gefährlich auch die hier verzeichneten prognosti-
schen Angaben klingen mögen, manche derartige Heilung zu be-
wirken gelungen ist, zum Beweis, dass ihr doch Mittel zu Ge-
bote stehen müssen, die umändernd und heilend auf innere Ver-
bildungen einwirken, ohne dass allemal Haut, Nieren, Darmkanal,
Schleimhäute mehr in Thätigkeit gesetzt zu werden brauchen.



Hydrothorax. Brustwassersucht. 265

$". 147.

Wie denn überhaupt die Behandlung immer auf die erre-
genden Ursachen mit gerichtet sein muss, so muss sie es auch
bei dieser Krankheit sein, wiewohl auch hier mit der Entfernung
der Erregungs-Ursache dem Kranken nicht viel gedient sein wird,
in den meisten Fällen selbige auch wohl gar nicht einmal zu ent-
fernen ist. Nur durch die Beseitigung der Urkrankheit, der ent-
wickelten Psora, ist Heilung denkbar und möglich, und dann
freilich nur durch Antipsorika ; doch dürften auch folgende Mittel
nicht zu verachten sein, die die Erfahrung uns schon in manchen
Fällen als heilkräftig kennen gelehrt hat, die also wohl immer
als passende Zwischenmittel, oder, wo die Heilung unmöglich,
als sehr heilsame Beschwichtigungs-Arzneien angewendet zu wer-
den verdienen.

Eine der vorzüglichsten Arzneien in dieser Krankheitsform,
die nach neueren Erfahrungen und wiederholten Beobachtungen
ebenfalls zu den antipsorischen gehört, ist Arsenicum album, der
oft auf mehre Tage einen erträglicheren Zustand herbeizuführen
vermag, wenn er bei folgenden hervorstechenden Krankheitszei-
chen gegeben wird: die fortdauernden asthmatischen Beschwer-
den verschlimmern sich sogleich bei der geringsten Bewegung,
besonders bei Steigen von Treppen, Bergen etc. Noch charak-
teristischer für die Anwendung dieses Mittels ist das Symptom :
wenn der Kranke Abends auch noch so behutsam und langsam
in's Bett steigt, entgeht ihm der Athem, was auch der Fall bei
jeder Wendung im Bette ist; es entsteht dadurch nicht sowohl
Kurzathmigkeit und Engbrüstigkeit, sondern vielmehr das ängst-
liche, peinigende Gefühl des Erstickens, mit der grössten Todes-
angst gepaart, die durch ein unaufhörliches, zwar nicht sichtbares,
aber dem Kranken doch fühlbares Herzklopfen erhöht wird. Zu-
gleich verbindet sich hiermit ein Zustand der höchsten Schwäche
und Erschöpfung, der durch ein unaufhörliches Lechzen nach Ge-
tränk, nur zur Befeuchtung der Lippen und des innern Mundes be-
nutzt, von Zeit zu Zeit unterbrochen wird. Charakteristisch für
Arsenicum sind also die Erstickungs-Zufälle in der Nacht, von Hy-
drothorax abhängig. — Ignatia und Pulsatilla bieten zwar ähnliche
Nachtstörungen dar, und beide Mittel sind wohl in passenden Fäl-



266 Hydropsien der Respirationsorgane.

len auch in Hydrothorax anwendbar, doch werden sie, bei vor-
genannten Symptomen, immer dem Arsenicum nachstehen. — Vor-
züglicher noch als Ignatia und Pidsaülla dürfte Ipecacuanha in
öfter wiederholten Gaben sein, wenn eine krampfhafte Engbrüstig-
keit vorsticht, jedoch nicht mit jener Erschöpfung gepaart, auch
nicht von Bewegungen abhängig, sondern stets andauernd, und
nur paroxysmenartig, ohne gegebene Veranlassung, zurückkeh-
rend. — Auch Scilla maritima habe ich mit gutem Erfolge ange-
wendet, wenn der Hydrothorax von einem anhaltenden Husten
mit schleimigem Auswurfe und davon abhängender Engbrüstigkeit
und Kurzathmigkeit begleitet wurde, und die daneben vorkom-
menden Symptome ebenfalls unter der Symptomen -Gruppe von
Scilla aufzufinden waren. — Jederzeit nützlich erwies sich Dul-
camara, wenn die hydrothoracischen Beschwerden durch Eintritt
einer neblichten, feuchten, regnerigen Witterung erhöht wurden,
und nur erst, beim Wechsel der letztern mit einer reinen trock-
nen Atmosphäre, wieder auf den vorigen Standpunkt zurückwi-
chen; zum Beweis, wie kräftig dieses Mittel auf die Thätigkeit
des Lymphsystems einzuwirken vermag. — Auch von der Anwen-
dung des Tart. emet. sah ich gute Wirkung, doch wendete ich
selbigen mehr empirisch, als auf sichere Criterien gestützt, an;
mich leitete nur der Athemmangel, der immer in den frühen Mor-
genstunden aus dem Schlafe weckte, zum Aufsitzen nöthigte, um
Luft zu schöpfen, und der Kranke nur erst Erleichterung erhielt,
wenn er Husten mit Auswurf bekam. -^ Eins der wichtigsten
hieher gehörigen und anwendbaren Mittel ist Colchicum autumnale,
dem ich Digitalis purpurea beizähle, die aber beide, wie auch
Scilla, ihren glücklichsten Wirkungskreis finden, wenn der Urin
in dieser Krankheit in geringer Quantität ausgeschieden wird, wie
ich auch schon in der Therapie im Allgemeinen bemerkte. —
Colchicum ist besonders da empfehlenswert!* , wenn die Ath-
mungsnoth Abends so unerträglich wird , dass sie zu wüthender
Verzweiflung treibt., bei schnellem Sinken der Kräfte; die ängst-
liche Beklemmung auf der Brust ist anhaltend, erscheint aber pa-
roxysmenartig heftiger, doch nicht in dem Grade, wie Abends.
— Digitalis, Arsenik, in manchen Fällen wohl auch Spigelia, sind
vorzugsweise anwendbar in Hydrothorax, wenn selbiger durch
organische Fehler in der Brust bedingt wird, insbesondere bei



Hydrothorax. Brustwassersucht. 267

Verengerung, Verstopfung, Compression der Venenstämme; bei
Arterien-, Herz- und Lungenkrankheiten, namentlich bei Stenose
und Insufficienz am linken Ostium venosum, bei Emphysem und
Bronchiektasie. — Nächst diesen ist auch Stannum ein empfeh-
lenswerthes Mittel, dem noch Helleborus, Senega, Bryonia und
China beizuzählen sind, die alle als zweckdienliche Hülfs- und
Unterstützungsmittel nicht vernachlässigt werden dürfen.

Unter den Antipsoricis zeichnen sich in dieser Krankheits-
form ganz besonders aus : Carbo negetabilis. Sie ist ein uner-
setzliches Mittel in Hydrothorax, wenn er mit rheumatischem Zie-
hen und Reissen in der Brust sich verbindet, wodurch letztere
wie zusammengeschnürt erscheint und den Athem so versetzt,
dass Gehen und Liegen unmöglich wird und selbst das ruhige
Sitzen erschwert ist; dabei fortwährendes Blutwallen, Pulsiren,
Herzklopfen in der Brust bei grösster Unruhe, Aengstlichkeit und
ungleichem, aussetzendem Pulse. Auch in dem Hydrothorax, der
grossen Säfteverlusten, dem Missbrauche geistiger Getränke und
dem Uebermass von China sein Entstehen verdankt, wird Carbo
stets mit Nutzen gegeben werden.

Lycopodium. Charakteristisch für dieses Mittel ist beson-
ders das innere Vollheitsgefühl in der Brust, bei fortwährender
Beklemmung mit Angst, die sich nach dem Abendessen steigert,
welches letztere auch bedeutende Bauchaufgetriebenheit zur Folge
hat; dabei Pulsiren und Glucksen in der Herzgegend, ausser dem
Herzschlage.

Kali carbonicum ist in Krankheiten der Brust überhaupt be-
achtenswerth ; in Hydrothorax erregt es die Aufmerksamkeit des
Heilkünstlers schon dann, wenn Patient fortwährend über grosse
abendliche Mattigkeit sich beklagt, das Steigen ihm beschwerlich
wird und Sprechen ihm die Brust angreift; bei Zunahme der
Krankheit steigern sich auch diese Zustände, es tritt grössere Be-
klemmung ein, die Athemversetzung weckt aus dem Schlafe und
Herzklopfen mit öfterem Aussetzen der Herzschläge gesellt sich
hinzu.

Nicht unerwähnt darf ich hier das so Symptomenreiche Mit-
tel, die Lachesis, lassen , die Hydrothorax mit Husten und Fuss-
geschwulst bedeutend erleichtern soll. Eigene Erfahrungen habe
ich nicht darüber, doch dürfte es bei organischen Herzfehlern und



268 Oedema pulmonum. Lungenödem.

anderen Desorganisationen in der Brust, wie ich selbige bei Spi-
gelia angab, nicht zu übersehen sein.

Mit Ammonium carbonicum habe ich in früherer Zeit in wie-
derholten Gaben einen ähnlichen Krankheitszustand beseitigt —
ich gab alle vier Tage eine neue Dosis; doch habe ich seitdem
durch weitere Erfahrungen noch nicht Gelegenheit gefunden, für
diesen einen Fall wiederholte Bestätigung zu erhalten.

§. 148.

Oedema pulmonum, Hydrops pulmonum. Lungenödem.

Nur der Vollständigkeit wegen führe ich diese Krankheit mit
an, da sie in Bezug auf Therapie keine Verschiedenheit mit der
vorigen Species darbietet.

Nur durch P. Frank sind die Aerzte erst aufmerksam auf
diese Krankheit gemacht worden, und Länneck gebührt das
Verdienst, die Diagnose der Krankheit festgestellt zu haben, und
dennoch ist ein Lungenödem, als ein sekundärer und mehren-
theils mit den Symptomen primärer Krankheit complicirter Zu-
stand, immer noch schwierig zu erkennen. — Sehr heftige Dys-
pnoe, welche in jeder Lage des Körpers fortdauert, durch Rü-
cken-, Seiten- oder aufrechte Lage nicht erleichtert wird, ohne
Auswurf, oder mit grosser Menge pituitösen, wässrigen (schäu-
migen, eiweissähnlichen) Sputums; Blauwerden der Lippen, Zunge
und Wangen, schon bei Beginn der Krankheit sehr intensiv. Die
Perkussion zeigt entweder an einer umg^iriebenen Stelle oder
über die ganze Lunge einen auffallend dumpfen, matten Ton, der
aber nicht, wie bei Hydrothorax, mit der Lage des Kranken den
Ort wechselt, sondern in allen Lagen und Stellungen an dersel-
ben Stelle wahrzunehmen ist. Das Respirationsgeräusch hört
man aber undeutlich und mit einem eigenthümlichen Knistern
und zugleich etwas schleimigem Rasseln verbunden ; da, wo die
grossen Bronchialäste in die Lunge eintreten, hört man deutliches
Bronchialrasseln, indem die Bronchien mit Schleim überfüllt sind,
was die Kranken auch zu öfterem und vielem Husten reizt.

Aetiologie, Ausgänge und Prognose übergehe ich ; bemerke
aber als Nachtrag zur Therapie des vorigen Paragraphen, dass
Phosphor hier gewiss ein höchst beachtenswerthes Mittel ist, da
der Zustand so sehr viel Aehnliches mit Hepatisation der Lunge



Hydrops pericardii. Hydropericardie. 269

hat, wogegen sich Phosph. so ausgezeichnet hülfreich erwiesen
hat. Nicht minder dürften hier Cannabis, Scilla und Senega noch
in Betracht zu ziehen sein, auf die ich hier nur aufmerksam ma-
chen kann, da ich selbst noch keine Erfahrungen in dieser Krank-
heitsspecies gemacht habe.

§. 149.

Hydrops pericardii. Hydropericardie.

Selten steht diese Species allein, meistens ist sie mit Hydro-
thorax verbunden und die Therapie fällt mit dieser in eins zu-
sammen.

Patient klagt über Gefühl von Druck und lastender Schwere
in der Herzgegend mehr nach unten; dabei heftige Unruhe und
Angst, oft so stark, dass Erbrechen, Eingenommenheit des Kopfs,
Betäubung, selbst Delirien eintreten. Dazu kommt Hervortreibung
der Herzgrube. Bei bedeutender Wasseransammlung ist die Haut
beim Aufrechtstehen in der Herzgrube wie ein Sack hervorge-
trieben, der bei der Percussion den Wasserton giebt. Patient
kann nicht tief liegen, am wenigsten auf dem Rücken; besser be-
findet er sich noch in aufrechtsitzender Stellung, oder auf der
linken Seite liegend. Dabei Klagen über Palpitationen des Her-
zens und doch fühlt man bei der Untersuchung den Herzschlag
nicht, oder nur äusserst dumpf und matt, wie durch eine mit
Wasser gefüllte Blase, zugleich hört man einen dumpfen, matten
Ton in grossem Umfange, oft selbst in der rechten Brust, und
an diesen Stellen kein Respirationsgeräusch, indem die Lunge
durch das angesammelte Wasser zur Seite gedrückt wird. Der
Puls ist im Allgemeinen klein, schwach, sehr frequent; aussetzend
ist er nur, wenn Verknöcherungen im Klappenapparate; schwir-
rend, wenn Hypertrophie zugegen ist. Hierzu gesellt sich Oe-
dem der Knöchel, und der untern Extremitäten, das sich schnell
aufwärts verbreitet, selbst ödematöses Schwellen des Rückens der
linken Hand mit einem Gefühle von Taubheit; Beschränkung aller
Sekretionen etc. (Schönlein.)

Aetiologie. Die Krankheit kommt häufig bei jungen Mäd-
chen vor, wo unterdrückte Menstruation Menstrualcarditis erzeugt,
die rasch mit Wasserbildung endet; sie tritt aber auch leicht zu
akutem, vagen Rheumatismus der Gelenke; eben so hängt sie von



270 Hydropsien der Bauchorgane.

organischen Herzfehlern, Hypertrophie, Verknöcherung des Klap-
penapparats ab; sie tritt zu Hydrothorax. — Die Prognose
ist äusserst ungünstig.

Therapie. Hier verweise ich auf die des Hydrothorax. Doch
scheint mir die Hinzufügung nicht unwichtig, dass die zu Anfange
der Beschreibung der Krankheit angegebenen Symptome klar und
vernehmlich auf die Anwendung der Belladonna hinweisen, die
ich auch mit dem entschiedendsten Nutzen Wochen lang in ver-
schiedenen, nicht zu hohen Diktionen, Anfangs zweistündlich,
später früh und Abends, angewendet habe und die Krankheit auf-
fallend sich vermindern sah. Der Zustand war dann so geändert,
dass Spigelia das zunächst passende Mittel war. — Wo die Krank-
heit sich dem Rheumatismus zugesellte, dieser dabei noch in sei-
ner vollen Kraft bestand, gab ich Aconit und Colchicum, zwei-
stündlich wechselnd, und erreichte auch hier meinen Zweck, aber
dauernde Heilung zu bewirken, war mir nicht vergönnt. Den-
noch lässt sich wohl mit der Zeit noch von der Homöopathie er-
warten, wenn ihr solche Rückbildungen jetzt schon möglich sind,
dass es ihr auch gelingen werde, Mittel auslindig zu machen,
die dann den Rest der Krankheit vollends zu vernichten im Stande
sein werden.

§. 150.

Hydropsiender Bauckorgane.

Hydrops abdorainis, Hydrops ascites. Bauchwassersucht.

Der Unterleib schwillt an und dehnt sich aus, was gleich-
massig von unten nach oben geschieht. Diese Ausdehnung ist
nach den verschiedenen Lagen verschieden; steht der Kranke,
so ist sie nach unten und vorne hervorstechend; liegt er auf
dem Rücken, so bemerkt man sie in der Weichengegend, gleich
über dem Schambeinkamm. Es ist Fluctuation wahrzunehmen,
was die Kranken beim raschen Bewegen , so wie auch die Um-
stehenden, hören. Die genaue Untersuchung, bei noch nicht zu
grosser Wasseransammlung sowohl, als auch bei bedeutenderer,
um keiner Täuschung unterworfen zu sein, geschieht am besten
auf die Art, dass man den Kranken in eine nach hinten, mit vor-
geschobenem Bauche, gebeugte Stellung bringt, oder ihn nieder-



Hydrops abdominis. Bauchwassersucht. 271

knieen und auf die Hände sich stützen lä'sst, wodurch das speci-
fisch schwere Wasser gegen die Bauchwandungen sinkt, und die
Percussion dadurch immer den Flüssigkeitston giebt. Hierzu
treten nun die allgemeinen und consensuellen Symptome der Was-
sersucht; Minderung aller übrigen Sekretionen der Haut, der
Nieren, eigenthümliche Beschaffenheit des Urins (gewöhnlich spär-
lich, saturirt, tiefgelb oder gelbroth gefärbt, zuweilen einen ziem-
lich copiösen Bodensatz machend) , allgemeine hydropische An-
schwellung, Störungen des Kreislaufs, Palpitationen, unregelmäs-
siger, schwacher Puls, allgemeine Cachexie, Hautblässe, Abmage-
rung, oft zugleich Zehrfieber, Gelbsucht. — Schon bei einiger
Zunahme der Krankheit leiden auch die Verdauungsorgane: die
Kranken klagen über Gefühl von Völle, Druck nach Genuss der
Speisen, die Dfgestion geht mühsam von Statten; der Durst ist
gewöhnlich sehr gross; meistens Stuhlverstopfung. Durch das
Andrängen des Wassers an das Zwerchfell entsteht Dyspnoe bis
zur Erstickungsnoth, die den Kranken zwingt, immer aufrecht
zu sitzen, und ihm horizontale Tieflage der Brust unerträglich
macht.

Ist es ein Hydrops saccatus, so ist Anfangs die Geschwulst
ungleich und der Urin ist weniger dunkel gefärbt und weniger
sparsam; die Geschwulst geht von einer Stelle aus und die Aus-
dehnung des Unterleibes wird nie gleichförmig.

S chön lein nimmt folgende Varietäten an: Ascites inflam-
matorius, acutus et chronicus; A. frigidus, torpidus; A. veno-
sus s. periodicus; A. organicus; A. psoricus s. impetiginosus.

Ursachen: Häufig ist der entzündliche Ascites metastati-
schen Ursprungs, in Folge von zurückgetretenen akuten oder chro-
nischen Hautausschlägen, von unterdrückten Blutflüssen, durch
Erkältung, kalten Trunk. Am häufigsten entsteht Ascites aus
mechanischer Hemmung der Circulation im venösen Systeme ;
aber auch andere Entartungen der Unterleibseingeweide, des
Pancreas, der Milz, des Bauchfelles und seiner Anhänge etc. er-
zeugen Ascites.

§. 151.

Wir kommen nun zur Behandlung des Ascites. — In diä-
tetischer Hinsicht darf ich nicht unerwähnt lassen, dass bei der-



272 Hydropsien der Bauchorgane.

artigen Krankheitsformen Rettige, Radieschen, Sellerie, Meerret-
tig, Petersilie, Spargel und andere urintreibende Mittel durchaus
nicht so unzulässig sind, als man früher glaubte, weil man die
Ueberzeugung gewonnen hat, dass ihre geringe urintreibende
Kraft keineswegs störend auf die Wirkung der hier passenden
homöopathischen Arzneimittel einwirkt, im Gegentheil, wäre es
auch nur palliativ, die Wirkung vortheilhaft unterstützt.

Im Allgemeinen stehen uns, ausser den schon bei Hydropsien
im Allgemeinen, als auch bei den einzelnen Formen genannten,
hier nur wenige Mittel zu Gebote, von denen einige jedoch eine
specifische Heilkraft gegen Ascites besitzen. Am vorzüglichsten
erweist sich, wie ich vielfach zu beobachten Gelegenheit hatte,
Helleborus niger, nicht blos bei Oedem, sondern auch bei Bauch-
wassersucht. Ganz besonders nützlich ist dieses Mittel in den
akuten Formen, wo die Beseitigung oft einer einzigen Gabe ge-
lingt; in hartnäckigeren Formen reichen weder eine noch einige
Gaben von diesem Mittel aus, doch bewirkt es fast stets eine so
wohlthätige Veränderung in der Krankheit, dass dann das zu-
nächst passende Mittel intensiver einzuwirken scheint. Diesem
Mittel zunächst steht China um so mehr, je öfter derartige Zu-
stände Säfteverlusten allerlei Art, oder vorwaltender Schwäche
einzelner Unterleibsorgane, oder auch Desorganisationen verschie-
dener Baucheingeweide, wie der Leber, der Milz, des Pankreas,
ihr Entstehen verdanken. Sie empfiehlt sich aber ebenfalls blos
bei Harnunterdrückung, bei einem lästigen, kurzen, doch oft auch
mit Auswurf verbundenen Husten und Athembeklemmung. Bleiche
Hautfarbe, Kälte des ganzen Körpers und kleiner, langsamer Puls
sind zu geringfügige Criterien, als dass man, auf sie gestützt, ein
passendes Mittel wählen könnte, indem sie allgemeine wasser-
süchtige Zustände in der Regel begleiten, und gleichsam inte-
grirende Symptome der Gesammtkrankheit sind ; dennoch aber
haben sie bei den beiden eben genannten Arzneien einigen Werth,
und stimmen für ihre Anwendung, wenn die übrigen Krankheits-
zeichen nur übereinstimmend mit den Symptomen dieser Mittel
sind. — Grössern Werth hat die schmutzige, erdfahle Hautfarbe,
welches ein charakteristisches Symptom für das Darreichen des
Ferrum aceticum, oder besser, metallicum, ist. Ausser diesem
Symptom dürften aber auch die auffallende Abmagerung, neben



Hydrops abdominis. Bauchwassersucht. 273

dem Ascites, mit der grossen Mattigkeit, die nächtlichen Beschwer-
den, die Verschlimmerung durch Sitzen, kaum fühlbarer Puls, Ma-
genbeschwerden nach dem Essen mit Uebelkeit, ja selbst mit dem
Erbrechen des Genossenen, Leibverstopfung — zur Anwendung
von Ferrum auffordern. — Unter bestimmten für sie passenden
Bedingungen, die ich schon besprochen habe, ist Digitalis auch
in dieser Krankheitsform zulässig. — Auch Colchicum, Scilla und
Dulcamara sind unter den in mehreren vorhergehenden Paragra-
phen schon angegebenen Criterien anwendbar. — Bei grosser
Desorganisation und Degeneration drüsiger Organe im Unterleibe,
die von Zeit zu Zeit durch die auftretenden Schmerzen einen
neuen Entzündungszustand vermuthen lassen und die schon vor-
handene Wasser-Ansammlung nur noch mehr verstärken, ist Mer-
curius solubilis eins der zweckdienlichsten Mittel, dem vielleicht
eine Gabe Belladonna oder Dulcamara nachfolgen kann, je nach-
dem die Symptome für das eine oder das andere Mittel geartet
sind. — Für derartige Fälle besonders eignen sich auch Bryonia
und Pulsatilla, die namentlich auch wegen der hier ganz eigen-
thümlichen und charakteristischen Gemüthsstimmung schon bei der
Wahl berücksichtigt zu werden verdienen.

Noch muss ich zweier Mittel Erwähnung thun, von denen
ich einigemal bei allgemeiner Wassergeschwulst des ganzen Kör-
pers ausserordentlich vortheilhafte Wirkung gesehen habe; es
sind Euphorbium Cyparissias und Solanum nigrum. Von beiden
Mitteln gab ich einen Tropfen der unverdünnten Tinktur robusten
Bauern, und bewirkte dadurch auf mehre Wochen bedeutende
Abnahme und immer mehr sich verringernde Geschwulst. Eine
nähere Beobachtung war mir später nicht gestattet, weil diese
Leute, wenn es anfing besser zu werden, gewöhnlich nichts mehr
vom Arzte wissen wollten. Noch gehört hieher Prunus spinosa,
Schleedorn, den ich kürzlich mit grossem Nutzen, alle drei Tage
wiederholt, gegeben habe. Auch Ledum und Arsenicum sind hier
empfehlenswerthe Mittel. Letzterer insbesondere nach lange zu-
vor eingetretener Abmagerung mit mangelndem Appetit.

In dieser Krankheitsform dürften unter den antipsorischen
Mitteln, vorzüglich bei alten Personen, Kali carbonicum, Conium,
Sulphur, Jodiwn und ausserdem noch Zincum metall., Lycopo-
II. 18



274 Hydrops Anasarca. Hautwassersucht.

dium und Oleum Terebinthinae, als die passendsten Arzneien sich
auszeichnen.

Gern gestehe ich die Schwierigkeiten ein, für jedes Mittel
in diesen so wie andern Hydropsien, die jedesmal richtigen und
treffendsten Indicationen zu stellen, da ja alle diese Krankheits-
formen nur der Abglanz anderer Urleiden, nur Symptom schon
vorhandener Krankheiten sind, weshalb man sich auch bei ganz
specieller Bearbeitung der Hydropsien genöthigt sehen würde,
viel schon Besprochenes zu wiederholen. Soll diess Buch auch
nur für Anfänger geschrieben sein, so muss ich doch auf ihre
Beurtheilungsfähigkeit so viel Vertrauen setzen, dass sie den Ur-
zustand einer Krankheit richtig werden zu würdigen wissen, um
zu entscheiden, ob eins von den hier angegebenen Mitteln dem
gegenwärtigen Krankheitszustande entsprechend zu wählen sei,
oder ob es unter den bis hieher angeführten Krankheiten (die
ich darum den Wassersuchten voran schickte, weil diese letzte-
ren meistens nur Sekundärleiden dieser Krankheiten sind) sich
finden lasse, wo ich viele derselben ausführlicher besprochen habe.

§. 152.

Hydropsien der Haut.

Hydrops Anasarca. Hautwassersucht.

Ueber diese, so wie über die folgenden Formen kann ich
leicht und schnell weggehen, da sie in Seiner Beziehung wesent-
liche Differenzen darbieten.

Die Hautwassersucht besteht in einer schmerzlosen, Anfangs
weichen, teigigen, später mehr renitenten Anschwellung des Un-
terhautzellgewebes , über welcher die Haut mehr oder weniger
gespannt, meist kühl anzufühlen, nicht geröthet ist, und in wel-
che sich eine Teile eindrücken lässt, die eine kurze Zeit lang
nach aufgehobenem Drucke zurückbleibt. Diese Anschwellung
ist am beträchtlichsten an Theilen mit lockerem Zellgewebe, da-
her auf dem Rücken der Füsse und Hände, im Gesichte, an den
Augenlidern, am Präputium, Scrotum, auf dem Penis, an den
Schamlefzen. Um die Knöchel an den Füssen ist die Geschwulst
hei aufrechter Stellung am stärksten, verliert sich aber wieder
bei horizontaler Lage. Die Haut bekommt ein blasses, selbst



Hydrometra. Gebärmutterwassersucht. 275

gelbliches, durchscheinendes Aussehen, das durch die bläulichen
Stränge der durchschimmernden Hautvenen marmorirt wird. Diese
Anschwellungen contrastiren zuweilen auffallend gegen die gleich-
zeitige Abmagerung des Gesichts, Halses, der Hände, der Brust,
welche von einer schlaffen, erdfahlen, trocknen Haut bedeckt
sind. Nach und nach erschlaffen die Muskelparthien und er-
schweren nun auch mehr und mehr die Bewegungen. Endlich
wird die übermässig gesteigerte Ausdehnung der Gewebe em-
pfindlich, schmerzhaft; es zeigen sich rothe Hautflecken, die sich
ausbreiten und Ungleichheiten verursachen; die Hautfarbe wird
livid, schwärzlich, bräunlich; es bilden sich Ecchymosen, zuwei-
len Phlyctänen, oder gangränöse Schorfe auf der Oberfläche.

Die hier, nach den verschiedenen Ursachen, indizirten Mittel
sind: Dulcamara, Relleborus, Arsenic, Bellad., China, Jod., So-
lanum nigr., Prun. spinosa, Lycopod., Ledum, Sulphur etc.

Die zuweilen isolirt vorkommende Wassergesch willst
der grossen Schamlefzen (Oedema pudendarum) habe ich
in einem Falle mit llelleborus niger beseitigt; in anderen Fällen
können auch Bryonia, Arnica, Mercur., China, Dulcam., Colchi-
cum u. e. a. hülfreich sich erweisen.

Hydrocele bei Männern wird häufig mit Mercur., China,
Digitalis beseitigt; ist sie dagegen auf Scrophulosis begründet, so
lindet sie in Silicea ihr specifisches Heilmittel.

§. 153.
Hydropsien der Genitalien.

Hydrometra. Gebärmutterwassersucht.

Obgleich ich über diese Art Wassersucht gar keine Erfah-
rung habe, so muss ich sie doch der Vollständigkeit wegen hier
mit anführen.

Die Diagnose einer Gebärmutterwassersucht wird nur dann
möglich, wenn die Ausdehnung der Gebärmutterhöhle einen sol-
chen Grad erreicht hat, dass die Volumsvermehrung des Organs
der Exploration zugänglich wird. — Die Kranken sehen leuco-
phlegmatisch, gedunsen aus; die Menstruation hört auf zu fliessen,
und mit der Cessation der Menses schwillt der Unterleib auf.
Die Anschwellung findet aber nicht so gleichförmig und gradatim

18*



276 Hydropsien der Genitalien.

statt, wie in Schwangerschaft, erreicht oft schon in kurzer Zeit
einen hohen Grad und steht dann still. Die Geschwulst geht
mehr in die Breite, der Unterleib spitzt sich nicht nach vorne
zu. Die Anschwellung fühlt sich elastisch, gleichmässig, nicht
an einer Stelle härter oder weicher an, ist unempfindlich gegen
Druck, dislocirt sich nicht bei Lageveränderuug des Körpers.
Man erkennt in ihr mehr oder weniger deutliche Fluctuation, die
Percussion ergiebt matten Flüssigkeitston. Bei der innern Unter-
suchung findet man die Scheide kalt, die Vaginalportion tief
stehend, meist verdünnt und verstrichen, den Gebärmutterkörper
ausgedehnt, gespannt; man fühlt deutliche Fluctuation, doch aber
keine vorliegenden Kindestheile. Hierzu kommen noch allge-
meine hydropische Erscheinungen, aber sehr gemässigt: Oedem
der Unter-Extremitäten, der äussern Schamlefzen, in dem Zell-
gewebe, in der Beckengegend; trockne, spröde Haut, kalte Ex-
tremitäten, kleiner, schwacher, fadenförmiger, leerer Puls, ver-
minderte Harnsekretion.

Sollte ich in therapeutischer Beziehung eines oder
das andere Mittel empfehlen, so wären es vielleicht Sepia, Seeale
com., Phosph., Sulpkür, doch, wie schon gesagt, habe ich
keine Erfahrungen in dieser Krankheitsspecies und würde mich
deshalb freuen , wenn erfahrnere Homöopathen ihre hierin ge-
machten Beobachtungen veröffentlichen wollten.

Dagegen reihe ich diesem Paragraphen noch einige Be-
schwerden der weiblichen Geschlechtsthefre an, die doch in nicht
zu ferner Beziehung zu unserer Krankheit stehen.

Zuerst ist ein Vorfall der Vagina als ein Uebel für
Frauen zu betrachten, der durch seine mancherlei Störungen und
Unannehmlichkeiten, die er erzeugt, sehr lästig wird und darum
lebhaft den Wunsch erregt, davon befreit zu sein. In vielen
Fällen ist es blos nur eine Seite der Mutterscheide, die er-
schlafft ist und als eine Wulst herabhängt. Findet diese Er-
schlaffung an der vordem Wand statt, so ist oft ein beschwerli-
ches Harnlassen damit verbunden, das nur in horizontaler Lage
beschwerdelos zu bewerkstelligen ist; dabei Klage über Brennen,
Stechen in der Vagina, durch äussere Berührung vermehrt. Nux
half in vielen Fällen diesen Beschwerden binnen wenigen Tagen
ab, wie sie denn auch sehr häufig die empfindlich brennenden



Hjdrometra. Gebärmutterwassersucht. 277

Schmerzen während des Beischlafs in der Schwangerschaft, mit
darauf folgenden lange anhaltendem Drängen hebt. In andern
Fällen von Prolaps us vaginae fand ich Mercur., Ferrum,
Carbo veget., Lycopod. vorzüglicher als Nux.

Ein anderer grosser Uebelstand ist ein Prolapsus uteri (Vor-
fall der Gebärmutter). Neben den zweckdienlichen, nicht
zu entbehrenden Unterstützungsmitteln, wie sie die Chirurgie
uns kennen lehrt, sind es insbesondere folgende Mittel, die hier
in genauen Betracht zu ziehen sind: Beilade Sepia, Nux, Aurum,
Piatina.

Drängende Schmerzen in den innern Geschlechtstei-
len, mit oder ohne Kreuzschmerzen, so dass das Stehen sehr
beschwerlich und durch die Dauer sogar schmerzhaft wird, las-
sen sich am öftersten durch Beilad., Piatina und Sepia beseiti-
gen; doch habe ich später auch Fälle zur Behandlung bekommen,
wo ich genöthigt war Sulphur, Crocus, China in Anwendung zu
bringen. Es giebt ausserdem noch einige andere Mittel, die
unter ihren physiologischen Wirkungen ähnliche Beschwerden
aufzuweisen haben, ich habe sie aber noch nicht angewendet
und unterlasse deshalb, sie hier namentlich aufzuführen.

Wundheitsschmerzen in der Vagina belästigen nicht
minder, als die vorher genannten. Ihre Beseitigung gelang mir
am öftersten durch Rhus, Mercur, Thuja, Ferrum und Ambra.

Brennende und juckende Schmerzen hingegen, so-
wohl innerlich als äusserlich, finden ihre Heilmittel in Thuja,
Wer cur., Cantharides, Slaphysagria , Ambra, Rhus, Lycopod.,
Sepia, Silic, Carbo veget. etc., je nach den begleitenden Neben-
beschwerden. Doch kommt es wohl auch nicht zu selten vor,
dass die oft leidenschaftliche Ausübung des Beischlafs, beson-
ders in der ersten Zeit der Schwangerschaft bei Erstgebärenden,
und wenn ein grosses Missverhältniss zwischen den weiblichen
und männlichen Geburtstheilen obwaltet, die Veranlassung zu
brennenden Schmerzen in den innern weiblichen Geschlechtsthei-
len giebt; hier sind Schonung und Ruhe und die innerlich ange-
wendete Arnica die zweckmässigsten Heilmittel.

Gegen mete-o ristische Auftreibung des Uterus
wandte ich in einem Falle mit entschiedenem Nutzen Acid. phos-
phoricum an, denn ich bewirkte dadurch förmlichen Windeab-



278 Hydrops ovarii. Eierstockwassersucht.

gang und dadurch endliche Heilung; in einem andern Falle musste
ich noch Lycopodium zur Nachhülfe benutzen.

Emphy sematische Anschwellung der äussern
Schamlippen kommt wohl auch bisweilen vor, und ihre Hei-
lung gelingt wohl leicht der Anwendung von Bryonia, Rhus,
Ambra, Staphysagr., Arsen, u. e. a. Mitteln.

§. 154.

Hydrops ovarii. Eierstockwassersucht.

Es bildet sich auf einer Seite (meist auf der rechten, selten
auf der linken), gerade da, wo der horizontale Ast des Scham-
beines mit dem Darmbeinkamme zusammenstösst, unter meist
unbedeutenden, gewöhnlich ziehend-stechenden Schmerzen, eine
Geschwulst, die Anfangs nur ein Gefühl von Druck und Schwere
erregt, und nur undeutlich durch die Bauchbedeckungen, später
aber, wenn sie an Grösse zunimmt, deutlicher gefühlt wird und
den Unterleib ungleichma'ssig auftreibt. Die Geschwulst lässt sich
hin und her schieben, und wenn die Kranken sich schnell von
einer Seite zur andern werfen, entstellt ein Gefühl, als fiele ein
kugeliger, kalter Körper von einer Seite auf die andere. Die
Exploratio interna zeigt den Uterus immer nach der entge-
gengesetzten Seite hin verschoben ; immer ist derselbe auch in
die Höhe gezogen, oft so sehr, dass er mit dem untersuchen-
den Finger kaum zu erreichen ist. MÄ fühlt bei der Untersu-
chung Fluctuation. Consensuelle Erscheinungen sind: Gefühl von
Taubheit im Schenkel der leidenden Seite, oft mit ziehendem,
reissendem Schmerz wechselnd , Aufsteigen des Globus hysteri-
cus gegen den Magen, Brechneigung, wirkliches Erbrechen, häu-
figer Harndrang mit Beschwerde, Verstopfung, Blähungen, und
die Symptome des allgemeinen Hydrops, die jedoch sehr unbe-
deutend sind; ausgezeichnete Blässe des Gesichts, jedoch nur
bei längerer Dauer der Krankheit; kleiner, schneller Puls; trockne
Haut, ödematöses Schwellen der Knöchel, oft zuerst der Geni-
talien. — Am häufigsten kommt die Krankheit nach dem Ein-
tritte der Involution vor bei Frauen nach zahlreichen Geburten,
die Erschöpfung herbeiführten, oder auch nach Ueberreizung der
Genitalien ohne Conception. — Prognose ist ungünstig, zwar



Hydrops ovarii. Eierstockwassersucht. 279

nicht rasch tödtend, aber doch langsam, indem die Krankheit
oft' 6 — 8 Jahre dauert.

Mit der Therapie gegen diese Krankheit in der Homöo-
pathie ist es nicht weit her; sie vermag diese Krankheit auch
noch nicht zu heilen. Vielleicht wäre die Möglichkeit dadurch
gegeben, wenn daran Leidende sich früher einem homöopathi-
schen Arzte anvertrauten und nicht erst dann sich einstellten,
wenn die Krankheit schon so hoch gestiegen, dass sie auf den
ersten Blick zu erkennen wäre, wo dann an Heilung, wegen der
schon weit vorgeschrittenen Desorganisation des Ovariums, der
Fallopischen Röhren und selbst des Uterus, nicht mehr zu den-
ken ist. — Mir ist nur ein Mittel bekannt, das von homöopathi-
schen Aerzten als Heilmittel gegen diese Krankheit empfohlen
ist — der Mercur ; mir hat er das nicht geleistet, was ich von
ihm nach dieser Empfehlung erwartet hätte; dagegen sah ich,
bei schon weit vorgeschrittener Krankheit, grosse Einwirkung mit
Erleichterung und Abnahme der Geschwulst von Arsenic, der
auch nach einem oder einigen, ebenfalls nicht ungünstig wirken-
den Zwischenmitteln, als Cantharides, Prunus spinosa, von
Neuem seinen Nutzen bestätigte und die Krankheit lange, ohne
Zunahme, auf einem Punkte erhielt, aber doch nicht zu heilen
vermochte. — Ausser diesem ist es aber auch noch Jodium,
das ich bei einem spätem Falle mit dem eminentesten Nutzen ge-
reicht habe und mit dem wohl ein derartiges Leiden, selbst
schon auf einem hohen Standpunkte, vollständig geheilt werden
könnte, was ich zu beobachten leider nicht Gelegenheit fand,
da obige Kranke sich meiner Behandlung entzog, ehe ich voll-
ständige Heilung erzielt hatte. Wahrscheinlich glaubte die Kranke
aus der niedern Klasse des Volks, der Rest werde von selbst
noch verschwinden. — ich habe nichts weiter von ihr gesellen
und gehört.

Ich sollte meinen, wenn wir die Erregungsursache berück-
sichtigen , die wohl in der Mehrzahl der Fälle Veranlassung mit
zur Entstehung der Krankheit geben mag, dass, wenigstens im
Beginn des Leidens, wenn die Diagnose festgestellt ist, China,
Acidum phosphor., Sepia, Piatina, Graphit, Staphys. u. e. a.
Mittel, nicht blos von vorübergehendem Nutzen, sondern als
wahre Heilmittel sich erweisen müssten. Ferneren Beobachtun-



280 Halblähmung des Herzens.

gen lind Erfahrungen bleibt es vorbehalten, meine muthmassli-
chen Vorschläge zu bestätigen, oder zu verwerfen.



Sechszehnte Ordnung.
Halblähmung des Herzens.

§. 155.

Lipothymia, Syncope, Anitni deliquium, Asphyxia, Suspensio vitae.
Ohnmacht, Scheintod, verborgenes Leben.

Ohnmacht besteht in Minderung oder temporärer Aufhebung
der Herzthätigkeit , daher geschwächter oder gänzlich aufgeho-
bener Pulsschlag und Respiration, Verlust des Bewustseins, der
Empfindung und Bewegungskraft.

Man unterscheidet gewöhnlich mehre Grade der Ohnmacht:
der geringere, Lipothymia, wo der Puls und die Respiration
massig geschwächt sind; Syncope, wo sie kaum noch zu be-
merken sind; Asphyxia, wo sie gänzlich fehlen. — Vorboten
sind: Umneblung der Sinne, Schwarzwerden und Nebel vor den
Augen, Ohrensausen, Schwindel, Zittern, Gähnen, Angstgefühl
in den Präcordien , Ueblichkeit, Brechneigung, Blasswerden des
Gesichts und der Lippen, Kaltwerden der Gliedmassen, Ausbre-
chen von kaltem Schweiss auf Stirn und Hals; der Puls ist
schwach, klein, rasch wechselnd; endlich schwinden die Kräfte,
die Kranken sinken zusammen und wissen mehr oder weniger
nichts mehr von sich, oder hören noch was um sie her vorgeht,
ohne Macht, dagegen sich activ zu verhalten. Diess die Lipo-
thymie.

In der Syncope sinkt der Kranke plötzlich und unvermu-
thet, ohne vorhergegangene Vorboten, zusammen. Hier ist oft
kein Puls in den Arterien und selbst der Herzschlag mit der blos-
sen Hand nicht mehr zu fühlen; nur die Auskultation lässt die
schwachen Contractionen des Herzens wahrnehmen, der zweite
Herzton ist gewöhnlich nicht mehr, der erste nur schwach hör-
bar. Das Athmen ist schwach, die Athemzüge seltner; oft scheint
es ganz aufgehört zu haben und man erkennt es blos noch an der
leichten Bewegung an einer vor den Mund gehaltenen Flaum-



Lypothyinia. Ohnmacht. 281

feder. Das Auge ist gebrochen, die Gesichtszüge collabirt, die
Nase zugespitzt, der Unterkiefer herabgesunken, alle Muskeln,
selbst die Sphincteren sind erschlafft; der Ohnmächtige sieht,
hört, spricht und bewegt sich nicht; er ist marmorkalt, der
Stuhlgang geht oft unwillkürlich ab. — Dieser Zustand dauert
oft nur wenige Sekunden, Minuten, zuweilen aber auch ^,
1 Stunde und länger. Patient kommt rasch oder allmälich zu
sich; gewöhnlich erfolgt die Wiederkehr des Lebens unter Seuf-
zen, Gähnen, Strecken der Glieder, Herzklopfen, leichten Zuckun-
gen der Gesichts- oder anderer Muskeln, zuweilen Erbrechen,
Abgang von Blähungen, Stuhlentleerung.

Ursachen: Besonders häufig findet man diese Ohnmächten
bei sehr reizbaren Personen — Hysterischen und Hypochondern;
so auch nach schwächenden, langdauernden Krankheiten, nach
langer Entbehrung von Nahrungsmitteln; ferner nach heftigen
Gemüthsbewegungen, Schreck, Freude, Anstrengung des Kör-
pers und Geistes, Ermüdung, Erschütterung des Körpers durch
Schlag oder Stoss auf das Epigastrium, durch Athmen verdor-
bener mephitischer Luft, raschen Temperaturwechsel etc.

Prognose ist sehr verschieden nach den Ursachen; die hy-
sterische ist ganz ohne Gefahr und wenn sie noch so lange dauert,
gefährlicher die plethorische oder von Hemmungen des Blutum-
laufs im Herzen und vom höchsten Grade der Erschöpfung ; von
gefährlicher Bedeutung für die Krankheit die, welche zu Anfang
oder im Verlauf der Fieber eintritt. Bei jeder zu lange dauern-
den Ohnmacht sind wegen des Stillstands der Circulation Stockun-
gen des Bluts, besonders bei einem entzündlichen Zustande des-
selben, zu fürchten.

§. 156.

Ein bestimmtes ärztliches Handeln bei Ohnmächten lässt
sich nicht angeben, da selbige häufig Begleiter chronischer Krank-
heitszustände sind, wogegen alsdann Mittel gewählt werden müs-
sen, die dem Gesammtleiden entsprechen. — Zweckdienlich, ja so-
gar unerlässlich ist, diejenigen Dinge aus der Nähe der Kranken
zu entfernen , wodurch etwa die Ohnmacht hervorgerufen wurde,
als widernatürliche Gerüche, abschreckende Gegenstände, Koh-
lendunst, starker Blumenduft und dergleichen; eben so befreie



282 Halblähraung des Herzens.

man den Körper von beengenden Kleidungsstücken , lege Hals,
Brust und Unterleib bloss, gebe dem Ohnmächtigen eine hori-
zontale Lage, öffne Thüren und Fenster, um kühle Luft einströ-
men zu lassen, oder bringe den Kranken selbst an das Fenster,
an die freie Luft. Oft reicht diess Verfahren allein schon hin,
um den Anfall ohne andere Mittel abzukürzen. Wo nicht, so
ist das einzige allgemeine und unschädliche Erweckungsmittel
Besprengen mit kaltem Wasser; bei der hysterischen Ohnmacht
das Vorhalten von gebrannten Federn, aufgeschnittener Zwiebel,
Essig, Salmiakgeist vor die Nase. Man reibt Patient Schläfe,
Stirn, Lippen, Herzgrube mit Essig, Wein und flösst ihm letz-
teren oder etwas Wasser tropfenweise ein ; auch Reiben der Ex-
tremitäten und Lavements sind am passenden Orte und bei noch
längerer Dauer Meerrettigumschläge über Magen- und Herzgegend.
Hängt die Ohnmacht von allgemeiner Schwäche ab , die
fortwährend von Aengstlichkeit begleitet wird, so wird kein Mit-
tel diesen Zustand leichter zu beseitigen vermögen, als Arse-
nic. — Ist dagegen die Schwäche und die daraus entspringende
Ohnmacht Folge einer heftigen, lange anhaltenden, akuten Krank-
heit, so dass schon die geringste Bewegung selbige herbei-
führt, so ist Veratrum dem Arsen, vorzuziehen. — War diese
Schwäche und das damit verbundene öftere Ohnmächtigwerden
aus grossem Säfteverlust, z. B. nach langem Stillen, öfteren
Aderlässen, bedeutenden Blutflüssen, häufigen Samen-Ergiessun-
gen durch Beischlaf oder Onanie, nach^angwierigen Diarrhöen
und dergleichen entstanden, so kann kein Mittel schnellere Hülfe
schaffen, als China; zuweilen fällt hier Acid. phosphor. und Sta-
physagr. mit in die Wahl. — Sind öftere Blutwallungen , Con-
gestionen nach dem Kopfe die Veranlassung zur häufigen Ent-
stehung von Ohnmächten, so ist das Hauptmittel Aconit, zuwei-
len auch Belladonna, Nux, Crocus , welcher letztere dann auch
den Vorzug verdient, wenn die Ohnmacht von heftigem Nasen-
bluten entstanden war; die letztern Mittel überhaupt bei jungen,
kräftigen, starken Personen. — Den bei Hysterischen vorkom-
menden öftern Ohnmacht-Anfällen begegnet man am besten mit
Chamomilla, Moschus, Ignat., Valeriana, Pulsatilla, Viola odo-
rata, Cocculus etc. — Ohnmächten durch Nachdenken, Schrei-
ben oder nach Liegen hervorgerufen, entspricht am sichersten



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #12 on: April 30, 2013, 09:36:53 PM »

Asphyxia. Scheintod. 283

Caladium. — Die Ohnmächten, die gewöhnlich Morgens einzu-
treten pflegen, hebt man mit Carbo veget. und Nux. — Derartige
Abends, bei geringen Schmerzen, Schwindel und mit Vergehen
der Augen Hepar sulphur. oder Nux moschata. — Nach dem
Mittagsessen, Nux. — Mit Kälte der äussern Theile: Colocynth. —
Mit Uebelkeit und Sinken der Kräfte: Caustic. u. s. w.

Verhungerten ist bei vorkommenden Ohnmächten oder
gar Scheintod mit Arzneien oder den vorgenannten Belebungs-
mitteln nur so lange gedient, als sie zur Erweckung des Lebens
erforderlich sind; um den Wiedereintritt aber zu verhüten, nützen
öftere, kleine Quantitäten Wein und später kleine Portionen
Bouillon mit Ei, Zwieback, Sago, Gries und endlich kräftigere,
aber immer noch mit Vorsicht und wenig auf einmal gereichte,
Nahrungsmittel.

. §: 157.

Asphyxia. Scheintod.

Unter Asphyxie versteht man das vollkommene Scheinbild
des Todes, das sich kund giebt im Aufhören aller vitalen Ver-
richtungen des Herz - und Pulsschlages , des Athmens , in Un-
empfindlichkeit, Bewegungs-, Bewusstlosigkeit und Erstarren der
Glieder. Es ist ein Zustand, der sich den äussern Kennzeichen
nach nur durch das Fehlen der Fäulniss und die (davon schon
herrührende) teigartige und die Eindrücke behaltende Weichheit
der Cornea und die Möglichkeit wiedererwachenden Lebens vom
wirklichen Tode unterscheidet. — Zuweilen ist noch inneres Be-
wusstsein möglich, so dass die Scheintodten selbst hören, was
um sie vorgeht, ohne ein Zeichen des Lebens von sich geben
zu können.

Pathogenie. Die Ursachen sind solche, die mechanisch
den Respirationsact hemmen durch Absperren des Zutritts der
äussern Luft, wie bei Erdrosselten, Erhängten, Ertrunkenen,
Verstopfung der Luftwege durch fremde Körper, des Kehlkopfs
oder der Luftröhre durch croupöses Exsudat, Schleim, Eiter oder
andere Krankheitsproducte, Compression der Luftcanäle durch
Geschwülste, Aneurysmen, Abscesse, Kropf etc. — Der Schein-
tod wird ferner herbeigeführt durch Entziehung der unmittelbar
zum Leben nöthigen Stoffe, der Wärme, des Sauerstoffs (Er-



284 Halblälimung des Hei'zens.

frieren, Mephitis), oder unmittelbar die Vitalität erschöpfende
Einwirkungen (der Blitz, die heftigsten Grade von Gemüthser-
schütterung, lähmende Gifte, solche Krankheiten, z. B. bösartige
Nervenfieber, Pest). Auch kann jede Ohnmacht bei langer Dauer
in Asphyxie übergehen; sie kann ferner als Symptom von Ner-
venkrankheit vorkommen, bei Hysterischen, Epileptischen, Cata-
leptischen , Wöchnerinnen.

§. 158.

Therapie. Die Hauptindication ist; Wiedererweckung der
gebundenen Lebenskraft und Lebensthätigkeit, besonders der Le-
bensorgane, des Herzens und der Lungen, zunächst Beseitigung
der Hindernisse, welche ihre Thätigkeit hemmen. Wird die Le-
benskraft, die Bedingung der Erregbarkeit, nicht erst geweckt,
so kann kein Reiz wirken und alle Reizmittel werden vergeblich
angewendet. Dazu sind nun die beiden Grundbedingungen alles
Lebens; Wärme und Luft, erforderlich. — Man lege also den
Scheintodten in reine Luft und bedecke ihn mit erwärmten Fe-
derbetten, oder warmer Asche und Sand, lege ihm immer er-
neute warme Körper auf die Herzgrube, unter die Schultern und
Fusssohlen (am besten das Auflegen eines lebenden Körpers),
bringe ihn in ein warmes, mit Salz oder Asche geschärftes Bad,
dessen Temperatur anfangs nur lau sein darf, die man nach und
nach durch Zugiessen von warmen Wasser erhöht. In einem sol-
chen Bade lasse man den Asphyktischen eine Stunde lang, wäh-
rend welcher Zeit andere Reize in Gebrauch gezogen werden
können, z. B. Reiben der Glieder mit der flachen Hand, wolle-
nen Tüchern, weichen Bürsten. Bei Blutcongestion nach dem
Kopfe ist selbst das Begiessen desselben mit kaltem Wasser im
Bade oft von grossem Nutzen. Wird Patient aus dem Bad ge-
nommen, so wird er, sorgfältig abgetrocknet, in ein erwärmtes
Bett gebracht, dessen Temperatur man durch Wärmflaschen und
dergleichen in einem gleichmässigen Grade zu erhalten sucht. —
Es versteht sich von selbst, dass'bei der Entkleidung des Kran-
ken die grösste Vorsicht gebraucht werden muss ; im Allgemei-
nen ist es wohl zweckmässig, die Kleidungsstücke mit Messer,
Scheere etc. loszutrennen, um gewaltsames Erschüttern, Biegen
und Strecken der Glieder zu vermeiden. — Durch diese blosse



Asphyxia. Scheintod. 285

Erwärmung sind schon oft Scheintodte wieder belebt worden;
sie ist wichtiger als alles Uebrige, die Grundbedingung aller
weitern Behandlung, und man hüte sich sehr, sie durch Anwen-
dung anderer Behandlungsarten zu unterbrechen. — Allgemeine
Regel ist übrigens, dass man nie zu viel auf einmal thue, son-
dern alles nur nach und nach und in längeren Zwischenräumen;
ferner, dass man gradatim von den schwächern zu den stärkeren
Reizmitteln übergehe, damit man nicht durch zu rasches Handeln
und durch die zu starken Reize den Rest der noch vorhandenen
äusserst geringen Reizbarkeit eher vollends erschöpfe.

Um den Athmungsprocess sobald als möglich wieder in Gang
zu bringen, muss er künstlich erregt werden, durch Einblasen
von Luft in den Mund bei zugehaltener Nase und mechanische
Nachahmung der respiratorischen Thoraxbewegungen. Ersteres
geschieht am besten von Mund zu Mund, denn die Wärme und
der Halitus vitalis des Athems sind grosse Erweckungsmittel der
Lungen und des Herzens; dann kann es aber auch bewirkt wer-
den durch reine oder, wenn man es haben kann, oxygenirte Luft
vermittelst künstlicher Apparate. Vorher aber muss Mund und Nase
des Asphyktischen von anklebendem Schleim gereinigt sein. —
Das zweite, das künstliche Athemholen, bewirkt man am besten
durch Umlegen eines Handtuchs um die Brust und abwechselndes
Anziehen und Nachlassen desselben:

Ausser den genannten Belebungsmitteln gehört hieher noch
das Durchleiten einer elektrischen oder galvanischen Erschütte-
rung durch das Herz, mit Anlegung des einen Konduktors in die
Herzgrube , des andern gegenüber am Rückgrat. Eisenmann's
Vorschlag zur Anwendung des Galvanismus ist: eine Nadel am
Rande des Muse, sternocleidomastoideus in der Mitte zwischen
dem Manubrium sterni und dem Winkel der Kinnlade und eine
zweite unter den falschen Rippen gegen den Rand des Zwerch-
fells einzudrehen und nun die beiden Leitungsdrähte einer massi-
gen galvanischen Säule mit diesen Nadeln in Verbindung zu brin-
gen. — Während des Bades, oder auch gleich Anfangs ist das
Besprengen des Gesichts, der Herzgrube, der Genitalien mit kal-
tem Wasser, Essig, Wein, am besten mit einer Spritze und mit
einer gewissen Gewalt anzuwenden ; auch das Auftröpfeln von
Aether auf die Herzgrube ist zu versuchen, und flüchtiger Sal-



286 Halblähmung des Herzens.

miakgeist unter die Nase zu halten. — Die Frictionen macht man
an den Gliedern, auf der Herzgrube, Brust, dem Rückgrate, an
Stirn und Schläfe, wozu man sich von Zeit zu Zeit auch geisti-
ger Flüssigkeiten bedienen kann.

Andere Hautreize sind noch: das Ansetzen trockner Schröpf-
köpfe, das Stechen mit Nadeln (unter die Nägel), das Peitschen
mit Brennnesseln, das Auftröpfeln von geschmolzenem Wachs,
Pech, Siegellack, die Anwendung des Glüheisens auf Herzgrube
und Rückgrat, ein Vesicator auf die von der Oberhaut vorher
entblösste Gegend der Herzgrube, das Abbrennen von Moxen
auf der Haut. — Ohne weitere Erinnerung wird der Leser von
selbst einsehen, dass diese gewaltsameren und schmerzhafteren
Reize erst dann in Anwendung zu bringen sind, wenn alle an-
dern Mittel fruchtlos versucht wurden.

Ja selbst der Blutentziehungen ist der Homöopath in
derartigen Fällen nicht überhoben und er würde seinen Ruf sehr
gefährden, wollte er sich hartnäckig derselben widersetzen, um
so mehr, als bei Asphyktischen in keinem Falle ein glücklicher
Ausgang verbürgt werden kann, der unglückliche aber in fast
allen Fällen dem unterlassenen Aderlass zugeschrieben werden
würde, wie die tägliche Erfahrung lehrt. — ■ Uebrigens bringt
ein Aderlass im Scheintod, wird er nicht zu vorschnell angewen-
det, nie Schaden, sondern nur Gewinn, denn oft ist er nur das
einzige Mittel, die gebundene Lebenskraft aus ihren Banden zu
befreien und die Reizbarkeit für die Anwendung anderer Mittel
empfänglich zu machen. Am empfehlenswerthesten aber ist ein
Aderlass da, wo die Zurückdrängung des Bluts in die Gefässe
des Gehirns, der Lungen, in die Herzhöhlen durch auffallende
Bläue und venöse Turgescenz des Gesichts, durch starke Röthung
des ganzen Körpers, durch starke Hervorgetriebenheit und In-
jection der Augen, durch Anschwellung der Venen am Halse und
an den Schläfen sich unzweideutig zu erkennen giebt.

Nach gelungener Wiedererweckung darf der Kranke nicht
aus den Augen verloren werden, denn je tiefer die Asphyxie
war, desto gefährlicher sind die sich gewöhnlich einstellenden
Reactionen, denn nicht selten folgen heftige Congestionen oder
Entzündungen, besonders des Gehirns und der Lungen oder eine
Art typhösen Zustandes, die die ä'rztliche Sorgfalt in hohem



Asphyxie durch Ertrinken. 287

Grade in Anspruch nehmen und nun dem homöopathischen Heil-
verfahren gemäss, das a. a. 0. dieser Therapie vorgeschrieben
ist, behandelt werden müssen. Häufig erfolgen unwillkürliche
stinkende reichliche Darmausleerungen, die den Kranken sehr
erleichtern. Wo diess nicht der Fall ist, thut man wohl, die
nöthigen Lavements anzuordnen.

§. 159.

Asphyxiedurch Ertrinken.

Asphyxie und Tod durch Ertrinken können auf zweierlei Art
erfolgen: von den Lungen aus durch Abschliessung der Athmungs-
fläche gegen die äussere Luft und dadurch bedingte Nichtoxyda-
tion des Bluts; dann vom Gehirn aus durch plötzliche Aufhebung
seiner Function.

Wichtig ist für uns, dass Manche, die in's Wasser fallen,
ohne irgend einen Kampf rasch das Bewusstsein verlieren, zu
Boden sinken und unter dem Wasser bleiben, wo dann zu ver-
muthen steht, dass die Wirkung zunächst das Gehirn betroffen
hat; während bei Jenen, die suffocatorisch enden, der Kampf
mehr oder weniger lang dauert und das Bewusstsein wahrschein-
lich erst dann schwindet, wenn das Gehirn den betäubenden Ein-
fluss des nicht oxydirten Blutes erleidet (Canstatt).

Prognose: Man darf auf Wiederbelebung hoffen, wenn der
Verunglückte nicht länger als 5 Minuten im Wasser lag; war er
eine Viertelstunde und länger unter Wasser, so ist die Aussicht
auf mögliche Rettung sehr gering; doch giebt es wohl auch Bei-
spiele vom Gegentheile dieser Behauptung. Die Prognose wird
um so schlimmer, je kälter das Wasser war, in dem das Indivi-
duum verunglückte.

§. 160.

Behandlung. Alles hängt hier von einer ungesäumten
richtigen Leitung der Belebungsversuche ab, und gewiss sehr
oft wird hier viel durch Mangel an Methode, durch Verwirrung
und übermässige Geschäftigkeit verdorben, weil in den wenig-
sten Fällen der Arzt gleich bei der Hand sein kann. — Wie wir
aus dem vorigen Paragraphen ersehen, sterben die wenigsten
Verunglückten der Art von dem Eindringen des Wassers in die



288 Halblähmung des Herzens.

Lungen oder den Magen und darum ist es die verkehrteste Mass-
regel, die getroffen werden kann, solche Verunglückte auf den Kopf
zu stellen, um sie wie eine Wasserflasche auszugiessen. Die Haupt-
sache ist: die thierischen und Lebensverrichtungen wieder in
Gang zu bringen und diess geschieht am zweckmässigsten auf
folgende Art: Der Verunglückte wird so vorsichtig als möglich
aus dem Wasser gezogen und in horizontaler Lage an einen war-
men Ort gebracht: in warmen Sommertagen kann diess sogar im
Freien an sonnigen Plätzen geschehen. Die äussere Wärme ist
ein wichtiges Belebungsmittel und um sie frei auf die Haut ein-
wirken zu lassen, entkleidet man den Verunglückten ganz; man
schneidet Kleider, Binden, Hemden auf und trocknet den Körper
mit erwärmten Tüchern, Flanelllappen ab. Man legt ihn auf die
rechte Seite, Kopf und Brust etwas höher als die untern Ex-
tremitäten, damit die in Mund und Luftröhre eingedrungene Flüs-
sigkeit freien Abfluss habe; man reinigt den Mund und die Nase
vom Schlamme oder andern Unreinigkeiten. Um die äussere
Wärme zu erhöhen, legt man zu beiden Seiten, auf das-Rück-
grat, zu Füssen des Ertrunkenen Wärmflaschen und bedeckt die
Herzgrube mit warmen Tüchern oder mit warmem Wasser gefüll-
ten Blasen. Man reibt Fusssohlen, Extremitäten, Herzgrube,
Rückgrat abwechselnd mit warmen Flanelltüchern oder mit har-
ten Bürsten. Man reizt die Nasenschleimhaut durch den Geruch
von Salmiakgeist, Essigsäure, Aether, reibt spirituöse, aroma-
tische Flüssigkeiten in die Haut ein, kitreit die Fusssohlen, die
feine Haut der Nase, das Zäpfchen mittels der Fahne einer Fe-
der. Auch Tabaksklystiere, oder dergleichen mit Salz, Seife,
Essigwasser geschärft, sind empfehlenswerth. Alle diese Reize
aber müssen mit Mässigung angewendet werden.

Das Athmen sucht man auf die unter Asphyxie schon ange-
gebene Art wieder in Gang zu bringen; man drückt die untern
falschen Rippen von der Seite her nach aufwärts und wendet
zugleich einen sanften Druck auf den Unterleib in der Richtung
gegen das Zwerchfell hin an, wodurch dieses in die Brust hin-
aufgedrängt wird; hieher gehört auch das Lufteinblasen, wobei
man den Kehlkopf gelind von aussen nach hinten drückt, damit
die Luft nicht in die Speise-, sondern in die Luftröhre gelange. —
Auch hier wird die Anwendung des Galvanismus angerathen;



Asphyxie durch Erdrosseln, Erhängen. 289

eben so das Tropfbad auf die Herzgrube, das Tropfen heissen
Siegellacks auf die Haut, das Ansetzen von Ventosen auf die
Nabelgegend oder an die innere Seite der Schenkel ist empfeh-
lenswerth. — ■ Schlüge auch dieses Verfahren fehl , so soll man
den Verunglückten noch in warme Asche einhüllen, mit Aus-
nahme des Kopfs, und im Nothfalle noch Sand oder Salz zu-
mischen und mit einem solchen warmen trocknen Bade mehre
Stunden hinter einander fortfahren.

Stellt sich allmälig Wärme und Reaction ein, so bringt man
den Kranken in ein warmes Bett, giebt ihm etwas leichten grü-
nen Thee mit ein wenig Rum , damit er möglichst in Schweiss
gerathe, doch ohne zu starke Erhitzung zu bewirken, die leicht
üble Folgen haben kann. Ist Patient ein plethorisches Subject,
so wäre diess, bei deutlich ausgesprochenen Congestionen, der
richtige Zeitpunkt zum Aderlass, der früher ganz unnütz, so
lange der Kreislauf nicht im Gange ist.

Die Wiederbelebungsversuche müssen mehrere Stunden lang
und darüber fortgesetzt werden; man darf sie erst dann aussetzen,
wenn Todtenstarre eintritt.

S. 161.

Asphyxie durch Erdrosseln, Erhängen.

Der durch Erdrosseln bedingte Tod erfolgt am häufigsten
durch Apoplexie und Suffocation zugleich, wie wir diess aus den
Aussagen wieder belebter Individuen entnehmen können, wo-
durch sich herausstellt, dass die aus Gehirnhyperämie entstehenden
Empfindungen und Erscheinungen die erste Wirkung der Stran-
gulation sind. Diese Erscheinungen bestehen in Roth- und Blau-
werden des Gesichts, Hervortreibung der Augen, Gefühl von
Schmerz, Hitze, Schwindel im Kopfe, feurigen Blitzen und dar-
auf folgender Nacht vor den Augen, Sausen und Klingen in den
Ohren, worauf endlich Empfindungs- und Bewusstlosigkeit folgt.
Niemals waren diese Individuen sich der Athemnoth bewusst; voll-
kommener Stupor geht der Erstickung vorher. Häufig tritt bei
Männern Erection des Penis und Samenergiessung in den letzten
Lebensmomenten ein.

Bei der Behandlung eines Erdrosselten oder Erhängten
II. 19



290 Halblähmung des Herzens.

ist Sorgfalt und Vorsicht beim Abschneiden der Ligatur höchst
erforderlich, damit der Körper nicht durch Fall auf den Boden
verletzt werde. Alsdann wird der Erhängte, nach vorheriger
Entkleidung, in eine horizontale Lage mit erhöhtem Kopf und
Brust gebracht. Bei Zeichen von Livor im Gesichte und Vermu-
thung apoplektischen Scheintodes ist die Anwendung des thieri-
schen Magnetismus, wodurch der heftige Blutandrang nach dem
Kopfe am ersten gehoben wird, das vorzüglichste Wiederbele-
bungsmittel durch einen negativen Strich, den man mittels einer
geschwinden Bewegung der flachen ausgestreckten rechten Hand,
etwa parallel einen Zoll entfernt vom Körper vom Scheitel herab
bis über die Fussspitzen geführt, bewirkt; je schneller dieser
Strich gemacht wird, desto stärker ist die Entladung. Alle 2 — 3
Minuten wird dieses Manöver wiederholt, während man bei offe-
ner Thüre und Fenstern, um den Erhängten einem kühlen Luft-
strome auszusetzen, in der Zwischenzeit durch Lufteinblasen,
überhaupt durch die künstliche Respiration, durch Reiben, Frot-
tiren, Schlund- und Rachenreiz die Wiederbelebung zu bewerk-
stelligen sucht. Sollte es auf diese Art nicht sehr bald gelingen,
den hier eingetretenen apoplektischen Zustand, durch noch fort-
bestehende Kopfcongestionen unterhalten, zu heben, so säume
man nicht, eine Ader zu öffnen, am besten die Jugularvene, und
lasse eine nur massige Menge Bluts ausfliessen, wodurch die
Blutcirculation, wenn diess überhaupt noch möglich, frei wird,
ist sie diess geworden, so begegnet mannen etwa nachher noch
sich zeigenden Symptomen von Gehirnhyperämie durch die hie-
her gehörenden zweckmässigen homöopathischen Mittel, wie Aco-
nit , Beilad., Bryon., Merc. etc. deren Wirkung man durch Hafer-
grütz-Umschläge auf die Fusssohlen verstärkt. — Gelänge auch
auf diese Art die Wiederbelebung nicht, so reibt man warmen
Wein oder Essig-Naphta in die Herzgrube und Schläfegegend
ein, bürstet die Fusssohlen und wendet reizende Klystiere, ja
selbst ein laues oder warmes Aschen-Bad an, und giebt von
Zeit zu Zeit eine Gabe Coffea, nach vorheriger öfterer Anwen-
dung der Solutio Camphorae. — Bei blassem Gesichte und man-
gelnden Zeichen von Blutüberfüllung des Gehirns muss die Ve-
näsection unterbleiben und nur die Haut- und Schleimhautreize,
das künstliche Athmen, der Galvanismus dürfen versucht wer-



Scheintod durch Erfrieren. 291

den. Den gequetschten Hals bäht man mit erweichenden Fomen-
tationen, Einreibung von Mandelöl.

§. 162.
Scheintod durch Erfrieren.

Symptome des Erfrierens sind : zuerst eine grosse Mattig-
keit und bleierne Schwere in allen Gliedern; Erfrierende em-
pfinden das Bedürfniss des Hungers; der Kopf wird ihnen dumm
und eingenommen und sie überwinden schwer die Neigung zum
Schlummern. Endlich gewinnt die Muskelermattung die Ober-
hand, sie sind nicht mehr im Stande zu gehen und zu stehen,
wanken wie betrunken umher, werden vom Schlafe, wie sie auch
dagegen kämpfen, übermannt und verfallen in einen lethargischen
Sopor, welcher in völliges Erlöschen des Lebens übergeht. Meist
dauert während des Sopors Athmen und Kreislauf noch eine Zeit
lang fort. Wiedererweckung ist oft noch nach 24stündiger,
zweitägiger Dauer der asphyktischen Bewusstlosigkeit möglich.
— Glieder und Körper solcher Verunglückten sind erstarrt, zu
Eis gefroren, oft ebeu so brüchig wie dieses, und darum bei der

Behandlung die grösste Vorsicht erforderlich, damit beim
Transporte, beim Entkleiden und bei den vorzunehmenden Mani-
pulationen, welchen der Erfrorene unterworfen werden muss, die
spröden erstarrten Glieder desselben nicht zerbrochen werden.
Die nächste Regel ist, in der Erwärmung des Verunglückten zu-
erst die niedrigsten Temperaturgrade anzuwenden und nur in
längeren Zwischenräumen sehr allmälig zu höheren Wärmegra-
den aufzusteigen, damit der letzte Lebensfunken der noch nicht
völlig erloschenen Lebenskraft nicht vollends ganz verlischt.

Man entkleidet den Erfrorenen (die Kleidung muss durch-
schnitten werden) , legt ihn auf Schnee und bedeckt auch den
übrigen Körper, mit Freilassung des Mundes und der Nasenlö-
cher, ein bis zwei Zoll hoch mit Schnee, den man fest andrückt.
So wie der Schnee zu schmelzen beginnt, erneuert man ihn. In
Ermangelung des Schnee's ist eiskaltes Wasser das beste Ersatz-
mittel, das man am besten als Bad benutzt oder den Erfrorenen
in mit eiskaltem Wasser getränkte Tücher einwickelt. Nach etwa
1 Stunde nimmt man ihn aus dem Schnee heraus und geht nun
zum Waschen des ganzen Körpers mit geschmolzenem Schnee-

19*



292 Scheintod durch Erfrieren.

wasser über und sucht allmälig die Glieder vorsichtig zu bewe-
gen. Nach und nach geht man zu wärmeren Graden des Was-
sers über, reibt die Herzgrube mit Wasser und Essig, Wein,
Naphtha und hält ihm von Zeit zu Zeit Salmiakgeist oder Cam-
pherspiritus unter die Nase. Verbreitet sich Wärme über den
Körper, verlieren die Glieder ihre Steifheit, so wird der Kranke
sorgfältig abgetrocknet und in ein etwas erwärmtes Bett in einer
wo möglich nur massig erwärmten Stube gelegt, wo man die
Reibungen beginnt und die künstliche Respiration anwendet;
die aufgethauten Glieder wäscht man mit lauem Wein, Essig oder
mit Wasser und Branntwein; alsdann flösst man ihm innere Er-
wärmungsmiltel ein, anfangs in kleinen, hernach immer steigen-
den Gaben, wozu sich grüner Thee mit ein wenig Rum oder
Rothwein, noch besser aber die Tr. Coffeae crudae (deren pal-
liative Anwendung in schnell entstandenen, schnelle Hülfe erfor-
dernden Krankheiten, z.B. der Seekrankheit, Vergiftung mit Mohn-
saft, mit Weissnieswurzel, des Scheintods der Ertrunkenen, Er-
stickten, besonders aber der Erfrorenen u. s. w. sich oftmals
durch die Erfahrung bestätigt hat), später Bouillon u. s. w. am
besten eignet. — Sollte der Belebte noch über ein Abgeslorben-
heitsgefühl einzelner Theile, z. B. der Nase, Ohren, Hände, Füsse
klagen, so setzt man gegen diese das frühere Verfahren noch
fort. Die nach der Wiederbelebung gewöhnlich eintretenden
fieberhaften Beschwerden oder andere Zufälle nebst ihrer Be-
handlung gehören nicht hieher; der Le#r sehe sie am passen-
den Orte nach.

§. 163.

Sideratio. Asphyxie durch Blitzstrahl.

Der vom Blitz Getroffene behält oft dieselbe Stellung bei,
die er vorher hatte; hat der Blitz nicht sogleich getödtet, so lie-
gen die Individuen betäubt, starrsüchtig mit schwachem Herz-
schlag oder ohne Herzschlag und Athmen; das Gesicht oft roth,
blau, die Augen starr, mit Blut unterlaufen ; zuweilen fliesst Blut
aus Mund, Nase und Ohren; oder sie sind bleich, die Glieder sind
erschlafft oder krampfhaft zusammengezogen. Die Kleider des
vom Blitze Getroffenen sind oft verbrannt, zerrissen; an der Ober-
fläche des Körpers bemerkt man zuweilen oberflächliche Verbren-



Sideratio. Asphyxie durch Blitzstrahl. 293

nung, hie und da Brandblasen, rothe Streifen, versengte Kopf-
haare. Kommt der Getroffene wieder zur Besinnung, so klagt
er gewöhnlich über Kopfschmerz, Gliederweh, Lähmungsgefühl,
oder über Brustbeengung, Bruststiche, Taubsein in den Extremi-
täten; häufig bleiben Lähmungen, Taubheit, Blindheit, Neigung
zum Schlafen, Stummheit, Zittern zurück, die mehr oder weni-
ger schnell verschwinden oder andauern; zuweilen Zuckungen,
wie elektrische Entladungen.

Behandlung. Vom Blitz Getroffene sind nicht immer ohne
Rettung verloren , wie eigne Erfahrung mir mehrmals bewiesen
hat. Waren Menschen in der Stube vom Blitz getroffen worden
und ich fand sie noch in demselben Zimmer, so Hess ich sie,
wenn es thunlich war, in die freie Luft oder, wo diess nicht an-
ging, in eine andere Stube schaffen. Nur einmal war es mir
möglich, die Electricität bei derartigen Asphyktischen in Anwen-
dung bringen zu können, weil mir gleich eine Electrisirmaschine
zur Hand war. Ich liess nun kleine electrische Funken auf ver-
schiedene Stellen des Körpers fallen und brachte durch dieses
Verfahren weit leichter Wiederbelebung hervor, als es mir in an-
deren Fällen, wo ich die Electrizität nicht anwenden konnte,
gelang. Zweckmässiger ist es vielleicht noch, einen electrischen
Schlag durch den Kopf und dann durch Brust und Rücken zu
leiten. Da nun aber die Electrizität in solchen Fällen nicht so-
wohl das Belebungs-, als zugleich das Heilmittel ist, so hatte ich
in diesem einen Falle auch nachher mit keinen Nachbeschwerden
zu kämpfen, die mich bei jedem andern Verfahren nach der Wie-
derbelebung noch längere Zeit beschäftigten und wogegen die
Electrizität sich immer wieder als das beste Heilmittel erwies.

Da uns nun aber in den wenigsten Fällen sogleich eine Elec-
trisirmaschine zu Gebote steht, so müssen wir uns anderer Be-
lebungsmittel bedienen, unter denen das Erdbad wohl eins der
vorzüglichsten mit ist, das ich mit Erfolg habe anwenden sehen.
Zu diesem Zwecke lässt man eine etwa zwei Schuh tiefe Grube
in die Erde graben, in welche man den vorher entkleideten As-
phyktischen mit aufrechtem Kopfe setzt und ringsum mit Erde
bedeckt; kürzer und weniger umständlich ist es, ihn auf dieselbe
Weise in einen Düngerhaufen einzugraben. - — Aber auch diese
Belebungsmittel sind nicht überall bei der Hand und dann bleibt






294 Asphyxie durch irrespirable Gasarten.

es das Räthlichste, den Getroffenen mit kaltem Wasser zu begies-
sen und ihn mit scharfen Bürsten an den Fusssohlen, in den Hand-
tellern, an der innern Seite der Schenkel und Arme zu reiben.
Zugleich hält man ihm Salmiakgeist unter die Nase, tropft ihm
einige Tropfen Essignaphtha auf die Herzgrube und reibt sie ihm
ein; auch das Lufteinblasen und Lavements von kaltem Wasser
mit Salz oder Essig sind zweckdienlich. Sind die Kopfconge-
stionen aus den schon mehrmals angegebenen Zeichen erkenn-
bar, so ist auch das Oeffnen einer Ader unerlässlich, der man
dann die Anwendung des thierischen Magnetismus folgen lässt.
Nach der Wiederbelebung habe ich hier oft einige Gaben Aconit
mit entschiedenem Nutzen gegeben. Bei Eingenommenheit und
Benebelung des Kopfs, so dass der Kranke nicht zur Besinnung
kommen konnte, öfters wiederholte kleine Gaben Opium.

§. 164.

Asphyxie durch irrespirable Gasarten.
Durch Kohlendainpf.

Der Gebrauch der sogenannten Kohlenbecken in Wohn - und
Schlafzimmern, das zu frühzeitige Schliessen der Ofenrohrklappen,
oft auch die Absicht des Selbstmörders, die Zimmerluft mit Koh-
lendampf anzufüllen, schlechtgebaute Kamine, sind die Ursachen
des nicht selten dadurch veranlassten scheinbaren oder wirklichen
Todes. Symptome sind: vom Anfange Schwere, Eingenommen-
heit des Kopfs, Schwindel, zuweilen eine^ngenehme Betäubung,
oft ein Zusammenschnüren in den Schläfen; bald auch ein hefti-
ger bohrender Kopfschmerz , zugleich anhaltendes Ohrensausen
und grosse Mattigkeit in den Gliedern; das Gesicht ist roth, ge-
dunsen, bläulich; die Adern im Gesichte und Schläfen aufge-
trieben, die Augen stehen hervor und glänzen. Später wird
das Athmen schwer, tief, seufzend und durch ein zusammenschnü-
rendes Gefühl unter dem Brustbeine beklommen; das Herz klopft
heftig, der Puls wird beschleunigt und hart, die Erscheinungen
nähern sich mehr oder weniger einem halbapoplektischen Zu-
stande; nicht selten Delirien, Ekel, Würgen, Erbrechen, convul-
sivische Zuckungen der Gesichtsmuskeln, Trismus. — Die Nei-
gung zum Schlummer wird bald unwiderstehlich, es tritt ein co-
matöser Zustand ein, der Puls wird klein und unregelmässig, der



Durch Kohlendampf. 295

Herzschlag ist nur noch schwirrend zu fühlen; endlich Erlöschen
der Sinne, des Kreislaufs und Athmens, Erschlaffung der Schliess-
muskeln, unwillkürliche Harn- und Stuhlausleerung, Tod biswei-
len unter Convulsionen.

Die Prognose ist dann ungünstig zu stellen, wenn schon
Muskelstarre eingetreten ist und unwillkürliche Harn- und Stuhl-
ausleerungen stattgefunden haben; günstig ist sie bei Fortdauer
der natürlichen Körperwarme, zuckenden Bewegungen der Mus-
keln, der Augenlider etc.

Behandlung. Das Vorzüglichste, was wir bei solchen
Verunglückten zu thun haben, ist: sie so schnell als möglich in
eine reine Atmosphäre zu bringen, die wir am reinsten unter
freiem Himmel haben können ; wo diess nicht thunlich , müssen
schnell Thüren und Fenster geöffnet werden. Man entkleidet
den Kranken, bringt ihn in eine mit dem Kopfe erhabene auf-
rechte oder liegende Stellung und begiesst ihm Gesicht und den
ganzen Körper mit ganz kaltem Wasser; dabei ist das Reiben
und Frottiren unerlässlich; auch ist es sehr zweckmässig, kaltes
Wasser mittels einer Spritze auf Gesicht und Herzgrube aus eini-
ger Entfernung zu spritzen; empfehlenswerth ist ferner das Wa-
schen mit Essig. Ganz vorzüglich aber sind das Lufteinblasen,
die künstliche Respiration, Lavements von Essig, Riechenlassen
an Salmiakgeist, Essignaphtha, versüssten Salpetergeist etc., der
thierische Magnetismus.

§. 165.

Asphyxie durch Cloaken-, Abtrittgruben, S chl eus seng as.

Gewöhnlich fühlen die der schädlichen Luft ausgesetzten In-
dividuen Beklemmung und zunehmende Ermüdung, die in Ohn-
macht und Asphyxie übergeht, gewöhnlich aber, sobald die Kran-
ken an die Luft gebracht werden, alsobald verschwindet, ohne
eine krankhafte Erscheinung zu hinterlassen. Sobald aber Hydro-
thion- und hydrothionsaures Ammoniakgas eingeathmet wird, dann
sind die Zufälle bedenklicher. Die mit diesen Gasen in Berüh-
rung kommenden Personen stürzen oft augenblicklich leblos, wie
vom Blitze getroffen, zusammen; ein andermal tritt diese Wirkung
erst ein, wenn sie schon längere Zeit in der schädlichen Atmo-
sphäre verweilt haben. Gewöhnlich fühlen sie zuerst heftigen



296 Asphyxie durch Schleussengas etc.

Schmerz im Magen und in den Gelenken, ein Zusammenschnüren
im Halse, sie stossen einen brüllenden Schrei aus, und nun fol-
gen oft Delirien, sardonisches Lachen, allgemeine Convulsionen
mit Opisthotonus; Gesicht blass, Pupillen erweitert und unbeweg-
lich, Mund voll von weissem" oder blutigem Schaum, krampfhaf-
tes Athmen, Athem nach Schwefelwasserstoff riechend, unordent-
liche Herzbewegung, eiskalte Haut.

Vorsichtsmassregeln, um Menschen vor dem schädli-
chen Einflüsse der genannten Gasarten zu wahren , sind : die
Räume längere Zeit, bevor sich Menschen hineinbegeben, zu lüf-
ten ; ein Licht in diese Gruben zu bringen, um zu sehen, ob es
fortbrennt oder erlischt; eben so einen Haufen glühender Kohlen,
ob er von einem feurigen Hofe umgeben wird, woraus man das
Vorhandensein von Schwefelwasserstoff erkennt. Zur Verbesse-
rung solcher mephitischen Dünste brennt man Feuer in diesen
Räumen an, sucht Luftzug anzubringen, schüttet Chlorkalk oder
eine Auflösung desselben in die Kloaken, rührt mit langen Stan-
gen den Morast um und wählt zum Ausräumen selbst eine kalte
und trockne Witterung; zugleich ermahnt man die Arbeiter, den
Kopf, bei oft plötzlich aufsteigenden heftigen Gerüchen, sogleich
wegzuwenden und die Kloaken bei dem geringsten Uebelbefinden
sogleich zu verlassen.

Die Behandlung unterscheidet sich nicht wesentlich von
der anderer Asphyxieen. Nur das Eine und wohl das Wichtigste
bleibt hier zu erwähnen, dass der Parise^Kanalarbeiter seinem
erkrankten Kameraden sogleich einige Esslöffel Olivenöl und dann
ein Glas Branntwein reicht, worauf meist erleichternde Auslee-
rungen nach oben und unten erfolgen. Dupuytren empfahl
Chloreinathmung, die seitdem vielfältig mit gutem Erfolg gekrönt
worden ist. Man löst Chlorkalk oder Chlornatron in Wasser
auf, tränkt damit ein Tuch oder einen Schwamm und bedeckt da-
mit den Mund des Scheintodten, wobei man zugleich kalte Be-
giessungen etc. macht.

Asphyxie durch Kohlensäure. Anhäufung von Koh-
lensäure findet man besonders in Kellern, wo geistige Flüssig-
keiten, Wein, Bier, Obstsäfte in weingeistiger Gährung begriffen
sind; in der Nähe von Sauerbrunnen, Bergwerken, Höhlen, Erd-
schluchten, in der Nähe von Sümpfen mit ausgebreiteter Verwe-



Asphyxie durch Schleussengas etc. 297

sung von Pflanzenstoffen ; in mit Menschen oder Thieren über-
füllten Räumen.

Hier erfolgt die Asphyxie plötzlich; die Menschen stürzen
taumelnd zu Boden und verlieren sogleich das Bewusstsein; bei
geringerer Anhäufung des schädlichen Gases ensteht zuerst Schwin-
del , Ohrensausen, Sinnesfunctionen und Sensibilität erlöschen,
Schluchzen, Kopfschmerz, Coma, Delirium mit rothem Gesicht und
injicirten Augen, und erst später tritt der asphyktische Zustand ein.

Die Behandlung weicht nicht von der durch Kohlendampf
Erstickten ab. — Bei Herausschaffen solcher Verunglückten müs-
sen sogleich alle Zuglöcher geöffnet werden, damit die Rettungs-
personen nicht gleiches Schicksal trifft. Man wirft brennende
Substanzen, angezündete Strohwische in die Räume, brennt Schiess-
gewehre ab; die Rettungspersonen halten einen mit Kalkmilch
getränkten Schwamm vor dem Munde, wenn sie sich in die ver-
gifteten Räume begeben, und lassen sich an Seile binden, um im
Falle der Gefahr schnell herausgezogen zu werden.

Alle bis hieher abgehandelten Krankheitsformen weichen in
ihrer Behandlungsart nicht sehr von der allöopathischen ab und
diess sind auch insbesondere die Fälle, in welchen dieses arznei-
liche Verfahren so lange den Vorzug'vor jenem verdient, bis die
Lebenskraft wieder geweckt und thätig geworden ist, dann erst
sind innere Arzneien indizirt, und von diesem Augenblicke an
tritt auch das homöopathische Heilverfahren wieder in seine
Rechte ein. In allen den genannten Fällen ist es unerlässlich,
ja es ist ein gebietendes Recht, die Allopathie mit ihren grossen
äussern Arzneigaben so lange in Gebrauch zu ziehen, bis das
wiederkehrende Leben durch unverkennbare Zeichen sich kund
giebt; wollte man vorher, neben den äusseren Reizen, innerlich
zugleich homöopathische Arzneien anwenden, so würde man sie
ganz erfolglos reichen, weil ohne Reaction des Organismus auch
kein Effect von ihnen wahrgenommen werden könnte. Nach der
Wiederbelebung wirken sie dagegen kräftig ein, und alle äussern
Excitantia müssen dann wegfallen.

§. 166.

Asphyxia neonatorum. Scheintod der Neugeborenen.
Kinder, welche ohne oder mit nur geringen Lebenszeichen



298 Asphyxia neonatorum. Scheintod der Neugeborenen.

auf die Welt kommen, bei mangelnden Zeichen von Verwesung,
aus welchen unzweideutig der wirkliche Tod zu erkennen wäre,
nennt man Scheintod. Die Ursachen dazu können verschieden
sein: Hemmung der Circulation in den Halsgefässen, durch Druck
auf den Nabelstrang, durch Einschnürung des Halses mittels der
Nabelschnur, durch langes lnnestehen des Kopfes, durch zögernde
Geburtsthätigkeit, durch schwere Zangengeburten, durch Zerrung
des Rückenmarkes, z. B. bei Tractionen an den Füssen, durch
Anhäufung von Schleim im Munde, im Rachen, in der Luftröhre etc.

Folgende Zeichen machen einen derartigen asphyktischen Zu-
stand klar: gewöhnlich sind es grosse, schwere, vollsaftige Kin-
der; das Gesicht des Kindes ist hochroth, blaubraun, schwarz,
geschwollen, die Augen vorgetrieben, der Körper warm, roth,
hie und da blaufleckig, übrigens meistens gross und völlig aus-
gebildet, die Haut gespannt, die Nabelgefässe strotzend, oft sicht-
lich pulsirend, der Puls noch fühlbar; überall Zeichen der Ueber-
füllung mit Blut; oft ist der Kopf länglich gepresst.

Diess ist derjenige Scheintod, der von den Schriftstellern mit
dem Namen der Asphyxia apoplectica s. hyperaemica bezeichnet
wird, und durch die unten anzugebenden Mittel leichter als die
folgende Art zu beseitigen ist.

Die zweite Form, die Apoplexia neonatorum syncoptica s.
anaemica, die nach Frühgeburten und starken Mutterblutungen
während der Schwangerschaft und des Geburtsaktes, bei schwäch-
lichen Müttern oder solchen, die schwächende Krankheiten, hef-
tige Gemüthsbewegungen während der Schwangerschaft und kurz
vor der Entbindung erlitten haben, häufig eintritt, unterscheidet
sich von der ersteren Form durch folgende Zeichen:

Der ganze Körper ist bleich, welk, schlaff, schwach, nicht
gehörig ausgebildet, das Gesicht blass und eingefallen, die Lip-
pen blau, der Unterkiefer herabhängend, die Glieder kalt, die
Haut schlaff, Mund und After stehen gewöhnlich offen und der
Körper ist mit Kindespech besudelt, der Puls nicht fühlbar, überall
Zeichen von Schwäche und Entleerung.

§. 167.

Therapeutisches Verfahren gegen diese Zustände. Der
Vorschlag mehrer geachteter Pathologen, bei der Asphyxia apoplec-



Asphyxia neonatorum. Scheintod der Neugeborenen. 299

tica, vor Unterbindung der Nabelschnur, nach Durchschneidung
derselben, einen bis zwei Esslöffel voll Blut aus derselben flies-
sen zu lassen, dürfte in manchen Fällen darum wohl nicht so
ganz zwecklos sein, weil die Lebensthäligkeit des Kindes erst ge-
weckt werden muss und noch nicht Energie genug vorhanden
ist, um den Andrang des Blutea nach einzelnen Theilen durch
die innere Lebenskraft in's Gleichgewicht mit den übrigen Blut
führenden Organen zu setzen. Doch würde ich dieses Verfahren
immer nur erst nach mehren andern vergeblich angewendeten
belebenden Versuchen in Ausführung bringen.

Mein Vorschlag, den ich schon mehrmals durch eigene Er-
fahrung bestätigt fand, ist folgender: Man trenne das Kind nicht
sogleich von der Mutter, sondern entferne unverzüglich den im
Munde des Neugeborenen befindlichen Schleim durch den bis zur
Zungenwurzel eingeführten kleinen Finger, reibe den Körper und
vorzüglich die Brust mit warmen Tüchern, die Fusssohlen und
Handflächen aber mit einer nicht zu scharfen Bürste und suche
das natürliche Athmen durch Lufteinblasen etc. in Gang zu brin-
gen. Sollte dieses Verfahren nicht bald Lebenszeichen hervor-
rufen, so lasse ich einen bis zwei Tropfen Essig-Naphtha auf die
Herzgrube tropfen und dann mit der warmen Hand gelind ein-
reiben. Bleibt auch dieses ohne Erfolg, so ist die Durchschnei-
dung der Nabelschnur indizirt und das Ausfliessenlassen von Blut
aus dem dem Kinde angehörigen Ende das nöthigste und wich-
tigste Hülfsmittel.

Ein anderes ebenfalls sehr wirksames Mittel, das in vielen
Fällen mit dem ausgezeichnetsten Erfolge angewendet worden
ist, besteht darin: dass man, nach Entfernung des Kindes von der
Mutter, selbiges mit kaltem Wasser besprengt oder ihm einige
Tropfen kaltes Wasser von einer gewissen Höhe auf die Herz-
grube tropfen lässt, oder auch mit einer kleinen Spritze auf die
Herzgrube spritzt.

Bleiben alle diese angegebenen Verfahrungsarten, das Leben
des Kindes hervorzurufen, erfolglos, so ist oft das einzige Mit-
tel ein lauwarmes Wasserbad, in dem man jene angestellten Ver-
suche wiederholt und nötigenfalls auch angebrannte Federn,
Essig-Naphtha, Ammoniakgeist u. s. w. dem Kinde unter die
Nase hält.



300 Aspbyxia neonatorum. Scheintod der Neugeborenen.

Diese Verfahrungsarten und Belebungs- Versuche sind auch
für die zweite Form, die Asphyxia anaeraica, mit Ausnahme des
Blutlassens aus den durchschnittenen Nabelgefässen, anwendbar,
obgleich sie hier weit seltner mit einem glücklichen Erfolge ge-
krönt werden, als in dem ersteren Falle.

Zu bemerken ist noch, dass die angegebenen Versuche nicht
etwa auf einmal und stürmisch unter einander angewendet wer-
den dürfen, sondern einzeln und mit der gehörigen Umsicht, Sach-
kenntniss und Ausdauer. Finden sich Zeichen der rückkehren-
den Lebenskraft ein, so muss auch diese äussere Behandlung nach
und nach aufhören, doch so, dass diese immer noch von Zeit zu
Zeit so lange fortgesetzt wird, bis die Respiration des Kindes
gleichmässig von Statten geht. Die ersten Lebenszeichen sind:
schwache Zuckungen und zitternde Bewegungen um den Mund,
geringe, doch dem aufmerksamen Beobachter merkbare Zusam-
menziehungen der Brustmuskeln , wiederkehrende Wärme und
Röthe an den Lippen, Bewegung des Schaumes vor dem Munde,
und endlich hörbares Athmen.

Ist das Leben erst wiedergekehrt, so thut man wohl, da die
Reaction der Lebenskraft dadurch thätig geworden ist, um das
Wiedererlöschen derselben zu verhindern, was in einem solchen
Falle sehr leicht geschehen kann, die passende äussere Behand-
lung durch eine zweckmässige innere zu unterstützen. Für den
ersteren Fall, die Asphyxia plethorica (apoplectica), eignet sich
kein Mittel besser, als Aconitum Napellus^^nh dem man ein bis
zwei Zuckerstreukügelchen befeuchtet und dem Kinde auf die
Zunge zu bringen sucht. — Für den zweiten Fall, die Asphyxia
syncoptica, dürfte China das passendste Mittel sein.



Anhang.

Ueber einige Beschwerden Neugeborener, die den mir selbst
vorgeschriebenen Ordnungen der Krankheiten nicht hinzuge-
fügt werden können, die ich aber, da sie den beiden ersten
Auflagen dieser Therapie mit beigegeben sind, nicht
gänzlich unberührt lassen darf.



§. 168.

Ankyloglossum. Angewachsene Zunge.

Diese fehlerhafte Bildung des Zungenbändchens (Frenuium
linguae) kommt nicht gar zu selten vor und ich führe sie hier
mit an, weil diesem geringen Uebelstande in den meisten Fällen
mit leichter Mühe abgeholfen ist, ohne dass man dazu allemal
die Herbeirufung eines Wundarztes nöthig hätte.

Die angewachsene Zunge erkennt man an der auffallenden
Kürze oder Breite des Zungenbändchens, wodurch eine Unbe-
weglichkeit der Zunge hervorgebracht wird, die das Kind am
Saugen hindert. Man entdeckt sie, indem man den geöffneten
Mund des Kindes untersucht, und wahrnimmt, dass es weder
die Zunge erheben, noch über das Zahnfleisch vorwärts ausstre-
cken kann.

Die Abhülfe geschieht sehr leicht, und bei der gehörigen
Vorsicht gefahrlos, mittels einer im Blatt gebogenen abgestumpf-
ten, oder auch einer ganz geraden mit kurzen Blättern versehe-
nen, vorne abgestumpften Scheere. Am besten macht man den
Einschnitt in der Mitte des Bandes über einem gespaltenen schma-
len Spatel. Der Schnitt darf nicht, zu lang gemacht werden, um



302 Anschwellungen einzelner Kindestheile.

der Zunge dadurch nicht zu grosse Beweglichkeit zu geben, oder
Blutgefässe und Nerven zu verletzen, wodurch leicht eine gefähr-
liche Blutung und Nervenzufälle entstehen könnten. Um die da-
nach entstehende geringe Blutung zu stillen, ist das Bestreichen
mit etwas Wein hinreichend.

§. 169.

Anschwellungen einzelner Kindestheile, in Folge
schwerer Geburten.

Derartige Anschwellungen finden sich am häufigsten am Kopfe
und entstehen dadurch, dass der Kopf lange im Becken gestan-
den und einen anhaltenden Druck erlitten hat. Es ist eine öde-
matöse Geschwulst, die gleich bei der Geburt bemerkt wird, die
dem Kopfe bald eine lange, spitzige, bald eine schief geschobene
Gestalt giebt. Diese Geschwulst vermindert sich sehr bald von
selbst, da die innere Bewegung des Gehirns sie allmälig und am
sichersten in die rechte Form bringt und dem Kopfe die gehö-
rige Gestalt wieder giebt. In hartnäckigen Fällen ist das Auf-
legen einer mit warmem Wein, oder besser eine mit einer Mi-
schung aus 2 Tropfen Amica-Tinctur und einer Unze erwärmten
Wassers befeuchtete Compresse ausreichend.

§. 170.

Cephalaematoma, Tumor capitis sanguineus. Blutgeschwulst.

Nicht selten bilden sich Blutgesch^flfclste auf dem Kopfe,
die ich einigemal in der Privatpraxis zu beobachten Gelegenheit
hatte. Bei diesen finden wir die Eigenthümlichkeit, dass sie ge-
wöhnlich bei der Geburt noch nicht vorhanden sind, son-
dern sich erst nach und nach bilden, indem das Blut aus einem
zerrissenen Gefässchen in dem Zellgewebe unter der Kopfhaut
sich ausbreitet. Die dadurch gebildete Geschwulst ist immer er-
habener und umschriebener, als die einfache Kopfgeschwulst, und
lässt deutliche Fluktuation wahrnehmen; bei'm Druck vermindert
sie sich nicht; auch entsteht dadurch kein Schmerz oder sopo-
röser Zustand. Derartige Blutgeschwülste sind nicht immer Fol-
gen einer schweren Geburt, sondern werden eben so oft auch
nach ganz leichten Entbindungen wahrgenommen ; auch findet man
sie nicht immer an den Theilen, die bei der Geburt gerade vor-



Cephalaematoma. Blutgeschwulst. 303

standen, obwohl diess zufällig treffen kann, sondern vorzüglich
an den Scheitelbeinen. Bleiben sie lange ungeheilt, so erregen
sie leicht Verderbniss der darunter liegenden Schädelknochen,
Entzündung, Eiterung und Caries derselben.

§. 171.

Bei Behandlung derartiger Geschwülste richtet man mit in-
nern Mitteln nichts aus, bevor nicht erst die Geschwulst entleert
ist. Macht man Arnica-Umschläge, ohne der mechanischen Nach-
hülfe dabei sich zu bedienen , so sieht man sich nach acht und
mehr Tagen noch immer auf demselben Punkte, als zu Anfange
der Behandlung. Mein Verfahren ist folgendes ; hat man sich
von dem Dasein ausgetretenen Blutes genau überzeugt, so macht
man mit einer Lanzette auf der tiefsten Stelle der schwappenden
Geschwulst einen Einstich und drückt die Geschwulst behutsam
aus, dreht eine kleine Wiecke in die gemachte Oeffnung, damit
selbige nicht sogleich verheilt, legt auf die Stelle ein vierfach
zusammengeschlagenes Leinwandläppchen, das man mit einer Mi-
schung von zwei Tropfen Arnica - Tinctur und zwei Unzen war-
men Wassers befeuchtet, und giebt dem Kinde innerlich 1 — 2
mit der sechsten Arnica- Verdünnung befeuchtete Zuckerstreu-
kügelchen. Bei diesem Verfahren ist gewöhnlich in einem Paar
Tagen keine Spur mehr davon sichtbar, was bei dem Verfahren
des Dr. v. Siebold, der einen Schnitt über die ganze Geschwulst
weg machen Hess, nicht möglich sein konnte, weil die Natur
zu viel mit der Heilung einer so bedeutenden Hautwunde zu
thun hatte.

Mein Recensent hat dieses Mittel mit Rhus binnen wenigen
Tagen ohne Eröffnung der Geschwulst vollkommen beseitigt. —
Durch allöopathische Behandlung verschleppte Fälle, womit nach
Eröffnung der Geschwulst eine profuse und jauchigte Absonde-
rung unter den Kopfbedeckungen nicht verhütet werden konnte,
werden nach homöopathischen Grundsätzen durch Arnica, China,
Silicea geheilt.

§. 172.

Anschwellungen der Brüste, bald nach der Geburt.
Dieses Leiden ist mir mehrmals vorgekommen und besonders
während meines fünfjährigen Aufenthaltes im Erzgebirge, wo in



304 Anschwellungen der Brüste.

manchen Dörfern noch das alte Herkommen stattfand, vorzüglich
Mädchen, unmittelbar nach der Geburt, die Brustwarzen zu drü-
cken, um sie für die Folgezeit tauglich zum Stillen zu machen.
Gewöhnlich bekam ich dann diese Krankheit erst zur Behandlung,
wenn schon bedeutende Entzündung und Anschwellung eingetre-
ten war. Wurde ich gerufen, ehe noch grosse Spannung, Härte
und Entzündung da war, so kam ich auch meistens mit jener
mehrmals erwähnten Arnica- Mixtur, äusserlich angewendet, aus;
in manchen Fällen, gab ich Arnica auch innerlich — eine einzige
Gabe. Ist die Entzündung schon sehr ausgebildet, die immer
einen erysipelatösen Charakter an sich trägt und mit bedeuten-
der Anschwellung und Härte verbunden ist, so versteht sich von
selbst, dass der äussere Gebrauch der Arnica wegfallen muss,
die auch nun innerlich nicht mehr indizirt ist. — Am hülfreich-
sten erweist sich hier Chamomilla und Belladonna, mit welchen
man ein Zuckerstreukügelchen befeuchtet und dem Kinde auf die
Zunge legt. Ist die Entzündung nicht rosenartig, sondern mehr
gleichmässig verbreitet, so mässigt man selbige zuerst durch eine
Gabe Aconit und vollendet die Heilung mit einer Verdünnung von
Bryonia befeuchteten Streukügelchen. Wo die Entzündung schon
den Ausgang in Eiterung genommen hat (was ein nicht gar selt-
ner Fall ist, weil die meisten Menschen sich von dem irrigen
Vorurtheile nicht trennen können, dass auch äusserlich etwas ge-
than werden müsse, und sie oft hinter dem Rücken des Arztes
nasse warme Umschläge machen) , ist wie Entleerung des Eiters
am wünschenswerthesten, nach dessen Entfernung auch die Hei-
lung oft sehr bald, ohne Hülfe der Kunst, gelingt. Wo sie aber
ohne diese nicht erfolgt, würde sie durch die kleinste Gabe
Hepar snlph. oder Silicea bald herbeigeführt.

§. 173.

Das öftere vorkommende Schlucksen der Neugeborenen.

Es ist diess ein Zufall, der in der ersten Zeit des kindli-
chen Lebens bei jeder kleinen Entblössung oder bei jeder küh-
leren Temperatur sogleich entsteht und ganz der Natur überlas-
sen werden kann, da er bei zunehmenden Körperkräften immer
seltner wird und endlich ganz verschwindet. Indessen macht
sein öfteres Erscheinen, namentlich bei dem ersten Kinde, die



Stuhlverstopfung. 305

zärtliche Mutter besorgt, dass sie diesen Zufall gern verbannt
wissen möchte, und den Arzt um Hülfe dagegen anspricht. Mein
Verfahren ist dasselbe, welches der Dr. Gross angiebt, näm-
lich dem Kinde die Brust zu geben und es an selbiger erwärmen
zu lassen, oder auch einige Theelöffel voll Zuckerwasser, die man
dem Kinde einflösst.

§. 174

Stuhlverstopfung.
Die veränderte Ernährungsweise des Kindes und die Reizbar-
keit des Darmkanals geben bei Neugeborenen leicht zu verschie-
den gearteten Stuhlausleerungen Veranlassung, für welche sodann
Erkältungen, unordentliches Darreichen der Nahrung, Genuss
schwerer, unverdaulicher Nahrungsmittel, falsch angewendete
Arzneigemische, Unreinlichkeit u. s. w. die Gelegenheits - Ursa-
chen werden. — Was nun die Stuhlverstopfung betrifft, so ist
sie zwar in vielen Fällen Folge unzweckmässiger Pflege und Nah-
rung und kommt am häufigsten bei Kindern vor, die ohne Brust
aufgezogen werden, doch finden wir sie auch bei Säuglingen,
deren Mutter oder Amme häufig selbst an Obstruktionen leidet.
In beiden Fällen reicht es oft hin, die Diät zu reguliren, wo-
nach der Stuhlgang von selbst in seine gewöhnliche Norm zu-
zückkehrt. Man lässt das den Speisen zeither zugesetzte Eigelb
weg, kocht den Brei, statt in Fleischbrühe, in Milch, giebt dem
Kinde nicht den gewohnten Griesbrei, sondern einen andern.
Aber auch die Mutter oder Amme muss ihre Diät ändern und
vorzüglich aus selbiger den Kaffee weglassen. Sind die Kinder
zu fest gewickelt, so müssen sie aus ihren Windeln befreit wer-
den. Zuweilen leistet auch das öftere Streichen des Unterleibes
mit fettigen Substanzen gute Dienste. Bei übrigens guter kräf-
tiger Gesundheit ist ein Lavement von lauer Milch , von lauem
Wasser mit etwas Zucker, von Hafergrützschleim mit oder ohne
Leinöl ausreichend. Giebt man diese Lavements erfolglos, so
kann man mit Sicherheit darauf rechnen, dass ein Klystier aus
einem halben Nösel Milch mit zwei Esslöffeln voll Honig ge-
mischt und lauwarm gegeben, baldigen Stuhlgang bewirkt, wie
ich aus Erfahrung weiss. Wo das Kind und die Mutter nicht am
Kaffee gewöhnt waren, Hess ich zuweilen mit ausgezeichneten
II. 20



306 Stuhlverstopfung.

Nutzen dem Kinde ein bis zwei Theelöffel voll schwarzen Kaffee,
mit Zucker versüsst, geben, der auf mehre Tage den offenen
Leib erhielt.

Wo alle diese diätetischen Massregeln nicht ausreichen, die
Trägheit und Schwäche des Darmkanals zu beseitigen , und wo
diese anhaltende Stuhlverstopfung der Gesundheit des Kindes Ge-
fahr droht, auch wohl schon andere Krankheits-Erscheinungen
damit verbunden sind, da müssen innere Mittel angewendet wer-
den. Zu diesem Zwecke empfehlen sich als vorzüglich hülfreich
Nux vomica, in sehr kleiner Gabe besonders da, wo das Uebel
von der Mutter herrührt und bei dieser durch den häufigen Ge-
nuss des Kaffees erzeugt wurde. In diesem Falle ist es spezi-
fisch, doch bewährt es sich auch in manchen andern noch hülf-
reich, z. B. da, wo die Krankheit schwer verdaulichen Nahrungs-
mitteln ihr Entstehen verdankt, oder da, wo der Koth so hart
und dick geformt ist, dass von Seiten des Kindes oft viele ver-
gebliche Versuche zu seiner Fortschaffung gemacht werden, die
endlich mit der grössten Anstrengung unter unsäglichen Schmer-
zen und mit Blutabgang verbunden erfolgt.

Ihr zur Seite steht Opium, das ich grösstentheils dann in-
dizirt fand, wenn die peristaltische Bewegung des Darmkanals
ganz darnieder lag und gar kein Trieb zum Stuhlgange vorhan-
den war, sich auch Auftreibung des Unterleibes nach und nach
einstellte.

Nächst diesen beiden Mitteln sind es vornehmlich folgende
zwei, die in ähnlichen Beschwerden wesentliche Dienste leisten:
Bryonia alba und Veratrum album. Ersterer Wirkung ist der
Nux sehr analog, und nützt oft, wo jene nicht ausreichte, und
so auch umgekehrt. Veratrum hingegen empfiehlt sich dort, wo
die Thätigkeit des Darmkanals zwar vorhanden ist, dagegen eine
grössere Unthätigkeit des Mastdarms allein deutlich hervorsticht.

Bei grösserer Hartnäckigkeit des Uebels räth Dr. Gross
Tinctura sulphuris oder Lycopodium, in der 30. Verdünnung an-
zuwenden, welcher Angabe auch ich aus Erfahrung beipflichten
kann, und zugleich noch auf Calcarea carbonica, Zincum, und
bei Torpidität des Mastdarms auf Argilla — welches eins der
vorzüglichsten Mittel in Stuhlverstopfung bei Kindern ist — alle
in der 30. Verdünnung angewendet, aufmerksam mache, die sich



Das Schreien der Kinder, ohne wahrnehmbare Krankheits-Ursache. 307

mir mehrmals in dergleichen Fällen hülfreich erwiesen haben,
wenn das übrige Krankheitsbild der Mutter oder des Kindes sehr
viel Aehnlickkeit mit den von diesen Mitteln an Gesunden er-
probten Befindens-Veränderungen hatte.

§• 175.

Das Schreien der Kinder, ohne wahrnehmbare
Krankheits-Ursache.

Das Schreien der Neugebornen, das von Ursachen ab-
hängt, die leicht beseitigt werden können, als von zu festem
Wickeln, von übermässiger Wärme, von schlecht gesteckten Na-
deln und dergleichen mehr, verdient keiner weiteren Erwähnung,
da es nach Abänderung jener von selbst verschwindet. Jenes
Schreien aber, das oft Tag und Nacht und Wochenlang anhält,
ist es, wogegen der Arzt um Abhülfe angesprochen wird, die
ihm doch wenigstens in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen,
gelingt, was sehr begreiflich ist, da sich in den meisten Fällen
keine Krankheits-Ursache ausmitteln lässt. Sehr oft wird man
durch die kleinste Gabe Chamomilla das Uebel zu heben im
Stande sein, eben so oft aber auch mit Nutzen Belladonna an-
wenden können; endlich aber auch bei Ueberreizung, indem das
Kind durch Unvorsichtigkeit aus seiner Ruhe gestört wurde, und
nun gern schlafen möchte, aber nicht kann, wird Coffea cruda
bald den gewünschten Zweck erreichen lassen.

Ist eine grosse Unruhe, Umherwerfen und Bauchweh damit
verbunden, welches letztere leicht daran zu erkennen ist, dass
das Kind die Beine immer heraufzieht, auch wohl eins an dem
andern reibt, sich wohl gar wund reibt, so wird Chamomilla
selten ihre Hülfe versagen, die man mit ihr auch dann noch dem
Kinde verschafft, wenn dieses heftige Schreien von Leibschmerz
und öfteren diarrhöeartigen Stühlen, die leicht den After corro-
diren, abhängt. — Doch kann in einem solchen Falle, ohne Di-
arrhöe, auch Jalappe nützen, der ich mich zeither immer in der
dritten Verdünnung bedient habe.

Hängt das heftige Schreien von Blähungs -Anhäufung und
öfterer Blähungs-Erzeugung ab; woraus Blähungs -Koliken ent-
springen, so erweist sich oft gegen ein solches Schreien von



308 Heraustreten des Nabels und Leistenbrüche.

Flatulenz und damit verbundenen Leibschmerzen mit Blutwallung,
die die gewöhnlichste Ursache der Schlaflosigkeit ist, Senna hülf-
reich. — Findet bei diesem Schreien aber ein kolikartiges, auch
wohl vergebliches Drängen und Pressen zu Stuhlgängen Statt,
oder wird immer nur eine ganz geringe Quantität grauer, entarte-
ter, sauerriechender Stuhl, ohne Erleichterung des Leibwehs
entleert, so dient Rheum und schafft bald dauernde Hülfe.

§. 176.

Heraustreten des Nabels (Nabelbruch) und
Leistenbrü che.

Zuweilen entwickeln sich in Folge des Zuges am Nabelschnur-
reste, des anhaltenden Wundseins, des zu festen Wickeins , vor-
züglich aber des häufigen Schreiens der Kinder, Nabelbrüche und,
in Folge der letzteren Ursache , auch Leistenbrüche. Bei den Na-
belbrüchen tritt die Bruchgeschwulst durch den erweiterten Nabel-
ring oft einen halben bis einen Zoll und darüber hervor.

Obschon eine gut angelegte Nabelbinde in vielen Fällen
wesentliche Dienste leistet und auch zur Heilung eines Nabelbruchs
oft ausreichend ist, so erfüllt sie doch nicht in allen diesen Fällen
den Zweck, weil das Schreien der Kinder sehr häufig eine Verschie-
bung der Nabelbinde zur Folge hat. Hier bediene ich mich eines
vier bis sechsfach zusammengelegten Lq^iwandstreifchens als Com-
presse, die ich auf den sorgfältig zurückgebrachten Nabelbruch
lege, und durch kreuzweis darüber gelegte Heftpflasterstreifen
befestige. Zuweilen ist es nicht unzweckmässig, diese Compresse
mit Spirituosen Mitteln befeuchtet aufzulegen.

Hiermit ist nun zwar wohl ein Nabelbruch, keineswegs aber
ein Leistenbruch zu beseitigen, gegen welchen, bei solchen zarten
Subjecten, selten äussere mechanische Mittel angewandt werden
können. Hier wird dynamische Hülfe erforderlich, die, auffallend
genug, bei diesen kleinen Wesen oft in unglaublicher Schnellig-
keit dieses Uebel hebt. Die dagegen passendsten Mittel sind:
Nux vomica, welche wohl unter allen das Hauptmittel ausmacht;
Chamomüla, Veratrum album, Aurum und in den hartnäckigsten
Fällen Acidum sulphuricum und Sulphur selbst, die sich mir schon
einigemal ausgezeichnet hülfreich erwiesen hat.



Anuria, Stranguria. Harnverhaltung, Harnstrenge. 309

§. 177.

Anuria, Stranguria. Harnverhaltung, Harnstrenge.

Diese Beschwerden treten zuweilen bei kleinen Kindern ohne
erhebliche Veranlassung ein, und man erkennt sie nur daran, dass
das Kind gar keine Windel nass macht, oder vor dem Wasserlas-
sen allemal sehr schreit, was auch während des tropfenweisen Ab-
gangs fortdauert. In dem ersteren Falle finden wir auch die Bla-
sengegend aufgetrieben und gespannt, und das Kind giebt durch
anhaltendes Schreien die heftigen Schmerzen zu erkennen. Dieser
Zustand beruht entweder auf Entzündung oder auf Krampf. Erstere
giebt sich ausserdem noch uurch ein äusserlich wahrnehmbares
brennendes Gefühl in der Blasengegend und durch einen sehr ge-
reizten Fieberzustand im ganzen Körper zu erkennen.

Sehr oft kommen wir hier mit einer einzigen kleinen Gabe
Aconitum Napellus bei diesen zarten Wesen aus. Ist aber Krampf
die veranlassende Ursache, oder lässt sich gar keine Ursache ent-
decken, so bediente ich mich meistens mit ausgezeichnetem Er-
folge der ersten Verdünnung von Camphora, womit ich ein bis zwei
Streukügelchen befeuchtete und dem Kinde auf die Zunge legte,
oder es blos an die Verdünnung riechen liess. Die heilbringende
Wirkung der Cantharides in ähnlichen Beschwerden ist dem gröss-
ten Theile der Leser schon hinreichend bekannt. — In der neuern
Zeit habe ich gegen die krampfhafte Harnverhaltung mit Nutzen
Phosphor x angewendet.

Da mir diese Beschwerden, während meines Aufenthalts im
Erzgebirge, weit häufiger als hier zur Behandlung vorkamen , so
erlaube ich mir noch, hier auf ein Paar Hausmittel aufmerksam zu
machen, deren man sich fast allgemein bediente, ohne Berathung
des Arztes. Das erste ist eine Abkochung von Apium Peiroselinum,
von welcher man dem Kinde Theelöffelweise, nicht ohne Erfolg,
eingab , aber natürlich , da die Wirkungen der Petersilie nicht in
Aehnlichkeit mit der besprochenen Krankheit stehen, die Gabe
wiederholen musste, wodurch oft eine Magen-Verderbniss herbei-
geführt wurde, deren Heilung bei diesen kleinen Kindern nicht
selten viel Schwierigkeiten verursachte. — Das zweite Hausmittel
II. 20



310 Anuria, Stranguria. Harnverhaltung, Harnstrenge.

bestand aus einer Abkochung der Rosa villosa (Hagebutte) , die
ebenfalls Theelöffelweise, aber mit grösserem Erfolge als die
vorige, in dieser Krankheit gereicht wurde.

Noch mache ich in derartigen Beschwerden auf zwei wichtige
homöopathische Arzneien aufmerksam, auf Cannabis und Lyco-
podium*).



*) S. allgem. hom. Zeit. B. I. S. 165. und B. III. S. 72.



Druck der Teiibner'schen Officiq^n Leipzig



$ p e c i e 1 1 e

THERAPIE

acuter und chronischer Krankheiten.



Nach



homöopathischen Grundsätzen



bearbeitet und herausgegeben



Dr. FRANZ HARTMANN.



Dritte umgearbeitete und sehr vermehrte Auflage.*



Chronische Krankheiten.
Zweite Abtheilung*



Leipzig,

T. O. Weigel.

1848.



Inhalt

des zweiten Bandes zweiter Abtheilung.



Siebenzehnte Ordnung.

Seite
§. 178. Apoplexia cerebralis, Apoplexia sanguinea, Encephalor-

rhagia. Spontane Gehirnblutung , Blutschlagfluss . 311
Stadium prodromorum. — A. sanguinea, nervosa,
serosa, gastrica.
§. 179. Ursachen. — ■ Habitus apoplecticus. — Aeussere Ursa-
chen — Prognose . . . . . . 313

§. 180. Behandlung einer Apoplexie . . . . • 315

§. 181. Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses . 326
Bezeichnungen für die verschiedenen Arten von Läh-
mungen, als : Paralysis completa; P. incompleta, Paresis ;
Hemiplegia; Paraplegia ; Paralysis transversa s. cru-
ciata; P. partialis et universalis; Blepharoplegia,
Blepharoptosis, Lagophthalmus, Oculus leporinus;Glos-
soplegia; Dysphagia paralytica; Enuresis paralitica;
Paralysis ani.
§. 182. Leichenöffnungen; Aetiologie; Prognose . . . 328

§. 183, Behandlung der Paralysen 329

Verfahren bei Paralysen durch narkotische Substanzen
erregt.

Verfahren bei Paralysen durch Quecksilberdämpfe.
Verfahren bei Paralysen durch Arsenikdämpfe.
Verfahren bei Paralysen durch unterdrückte Blutungen ,
Erkältung, äussere Gewaltthätigkeiten.
§. 184. Fortsetzung der antiparalytischen Behandlungsart . . 332

Achtzehnte Ordnung.
§. 185. Neuralgien im Allgemein en . . . . 343

Früher unter dem Namen krampfhafte Krank-
heiten bekannt.
Aetiologie. Prognose. Therapie.
Cerebral-Neuralgien.
§. 186. Gesichtsschmerz, B'otbergill'scher Gesichtsschmerz. Pro-

sopalgia s. Dolor Faciei Fothergilli, Neuralgia facialis. 347
Aetiologie. Prognose.
§. 187. Behandlung einer Prosopalgia . . . 349

Prosopalgia inflammatoria s. Neuritis nervi quinti.
§. 188. Gesichts-, Lippen-, Wangen-, Nasen- und Zungenkrebs. 355

Aetiologie. Prognose.
§. 189. Homöopathische Behandlung dieser Krebsarten . . 357



IV Tnbalt.

Seite
Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus . . , 363

Prognose. Therapie.
§. 191. Hemicrania, Clavus. Nervöser Kopfschmerz , halbseiti-
ges Kopfweh, Migräne ..... 367

Ursachen.
§. 192. Therapeutisches Verfahren ..... 368

Kopfgicht.

Spinal -Neuralgien.
§. 193. Neuralgie des Rückenmarks, Spinalirritation, Rhachial-

gie. Neuralgia spinalis, Notalgia .... 377

Ursachen.
§. 194. Therapeutisches Verfahren ..... 378

Neuralgien des Bauchnervehsystems.
§. 195. Neuralgia coeliaca ....... 382

Aetiologie. Prognose.
§. 196. Homöopathische Behandlung einer N. coeliaca . . 384

§. 197. Darmschmerzen, Bauchgrimmen, Kolik. Enteralgia, En-

terodynia, Colica, Dolores colici . . . 387

Aetiologie. Prognose.
§. 198. Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta . . 388

§. 199. Behandlung einer solchen ..... 389

Colicodynia flatulenta. Hämorrhoidalkolik.
§. 200. Neigung und Vorboten zur Entstehung einer Hernia in-

guinalis und Angabe zur Heilung derselben . . 394

§. 201. Gastrische Kolik. Colica gastrica . . . 395

Gallenkolik.
§. 202. Behandlung einer Gallenkolik ..... 396

Heilung einer Kolikodynie. Wurmkolik. Schleimkolik.

Kolik von Kothverhärtung.
§. 203. Bleikolik, Malerkolik, Hüttenkatze. Colica saturnina,

pictorum, Rhachialgia metallica .... 400
§. 204. Homöopathische Behandlung einer solchen . . 401

§. 205. Kupferkolik. Colica aeruginalis .... 403

§. 206. Behandlung dieser Kolik . . . . .403

§. 207. Blutkolik, Hämorrhoidalkolik. Colica sanguinea, pletho-

rica, haemorrhoidalis ...... 405

§. 208. Homöopathische Behandlung einer Hämorrhoidalkolik . 405
§. 209. Kolik von örtlichen Ursachen abhängig . . . . 408

Miserere (Ileus).
§. 210. Arten von Bruchkolik. Colica herniosa . . . 409

Einklemmung, Einsperrung (Incarceratio, Strangulatio).

Verschlingung, Ineinanderschiebung (Volvulus, Con-

volvulus, Intussusceptio).
§. 211. Behandlung derselben ...... 410

§. 212. Afterschmerz und Afterkrampf. Proctalgia et Tenesmus 411



Inhalt. V

Seite
§. 213. Angabe der dagegen etwa indicirten Mittel . . 412

Mastdarmvorfall.
§. 214. Magenkrampf, Magenschmerz. Gastralgia, Gastrodynia,

Cardialgia, Colica ventriculi .... 4l4

Varietäten: Sodbrennen (Wasserkolk, Pyrosis, Soda,
Ardor ventriculi); Cardialgia flatulenta; Neuralgia
coeliaca.
§. 215. Verschiedene Bezeichnung des Magenkrampfs ; Prädispo-
sition; Aetiologie; Prognose . . . . .417

§. 216. Therapeutik des Magenkrampfs .... 418

§. 217. Magenverhärtung, Magenkrebs. Scirrhus et Carcinoma

ventriculi; Gastrostenosis cardiaca et pylorica . . 430
§. 218. Verlauf; Aetiologie ; Prognose eines Magenkrebses . 432

§. 219. Behandlung einer Magenverhärtung und Magenkrebses 432

§. 220. Fortsetzung der homöopathischen Behandlung eines Ma-
genkrampfes . . . .. . . . 436

§. 221. Magenerweichung, Erweichung der Magenhäute. Gastro-
malacia, Malaxis ventriculi, Gastrobrosis (Alibert), Per-
foratio ventriculi spontanea (Gerard) . . . 440

Symptomatologie ; Aetiologie ; Prognose.
§. 222. Behandlung dieser Krankheit ..... 441

§. 223. Blasenkrampf. Spasmus vesicae, Cystodynia, Cystalgia,

Cystospasmus . . . . . . . 443

Erscheinungen desselben; Aetiologie.
§. 224. Therapie . . 444

Neunzehnte Ordnung.
§. 225. Neurosen i m Allgemein e n .... 446

Physiologischer Character derselben ; anatomischer ;
Aetiologie; Prognose; Therapie.
S. 226. Neurosen der Brustner ven .... 448

Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis con-
vulsiva, ferina; Pertussis.

Erscheinungen beim Keuchhusten; Stadium catar-
rhale s. prodroraorum, invasionis; Stad. convulsi-
vum, nervosuro ; Stad. decrementi s. criticum ; Com-
plication mit andern Krankh. ; Aetiologie; Prognose.
§. 227. Behandlung desselben ...... 451

§. 228. Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf. Asthma, Maium

caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea . . 459

§. 229. Anatomische Charactere; Diagnose und Aetiologie; Prog-
nose ........ 461

§. 230. Therapie . . . , . . . .463

Verfangen der Kinder; Asthma von arsenikalischen
Dämpfen; von Schwefeldampf.



VI



Inhalt.



§• 231.
§. 232..

§. 233.

§. 234.

§, 235.

§. 236.

§. 237.

§. 238.

§. 239.

§. 240.

§. 241.



§• 242.



§. 243

§. 244
§. 245



Fortsetzung des therap. Verfahrens

Krampfhafte Engbrüstigkeit, Steckcatarrh der Kinder
Asthma Millari, A. laryngeum, Spasmus glottidis

Diagnostische Merkmale ; Aetiologie ; Prognose

Therapeutik . . . ...

Alpdrücken. Incübus . . .

Stickfluss. Catarrhus suffocativus ,.

Therapeutik . .

Paralysis pulmonum (Lungenlähmung).

Brustbräune, Herzklemme, Neuralgie des Herzens. Angina
pectoris . ... . . . •

Anatomische Charactere; Ursachen; Verlauf und Aus-
gänge ; Prognose . . .

Therapie dieser Krankheit .....

Neuro s en des Genitalienjsy steras .
Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschwerden. Hyste-
ria, Asthma uteri, Suffocatio uterina, Passio hysterica.

Localformen der Hysterie . . . .

1) Hysterisches Kopfleiden (Encephalopathia hyste-
rica, Hysteria cephalica).

2) Hysterische Psychose.

3) Hysterisches Rückenleiden (Hysteria spinalis, Mye-
lopathia hysterica).

4) Hysterisches Uterinleiden (Hysteria uterina, Neu-
rosis uterina, Spasmus hysteralgicus).

5) Hysterisches Nieren- und Blasenleiden (Nephro- et
Cystopathia hysterica, Hysteria vesicalis).

6) Hysterisches Darmleiden (Hysteria intestinalis,
Cölica hysterica). %

7) Hysterisches Magenleiden (Hysteria gastrica, Ga-
stropathia hysterica, Cardialgia hysterica, Pyrosis
hysterica).

8) Hysterisches Brustleiden (Hysteria pulmonalis,
Asthma hystericum).

9) Hysterisches Kehlkopfleiden (Hysteria laryngea,
Laryngopathia hysterica).

10) Hysterisches Herz- und Arterienleiden (Hysteria
cardiaca et vascularis, Cardio- et Angiopathia hy-
sterica).

11) Hysterisches Schlundleiden (Pharyngopathia hyste-
rica, Globus hystericus).

Anatomische Charactere; Wesen der Krankheit; Ursa-
chen; Ausgänge; Prognose .
Behandlung hysterischer Beschwerden
Fortsetzung der Behandluug hysterischer Localformen



Seite

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Inhalt. Vit

Seite

I) Hysterisches Kopfleiden; Hemicranie; Schlaflosigkeit.

§. 246. 2) Hysterische Psychosen; Behandlung . . ... 512

§. 247.. 3) Hysterisches Rückenleiden; Behandlung . . 513

§. 248. 4) Hysterisches Uterinleiden ; Behandlung . . 5l4

§. 249. 5) Hysterisches Nieren- und Blasenleiden ; Behandlung —
Nierenschmerzen ; Harnverhaltung (Ischuria et Stran-
guria) - . . . ,-i . . . 516

§. 250. 6) Hysterisches Darmleiden; 1

7) Hysterisches Magenleiden ; f £17

8) Hysterisches Brustleiden ; (

9) Hysterisches Kehlkopfleiden; ]

§. 251. 10) Hysterisches Herz- und Arterienleiden; Behandlung . 518

II) Hysterisches Schlundleiden.

§. 252. Eclampsie, akute Epilepsie . . 519

A. Eclampsie, Gefraisch, Gichter, Jammer der Kin-
der. Eclampsia infantum.
Vorboten; innere Krämpfe oder Fraisen der Kinder;
Paroxysmus ; Intervalle.
§. 253. Aetiologie ; Prognose . . . . . .521

§. 254. Therapeutik . . . . . . ... 522

§. 255. B. Eclampsie der Schwangern und Gebärenden, Gefraisel
der Wöchnerinnen. Eclampsia Gravidarum et Partü-
rientium . . . 4 . . . . . . 527

Vorboten ; Paroxysmus.
§. 256. Aetiologie; Prognose . . . . • . . 528

§. 257. Homöopathische Behandlung einer Eclampsia parturientium 529
§. 258. St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillkürliche Muskelbe-
wegung. Chorea St. Viti, Scelötyrbe, Ghoreomania,
Epilepsia saltatoria, Morbus gesticulatorius . . 536

1) Muskelunruhe, kleiner Veitstanz ; 2) grosser Veits-
tanz ; 3) pandemischer Veitstanz, imitatorische Volks-
krankheiten; 4) Tarantismus.
§.- 259. Aetiologie; Gelegenheitsursachen; Prognose . . . 539

§. 260. Therapeutisches Verfahren in dieser Krankheit . . 540

§. 261. Kornstaupe, Kriebelkrankheit. Raphania, Morbus cerealis,

Convulsio cerealis . . . . . . 549

Symptome einer convulsivischen Kriebelkrankheit (Mor-
bus cönvulsivo-epidemicus).
§. 262. Symptome eiuer brandigen Kriebelkrankheit (Necrosis

ustilaginea) . . .... : . 551

§. 263. Aetiologie; Prognose . . . . . . 552

§. 264. Behandlung dieser Krankheit ..... 553

§. . 265. Behandlung der zweiten Form dieser Krankheit . . 557

§. 266. Hundswuth, Wasserscheu'. Hydrophobia, Rabies canina 558



VIII Inhalt.

Seite
§. 267. Anatomische Charactere; Ursachen ; Zeichen der Wuth-

krankheit bei Hunden; Prognose . . . 561

§. 268. Was thut die Allöopathie gegen diese Krankheit . . 564

§. 269. Vorbauung gegen die Hundswuth .... 566
§. 270. Die symptomatische Hydrophobie (Hydrophobia sympto-

matica) und ärztliches Handeln dagegen . . 571

§. 271. Epilepsie, Fallsucht. Morbus sacer, Morbus caducus, Epi-

lepsia. ........ 573

Stadium der Vorboten ; Stadium convulsivum ; Stadium

soporosum s. apoplecticum.
§. 272. Aetiologie; Prognose ...... 575

§. 273. Therapeutik 576

§. 274. Verschiedene Arten von Epilepsien .... 587

Epilepsia abdominalis. Bauch- oder Ganglien-Epilepsie.

Erscheinungen; Aetiologie; Prognose; Therapeutik.
§. 275. Epilepsia uterina. Uterinepilepsie . . . 588

Eine chlorotische und eine plethorische Form; Prog-
nose; therapeutisches Verfahren.
§. 276. Epilepsia testicularis. Testicularepilepsie . . 590

Diagnose; Aetiologie; Prognose ; Therapie.
§. 277. Epilepsia thoracica. Brustepilepsie . . . 592

Schilderung einer Brustepilepsie; Aetiologie; Prog.

nose; Therapie.
§. 278. Epilepsia peripherica ...... 595



Zwanzigste Ordnung.
§. 279. Cyanosen im Allgemeinen

Physiologische und anatomische Charactere.
§. 280. Aetiologie; Verlauf; Prognose . .• . .

§. 281. Therapie im Allgemeinen ....

§. 282. Cyanosis cardiaca, Morbus coeruleus. Blausucht.
§. 283. Aetiologie; Verlauf; anatomische Charactere
§. 284. Behandlung einer Cyanosis cardiaca
§. 285. Cyanosis pulmonalis .....

§. 286. Aetiologie; Verlauf; Ausgänge; Prognose .

§. 287. Therapie

§. 288. Bleichsucht, Jungfernkrankheit. Chlorosis, Morbus vir

gineus, Icterus albus, Febris amatoria
§. 289. Ursachen ; Dauer, Verlauf und Ausgänge ; Prognose
§. 290. Behandlung chlorotischer Zustände



596

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Ein und zwanzigste Ordnung.
Uebergang vom Somatischen zum Psychischen.
§. 291. Hypochondrie. Hypochondriasis, Morbus eruditorum . 613
A. Psychische Erscheinungen.



Inhalt. IX

Seite

B. Symptome des Digestionsapparates.

C. Symptome verstimmten Nervenlebens, besonders des
gangliären Theils.

§. 292. Unterschied zwischen Melancholie 5 Ursachen; Prognose 616
§. 293. Heilverfahren nach homöopathischen Grundsätzen . . 618

Zwei und zwanzigste Ordnung.
Chronische Seuchen.
§. 294. Venerische Krankheit. Syphilis .... 625

§. 295. Name und Ursprung der Krankheit .... 627

§. 296. Begriff und Wesen der Lustseuche . .•».'. 628

§. 297. Mittheilbarkeit des syphilitischen Giftes . . . 629

Prognose.
§. 298. Therapeutische Behandlung der Syphilis im Allgemeinen 630
§. 299. Primärer Tripper beim männlichen Geschlecht, Blennor-
rhoe der männlichen Harnröhre. Gonorrhoea acuta
virorum, Urethritis. Blennorrhagia urethrae . . 631

Stadium invasionis, inflammatorium, relaxationis.
§. 300. Modifikationen des Trippers . . . . . 633

Synochaler, phlegmonöser Tripper; russischer oder
schwarzer Tripper; trockner; torpider; erysipelatöser;
Chorda; Phimosis; Paraphimosis.
§. 301. Ausgänge des Trippers ...... 634

Zertheilung ; Nachtripper (Gonorrhoea secundaria, Ure-
thritis chronica) ; Verengerungen ; Geschwüre ; er-
schwertes Harnlassen ; Harntröpfeln.
§. 302. Homöopathische Behandlung einer Gonorrhöe . . 636

§. 303. Entzündung der Eichel und Vorhaut. Inflammatio glandis

et praeputii ....... 643

§. 304. Eicheltripper. Balanitis, Gonorrhoea praeputialis . 645

Zeichen eines solchen.
§. 305. Behandlung dieser Krankheit • ■ ' . . . . 646

§. 306. Secnndäre Tripperkrankheiten .... 647

Tripperhodengeschwulst. Epididymitis gonorrhoica,
Orchitis gonorrhoica.
§. 307. Gonorrhoische Augenentzündung, Augentripper. Ophthal-
mia gonorrhoica ...... 648

§. 308. Therapie einer solchen ...... 649

§. 309. Trippergicht, Tripperrheumatismus. Rheumatismus go-

norrhoicus ....... 649

§. 310. Behandlung dieser Krankheit ..... 650

§. 311. Schankerformen . . . . - . . . 652

Einfacher Schanker. — Ulcus elevatum.

Indurirter oder Hunter'scher Schanker. (Ulcus syphil.

induratum).



X Inhalt.



Seite



Phagedänischer Schanker, fressender (Ulcus syphil.

phaegedaenicum) ; diphterische, gangränös-phagedäni-

sche ) serpiginöse Schanker.
§. 312. Verbindungen des Schankers; Diagnose; Prognose . 655

§. 313. Homöopathische Behandlung der Schankerformen . . 657

Behandlung des einfachen Schankers.
§. 3l4. Fortsetzung der Schankerformen-Behandlung .. . 661

Behandlung eines indurirten od.Hunter'schen Schankers.
§. 315. Fortsetzung der Schankerformen-Behandlung . . 663

Behandlung des phagedänischen und serpiginösen

Schankers.
§. 316. Syphilitische Bubonen und ihre Behandlung . | . 666

§. 317. Syphilitische Excrescenzen. Condylomatä. Hahnemann's

Sycosis, Feigwarzenkrankheit . . . . 667

§. 318. Behandlung sypbiiitischer Excrescenzen • -. . 669

§. 319. Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden . 673

a) Fleckige oder exanthematische Syphiliden. Roseola
syphilitiea.

b) Papülöse oder Knötchen - Syphiliden ) venerische
Krätze. Liehen syphiliticus.

c) Schuppige Syphiliden. Lepra et Psoriasis syphi-
litica.

a. Psoriasis syphilitica guttata.

ß. Psor. syphil. diffusa.

y. Psor. syph. plantaris et palmaris.

d. Lepra nigricans.

S. Psoriasis syphil.

d) Pustulöse Syphiliden. Ecthyma^yphiliticum.

e) Bullöse Syphilide. Rhypia syphilitica.
Behandlung derartiger Syphiliden . . . . 676
Secundüre syphilitische Affectionen der Schleimhäute . 677
Therapie derartiger Affedföonen . . . . . 678
Secundäre syphilitische Affectionen des Knochen-, Knor-
pel- und fibrösen Systems . . ... . 680

Behandlung dieser Zustände . . ' . . 682

Secundäre syphilitische Affectionen im Auge . . 683

1) Conjunctivitis syphilitica. • ...

2) Iritis syphilitica.
Homöopathische Behandlung.

§. 326. Syphilis neonatorum s. congenita . . . . 684

Auf welche Art die Ansteckung vor sich geht. Erschei-
nungen der Syphilis secundaria neonatorum. Prognose.

§. 327. Behandlung dieser Krankheitsform .... 686
Angina mercurialis.



§.


320.


8.


321.


§•


322.


1


323.


§.


324.


§.


325.



S peci eile

Therapie

chronischer Krankheiten.



Zweiter Band.

Zweite A b t h e i 1 u n g.



Apoplexie.

Paralysen.

Neuralgien.

Neurosen.

Cyanosen.

Hypochondrie.

Syphilis.



S i e b e n z e h n l e Ordnung.

§. 178.

Apoplexia cerebralis , Apoplexia sanguinea , Encephalorrhagia. Spon-
tane Gehirnblutung, Bl utschlagflu ss.

lllan versteht unter Apoplexie eine plötzlich eintretende, mehr
oder minder vollkommene Bewußtlosigkeit mit Verlust des Ge-
fühls und der Bewegung; zuweilen äussern sich letztere noch,
jedoch nur sehr schwach; dagegen bleiben die Lebensverrichtun-
gen, Puls und Athem, thätig, und wirken vielleicht nur etwas müh-
samer und träger, vielleicht auch wohl stärker fort. Fast in allen
Fällen gehen der Apoplexie Vorboten voraus, die eigentlich in
nichts Anderem bestehen , als in Erscheinungen von allgemeiner
Plethora, als: grosse Eingenommenheit und Schwere des Kopfes,
Sinnesstörungen, Schwarzsehen, wie durch Flor, Summen vor den
Ohren, oft Schwerhörigkeit, Unaufgelegtsein zu geistigen Anstren-
gungen, dagegen grosse Neigung zum Schlaf, der aber nicht
erquickend, sondern von schweren Träumen unterbrochen ist;
von Hyperämie, als : injicirte Augen, vermehrte Röthe und Tem-
peratur der Kopfhaut, Pulsiren der Carotiden und Temporalarte-
rien; dagegen kalte Hände, Füsse , nicht selten sogar ein Gefühl
von Pelzigsein und Eingeschlafensein in den Extremitäten, von
Gehirnreizung, von beginnendem Gehirndrucke. Sie bilden das
Stadium prodromorum, in dem man häufig noch eine unge-
wöhnliche Trägheit der Unterleibsorgane, einen oft langsamen,
IL 21



312 Apoplexia cerebralis, Apoplexia sanguinea, Encephalorrhagia.

vollen, aussetzenden Puls, öfteres Alpdrücken u. s. f. wahrnimmt.
Selten findet Schlagfiuss ohne ein solches Vorläuferstadium statt.

Das vollständigste Bild einer Apoplexie zeigt sich uns da,
wo mit dem Gefühle einer Zerreissung im Gehirn, die Thätig-
keit des letztern plötzlich, blitzähnlich erlischt, der Kranke zusam-
menbricht, bewusstlos, unempfindlich, theilweise oder ganz ge-
lähmt ist; es erfolgen unwillkürliche Stuhl- und Urinentleerun-
gen, vollständiges Coma, Respiration ist röchelnd, langsam, schnau-
bend; Puls hart, voll und langsam; Augenlider lähmungsartig
erschlafft; Mund nach der nicht gelähmten Seite verzogen; Augen
stier und glotzend, Pupillen unempfindlich, oft erweitert. Spre-
chen erschwert oder unmöglich u. s. w. Häufig sympathisches
Erbrechen, livider Turgor des Gesichts. — Unverkennbares Bild
einer Apoplexia sanguinea.

Lähmt hingegen der Druck des Extravasats die Hirnactionen
momentan oder vollständig, so erblicken wir das Bild einer Apo-
plexia nervosa, einerParalysis cerebralis (Gehirnläh-
mung), deren Erscheinungen denen nach starker Gehirnerschütte-
rung gleichen: die Kranken sehen bei vollkommener Lähmung lei-
chenblass aus ; sie scheinen in einer tiefen Ohnmacht zu liegen, ihr
Puls ist schwach undunregelmässig; dabei Uebelkeit und Erbrechen.
Zuweilen, nachdem dieser Zustand ein Paar Stunden gedauert
hat, entwickelt sich der Puls, röthet sich das Gesicht, und treten
die Erscheinungen der Hyperämie deutlicher hervor, gerade wie
nach Hirnerschütterung. i

In noch andern Fällen klagen die Kranken zuerst über einen
plötzlichen heftigen Kopfschmerz, werden bleich, erbrechen sich ;
oft sind sie noch im Stande, eine Strecke weit zu gehen, dabei
dauert aber der fixe Schmerz im Kopfe und das Erbrechen fort;
das Gesicht ist leichenartig blass, der Puls weich. Der Kranke
ist bei sich, aber betäubt. Nach und nach röthet sich das Ge-
sicht, die Betäubung nimmt zu, der Kranke antwortet langsam und
mühsam; endlich verfällt er in ein Coma, aus dem er nicht wie-
der erwacht. Diess sind wahrscheinlich die Fälle, wo eine Ge-
hirnarterie platzt und der Bluterguss allmälig sich anhäuft.

Die Mehrzahl der Fälle hinterlässt eine partielle bleibende
Paralyse; oft Lähmung einer ganzen Seite (Hemiplegie), oder
Lähmung einer Extremität, oder kreuzweise Lähmung ; oft nur



Spontane Gehirnblutung, Blutschlagfluss. 313

halbseitige Gesichtslähmung, Lähmung der Zunge, des Kehlkopfs,
mit Fortbestehen des Bewusstseins.

Ausser den genannten führen wir hier noch eine Apoplexia
serosa an, die sich auszeichnen soll durch Blässe und Gedun-
senheit des Gesichts, cachectisches Aussehen, leucophlegmatischen
Habitus, leeren und weichen Puls, allmä'lige Entwicklung bald
allgemeiner, bald halbseitiger Lähmung, Erbrechen und Ueblich-
keiten, durch vorausgegangene schwächende Ursachen, Metastasen,
unterdrückte Ausleerungen, Krankheiten des Gehirns, die ihren
Ausgang in seröse Ausschwitzung nehmen. — Die Sectionen nach
dem Tode haben uns aber vielfach gezeigt, dass bei den unzwei-
deutigsten Zeichen einer Apoplexia serosa doch Blutextravasat
vorhanden war und bei Apoplexia sanguinea hingegen nur seröse
Anhäufung — ein Beweis , wie ungültig eine so scharfe Grenze
zwischen Apoplexia sanguinea und serosa im Leben ist, und wie
wenig Einfluss eine solche Trennung auf die Therapie hat. (Ca n-
stat t).

Auf gastrischen Zustand (Apoplexia gastrica,
biliosa, abdominalis) schliesst man von der allgemeinen
herrschenden Constitution , der leidenschaftlichen oder schwelge-
rischen Lebensart des Kranken, den Gelegenheitsursachen, als
Aerger, Ueberladung, Verstopfung und aus den gegenwärtigen
Erscheinungen: unreine Zunge, Aufstossen, Neigung zum Brechen,
galliges Erbrechen, gelbliche Tingirung der Augen und Hautfalten;
die Präcordien sind aufgetrieben, gespannt, empfindlich, biswei-
len greift der Kranke in diese Gegend.

§. 179.

Ursachen: Das höhere Lebensalter disponirt mehr zur Apo-
plexie, als ein früheres; auch finden wir sie häufiger bei Männern
als Frauen; in manchen Familien ist sie erblich. Ausserdem giebt
es einen apoplectischen Habitus, der zur Hyperämie
und zur Hirnblutung disponirt; ein solcher zeichnet sich aus durch
Gedrungenheit des Körpers, unverhältnissmässig grossen und dicken
Kopf, kurzen, dicken Hals, dicht Aufsitzen des Kopfs auf breiten
Schultern, Fettleibigkeit, dicken Bauch, dunkelrothes, livides Ge-
sicht, aufgetriebene Adern auf Stirn und Schläfen. Erhöht wird
diese Anlage durch plethorische Constitution, Hämorrhoiden, luxu-

21 *



314 Apoplexia ccrebralis, Apoplexia sanguinea, Encephalorrhagia.

riöse und sitzende Lebensweise , daher häufig bei Gelehrten und
Künstlern, bei den Tafel- und Becherfreuden huldigenden Müssig-
gängern.

Aeussere Ursachen sind: traumatische; atmosphärische,
als: trockne Kälte, daher häufig in strengen Wintern ; hohe Tem-
peraturgrade , Insolation z. B. bei Schnittern , rascher Uebergang
von Kälte zur Wärme und umgekehrt; besonders aber das Früh-
lingsäquinoctium , fehlerhafte Blutbeschaffenheit, erzeugt durch
Missbrauch spirituöser Getränke, durch Intoxication mit narkoti-
schen Stoffen, in Folge von Scorbut u. s. w. — Metastasen, wie
plötzliche Unterdrückung von Blutflüssen, Fussschweissen, Zuhei-
len chronischer Geschwüre u. s. w. — Hindernisse des freien
Rückflusses des Blutes vom Kopfe durch zu enge Halsbinden, Ge-
schwülste am Halse, Kropf, Angina, Störungen des Kreislaufs in
den Lungen, und in deren Folge Ueberfüllung der Kopfgefässe;
hierher sind besonders zu zählen: asthmatische Beschwerden,
Keuchhusten, Emphysem der Lungen. — Organische Fehler des
Herzens und der grossen Gefässe, namentlich Hypertrophie des
linken Herzens, bedeutende Verengerungen der Aorta. — Des-
organisation der Kopfgefässe.

Prognose. Die Apoplexia ist um so gefährlicher, je mehr
solcher ähnliche Anfälle schon vorausgegangen sind; ältere Sub-
jecte mit apoplektischem Habitus sind besonders gefährdet. Am
bedenklichsten wird Apoplexie, wenn Lähmung auf Respirations-
und Kreislaufsfunctionen sich erstreckt, feehn das Athmen müh-
sam, rasselnd, langsam, oberflächlich, unregelmässig wird ; wenn
sich wegen Lähmung der Lippen- und Wangenmuskeln bei jeder
Exspiration die Wangen aufblasen, dann wieder zusammenfallen;
wenn der Puls langsamer, kleiner, aussetzend, und das Schlingen
beschwerlich wird ; wenn die Sphincteren erschlaffen und Excre-
mente und Urin unwillkürlich abgehen. Schlimme Zeichen sind
ferner das Erkalten der Gliedmaassen, klebriger Schweiss auf den
obern Theilen des Körpers, Fortdauer der Lähmung oder wohl
gar Zunahme; das automatische Greifen des. bewusstlosen Kran-
ken mit der Hand nach einer und derselben Stelle am Kopfe.

Dennoch ist die Prognose einer Apoplexie bei einer homöo-
pathischen Behandlung weit öfter günstig zu stellen, als bei einer
allöopathischen ; ja, ich habe selbst in Fällen, wo alle Neben-



Spontane Gehirnblutung, Blutsch.lagflu.ss. 315

Verhältnisse auf einen unglücklichen Ausgang schliessen Hessen,
und von der Naturheilkraft gar keine Unterstützung zu erwarten
war, Heilung bewirkt. — Im ßesondern bestimmen wir die Prog-
nose allerdings nach jenen so eben angegebenen Beschwerden,
namentlich nach dem Charakter einer Apoplexie, und die Erfah-
rung hat uns gelehrt, dass eine Apoplexia sanguinea und gastrica
weit weniger gefahrdrohend ist, als eine Apoplexia nervosa und
serosa, bei denen leicht, selbst bei der vorsichtigsten Behandlung,
wichtige Nachkrankheiten zurückbleiben.

§. 180.

Wo die Möglichkeit gegeben ist, muss auch der homöopa-
tische Arzt bei der Behandlung einer Apoplexie auf die
Entfernung oder wenigstens Unschädlichmachung der erregenden
Ursachen hinwirken. Geben z. B. fest anliegende Kleidungs-
stücke die Veranlassung, dass ein apoplektischer Anfall auftrat,
so ist es natürlich, dass erst diese entfernt werden müssen, be-
vor an ein ärztliches Handeln gedacht werden kann. Der Kranke
wird an einen kühlen Ort gebracht, aus seiner Nähe jede über-
flüssige, die Luft verderbende Umgebung entfernt, und dem Kopfe
und Oberkörper sogleich eine erhöhete Lage gegeben. Ward
die Krankheit durch Vergiftungen mit narkotischen Arzneien
erzeugt, so sind zuvörderst die Antidote derselben anzuwenden,
und nach Beseitigung der Toxication die dem noch zurückblei-
benden Krankheits - Zustande entsprechenden Mittel zu geben.
Als Antidot des Opiums empfiehlt sich vornehmlich starker Kaffee
von oben und unten in Menge eingeflösst, wobei zugleich der
Körper frottirt wird. Wäre der Kaffee wegen vollkommen er-
loschener Reizbarkeit der Muskelfaser nicht anwendbar, wäre
wohl auch schon Eiskälte des ganzen Körpers und völlige Ge-
fühllosigkeit damit verbunden, so würde das öftere Riechenlassen
an eine gesättigte Kampher - Auflösung, das Bestreichen der
Schläfe und der Handknöchel mit derselben , in Verbindung mit
einem lauwarmen Bade, noch vorzüglicher sein. Ist dann bei
einem solchen Verfahren die Lebenskraft wieder geweckt, dann
sind öftere kleine Gaben Ipecacuanha an ihrem Orte. Ist eine
Toxication durch Belladonna die Veranlassung zur Entstehung
einer Apoplexie, so muss ebenfalls wieder starker Kaffee ra grosser



316 Apoplexia cerebralis, Apoplexia sanguinea, Encephalorrhagia.

Menge getrunken werden, um erst die Reizlosigkeit, wenn auch
nur antipathisch, zu mindern, um hernach durch Opium und Hyos-
cyamus den apoplektischen Zustand vollends zu beseitigen; den
darauf etwa noch zurückbleibenden Nachkrankheiten entsprechen
wohl am besten, je nach den vorwaltenden Umständen, der Mer-
curius solubilis und kleine positive elektrische Schläge ; doch
dürften hier auch noch andere Mittel zur völligen Heilung passend
sein, die der homöopathische Arzt, nach den vorkommenden Symp-
tomen, leicht finden wird.

Haben grosse Gaben Hyoscyamus die apoplektischen Zufälle
erregt, so ist öfteres Riechen an eine gesättigte Kampher- Auflö-
sung das zweckdienlichste Antidot. Ist das Uebermaass spiritu-
öser Getränke die erregende Ursache, so wird eine oder ein Paar
Gaben Nux vomica den krankhaften Zustand binnen wenigen
Stunden zu heben vermögen. Ist der apoplektische Zustand ab-
hängig von äussern Gewaltthätigkeiten, die den Kopf trafen, von
Kopfwunden und blutigen äussern Extravasaten, so ist die innere
und äussere Anwendung der Arnica unerlässlich; in manchen
andern Fällen ist hier wohl auch eine weiter ausgedehnte chirur-
gische Behandlung erforderlich.

In den bei weitem häufigsten Fällen haben wir es wohl mit
einer Apoplexia nervosa zu
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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #13 on: April 30, 2013, 09:38:09 PM »

In Apoplexia nervosa werden Belladonna, Arnica, Coffea,
Hyoscyamus, Stramonium , Jodium etc. immer Hauptmittel blei-
ben; in Apoplexia sanguinea: Aconit, Ipecac, Nux, Bellad.,
Mercur., Lauroceras., Opium u. a. ; in Apoplexia gastrica: Nux,
Bryonia, Ignatia, Ipecacuanha, Antimon, crud. und tartar., Puls.,
und einige andere; in Apoplexia serosa: Arnica, Jpecac, Mer-
cur. , Opium etc.

Von einigen dieser Mittel will ich hier eine genauere Cha-
rakteristik für ihre Anwendung in Apoplexie überhaupt angeben:

Belladonna, dieser Heros unserer Arzneimittellehre, muss
bei nur einiger Kenntniss ihrer Symptome, selbst dem ungeübten
Praktiker, so klar vor dem Gedächtnisse stehen, dass er in Apo-
plexie gewiss nicht leicht einen Fehlgriff thun wird, wenn er
nur einigermassen zu individualisiren versteht und nicht, nach
Art der Allopathie , schlendriansmässig die Homöopathie hand-
habt. — Die A. gastrica etwa ausgenommen, ist sie in allen an-
dern Apoplexieen unter gewissen Umständen anwendbar. Schon
dass sie dem Quecksilber, Opium, Baldrian, Mutterkorn etc. an-
tidotarisch entspricht und die oft lebensgefährlichen Nachwir-
kungen dieser Substanzen zu beseitigen vermag, beweist ihre
Heilkräfligkeit in mancher Apoplexie, die dem Missbrauch jener
Arzneien ihr Entstehen verdankt. Allein sie bietet ausserdem
noch viele andere Zeichen dar, die sie zu einem Antiapoplecticum
eignet. Namentlich entspricht sie der vollsaftigen, vollblütigen
Constitution und ist deshalb in Congestionszuständen nach Brust
und Kopf ein ausgezeichnetes Mittel, das einer A. sanguinea ent-



Spontane Gehirnblutung, Blutschlagfluss. 321

sprechend sein dürfte. Ihm fehlen aber auch die hyperämischen,
die von Gehirnreizung und Gehirndruck abhängigen Symptome
nicht, als: die rothe, injicirte Bindehaut der Augen, die fun-
kelnden, glänzenden Augen, die sehr erweiterten Pupillen, die
Mouches volantes,. das Doppeltsehen; die grosse Unruhe in den
Gliedern, das Zittern derselben, Trägheit und Unlust zur Be-
wegung; lethargische Zufälle, Ueberreiztheit und allzugrosse
Empfindlichkeit; Schlafsucht mit tiefem Schlafe und Schnarchen;
springt wegen Aengstlichkeit aus dem Bette, ist schreckhaft,
furchtsam, ärgerlich, weinerlich, unbesinnlich, ja sogar bewusst-
los; leidet an Täuschungen der Sinne und der Phantasie; klagt
über Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel, Schwere und zer-
sprengenden Stirnkopfschmerz, auch Ziehen, Reissen, Hitze im
Kopfe etc.

Ueber Aconit habe ich in diesem Werke schon so oft ge-
sprochen, dass der Leser wohl leicht das Bild eines apoplek-
tischen Zufalls, das für Aconit sich eignet, sich daraus wird ent-
nehmen können.

Coffea wird immer in Apoplexieen Berücksichtigung ver-
dienen, die bei überreizten Subjecten durch Gemüthsbewegungen
mancherlei Art hervorgerufen wurden. Sie wird also immer mehr
in A. nervosa als in sanguinea als helfende Arznei sich beweisen,
während sie in letzterer nur als Palliativ sich bewährt, dessen
Einwirkung schnell vorübergeht und darum bald mit einem an-
dern wirksameren Mittel vertauscht werden muss. Coffea dürfte
daher wohl bei solchen Subjecten sogleich mit in die Wahl fal-
len, wo eine Ueberreiztheit der Sinnesorgane, so wie des ganzen
Nervensystems, traurige, weinerliche Laune, Schlaflosigkeit we-
gen übermässiger Aufgeregtheit des Geistes und Körpers, öfteres
Hitzeüberlaufen im Gesichte, schwindlichte Schwere des Kopfes
mit allgemeiner Aengstlichkeit, Spannung und Zerschlagenheits-
Kopfschmerz, überempfindliches Gehör, in gesunden Tagen vor-
herrschend sind.

Opium entspricht, die A. gastrica ausgenommen, allen an-
dern Arten, wenn sie in ihren Erscheinungen denen ähnlich sind,
wie wir sie bei Saufer-Apoplexieen beobachten. Diese Arznei ist
schon darum hier von grossem Nutzen, weil in Apoplexie über-
haupt die Lebenskraft oft so sehr niedergedrückt ist, dass sie



322 Apoplexia cerebralis, Apoplexia sanguinea, Encepbalorrhagia.

auf passend gegebene Arzneien gar nicht reagirt, diese folglich
ganz wirkungslos bleiben, Opium hingegen die Eigentümlichkeit
besitzt, diesen Mangel der Reaction zu beseitigen und die Lebens-
kraft aus ihrer Lethargie zu erwecken. Hierzu bedarf es oft
nur einer einzigen kleinen Gabe, in einzelnen Fällen» jedoch auch
einiger solcher Gaben dieses Mittels. Da der Wirkungskreis des
Opium ein sehr beschränkter ist und es fast nur in kürzlich ent-
standenen Uebeln erfolgreich angewendet zu werden scheint: so
ist leicht ersichtlich, dass man mit seiner Anwendung in genannter
Krankheitsform nicht zu lange Anstand nehmen darf, wenn man
von ihm Nutzen erwarten will. Die Symptome, die stets zu
seiner Anwendung auffordern, sind insbesondere: betäubter, coma-
töser Schlaf mit Röcheln und Schnarchen bei herabhängender Un-
terkinnlade, aus dem der Kranke äusserst schwer aufzurütteln ist,
wonach er sich besinnungslos umsieht und keine an ihn gerich-
tete Frage zu beantworten vermag; dabei rothes, gedunsenes
Gesicht, Seufzen, Stöhnen, fortwährendes Bewegen der Lippen,
wie zum Sprechen; grosser, langsamer Puls bei beengtem und
ängstlichem Athem und häufigem starken, im Gesichte kaltem
Schweisse; der Kopf ist wie zu schwer, denn will ihn der Kranke
in die Höhe richten, so fällt er gleich wieder zurück; man sieht
das Fulsiren der Schläfearterien. Diess alles sind Zeichen einer
A. sanguinea und man sollte meinen , Opium müsse nur für diese
sich eignen; dem ist jedoch nicht so, denn wenn die Gehirn-
reizung, der Gehirndruck längere Zeit angedauert hat, so treten
jene Zeichen lebhafter hervor und bringen somit die Täuschung,
der wir Aerzte so häufig bei dieser Krankheit unterworfen sind.
Laurocerasus wird in allen Apoplexieen mit Nutzen ange-
wendet werden, die plötzlich ohne alle Vorboten eintreten, in
denen der Kranke sogleich betäubt zu Boden fällt. Es ist ein
Zustand, einer Intoxication nicht unähnlich, wie er zuweilen nach
starken Gaben Blausäure beobachtet wird. Ist die Apoplexie von
der Art, dass sie noch Heilung zulässt, d. h. dass die Lebens-
funktionen nur supprimirt, nicht aber ganz erloschen sind, so
reichen ein Paar Gaben dieses Mittels, in kurzen Zwischenräumen
gereicht, schon hin, die erwünschte Besserung herbeizuführen,
die sich an einem sehr tiefen, schnarchenden Schlafe erkennen
lässt, der den Fortgebrauch dieser Arznei noch so lange erfor-



Spontane Gehirnblutung, Blutschlagfluss, 323

dert, bis der Schlaf mehr einem schlummersüchtigen Zustande
ähnelt, aus dessen öfterm Erwachen der Kranke seiner selbst
noch nicht klar bewusst ist.

Hyoscyamus. Ein Schlag -Anfall für Hyoscyamus passend,
hat zwar in seinem Eintritte mit dem vorigen viel Aehnliches,
indem auch ein jählinges Niederfallen Statt findet; diess ge-
schieht jedoch nicht mit Betäubung wie dort, sondern mit einem
heftigen Schrei und convulsivischen Bewegungen und nachfolgen-
dem Röcheln und Schnarchen. Auch sind einer derartigen Apo-
plexie Vorboten eigen, als: Mattigkeit und Müdigkeit im ganzen
Körper mit Haltlosigkeit desselben; vorübergehende Bewusstlo-
sigkeit; öftere Neigung zu schlafen, die, befriedigt, zu einem
anhaltenden, tiefen Schlafe wird, aus dem der Kranke öfters
aufschreckt; in diesem Schlafe finden wir ein auffallendes Sinken
und Kleinerwerden des Pulses, und starken, kühlen Schweiss
des ganzen Körpers. Der Kranke klagt über öftern heftigen
Schwindel zum Taumeln mit Gesichtstäuschungen und erschüt
ternden Rucken im Gehirn, wozu sich ein verstörtes, erdfarbenes
Aussehen gesellt, was ihn traurig und mürrisch stimmt.

Seltner, als alle bisher genannten Mittel ist wohl Stramonium
anwendbar in dem eigentlichen Schlag -Anfalle selbst; es ent-
spricht mehr den Vorboten und den, nach Beseitigung der eigent-
lichen Apoplexie, rückbleibenden Beschwerden, die ich hier
nicht näher bezeichnen will, sondern dem eigenen Nachschlagen
empfehle.

Arnica steht höher, als die vorige Arznei ; empfehlenswerth
ist sie besonders in Apoplexieen von mechanischen Verletzungen
des Kopfes, wie allgemein bekannt; sie verdient hier den Vor-
zug vor allen übrigen Mitteln, ja wir würden manche derartige
Apoplexieen ohne sie ungeheilt lassen müssen und selbst viele
Chirurgen, die der alten Schule huldigen, bringen die Arnica
in Verwundungen aller Art und insbesondere des Kopfes in An-
wendung, ohne jetzt noch daran zu denken, wem sie wohl diesen
grossen Fund zu danken haben, denn nur erst bei grösserer Aus-
breitung der Homöopathie hat die Arnica diesen gewaltigen Ruf
erlangt. — Es ist also wohl nur die A. sanguinea und serosa,
in der die Arnica mit Nutzen gegeben wird, auch wenn sie
nicht immer traumatischer Natur sind, denn das sanguinische Tem-



324 Apoplexia cerebralis, Apoplexia sanguinea, Encephalorrhagia.

perament, das vollblütige, vollsaftige Subject mit rothem Ge-
sichte, Wallungen, Hitzüberlaufen, eignen sich am schönsten in
seinen Krankheitserscheinungen für die Anwendung der Arnica.

In A. gastrica ist, wie ich weiter oben schon erwähnte, und
hier noch nachzutragen nicht unterlassen will, unstreitig Ipeca-
cuanha das Hauptmittel, namentlich wenn Magenüberladungen
mit Schweinefleisch oder fettem Backwerk und nächtliches Schwel-
gen eine Apoplexie mit herbeiführen halfen. Hier fehlen der
unruhige, durch Aufschrecken unterbrochene Nachtschlaf, die
ärgerliche Reizbarkeit, die leeren Brechreizungen und andere
gastrische Beschwerden als Vorläufer nie. — Nachher collitiren
mehrere Mittel, als: Pulsatilla, Nux, Bryon., Ignat. und die
Antimonialia. — Immer hat die A. gastrica eine Hinneigung zur
serosa und, da diese nicht leicht von einer sanguinea zu unter-
scheiden ist, auch zu dieser und daher erklärt sich die öftere
Anwendbarkeit der Jpecacuanha auch in den übrigen Formen
einer Apoplexie.

Mercurius solub. ist diejenige Arznei, die allen Arten einer
Apoplexie entsprechend sich zeigen kann; diess beweisen auch
folgende in der Wirkungssphäre des Mercur liegende Befindens-
veränderungen des gesunden menschlichen Körpers. Der über-
mässige Genuss des Kaffee und Weins hinterlässt, ausser vielen
Nachtheilen, die wohl auch durch Nux, Arsen, u. a. Mittel ge-
hoben werden, mancherlei Beschwerden, die sehr grosse Aehn-
lichkeit mit denen einer Apoplexie habenu namentlich sind es die
Congestions-Zustände nach dem Kopfe, die sich durch ausdehnen-
den, herausdrängenden, zersprengenden Kopfschmerz mit Wallen
und Pochen in der Stirn documentiren, wie wir diess öfters bei
vollblütigen, vollsaftigen Personen beobachten; stete Unruhe in
den Gliedern mit Schwere derselben, Mattigkeit und Angegriffen-
heit, schon von geringer Beschäftigung; Strotzen der Gefässe
des Augapfels mit oft plötzlichem, in Anfällen wiederkehrendem,
Verlust der »Sehkraft, oder Schwarzwerden vor den Augen mit
Schwindel, dass er sich legen muss; Ohren-Sausen und Brausen
— alles Zeichen, die denen der Belladonna sehr conform, den
Mercur zu einem so herrlichen Heilmittel nach vorausgeschickter
Bellad. machen.

Ein unvergleichliches Mittel ist wohl Plumbum acet. oder



Spontane Gehirnblutung, Blutschlagfluss. 325

metallic. in Apoplexieen, nur drängt sich mir unwillkürlich immer
der Gedanke auf: es sei wohl gerathener, den ersten Anfängen
einer Apoplexie mit einem der vorher besprochenen Mittel zu
begegnen und dann das Plumb. folgen zu lassen, als es gleich
vorn Anfange anzuwenden, weil ich meine, seine Erstwirkung
trete nicht schnell genug auf, um einem so höchst akuten Leiden
möglichst bald hülfreich entgegen zu treten. Meiner Ansicht
entsprechen die an Gesunden beobachteten Symptome von Plum-
bum und ich bin fast zu der Ueberzeugung gelangt: dass in Apo-
plexieen eine vorangeschickte kleine Gabe Opium, Hyosc, Bell.
oder eines andern passenden Mittels vorbereitend für die An-
wendung von Plumb. wirkt. Oefters können wir mit ihm Apo-
plexieen verhüten , wenn wir die Prodromi richtig zu würdigen
verstehen, dahin gehören: Mattigkeit, Abgeschlagenheit und
Schläfrigkeit mit Trägheit, öfterer Besinnungslosigkeit, schwachem,
langsamen Pulse; ein andermal wieder mit Pulsiren im ganzen
Körper, besonders in Hals und Bauch, Gesichtshitze, Empfind-
lichkeit der Sinnesorgane , Schwindel mit Eingenommenheit im
Kopfe.

Veratrum bietet in seinen Erscheinungen so viel Eigenthüm-
liches einer Apoplexia dar, dass es wohl unfehlbar zu den am
sichersten wirkenden Mitteln gegen diese Krankheitsform gezählt
werden muss; es hat das Kaltwerden des ganzen Körpers, das
plötzliche Zusammensinken desselben, die verdrehten, hervor-
quellenden Augen, wie bei Erstickenden, das ununterbrochene
Speichelauslaufen aus dem Munde, das fehlende Bewusstsein, das
entstellte kalte Todtengesicht, die welken Muskeln, die ver-
schlossenen Kinnladen, den unmerklichen Athem — sollten alle
diese charakteristischen Zeichen uns nicht fast zuerst mit auf
dieses Mittel hinweisen ? Ich glaube gewiss , und ich würde
Veratrum längst schon in Anwendung gebracht haben, wäre mir
ein so scharf ausgeprägter Fall in der neuern Zeit vorgekommen.
Früher wendete ich in einem solchen Falle immer Coffea, als
Kaffeetrank, von oben und unten in Menge an und erreichte
wohl zuweilen meinen Zweck auch, aber immer sehr langsam,
was vielleicht bei Veratrum nicht gewesen wäre, doch — nur
Erfahrungen können darüber entscheiden. — Wäre ein ähnlicher
Zustand durch Missgriff mit Weissniesswurzel , oder absichtlicher



326 Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

Vergiftung entstanden, so wäre warmer Kaffeetrank, in Menge
von oben und unten, das entschiedenste Heilmittel.

Bei allgemeiner Erregung des Blutlaufs, bei heftigem Pul-
siren in den Adern, besonders in den grössern Gefässstämmen,
überhaupt bei heftigen Blutwallungen und Neigung zu Blutflüssen
aus verschiedenen Organen, bei schnellem, starken und vollem
Pulse mit Bangigkeit und Beklommenheit, grosser Nervengereizt-
heit bei phlegmatischem Temperamente etc., ist kein Mittel ge-
eigneter, einer bald eintretenden Apoplexie vorzubeugen, als
Jodium, das zu wenig gekannt und noch zu wenig für derartige
Fälle benutzt worden ist.

Die durch eine Apoplexie herbeigeführten Lähmungen,
die oft noch lange als Nachkrankheiten fortbestehen, findet der
Leser unter den folgenden Paragraphen.

Auch ist hier das Casimiren, Ventiliren, auch der in seiner
Totalitat angewendete Mesmerismus, bei Local- Symptomen aber
das Auflegen der Hände oder Fingerspitzen, unter Fixirung eines
sehr kräftigen, guten Willens, zur Unterstützung der passenden
Arzneien ganz an seinem Platze.

§. 181.

Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

Derartige Krankheiten charakterisiren sich durch Aufhebung
oder Verminderung der beiden Grundverrichtungen des Nerven-
systems , Empfindung und Bewegung, oder einer von beiden.
Ihre nächste Ursache ist Hemmung der Thätigkeit der Nerven,
die hervorgerufen werden kann sowohl durch wahre Schwäche,
als auch durch eine äussere, die Kraftäusserung unterdrückende
Ursache, als: Vollheit der Gefässe, Extravasat, fremde Körper,
Geschwülste, Verrenkung, Unterbindung; nicht minder durch
krampfhafte Affectionen. Daher kann Lähmung mit Krämpfen
abwechseln, ja mit Krämpfen, mit Schmerzen, verbunden sein.
Die Lähmung kann sowohl vom peripherischen, als vom Cen-
tralende des Nerven ausgehen.

Was die Apoplexie, besonders die nervosa, für das Gehirn,
das ist die Paralyse für einzelne Zweige des Nervensystems.
Sie unterscheidet sich von einer Apoplexie dadurch, dass bei ihr



Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses. 327

die Functionen des Gehirns an sich nicht gestört sind. Leicht
wird die Diagnose einer Paralyse, wo äussere Theile von ihr er-
griffen sind; schwieriger, wo sie innere Organe befällt, wo uns
dann nur das gänzliche Unvermögen eines Organs, seine ge-
wohnten und bestimmten Functionen auszuüben, leitet. — Wo
eine Paralyse plötzlich sich bildet, geschieht es nur im Momente
des Eintritts einer Apoplexie; wo sie langsam auftritt, gehen ihr
Vorboten voraus, als: Krämpfe, Zuckungen, Schmerzen in dem
leidenden Theile; häufiger noch das Gefühl von Kriebeln, Amei-
senlaufen, Einschlafen, Taubheit, Schwäche und Kälte, oder die
Empfindung durchgehender kalter Wassertropfen durch das er-
krankte Glied.

Der Eintritt der Lähmung selbst verräth sich durch einen
vollkommenen Mangel aller Empfindung und Bewegung (Paralysis
completa;) oder es geht nur eine beider Functionen, am häufigsten
die Bewegung verloren (Paralysis incompleta, Paresis). Ist die
Lähmung nur auf einer Seite des Körpers, so nennen wir sie
eine halbseitige (Hemiplegia); dagegen eine Querläh-
mung (Paraplegia), wo entweder die obern, oder die untern
Extremitäten allein, am meisten die untern, gelähmt sind. Kreuz-
lähmung (Paralysis transversa s. cruciata) ist es, wo z. B.
der rechte Arm und gleichzeitig der linke Fuss gelähmt sind.
Ausser den schon unter den Vorboten genannten Erscheinungen,
die auch bei ausgebildeter Paralyse fortbestehen, finden wir nun
noch einen langsamen, schwachen, kleinen, weichen, seiner
Energie beraubten Pulsschlag, Mangel natürlicher Wärme und
Farbe des paralytischen Theils, eben so der Ernährung und eine
allmälige Abzehrung, ein Schwinden, eine Tabes, oder ödema-
töse Anschwellung desselben.

Durch die Verschiedenheit der Organe, in denen sich eine
Paralysis partialis — gegenüber einer universalis,
wie wir sie häufig bei Apoplexieen und vielen andern Krank-
heiten kurz vor Eintritt des Todes wahrnehmen — vorfindet,
erhält eine solche verschiedene Benennungen. So finden wir
z. B. bei Hemiplegien ein auf der kranken Seite entstelltes,
herabgefallenes Gesicht, stammelnde Sprache, halbseitige Taub-
heit und Blindheit, halbseitige Beklemmung und Schwere in der
Brust mit anhaltendem Röcheln.

11. 22



328 Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

Mit Paraplegien, namentlich der untern Extremitäten,
ist häufig Incontinentia urinae et alvi verbunden, seltner wird
eine solche von Stuhl- und Urinverhaltung begleitet.

Lähmung der Augenlider (Blepharoplegia) ist
doppelter Art, entweder: Blepharoptosis s. lapsus pal-
pebrae superioris, wo das Auge immer vom obern Augen-
lide bedeckt ist, und der Kranke es durchaus nicht aus eigner
Kraft erheben kann; oder Hasenauge (Lagophthalmus,
Oculus leporinus), wo das Auge stets unbedeckt bleibt.
Folgen davon sind: anhaltendes Thränen, Lichtscheu, häufig an-
haltende Augenentzündungen, durch Einfliegen von Staub erzeugt.

Lähmung der Zunge (Glossoplegia) ist häufig Symptom
und Folge von Apoplexie, documentirt sich durch Stammeln und
Unverständlichkeit der Sprache, schwieriges Bewegen der Zunge
in der Mundhöhle, Unmöglichkeit zu kauen, unwillkürliches
Ausfliessen des Speichels und der genossenen Flüssigkeiten aus
dem Munde.

Lähmung des Pharynx (Dysphagia paralytica),
oft mit voriger Form in Verbindung. Pat. kann nicht schlucken,
am wenigsten Flüssigkeiten ; oft geräth er dabei in Erstickungs-
gefahr.

Der Enuresis paralytica und Paralysis ani habeich
schon unter Paraplegie gedacht.

§. 182. I

Leichenöffnungen lassen nichts Bedeutendes an den
Nerven wahrnehmen; denn nur in seltenen Fällen erscheinen sie
mürbe, aufgelöst oder vertrocknet; dagegen finden sich öfters
mancherlei Desorganisationen in ihrer Nähe, als: angeschwollene,
verhärtete Drüsen, Steatome, Indurationen, Scirrhen u. s. w.

Antiologie: Was ich unter Apoplexie von der Prädispo-
sition für diese Krankheit gesagt habe, das gilt auch hier für
die Paralysen. Erregend e Mom ente sind: starke Gemüths-
bewegungen und Leidenschaften, anhaltende heftige Schmerzen,
Convulsionen, nervöse Fieber, narcotische Vergiftungen, Blitz;
ferner: organische Fehler und Verletzungen des Gehirns, Bück-
grats und Bückenmarks, Verstauchungen, Verkrümmungen, Brüche,



Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses. 329

und Beinfrass der Wirbelsäule, Quetschung 1 , Zerreissung, Unter-
bindung einzelner Nerven, Druck auf dieselben durch mechanische
Gewalt, durch harte, in ihrer Nähe befindliche Körper; ferner:
unterdrückte Blutflüsse, zurückgetretene Exantheme, Gicht, Rheuma,
Hysterie, Schwangerschaft, Gastricismus, Würmer.

Prognose: Sie richtet sich nach den erregenden Ursachen
und der Möglichkeit, selbige zu entfernen. Am schlimmsten
ist sie, wo die Krankheit von organischen Fehlern des Gehirns
oder der Nerven herrührt; günstiger hingegen, wenn sie einem
Typhus oder Ruhr folgte. Sie hängt ferner ab von der Wich-
tigkeit des paralytischen Theils; von der Dauer der Krankheit;
von der Constitution und dem Alter des Kranken; von dem Grade
der Krankheit und der Ausbreitung derselben.

§. 183.

Die Behandlung der Paralysen fällt sehr mit der der
Apoplexieen zusammen, und die Mittel, die hier sich hülfreich
erwiesen, kommen sehr oft auch bei jenen in Anwendung, wie
sich schon daraus abnehmen lässt, dass der Arzt das Mittel, das
eine Apoplexie baldigst zu heben vermochte, gegen die zurück-
gebliebenen paralytischen Zustände noch fortnehmen zu lassen
für gut findet, weil er bei seiner Anwendung eben diese Beschwer-
den immer mehr und mehr sich vermindern sieht. Ich muss dess-
halb den Leser bitten, den therapeutischen Theil einer Apo-
plexie sich genau zu imprimiren , da ich jene Mittel hier nicht
wieder in ihren characteristischen Erscheinungen aufzeichnen
werde, sondern nur die einer speciellen Betrachtung würdige,
die dort weiter nicht in Anregung kommen konnten.

Die mancherlei erregenden Momente einer Paralyse dürfen
dem homöopathischen Arzte nicht entgehen, im Gegentheil müs-
sen sie scharf ins Auge gefasst werden, wenn er sich einer
glücklich durchgeführten Kur erfreuen will. Ist die Krankheit
erst kürzlich entstanden, so ist genaue Erforschung der erregen-
den Ursache unerlässlich, weil in einem solchen Falle deren
Einwirkung oft noch mit leichter Mühe unschädlich gemacht
werden kann, wie wir diess z. B. da finden, wo das Leiden of-
fenbar dem Genüsse narkotischer Substanzen sein Ent-

22*



330 Paralytische Krankheitsformen , Lähmungen. Paralyses.

stehen verdankt. Es liegt auf der Hand, dass da, wo dieselben
erst kürzlich genossen und noch im Magen oder Darrakanale vor-
handen sind , diese erst durch Erbrechen oder Stuhlausleerung
möglichst entfernt werden ; diesen Zweck erreicht man am ehe-
sten durch reichlichen Kaffeetrank, von oben und unten in
den Körper gebracht; das Erbrechen kann man noch durch Rei-
zung des Schlundes mit der Fahne einer Feder unterstützen. Der
Kaffeetrank ist auch desshalb das zweckmässigste Mittel, weil es
auf viele Narkotika eine antidotarische Einwirkung äussert.
Wäre somit der ersten Indication Genüge geleistet und wären
immer noch Zeichen vorhanden, die auf fortdauernde Narkose
schliessen Hessen, so müsste .der Arzt schon noch zu einem
zweiten Antidote seine Zuflucht nehmen, das er fast immer im
Camphor finden wird, da dieser die Wirkungen der meisten Ge-
wächsarzneien aufhebt, wenn ihm nicht etwa ein anderes noch
zweckdienlicheres Mittel zu Gebote steht. Der Campher muss
aber seiner nur einige Minuten dauernden Wirkung wegen in
kürzeren Intervallen wiederholt werden.

Entstand eine Paralyse allmälig durch anhaltendes Einathmen
von Quecksilber-Dämpfen, wie wir sie in Spiegelfabriken
nicht selten beobachten, womit dann häufig auch ein Zittern der
ergriffenen Theile mit wahrgenommen wird; so empfiehlt sich
keine Arznei zu Anfange der Behandlung mehr, als Stramonium,
das hier allen Anforderungen, die nur an ein Heilmittel gemacht
werden können, entspricht; doch würde n|an zu viel verlangen,
Avollte man von ihm allein Heilung erwarten, was in derartigen
Fällen, wo die Krankheit nur erst durch längere Einwirkung der
Noxe sich herausgebildet hat, durchaus nicht zu ermöglichen ist.
Stramon. hat zwar, wie gesagt, sehr viel für sich, und es giebt
in unserer ganzen Mater, med. keine Arznei, die in dem gege-
benen Falle dasselbe zu leisten vermögte; dennoch ist es nicht
das alleinige Heilmittel, aber doch das, was in der ganzen Cur
öfters wiederholt werden muss , da die Krankheitszeichen nicht
wechseln, sondern immer dieselben bleiben, wie sie zu Anfange
waren, und nur auf die gereichten Arzneien allmälig sich ver-
mindern. Nächst ihm sind es dann: Hepar sulphur., Sulphur
selbst, Nur. acid., ArgerUum, Cicuta, China und Staphysagria,
durch welche die vollständige Heilung grösstentheils erzielt wird,



Paralytische Krankheitsformell, Lähmungen. Paralyses. 331

wo nicht, so ist eins der später zu bezeichnenden Mittel mit i»
die Wahl zu ziehen.

Eben so verhält es sich, wo die Krankheit durch Arsenic-
Dämpfe bei Arbeitern entstanden ist; hier wird man durchaus
mit den specifischen Mitteln gegen Paralysen nicht reussiren,
wenn man sie gleich von Anfange anwenden wollte, ohne vor-
her antidotarische Arznei-Kräfte in Anwendung gebracht zu haben,
es mag nun eine plötzliche oder langsame Arsenik- Vergiftung
stattgefunden haben. Mit Sicherheit kann man auf eine Bethei-
ligung des Arsen an einem paralytischen Krankheitsbilde schliessen,
wenn neben diesem von Zeit zu Zeit wechselßeberartige Be-
schwerden und Schmerzen anderer Art auftreten, und vorzüglich
immer in der Ruhe des Nachts erscheinen, auch wohl mit einem
ungemeinen Sinken der Kräfte verbunden sind. Die meiste
Aehnlichkeit findet dann ein solches Krankheitsbild in demSympto-
men-Complexe von China, und diese wäre dann wohl die zuerst
anzuwendende Arznei, die in passenden Zwischenräumen repetirt
werden müsste. Ihr zur Seite steht in gleichem Falle Veratrum,
das fast noch den Vorzug verdient, wo die öfters eintretende
Schwäche und das plötzliche Sinken der Kräfte alle andern Krank-
heits-Erscheinungen so übertäubt, dass der Kranke um baldige
Abhülfe dieser lästigen Beschwerde bittet. — Wo solche erheb-
liche Nebenerscheinungen nicht stattfinden , da sind die beiden
genannten Arzneien wohl auch am passenden Orte, öfter jedoch
wird der homöopathische Arzt dann wohl erst, durch die Symptome
aufmerksam gemacht, auf Ipecacuanha hingewiesen werden, und
er wird noch ausserdem Vergleiche zwischen den Krankheits-
und Arznei-Symptomen von Ferrum, Nux, Sambuc., Graphit und
Hepar anzustellen nicht unterlassen können.

Die meisten andern Gelegenheits-Ursachen sind nicht so bald
unschädlich zu machen, wie die vorhergenannten, wenigstens sind
keine so bestimmten Mittel, keine Specifica, für jene wie für
diese vorhanden, und der Arzt muss unter den noch zu nennen-
den Mitteln das passendste für den gegenwärtigen individuellen
Fall herauszufinden wissen. — Einige kurze Bemerkungen und
Andeutungen für ein paar Mittel sind vielleicht dem Anfänger
nicht unlieb. Bekannt ist dem erfahrnen Homöopathen die heil-
kräftige Wirkung von Rhus in Paralysen; weniger bekannt jedoch



332 Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

dürfte es sein, dass diese Arznei jeder andern den Vorrang strei-
tig macht in Lähmungen verschiedener Art, die aus nervösen
und typhösen Fiebern hervorgehen, oder, was dasselbe ist, nach
Beseitigung dieser letztern zurückbleiben. — In halbseitigen
Lähmungen, namentlich der linken Seite, wo der Kranke über
eine schmerzende Last dieses Arms und dieser Brustseite sich
beklagt, wobei heftige Nachtschweisse zugegen sind, ist Stannum
das vorzüglichste Heilmittel, das ebenfalls wiederholt und nach
andern passenden Zwischenmitteln, wenn der Krankheits-Zustand
zwar gemindert, aber in seinen Eigenthümlichkeiten doch der-
selbe geblieben ist, von Neuem in Anwendung gezogen werden
kann. — Causticum, dieses grosse Mittel, zieht die Aufmerksam-
keit des Arztes namentlich dann auf sich, wenn beim Aufstehen
vom Sitze die ergriffenen Theile von einem Zittern befallen wer-
den, das nur erst beim Niedersetzen sich wieder verliert. Hier
ist auch Cicuta zu berücksichtigen, insbesondere wenn die ge-
lähmten untern Extremitäten von periodisch wiederkehrenden
heftigen krampfhaften Schmerzen befallen werden, bei deren
Nachlass ebenfalls ein unwillkürliches Zittern diese Theile be-
fällt. — In schmerzlosen Lähmungen mag der Arzt zuerst an
Oleander mit denken.

Gaben unterdrückte Blutungen eine Gelegenheits-Ur-
sache mit ab, so sind neben den indizirten Arzneien Fussbäder
von Salz und Asche, laue Insessus, warme Breiumschläge von
Hafergrütze, Leinsaamenmehl u. s. w. auf die Fusssohlen am pas-
senden Orte.

War Erkältung schweissiger Füsse, durch Nässe, Mitver-
anlassung zur Entstehung einer Paralyse, so sind insbesondere
Uhus, Colchic, Mercur, Zincum und noch einige andere Mittel
ins Auge zu fassen, während bei allgemeiner Erkältung Nux,
Dulcam., Bryon. zu berücksichtigen sind. — Lähmungen von
äussern Gewalttätigkeiten finden in Arnica, Calendula,
Cicuta, Conium, Piatina die passendsten Heilmittel.

§. 184.

Habe ich im vorigen Paragraphen der vorzüglichsten oder
wenigstens zuerst zu berücksichtigenden Indication Genüge zu
leisten mich bestrebt, so will ich in diesem, unter Fortsetzung



Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses. 333

der therapeutischen Anordnungen, namentlich auf die Mittel hin-
weisen, die in gewissen Fällen als Specifica sich gezeigt haben.
Wiederholungen würden unvermeidlich sein, wollte ich gegen
die einzelnen Arten von Lähmungen die in der Praxis sich da-
gegen bewährt gezeigt habenden Mittel jedesmal von Neuem
speciell anführen, weil viele derselben dann doppelt und dreifach
angegeben werden müssten , die in mehrern einzelnen Species
von Paralyse mit Nutzen angewendet wurden. Aus diesem Grunde
werde ich bei jeder Arznei, deren Specificität gegen genannte
Krankheitsform ich durch Aufzeichnung der Symptome ins klarste
Licht werde zu stellen suchen, jedesmal, wo meine und Andrer
praktische Erfahrungen diess gestatten, mit angeben, in welchen
Formen namentlich sie hülfreich gewesen ist.

Ich habe in früheren Zeiten, wo die homöopathische Materia
med. noch nicht so reichhaltig als jetzt war, mehrere Lähmun-
gen der Untergliedmassen mit Rhus toxicod. geheilt, unter denen
auch ein Paar waren, die nach nervösen Fiebern zurückgeblie-
ben. Ich stelle aber dieses Mittel nicht blos aus Dankbarkeit
oben an, sondern ich möchte es gern wieder als ein grosses
Antiparalyticum in das Gedächtniss der Aerzte zurückrufen, weil
es über andern neuern, aber ebenfalls wichtigen Mitteln der Art,
immer mehr in Vergessenheit zu gerathen scheint. Die Neigung
zum Erlöschen der organischen Thätigkeit bis zur Lähmung liegt
in der Primär -Wirkung von Rhus, wie denn überhaupt Taub-
heits- und Abgestumpftheits- Gefühl in schon leidenden Theilen
ein Hauptsymptom von Rhus mit auszumachen scheint. Rechne
ich auch Klamm und Strammen wie von Flechsenverkürzung nicht
gerade zu den Lähmigkeits-Symptomen , so kann ich ihnen doch
aber auch nicht einige Abhängigkeit von verminderter Thätig-
keit einzelner Nervenzweige streitig machen. Nicht anders ver-
hält es sich mit den Zerschlagenheits und Verrenkungs-Schmer-
zen, die die Prüfungs-Person nach Einnehmen von Rhus oft
halbseitig wahrnimmt, und die in der Praxis schon oft als
heilkräftig sich herausgestellt haben. Nicht immer sind es gleich
anfangs paralytische Beschwerden, die wir in Krankheiten zu
bekämpfen haben, sondern es sind immer höher sich steigernde
bange ziehende Schmerzen in einzelnen Gliedern, während diese
in Ruhe sich beünden und die zu ihrer Beseitigung um so stär-



334 Paralytische Krankheitsformen , Lähmungen. Paralyses.

kere Bewegung erfordern, je länger der Kranke gezwungen war,
sie in Ruhe zu ertragen. Diese Schmerzen haben die Eigen-
thümlichkeit, nach ihrem Verschwinden eine Art Lähmung in
dem ergriffenen Theile zu hinterlassen, die bei längerer Dauer
des Schmerzes auch immer nachhaltiger und bleibender wird,
und deutlich schon auf eine vorbereitende Paralyse hinweist.
Und was ist denn das Taubheits- und Eingeschlafenheits - Gefühl,
das wir von Rhus beobachten, anders, als momentane Paralyse
in niederm Grade? Ein Hauptsymptom aber von diesem Mittel
ist: Lähmigkeit in allen Gliedern und Gelenken mit Steifheit,
am schlimmsten bei Aufstehen von längerem Sitzen; oder auch
völlige Lähmungen , sowohl halbseitige , als auch besonders der
Unterglieder, mit schleppendem, langsamen, schwierigen Gehen.
— Rhus wäre demnach ein höchst beachtenswertes Mittel in
H emi- und Paraplegie; nicht minder aber auch in Enure-
sis paralytica und Paralysis intestini recti, wenn die
übrigen Krankheitszeichen den Symptomen dieses Mittels entspre-
chend sich zeigen, unter welchen Verhältnissen es sogar auch
hülfreich sein kann in Blepharoplegia und Dysphagia
paralytica.

Cocculus, ebenfalls ein Mittel aus früherer Zeit, verdanke
ich manches Glück, das ich durch Heilung paralytischer Beschwer-
den mit Coccid. über manche Familie verbreitete. Am glück-
lichsten war ich mit ihm in denjenigen Paralysen, die, vom Kreuz
ausgehend, die Untergliedmassen ergriffen hatten, und die die
Kranken stets von Erkältung abhängig abgaben. Vorausgegan-
gene chronische Hautkrankheiten konnte ich in keinem Falle
ergründen, wohl aber klagten einige dieser Kranken über nächt-
liches Hautjucken, und am Tage zeigten sich an diesen Stellen
kleine rothe Blüthchen; bei den meisten Kranken der Art fand
ich die Füsse ödematös und grosse nervöse Aufgeregtheit. —
Ausser dieser Paraplegie ist es aber auch noch eine beson-
dere Art Hemiplegie, vorzüglich linker Seits, mit Kältegefühl
der leidenden Theile, der Coccul. entspricht, und wo er nie nutz-
los angewendet werden wird; nicht minder auch bei Verlust der
Bewegung des rechten Armes und Beines, mit Taubheit, wie
eingeschlafen. Berüer Liebe
und Selbstbefleckung ihr Entstehen verdanken, und die vorzüg-
lich von der Cauda equina ausgehen. Eben so werden diejeni-
gen, deren Entstehen durch grosse leidenschaftliche Ausbrüche,
z. B. Aerger und Zorn mit begünstigt wurde, eine heilende
Arznei im Natr. mur. finden. Welchen unendlichen Nutzen ge-
währt uns diese Arznei in derartigen heftigen Nachtschmerzen,
oft von scheinbar unbedeutenden Hautreizen erregt, die den freien
Gebrauch der betheiligten Glieder hemmen und dadurch momen-
tane Paralysen, ja selbst halbseitige, herbeiführen und, bei öfte-
rer Wiederkehr zu bleibenden sich umgestalten, in deren Folge oft
unwillkürliche Stuhl- und Urinausleerungen mit auftreten. Abge-
sehen von Allem dem aber, deuten doch die eigenthümlichen
physiologischen Zeichen dieser Arznei genugsam darauf hin, dass
sie in paralytischen Beschwerden eine sehr heilkräftige sein
müsse; so finden wir ein Eingeschlafenheitsgefühl in den Glie-
dern; eine Steifheit und Knacken in den Gelenken; eine Flech-
senverkürzung ; Schwerfälligkeit, Trägheit und daher Scheu vor
Arbeit, mit grosser Abspannung des Körpers; angehende Amau-
rose; Lähmung im Kreuze mit Zerschlagenheit und Spannen;
lähmige Schwere in den Armen mit Taubheit und Abgestorben-
heit, eben so in den Beinen.

Vor allen andern will ich aber unser heilkräftigstes Mittel
in chronischen Krankheiten und insbesondere auch in Paralysen
nicht vergessen zu erwähnen, ich meine: Sulphur. In vielen Läh-
mungen ist er ganz dazu geeignet, die Beihe der in dem gegen-
wärtigen Krankheitsfalle anzuwendenden Mittel zu eröffnen; die-
ser Fall kommt am häufigsten da vor, wo unterdrückte chronische
Hautausschläge den Paralysen vorangegangen waren, oder, theil-
weise geheilt, noch vorhanden sind. Er birgt recht eigentlich
alle die Beschwerden in sich und bringt sie, durch Einnehmen von
gesunden Menschen erprobt, zu der Klarheit, die erforderlich ist, um
dem homöopathischen Arzte die Deutung Hahnemann's, die er
in die zwei Worte „latente Psora" legte, klar zu veranschaulichen.
Bei vielen Paralysen stehen wir verlegen am Krankenbette undwis-



340 Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

sen uns ihren Eintritt nicht zu enträthseln, denn die gehaltlosen
Angaben unserer Patienten über die Entstehungsweise ihres Lei-
dens befriedigen uns nicht, weil sie uns nicht den gehörigen
Aufschluss geben. In diesem Geistesbanquerot ist es uns oft
recht bequem , dass die homöopathische Materia medica uns in
Sulphur ein Mittel bietet, das uns aller Verlegenheiten über-
hebt, und sogar unser therapeutisches Handeln als ein wohlbe-
dachtes und wohlbegründetes erscheinen lässt, dem selbst der
geübteste Praktiker seine Zustimmung nicht versagen kann.
Gesetzt nun auch, Sulphur wäre nicht das wohlthätigste Mittel
gewesen, so überzeugen uns die herrlichen Wirkungen der nach-
folgenden passenderen Arzneien gar bald , dass Sulphur nicht
ganz nutzlos angewendet wurde, sondern den Weg erst recht
bahnte, der zur endlichen Heilung führen konnte. Diese glück-
liche Idee erregt dann in uns die feste Ueberzeugung, dass es
sogar heilbringend sein dürfte, von diesem Mittel im Verlaufe
der Cur von Zeit zu Zeit zum Wohle des Kranken abermals Ge-
brauch zu machen, und immer wird es in dieser Krankheitsform
von Nutzen sein, nach mehrern angewendeten Antiparalyticis den
Organismus durch Einnehmen von Sulphur wieder empfänglicher
für andere Arzneien zu stimmen. — Schwierig wird es in Para-
lysen wohl immer bleiben, stets und für jeden individuellen Fall
das passendste Mittel zu wählen, da meistens alle andern Be-
schwerden verschwunden und über den Eintritt des Hauptleidens
vom Kranken fast gänzlich vergessen worden sind. Gerade hier
aber ists, wo der Schwefel eine Menge Beschwerden wieder auf-
wühlt, die der Kranke sich dunkel erinnert früher schon an sich
wahrgenommen zu haben: dem Arzte nun liefert diese Beobach-
tung den Beweis, dass seine Mittelwahl eine ganz vorzügliche
war, und er die Wirkung desselben auf keine Weise stören
dürfe. — Lähmungen einzelner Theile liegen aber recht eigent-
lich in der Wirkungssphäre unsers Mittels, ganz vorzüglich aber
die der Beine und Füsse.

Auch Strontian ist unter der Keihe der hieher gehörigen
Arzneien mit anzuführen ; ich habe gar keine Erfahrung über die-
selbe, ich nenne sie daher nur cursorisch und berichte, dass sie
in Lähmungen der Beine und in halbseitigen, besonders der rech-
ten Seite, mit Nutzen gegeben worden sein soll.



Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses. 341

So wenig ich auch von der reinen Thonerde glückliche
Erfahrungen in Paralysen mittheilen kann, so darf ich doch da-
durch die anderer und glücklicherer Beobachter nicht annulliren,
die sie in Lähmungen einzelner Theile, namentlich des Arms und
der Hand, heilsam gefunden haben.

In nach Apoplexieen zurückbleibenden Lähmungen einzelner
Theile, insbesondere der Beine, habe ich einige Mal gute Einwir-
kung von Anacardium wahrgenommen, ohne mich jedoch der
vollständigen Heilung mit diesem Mittel allein erfreuen zu kön-
nen. Trug meine eigene Ungeduld oder die des Kranken die
Schuld, dass ich nicht lange genug seine Einwirkung statt finden
Hess — ich weiss es nicht.

Baryta carbonica ist unstreitig eins der ausgezeichnetsten
MUtel in Paralysen nach Schlagfluss, und in denen, die bei alten
Leuten vorkommen , denen längere Zeit schon Halt- und Kraft-
losigkeit im ganzen Körper, Knicken der Knie und Schmerz des
Rückgrats in der Lendengegend vorangegangen waren. Bekannt
ist ja dieses Mittel hinlänglich schon unter den Homöopathen als
eine wahre Panacee für die Beschwerden des Alters, und daher
erklärt sich seine grosse Heilkräftigkeit auch in dieser Krank-
heit bei alten Leuten; darum aber ist es keineswegs als Antipa-
ralyticum für andere Fälle ausgeschlossen, und ich mache, ausser
andern, noch auf Zungenlähmungen aufmerksam, von denen
wohl nur wenige ohne Beihülfe des Baryt, geheilt werden
können.

Ich komme nun auf eine meiner Lieblingsarzneien zu spre-
chen, die ebenfalls aus früherer Zeit her sich datirt, und damals
öfters von mir wohl angewandt wurde, wo sie nicht recht pas-
send war; aus dieser negativen Beschaffenheit aber habe ich
eben so viel gelernt, als aus ihrer positiven — mit einem Worte :
ich habe sie dadurch richtig anwenden lernen, was vielleicht
nicht so der Fall gewesen sein würde, wenn mehr Material einer
homöopathischen Arznei -M. -Lehre vorhanden gewesen wäre.
Sicher aber ist, dass Dulcamara von den neueren Homöopathen
in Krankheiten zu wenig in Betracht kommt und als eine nutzlose
Arznei von vielen sogar schon ganz ignorirt wird. Die Heilkraft
jedoch, die sie früher so eclatant zeigte, ist jetzt nicht geringer,
und ihre Kräfte werden uns klarer, je mehr wir uns mit ihren



342 Paralytische Krankheitsformen, Lähmungen. Paralyses.

Wirkungen vertraut zu machen suchen. — Wie viele Paralysen
verdanken ihr Entstehen heftigen Einwirkungen von Kälte und
Nässe, von unterdrückten scabiösen und herpetischen Ausschlä-
gen, wo mithin ein psorischer Grund und Boden, eine latente
Psora, unverkennbar sich ausspricht. Diese Paralysen nun sind
es auch eigentlich, wo Vulcam. als Specificum sich erweist, und
wo sie, im Wechsel mit Sulphur, fast immer heilbringend ange-
wendet wird; deshalb ist sie auch fast in keiner Species ausge-
schlossen, wie man auch aus ihren Symptomen sich deutlich
überzeugen kann. Ausserdem sind es insbesondere noch: Läh-
mungen des Armes mit Eiskälte, wie von einem Schlage; Läh-
mungen der Ober- und Unterglieder; Lähmungen der Zunge;
Lähmungen der Harnblase.

Ihr zunächst steht unstreitig Colchicum autumnale bezüglich
der Erregungs-Ursache. Lähmungen nach plötzlich unterdrück-
ter Transpiration des ganzen Körpers oder auch der sehr schweis-
sigen Füsse durch Nasswerden des Körpers, werden öfters durch
dieses Mittel allein wieder geheilt. Ob auch andere Arten in ihm
ein zweckdienliches Heilmittel finden, kann ich zwar durch ge-
machte Erfahrungen nicht hestätigen, schliesse aber gewiss nicht
mit Unrecht aus den Symptomen, dass es der Fall sein dürfte.
So deuten die ziehend-ruckenden, stechend-reissenden Schmerzen
in verschiedenen Muskeln und durch die Knochenhaut, mit Läh-
migkeit und wirklicher Lähmung, die schmerzhaft lähmige Kraft-
losigkeit in den Kniegelenken bei einem schnellen Sinken der
Kräfte u. s. w. ganz darauf hin, dass CoWhicum eine nicht zu sel-
ten anwendbare Arznei in paralytischen Beschwerden sein müsse.

Ich rufe hier dem Leser alle die im vorigen Capitel unter
der Apoplexie verzeichneten Mittel wieder mit zurück, von denen
die meisten auch gegen Paralysen in Anwendung zu bringen
sind, denen ich auch noch folgende, über die ich nichts weiter
zu sagen weiss, da jede eigene Erfahrung über ihren Werth oder
Unwerth mir abgeht, namentlich hinzufüge : Phosphor, Veratrum,
Staphysagria, Silicea, Sepia, Carbo vegelab., Angustura, Arsenic
etc. — Eine Arznei, von der leider die physiologischen Wir-
kungen noch nicht veröffentlicht sind, darf ich nicht verschwei-
gen, die in zwei Krankheitsfällen von Lähmung der Unterglied-
massen, nach Erkältung entstanden, äusserst günstig einwirkte;



Paralytische Krankheitsfornien, Lähmungen. Paralysen. 343

es ist Guaco. Die Herrn DDr. Hofrath Wolff und Elb in
Dresden werden mehr Auskunft darüber zu geben im Stande sein,
da Letzterer, so viel mir bekannt, selbiges an sich und Andern
geprüft hat.

Zum Schluss dieses Capitels will ich noch einige Mittel gegen
besondere Arten von Paralysen namhaft machen, z.B. gegen In-
continentia urinae: Magnes austrat. , Bellad. , Acori. , Dul-
cam., Laurocer., Cantharid., Stannum, Lycopod., Magnes. carbon.,
Natrum muriat. ; — gegen Lähmungen derFüsse: SulpJmr,
Nux, Zincum, Coccid., Thermae Teplizens. ; — gegen Lähmun-
gen der Augenlider: Stramon., Chamom., Spigeh, Veratr.,
Bellad., Sepia, Zinc. etc. ; — gegen Lähmungen an leidenden
T h e i 1 e n : Plumb., Colchic, Natr. mur. ; — gegen Lähmungen
derZunge: Stramon., Dutcam., Opium, Acid. mur., Barytacarb.



Achtzehnte Ordnung.
§. 185.

Neuralgieen im Allgemeinen,

Die Neuralgieen gehören den Krankheiten des sensibeln
Systems an und die älteren Aerzte bezeichneten sie mit dem
Namen krampfhafte Krankheiten. Der physiologische
Character der Neuralgieen setzt sich aus folgenden Momenten
zusammen:

1) Die Affection hatihrenSitzim peripherischen Nervensysteme
und darum zerfallen die Neuralgieen in Cerebral-, Spinal- und
Ganglien-Neuralgieen. — 2) Jede Neuralgie besteht aus einer
Reihe von Anfällen, die eine verschiedene Dauer haben, zwischen
welchen von Krankheitssymptomen freie, jedoch durchaus unre-
gelmässige, Intervallen sind. — 3) Es ist Schmerz vorhanden, der
in seiner Qualität sehr verschieden ist, z. B. reissend, stechend,
brennend u. s. w. Die Richtung des Schmerzes ist bei Central-
Neuralgieen mehr centrifugal von Innen nach Aussen, bei den
Ganglien-Neuralgieen mehr centripetal von der Peripherie gegen
II. 23



344 Neuralgieen im Allgemeinen.

die Centraltheile. — 4) Das Volumen des von Neuralgie ergrif-
fenen Organs nimmt ab. — 5) Die Temperatur des Theils ver-
mindert sich. — 6) Es findet Farbeveränderung statt; der be-
fallene Theil wird blässer, verliert seine vom Blute herrührende
Farbe. Nächstdem ist es besonders der Urin, der eine sichtliche
Farbenveränderung erleidet und sein eigenthümliches Pigment
verliert; er wird blass. Eine andere Erscheinung, die mit der
vorgenannten in keiner nähern Beziehung steht; ist der soge-
nannte spastische Puls; die Arterie fühlt sich nämlich dünner an,
ist zusammengezogen und scheint in ihrem Volumen in dem
Maasse zu verlieren, als die äussern Theile sich contrahiren ; die
Blutwelle ist daher viel niedriger, viel kleiner, der Impuls viel
weniger heftig, wenn auch die Schnelligkeit der Bewegung nicht
immer abgenommen hat.

Aetiologie. Innere Momente sind: ein bestimmtes
Lebensalter ; Gesichtsschmerz kommt mehr in spätem Jahren,
als vor der Pubertät vor ; Unterleibskrämpfe zwar in allen Lebens-
perioden, aber jedes Alter hat seine bestimmte Form. — Ge-
schlecht: Frauen werden häufiger von Neuralgieen befallen, als
Männer. — Wenn einmal Neuralgie in einem Individuum vor-
handen war, so steigt die Anlage nicht blos für diese, sondern
auch für andere Formen von Neuralgie.

Aeussere Momente; am häufigsten Temperaturwechsel,
plötzlicher Uebergang von Wärme zu Kälte, wobei sich freilich
die Neuralgie nicht immer gleich als sol^e herausstellt, sondern
oft unter der Form einer rheumatischen oder entzündlichen Af-
l'ection auftritt, die aber schon vom Anfange eine auffallende Pe-
riodicität zeigt. — Mechanische Nervenreizung, z. B. durch einen
fremden Körper, eine Kugel, Knochensplitter, Exostosen u. s. w.
— Metallkalke, als Blei, Kupfer u. s. w.

Merkwürdig ist, dass bei Neuralgieen, in Bezug auf Eintritt
und Heftigkeit ihrer Anfälle, Jahres- und selbst Tageszeit Einfluss
haben — ein Umstand, der homöopathischen Aerzten bei der
Behandlung wesentlich zu statten kommt und ihm die Heilung
derartiger Krankheiten weit schneller gelingen lässt, als allöo-
pathischen, die diese Eigenthümlichkeiten nicht besonders zu
würdigen, oder auch bei ihrer gehörigen Würdigung keinen er-
heblichen Werth für ihre Behandlung und Hebung daraus zu



Neuralgieen im Allgemeinen. 345

ziehen verstehen, weil ihnen der physiologische Theil der Wir-
kung ihrer Arzneien gänzlich fremd geblieben, der pathologisch-
therapeutische aber nur in allgemeinen Umrissen und ex usu in
morbis bekannt geworden ist.

Prognose: Neuralgieen gehören nicht zu den gefährlichsten
Krankheitsformen, doch hängt die richtige Würdigung derselben
von folgenden Momenten ab. Ist der Sitz der Affection in einem
für das Leben wichtigen Organe, so ist die Prognose ungünstiger,
als wo der umgekehrte Fall stattfindet; akute N. sind gefähr-
licher, aber leichter heilbar, als chronische; solche, die durch
innere, nicht entfernbare Reize bedingt werden, sind die gefähr-
lichsten, besser die atmosphärischen Einflüssen ihr Entstehen ver-
danken; mehr Schwierigkeiten bieten hingegen solche, die mit
andern pathologischen Processen zusammenhängen; Neurosen, die
gleich im Beginn sich zur Behandlung stellen, sind leichter heil-
bar, als solche von längerer Dauer, wo vielleicht schon Symp-
tome von Lähmungsich zeigen; je rascher und heftiger die Paro-
xysmen sich einstellen , desto ungünstiger die Vorhersage.
(Schönlein.)

Eine allgemeine Therapie der Neuralgieen nach homöo-
pathischen Grundsätzen gewährt keinen grossen Nutzen ; dagegen
sind es integrirende Theile derselben, die Diät und die Indicatio
causalis im engern Sinne, die hier etwas genauer erörtert zu
werden verdienen, um der öftern Wiederholung derselben bei
Bearbeitung der speciellen Fälle von Neuralgieen überhoben zu
sein. — Die Neuralgieen sind nicht selten an eine gewisse Jah-
reszeit gebunden, zeigen sich oft zu einer Zeit, wo intermitti-
rende Fieber epidemisch zu herrschen pflegen, und verlangen
daher auch prophylactisch Vermeidung aller der Schädlichkeiten,
die als vermittelnde Momente jene zu erzeugen vermögen, z. B.
Verkältung, Durchnässung der Haut, Liegen auf kaltem Boden,
ja nur Aussetzen des unbedeckten Körpers oder einzelner Theile
den kalten Nachtlüften; viel Trinken von kaltem, wohl gar
schlechtem, sumpfigem Wasser, Genuss säuerlicher, viel wässrige
Bestandteile enthaltender Pflanzenfrüchte. — Als Kost einfache,
leicht verdauliche Speisen.

Was die Indicatio causalis anlangt, so ist sie manch
mal schnell vorübergehend, wie die einwirkende Ursache selbst,

23*



346 Neuralgieen im Allgemeinen.

und bezieht sich dann auf diätetische Massregeln. Neuralgieen,
durch mechanische Einwirkung hervorgerufen, verlangen durch-
aus , neben der oft zweckdienlichen Anwendung der Arnica,
Calendula, Conium, Piatina, Dulcam., Ruta etc., chirurgische Bei-
hülfe. — Derartige Leiden, von Erkältung, Durchnässung des
ganzen Körpers u. s. w. entstanden, werden oft schon in ihrem
Entstehen gehoben und ihr Wiedereintritt verhütet durch zu
rechter Zeit angewendete Dulcamara, Colchicum, Rhus, Chamo-
milla, Coloquinle, Ignat. etc. — Geben Gastroataxieen die Ver-
anlassung, so findet der Leser die zwechdienlichen Arzneien unter
dieser Krankheit im ersten Bande genau aufgezeichnet; eben so
die an mehrern Stellen dieser Therapie schon öfters genannten
Mittel gegen Schreck (hier besonders Secal., Stramon.) , Aerger,
Furcht, Indignation u. s. w. — Ist die Krankheit schon mehr-
mals erschienen, und lässt sie sich durch leichte Berührung des
kranken Theils wieder hervorrufen, so wird sie durch folgende
Mittel leicht beschwichtigt, oft sogar, bei genauer Berücksichti-
gung aller Verhältnisse und insbesondere der characteristischen
Eigenthümlichkeiten, geheilt: China, Stramonium, Arsen., Coc-
cul., Bellad. etc. — Wird das Leiden durch Berührung eines
Fingergeschwürs leicht wieder erregt, so ist Coccul. ein unver-
gleichliches Mittel, den Zustand bald zu heben. — Gäbe das
Schlucken von Flüssigkeit den Erregungsreiz ab, so dürften
Hyosc, Bellad., Stramon., Canthar. die zweckdienlichen Arzneien
sein, während da, wo Geräusch oder %ues Wasser sie erzeugte,
Anguslura, oder Bewegung und Gebrauch des kranken Theils,
Coccul, oder glänzendes Licht u. s. w. , Bellad., Stramon. hülf-
reich sich erweisen. — Gab Verschlucken von Cocculskörnern
die Veranlassung zu ihrer Entstehung, so ist Camphora das beste
Antidot, und gegen die von Quecksilberdampf, Stramon. — Neu-
ralgieen, wo unverkennbar ist, dass sie von Würmern herrüh-
ren, müssen den Arzt zuerst aufmerksam machen auf: Ignat.,
Warum ner., Wer cur, Valerian., Hyosc, Cicuta etc.



Cerebral-Neuralgieen. 347

Cereb ral-Neuralgieen.
§. 186.

Gesichtsschmerz, P otherg ill'scher Gesichtsschmerz. Pro-
sopalgia s. Dolor faciei Fo t h ergill i, Neuralgia facialis.

Paroxysmenartig erscheint die Krankheit und bildet unre-
gelmässige Intervallen; der Schmerz kündigt sich zuweilen durch
Beängstigung, Jucken oder Kältegefühl der nachher schmerzen-
den Stelle, Ameisenlaufen und Zittern der Augenlider, Spannen
in Gaumen und Nase, Pelzigsein der Zunge u. s. w. an. Anfangs
ist er vielleicht unbedeutend, wie Nadelstiche, oder fängt wie
ein gewöhnlicher Zahnschmerz an, wird aber allmälig heftiger
und eindringlicher; er ist überaus scharfstechend oder reissend,
zerrend oder pressend, schlagend, bohrend, oft mit dem Gefühl,
als werde das Gesicht zersägt oder getheilt. Die Schmerzen
folgen entweder dem Laufe der verschiedenen Verzweigungen
einer Seite des Trigeminus (weit häufiger der rechten, als der lin-
ken Gesichtshälfte), oder nur ausschliessend dem einen oder an-
dern Aste des Nerven. Setzt sich der Schmerz im Ramus supra-
orbitalis fest, so beginnt er gewöhnlich an der Stelle des föra-
men supraorbitale und schiesst in die Augenbrauen, Stirn, Augen-
lider und oft tief in die Orbita; leidet der infraorbitalis, so ver-
breitet sich der Schmerz über die Wange, Oberlippe, das untere
Augenlid und strahlt in die Zähne, in den Gaumen, in die Zunge
aus. Eine Neuralgie im Inframaxillar-Aste zieht sich in die Lip-
pen, die Alveolarfortsätze, die Zähne, in die weichen Theile unter
dem Kinn und der Seite der Zunge. Sehr oft scheint der Schmerz
den Verzweigungen des Pes anserinus zu folgen und verbreitet
sich auch nach der Schläfegegend; am seltensten ist der Ramus
lingualis affizirt, am häufigsten der N. maxillaris superior und
frontalis.

Reflexerscheinungen der motorischen Nerven fehlen fast nie,
z. B. die Muskeln der leidenden Gesichtshälfte fangen unwillkür-
lich an zu zucken, die Augenbrauen runzeln sich und die Augen-
lider schliessen sich krampfhaft, der Mundwinkel verzieht sich
nach dem Ohre hin und der Krampf bemächtigt sich sogar der



348 Cerebral-Neuralgieen.

Athemmuskeln ; die Contractionen sind clonisch, oscillatorisch,
offenbar auch tonisch und trismusartig, die Kinnladen stehen fest,
tetanisch geschlossen, so lange der Anfall dauert. Die vasomo-
torischen Nervenfasern werden ebenfalls erregt, was sich durch
Röthe, Aufgetriebenheit, zuweilen durch Blässe und Blauwerden
der leidenden .Gesichtshälfte während des Anfalls kund giebt;
zuweilen schwillt auch die Wange ödematös an, und fällt erst
später nach und nach wieder ein; die Arterien der befallenen
Seite pulsiren lebhafter, und die Venen schwellen an. — Ist der
Sitz des Leidens im Ramus ophthalmicus, so röthet sich die Con-
junctiva und das Auge thränt stark während des Paroxysmus;
leiden die Maxillarzweige, so findet reichlichere Speichelabson-
derung statt.

Der Anfall endet entweder allmälig oder plötzlich ; je hefti-
ger er ist, desto kürzer ist seine Dauer, gewöhnlich nur einige
Minuten, selten über eine Viertelstunde oder länger. Die schmerz-
freien Zwischenzeiten können Stunden, Tage, Wochen, Monate
und länger währen ; meist hören die Schmerzen vollkommen auf,
hat aber das Leiden Jahre lang schon gedauert, so sind auch
während der Intervallen Andeutungen schmerzhafter Empfindun-
gen vorhanden. Anfangs kommen die Anfälle seltner, rücken
aber bei längerer Dauer einander immer näher. Selten kommen
Nachts Paroxysmen, daher der Schlaf meist ungestört.

Die Empfindlichkeit der affizirten Nerven ist oft so krank-
haft gesteigert, dass die geringste Err^ung, Berührung, leiser
Druck, Anwehen kalter Luft, jede Bewegung der Gesichtsmus-
keln beim Sprechen, Kauen, Gähnen, Niesen, ja der blosse Ge-
danke an den Schmerz den Anfall hervorruft, während Zerstreu-
ung ihn oft längere Zeit vergessen macht. (Canstatt).

Aetiologie: Eben so wie andere Neurosen kann auch
eine Prosopalgie erblich vorkommen. Am häufigsten finden wir
dieses höchst schmerzhafte Leiden bei Frauenzimmern in den
vierziger Jahren, selten bei Jüngern, nie bei Kindern. Nervöse
Constitution ist eins der hauptsächlichsten prädisponirenden Mo-
mente, und daher kommt sie bei Personen vor, denen ursprüng-
lich eine vorherrschende Nervosität eigen ist, wie Unverheira-
theten, Kinderlosen, oder die eine solche erlangten durch Ohio-



Gesichtsschmerz, Pothergillscher G. Prosopalgia s. dolor faciei. 349

rose, Hysterie, Hypochondrie, Säfteverluste, häufige Gemütsbe-
wegungen, Kummer, Gram, Sorge u. s. w.

Oertlich auf den Nerven schädlich wirkende Einflüsse sind :
Wunden, Quetschungen, Splitter, fremde Körper, Missbrauch von
Schminken, Geschwüre und Desorganisationen, Zahnleiden, Affec-
tion der Unterleibsorgane, Metastasen, zurückgetriebene chro-
nische Hautausschläge, Krätze, Flechten, Unterdrückung gewohn-
ter Blutungen, Gicht, carcinomatöse Dyscrasie, eben so auch
psorische, syphilitische etc.

In prognostischer Hinsicht ist gerade keine Gefahr
für das Leben des Leidenden zu fürchten; wohl aber ist der
Wunsch eines mit dieser schmerzhaften Krankheit behafteten In-
dividuums, bald sich davon befreit zu sehen, gewiss ein sehr bil-
liger und vom Arzte um so berücksichtigungswerther, als ihm in
den wenigsten Fällen die Heilung schnell gelingen wird. Uebri-
gens hängt die schnellere oder langsamere Heilung einer Proso-
palgie von folgenden Momenten mit ab: vom Alter des Subjects
und der Krankheit, von der Entstehungsart der letztern, z. B.
rheumatische und typöse (intermittentes) sind leichter heilbar,
als gastrische, und diese wieder leichter als impetiginöse, arthri-
tische, cachectische; Prosopalgieen, von organischen Verände-
rungen der Nerven, des Gehirns, der Knochen entstanden, be-
dingen eine ungünstige Prognose, eben so diejenigen, deren Pa-
roxysmen rasch auf einander folgen. Beachtenswerth sind
ferner die Verhältnisse, in denen der Kranke lebt: Gemüthsruhe,
sorgenlose Existenz, vertrauensvolle Stimmung, geistige Zer-
streuung haben auf den Erfolg der Cur bedeutenten Einfluss.

§. 187.

Behan dlung ein er Prosopalgie. Bei allopathischer
Behandlung fehlt es nicht an dagegen vorgeschlagenen und ver-
suchten Heilmitteln. Schade nur, dass die Sicherheit der Hei-
lung durchaus nicht mit der Menge dieser Arzneien im Einklänge
steht. Die Homöopathie bietet eine weit geringere Anzahl der-
selben dar, aber dennoch ist mit dieser eine bei weitem grössere
Menge von Prosopalgieen schon geheilt worden, als die Allo-
pathie sich rühmen kann. Mit dem Umfange der homöopathi-



350 Cerebral-Neuralgieen.

sehen Arzneimittellehre überhaupt, mit der genauem Kenntniss-
nahme der eigenheitlichen Symptome, jedes einzelnen Heilmittels
gelangt die Homöopathie mit der Zeit auch noch dahin, die mei-
sten Fälle dieser Art von Krankheit heilen zu lernen; es ver-
steht sich dabei, wie bei allen Krankheiten, von selbst, dass der
Arzt die genetische Natur einer Neuralgie zu erforschen sich
bestrebt, was ihm in vielen Fällen möglich sein wird und ihn
dann auch auf das speeifische Mittel hinführt. Wo ihm die
Möglichkeit nicht dargeboten wird, da muss er die Art des
Schmerzes mit seinen unzertrennlichen Eigenthümlichkeiten genau
erforschen und darauf seinen Heilplan stützen; lasse er sich dess-
halb immer von Andersdenkenden eines symptomatischen Heil-
verfahrens beschuldigen, der Erfolg wird ihn doch von der Rich-
tigkeit desselben überführen.

Gestaltet sich eine Prosopalgie als eine inflammatoria
(Neuritis nervi quinti), ist der Schmerz ein anhaltend klopfender,
stechender, nicht blos im Nerven, sondern auch in den muskulö-
sen Parthieen der ergriffenen Gesichtsseite mit Geschwulst der-
selben unter abwechselndem Frösteln und Hitze u. s. w. , so ist
und bleibt Aconit immer die empfehlenswertheste Arznei , nicht
etwa, weil sie in der Homöopathie als das vorzüglichste Anti-
phlogisticum gilt, sondern weil ihre Symptome so viele Eigen-
thümlichkeiten von einer Prosopalgie aufzuweisen haben, die sie
ganz besonders zu einem Antiprosopalgicum eignet. Namentlich
sind es die rheumatischen Gesichtsschmerzen mit Geschwulst, die
ganz für Aconit passend sind; der Schmerz ist ein heftig uner-
träglicher, brennender, kriebelnd- stechender, ruckweise auftre-
tend mit sehr grosser nervöser Aufgeregtheit und wie von einem
innern Geschwür abhängig. Auch hier, wie in vielen andern
Fällen, ist die Wiederholung des Aconit unerlässlich.

Ein bei Gesiehtsschmerzen, sowohl entzündlichen, als nervö-
sen, sehr zu beachtendes Mittel ist Belladonna, von der man
ebenfalls unmittelbar nach der ersten Gabe, ohne Zwischenge-
brauch einer andern Arznei, eine zweite noch vor abgelaufener
Wirkungsdauer der ersten geben kann, wenn auch keine quanti-
tative Abnahme der Leiden ersichtlich ist. Indizirt ist sie bei
lange anhaltenden Anfällen, die mit lästigem Jucken und Kitzeln
in der leidenden Stelle beginnen, dann in heftig schneidenden



Gesichtsschmerz, Fothergillscher G. Prosopalgia s. dolor faciei. 351

Schmerz, oder, in drückenden , klemmenden , reissenden , ziehen-
den in den Wangenbeinen und in den Nasenknochen, immer aber
nur auf einer Seite übergeht; öfters verfolgt er aber auch blos
den Lauf des Nervus infraorbitalis, wird dann heftig schneidend,
so dass ihn der Kranke nicht ertragen zu können wähnt; auch
verbindet er sich häufig mit vermehrter Thränen- und Speichel-
absonderung. Aber auch da ist Belladonna anwendbar, wo die
Schmerzen stechend und spannend sind, eine krampfhafte Ver-
schliessung der Kinnladen und eine schmerzhafte Steifigkeit des
Halses damit verbunden ist.

Unstreitig eins der schönsten Mittel bei drückend stechenden,
auch wohl pickenden Jochbein- und Nasenschmerzen auf der
rechten Seite ist China, vornehmlich dann, wenn die Schmerzen
durch Berührung des leidenden Theils sich verschlimmern, oder
auch, wenn sie eben nicht vorhanden sind, durch Berührung der
kranken Stelle erneuert werden, und dann oft auf die fürchter-
lichste Höhe steigen. Hieher gehören auch die nervösen und
rheumatischen neuralgischen Schmerzen, ferner die stechenden
im Jochbeine, die durch Aufdrücken verschwinden; das reissende
Drücken und schneidende Brennen im Oberkiefer.

Der China sehr nahe steht Veratrum dann, wenn der Schmerz
theils ziehend und spannend, theils zusammendrückend und ein-
drückend über die rechte Hälfte des Gesichts sich verbreitet,
paroxysmenartig zurückkehrt, durch seine Heftigkeit den Kran-
ken gewöhnlich auf eine kurze Zeit zu einer Art Delirium und
Wahnsinn bringt, und Geschwulst der ergriffenen Seite zurück-
lässt.

Arsenicum leistete mir immer sehr viel, wenn der Schmerz,
einseitig ebenfalls, um die Augen herum, mehr unterhalb als ober-
halb, auch wohl die Schläfegegend mit einnehmend, brennend
oder ziehend stechend war, wie von unzähligen glühenden Nadeln,
zugleich aber auch das ganze Gesicht ein eigenthümliches Anse-
hen bekam, dem hippokratischen Gesicht sich nähernd, das sich,
nach Verschwinden des Paroxysmus, ebenfalls verlor. — Doch
ist diess nicht die einzige Art Gesichtsneuralgie, die durch Arsen.
geheilt wird, sondern es giebt noch andere Arten, z. B. die ty-
pösen, die durch einen heftig stechenden Schmerz tief im rech-
ten Auge, durch Bewegung desselben erhöht, sich characterisiren;



352 Cerebral-Neuralgieen.

eben so diejenigen, die mit einem reissend-zuckendem Weh in
den Zähnen beginnen, das vor Mitternacht aus dem Schlafe
weckt, dann sich bis zur rechten Schläfe und derselben Kopfseite
ausdehnt, und dann so unerträglich heftig wird, dass es den
Kranken zur äussersten Verzweiflung treibt; der Nachlass des
Schmerzes erfolgt gewöhnlich erst nach mehrern Stunden , oft
erst gegen Morgen.

Ein unentbehrliches Mittel bei homöopathischer Behandlung
derartiger Fothergill'scher Gesichtsschmerzen ist Capsicum annuum,
dessen ich mich bediente, wenn die Schmerzen so beschaffen
waren, dass sie der Kranke weder als Knochen-, noch als Mus-
kel-, noch als Nerven-Schmerzen allein, sondern in Verbindung
mit einander angeben konnte, die sich durch äussere Berührung
erregen Hessen und sich als feine, die Nerven durchdringende
Schmerzen, oder reissend-brennendes Stechen im rechten Joch-
beine äusserten, die besonders beim Einschlafen sehr empfindlich
waren, auch wohl durch Berührung erhöht wurden.

Was Verbascum in diesen Schmerzen zu leisten vermag, wird
Jeder finden, der die Symptome Anderer mit jenen vergleicht. Ich
gestehe, dass ich mit dieser Arznei, die ich in der ersten Ver-
dünnunganwendete, die Krankheit oft vollständig beseitigte, in
welcher ich vorher mit andern Mitteln nur geringe Besserungs-
Befindens -Veränderungen, auch wohl nur momentane Erleichte-
rungen bewirkt hatte. Jedenfalls ist es eins der wichtigsten Mittel
in dieser Krankheit, vorzüglich wenn sie sich als eine rein ner-
vöse Prosopalgie herausstellt ; der Halsschmerz ist ein höchst
empfindlich drückender, der bisweilen von einem heftigen Stechen
unterbrochen wird.

Aber auch Digitalis purpurea ist eine nicht zu verachtende
Arznei, die der geübte Homöopath am passenden Orte wird anzu-
wenden wissen. Indizirt ist sie besonders dann, wenn ein fres-
sendes Jucken am Backen, das gewöhnlich in der Nacht am
schlimmsten ist, den nachher eintretenden klammartig oder lähmig
ziehenden Schmerz im Jochbogen ankündigt; der klammartige,
klemmende Schmerz ist hier der characteristische.

Nächst der Digitalis verdient auch Mezereum in prosopalgi-
schen Schmerzen einer rühmlichen Erwähnung, das vornämlich
dann seine Anwendung findet, wenn ein klammartig betäubender



Gesichtsschmerz, Fothergillscher G. Prosopalgia s. dolor faciei. 353

Druck auf dem Jochbeine der rechten Seite zugegen ist, der sich
dann über die benachbarten Theile verbreitet, oft auch in Reis-
sen übergeht. Fast stets sind die Schmerzanfälle von Frost und
Schauder begleitet.

Slaphysagria in einer sehr niedrigen Kraft Entwickelung nützte
viel in derartigen Schmerzen, die als Stiche, wie Blitze, durch die
kranke Gesichtsseite fuhren und dann einen dumpf drückenden
Schmerz zurückliessen, der fortwährend anhielt; die Krankheit
hatte 15 Jahr sehr heftig angehalten. Der Nachtschlaf wurde nach
diesem Mittel ganz gut. Wiederholung des Mittels und Wechsel
mit einem andern passenden ist durchaus nöthig.

Aurutn fällt sogleich mit in die Wahl in dieser Krankheit, wenn
eine syphilitische Dyskrasie nachzuweisen, am Kranken eine grosse
Ueberempfindlichkeit aller Sinne bemerkbar ist, und er eine be-
sondere Empfänglichkeit für Schmerz äussert, der sogar durch den
blossen Gedanken daran hervorgerufen werden kann. Der vor-
herrschende Schmerz ist Reissen und Stechen nicht blos in den
Weichtheilen, sondern auch in den Backenknochen, wo er aber
auch noch durch Spannen bedeutend verstärkt werden kann.

Spigelia ist eine der ausgezeichnetsten Arzneien in verschie-
denen Arten von Prosopalgie, insbesondere in typösen und nervö-
sen und denjenigen, die tief in den Augenhöhlen ihren Sitz haben,
dem Augapfel das Gefühl, als sei er zu gross, mittheilen, das na-
mentlich bei Bewegung desselben und der Gesichtsmuskeln lebhaft
hervortritt und sich mit einem höchst empfindlichen Druck und
wühlendem Stechen im Augapfel paart. — In den eigentlichen Ge-
sichtssschmerzen sind Drücken und Brennen die vorherrschenden
Gefühle, vornämlich in den Jochbeinen; die Schmerzen vertragen
nicht die geringste Berührung oder Bewegung, sind stets nur halb-
seilig und mit Angst am Herzen und grosser Unruhe verbunden.

Auch Stannum ist in dieser Krankheitsgattung beachtenswerth,
wenn die Schmerzen namentlich drückend -ziehender Art im Joch-
beine und am Augenhöhlenrande rechter Seits hin sind und die
Eigenthiimlichkeit besitzen, gelind anzufangen, langsam und hoch
zusteigen, und dann ebenso allmälig wieder abzunehmen, beim
Gehen verschwinden sie früher, kehren aber, ist die Zeit ihrer
Dauer noch nicht vorüber, in der Ruhe sogleich wieder zurück.
Ist der Schmerz ein drückend-nagender oder schneidender, linker



354 Cerebral-Neuralgieen.

Seits, mit Verziehung des Gesichts, so ist er stets fast mit Ge-
schwulst der Wange verbunden.

Bei einem ziehend-reissendem Gesichtsschmerz, der aus den
Wangen in die Ohren und Schläfe zieht, beim Befühlen empfind-
licher ist, bei einer cachectischen Constitution, durch frühere sehr
angreifende Leiden herbeigeführt , erweist sich Hepar sulphuris
am hülfreichsten.

Colocynthides dürfen in Prosopalgieen nie übersehen werden,
sie müssen vor dem geistigen Blicke des Arztes unter den hier in-
dizirten Heilmitteln mit stehen, denn der Gesichtsschmerz, den sie
zu heben im Stande sind, ist zu characterislisch , als dass eine an-
dere Arznei ihm entsprechend gewählt werden könnte. Schon die
veranlassende Ursache weist uns oft auf dieses Mittel hin — die
Indignation, die innere nagende Kränkung über etwas, wodurch
der Schmerz nach und nach immer stärker hervorgerufen wurde,
und dann der Schmerz selbst, der reissend und spannend, oder
brennend und stechend ist, in der linken Gesichtsseite, mit Ge-
schwulst, Röthe und Hitze dieser Wange. •

Coniicm gehört nicht zu den letzten Mitteln in Prosopalgieen,
und namentlich ist es der reissend-stechende Schmerz, oder jeder
der Art einzeln, der für die Anwendung dieses Mittels spricht.
Der erstere tritt als ein blitzschneller Riss durch die rechte Ge-
sichtshälfte auf, der alle 2 — 5 Minuten wiederkehrt; letzterer
erscheint als Stich im rechten Backen , vor dem Ohre und kann
sich auch mit Reissen verbinden. Oft geht diesen Schmerzen
ein fressendes Jucken an den nachher lÄdenden Stellen voran.

Kali carbonicum steht Conium sehr nahe , doch ist es hier
mehr das ziehende Reissen, dem diese Arznei entsprechend ge-
wählt werden muss; oft verbindet sich das Ziehen mit Drücken
im Backen; das Reissen, fast stets im linken Jochbeine, tritt
meistens Nachts auf (eine besondere Eigentümlichkeit einer
Prosopalgie), mit Backengeschwulst und erregt durch seine Hef-
tigkeit Weinen und Schlaflosigkeit. Characteristisch für dies,es
Mittel ist noch: brennende Stiche in der linken Wange mit Fip-
pern und Reissen in der Schläfe hinauf, Abends.

Eine oft brauchbare Arznei ist Thuja. Ich habe noch nicht
Gelegenheit gefunden, selbige anzuwenden, weil ich wahrschein-
lich nie in Prosopalgieen ihrer dachte, und wohl mein Ziel auch



Gesichtsschmerz, Pothergillscher G. Prosopalgia s. dolor faciei. 355

erreichte, schon durch Umwege, was mir mit Thuja auf einmal
gelungen sein würde. Seitdem ich diese Arznei mehr beachte,
ist mir leider noch keine Prosopalgie wieder vorgekommen, wo
ich sie mit Nutzen würde haben in Anwendung bringen können.
Sehr häufig kommt diese Krankheit, wie unter der Aetiologie
bemerkt worden ist, in den vierziger, und folglich ih den kli-
makterischen Jahren der Frauen vor, und gerade für diese Zeit
ist Thuja ein ganz vorzüglich beachtenswertes Mittel für die
Beschwerden, die da aufzutreten pflegen. Die Gesichtsschmer-
zen, die durch sie geheilt werden, sind verschiedener Art, und
bei übrigens passenden Verhältnissen, wohl von gleicher Dignität,
wenigstens möchte ich keiner besondern Art den Vorrang ein-
räumen. Die Schmerzen sind klammartig, in der rechten Wange,
bei Ruhe der Theile; zuckend, stechend in den Backenmuskeln,
blos beim Gehen im Freien ; bohrend und durch Berührung ge-
mindert im linken Jochbeine, oder auch wühlend und schmerz-
haft zuckend; nagend, bohrend im linken Oberkiefer, oder auch
arg reissend nach dem Auge zu; fast nach allen aber bleibt län-
gere Zeit Steifigkeit der Kaumuskeln mit dem Schmerz in den
Kiefergelenken zurück.

Ausser den genannten Arzneien verdienen noch Arnica,
Ferrum, Nux, Bryonia, Ruta, Phosphor, Sepia, Lycopodium, Le-
dum, Clematis, Baryta carbonica, Calcarea und vor allen andern
Sulphur und Causticum in öfter wiederholten Gaben genannt zu
werden.

§. 188.

Es liegt so nahe, obschon es nicht in die mir selbst vorge-
schriebene Ordnung der Krankheiten zu passen scheint, derjeni-
gen krankhaften Zustände hier gleich mit Erwähnung zu thun,
die das so eben abgehandelte Leiden mit in sich fassen, oder
dazu Veranlassung geben, dass ich f der Versuchung nicht wider-
stehen kann, diese kleine Abschweifung mir zu gestatten, und
einige Andeutungen über

Gesichts-, Lippen-, Wangen-, Nasen- und Zungen-
krebs
hier mitzutheilen.



356 Gesichtskrebs, Zungenkrebs.

Grösstentheils entstellt der Gesichtskrebs nur an der untern
Lippe und bildet sich von da weiter aus ; er kann aber auch, wie
die Ueberschrift dieses Paragraphen schon andeutet, an den ver-
schiedenen einzelnen Theilen seinen Anfang nehmen, und von da
über die anderen Parthieen sich verbreiten. Er entwickelt sich
entweder aus einer schorfigen oder geschwürigen Stelle, die sich
nach und nach ausbreitet, fungöse Auswüchse hervortreibt u. s. w.,
oder es bildet sich eine harte, unförmliche Anschwellung der
Lippe, welche sich vergrössert, heftig schmerzt und aufbricht.
Er breitet sich allmälig auf die Haut des Kinnes, die Schleimhaut
des Mundes, das Zahnfleisch, auf die Unterkieferdrüsen aus, und
zerstört die ganze Lippe und die Knochen. — Geschwüre an den
Lippen werden häufig bösartig, ohne gerade krebshaft zu sein,
namentlich ist diess mit syphilitischen Geschwüren der Fall.

Zungenkrebs beginnt gewöhnlich mit einer harten, umschrie-
benen Geschwulst an der einen oder andern Seite der Zunge;
es stellen sich lancinirende Schmerzen ein; die Geschwulst bricht
auf und breitet sich schnell aus. Das laxe Gewebe der Zunge,
die beständige Befeuchtung durch den Speichel, spitzige, verdor-
bene Zähne unterhalten sehr häufig hartnäckige Geschwüre. —
Nicht selten werden die Papillen auf dem Rücken der Zunge hy-
pertrophisch und bilden schwammige Excrescenzen. — Syphili-
tische Geschwüre an der Zunge entarten häufig in Krebsge-
schwüre.

Unter der A e t i o 1 o g i e müssen wir vor'^Irste bemerken, dass
jeder Krebs und so auch dieser, eine Krankheit specifiker Natur
ist, durch eine eigenthümliche Anlage bedingt, die angeerbt sein
kann. Im Fortschreiten des Uebels bildet sich jene carcinoma-
töse Dyskrasie aus. — Gelegenheits-Ursachen sind: Stoss,
Schlag, Quetschung; reizende äussere Behandlung eines Ge-
sichts-, Lippen- oder Nasen -Geschwürs, einer Verhärtung oder
Excrescenz; Scropheln und Syphilis; Unterdrückung gewohnter
Secretionen etc.

Die Prognose ist, selbst bei homöopathischer Behandlung
nicht immer günstig zu stellen, obschon viele Fälle bei umsichtiger
Behandlung und sorgsamer Diät geheilt wurden. Je weiter der
Krebs schon um sich gegriffen hat, je schlechter die Constitution
des Kranken ist, um so ungünstiger ist die Prognose, eben so



Gesichtskrebs, Zungenkrebs. 357

auch da , wo die Excision schon gemacht worden war und er
von Neuem auftrat. Ueberhaupt wird das chirurgische Messer
in diesen Arten von Krebs denselben Erfolg haben, den es bei
jedem andern hat, nämlich: gar keinen, und darum wäre es wohl
gerathener, in solchen Fällen es gar nicht mehr in Gebrauch zu
ziehen und wenigstens so dem armen Leidenden unnütze Schmer-
zen zu ersparen! Das wird freilich etwas wollen, so lange der-
artige Krankheiten noch immer der Chirurgie überwiesen werden,
die leider kein anderes und besseres Mittel kennt!

§. 189.

Bei der homöopathischen Behandlung steht in den
Krebsarten, die im Gesicht vorkommen, kein Mittel höher, als
Arsenicum album. Auch der Allöopathie ist es in der Solut.
Fowleri und als Cosmisches Mittel bekannt; keins von beiden
aber enthält den Arsen, rein, sondern nur mit andern Mitteln ge-
mischt und in so grosser Gabe, dass er eher Verheerung als He-
bung herbeizuführen vermag. Es ist begreiflich, dass krebsartige
Symptome im Gesicht unter den physiologischen Wirkungen von
Arsen, nicht zu finden sind, denn wer wollte wohl als Prüfungs-
person so lange diese Arznei einnehmen, bis er derartige Zeichen
an sich wahrnähme? Die meisten sind uns durch zufällige Ver-
giftungen bekannt geworden; diese sind aber auch so characteri-
stisch , dass wir sie unbedingt als Heil - Anzeigen benutzen
können. Aber auch die wenigen, die uns unter den Prüfungs-
Symptomen gegeben werden, sind von der Art, dass sie uns auf
die eigentümliche Natur und ihre hohe Bedeutung aufmerksam
machen müssen. Ich erlaube mir, selbige, soweit sie Bezug auf
Gesichtskrebs haben, hier zusammenzustellen. — Brennende Ge-
schwulst in der Nase, mit Schmerz bei Berührung; Knollenge-
schwulst darin; Geschwürigkeit der Nasenlöcher, hoch oben, mit
Ausfluss stinkender Jauche; — Geschwüre im ganzen Gesichte;
warzenähnliches an der Wange; trockne, rissige Lippen, braune
Streife in denselben, wie verbrannt; Bluten der Unterlippe; ge-
schwüriger Ausschlag um die Lippen; krebsartiger mit dicker
Kruste, harten, wulstigen Bändern, mit brennendem Schmerze,
besonders beim Kaltwerden der Theile und speckigem Grunde an
der Unterlippe; fressendes Geschwür an der Lippe, mit Schmerz



358 Gesichtskrebs, Zungenkrebs.

Abends im Bette, mit Reissen und Beissen am Tage bei Bewe-
gung, am ärgsten bei Berührung und an der Luft, Nachts den
Schlaf störend; — Angefressenheit an der Seite der Zunge,
vorn, mit Beissen; Zunge schwärzlich, rissig. — Wenn nun auch
Arsen, nicht für alle Fälle von Gesichtskrebs das alleinige Heil-
mittel ist, entweder anderer zur Unterstützung bedarf, oder durch
andere in . einzelnen Arten besser ersetzt wird: so ist er doch
zweifelsohne da am hülfreichsten, wo die carcinomatöse Dyskra-
sie unverkennbar ist, und schon eine weit verbreitete Ausdehnung
im Organismus erlangt hat. — In Nasen-, Zungen- und
Alveolar-Krebs ist er unstreitig das mächtigste Heilmittel.

Wäre nicht der Erfahrungssatz über die Heilkraft der Cle-
matis gegen Beschwerden von Quecksilbermissbrauch, gegen
Verhärtungen, selbst skirrhöse constatirt, ich wüsste nicht, woran
ich meine Behauptung knüpfen dürfte, dass die Clematis schöne
und sichere Heilkräfte in Lippenkrebs entwickle. Insbeson-
dere sind es die syphilitisch-mercuriellen Geschwüre an den Lip-
pen, die, in carcinomatöse entartet, oft Heilung durch dieses
Mittel finden; auch wird es gewiss nicht ganz nutzlos in Alveo-
larkrebs angewendet, wenn ziehendes Zucken und brennendes
Stechen in den Rändern des Geschwürs bei Berührung in der
ergriffenen Stelle sich einstellt, das über die ganze Gesichtsseite
bis zum Auge und nach dem Ohre hin ausstrahlt.

Vorzüglicher noch als Clematis ist unstreitig Aurum metall.
in Nasen-, Lippen- und Alveolarkrebs, wenn er auf
syphilitischem oder syphilitisch-mercuriellem Boden wuchert; doch
ist hier ebenfalls die scrophulöse Diathese nicht ausgeschlossen.
Ich mag nicht entscheiden, ob die reine carcinomatöse Dyskrasie
allein zu Anwendung dieses Mittels auffordert, doch glaube ich,
meinen Erfahrungen zufolge, behaupten zu dürfen, dass Aurum
nicht alleraal jene Grundformen zu einem günstigen Heilerfolge
erfordere. Das Wesen eines Carcinoms ist uns noch so fremd,
dass wir nicht wissen , ob das Zustandekommen einer solchen
Cachexie nicht erst der Amalgamirung verschiedener Dyskrasien
durch mehre Generationen bedürfe und wer möchte dann wohl
entschieden sprechen: es sei nicht eine der syphilitischen wenig-
stens sehr nahe stehende? Genug; soviel ist ausgemacht, dass
Aurum ganz gewiss dann vielen andern Arzneien voransteht,



Gesichtskrebs, Zungenkrebs. 359

wenn der Gesichtskrebs nicht blos Weichtheile, sondern auch
Knochen mit in die Zerstörung hineinzog - . Jedenfalls ist dann
aber Aurum muriaticum dem metallicum vorzuziehen, weil die
Salzsäure selbst auch nicht ganz werthlos in einzelnen Bran-
chen des Gesichtskrebses ist, besonders in Zungenkrebs, wo
ich ihre Heilkraft als Wechselmittel mit Arsen, selbst kennen ge-
lernt habe, wie Jeder aus ihren physiologischen Wirkungen auch
deutlich entnehmen kann, wenn er liest: Zunge schwer und wie
zu lang, dass er sie kaum heben kann, mit grosser Trockenheit
im Munde und Rachen; schmerzhafte Blatter auf der Zunge, mit
Brennen; tiefes Geschwür auf derselben, mit schwarzem Boden
und überliegenden Rändern. — In einem solchen Falle, wo die
krebshafte Degeneration den Knochen schon in Mitleidenheit ge-
zogen hat, gleichviel ob Syphilis mit zu Grunde liegt oder nicht,
da hat der Arzt wohl zu überlegen, ob er nicht auch eine Indi-
cation für Mercur darin findet, der in diesen Leiden, besonders
auch in Lippen krebs eine gute Unterstützung mit gewähren
kann, eben so Acid. nilri, auf das ich noch einmal zurückkomme,
namentlich, wenn die Geschwüre stark bluten, unter Stechen und
Brennen ; ja selbst Asa kann unter diesen Umständen zu einem
Mittel von Bedeutung werden, wenn die Geschwürränder hart,
bläulich und bei Berührung empfindlich sind.

Conium hat sich in manchen Krankheiten krebsartiger Natur,
die nach Stoss oder Quetschung entstanden, schon manchmal heil-
sam erwiesen und darum die homöopathischen Aerzte wohl auch
in Gesichtskrebs auf dasselbe aufmerksam gemacht, wenn
nicht auch scrophulöse Diathese sie mit auf dasselbe hin-
gewiesen hat; die fressenden Geschwüre im Gesicht sowohl als
an den Lippen, schwärzlich aussehend, mit blutiger, stinkender
Jauche, deuten eine grosse Heilkraft in dieser Art Krankhei-
ten an.

Welche Zeichen die homöopathischen Aerzte auf Carbo ani-
malis, besonders in Nasenkrebs, geführt hat, weiss ich nicht,
denn aus den Symptomen dieses Mittels lä'sst sich doch auch gar
zu wenig auf irgend eine Heilkraft in Gesichtskrebs überhaupt
schliessen ; jedenfalls sind es nur die nutzlosen allopathischen
Versuche mit thierischer Kohle und deren Beimischung zu dem
Cosmi'schen Mittel, was sie dazu verleitet hat, ebenfalls einen

IL 24



360 Gesichtskrebs, Zungenkrebs.

Versuch damit zu machen. Doch will ich nicht so dreist dar-
über absprechen, da jede Erfahrung über seine heilsame Wirkung
mir hier abgeht.

Dagegen ist wohl Calcarea carbon. aus der Zahl der hieher
gehörigen Mittel nicht zu verweisen, obschon die Symptome eine
grosse Analogie mit einem Krebsgeschwür im Gesicht nicht zu-
lassen. Dennoch ist Calcar. ein grosses Mittel und dürfte schon
darum hier nicht vernachlässigt werden, da jedes Krebsgeschwür
in einer scrophulösen Disposition die meiste Nahrung mit erhält
und Calcar. bekanntlich ein ausgezeichnetes Antiscrophulosum ist.
Die Nasenpolypen, die wir von Calcar. beobachten, sind Degene-
rationen der Nasenschleimhaut und disponiren leicht zu Nasen-
krebs, besonders wenn Dyskrasien im Körper schon vorwalten;
eben so die Blüthen, Schorfe und Geschwürigkeit tief in den
Nasenlöchern, nebst Geschwulst, wo diess Alles die Dauer ande-
rer vorübergehender Leiden der Art weit überschreitet; dasselbe
gilt von den Leiden der Lippen.

Näher, als die beiden zuletzt genannten Mittel, steht den er-
stem Silicea. Dieses im ersten Moment der Anschauung so un-
scheinbare Mittel, birgt in seiner Tiefe so gewaltige und unschätz-
bare Heilkräfte, wie sie kaum irgend einem andern, namentlich
in chronischen Krankheiten, nachgerühmt werden können. Es
ist der schönste Fund, den Hahnemann unter den Antipsoricis
nur je thun konnte; er erkannte mit seinem umsichtigen Geiste,
mit der Schärfe seiner Beobachtungsgabe gar bald, dass in Mine-
ralwässern die oft unbedeutende Beimischung der Kieselerde das
wirksame Princip sei, dem die Heilung chronischer Krankheiten
allein gelingen könne; sein unermüdlicher Forschergeist regte
ihn zu weiterer Prüfung an und die Ergebnisse bestätigten seine
Vermuthungen. So sehen wir uns in dem Besitze eines Mittels,
für dessen Aufschliessung allein wir uns zum innigsten Danke
verpflichtet fühlen müssen, da wir dadurch auch auf andere Mit-
tel der Art aufmerksam gemacht und hingeführt worden sind.
Genug jedoch der Abschweifung; ich kehre jetzt zu der Nam-
haftmachung der Zeichen zurück, die uns eine mögliche Verglei-
chung mit carcinomatösen Leiden des Gesichts gestatten: schon
die mancherlei Hautleiden, die wir von Silicea beobachten, geben
manchen Anhaltepunkt für ihre Anwendung in Gesichtskrebs,



Gesichtskrebs, Zungenkrebs. 361

z. B. die rosenartigen knolligen Flecke, die lymphatischen und
eiternden Drüsen-Geschwülste, die skirrhösen Verhärtungen, die
fauligen, fressenden Geschwüre, insbesondere auch nach Mercur-
missbrauch mit penetrantem Geruch ; die Geschwüre mit bohren-
dem, stechendem Schmerze und wie verborgenem Eiter; aber
auch andere Zeichen geben Andeutungen , z. B. Blutschwamm in
den Augen (hier collitiren aber auch Calcar., Sepia, Lycopod.,
Thuja), die Schorfe und innern Geschwüre in der Nase und ganz
besonders die aufgesprungene rissige Haut, die skirrhösen Ver-
härtungen im Gesichte und an der Oberlippe; die setirundend
schmerzenden Schorfe am Rande der letzteren; die schmerzhaf-
ten, schwammartigen und carcinomatösen Geschwüre an der Un-
terlippe.

Sulphur haben mehrere Beobachter mit unter den heilkräfti-
gen Arzneien, besonders gegen Lippenkrebs, genannt. Wie viel
Wahres daran sein mag, lasse ich dahin gestellt sein; jedenfalls
ist Sulph. ein herrliches Unterstützungsmittel bei der Cur eines
Gesichtskrebses, wenn das rasch vorschreitende Uebel nicht an-
dere intensiver eingreifende Arzneien nöthig macht. Bei Still-
stand in der Besserung, selbst bei den möglichst genau gewählten
Mitteln, wird eine Gabe Sulphur die Receptivität des Organismus
leicht wieder anfachen und für die Aufnahme der nun zweckmäs-
sigen Arzneien geschickt machen. Diess ist wohl der eigentliche
und richtige Wirkungskreis von Sulphur in Gesichtskrebs, denn
selbst da, wo Unterdrückung chronischer Hautausschläge Metasta-
sen nach dem Gesicht hervorriefen und diese einen carcinomatö-
sen Character annähmen , würde ich den Schwefel nicht als Spe-
eificum ansehen und ihn gleich anfangs der Cur geben, sondern
immer erst nach Beschwichtigung der dringendsten Krankheits-
Erscheinungen. Ich weiss nicht, ob meine Ansicht die richtige
ist, doch glaube ich selbige in Einklang mit den physiologischen
Beobachtungen von Schwefel bringen zu können.

In Nasenkrebs ist Sepia sehr zu empfehlen, besonders
wenn ein heftiger Brennschmerz in den grosse Schorfe bildenden
Ausschlägen geklagt wird; unter den sich immer mehr verdicken-
den und schnell sich ausbreitenden Schorfen sickert fortwährend
eine ätzende Feuchtigkeit aus, die zu der raschen Ausbreitung
des Krebsgeschwürs wesentlich beiträgt. Sehr bald nimmt auch

24*



362 Gesichtskrebs, Zungenkrebs.

hier der Gesammtorganismus mit Theil, was aus den täglich
mehrmals eintretenden febrilen Erscheinungen — Hitze- und
Frost-Anfälle — zu entnehmen ist. Auch ist hier das Gemüth
zu berücksichtigen und als Hauptcriterium zur Anwendung von
Sepia hervorzuheben die trüben Vorstellungen, die Bekümmerniss
um seine Gesundheit , die Zaghaftigkeit, die immer einen schnel-
len Puls und jagenden Athem , als ob er ihm vergehen sollte,
zur Folge hat.

Noch mache ich hier auf ein Paar Mittel aufmerksam,
die wohl einige Berücksichtigung verdienen , wenigstens mir von
grossem Nutzen waren in hornartigen Auswüchsen im Gesichte,
die grosse Neigung hatten, in bösartige Geschwüre sich umzu-
wandeln. Das erste ist Antimonium crud., das ich gegen ein
förmliches Hörn, dicht unter der Unterlippe, bis zur Heilung des-
selben anwendete; das Hörn hatte die Eigentümlichkeit, sich von
8 zu 8 Tagen immer selbst abzustossen und von Neuem zu bil-
den; nach dem Abstossen sah die Oberfläche des, jedesmal grös-
ser werdenden, Stumpfes roh und wie wund Fleisch aus; die
Fleischpapillen waren denen der Zungenwurzel ähnlich und auf
jeder einzelnen Papille sah man eine klebrige Feuchtigkeit.
Stand der Schorf, der daraus sich bildete, länger als 8 Tage, so
sickerte zwischen ihm und dem Hörne die Feuchtigkeit aus und
bildete das Hörn in der Breite. Uebrigens war der Auswuchs
ganz schmerzlos und nur bei einem Stoss daran etwas empfind-
lich und blutete dann leicht. Innerlich %ab ich das Mittel in der
3ten Verreibung, täglich einmal; äusserlich liess ich es mit einem
Pflästerchen von Butyrum antimonü bestrichen, bedecken.

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #14 on: April 30, 2013, 09:38:47 PM »

Das zweite Mittel ist Ranunculus bulbos. Es war fast ein
ähnlicher hornartiger Auswuchs, wie ich eben beschrieb, hatte
aber seinen Sitz an der Stirn, war jedoch empfindlich, der Kranke
klagte öfters über ein brennendes Jucken daran und der Schorf
bildete sich schneller; nach seiner Abstossung glich der Stumpf
mehr einem fressenden Geschwüre mit scharfen Rändern. Ver-
geblich wendete ich erst Antim. er. mehre Wochen an; bei Ra-
nuncul, innerlich früh und Abends in der 6ten Verdiinnung,
äusserlich mit der lsten betupft, besserte es sich schnell und
heilte binnen wenigen Wochen, ohne Zuthun eines andern Mittels.

Weiter oben erwähnte ich Acidum nitri und bemerkte, dass



Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus. 363

es in krebsartigen Gesichtsleiden, die einem syphilitischen oder
syphilitisch-mercuriellen Boden entsprossen sind, von Nutzen sei;
hier füge ich noch bei, dass ich es auch in Erdbeerartigen oder
andern Fleischgewächsen im Gesicht, die schnell sich vergrössern
und ausbreiten, mit ausgezeichnetem Erfolg angewendet habe.
Auch hier wendete ich die Arznei, innerlich in hoher, äusserlich
in erster Verdünnung an. Nicht jedesmal war das Leiden syphi-
litischer Natur.

§. 190.

Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus.

Jedenfalls bildet Wasserkrebs einen ähnlichen Process auf
der Mundschleimhaut, wie die Pustula maligna auf der äusseren
Haut. Selten ist vom Anfange ein Allgemeinleiden bemerkbar,
sondern es erhebt sich plötzlich in der Mundhöhle ein weissli-
ches, röthliches, oft gleich anfangs schwärzliches Knötchen oder
Blätterchen, das einen Schorf bildet; dabei ist das dasselbe um-
gebende Zellgewebe angeschwollen, hart, doch schmerzlos, nicht
geröthet, auch nicht sehr weiss; gewöhnlich sind Wangen, Lip-
pen, Augenlider stark ödematös geschwollen, die Haut blass,
livid, wachsartig, fettig glänzend, Ohren- und Halsdrüsen werden
sehr schnell in Mitleidenschaft gezogen. Diess Bläschen platzt
sehr bald, entleert eine schwärzliche Jauche und wird livid; rings
in weitem Umkreise entsteht rasch ein grauer aschfarbener, oder
schwarzer breiiger Schorf, oder eine faulige missfarbige Pulpe,
in der alle Theile ohne Unterschied aufgelöst sind. Die Zerstö-
rung beginnt gewöhnlich in der Mitte der Wange oder an den
Mundwinkeln, ergreift nicht blos Weichtheile, sondern auch Kno-
chen und Zähne und kann sich bis in die Augenhöhle und Stirn
und bis auf Hals und Brust erstrecken. Das Geschwür ist unre-
gelmässig, gefetzt, unempfindlich und ergiesst eine dünne blutige
cadaverös- stinkende Jauche; Geschwürs -Ränder hart, gezackt,
kohlschwarz, von einer dunkelglänzenden Röthe umgeben; die
abgestossenen Theile bluten nicht. In 3 bis 8 Tagen können
Wangen , Lippen und Augenlider in eine weiche faulige Masse
verwandelt sein. — Später erst tritt Fieber und Allgemeinleiden
hinzu; das Athmen wird dann beklommen, der Puls klein und



364 Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus



frequent, colliquative Durchfälle etc. — Gelingt es, den Zerstö-
rungsprocess zu sistiren, so gränzt sich das Brandige durch eine
lebhaft rothe Demarcationslinie ab, der Geruch verschwindet,
statt der Jauche wird "guter Eiter abgesondert und die Geschwiirs-
fläche bietet eine gesunde Granulation dar.

Noma kommt fast nur bei Kindern vom 2. bis zum 10. Le-
bensjahre vor; äusserst selten bei Erwachsenen, am seltensten
bei Säuglingen. Die Kranken sind meist ungesunde, scrophulöse,
in Armuth, mit schlechten Nahrungsmitteln, in verdorbener Luft,
in Findel-, Armen-, Waisenhäusern aufgezogene, sensible, blond-
haarige Kinder. Zuweilen tritt die Krankheit als Secundärleiden
von Masern, Scharlach, Pocken, Keuchhusten, Ruhr, typhösen
und intermittirenden Fiebern auf. Epidemisch ist die Krankheit
nicht und sie kommt auch sehr selten vor.

Die Prognose ist, so lange die Homöopathie noch kein
Specificum dafür gefunden hat, sehr schlecht und in der Regel
endet die Krankheit tödtlich.

Ich wollte absichtlich diese Krankheit nicht übergehen, ob-
schon sie zum Glück sehr selten ist. Allein ich habe die An-
sicht, wenn man als Arzt nur ein Atom zur Heilung schwieriger
Krankheitsfälle beitragen könne, man oft mehr nütze, als wenn
man dem Heilverfahren einer bekannten Krankheit noch ein neues
Mittel hinzufüge. Ich habe nun zwar selbst diese Krankheit
noch nicht behandelt; ja sie ist mir noch nicht einmal zu Gesicht
gekommen, ich kann also auch aus eigenen Erfahrungen nichts
über die Behandlung mittheilen; dennoch^glaube ich in der Wir-
kungssphäre einiger Mittel mich nicht getäuscht zu haben, und
theile daher zum Nutzen der Therapie dieses höchst gefährli-
chen Leidens das Wenige mit, was mir von einiger Bedeutsam-
keit zu sein schien.

Ich halte Seeale cornutum für das erste Specificum gegen
Noma. Dieses so unschuldig scheinende Mittel birgt die Heim-
tücke in sich, denn es weiss so recht das Leben von innen her-
aus zu zerstören, ohne besondere Warnungszeichen von vorn her-
ein laut werden zu lassen. Wollte man dieses Mittel bildlich
sich veranschaulichen, ich glaube, man könnte es nicht besser
als durch Darstellung der Schadenfreude, die im Dunkel lauernd,
den Ausbruch ihres prämeditirten und wohlberechneten Unheilsa-



Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus. 365

mens erwartet, dessen sichern Erfolgs sie gewiss ist. Doch nur
im gesunden Körper und in grossen Mengen führt diese Arznei
den Zerstörungstrieb aus, denn im kranken Organismus weiss ihn
der Arzt durch Verkleinerung der Gabe zu seinem und seiner
Kranken Frommen zu einem heilsamen umzuwandeln. Es müsste
dem Arzte doch ein beseligendes Gefühl sein, wenn er der Zer-
störungswuth dieser Krankheit in dem Seeale com. nicht blos ein
hemmendes , sondern ein sicher heilendes Arzneimittel entgegen-
setzen könnte, wenn er schon bald nach Anwendung der ersten
Gabe die Begränzung der sphacelösen Theile wahrnähme, nach
den folgenden Gaben die Demarcationslinie immer deutlicher her-
vortreten und alle Zeichen eines sich reinigenden Geschwürs
sähe, in dem der Turgor vitae immer mehr die Oberhand ge-
wönne und fort und fort bildend keiner andern Arznei bedürfte!
— Selbst durch die Leichenöffnungen denke ich meine Vermu-
thung, dass Seeale das Specificum sein müsse, bethätigen zu kön-
nen, denn diese ergeben nicht selten Spuren von Brand im Magen,
in den Lungen und andern Eingeweiden und das Herz und die
Lungen sind gewöhnlich blass, schlau" und blutleer. Bei welchem
andern Mittel finden sich wohl ähnliche oder gleiche Erscheinun-
gen? Ich kenne in unserm ganzen Arzneischatz keins. Arse-
nic? Ja, er hat wohl Einiges für sich — er zerstört und zerstört
in seiner Art eben so fürchterlich, aber — wie möchte ich mich
nur ausdrücken, um mein inneres Gefühl zu verdeutlichen — er
zerstört mit Bewusstsein, was Seeale kalt hinwürgt — dort ist
Schmerz, hier Ruhe. Es lässt sich von Seeale, wie ich schon
unter Uterinkrebs bemerkte, kein specielles Krankheitsbild auf-
fassen, sondern nur ein generelles; man muss den Character des
Mittels genau kennen, um es für Noma anwendbar zu finden
oder nicht.

Die so grosse Aehnlichkeit unserer Krankheit mit Pustula
maligna, nach Andern mit Carbunculus bringen mich auf die Idee,
die auch unser verstorbener Gross schon im III. Bande unserer
allg. homöop. Zeitung S. 92 aussprach: ob nicht vielleicht von
Anthracin auch Gebrauch zu machen wäre, wenn Seeale com.
vergeblich angewendet worden sein sollte. Ich gestehe zwar,
ich bin kein grosser Freund dieser isopathischen Arzneien , die
ich in vielen Fällen als einen Nothbehelf für die Geistesarmuth



366 Wasserkrebs. Noma, Cancer aquaticus.

eines Arztes ansehe; allein in verzweifelter Lage findet auch ein
verzweifelter Entschluss Entschuldigung und darum möchte wenig-
stens die Erinnerung an ein solches Mittel zu verzeihen sein.

Ich weiss nicht, welche Vermuthungen die wenigen homöo-
pathischen Aerzte, die Unbedeutendes über diese Krankheit mit-
theilten, auf Sublimat geführt haben, dessen »Symptome sehr wenig
für seine Heilkraft hier sprechen und dessen allgemeiner Charac-
ter auch nicht die entfernteste Analogie darbietet. Dennoch er-
wähne ich seiner hier und nehme meine Anklage gegen ihn gern
zurück, sobald Erfahrungen für ihn sprechen.

Eben so kann ich der Vermuthung nicht beistimmen, dass
Relleborus niger, zeitig in Gebrauch gezogen, dieser Krankheit
vorzubeugen wohl im Stande sein würde, denn der Mundausschlag
von Hellebor. scheint mir kein Noma-, sondern ein den Aphthen
sich nähernder Ausschlag zu sein. Sollte ich mich auch hier ge-
täuscht haben, so werde ich eben so wenig empfindlich sein,
wenn ich einen Vorwurf von Andern mir dadurch zugezogen
habe, denn es ist immer besser, hier zur Vorsicht anzurathen,
als einen Wahn zu begünstigen, der bei einem unglücklichen
Ausgange den gewissenhaften Arzt schwer belasten würde.

Mehr als die beiden vorhergenannten hat Jodium für sich,
vielleicht auch Kali hydrojodicum. Die .Wirkungen des erstem
geben manche Hindeutungen, die es wahrscheinlich machen, dass
Jod. wohl in Noma nützlich sich erweisen müsse, z. B. Geschwür
am linken Backen, mit Geschwulst der Anliegenden Drüsen und
festem Knoten; Bläschen im Munde mit vermehrter übelriechen-
der Speichelabsonderung und Anschwellung des Zahnfleisches;
kleine Erhöhungen an der Innseite des rechten Backens mit Ent-
zündung der Umgegend; fauliger Geruch aus dem Munde; schnelle,
jählinge Abmagerung bis zum Gerippe, mit hectischem Fieber. —
Obschon ein langwirkendes Mittel , würde ich mich vor seiner
langsamen Einwirkung nicht fürchten, da ich., und gewiss jeder
Homöopath, durch die stärkere und rascher aufeinander folgende
Gabe diese Langsamkeit zu beschleunigen verstehe; darum mag
ich auch in derartigen Krankheiten, bezüglich der Posologie,
mich nie über die juste milieu erheben, noch weit weniger aber
die Hoch- oder wohl gar Höchstpotenzen in Anwendung bringen,



Hemicrania, Clavus. Nerv. Kopfschm., halbs. Kopfweh, Migräne. 367

denn hier gilt es baldigste Saturation des kranken Organismus
mit dem ihm zusagenden Arzneimittel.

Fürchtete ich nicht zu viele Mittel* in den Bereich der gegen
Noma hülfreich sein sollenden hineinzuziehen, ohne Beweise für
ihre Tüchtigkeit liefern zu können : so würde ich noch an Aci-
dummuriat., Tart. emet., Carbo vegetab., Chlor, Kreosot erinnert
haben. Da ich aber auch für diese nichts weiter, als Vermuthun-
gen anzugeben weiss , so begnüge ich mich nur mit ihrer Na-
mensangabe.

Nach dieser kleinen Einschaltung dieser krebsartigen Krank-
heitszustände kehre ich nun zu dem Hauptthema dieser Krank-
heitsordnung, den Neuralgien, zurück, bemerke aber wiederum,
dass ich mir auch in der Folge noch manche Abschweifung ge-
statten werde.

8- 191.

Hemicrania, Clavus. Nervöser Kopfschmerz, halbseitiges
K o p fw eh, Migräne.

Periodisch leiden die Kranken an einem bohrenden Schmerze,
der eine umgränzte Stelle nahe an der Pfeilnaht in den äusseren
Theilen des Kopfes, oder die eine Seite desselben, die Stirn, die
Supraorbilal-, die Schläfegegend einnimmt, sich in die Augen-
höhle erstreckt und durch Zusammenpressen des Kopfs zuweilen
gemildert wird, zuweilen aber auch äusserst empfindlich gegen
den mindesten Druck ist. Oft auf der Höhe des Schmerzes Uebel-
keit, Erbrechen von Wasser und Schleim, wonach der Kranke
sich manchmal erleichtert fühlt. Der Anfall erscheint oft plötz-
lich auf eine gegebene Veranlassung, nach Aerger , Schreck,
plötzlicher Freude, Erkältung, Indigestion u. s. w. Während des
Anfalls sind die Kranken äusserst empfindlich gegen Licht, Ge-
räusch, Temperaturwechsel, selbst gegen Speisen; sie suchen die
möglichst gleichförmigste psychische und physische Ruhe. Ge-
wöhnlich beginnt der Anfall mit Aufgang der Sonne, beim Er-
wachen und lässt erst Abends nach ; oft dauert er länger. Dann
folgt erquickender Schlaf und den Tag nachher sind die Kranken
meist frei. Die linke Seite des Kopfs ist häufiger, als die rechte,
Sitz des Leidens. Die Anfälle kommen meistens periodisch, oft



368 Hemicrania, Clavus.

unregelmässig, oft aber auch in bestimmten Zwischenräumen.
Beim weiblichen Geschlechte hält der Schmerz sehr oft die Men-
strualperiode ein. Dem Anfalle geht bisweilen Skotomie, Schwin-
de], ungewöhnliche Heiterkeit und Geschwätzigkeit, oder Miss-
muth, verminderter Appetit, Uebelkeit, saures Aufstossen, Erbrechen
u. s. w. voran. Manchmal ist der Anfall gelind, manchmal
aber auch äusserst heftig; doch nimmt er meistens allmälig zu,
beginnt zuerst mit einem leisen Drucke oder einem Gefühle von
Kälte an der nachher leidenden Stelle, geht alsdann in Klopfen
und jenen bohrenden, oder auch stechenden, brennenden, reissen-
den u. s. w. Schmerz über.

Die auszeichnenden Merkmale einer Hemicranie sind: Der
eigenthümliche neuralgische Character des Schmerzes, seine Perio-
dicität, der Mangel anderer Erscheinungen gestörter Hirnfunction
in den Intervallen, der Mangel von febrilischer Theilnahme des
Gesammtorganismus ; doch können jahrelange Leiden wohl die
letztere mit herbeiführen, und dazu beitragen, dass Patient nie
mehr ganz frei von Schmerz wird, besonders in der Gegend der
Pfeilnaht, wesshalb auch Schlaflosigkeit sich hinzugesellt, weil
die affizirte Stelle auch äusserlich geschwollen und schmerzhaft
beim Druck ist.

Ursachen: Unter ihnen nimmt eine abnorm gesteigerte Sen-
sibilität des Nervensystems, wiesie manchen Constitutionen, beson-
ders aus dem weiblichen Geschlechte, wie sie hysterischen, hypo-
chondrischen, chlorotischen Subjecten, Frauen, die durch schwere
Geburten, durch Blutflüsse geschwächt sind, Individuen aus den
höheren Klassen der Gesellschaft mit sitzender Lebensweise, Ge-
lehrten u. s. w. eigenthümlich ist, den ersten Rang ein. Nächst-
dem sind es besonders auch schlechte Verdauung, Stockungen
im Pfortadersysteme, Arthritis, Merkurialdyskrasie u. s. w. , die
sie erzeugen können, nicht minder Menstruations-Unterdrückung,
übergrosse Anstrengung des Geistes, Ueberreizung der Phantasie.

§. 192.

Das therapeutische Verfahren bei dieser Krankheit
erfordert durchaus, dass das leidende Subject den Kaffee-
trank streng vermeide, und nicht, wie es so häufig geschieht,
hinter dem Rücken des Arztes gegen dieses Verbot handle.



Nervöser Kopfschmerz, halbseitiges Kopfweh, Migräne. 369

Nach meinen darüber gemachten Erfahrungen ist die Hei-
lung einer Migräne durchaus unmöglich, wenn die Kranke
sich zu dieser Entsagung nicht verstehen kann, da das
Leiden häufig dem Genüsse des Kaffee's sein Entstehen verdankt.
Diese Behauptung lässt sich mit Gewissheit aus dem Umstände
abnehmen , dass die zwar periodisch auftretende Migräne, durch
eine gegebene Veranlassung, als: Aergerniss, Magen Überladung,
Erkältung u. s. w. , auch plötzlich und zu jeder Tageszeit er-
scheint. Ferner lässt sich der häufige Kaffee-Genuss als die Ent-
stehungs-Ursache der Migräne nachweisen, wenn die Kranke über
einen heftigen halbseitigen, ziehend drückenden Kopfschmerz
klagt, mit der Empfindung, als sei ein Nagel in das Seitenbein
eingeschlagen; aber auch das Gefühl, als sei das Gehirn auf der
leidenden Seite wie zerrissen, zertrümmert, zerschmettert, oder
die grosse Abneigung der Kranken vor Kaffee während des
Schmerzes, bestätigen die aufgestellte Behauptung. Hier ist es,
wo Nux vomica das zuerst indizirte Mittel ist, das selbst dann,
nach vollendeter Wirkung der ersten Gabe, wiederholt werden
kann, wenn die Krankheit sich zwar verminderte, aber nicht ganz
gehoben wurde; doch wäre es wohl auch möglich, dass bei aber-
maliger genauer Aufzeichnung des nach Auswirkung der Nux
zurückgebliebenen Krankbeitsbildes Ignatia oder Pulsatilla, viel-
leicht auch wohl einmal Chamomilla« als Zwischenmittel, anwend-
bar wären und Nux, zu grösserer Befestigung der Gesundheit,
erst später noch einmal gegeben würde. — Eben so passt Nux,
wenn der einseitige, stechend-drückende Kopfschmerz schon früh
beginnt, allmälig immer heftiger wird, und endlich auf eine solche
Höhe kommt, dass die Leidende ihrer fast unbewusst ist, oder
sich wie rasend umherwirft. Selten ist hiermit Kopfandrang
verbunden, eher findet man Gesichtsblässe mit einem ganz ver-
störten Ansehen. Nux ist also in derartigen Leiden eins der
Hauptmittel.

Herr Dr. Tietzer in Königsberg (s. Allg. hom. Zeitung
Bd. XXXIV. S. 11.) giebt folgende Andeutungen für Nux in
Migräne: „Sie wird mehr bei Männern dann angewendet, wo das
Leiden vom Gangliensysteme ausgeht und die Hemicranie sympa-
thisch erscheint, namentlich bei Hämorrhoidariern, die über
Kreuzschmerzen, Drängen auf den Mastdarm, schweren Stuhlgang



370 Hemicrania, Clavus

und Magenbeschwerden klagen; bei cholerischem Temperamente,
bei Säufern, Stubengelehrten. — Der Schmerz ist am häufigsten
ein ziehend-drückender ; oft ist das Gefühl , als sei ein Nagel
in der einen Hälfte des Kopfes eingeschlagen ; auf der einen Seite
ist das Gehirn wie zertrümmert, zerschlagen. — Bei Frauenzim-
mern tritt dabei die Regel einige Tage zu früh ein und fliesst
auch wohl zu häufig. — Der Schmerz kommt besonders früh,
oder auch gleich nach dem Essen, oder bei Kopfanstrengung."

„Ihr schliesst sich Ignatia an. Sie ist in Hemicranie ein
nützliches Mittel, indem der Trigeminus durch die Rückenmarks-
nerven in Mitleidenschaft gezogen wird (?). Sie ist besonders
passend bei sensiblen, reizbaren, hysterischen Personen, bei einem
sanguinisch-nervösen Temperament, bei einem zarten, verliebten
Wesen, bei Neigung zu Schwärmerei, bei stillem Gram, Schreck,
Kränkung und bei clonischen Krämpfen nach. Gemüthsbewegung.
— Der Schmerz ist hauptsächlich ein drückender, zuweilen ein
stechender, und zwar von innen nach aussen, in der Stirn und
Nasenwurzel." Ich füge noch hinzu, dass der drückende Schmerz
für Ignat. der vorherrschende ist; bei dem Gefühle, als ob ein
Nagel den Schmerz erzeugte, klagt der Kranke nicht über Heraus-,
sondern Hineindrücken; auch dürfen wir das verdriessliche und
mürrische Wesen der Kranken nicht unberücksichtigt lassen, da
diess eine Indication mehr zur Anwendung von Ignat. ist.

Für Chamomilla sind es besonders die ziehend- klopfenden
Schmerzen in der rechten Kopfhälfte, anfallsweise und auf gege-
bene gemüthliche Eindrücke wiederkehrend , mit der zänkischen
Aergerlichkeit, den hypochondrischen Grillen u. s. w. , die ihre
Anwendung in Hemicranie fordern.

Pulsatilla ist bei einem halbseitigen Kopfweh namentlich dann
indizirt, wenn wir es bei bleichsüchtigen, hysterischen Subjecten,
also insbesondere beim weiblichen Geschlecht, oder bei phleg-
matischen, gutmüthig schalkhaften Temperamenten antreffen; eben
so bei scrophulöser Diathese und vorzüglich bei biliös-gastrischen
Beschwerden. Ihr fallen besonders die stechend-reissenden halb-
seitigen Kopfschmerzen anheim , die Abends sich verschlimmern
und Nachts am heftigsten sind ; begleitend finden wir eine trau-
rige, weinerliche Gemüthsstimmung.

Der Nux zur Seite steht Belladonna, und sie ist besonders



Nervöser Kopfschmerz, halbseitiges Kopfweh, Migräne. 371

dann empfehlenswerth, wenn der halbseitige Kopfschmerz zugleich
bis in die Augenhöhle und Nasenknochen sich herab erstreckt
und in einem pressenden, zersprengenden, wogenden, schwap-
pernden Gefühle besteht (doch hat Piatina einen ähnlichen wo-
genden , wellenartigen Schmerz aufzuweisen , und dürfte darum
hier mit in die Wahl fallen). Noch bezeichnender wird dieser
Kopfschmerz für Belladonna, wenn er sich durch die geringste
Bewegung des Körpers, mehr noch der Augen, durch Einfallen
der Lichtstrahlen in letztere, durch jedes Geräusch, durch das
Gehen Anderer in dem Krankenzimmer, überhaupt durch jede
geringe äussere Erschütterung verstärkt, und nicht nur mit blos
fühlbarem, sondern sogar hörbarem, starkem Pulsiren aller Ar-
terien verbunden ist. — Nicht minder passend ist Belladonna in
den eigentlichen gichtischen Kopfschmerzen, die eben-
falls meistens halbseitig sind, und in flüchtig stechenden, aber
tief eindringenden und höchst empfindlichen Schmerzen bestehen,
oft auch wie mit einem Hauche an einer Stelle des Kopfes an-
fangen, der in einen langen, höchst schmerzhaften, ein oder ein
paar Minuten anhaltenden, die ganze Hirnhälfte durchziehenden
Stich übergeht und die Leidende oft besinnungslos macht. Eine,
in manchen Fällen auch zwei Gaben binnen 36 Stunden, reichen
gewöhnlich hin, diesen Zustand zu beseitigen, und auf lange Zeit,
jedoch nicht für immer, seinen Wiedereintritt zu verhüten, der
wohl eher der Anwendung der Sepia gelingen dürfte, indem Ste-
chen und stichlichte Schmerzen zu den Hauptwirkungen dieses
Mittels mit gehören. Jedenfalls correspondirt sie der Belladonna
gegen die zuerst angegebenen Migräne-Schmerzen; bei den ste-
chenden in dem einen Stirn- oder Hinterhauptshügel gehört Sepia
der Vorrang; die Stiche fahren blitzartig hinein und hallen lange
nach tief im Gehirn; je öfter sie wiederkehren, desto mehr kla-
gen die Kranken über Hitze im Kopfe, die allmählig lästiger
wird und grosse Benommenheit des ganzen Kopfes mit sich führt,
wobei selbst die äussere Haut des Kopfes empfindlich gegen Be-
rührung wird, wie wir diess überhaupt häufig bei Kopfgicht
beobachten, dass äussere Empfindlichkeit der Kopfhaut mit Spän-
nung eintritt. In einigen Fällen habe ich diess letztere Symp-
tom, ausser Sepia, mit Acidumnitri, oder Zincum, oder Petro-



372 Hemicrania, Clavus.

leum zu beseitigen vermocht, je nachdem die Nebenbeschwerden
auf die Anwendung dieses oder jenes Mittels hindeuteten.

Ich kann diese beiden Mittel nicht verlassen, ohne eines
dritten zu gedenken, dem ich im speciellen Falle den Vorzug
vor beiden gebe, d. h. im Anfalle selbst — als radicale Heilmit-
tel aber behalten jene ihren Werth. Das Mittel ist Aconitum
und der specielle Fall folgender: halbseitiges reissendes Ziehen
und ruckendes Stechen im Kopfe, mit Vollheit und lastender
Schwere in der Stirn, Pulsiren in den Schläfen, aufgetriebenem,
geröthetem Gesicht, wobei der Kopfschmerz immer mehr sich
steigert, fast bis zum Rasendwerden ; Patient jammert laut, klagt
grosse Angst bei Kurzathmigkeit und Herzpochen etc.; hier lasse
ich alle 5 — 10 Minuten an eine Aconit- Verdünnung riechen und
schon nach dem zweiten, dritten Male ihrer Anwendung tritt Lin-
derung ein und bald nachher wohlthätiger Schlaf, der vorher
ganz fehlte.

Die zu Anfang dieses Paragraphs angegebenen, vom Kaffee-
Genuss abhängenden und durch selbigen erzeugten Beschwerden
kommen zuweilen auch bei Subjecten vor, die entweder nie,
oder doch höchst selten Kaffee getrunken haben; in diesem Falle
entstehen sie grösstentheils bei Geistesanstrengungen und werden
nur auf einer Kopfseite als drückender Schmerz, wie wenn ein
Nagel im Seitenbeine eingeschlagen würde, oder auch, als wäre
das Gehirn zertrümmert und zerschmettert, empfunden. Hier ist
es, wo Coffea eine fast spezifische Wirl|png äussert, und nur in
einzelnen Fällen der Nachhülfe durch Nux oder Bryonia bedarf.
Soll Bryonia nicht vergeblich angewendet werden, so muss die
Migräne auf folgende Art sich gestalten: Auseinander- oder her-
auspressender Schmerz im linken Stirnhügel, als solle dieser zer-
springen, der sich beim Bewegen der Augen ungemein erhöht,
zuweilen auch mit drückendem Reissen der übrigen Gehirnhälfte
und schwindlichter Schwere in derselben; daranknüpft sich stets
Schlaflosigkeit und ärgerliche Reizbarkeit.

Ein sehr heilkräftiges. Mittel in Migräne ist Coloquinte, be-
sonders wenn der pressend-drückende oder ziehend-klemmende
halbseitige Kopfschmerz durch Liegen auf dem Rücken oder
Bücken erhöht und verschlimmert wird, mit Uebelkeit und Er-



Nervöser Kopfschmerz, halbseitiges Kopfweh, Migräne. 373

brechen verbunden ist, alle Nachmittage oder gegen Abend er-
scheint, zum Schreien und Weinen zwingt und eine immer grös-
ser werdende Kurzathmigkeit mit sich führt. Er wird durch
Gemüthsbewegung, Indignation und innere Kränkung leicht erregt.

Diese Art Kopfschmerz findet häufiger, als man glaubt, sein
Heilmittel in der China, wie mir die Erfahrung gelehrt hat.
Grösstenteils habe ich mich dieses Mittels bedient, wenn Patient
über ein reissendes Drücken, oder umgekehrt, über ein drücken-
des Reissen an irgend einer Stelle des Kopfs klagte, bei gros-
ser Aufgeregtheit des Geistes, Unruhe und Ueberspanntheit der
Phantasie, welcher Schmerz gewöhnlich durch Bewegung im
Freien, oder durch äussern Druck verschlimmert wurde.

Ein sehr gewöhnlicher Fall ist es, dass nicht blos Kopfgicht
und halbseitiger Kopfschmerz, sondern Kopfschmerzen überhaupt,
mit Uebelkeit und Erbrechen verbunden, auftreten. Unter sol-
chen Umständen muss der Arzt solche Mittel wählen, die eben-
falls Uebelkeit und Erbrechen in ihrer Erstwirkung erzeugen,
wenn er Heilung bewirken will, die ihm im Gegentheil nur auf
Umwegen und weit langsamer gelingt; darum ist auch Ipecacuanha
in wiederholten Gaben in manchen Fällen sehr passend, wenn
nicht Pulsatilla den Vorzug noch vor dieser verdient, was gewiss
der Fall ist, wenn der halbseitige Kopfschmerz bohrend, stechend,
zusammenziehend ist, oder von der Empfindung begleitet wird,
als sei der Kopf in Schrauben gespannt.

Dass ein solcher halbseitiger Kopfschmerz nur sehr selten
durch ein einziges Mittel beseitiget wird, weiss der Leser ohne
mein Erinnern. Vielleicht weniger bekannt ist ihm, dass Vera-
trum album in unserer Krankheit ebenfalls einen guten Ruf hat,
und namentlich da seine Anwendung findet, wo der halbseitige
Kopfschmerz aus einem drückenden Klopfen mit Zerschlagenheit
im Gehirne und Andrang des Blutes nach dem Kopfe besteht,
auch wohl mit andern Beschwerden, z. B. Magenschmerzen, hart-
näckiger, sehr beschwerlicher Stuhlverstopfung u. dergl. ge-
paart ist.

Arsenic, dieses in vielen menschlichen Krankheiten so höchst
beachtenswerthe Arzneimittel, ist auch in einigen Arten Migräne
von hoher Bedeutung. Der Schmerz, der besonders zu seiner
Anwendung auffordert, ist ein klopfend-betäubender, entweder in



374 Hemicrania, Clavus.

der Stirn, vorzüglich über der Nasenwurzel, oder über dem lin-
ken Auge, der fast immer eine Schwäche des Kopfs mit Weich-
lichkeit und Schwäche in der Herzgrube hinterlässt. Noch
characteristischer wird er durch die anderweit begleitenden Zu-
fälle, z. B. er zeigt sich regelmässig nach Tisch, wird durch
Auflegen kalten Wassers gemindert, aber durch Wegnahme des-
selben sehr verstärkt; ist Abends und Nachts oft am heftigsten,
wo er durch Umhergehen, äussere Wärme und Zusammendrücken
des Kopfs sehr gemindert wird; nicht selten führt er, obschon
Patient nicht über zu grosse Heftigkeit sich beklagt, eine allge-
meine Ermattung und Hinfälligkeit mit sich, die das Niederlegen
unerlässlich macht etc.

Auch Arnica ist ein nicht unbedeutendes Mittel , wenn der
Schmerz ein ruckweise stechender in Stirn und Schläfe ist, mit
Gesichtshitze und Durst, Ueblichkeit und Weichlichkeit um's Herz,
besonders beim Bücken. Die Arnica eignet sich namentlich für
Kopf gicht, wogegen auch Guajacum nicht ohne Grund empfoh-
len wird. Am häufigsten erscheint der drückende, oft in Stiche
übergehende, Schmerz im rechten Stirnhügel, oder auf dem Schei-
tel und vom Nacken heraufkommend, gleich früh nach dem Auf-
stehen; zuweilen artet der Schmerz, der für Anwendung von
Guajacum spricht, sich auch als ein ziehend reissender vom lin-
ken Seitenbeine nach dem Stirnhügel zu ; gewöhnlich ist er auch
mit dem Gefühl verbunden, als sei die Kopfbedeckung geschwol-
len und pulsire es in ihr. %

Wenn auch Eyoscyamus nicht gerade in Migräne so ausge-
zeichnet wie die vorher genannten Mittel ist, so ist er doch in
einer eigenthümlichen Art Kopfschmerz, der mit dem halb-
seitigen nahe verwandt ist, von entschiedenem Nutzen. Sein
Hauptcharacter ist: betäubendes Drücken, das in Stiche oder
Reissen übergeht und bald da , bald dort seinen Sitz hat.

Cicuta hingegen entspricht mehr den halbseitigen Kopfschmer-
zen, die in einer drückenden Schwere, oder einem stechenden
Zusammendrücken bestehen , welche in der Regel die rechte
Kopfseite, von der Nase und dem Auge bis zum Hinterhaupte,
beherrschen. Am häufigsten findet sich diese Art bei hysteri-
schen Subjecten bei vorherrschender Traurigkeit und ängstlicher
Bekümmerniss.



Nervöser Kopfschmerz, halbseitiges Kopfweh, Migräne. 375

Ruta steht der vorigen Arznei sehr nahe, nur ist der Schmerz
hier mehr ein verdüsterndes, betäubendes Drücken in der rechten
Stirnhälfte und über der Nasenwurzel mit Uebelkeit, das durch
Bewegung gemindert wird.

Die halbseitigen Kopfschmerzen, die durch Manganum aceli-
cum gehoben werden, haben die Eigentümlichkeit, dass sie mei-
stens Nachts erscheinen, und beim Vorbücken des Kopfs sich ver-
schlimmern; zuweilen entstehen sie auch beim Gehen im Freien
und mindern sich im Zimmer, oder umgekehrt wieder ein ander-
mal bessern und verschlimmern sie sich mit der Witterung. Der
Hauptschmerz ist: reissend -stechend, in der linken Kopfseite;
seltner der drückende, hervordrängende vom Hinterhaupte über
den Scheitel nach der Stirn.

Ein herrliches Mittel ist Capsicum annimm, sowohl in gich-
tischen Kopfschmerzen, als in halbseitigem Kopfweh, be-
sonders wenn es klopfend oder drückend-stechender Art ist, und
sich bei Bewegen der Augen und des Kopfs , vorzüglich auch
durch Vorbücken des letzteren verschlimmert; doch muss der
Arzt dabei immer auch erwägen, ob die begleitenden Krankheits-
Beschwerden für dieses Mittel geeignet sind. In hysterischer
Migräne verdient es den Vorzug vor vielen andern.

Thuja ist eine sehr beachtenswerthe Arznei in Migräne, von
den homöopathischen Aerzten wohl nur zu sehr übersehen. Ge-
wiss leistet sie in den, oft schon veralteten, Hemicranien viel
Gutes; die auf früherer Sycosis beruhen, die, nach ihrer schein-
baren Heilung, rheumatische Affectionen anderer Organe und
Theile hervorrief, die wiederum nach Auftreten der Hemicranie
vollkommen verschwanden. Das drückend -pressende halbseitige
Kopfweh, oder als würde ein Nagel eingeschlagen, in der rechten
Gehirnhälfte, hat den Vorrang vor allen andern schmerzhaften
Empfindungen; gewöhnlich verschlimmert sich der Schmerz im
Bette, in der Ruhe und Wärme und bessert sich durch Bewegung,
Kälte und Schweiss.

Wären ja noch einige Mittel der Art hier zu berücksichtigen,
so waren es vielleicht Spigelia, Sabina, Aurum, Rhus. — Ausser
diesen verdienen aber noch eine nähere Bezeichnung:

Nitri aeidum. Der Hauptcharacter der Migräne- Schmerzen,
denen dieses Mittel gewachsen ist, ist: drückende Schwere in

II. 25



376 Hemicrania, Clavus.

ziehendes Stechen und zuckendes Schneiden übergehend, mit Ein-
genommenheit und Uebelkeit; am empfindlichsten ist das ziehende
Stechen und meist linker Seits, im Hinterhaupt und Seitenbein,
was zum Liegen nöthigt und Nachts nicht schlafen lässt; das
zuckende Schneiden erstreckt sich von vorn nach hinten. —
Diese Art kommt vor bei scrophulösen, hysterischen, syphiliti-
schen Subjecten; mit Wallungen im Blute; nach kleinen Bewe-
gungen, bei Gehen im Freien, nach leichter Verkühlung etc.

Tinctura acris s. kali. Hahnemann hat später die Symp-
tome dieses Mittels mit unter die von Causticum gestellt. Ich
mag nicht genau angeben , welche Art von halbseitigem Kopf-
schmerz den Vorrang vor den übrigen Arten verdient. Mich
leitete — wie soll ich sagen — ein innerer Instinkt und schob
mir das Mittel in die Hand, ohne dass ich den Character des Mit-
tels genau aufgefasst hätte ; das weiss ich nur, dass ich die Tinc-
tura acris bei derartigen Kranken anwendete, die über das
Gefühl klagten, als sei das Gehirn halbseitig wie zerrissen oder
zertrümmert, was bei Schütteln des Kopfs weit empfindlicher her-
vortrat. Sollte aber der drückende, herauspressende, spannende,
ziehende, reissende, stechende, klopfende Schmerz ganz ohne
Bedeutung sein? Ich glaube nicht; nur sind mir die dabei obwal-
tenden Bedingungen unbekannt. — ■ Die Schmerzen verschlimmer-
ten sich gegen Abend und im Freien; die drückenden Kopfschmer-
zen werden durch Zugwind erregt und treten mit Frösteln ein.

Auch Conium hat sich in Migräne ^ßwährt gezeigt bei zie-
hend-reissend-stechenden Schmerzen; eben so bei dem Gefühle,
als sei ein grosser fremder Körper in der rechten Gehirnhälfte,
den Patient durch Reiben auf dieser Stelle äusserlich vertreiben
könne. Hypochondrischen, hysterischen, scrophulösen und syphi-
litischen Subjecten sagt es in dieser Krankheit zu, nicht minder
dem Greisenalter wie dem weiblichen Geschlecht.

Zuletzt nenne ich noch Calcarea carbonica, als ein für die
schwierigsten und veraltetsten Hemicranien indizirtes Arzneimittel,
das bei solchen Subjecten, die eine scrophulöse Disposition noch
in sich tragen, am wirksamsten sich erweist; demnach dürfte
die Calcarea eine der am häufigsten anwendbaren Arzneien sein.
Manche schmerzhafte Empfindungen im Gehirn erregt Calcarea ;
eben darum aber vermag sie auch mehrere zu heilen und ist



Spinal-Neuralgieen . 377

nicht etwa für die eine oder die andere ausschliesslich passend.
Ein vorzüglicher Schmerz ist der betäubend-drückende halbseitige,
mit viel leerem Aufstossen, von Lesen und Schreiben hervorgerufen;
eben so wichtig ist der beschwerende Vollheitsschmerz, mit Hitze
im Kopfe und Verschlimmerung bei Bewegen und Aufrichten des-
selben; nicht minder der drückend-herauspressende, durch Gegen-
druck gemildert; der drückend ziehende, reissende, stechende. —
Wir sehen hieraus, wie vielgestaltig eine Migräne auch auftreten
kann; immer wird der homöopathische Arzt sein Augenmerk mit
auf Calcarea zuerst richten müssen.

Soll ich noch einige Mittel hier in Vorschlag bringen, so
sind es vielleicht Petroleum, Lycopodium, Zincum, Phosphor, Süi-
cea und Kali carbonic, welches letztere auch in denjenigen Kopf-
beschwerden sich hülfreich erweist, die durch Fahren herbeige-
führt werden.



Spinal-Neuralgieen.

§. 193.

Neuralgie des Rückenmarks, Spinalirritation, Rhachial-
gie. Neuralgia spinalis, Notalgia.

Spinalirritation ist nur ein Erkranken des Rückenmarks
und hinterlässt selten eine Spur materieller Veränderung dessel-
ben in der Leiche. Hauptsymptom ist: Rückenschmerz und zu-
gleich Schmerz oder unangenehme Empfindung und convulsivische
Zufälle im Innern oder an irgend einem mit dem Rückenmarke
in Verbindung stehendem Theile. Die Empfindlichkeit ist oft
durch die ganze Wirbelsäule bemerkbar, oder wenigstens ist ein
grosser Theil derselben schmerzhaft. Oft befindet sich der Sitz
der krankhaften Empfindlichkeit im Rückgrate weit tiefer, als
der Ursprung der Nerven des sekundär ergriffenen Organs. ■ —
Bei Schmerz der obern (namentlich des 2. und 3.) Hals-
wirbel klagen die Kranken über Kopf-, Stirn-, Gesichtsschmerz,
Sinnestäuschungen, Hemeralopie, Schwindel, Amaurose, Ohren-
sausen, Taubheit, Delirium, Steifheit des Halses oder krankhafte
Beugung des Kopfes. Schmerz der untern Halswirbel

25*



378 Spinal-Neuralgieen.

bedingt: Schmerz an den Schlüsselbeinen, Schultern, Brüsten, Brust-
beinen, Armen und Fingern ; Schlund- oder Kehlkopfkrampf, Schluch-
zen ;spasrnodische Bewegungen oderLähmung, Gefühl von Beengung
oder Herzklopfen. Ist der obereRückentheil affizirt, so finden
sich: Zusammenschnürung des Thorax, Orthopnoe, Krampfhusten,
Herzklopfen, Ohnmächten, Seufzen; Schmerzen in den Hypochon-
drien, unter den falschen Rippen. Ist hingegen der untere
Dorsaltheil affizirt, so klagt Patient über Magenschmerz , Car-
dialgie, Schmerz in der Herzgrube, Verdauungsstörung, Erbre-
chen, Ructus: zuweilen Beschwerden beim Urinlassen, häufigen
Drang dazu. Das Ergriffensein des Lumbartheils äussert
sich durch Schmerzhaftigkeit der Bauchdecken, Koliken, Schmer-
zen und erschwerte Bewegung in den Untergliedern; Ischurie,
Ziehen in den Hoden. — Oft beobachten die Zufälle, wenigstens
die wichtigsten, etwas Rhythmisches in ihrem Auftreten und Ver-
laufe. — Der häufigste Sitz der Spinalneuralgie ist die Gegend
des 7. bis 9., dann die des 1. u. 2. Rückenwirbels.

Ursachen sind: Pubertätsentwickelung und das mittlere
Lebensalter; häufiger wird die Krankheit bei Frauen als Männern
angetroffen und dann sind es vorzüglich wieder 'hysterische und
hypochondrische Subjecte, die ihr leichter unterworfen sind;
weitere Veranlassung geben auch Menstrual- Störungen, Wochen-
bett, Digestionsleiden, Leiden der Zahnnerven, ebenso fremde
Körper, die das Rückenmark reizen; auch das mit Intermittens
und Typhus-Miasma infizirte Blut scheint $ine besondere Affinität
zum Rückenmarke zu haben und eine secundäre Spinalirritation
zu erregen, welche von Vielen als das Wesen der Krankheit an-
gesehen worden ist. Hier ist der Sitz des Rückenschmerzes
vorzugsweise im ersten und den zunächst gelegenen Rückenwir-
beln. (Canstatt).

§. 194.

Der Leser begreift, ohne mein Erinnern, dass gegen die
Menge von Symptomen, die ich im vorigen Paragraphen als Er-
kennungszeichen einer Spinalirritation angab, die mehr oder we-
niger geschlossene Krankheitsgruppen darstellen, die ich als
generelle Namen aufzeichnete, — die Angabe eines speciellen



Neuralgie des Rückenmarks. Neuralgia spinalis. 379

therapeutischen Verfahrens nicht wohl durchzuführen ist.
Der Allöopathie ist ein allgemeines Heilverfahren gegen derar-
tige Neuralgieen wohl gestattet, da sie sich begnügt, durch die
neueren physiologischen und anatomisch - pathologischen Kennt-
nisse belehrt, auf das Wesen dieser Krankheit die Angabe ihrer
Heilwerkzeuge zu begründen. Die Homöopathie hingegen kann
und darf ein solches Handeln sich nicht gestatten, wenn sie nicht
in denselben Fehler der Allgemeinheit verfallen will, der nur zu
bald den völligen Ruin dieser beglückenden Heil-Reform zur
Folge haben müsste. Uebrigens begreife ich selbst die Mög-
lichkeit einer Solchen Handlungsweise nach homöopathischen
Grundsätzen nicht; denn was würde es wohl dem Homöopathen
frommen, wenn ich ihm hier eine Anzahl von Mitteln namhaft
machen wollte, die alle sich, mehr oder weniger oft, gegen die-
ses oder jenes Symptom, das durch Spinalirritation hervorgeru-
fen werden kann, hülfreich erwiesen haben. Er muss doch,
will er eine derartige Krankheit glücklich heilen, ein scharf ge-
zeichnetes Krankheitsbild sich verschaffen, um es erst mit den
physiologischen Zeichen einer Arznei zu vergleichen. Zu wel-
chem Zweck habe ich nun aber wohl ein so allgemeines Krank-
heitsbild hier mit aufgenommen ? Darum, damit der Leser rich-
tiger als sonst viele der ihm vorkommenden Leiden beurtheilen
und sicherer entscheiden könne, ob ein Mitte! wohl auch der vorlie-
genden Krankheit vollkommen entsprechend gewählt sei, das
den Symptomen, den nach aussen reflectirten Zeichen eines, nach
seiner Meinung, gut aufgefassten Kränkheitsbildes genau ange-
passt ist. — Es liegt kein Widerspruch in diesen Worten , wie
mancher ältere Homöopath, der der neuem Richtung in der Me-
dizin nicht gefolgt ist und Hahnemann's Ausspruch in dieser
Reziehung falsch gedeutet hat, wohl glauben, mich darum gern
verketzern und mich zu einem Abtrünnigen machen möchte. Dem
ist nicht so. Denn ich glaube Hahnemann richtig verstanden
zu haben, wenn er sagt: nur das nach aussen reflectirte Bild
zeigt dem Heilkünstler, was er an einer Krankheit zu heilen hat;
er wusste, als tiefer Denker, recht gut, was er von jedem ein-
zelnen Symptome zu halten hatte, für ihn hatten die subjectiven
Symptome so viel Werth, wie die objectiven, und unwillkürlich
stellte sich in seinem Geiste neben dem speciellcn auch ein ge-



380 Spinal-Neuralgieen.

nerelles Krankheitsbild auf — den Beweis liefern seine chroni-
schen Krankheiten und seine später geprüften Arzneien, in deren
Vorworte er stets auf den allgemeinen Character jedes einzelnen
Arzneimittels aufmerksam zu machen sich bemühte. Vielleicht
sich selbst unbewusst, hat er auf diese Art den allgemeinen
Character eines Mittels mehr hervorzuheben gemeint, um seinen
Schülern anzudeuten, wie nothwendig es sei, nicht Mos ein
specielles , sondern auch ein generelles Bild von jeder Arznei
sich zu verschaffen. Sollte denn dieses Verfahren bei Kenntniss-
nahme jedes einzelnen Arzneimittels in ihm nicht erst durch die
Ueberzeugung geweckt worden sein, dass, um ein ganz vollstän-
diges Krankheitsbild zu gewinnen , man ein gleiches Verfahren
bei Abfassung desselben einschlagen müsse? Ich kann es mir
wenigstens nicht anders denken, denn ausserdem hätte es keinen
besondern Werth, die physiologischen Wirkungen einer Arznei
auch noch von einer andern Seite, als der uns auffallendsten,
ins Auge zu fassen, wenn es nicht nöthig wäre, um Gewinn für
die Therapie zu ziehen, die Physiologie in Einklang mit der
Pathologie, und dadurch das so verrufene „Decken der Symptome"
wieder zu Ehren zu bringen. — Es liesse sich noch eine weit-
läufige Abhandlung über diesen Gegenstand niederschreiben,
wüsste ich nicht, dass der Raum dieser Blätter für mich ein be-
schränkter ist, den zu überschreiten mir mehr als ein Motiv ver-
bietet.

Aus dem so eben Besprochenen geht hervor, dass auf Spi-
nalirritation eine specielle Therapie nicht gegründet werden kann.
Viele hieher gehörende Krankheiten sind von mir schon im
ersten Bande und auch im zweiten dieser Therapie abgehandelt
worden; man sehe: Intermittentes, Arthritis, Rheumatismus, Pa-
ralyse, Prosopalgie u. s. w. , viele andere werden noch spä-
ter folgen. Doch will ich im Allgemeinen noch einige An-
deutungen geben, freilich mit der eigenen Ueberzeugung, dass
sie nicht zu viel praktischen Werth haben, und nur insofern viel-
leicht einigen Nutzen bringen, als sie den Arzt auf dieses oder
jenes Mittel hinweisen, mit dem er sich dann durch Nachschlagen
und Vergleichen näher vertraut zu machen sucht.

Zuerst also: Schmerz der Halswirbel. Gegen Drücken
in denselben: Guajac, Spanndruck auf denselben: Bismuthum;



Neuralgie des Rückenmarks. Neuralgia spinalis. 381

Knacken in denselben bei Schütteln des Kopfs: Stannum; Knacken
oder Knistern, auch Steifigkeit in denselben bei Bewegung:
Magnes arctic. ; Verrenkungsschmerz: Cinnabaris ; Wundheits-
schmerz der untersten: Conium. — Absetzende Stiche in den
Schlüsselbeinen: Sabina; Reissen in der Gegend derselben.
Lycopod.; Muskelzucken um dieselben: Asa. — Druck auf den
Schultern: Kali carb.; driickend-reissender , schnell im Arm
herunterfahrender Schmerz in denselben, besonders Nachts, durch
äussern Druck gemindert, durch Bewegung erregt: Belladonna;
reissendes Stechen in beiden Schultern: Asa; Reissen in densel-
ben, bei Steifigkeit und Schwerbeweglichkeit der Unterglieder:
Thermae Teplic; Reissen und Hineindrücken zwischen denselben:
Laurocerasus ; Kollern und Gluckern in denselben und in den
Schulterblättern, mit Frost über den ganzen Körper: Taraxacum;
rheumatisches Reissen in denselben : Rhododend. ; zwischen den-
selben , durch Kälte verschlimmert , durch Wärme gemindert :
Rhus; Stechen mit Brennen und Zerschlagenheitsschmerz zwi-
schen denselben: Magnesia muriat.; stechende Schmerzen in der
Schulter, bei Aufheben und Bewegen des Armes: Ledum; Zie-
hen, Spannen und Reissen von diesen über den Nacken und durch
den ganzen Arm: Manganum; Stumpfstechen zwischen denselben
herabziehend: Mezereum; Wundheitsgefühl zwischen denselben,
beim Gehen stechendes Spannen: Colocynth.; von der Schulter
bis in die Finger reissender klopfender Geschwürschmerz, auch
Verrenkungsschmerz mit Knacken: Thuja; Reissen und Brennen
in derselben mit Lähmung des Armes, besonders während der
kalten Jahreszeit, in der Ruhe und Bettwärme: Rhus. — Stoss-
und Wundheitsschmerz am untern Ende des Brustbeins: Cicuta;
Stiche an demselben: Angustura; drückendes Stechen auf dem-
selben und in den Brustseiten; Argilla; feines Stechen in dessen
Mitte, ohne Einfluss des Ein- und Ausathmens : Bismulhum;
drückendes Stechen auf demselben; Euphorbium; Druckschmerz
an demselben, durch Befühlen erhöht: Sassaparilla; juckende,
feine, scharfe Stiche oben an demselben, dicht unter dem Hals-
grübchen, die zum Kratzen nöthigen, hinter demselben wie wund
und unterschworen beim Husten: Staphysagr.; Druck- und
Klemmschmerz in der Gegend des Brustbeins, vorzüglich nach
Essen und Trinken: Veratrum; Reissen und Stechen in demsel-



382 Neuralgieen des Bauchnervensystems.

ben: Cyclamen; scharfe Stiche an demselben und neben der rech-
ten Brust: China; spannender Schmerz auf demselben: Acid.
muriat.; stumpfschneidender Stichschmerz neben demselben unter
der letzten wahren Rippe, auch wie von einem Pflocke unter
den ersten drei Rippenknorpeln: Aurum; Drücken im Brustbeine
und Seite: Cantharid. ; Zusammenkneipen unter demselben: Can-
nabis. — In den Rückenwirbeln äussert sich der Schmerz
ebenfalls auf verschiedene Art, z. B. Klammschmerz in denselben,
früh im Bette, im Liegen auf dem Rücken: Euphorbium; reis-
sendes Drücken an den untersten; Sabina; Schneiden in der Ver-
bindung des ersten mit den letzten Halswirbeln: Digitalis; drückende
Rückenschmerzen , wie von vielem Bücken oder von Verheben,
durch Bewegung vergehend: Acid. muriat.; reissend-drückende:
Aurum; rheumatische Zerschlagenheitsschmerzen in demselben,
bei Bücken und Aufrichten: Veratrum; brennend-reissende; Nux
etc. — Gegen Ziehen durch die Lendenwirbelb eine : Conium;
heftig reissender Schmerz in denselben, der sich von beiden
Seiten bis in die Nierengegend erstreckt, heftiger bei Bewegung
des Rumpfes: Stannum; Zerschlagenheitsschmerz in der Verbin-
dung des letzten mit dem Heiligenbein: Aconit; reissender Druck
in denselben bis vor in die Nähe der Schaufelbeine; es ist, als ob
die Wirbelbeine auseinander gebrochen würden, blos beim Vor-
und Rückwärtsbiegen : Chelidon. — Doch ich begnüge mich hier
mit dem Wenigen, wodurch ich dem Leser eine Andeutung ge-
geben zu haben glaube, wie bei derartigen Leiden verfahren wer-
den müsse, um das richtige Mittel zu fin%n. Auf ähnliche Art
sind gut eingerichtete Repertorien zu benutzen, worin Jeder sich
bei dergleichen Collectivnamen leicht Rath wird erholen können.

Neuralgieen des Bauchnervensystems.

§. 195.

Neuralgia coeliaca.

Verwechselt wurde die Krankheit früher mit Kolik und Car-
dialgie, bis Autenrieth die Diagnose derselben fester begrün-
dete und den Unterschied mit jenen hervorhob.



Neuralgia coeliaca. 383

Den eigentlichen Paroxysmen geht immer ein Stadium pro-
dromorum voraus, von einigen Minuten bis zu Stunden dauernd,
wo die Kranken sehr unruhig sind und eine Ahnung von dem
eintretenden Paroxysmus haben, der auf folgende Art sich ge-
staltet: Patient fühlt plötzlich gerade in der Magengrube unter
dem Processus ensiformis einen heftigen Schmerz, brennend, reis-
send, stechend, drückender Art, als läge eine glühende Kohle
da; oder als werde der Theil gewaltsam auseinander gerissen;
der Schmerz ist oft so penetrant, dass kräftige Personen fast wü-
thend werden, schwächere in Ohnmacht fallen. Hat der Schmerz
an dieser umschriebenen Stelle eine Zeitlang gedauert, von 5
Minuten bis zu Va Stunde, so verlässt er diese und strömt unter
dem Sternum aufwärts gegen den Hals als eine Flamme, oder
er theilt sich in zwei Ströme, die zu beiden Seiten der Wirbel-
säule, nach dem Laufe des Sympathicus, gegen den Hals auf-
steigen, oder er vertheilt sich plötzlich nach allen Richtungen,
vorzüglich aber nach den Hypochondrien, der Richtung des
Plexus lienalis und hepaticus folgend. Gegen Ende des Anfalls
steigen dem Kranken gewöhnlich Blähungen auf, oder er klagt
über Wasserzusammenlaufen im Munde; nach dem Anfalle selbst
fühlt Patient eine ungeheure Leere im Unterleibe und Mattigkeit
und Abgeschlagenheit im ganzen Körper; dabei ist die Zunge
rein und der Appetit und die Verdauung gut. — Selten treten
mehrere Anfälle des Tages ein, doch bei öfterer Wiederkehr des
Paroxysmus geht endlich fast kein Tag ohne Anfall vorüber. —
Im Frühjahr und Herbst sind die Anfälle am heftigsten; im Som-
mer und Winter weit leichter; ebenso ist es die Nacht und die
Morgenstunden, wo die Anfälle am meisten einzutreten pflegen.

Aetiologie: Häufiger findet sich die Krankheit bei Männern
als Frauen, wohl in dem Verhältnisse wie 3 zu 1. In den Pu-
bertätsjahren entwickelt sich die Krankheit schneller und häufi-
ger und ist am frequentesten in den SOger Jahren ; später wird
sie wieder seltner. Erbliche Unterleibsschwäche disponirt am
meisten zu dieser Krankheit, und Subjecte, die eine sitzende Le-
bensweise führen, sind ihr vorzüglich unterworfen; eben so fin-
det sie sich da, wo Hämorrhoidalaffection nicht zur vollen Ent-
wickelung sich gestaltet hat ; ferner nach unterdrückter Krätze
und misshandeltem Tripper u. s. w.



384 Neuralgieen des Bauchnervensystems.

Prognose ist bei homöopath. Behandlung fast nie ungün-
stig; nur da, wo durch die lange Dauer der Krankheit eine De-
generation des Magens herbeigeführt wurde, dürfte die Vorher-
sage schwankend sein.

§. 196.

Die homöopathische Behandlung anlangend, sind es
besonders zwei Mittel, die ich aus vielfacher Erfahrung als die
vorzüglichsten gegen diese Krankheit empfehlen kann; es sind:
Nux und Arsenic. Ausser diesen giebt es allerdings noch einige,
die ich ebenfalls angeben werde, die aber nur ausnahmsweise
sich hülfreich bewährten. Der Zudrang von Subjecten, die an
Magenkrampf litten, ist bei mir immer sehr gross gewesen, und
es passirten lange Zeit alle derartige Schmerzen, obschon ich sie
stets speciell aufzeichnete und jede Eigenthümlichkeit zur rich-
tigen Wahl der passenden Arzneien scharf auffasste, unter dem
Collectiv-Namen „Magenkrampf" bei mir, bis der Zufall einmal
es wollte, das bald hintereinander mehr Männer als Frauen sich
als Magenkrampf-Leidende ankündigten, während ich vorher unter
10 Kranken der Art höchstens ein männliches Subject zählte.
Die Menge war mir zu auffallend und das Naturspiel zu neu, als
dass ich nicht hätte dadurch aufmerksamer werden sollem ich
examinirte schärfer^ wenigstens mit mehr Aufmerksamkeit, als es
in der letztern Zeit ebenfalls hätte geschehen sollen, und fand
Specialitäten heraus , die bei einer eigentlichen Cardialgie sich
nicht vorfanden. Das Auffassen wurde%mir dadurch erleichtert
— nenne man es immerhin Glück, ich meine es auch — dass,
wie schon erwähnt, mehre Subjecte der Art bald aufeinander
folgten. Ich kannte den Unterschied, wusste aber, damals noch
unbekannt mit der neuern Nomenclatur, der Krankheit keinen
bezeichnenden Collectiv-Namen zu geben; mir galt diess gleich,
denn ich fand hei jedem einzelnen Falle die characteristischen
Symptome leicht auf, eben so die für die Magenkrampf- Abart
passenden Arzneien. Allein diess war für Andere, denen ich
Lehrer sein wollte, nicht hinreichend, und so musste ich denn
nothgedrungen einen bezeichnenden Namen für diese Krankheit
wählen, den Schönlein sehr treffend unter obiger Ueberschrift
schon gefunden hatte.



Neuralgia coeliaca. 385

Hier also Einiges über die beiden Mittel, die ich in dieser
Krankheitsform hülfreich gefunden habe. Sehr selten wird man
sich über einen Fehlgriff zu beklagen haben, wenn man bei der
Wahl dieser beiden Arzneien folgende Momente zur Indication
scharf mit ins Auge fasst.

Nux passt in dieser Krankheit weit häufiger für das männ-
liche Geschlecht; Ärsenic hingegen mehr für das weibliche;
nur da dürfte eine Ausnahme stattfinden, wenn das männliche Sub-
ject graciler Statur und sensibler Constitution wäre, mithin dem
weiblichen Körper sich sehr näherte. — Nux entspricht bekannt-
lich dem lebhaften, sanguinischen oder cholerischem Tempera-
mente, einem boshaften, tückischen Character, einer venösen, zu
Hämorrhoiden geneigten Constitution; sie würde demnach da,
wo Hämorrhoidalaffection nicht zur Entwickelung kam, und offen-
bar mit zur Bildung dieser Krankheit beitrug, nicht minder da,
wo die Heftigkeit des Schmerzes das Subject zur Wuth, zur
Raserei treibt, vollkommen indizirt sein; aber auch da, wo eine
sitzende Lebensweise bei geistigen Anstrengungen den Ausbruch
der Krankheit begünstigte, wird Nux heilsam wirken. — Anders
verhält es sich mit Arsen. Er passt vorzüglich, wenn die Krank-
heit bei melancholischen, doch auch nervösen Temperamenten
vorkommt, und die Heftigkeit des Schmerzes Ohnmacht herbei-
fülirt. — Nux wird immer den Vorrang behaupten, wenn der
Paroxysmus in den Morgenstunden einzutreten pflegt, nach dessen
Aufhören Pat. wieder in einen schweren, traumvollen Schlaf ver-
sinkt, aus dem er ermüdeter aufsteht, als er sich Abends nieder^
legte; auch wird Pat. im Paroxysmus selbst mehr Erleichterung
noch im Liegen empfinden, als durch Aufstehen und Umhergehen,
— Arsen, findet seinen Wirkungskreis dann , wenn die Anfälle
um Mitternacht auftreten, aus dem tiefsten Schlafe wecken und
durch Umhergehen einigermassen sich beschwichtigen lassen.
Der Brennschmerz entspricht mehr dem Arsen.; der reissende,
stechende, drückende der Nux, beide Arten sind aber mit Angst
verbunden und darum ist letztere selten ein entscheidendes Zei-
chen, wenn sie nicht einen hohen Grad erreicht, der dann für
Arsen, mit stimmt.

Weniger entscheidend sind die zu Ende des Krampfs und
nach völligem Verschwinden desselben auftretenden Erscheinun-



386 Neuralgieen des Bauchnervensystems.

gen; nach meinem Dafürhalten stimmen die gastrischen mehr
für Nux, die nervösen für Arsen., wenigstens habe ich diess zur
Norm für mich gemacht und mich bis jetzt nicht getäuscht. —
So hätte ich denn das Wesentlichste, oder vielmehr das vorzüg-
lichst Characteristische der beiden hier vor allen andern indi-
zirten Mittel hervorgehoben und glaube dem Leser es so anschau-
lich gemacht zu haben, dass er so leicht nicht in der Wahl sich
irren kann, -was ihm noch seltner widerfahren wird, wenn er
diess Gegebene nur als Andeutung benutzt und die Mittel selbst
im Original vergleicht.

Einige Fälle kamen mir vor, wo für beide genannten Mittel
gleich anfangs keine Indicätion da war, oder ich hatte sie falsch
gewählt und sie nutzlos angewendet. Zuweilen passte dann
Sabadilla, vorzüglich wenn der brennende Schmerz in der Herz-
grube, bald nach seinem Erscheinen auch in die Brust hinauf bis
zum Halsgrübchen strahlte, mit unerträglicher Athembeklemmung,
fast bis zum Ersticken, was Patient gleich nach dem Erwachen
überfiel; zuweilen war das Gefühl des Zusammenschnürens tief
im Schlünde damit verbunden; nach dem Anfalle stellte sich viel
leeres Aufstossen und das Leere-Gefühl im Unterleibe, nebst der
Mattigkeit durch den ganzen Körper ein, dass Patient sich über
die Empfindung beklagte, als hätte er die ganze Nacht auf Stücken
Holz gelegen.

Vielleicht — so raisonnirte ich für mich im Stillen — könnte
da , wo Nux mir zu passen schien , «nd doch nichts leistete,
Veratrum seine Stelle ersetzen; und da, wo ich Arsenic nutz-
los angewendet hatte, Phosphor hülfreich sich erweisen: und
nicht selten sah ich meine Vermuthungen bestätigt; sollte ich
aber die Gründe angeben, die mich zu diesem Verfahren trieben,
so wüsste ich keine. Und so geht es ja wohl dem Praktiker
oft, dass er sich von seinem Handeln nicht die gehörige Rechen-
schaft ablegen kann, es ist ein inneres Gefühl, was ihn dazu
treibt, von uns insgesammt „praktischer Takt" genannt.

Ein sehr zu beachtendes Mittel ist ferner Cicuta virosa, ganz
vorzüglich bei reizbaren, sensibeln, nervösen Subjecten, daher
insbesondere, wenn eine derartige Neuralgie bei Frauenzimmern
vorkommt, die überhaupt zu krampfhaften Beschwerden aller Art



Darmschmerzen, Bauchgrimmen, Kolik. Enteralgia, Enterodynia. 387

hinneigen ; der Schmerz in der Herzgrube ist gewöhnlich ein
brennend-stechend-klopfender, mit lautem Schlucksen.

Auch Bryonia, Conium und Sulplmr verdienen rühmlich er-
wähnt zu werden, letztere beiden namentlich dann, wenn man
nicht ohne Grund auf unterdrückte Hautausschläge zu schliessen
hat, wodurch die Krankheit hervorgerufen worden ist. — Viele
noch hieher passende Arzneien findet der Leser unter Cardialgie
abgehandelt, die er dann mit leichter Mühe einer Neuralgia coe-
liaca wird anzupassen verstehen.

§. 197.

Darmschmerzen, Bauchgrimmen, Kolik. Enteralgia, Ente-
rodynia, Colica, Dolores colici.

Kolik giebt sich kund durchpressende, zusammenschnürende,
schneidende, kneipende, reissende, wandernde oder fixe Schmer-
zen, die vorzüglich in der Nabelgegend oder längs des Verlaufs
des Colon ihren Sitz haben, und ihre neuralgische Natur dadurch
erweisen, dass sie abwechselnd nachlassen oder aufhören und
wiederkehren, und dass dabei der Unterleib nicht aufgetrieben,
heiss, oder gegen äussern Druck empfindlich ist. Bald dauern
die Schmerzen kürzere, bald längere Zeit an. Sie können so
heftig werden, dass Patient sich wie ein Wurm zusammenkrümmt,
sich in höchster Unruhe und Angst im Bette hin und her wirft,
sich auf dem Boden wälzt, dass selbst die Berührung des Bauchs
schmerzhaft wird, in welchem Falle man leicht verleitet werden
kann, den Schmerz für den Ausdruck heftiger Unterleibsentzün-
dung zu halten. Verstärkt man den Druck, so wird oft dadurch
der Kolikschmerz gelindert, statt vermehrt, was sich beim Ent-
zündungsschmerze nicht so verhält. Meistens hört nach einem
Kolikanfalle jede Empfindlichkeit des Unterleibs auf. — Syner-
gisch verbindet sich mit ihm Magen-, Blasen-, Uterinschmerz,
Schmerz in den Wadenmuskeln. — Durch motorischen Reflex
ziehen sich im Schmerzanfalle die Bauchmuskeln, Bauchdecken
krampfhaft nach dem Rückgrate zu ein. Die Contraction der
Därme verursacht oft hartnäckige Verstopfung; Reflex auf den
Magen Erbrechen, auf die Gallengänge Icterus; die Theilnahme
der Zwerchfellsnerven, der Nervi vagi erklärt die Beklemmung,



388 Darmschmerzen, Bauchgrimmen, Kolik.

Angst, das seufzende ungleiche Athraen, das Schluchzen u. s. w.
— Puls ist zusammengezogen, klein, die Extremitäten kalt, Ge-
sicht blass, und seine Züge tragen den Ausdruck des Schmerzes,
der Urin ist nach dem Anfalle wässrig, blassgelb ; zuweilen tre-
ten Ohnmächten, Convulsionen ein.

In Bezug auf Aetiologie im Allgemeinen kann jeder die
Nervenausbreitung der Darmschleimhaut treffende ungewöhnliche
Reiz excitirende Ursache der Kolik werden: Indigestion, kalter
Trunk bei erhitztem Körper, Genuss roher, vegetabilischer Sub-
stanzen, unreifer Früchte oder reifer Früchte im Uebermaasse,
unpassender Gebrauch von Brech- und Abführmitteln, von schar-
fen und metallischen Stoffen, Gifte, Reizung des Darms durch
fremde Körper, zurückgehaltene oder verhärtete Excremente,
Würmer, übermässig oder fehlerhaft abgesonderte Galle, Blähun-
gen, mechanische Zerrung des Darms durch Hernien oder andere
Lagenveränderung u. s. w. — Nach der Verschiedenheit dieser
Reize und der Entstehung der Kolik hat man eine rheumatische,
biliöse, gastrische, stercorale, verminöse, eine metastatische, artbri-
tische, hämorrhoidale, menstruale, flatulente, hysterische, hypo-
chondrische Abart der Kolik unterschieden.

Die Prognose ist bei homöopathischer Behandlung nicht
ungünstig.

Ich gehe nun zu Behandlung einzelner Formen über.

§. 198. *

Blähun^sko lik, Windkolik. Colica flatulenta.

Eine Blähungskolik beruht auf Ansammlung von Luft, und
entsteht bei Darmschwäche durch blähende, gährende Speisen u.
s. w., oder durch Erkältung, Einwirkung deprimirender Gemüths-
affecte, Zorn, Aerger, die einen spastischen Zustand des Darm-
kanals erzeugen, der den Abgang des bei dieser Art mehr sich
entwickelnden und ansammelnden Gases hindert. — Der Schmerz
ist ausdehnend, stechend, ziehend, schneidend und wird durch
Zusammenpressen des Bauches etwas gelindert. Oft wandert
er, mit Poltern in der Richtung der Därme, besonders des Grimm-
darms, wo er, den Bauch gleichsam umkreisend, oft den Magen



Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta. 389

mit affizirt, ja zuweilen auch die Brust. Der Unterleib ist un-
gleich an einzelnen Stellen etwas aufgetrieben, ohne Härte und
grosse Empfindlichkeit; manchmal irgendwo eine derbe elastische
schmerzhafte Geschwulst, die percutirt einen tympanitischen Ton
giebt. Die Wanderung und der Abgang der Blähungen schafft Erleich-
terung. Eben diese Erleichterung folgt auch bei Aufstossen und bei
Reiben des Unterleibes, welches letztere zugleich auch ein Unter-
scheidungszeichen von Darmentzündung ist. Zuweilen kommen
die Blähungen nur bis in die linke Hüftgegend , machen da ent-
setzlichen Schmerz, und gehen bald mit Geräusch zurück. Ist
die Kolik sehr heftig, so verbindet sich zuweilen Ischurie, krampf-
hafte Erection des Penis und Kälte der Extremitäten damit: der
Puls ist meist klein, aussetzend; zugleich Hartleibigkeit, Präcor-
dialangst, Würgen, — Diese Art Kolik ist häufig bei Säuglingen,
besonders solchen, die ohne Mutterbrust aufgezogen werden, bei
Hypochondristen, Hysterischen, überhaupt Personen, die eine
sitzende Lebensweise führen. Meist dauert eine solche Kolik
nur kurze Zeit und verschwindet schnell nach Abgang der Blähun-
gen; sie kehrt aber gern wieder und wird leicht habituell.

§. 199.

Wir kommen nun zur Behandlung dieser Krankheitsform,
und bemerken , dass auch hier eins der ersten Mittel die Nux
vomica ist, da sie selbst Schwerverdaulichkeit und Auftreibung
der regio epigastrica, mit Druck und Vollheit im Magen, beson-
ders nach der Mittagsmahlzeit, eine Neigung zur Flatulenz und
sogar eine Colica flatulenta zu erzeugen vermag, und folglich
auch eine Art Blähungskolik zu heilen im Stande sein muss.
Ausser diesen sind am schnellsten derartige mit ihr zu beseitigen,
die tief im Unterleibe ihren Sitz haben, und von der Empfindung
begleitet werden, als arbeite ein schneidendes oder stechendes
Werkzeug auf die Blase, den Blasenhals, den Anfang der Harn-
röhre, das Mittelfleisch, den Mastdarm und After, als ob an allen
diesen Orten schneidende Blähungen herausdringen wollten; bei
jedem Tritte sind die Schmerzen unerträglich , und Patient wird
dabei so zusammengezogen, dass er ganz krumm zu gehen
genöthiget ist, während in der Ruhe, beim Sitzen und Liegen,



390 Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta.

die Beschwerden schnell verschwinden. Häufig sind hiermit die
heftigsten Kopf- und Kreuzschmerzen verbunden.

Ein, in Bezug auf derartige Kolikschmerzen , der Nux sehr
verwandtes Mittel ist Menispermum Cocculus, namentlich da, wo
ein zusammenschnürender Schmerz im Unterbauche mit einem
Drängen und Pressen nach den Geschlechtstheilen und mit Wabb-
lichkeit sich verbindet; oder auch, wo, nach Abgang von Blä-
hungen ohne Erleichterung, immer neue sich erzeugen, die nicht
den ganzen Unterleib gleichmässig auftreiben, sondern sich nur
an einzelnen Orten stemmen, und da einen drückenden, reissen-
den und brennenden Schmerz zur Begleitung haben; zuweilen
aber auch treiben sie die ganze regio epigastrica auf, affiziren
zugleich den Magen, bringen Raffen und Klemmen in demselben
hervor, erzeugen consensuell Angstbeschwerden, Drücken in der
Unterrippengegend, welche Zufälle sich vermindern, wenn Auf-
stossen erfolgt, bei vermehrterem Aufstossen auch wohl ganz
verschwinden. Am häufigsten erscheint diese Art bald nach
Mitternacht.

Eine Art Blähungskolik, wie sie sich zuweilen nach Erkäl-
tung gestaltet, wird auch durch Chamom'dla beseitigt. Hat eine
solche Kolik folgende Eigentümlichkeiten, so kann man mit
Gewissheit auf die Heilkraft der Chamomilla rechnen; die schein-
baren Blähungen stemmen sich an verschiedenen Orten im Unter-
leibe, als ob sie an diesen Stellen durchbrechen wollten; zu-
gleich ist eine allgemeine Auftreibung i^den Hypochondern und
der Herzgrube, mit unbeschreiblicher Angst, Unruhe und klebri-
gem Schweisse damit verbunden. Treten derartige Krämpfe sehr
heftig ein, so begleitet sie wohl auch das Gefühl, als solle der
Kranke zu Stuhle gehen, was sich durch lautes Knurren und Kol-
lern ankündigt und nach einem kleinen schleimig-wässrigen Stuhl-
gange wieder verschwindet. — So gestalten sich oft bei kleinen
Kindern Arten von Blähungskolik, die leicht, schnell und sicher
durch Chamomilla zu beseitigen sind, wie ich schon im ersten
Theile unter der Rubrik „Diarrhöe" angegeben habe.

Ein unersetzliches Mittel in vielen Unterleibsschmerzen , die
durch Vorbeugen oder äussern Druck gelindert werden, oft so
geartet, dass die Windungen des Colon transversum prall wie
Würste hervortreten, ist Belladonna. Es ist diess nichts Anderes,



ßlähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta. 391

i
als ebenfalls eine partielle Blähungskolik, die häufig von einem
Kneipen und Zerren nach unten in dem affizirten Theile beglei-
tet wird, was um so empfindlicher wird, je länger der Kranke
aufzudauern sich bestrebt, und dann das Gefühl erzeugt, als wäre
die Geschwulst oben verschwunden, und hätte sich in den Unter-
leib herabgesenkt, mit einem Worte, als wären die Därme nicht
recht befestiget, und sollten herabfallen. Zuweilen verbinden
sich sogar mit so gestalteten Koliken eiterartige, durchfällige
Stuhlausleerungen , die wohl auf das Vorhandensein eines Ge-
schwürs in den Darmwindungen hindeuten, aber doch keine Con-
traindication für die Belladonna sind, vielleicht aber nach
Auswirkung der Bellad. eine Gabe Mercur erfordern , der über-
haupt häufig auf Belladonna passt, namentlich bei Unterleibs-
beschwerden.

Eben so hülfreich erweist sich die Belladonna auch in den
Arten von Colicodynia flatulenta, die den Kranken ohn-
machtartige Zufälle, kalte Seh weisse, oder auch heftigen Blutan-
drang nach dem Kopfe mit Gesichtsröthe und Auftreibung der
Adern erregen , und überhaupt wegen übermässiger Heftigkeit
der Schmerzen die leidenden Subjecte so weit bringen, dass sie
wie toll und wüthend sich geberden.

Der Blähungskolik gehört auch der Schmerz unterhalb des
Nabels mit an, der durch Packen und Greifen, wie mit Nägeln,
sich dokumentirt, der ebenfalls sehr characteristisch für Bellad.
ist, und nicht leicht durch ein anderes Mittel so schnell beseitigt
werden dürfte, vorzüglich wenn damit noch jener für dieses Mit-
tel geeignete Rücken- und Kreuzschmerz verbunden ist.

Eine Blähungskolik tief im Unterbauche, wobei die untersten
Därme wie zusammengeschnürt sind und die Blähungen sieh unter
drückenden und spannenden Schmerzen vergeblich herauszudrän-
gen suchen und selbst unter den kurzen Rippen Spannung und
Aengstlichkeit erzeugen — wird am schnellsten durch China
gehoben.

Bei hysterischen Personen stellen sich nicht selten derartige
Blähungskoliken ein, die sogar die Nacht aus dem Schlafe wecken,
oft mit Stichen nach den Seiten und der Brust herauf verbun-
den sind, sich zwar nach Blähungs-Abgang leicht mindern, aber
wegen unvollkommenen Abgangs derselben auch längere Zeit
II. 26



392 Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta.

anhalten. Am besten entspricht diesen Ignatia amara. Nicht
selten findet sich auch hierbei der, Hysterischen eigentümliche,
Kopfschmerz auf einer ganz kleinen Stelle des Kopfes ein; es ist
diess eine höchst schmerzhafte Empfindung, als würde ein stumpfer
Körper mit Kraft in das Gehirn eingedrückt.

Ein der Ignatia correspondirendes Mittel in dieser Hinsicht
ist Pulsatilla, nur mit dem Unterschiede, dass diese weniger da
indizirt ist, wo hysterische Zufälle sie zu erregen scheinen, als
vielmehr da, wo übermässige Nervenreizbarkeit die Veranlassung
dazu giebt, daher auch mehr beim weiblichen, als männlichen Ge-
schlechte anwendbar; ferner auch dann, wenn die drückenden
Kolikschmerzen immer periodisch in den Abendstunden, oder
nach Mitternacht zurückzukehren pflegen und die in der Ober-
bauchgegend hauptsächlich sich festsetzenden, Kneipen und Knub-
sen erregenden, Blähungen nur unter heftigem Leibschneiden,
und mit Uebelkeit, auch wohl Erbrechen fortgeschafft werden
können.

Zincum wird nicht ohne Grund in dieser Krankheitsform von
vielen homöopathischen Aerzten gerühmt; auch meine Erfahrun-
gen stimmen damit überein. Aufmerksam wurde ich immer, wenn
die anfänglichen blossen Blähungsbeschwerden, die später in
wahre drückende Kolikschmerzen ausarteten, durch den Genuss
eines Glases Wein sich verschlimmerten, oder gegeu Abend, in
der Ruhe, eintraten; gewöhnlich waren sie mit Stuhlverstopfung
verbunden, eben so auch mit lautem%Kollern und gährendem
Knurren und Einziehen des Bauches; heisse, zuweilen feuchte
Winde gehen, ohne Erleichterung, häufig ab.

Die Blähungskolik, der vor dem Anfalle Angst, Aussersich-
sein, fast bis zur Verzweiflung vorangehen, findet nicht selten in
Veratrum ihr Heilmittel, besonders wenn sie bald da, bald dort
in den Därmen wühlt, endlich den ganzen Bauch ergreift, und
wo der Abgang der Winde um so schwieriger erfolgt, je später
diese einen Ausweg finden; dabei ist der Leib aufgetrieben,
hart.

Diejenigen Arten von Blähungskolik, die tief im Unterleibe
ihren Sitz haben und meistens durch Liegen sich verschlimmern,
mit lautem, schmerzhaften Kollern in dem sehr aufgetriebenen
Unterleibe, weichen am schnellsten dem Phosphor.



Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta 303

Gegen drückende Blähungskolik, Abends im Bette, bei Auftrei-
bung des Bauches und Schmerz bei Berührung desselben, ist Hyos-
cyamus ein sehr geeignetes Mittel; eben so auch gegen eine
solche, die besonders früh nach dem Aufstehen eintritt und mit
meteoristischer Auftreibung des Leibes, Kollern in demselben,
kneipendem Herabdrücken im Unterbauche, Brecherlichkeit und
Zerschlagenheitsschmerz im Rücken verbunden ist.

Capsicum dürfte ebenfalls als ein Mittel gegen Blähungskolik
nicht zu übersehen sein, insbesondere dann, wenn Patient über
ein schmerzhaftes Spannen vom Bauche nach der Brust, wie von
Auftreibung, auch mit Drücken, besonders im Oberbauche und
ärger bei Bewegung, mit drückendem Spannen in der Lenden-
gegend klagt, und die harte Auftreibung des Bauches jede nur
einigermassen feste Bekleidung unerträglich macht.

Nächtliche Blähungskolik mit schmerzhaftem Drücken und
m angelndem Windeabgange findet in Anrum das zweckdien-
li chste Heilmittel; die Blähungen versetzen sich unter den linken
Rippen und erzeugen Stechen daselbst; man beobachtet derartige
Koliken oft nach den leichtesten und massigsten Genüssen —
der Kranke ist sich wenigstens keiner andern nachtheiligen Ein-
wirkungen bewusst.

Auch Asa foetida darf nicht bei der Wahl der Mittel gegen .
Blähungskolik vernachlässigt werden, besonders nicht, wenn eine
solche bei hysterischen und hypochondrischen oder solchen Sub-
jecten vorkommt, bei denen Anfüllung des Pfortadersystems und
Abdominalpulsation wahrzunehmen ist. Diese Arten sind gewöhn-
lich sehr schmerzhaft, die Bauchaufgetriebenheit bedeutend, eben
so das Poltern und Kollern im Leibe; gemindert wird sie durch
Windeabgang.

Ein ausgezeichnetes Mittel ist ferner Carbo veget. in Blähungs-
und Hämo rr ho idal -Koliken. Bei ersteren findet namentlich
die Eigenthümlichkeit statt, dass sie nach dem mindesten Genüsse
sich verschlimmern, oder, waren sie verschwunden, von Neuem
auftreten; sie documentiren sich durch ein kolikartiges Klemmen
und Drücken, wie wenn Blähungen sich angehäuft und versetzt
hätten, besonders im linken Oberbauche, unter den Rippen oder
in der Blasengegend. Häufig erzeugt sich diese Art durch Ver-

26*



394 Blähungskolik, Windkolik. Colica flatulenta.

kältung; Blähungsabgang erleichtert zwar etwas, macht aber die
Kolik selbst nie ganz verschwinden.

§. 200.

Diese Art Kolik ist es auch, bei welcher die Muskelkraft des
Bauchrings geschwächt erscheint, was sich durch das Gefühl zu
erkennen giebt, als sollten an dieser Stelle Gedärme hervortre-
ten, die den Kranken zu der Vermuthung Veranlassung geben,
als würde ein Bruch entstehen. Wo aber eine derartige Kolik
schon öfters in Verbindung mit diesem Symptome auftrat, da ist
diese Vermuthung auch gar nicht ungegründet. Diese Neigung und
diese Vorboten zur Entstehung einer Hernia inguinalis fin-
den wir sehr characteristisch bei einigen Mitteln, unter denen ich
namentlich Chamomilla, Nux, Cocculus, Veratrum, Magnes arc-
ticus, Capsicum, Aurum, Mezereum, Acidum sulphuricum, Sulphur,
Phosphor, Carbo animalis anführe, die ebenfalls auch in Blähungs-
kolik, wie ich im vorigen Paragraphen bereits gezeigt habe, an-
wendbar sind. Die begleitenden Nebensymptome entscheiden,
welches von ihnen das passendste für den individuellen Fall ist;
genauer kann ich die Mittel nicht bezeichnen, wo dieses oder
jenes das passendste ist oder sein muss, weil die Empfindung,
die die Entstehung eines Bruches andeutet, immer dieselbe ist
und Unterscheidungszeichen nicht darbietet; erbliche Anlage,
Constitution, Temperament, vorangegangene Krankheiten, krank-
hafte Disposition, Cachexien etc. sind in manchen Fällen bestim-
mende Momente für die Wahl der Mittel. — Unter ihnen empfiehlt
sich sehr häufig Acidum sulphuricum als eins der vorzüglichsten,
das gleichsam den Uebergang von den schon längst bekannten
zu den antipsorischen Arzneien macht, und diese Neigung zur
Entstehung eines Bruchs, unbezweifelt, auf einem innern, noch
nicht völlig entwickelten, Siechthum beruht, weshalb die zuerst
genannten Mittel, Acidum sulphuricum ausgenommen, wohl auch
blos nur Zwischenmittel abgeben, indem die radikale Heilung nur
der Anwendung der antipsorischen Arzneien gelingen kann; —
eine Ansicht, die ich jetzt, nach reiferer Erfahrung, nicht als
eine ganz richtige anerkennen kann, da sich von vielen früher
gekannten Arzneien, namentlich den Polychresten, eine tief ein-



Gastrische Kolik. Colica gastrica. 395

greifende Wirkung und Heilkraft in chronischen Krankheiten als
vollkommen bewährt gezeigt und constatirt hat. — Diese Wi-
derlegung stimmt auch mit meinen früheren Beobachtungen über-
ein, nach denen mir schon damals, namentlich durch Nux, Coc-
culus, Veralrum, Magnes, Chamomilla und Aurum eine dauernde
Heilung in ähnlichen Fällen zu bewirken, vor Bekanntmachung
der antipsorischen Arzneien, gelungen ist.

§. 201.

Gastrische Kolik Colica gastrica.

Hier liegen Darm-Unreinigkeiten zum Grunde, wozu Galle,
Schleim, unverdauete und verdorbene Speisereste, schädliche Ge-
nüsse, Würmer u. s. w. gehören. Das Grimmen ist gelinder
oder stärker, mit dem Gefühle von Spannung, Schwere, Voll-
sein; Rückenschmerzen, die sich in die Lenden, Schenkel, Kniee
verbreiten, Störung im Stuhlgang. Der Leib ist nicht heiss,
der Puls zwar öfters etwas gereizt, aber weder hart noch gespannt;
doch kann Fieber hinzukommen. Die Entfernung der fremden
Stoffe erleichtert.

Unter diese Rubrik gehören nun zuvörderst die Arten der
Gallenkolik, Colica biliosa, atrabilaris. Sie entstehen durch
örtlichen Reiz einer im Uebermaass abgesonderten, in den Magen
und Darmkanal ergossenen scharfen Galle, welche grösstentheils
im Oberbauche, Kolikschmerzen und meistens zugleich Erbrechen
verursacht, das uns durch die grün entleerten Stoffe zu der An-
nahme eines Uebermaasses von Galle berechtigt, obschon diess
eben so gut andere degenerirte Stoffe sein können, deren Meta-
morphose im Innern des Organismus uns nicht völlig erklärbar
ist. Wir Gnden diese Art Kolik sporadisch, vorzüglich durch
heftige Gemüthsaffecte, Zorn, Aerger, herbeigeführt; häufiger
sehen wir sie endemisch in heissen südlichen Gegenden, in wel-
chen febris biliosa und Hepatitis einheimisch sind; oft, wie auch
zuweilen bei uns, finden wir sie epidemisch in heissen Sommern
mit kühlen Nächten, wo sie gleichzeitig mit Gallenfiebern und Gal-
lenruhren und andern biliösen Zuständen herrschen, sich mit diesen
häufig verbinden, und fast immer durch Erkältungen, Indigestion, Be-
rauschung in den Abendstunden und während der Nachtzeit ent-
stehen. Eine Gallenkolik tritt nicht immer plötzlich ein, manchmal



396 Gastrische Kolik. Colica gastrica.

gehen ihr biliöse Erscheinungen voran, als Mangel an Appetit,
überaus bitterer Geschmack, gelblich -schleimig belegte Zunge,
Spannen in den Präcordieu. Kommen die Kolikschmerzen hinzu,
so sind sie meistens heftig, lebhaft, schneidend und zusammen-
ziehend, häufig von der rechten Seite ausgehend, und daselbst
am heftigsten; dabei grosse innere Hitze, Durst und Unruhe des
Kranken. Bisweilen erfolgt ein wiederkehrendes Erbrechen
einer reichlichen, grasgrünen Galle, bisweilen auch gallige Stuhl-
ausleerungen (Cholera), wodurch der Kranke sich erleichtert
fühlt. Wird die Krankheit heftiger, so geht sie leicht in Hepa-
titis und Enteritis über, oder hinterlässt doch eine grosse Reiz-
barkeit des Darmkanals und der Leber, die zu neuen Koliken und
Gelbsucht disponirt.

§. 202.

Bei der Behandlung einer Gallenkolik hat der Arzt jeder-
zeit nöthig, nach dem Causal-Momente sich zu erkundigen und
dieses, im Fall es vorhanden ist, zu entfernen, oder doch un-
schädlich zu machen. Bei einer sporadischen Gallenkolik z. B.,
die einem heftigen Zornausbruche oder Aerger ihr Entstehen
verdankte, würde der Homöopath zuerst Chamomilla anwenden
müssen, weil diese die Eigentümlichkeit besitzt, Aerger mit
allen seinem beschwerlichen und kränklichen Gefolge schnell zu
beschwichtigen. Hätte aber der Arzt aus Uebereilung vergessen,
die Ursache zu erforschen, oder wäre ihm selbige mitzutheilen
vom Patienten hartnäckig verweigert wo^en , so sagen ihm die
schmerzhafte Aufgetriebenheit und Spannung in der Unterrippen-
gegend, vornehmlich im rechten Hypochondrium, von wo aus sich
kolikartige Schmerzen nach dem Nabel zu verbreiten, die zu-
gleich den Magen consensuell affiziren, in demselben ein Drücken
und Raffen erzeugen, das wiederum zu Uebelkeit und Galler-
brechen Veranlassung giebt, eine schleimig-gelblich belegte Zunge
und einen gallenbittern Geschmack hinterlässt, — dass Chamo-
milla das passendste Heilmittel sein wird.

Erfolgte der Aerger unmittelbar nach einer reichlich gehal-
tenen Mahlzeit, oder auch während derselben, oder liess man
naeh gehabter Alteration längere Zeit verstreichen, ehe man Cha-
momilla anwendete, so hatte die Krankheit mehr Zeit sich besser



Gastrische Kolik. Colica gastrica. 397

zu entwickeln und auszubilden und man wird daher, besonders
wenn der Kranke eine kräftige, plethorische Körperconstitution
hat, auch wohl eine sehr nahrhafte, reizende Diät zu führen ge-
wohnt ist, Nux immer vorzüglicher als Chamomüla finden.

Dort aber, wo Patient seinen Aerger über etwas nicht durch
Worte zu erleichtern vermochte, sondern mehr in sich verschluss,
ist Ignatia passender; während Pulsatilla in solchen Fällen kräf-
tiger einwirken wird, wo Chamomüla die durch häufigen Aerger
schon öfters erzeugte Krankheit zwar immer beseitigte, aber zu-
letzt nicht hülfreich genug sich mehr erwiess. Man sehe, was
ich Bd. I. unter Gastroataxie, S. 139 u. f. gesagt habe.

Alle dort aufgezeichneten Mittel, als, ausser den hier schon
genannten, noch Ipecac, Bryon., Veratrum, Arsenicum, Dulca-
mara, Sulphur, sind auch für diese Art Kolik indizirt, sie mag
nun als sporadische, endemische oder epidemische Krankheit
auftreten.

Auf Veralrum will ich hier noch besonders hinweisen, da
es sich mir schon öfters bewährt gezeigt hat in Fällen, die ich
für analog hielt mit der von Hahne mann selbst mitgeth eilten
plötzlich geheilten Kolikodynie (s. Hufelands Journal Bd. III.
Heft 3. Jahrgang 1797.) Die Symptome waren mehr oder we-
niger denen ähnlich, wie sie Hahnemann a. a. 0. niedergeschrie-
ben hat: Patient fühlte 4 oder 5 Stunden nach dem Genüsse von
Obst, insbesondere von Birnen, eine gewisse Bewegung über
dem Nabel (schon seit 1 Jahre hatte Patient nach einem Kolik-
anfalle eine dumpfe, unangenehme Empfindung im linken Hypo-
chondrium behalten); plötzlich entstand dann, immer auf einer
Stelle, ein Kneipen wie von einer Zange, aber mit den unerträg-
lichsten Schmerzen, welches etwa eine halbe oder ganze Minute
anhielt, aber auf ein jedesmal entstehendes Kollern bis in die
Weiche, etwa bis zum Intestinum coecum herab, plötzlich ver-
schwand. Verstärkte sich die Krankheit, so erschien das Knei-
pen und nachfolgende Kollern immer öfterer, bis es im schlimm-
sten Falle fast ununterbrochen anhielt. Hierbei entstand das
Gefühl innerer Zuschnürung von oben und unten, so dass weder
eine Blähung von oben noch unten abgehen konnte. Die Angst
und die Schmerzen nahmen von Stunde zu Stunde zu, der Leib
schwoll auf und ward auch von Aussen empfindlich schmerzhaft.



398 Gastrische Kolik. Colica gastrica.

Unter aller dieser Angst, die einem Fieber glich, kam öfterer
Reiz zum Erbrechen , weiterhin verengte sich die Brust , das
Athemholen wurde kürzer und immer schwieriger, es brach kal-
ter Schweiss aus und eine Art von Betäubung mit gänzlicher Er-
mattung. In diesem Zustande war er nicht vermögend, etwas
Flüssiges, viel weniger etwas Trocknes nieder zu schlingen.
In dieser Betäubung lag er mit aufgetriebenem Gesichte und her-
vorgedrängten Augen, ohne Schlaf mehrere Stunden, der Anfall
liess an Heftigkeit der Schmerzen allmälig nach, es trat Blähungs-
abgang von oben und unten ein und so verging das Leiden, oft
erst nach 16 bis 24 Stunden. Die Kräfte erhielt Patient erst
nach 3 bis 4 Tagen wieder, nur blieb jener fixe, taube Schmerz,
allgemeine Schwächlichkeit und ein sieches Ansehen zurück. —
Die Dosis Veratrum, die Hahnemann in jener Zeit gegen diese
Krankheit anwendete, trägt nichts zur Sache bei, wissen wir doch,
dass er dieses Mittel darum gegen diese Krankheit gab, weil es
möglichst ähnliche Krankheitszufälle im gesunden Körper hervor-
zurufen im Stande war.

Das Hauptmittel aber in dieser Krankheitsform, das auch der
Blähungskolik in gewissen Fällen zu entsprechen scheint und
noch sicherer als Chamomilla die durch einen heftigen Aerger
herbeigeführte Gallenkolik hebt, ist unstreitig Colocynthis. Ich
gab die Coloquinten mit Nutzen in einer Art Kolik von plötz-
lich entstehenden Blähungen, die schmerzhaft sich abstossen und
keinen Ausgang nehmen, die stets Nachts 12 Uhr eintrat. — Sie
passen für die eingewurzeltsten und hartnäckigsten Fälle, und
stehen daher in dieser Hinsicht keinem Antipsorikum nach, sind
sogar das vorzüglichste Heilmittel in diesem Krankheits - Genre
und verdienen mit Recht den antipsorischen Arzneien beigezählt
zu werden, da die Koliken, wie Hofrath Hahnemann selbst be-
merkt *), von innerer Psora zu entstehen pflegen. Vorzüglich
anwendbar wird man die Coloquinten finden, wo die heftigsten
Leibschmerzen ununterbrochen anhalten, zuweilen wohl remitti-
ren, nie aber ganz nachlassen, und die Eigentümlichkeit besitzen,
dass sie nach ihrem völligen Verschwinden — was nach kürze-
rer oder längerer Dauer erfolgen kann — einen Zerschlagen-



*) S. dessen chronische Krankheiten, Theil I. S. 107. 108,



Gastrische Kolik. Colica gastrica. 399

heitsschmerz im ganzen Unterleibe zurücklassen, der bei jedem
leisen Tritte die Empfindung- erzeugt, als hingen die Eingeweide
alle an leicht zerreissbaren Fäden, wesshalb dem Kranken nur
langsam und bedächtig zu gehen erlaubt ist. Dieser Zustand
hält oft noch lange nach Aufhören der Kolik an. Aber auch da
sind die Coloquinten indizirt, wo der Schmerz in der Nabelge-
gend auf einer einzigen kleinen Stelle am heftigsten ist, nur pe-
riodisch, vielleicht alle 10 Minuten, oder Viertelstunden, oder
noch seltner erscheint , jederzeit mit einem leisen Ziehen von
den Seiten nach dem Mittelpunkte zu anfängt, das sich allmälig
immer mehr verstärkt, zu einem Klemmen, Pressen , Wühlen,
Reissen und Raffen und so übermässig heftig wird, dass der
Kranke laut aufschreit, in das, was ihm am nächsten ist, beisst
und sich vor ungeheurer Angst und Schmerz, die ihm Schweiss
austreiben, nicht zu lassen weiss, und sich wie ein Wurm krümmt.
Auch bei dieser Art bleibt jene angegebene Eigentümlichkeit
nach Aufhören der Anfälle zurück, wie ich leider! aus eigner
Erfahrung bestätigen kann.

Unter diese Rubrik gehören auch die Arten von Wurmko-
lik — mit ihr sind andere Erscheinungen der Wurmkrankheit
verbunden; die Schmerzen sind hier sehr wandelbar, machen
lange Intermissionen, sind oft bei nüchternem Magen am heftig-
sten, lassen sich oft durch Zuckerwasser, Milch beschwichtigen,
dagegen durch gesalzene Speisen hervorrufen; die Schmerzen
sind hier nagend, bohrend, kriechend, Patient fühlt etwas Leben-
diges im Leibe sich von einer Stelle zur andern bewegen ; —
Schleimkolik, — sie ist aus den Symptomen eines Status
pituitosus und denen der Kolik zusammengesetzt; die Schmerzen
sind hier mehr drückend, bohrend und diese Art mehr als eine
andere mit Flatulenz verbunden; — die von Kothverhär-
tung — alte Leute, Hypochondristen, Individuen mit alten Her-
nien behaftet, Schwangere sind ihr besonders unterworfen.
Durch Palpation erkennt man gewöhnlich die verschiebbaren
Kothknollen — u. s. w. Sie erfordern keine andere Behand-
lung, als die in den letzten, und im ersten Bande diesen Zustän-
den entsprechenden Paragraphen angegebene, und der denkende
homöopathische Arzt wird leicht das passende Mittel dagegen zu
finden im Stande sein.



400 Bleikolik, Malerkolik, Hüttenkatze.

§. 203.

Bleikolik, Malerkolik, Hüttenkatze. Colica saturnina, picto-
rum, Rhachialgia metallica.

Diese Art Kolik entsteht überhaupt durch metallische oxydi-
rende Substanzen, am häufigsten jedoch durch Blei, welches auf
verschiedene Art und unter verschiedener Gestalt in den Körper
gelangt, den Speisen und Getränken, namentlich dem Weine bei-
gemischt, oder als Arzneimittel, besonders bei unvorsichtiger,
innerer Anwendung des essigsauren Bleies, oder durch Einath-
men metallischer Dämpfe, der Blei- und Quecksilber -Dämpfe bei
Bergleuten, Hüttenarbeitern, Töpfern, Malern, Zinn- und Schrift-
giessern, oder durch den Gebrauch bleierner, schlecht glasurter
Geschirre. Sie zeichnet sich besonders durch einen ausseror-
dentlich hohen Grad krampfhafter Contraction der Bauchmuskeln
und dadurch Einwärtsgezogensein des Leibes, häufig sympathi-
sches Erbrechen, Strangurie, langsamen, harten Puls, hartnäckige
Stuhlverstopfung und trockne Beschaffenheit der Fäces aus.

Die Kolikschmerzen sind anfangs dumpf, intermittirend , bei
Zunahme der Krankheit werden sie drehend, zusammenschnürend,
bohrend, concentriren sich in der Herzgrube und Nabelgegend,
und strahlen von da nach der Brust, dem Rücken, den Hüften, in
die Arme und Füsse aus ; endlich fliessen die Paroxysmen in ein-
ander und der Schmerz wird anhaltend und erreicht oft eine solche
Heftigkeit, dass die Kranken durch ängstliches Umherwerfen,
Krümmen und Winden, Schreien und Stqjjnen ihre Qual zu mil-
dern suchen ; zuweilen gewährt das Zusammendrücken des Unter-
leibs Nachlass der Schmerzen. Die Bauchmuskeln sind oft so
susammengezogen, dass der Unterleib sich ganz gespannt und
hart anfühlt, nach innen gegen das Rückgrat zu eingezogen ist und
man letzteres durch die Bauchdecken hindurch fühlen kann. Der
Stuhl ist hartnäckig verstopft, oft erfolgt erst in 8 bis 14 Tagen
eine spärliche, mit unsäglicher Anstrengung zu bewirkende Aus-
leerung, aus bröcklichen, harten, dem Schaaf- oder Ziegenmiste
ähnlich geballten Fäcesknollen.

Reflex-Symptome sind: Appetitlosigkeit, Uebelkeit, Würgen,
Erbrechen einer grünspanartigen oder dunkeln bittern Materie;
Strangurie oder Ischurie; Ein- und Zusammengezogenheit des



Colica satumina, pictorum, Rhachialgia metallica. 401

Mastdarm-Schliessmuskels; die Hoden werden krampfhaft gegen
den Bauchring angezogen; Athmen ängstlich und beklommen bis
zu asthmatischen Erscheinungen, besonders während der Kolik-
anfälle , die Stimme hohl und klanglos, bisweilen Schluchzen zu-
gegen.

Andere Erscheinungen der Bleikrankheit, die häufig im
Verlaufe der Bleikolik beobachtet werden, sind: reissende Glie-
derschmerzen, zuweilen mit dem Kolikschmerze wechselnd, beson-
ders Nachts ; diese Schmerzen arten bei längerer Dauer in Schwäche,
Zittern und Paralyse aus; diese letztere hat die Eigenthümlichkeit,
dass die Extensoren gelähmt werden und die Flexoren das Ueber-
gewicht behalten, was namentlich an den Händen sehr auffallend
bemerkbar ist, die dann nach einwärts gegen den Vorderarm ge-
bogen sind, oft hält dabei der Schmerz in den Gliedern an. An-
dere Nervenzufälle sind: epileptische Krämpfe, Amaurose, Deli-
rien, Apoplexie. — Bei dieser Bleikrankheit magern die Kranken
auffallend schnell ab, ihre Haut wird trocken, spröde, gelblich.

Die Anfälle einer Bleikolik haben durchschnittlich eine Dauer
von 8 bis 14 Tagen. Bei homöopathischer Behandlung werden
sie sehr bald beseitigt, doch sind Recidive auch bei diesem Heil-
verfahren unvermeidlich, weil die Ursache der Krankheit, z. B.
bei mit Blei beschäftigten Individuen nicht gründlich entfernt
werden kann. Mit jeder Wiederholung der Anfälle lässt die Blei-
vergiftung bleibende Spuren zurück; die Verstopfung wird habi-
tuell, Patient behält eine blassgelbe Gesichtsfarbe, bleibt abge-
magert, schwach, wird paralytisch, wassersüchtig. — Ausgang in
Enteritis und Ileus ist nicht sehr häufig.

§. 204.

Ist eine Krankheit mit zu den feststehenden, sich immer
gleichbleibenden, immer unter derselben Form wieder erscheinen-
den zu zählen, so ist es unstreitig die Bleikolik. Wir nehmen
unter dem im vorigen Paragraphen aufgezeichneten Krankheits-
bilde zwei Formen wahr, nämlich eine akute und eine chroni-
sche. Letztere ist mehr eine langsame Vergiftung durch Blei
zu nennen, die nicht so schnell als die erstere zu beseitigen
sein dürfte, da bei jener die Vergiftungs -Substanz zwar langsa-



402 Bleikolik, Malerkolik, Hüttenkatze.

mer, aber desto intensiver den Gesammt-Organismus durchdrang,
und ihn in allen seinen einzelnen Organen zu affiziren vermochte,
während bei der akuten Form die Vergiftung nur den Unterleib
betraf.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #15 on: April 30, 2013, 09:39:50 PM »

Opium ist unstreitig in dieser Krankheitsform das unschätz-
barste Heilmittel, mit einem Worte das Spezifikum, das selbst
die Allöopathie als solches anerkennt, selbiges aber selten
allein, sondern immer in Verbindung mit Oleosis verordnet, um
dadurch seine den Stuhlgang anhaltende Wirkung zu verhindern.
Die Erklärungsart der Homöopathie, warum Opium die Kolik-
schmerzen, von Blei erzeugt, zu heben vermag, klingt anders,
denn gerade auf seiner Leib verstopfenden Wirkung beruht auch
seine Heilkraft in dieser Krankheit, nach dem Grundsatze; s im i-
lia similibus. Hahnemann sagt: der Mohnsaft hebt die
Kolikschmerzen von Blei dadurch, dass er durch seine Leib ver-
stopfende Erstwirkung die von demselben veranlasste Leibver-
stopfung homöopathisch heilt. Derselbe steht, einer langen
Reihe von Erfahrungen zufolge, als eines der kräftigsten Gegen-
mittel gegen dieses Metall da, und es bedarf neben seinem Ge-
brauche weder der gleichzeitigen Anwendung des Alauns, noch
der Purgirmittel, noch des Hyoscyamus u. a., die von den allöo-
pathischen Aerzten noch nebenbei verordnet werden. Geht man
die Opium- Wirkungen auf den gesunden menschlichen Körper
genau durch, stellt man diese mit jenen unter der Bleikolik
aufgezeichneten Symptomen in Vergleich, so wird man bald
eine sehr grosse Aehnlichkeit unter ei^nder finden, und sich
die Heilkraft des Opium in dieser Krankheit ohne Schwierigkeit
erklären können.

Ohne eigene Erfahrung darüber zu haben, muss ich mich
auf die des verstorbenen Dr. Franz beziehen, der in einigen
Fällen der Bleikolik Piatina noch vorzüglicher wirkend als
Opium gefunden hat. Die Erstwirkungen dieses Mittels sprechen
allerdings für seine Heilkräftigkeit in der genannten Krankheit,
und fernere Erfahrungen werden diese Behauptung bestätigen.
Auch scheint Piatina nicht unwirksam in Blähungskoliken zu sein.

Nach Hebung der heftigsten Zufälle in Bleikolik bleiben
dem Arzte oft noch viele Beschwerden zu beseitigen übrig; ich
erinnere nur an die zurückbleibenden paralytischen Zufälle, die



Kupferkolik. Colica aeruginalis. 403

namentlich auch bei der mehr chronischen Form am hervorste-
chendsten sind. Bei einer mit diesen noch oft vorkommenden
Stuhlverhaltung, Brustkrämpfen, verhinderter Sehkraft wird man
oft Stramonium mit ausgezeichnetem Nutzen anwenden, wiewohl
auch Belladonna, vorzüglich bei vorherrschender Amaurose und
Taubheit, den Vorrang vor jenem verdient und vielleicht Hyos-
cyamus zur Nachhülfe erfordert. In manchen Fällen wird man
auch zu kleinen elektrischen Schlägen seine Zuflucht nehmen
müssen.

Ein später, in der Nachbehandlung noch erforderliches Mit-
tel, ist, ausser mehren anderen, unstreitig Alumina in nicht zu
niedriger Potenzirung.

§. 205.

Kupferkolik. Colica aeruginalis.

Arbeiter, die Kupfer handhaben, wie Kupferdreher, Kupfer-
drucker, Kupferschmiede, oder Personen, welche Speisen gemes-
sen, die in schlecht verzinnten kupfernen Geräthschaften aufbe-
wahrt worden waren, werden von einer eigentümlichen Art
Kolik befallen , die von der Bleikolik (wie sehr begreiflich) in
vielfacher Beziehung sich unterscheidet.

Diese Art Kolik scheint mehr einen entzündlichen Character
an sich zu tragen; der Unterleib ist sehr aufgetrieben, hart und
äusserst schmerzhaft bei Berührung; die Krampfanfälle, auch
wohl mit Schneiden und Reissen in den Gedärmen gepaart, sind
sehr heftig und arten bis zu Krämpfen der Ober- und Unterglie-
der, mit durchdringendem Geschrei aus; dabei ängstlich drücken-
des Gefühl in der Herzgrube, krampfhafte Zusammenschnürung
der Brust, weiss schleimig belegte Zunge, mit rother Spitze und
rothen Rändern; erschwertes Sprechen; statt der die Bleikolik
characterisirenden Stuhlverstopfung, findet hier Durchfall statt,
wodurch zuweilen mit Tenesmus, dünner grüner, oder auch blu-
tiger Schleim entleert wird; Urinexcretion ist häufig ganz unter-
drückt. Consensuell findet sich oft sehr gewaltsames Erbrechen.

§. 206.

Behandlung dieser Kolik. So viel Aehnlichkeit diese
Krankheit auch in mancher Beziehung mit Cholera - Zufällen zu



404 Kupferkolik. Colica aeruginalis.

haben scheint; so ist sie doch in therapeutischer Hinsicht dieser
letzteren keineswegs gleich zu stellen, wenn schon einige der
dort angegebenen Arzneien auch hier ihre Anwendung finden
können. Hier gilt mehr ein antidotarisches Verfahren gegen
eine Intoxication, deren Wirkungen sich in einer bestimmten
Sphäre des Organismus fixirt haben. — Bei einem lebhaften
erethischen Zustande, mit Vorkommen der im vorigen Paragra-
phen angegebenen Erscheinungen, ist kein Mittel anfangs besser
indizirt, als Belladonna, unter deren Symptomen wir jene ausser-
ordentliche Aufgetriebenheit, Härte und Empfindlichkeit, jenes
krampfhafte Zwängen und jenes kolikartige Zusammenraffen, be-
sonders in der Nabelgegend, jene eigengearteten Stuhlgänge mit
Brechreiz, jene erschwerte, stammelnde Sprache etc. wieder-
finden.

Ihr correspondirend dürfte Mercur gefunden werden, doch
nur erst nach Beseitigung des sehr erethischen Zustandes durch
Belladonna — also besonders erst dann anwendbar, wenn ein
gastrischer Zustand als Primärleiden mehr hervortritt, die Krank-
heit mehr auf den unterem Theile des Darmkanals sich isolirt
und die Reflexaction nach oben ganz verschwunden ist.

Eben so verhält es sich mit Ipecacuanha und Veratrum,
die beide auch in einer Kupferkolik anwendbar sein können,
wenn sonst das Krankheitsbild in. Einklang mit den Symptomen
beider Mittel zu bringen ist; ich übergehe die hieher gehörende
Aufzeichnung derselben, da ich ihrer scfcon mehrmals in dieser
Krankheitsgattung Erwähnung gethan habe.

Auch Nux spielt hier eine nicht unbedeutende Rolle; sie
steht dem Mercur noch näher, als die beiden letztgenannten
Arzneien, ja sie überflügelt ihn in sofern, als sie auch dann
noch anwendbar ist, wenn die Reflexaction nach den oberen
Theilen des Körpers noch in voller Stärke besteht.

China, Hepar sulphuris, Cocculus, Calcarea carbonica sind
Mittel, die — das eine oder das andere wenigstens — wohl
auch gegen dergleichen Kolikschmerzen in Gebrauch gezogen
werden können, weit öfter jedoch, nach theilweiser Beseitigung
derselben, Anwendung finden gegen die etwa noch rückbleiben-
den Kupferwirkungen.



Blutkolik, Hämorrhoidalkolik. Colica sanguinea etc. 405



§. 207.

Blutkolik, Hämorrhoidalkolik. Colica sanguinea, plethorica,
haemorrhoidalis.

Sie gehört unter die Arten von Kolik, die von metastati-
schen Ursachen abhängig sind. Stockung und Andrang des
Blutes im Unterleibe sind ihre Erregungsursache. Gewöhnlich
sind es Hämorrhoidal- oder Menstrualbeschwerden, entweder
Vorboten, oder Folgen des Wegbleibens. Die Zufälle sind ver-
schieden und pflegen periodisch, gern bei zunehmendem Monde,
zurückzukehren. Fieber finden wir nur bei der grössten Hef-
tigkeit. Die hier vorkommenden Leibschmerzen sind, bei Nei-
gung zum Entzündlichen, äusserst heftig, anhaltend, fix, stechend,
schneidend, drückend, bei Berührung zunehmend; ist mehr Krampf
zugegen, so kommen die Schmerzen oft stossweise, wehenartig,
und der Leib ist dabei bald ausgedehnt und empfindlich, bald
krampfhaft zusammengezogen; bei einem Zustande der Läh-
mung findet oft ein Gefühl von Kälte durch den Unterleib statt.
Ausser diesen kolikähnlichen Empfindungen zeigen sich noch
ziehende, spannende, stechende Kreuz-, Rücken- und Lenden-
schmerzen, plötzlich quer durch's Becken schiessend, oder in die
Schenkel ziehend ; allerlei Congestionen und Krämpfe, als: Blasen*,
Magen-, Mutterkrämpfe, Drängen nach dem Mastdarme, Brustbe-
schwerden, Kopfweh, Ohrensausen, Schwindel, Ohnmächten,
Herzklopfen, Beängstigung u. s. w. Diess repetirt oft mehre
Monate hindurch, bis der Durchbruch des Blutes erfolgt; mit je-
dem neuen Anfalle werden die Zufälle gelinder, am stärksten
sind sie beim ersten Druchbruche. Wo es hingegen zu diesem
letzteren nicht kommt, da steigen die Zufälle immer mehr, oft bis
zur äussersten Heftigkeit.

§. 208.

Homöopathische Behandlung einer Hämorrhoidalko-
lik. Nux hat mehre Symptome einer Colica haemorrhoi-
dalis und überhaupt einer Colica sanguinea aufzuweisen,
und darum erweist sie sich auch oft als Heilmittel in den man-



406 Blutkolik, Hämorrhoidalkolik. Colica sanguinea etc.

cherlei Formen, wie die Erfahrung hinlänglich bestätigt hat.
Wie schon im vorigen Paragraphen erinnert wurde, ist in solchen
Hämorrhoidalkoliken auch die Harnblase mehr oder weniger mit
ergriffen, wodurch die Krankheit äusserst empfindlich und schmerz-
haft wird. Die äusseren Geschlechtstheile und Blasengegend
werden krampfhaft nach innen gezogen, die Empfindlichkeit des
Unterleibes wird bei längerer Dauer immer grösser, was auf die
Entstehung eines inflammatorischen Zustandes der ergriffenen
Theile schliessen lässt; zugleich ist ein immerwährender Drang
zum Urinlassen damit verbunden, den aber der Kranke nicht
befriedigen kann (Ischurie) • Angst und Unruhe sind gewöhnliche
Begleiter, die bei längerer Andauer der Krankheit immer mehr
zunehmen, und ein sicheres Zeichen der zu hoch gesteigerten
Nervenreizbarkeit sind, deren unausbleibliche Folge, bei nicht
bald eintretender Besserung, ein schnelles Sinken der Lebenskräfte
ist, besonders im höheren Alter. — Dieser Zustand ist, bei ge-
nauer Berücksichtigung der Constitution und des Temperaments
des Kranken, sehr oft für Nux geeignet, und wird meistens durch
kleine Gaben dieser Arznei häufig in wenigen Stunden vollkom-
men geheilt.

Hat die Krankheit aber schon so weit zugenommen, dass die
Lebenskraft gebrochen ist, und bei immer fortdauernden Schmer-
zen die Schwäche fast von Minute zu Minute grösser wird, dann
reicht dieses Mittel nicht mehr aus, sondern Arsenicum tritt an
seine Stelle, wenn Hülfe überhaupt nicjy, schon zu spät kommt.

Diese Art Kolik ist es , welche die Allöopathen nicht ohne
Aderlass heilen zu können glauben, was nach den Grundsätzen
der älteren Schule allerdings auch ganz richtig ist, wenn nur
der Aderlass zeitig genug instituirt wird, wo er alsdann wenig-
stens, obgleich keine Heilung, doch eine momentane Erleichte-
rung verschafft. Wird er aber später angewendet, was der ge-
wöhnlichste Fall ist, weil in dem späteren Zeiträume der Krankheit
auch der inflammatorische (secundäre) Zustand deutlicher sich
entfaltet, so erfolgt darauf ein schnelles Sinken der Kräfte, das
den Tod zur unvermeidlichen Folge hat , wie ich mehrmals zu
beobachten Gelegenheit gehabt habe. — Obschon nun diese ein-
tretende Inflammation nur consensuell, folglich abhängig von dem
Krampf-Zustande ist, so handelt der Homöopath doch sehr recht,



Blutkolik, Hämorrhoidalkolik. Colica sanguinea etc. 407

wenn er dieser neuen Krankheits- Bildung einige Gaben Aconit
entgegensetzt, um wenigstens ihr weiteres Umsichgreifen zu ver-
hüten, wodurch natürlich auch zugleich die Gesammt- Krankheit
gemildert wird.

Es ist bekannt, dass Hämorrhoidalkoliken , wie alle andere
nicht festständige Krankheitsformen, höchst verschiedenartig ge-
staltet auftreten, und darum auch grösstenteils ein anderes Mit-
tel zu ihrer Heilung erfordern. Auch Belladonna ist eins von
denen, das sich als ein heilkräftiges in manchen Arten der Hä-
morrhoidalkolik erweist; sie ist vorzüglich dann empfehlens-
werth, wenn eine zusammenschnürende, krampfhafte Spannung
tief im Unterleibe, mit einer hitzenden, brennenden Empfindung
und einem drängenden Gefühle dicht über den Schamknochen und
der Kreuzbeingegend zugegen ist, die durch die mindeste Bewe-
gung zum Unerträglichen sich erhöht, welches ein Gefühl von
höchster Schwäche, Ueberempfindlichkeit, Bewusstlosigkeit, ja
wohl Ohnmacht herbeiführt.

Oft entwickelt sich die Krankheit nur allmälig, tritt mit je-
dem Tage lebhafter hervor und erinnert durch ihre stete Zunaiime
dann den Patienten, dass es doch wohl Zeit sei, etwas Ernstli-
ches dagegen zu thun. Diese schleichenden Formen sind es
namentlich, gegen welche Sulphur mit entschiedenem Nutzen an-
gewendet wird, besonders wenn durch die krampfhaften, kolik-
artigen Bauchschmerzen eine so schmerzhafte Ueberempfindlich-
keit des Leibes und als wenn Alles darin roh und wund wäre,
eingetreten ist, dass die geringste Berührung auch nicht zu er-
tragen ist. Die krampfhaften Zusammenziehungen erstrecken
sich bis in die Brust, den Schooss und die Geschlechtstheile,
wechseln oft mit Schneiden und Stechen ab .und sind zu glei-
cher Zeit noch mit den empfindlichsten Kreuzschmerzen ver-
bunden, die nicht selten längs des Rückens, bis zwischen die
Schultern als ziehend - und spannend-drückende Schmerzen aus-
strahlen.

Herrliche Mittel sind, ausser den genannten, noch: Capsi-
cnm, Ferrum, Thuja, Pulsatilla, Ignatia, Coloquinten, Carbo vege-
tabilis, Phosphor und einige andere.

II. 27



408 Kolik von örtlichen Ursachen abhängig.

§. 209.

Kolik von örtlichen Ursachen abhängig.

Hieher sind wohl auch die Arten von Kolik zu rechnen, die
bei alten Subjecten, von Sitzleben, trockner Nahrung, zu festem
Schnüren und Binden durch Kothanhäufung entstehen, welche
letztere grösstentheils im Grimmdarme oder im Mastdärme ihren
Sitz hat, dadurch zu Blutstockungen Veranlassung giebt, und an
einem lästigen Drücken und Spannen tief im Unterleibe, krampf-
hafter Zusammenziehung der Bauchmuskeln und an jenen schon
öfters genannten Leibschmerzen erkannt wird. Oft fühlt der
Kranke anfangs wohl eine vermehrte peristaltische Bewegung in
den Gedärmen, welche das Hinderniss zu überwinden sucht, allein
diess verursacht nur antiperistaltische Bewegungen, die sich bis
in den Magen erstrecken, und oft ein fauliges, oder saures Auf-
stossen, Eckel, Erbrechen, auch wohl Kothbrechen erregen.

Bei einer gut geordneten Diät, bei welcher eine tägliche Be-
wegung von einigen Stunden in freier, reiner Luft das erste Er-
forderniss mit ist, wird man in Nux vomica ebenfalls wieder ein
sehr hülfreiches Mittel gegen diese Krankheit finden, wenn der
übrige Symptomencornplex dieser Arznei entspricht, wiewohl auch
Veratrum, Bryonia, Slaphysagria, Piatina, China, in einzelnen
Fällen Belladonna, in andern wieder Cocculus, oder irgend ein
anderes Mittel noch vorzüglicher sich erweisen kann. — Bei
schon eingetretenem Miserere (Ileus) bleibt immer Opium das
Hauptmittel, wenn nicht Plumbum der Symptomen- Aehnlichkeit
wegen mehr angezeigt ist.

Ist das Leiden schon sehr hartnäckig geworden, so ist zur
völligen Heiluug die öftere Wiederholung der Mittel, wohl auch
mehr als ein Mittel durchaus erforderlich, ja man wird oft, nach
den hervorstechenden characteristischen Symptomen, alle die hier
genannten Mittel mit der Zeit anwenden müssen, nach den ver-
schiedenen Schmerzäusserungen vielleicht auch eine oder die
andere von den unter den schon abgehandelten Formen der
Kolik angegebenen Arzneien indizirt finden. Doch glaube ich
schwerlich, dass man dann ganz, ohne die Anwendung der anti-
psorischen Heilstoffe, die Krankheit wird beseitigen können, und



Arten von Bruchkolilc. Colica herniosa. 409

man wird sich durch die Erfahrung überzeugen, dass Sulphu?\
Calcarea, Silicea, Lycopodium, Alumina und Zincum sich als die
vorzüglichsten Mittel dagegen erweisen.

§. 210.

Arten von Bruchkolik. Colica herniosa.

Eine oft sehr schwer zu erkennende Krankheitsform da, wo
ein verborgener Bruch die Veranlassung dazu giebt. Diese Fälle
gehören, nach den Ansichten der älteren Schule, in das Gebiet
der Chirurgie. Wir wollen nicht läugnen, dass diese letztere
derartige Leiden öfters beseitigt, theils durch angewandte äussere
und innere Mittel, theils, bei nutzloser Anwendung derselben,
durch die Operation. Doch misslingt dieses Verfahren auch
eben so oft, und selbst die Operation schafft keine Hülfe, weil
sie zu spät angewendet wurde. Gesetzt aber, diess wäre nicht
der Fall, so muss es dem Arzte doch weit willkommner sein,
den armen Leidenden durch mildere Mittel, als die schmerzhafte
Operation ist, von seinen Schmerzen befreien zu können, wozu
die Homöopathie auch schon Mittel darbietet, die in vielen Fäl-
len Hülfe schaffen, ohne dass der Kranke erst durch vergeblich
angewendete Taxis oder Operation lange gemartert wird. Diese
Art von Kolik nun entsteht durch Einklemmung, Ein Sper-
rung (Incarceratio,Strangulatio), sowohl bei eben erst ent-
standenen, als bei ganz alten Brüchen, und der dadurch erzeugte,
anfangs nur in der Gegend der Einklemmung bemerkliche,
Schmerz breitet sich allmälig über den ganzen Leib aus. Immer
ist die hartnäckigste Verstopfung damit verbunden, Netz- und
unvollkommene Brüche ausgenommen ; doch geht oft noch der
unterhalb der Einschnürung enthaltene Koth ab. Der Leib
schwillt auf; der vorher zurückgehende Bruch wird unbeweg-
lich, schmerzhaft, geschwollen, gespannt, heiss, roth, und behält
weisse Gruben vom Fingerdruck. Würgen, Brechen, endlich
Kothbrechen; Fieber mit kleinem krampfigen Pulse, Schluchsen,
kalte Schweisse und dergleichen sind Begleiter einer solchen
Einklemmung. Wird die Geschwulst rosenroth oder livide, so
droht Brand; weicht sie unter dem Drucke mit Geräusch zurück, so
ist er vollendet; der entblöste Darm ist dann schwarz, schlaff,
oder auch hart, leberartig. — Die Einklemmung ist bei allen,

27*



410 Arten von Bruchkolik. Colica herniosa.

selbst innern Brüchen möglich, vorzüglich am Bauchringe und
bei Darmbrüchen. Oft ist sie vorhanden, wenn man äusserlich
wenig oder gar nichts von einem Bruche entdeckt.

Hieher ist auch die Verengerung der Gedärme durch Ver-
schlingung oder Ineinanderschiebung (Volvulus, Con-
volvulus, Intussusceptio)zu rechnen, welches ein sehr ge-
fährliches und höchst akutes Uebel ist. Es characterisirt sich durch
anhaltendes, heftiges Erbrechen, welches die hartnäckigste Stuhl-
verstopfung begleitet, wobei nicht einmal Blähungen abgehen.
Es zeigen sich heftige, bohrende Schmerzen in der aufgebläheten
Gegend. Der Kranke hat öfters das Gefühl, als ob sich die Ge-
därme durch einander wälzten. Der Schmerz conzentrirt sich
oft um den Nabel, und bewirkt die Empfindung einer darum ge-
bundenen Schnur oder einer heftigen Spannung. Endlich ver-
breitet sich der Schmerz über den ganzen Unterleib, mit Meteo-
rismus und höchster Empfindlichkeit. Dabei schmerzhaftes
Poltern oberhalb der Einsperrung, Aufstossen, Schluchsen, Durst,
Angst, schnelle Entkräftung, geschwinder zusammengezogener
Puls, bisweilen auch Harnbeschwerden. Fieber zeigt sich nur,
wenn Enteritis hinzutritt.

§. 211.

Auch diese Form von Kolik ist einigermassen festständig und
bietet häufig dieselben Krankheitssymptome dar, weil sie aus
einer und eben derselben Ursache entspri%t. Eben darum war
es auch der Homöopathie möglich, ein Specificum gegen die
erstere Form ausfindig zu machen, das wir ebenfalls wieder in
Nux vornica besitzen. Dennoch aber kommen auch einzelne
Fälle vor, wo die Symptome diesem Mittel nicht entsprechen,
wo also auch eine andere Arznei indizirt sein muss, was sich
bei allen festständigen Krankheiten, gegen welche Specifica be-
kannt sind, ereignen kann. — Gleichviel ist es übrigens, ob die
Einklemmung bei einem neuen oder sehr alten Bruche vorkommt,
wenn nur die Incarceration nicht etwa schon so weit gediehen
ist, dass Brand sich gebildet hat. Wo aber Nux vomica passt,
da ist sie in kleiner Gabe anzuwenden, um die homöopathische
Verschlimmerung so gering als möglich sichtbar werden zu las-



Arten von Bruchkolik. Colica herniosa. 411

sen, und unnöthigen Schmerz zu verhüten; eben so möchte ich
auch nicht, wie ich früher gethan habe (s. m. prakt. Erfahrgg.
über Nux S. 92), die Taxis zu versuchen anrathen, weil dadurch
eine grössere Constriction der Muskelfibern des Darmkanals und
Bauchrings bewirkt wird, die das Uebel hartnäckiger macht. Ich
übergehe die Angabe der Krankheitszeichen, für welche Nux
passt, und verweise den Leser auf die früher angegebenen For-
men, wo ich diess mit Ausführlichkeit gethan habe. Unerläss-
lich ist hier die öftere Wiederholung der Gabe, wenn nicht schon
in der ersten halben Stunde Nachlass der Beschwerden eintritt.

Bei Verschlingung und Ineinanderschiebung der Gedärme
kenne ich, ausser Nux, auch noch ein anderes Mittel, das in
manchen Fällen, und wenn die krampfhaften Zufälle von der
Art sind, dass diese Arznei ihnen entspricht, ausserordentliche
Dienste leistet, es ist Belladonna. Sie nützt bei Krampf von
Volvulus, Intussusception, und Incarceration selbst dann noch,
wenn die Krankheit dem Miserere schon nahe steht; ja sie nützt
oft mehr, als Nux und Opium, besonders wenn meteoristische
Auftreibung des Unterleibes mit grosser Unruhe und Angst, mit
mehr krampfenden und greifenden Schmerzen im Unterleibe und
in der Blasengegend und mit immerwährendem unwillkürlichem
Harnabgänge verbunden sind. Doch ist hierbei wiederum Plum-
bum nicht zu vergessen.

Ich zweifle nicht, dass es ausser diesen drei genannten Arz-
neien noch mehre geben kann, die in den angeführten Fällen
sich hülfreich beweisen werden, doch enthalte ich mich darüber,
aus Mangel eigner und fremder Erfahrung, jedes Unheils; er-
laube mir aber zuvörderst, auf die Mittel hinzudeuten, die im
Stande sind, durch ihre innere Anwendung Brüche (herniae),
aus innern, nicht äussern gewaltthätigen, Ursachen entstanden,
zu beseitigen.

§. 212.

After schmerz und Afterkrampf. Proctalgia et Tenesmus.

So selten auch die in der Ueberschrift aufgezeichneten krank-
haften Beschwerden als selbstständige Krankheitsformen auftre-
ten und fast grösstentheils nur an andere Leiden als characteri-



412 Afterschmerz und Afterkrampf. Proctalgia et Tenesmus.

stische Symptome gebunden sind: so kommen doch einzelne Fälle
vor, wo sie so hervorstechend auftreten und dadurch alle andern
Nebenbeschwerden des Hauptleidens so in den Hintergrund drän-
gen, dass der Kranke nur dieses Symptom zu fühlen wähnt und
sehnlichst dessen Beseitigung herbeiwünscht.

Erklärlich ists, dass diese Beschwerden sehr empfindlich und
schmerzhaft sein müssen, aus dem Nervenreichthum der Mast-
darmschleimhaut, wie wir ihn auch an der Schleimhaut anderer
Körpermündungen finden, die eben dadurch sehr reizbar und zur
Reflexaction geneigt ist. Neuralgische oder andere schmerzhafte
Affectionen der den Sphincter ani überziehenden Schleimhaut,
wie z. B. Fissuren, bisweilen Hämorrhoidalknoten, sind daher
nicht selten mit krampfhafter Contraction des Schliessmuskels
verbunden, die oft nur kurz dauernde Anfälle von dem Kranken
fühlbarem schmerzlichem Zusammenschnüren macht, — wenn sie
aber häufig wiederkehrt, zur permanenten Contractur und zu
einem sehr schmerzhaften, auf das übrige Befinden des Kranken
nachtheilig einwirkenden Leiden werden kann.

Tenesmus — ein zusammenschnürender Schmerz am After
mit dem Gefühle von Drang zum Stuhlgange — kann durch
scharfe Fäcalstoffe (bei manchen Diarrhöen, Dysenterie, Schleim-
fluss des Mastdarms), durch den Reiz von Ascariden, durch Reflex
von der Harnblase oder Gebärmutter aus, bei Blasencatarrh, Bla-
sensteinen etc. bedingt sein. Heftiger Tenesmus kann Vorfall
des Mastdarms zur Folge haben. -

§. 213.

Das therapeutischeVerfahren gegen diese Beschwer-
den kann einzig und allein nur als ein symptomatisches angese-
hen werden; es hat aber für den Anfänger den Vortheil, dass
er unter den hier anzugebenden Arzneien oft eine finden wird,
die nicht blos diesem einzelnen Symptome, sondern dem vorlie-
genden Gesammt-Krankheitsbilde entspricht,

Zuerst der Brennschmerz im After. Dem einfachen,
ohne weitere Bezeichnung, entspricht häufig Capsic. und Alumina;
desgleichen, wenn er Abends eintritt, Jod., dem, beim Stuhlgang,
Terebmth.; nach dem Stuhlgang, Atimon. tart., Stronlian ; —



Afterschmerz und Afterkrampf. Proctalgia et Tenesmus. 413

brennendes Jucken und Schrunden im After hebt man oft mit
Antimon, crud.; dagegen brennendes Kriebeln, wie von Wür-
mern, mit Terebinth.; brennendes Schneiden, Drücken und Zu-
sammenschnüren, beim Stuhl, mit Staphys ; Brennen, Jucken
und Kriebeln, Colchic. ; Brennen, vor, nach und ausser dem
Stuhl, Oleander. — Jucken, Schrunden, Wundheit, Brenngefühl
und Drücken im After, als wollten Aderknoten entstehen, Acid.
nitri; dagegen ' bei Schrunden und Wundheitsschmerz in den
Afteraderknoten, Pulsat. ; — im After öfters knebelndes Zwän-
gen, wie zum Durchfall, Abends vor Schlafengehen, Piatina;
klagt Patient über Pressen und Zusammengezogenheitsgefühl mit
Anschwellung der Aderknoten und brennend-fressendem Schmerze
im After, bei weichem Stuhl, so ist Angustura oft das passendste
Heilmittel, während bei geschwollenen Aderknoten mit brennen-
dem Wundschmerze Acid. muriat. zuweilen wohl auch Antimon,
crud. hülfreich sich erweisen und bei schründendem Hämorrhoi-
dalschmerz im After nach dem Stuhl, mit Zusammenschnüren im
Mastdarm, Magnes artificialis. — Stechendes Reissen und Schnei-
den, eben so Schrunden und Brennen im After, hehl Kali carbon.;
Stechen und Brennen hingegen, Plumbum, das auch bei starker
Zusammengezogenheit, Zusammenschnürung und Eingezogenheit
des Afters anwendbar ist; in Ignatia findet namentlich der zu-
sammenziehende Wundschmerz im After, wie von blinden Hämor-
rhoiden, ein paar Stunden nach dem Stuhl, sein Heilmittel; dage-
gen in Mezereum das Zuschnüren des Afters über den herausge-
tretenen Mastdarm, nach dem Stuhl.

Das blosse Jucken in und um dem After, auch von Maden-
würmern erzeugt, gehört nicht hieher; der Leser findet darüber
das Nöthige an andern Orten dieser Therapie, besonders im 1.
Theile unter der Behandlung der Wurmfieber S. 163.

Wenn die vorhandenen Mastdarmaderknoten beim Stuhlgange
mit brennendem Schmerze heraustreten, so wird Calcar. carb.
oft das passendste Heilmittel sein, wenn nicht Coloquinte noch
vorzüglicher ist, besonders bei schon vorher schmerzhaft ange-
schwollenen Knoten. — Sulphur, Lycopod., Nux, Arsenic, Natrum
muriat. etc. sind ausserdem in derartigen Leiden höchst beach-
tenswerthe Arzneien.

Sollte Mastdarmvorfall die endliche Folge dieser Neu-



414 Magenkrampf, Magenschmerz.

ralgieen sein, so finden wir herrliche Heilmittel in : Arsen., Sul-
phur, Wer cur, Sepia, Dulcam., Colchic., Ruta, Magnet, Ignatia
und Magnesia muriatica.

§. 214.

Magenkrampf, Magenschmerz. Gastralgia, Gastrodynia, Car-
dialgia, Colica ventriculi.

In keiner Krankheit mehr, als im Magenkrämpfe, wie auch
in andern Algieen, lassen sich die Symptome der Algie im engern
Sinne von jenen mannichfaltigen Zufällen trennen , welche Wir-
kungen der durch die Algie angeregten sensibeln, motorischen
oder vasomotorischen Synergien und Reflexe sind, oder welche
einem primären, das Symptom der Cardialgie selbst erst bestim-
menden Grundleiden angehören. — Auf der richtigen Auffassung
und Würdigung dieser verschiedenartigen Empfindungen beruht
alsdann auch die richtige homöopathische Behandlung, zu der
wir übergehen, wenn wir erst die Diagnose dieser Krankheit im
Allgemeinen werden erörtert haben, deren speziellere Angabe
wir uns aber bei der Aufzeichnung der Mittel vorbehalten.

Wollen wir die krankhaften Erscheinungen, die den Magen-
krampf begleiten, in wenigem Worten zusammenfassen, um, nach
der Ansicht der Allöopathie, das Wesen dieser Krankheit anzu-
deuten, schnelleruns zu verständigen und unserm Geiste eine
bildliche Vorstellung von dem kranken ^rgane zu machen, mit
welchem wir es in dieser Krankheit zu thun haben, so sagen wir:
Magenkrampf beruht auf einer dynamischen Veränderung der
Magennerven und hauptsächlich auf einer erhöhten Reizbarkeit
derselben, wodurch alsdann eine abnorme Contraction der Mus-
kelfibern des Magens herbeigeführt wird.

Allgemeine diagnostische Kennzeichen eines Magenkrampfs
sind: a) Erscheinungen der Algie. Die Gegend unter dem
Schwertknorpel, das Epigastrium und zum Theil die Hypochon-
drien sind der Sitz von Schmerzen von der verschiedensten sub-
jectiven Qualität, welche in Paroxysmen mit schmerzfreien Inter-
vallen alterniren. Gewöhnlich sind die Schmerzen heftig zusam-
menschnürend, windend, drehend, schneidend, zerreissend, boh-
rend, nagend, klopfend u. s. w. ; bald dumpf, als ob der Leib



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventriculi. 415

von einem Bande eingeschnürt wäre, bald so heftig, dass sich
die Kranken winselnd zusammenkrümmen. Verschieden ist die
Verbreitung des Schmerzes; er nimmt oft nur das Epigastrium
oder selbst eine ganz kleine Stelle desselben ein, oder er kann
sich in den Rücken, nach der Brust, nach den Schulterblättern
u. s. w. ausbreiten. Druck von Aussen lindert oft den Schmerz,
darum stemmt der Kranke während der Schmerzen die Magenge-
gend gegen feste Körper an; in andern Fällen fürchtet Patient
die leisere Berührung, während er doch immer den festeren Druck
ganz gut verträgt. Die Schmerzanfälle dauern gewöhnlich eine
Vierlei- bis eine Stunde, oft länger bis zu ganzen Tagen; der
Paroxysmus ist um so kürzer, je intensiver er ist. Die Anfälle
nehmen bei fortschreitender Krankheit an Heftigkeit und Fre-
quenz zu; sie werden zuweilen schon durch den Genuss leichter
Nahrungsmittel, durch Ermüdung, Gemüthsbewegung, Wetterver-
änderung hervorgerufen; die schmerzfreien Intervalle werden
nach und nach so kurz, dass der Kranke über einen anhaltenden
Schmerz klagt. Meistentheils . ist die Exacerbationszeit Nach-
mittags, seltner Nachts wird Patient durch den Schmerz erweckt;
zuweilen tritt sie zu bestimmten Stunden und Tagen ein ; manch-
mal sogar bei nüchternem Magen.

b) Erscheinungen derSynergie und desReflexes.
Durch Mitempfindung entsteht oft ein Schmerz am Rückgrate in
der Gegend der letzten Rückenwirbel, der sich bis zu den Schul-
terblättern erstreckt. Häufiger finden sich motorische Reflexe,
worunter am gewöhnlichsten qualvolles, schmerzhaftes Erbrechen,
nicht immer der Speisen, Aufstossen, Gähnen, krampfhafte Zu-
sammenziehung der Bauchmuskeln, des Zwerchfells, so dass zu-
weilen die Herzgrube bis zur Wirbelsäule eingezogen erscheint,
Schluchzen, hartnäckige Stuhlverstopfung, Angstgefühl, Herz-
klopfen, Zusammenschnüren des Schlundes, Stimmlosigkeit, Harn-
drang. Nicht selten bemerkt Patient auch flatulente Auftreibung
des Magens, gegen Ende des Anfalls vermehrte Absonderung
eines veränderten, meist scharf sauren, zuweilen schleimigen
Secrets der Magenschleimhaut oder grasgrüner Galle, mit deren
Ausleerung durch nun erleichterndes Erbrechen sich häufig der
Paroxysmus endet. Puls ist zusammengezogen, klein, die Haut



416 Magenkrampf, Magenschmerz.

kalt. Mit Nachlass der Schmerzen tritt Schweiss ein, der Puls
hebt sich.

In dem heftigsten Grade einer Cardialgie kann die Mitleiden-
heit des Nervensystems sich bis zu Ohnmacht, Zittern, Delirien,
allgemeiner Schwäche, zu Convulsionen und Starrkrampf steigern.
Magenkrampf ist gewöhnlich fieberlos; Esslust häufig ungestört,
Appetit aber oft auf ungewöhnliche, gesalzene, gewürzte, saure,
bittere Speisen. (Canstatt.)

Varietäten einer Cardialgie sind:

Eine nicht blos in den höhern Graden des Magenkrampfs
vorkommende, sondern auch oft den Beginn des letzteren andeu-
tende Erscheinung ist das sogenannte S o db renn en (Wasser-
kolk, Pyrosis,Soda,Ardorventriculi). Dieser krank-
hafte Zufall besteht in einem brennenden Gefühle, das sich
von der Magengegend aus, den ganzen Schlund herauf bis in
die Mundhöhle verbreitet und oft mit Wasserzusammenlaufen in
letzterer verbunden ist, das bald einen scharfen, bald einen
sauren, ätzenden Geschmack hat, oft von Uebelkeiten begleitet
und mit Erbrechen ausgeworfen wird. Häufig wird durch den
Eintritt einer solchen wässrigen Feuchtigkeit der Krampf ge-
mindert.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #16 on: April 30, 2013, 09:40:23 PM »

Eine zweite Varietät ist die Cardialgia flatulenta. Die
im Magen angehäuften Gase können sowohl Veranlassung des
Magenkrampfs, als auch Erzeugniss der (^rch Cardialgie erregten
Reflexthätigkeit sein. Es verbindet sich hier mit den Erschei-
nungen des Magenkrampfs Flatulenz, trommelartige Auftreibung
des Epigastrium und der Hypochondrien, tympanitischer Percus-
sionston der Anschwellung, erschwertes Athmen, oft grosse Angst,
kleiner Puls, Luftaufstossen, Blähungsabgang, wodurch der Kranke
sich erleichtert fühlt. Die Flatulenz kann durch den Genuss
blähender, stark gährender Speisen und Getränke, Obst, Most,
Trauben, sogenannten Luftbieres u. s. w. veranlasst sein.

Eine dritte Abart ist nach Canstatt die sogenannte Neu-
ralgia coeliaca, die ich unter §. 195 ausführlicher abge-
handelt habe.



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventricnli. 417

§. 215

Mehre Schriftsteller hezeichnen mit dem Namen Gastro-
dynia einen mehr drückenden, anhaltenden (Hufeland), mit
dem Namen Cardialgia einen zusammenschnürenden, beäng-
stigenden Magenschmerz, während sie unter Pyrosis einen leich-
teren Grad (besser nur ein Symptom) der Krankheit verstehen.
Meiner Ansicht nach eine Ei nth eilung ohne allen Werth, da
durch sie für die Behandlung gar nichts gewonnen wird. Reel-
leren Werth scheint mir die Eintheilung in eine Cardialgia
idiopathica und symptomatica zu haben, da erstere das
eigenthümliche Leiden des Magens selbst, letztere sein Abhängig-
sein von anderen Krankheits-Zuständen, z. B. von Verhärtungen
der Leber, Leiden der Milz, der Nieren u. s. w. bezeichnet.

Eine Prädis p o sition zu dieser Krankheit giebt zuweilen
eine erbliche Anlage in manchen Familien, die grössere Reizbar-
keil des sensiblen Systems, die bei Frauenzimmern immer hervor-
stechender, als bei Mannspersonen ist, und sich bei solchen am
meisten findet, die überhaupt schon zu Krämpfen disponirt sind,
daher vorzüglich bei schwächlichen, hysterischen, bleichsüchtigen
Subjeclen, zur Zeit der Menstruation und in den climakterischen
Jahren, durch schwache Verdauung, durch Missbrauch vieler Ab-
führmittel, Wasserkuren, durch vieles Kaffee- und Thee-Trinken
und dergleichen erzeugt. Dieses letztere ist auch der Grund,
warum das weibliche Geschlecht häufiger von dieser Krankheit
heimgesucht wird, als das männliche. Diess, in Verbindung mit
dem zarteren Baue des Weibes und mit der von Natur erhaltenen
Bestimmung, mehr an die Häuslichkeit gefesselt zu sein und eine
sitzende Lebensart führen zu müssen, wo mithin die Nachtheile
dieses schädlichen Getränks nicht durch ein thätiges , die physi-
schen Kräfte mehr in Anspruch nehmendes Leben geschwächt
oder ganz verwischt werden, wie beim Manne, diess, sage ich,
ist der Grund , warum bei'm Weibe die Reizbarkeit der Älagen-
nerven gesteigerter ist, wodurch die Bedingniss zur Entstehung
des Magenkrampfs gegeben wird. Häufiger noch disponiren zu
dieser Krankheit schwächliche und verzärtelte Constitutionen, de-
nen in gewisser Beziehung auch die Stubengelehrten beizuzäh-
len sind, die durch die sitzende Lebensart sich schon einen



418 Magenkrampf, Magenschmerz.

schwächlichen Körper erzeugten, durch den starken Kaffeetrank
selbigen noch mehr verzärteln und durch die arzneiliche Wir-
kung des Kaffee' s in Verbindung mit den zusammengepressten
Unterleibsorganen, die schon schwach genug sind, zu jenem oft
lebenslänglichen Leiden Veranlassung geben. Am häufigsten be-
obachtet man den Magenkrampf in der Periode zwischen dem
20. und 50. Lebensjahre, selten vor der Pubertät.

Erregende Momente finden wir in den Gemüthsbewe-
gungen, Erkältungen, unterdrückten Fussschweissen und gewohn-
ten Blutungen, vorzüglich aber in der Unterdrückung chronischer
Hautausschläge. Lokale Erkältungen des Magens bei erhitztem
Körper geben eine Hauptursache zur Entstehung des Magenkrampfs
ab, jedoch nur bei schwächlichen, reizbaren, an einem noch nicht
vollkommen entwickeltem Siechthum leidenden Subjecten, bei
welchen denn auch der Magenkrampf leicht erzeugt werden kann
durch säuerliche Nahrungsmittel, saure Weine, Biere, Obstarten,
durch fettes Backwerk, Fleischspeisen. Ferner geben allerhand
organische Fehler des Magens selbst oder nahegelegener Theile
Veranlassung zu seiner Entstehung.

In prognos tischer Hinsich t sind die Arten des Magen-
krampfs, von organischen Fehlern abhängig, diejenigen, bei wel-
chen die Kunst am wenigsten zu leisten vermag, und, bei schon
weit vorgeschrittener Desorganisation, ausser einiger Erleichte-
rung, keine radikale Heilung zu schaffen im Stande ist.

§. 216.

Nach dieser allgemeinen Erörterung gehen wir nun zur Be-
handlung einiger Arten des Magenkrampfs über. Unter den
Mitteln, die ich vorzüglich hülfreich in derartigen Beschwerden
kennen gelernt habe, zeichnen sich namentlich Nux, Chamomilla,
Belladonna, Coccidus, Ipecacuanha, Stannum, Staphysagria, Pia-
tina, Conium, Bryonia, Pulsatilla, Argentum nitric. crystallisatum,
Ignatia, China, Hyoscyamus, Magisterium Bismuthi, Arsenicum,
Plumbum, Argilla, Carbo vegetabilis und animalis, Calcarea car-
bonica, Causticum, Natrum carbonicum et muriaticum, Sepia,
Baryta carbonica, Lycopodium, Phosphor, Nitrum aus.

Wo das eine oder das andere dieser Mittel in den so ver-



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventriculi. 419

schiedenartig gestalteten Magenkrämpfen vorzugsweise angewen-
det zu werden verdiene, will ich hier nach meinen darüber ge-
machten Erfahrungen mittheilen , mit welchen der Leser die ihm
vorkommenden analogen Fälle vergleichen, und am passenden
Orte Gebrauch von den angedeuteten Mitteln machen kann.

Das vorzüglichste und am häufigsten passendste Mittel unter
den nicht antipsorischen Arzneien ist unstreitig Nux vomica, über
welche ich mich schon in meinem Schriftchen *) weitläufig aus-
gesprochen, aber nach den, seit jener Zeit mit ihm gemachten
Erfahrungen überführt worden bin , dass ich dort die Gränzen
des Wirkungskreises zu eng gesteckt habe. — Manchem Leser
mag es befremdend erscheinen, dass ich Nux in einer Menge
von Krankheiten als wirkliches Heilmittel empfehle; allein, je
mehr ich sie kennen lerne, desto mehr lerne ich ihre unbegränz-
ten Heilkräfte schätzen und — ich kann nicht anders — ich
muss sie als eine gewaltige, tief in die innere Organisation des
kranken menschlichen Lebens eingreifende Arznei bezeichnen.
Wer mit ihr schon so viele Jahre operirt hat, wie ich, wird und
muss mir beistimmen, besonders wenn er ihren allgemeinen Cha-
racter hinreichend aufgefasst hat!

In dem so eben erwähnten Schriftchen sage ich S. 85: Nux
ist vorzüglich in dem Magenkrampf anwendbar, der durch den
häufigen und starken Genuss des Kaffee's erzeugt wird; in ei-
nem solchen ist sie, nebst der Chamomilla spezifisch. Jetzt füge
ich noch hinzu: dass Nux selbst in sehr vielen Arten von Ma-
genkrampf heilsam sich erweist, die nach unterdrückten chroni-
schen Hautausschlägen, oft erst viele Jahre nachher, entstanden
sind. Eben so oft findet sie ihre Anwendung in denjenigen
Arten, die bei Säufern einzutreten pflegen, und anfangs nur un-
ter der Form eines Erbrechens, daher Vomitus potatorum genannt,
sich einstellen. Dem Gesagten zufolge ist also Nux sowohl in
einigen Arten Cardialgia gastrica flatulenta, als auch
Cardialgia metastatica anwendbar. Ausserdem wird man
sie auch oft in dem sogenannten Sodbrennen, nicht minder in



*) Praktische Erfahrungen im Gebiete der Homöopathie ; auch unter
dem Titel: Ueber die Anwendung der Nux vomica in Krankheiten. Leip-
zig, bei Lehnhold 1828.



420 Magenkrampf, Magenschmerz.

einer Cardialgia sanguinea, so wie in einer Cardialgia
hysterica angezeigt finden. Doch wir erlauben uns, um nicht
den Anfänger mit diesen allgemeinen Ausdrücken, in Hinsicht auf
die Wahl des Mittels, in Verlegenheit zu setzen, die Krankheits-
Zeichen etwas genauer hier anzugeben, aus welchen mit weit
mehr Sicherheit auf die Anwendung dieses Mittels zu schliessen
ist, als aus jenen allgemeinen Bezeichnungen der Krankheit.

Der Hauptcharacter ist: Zusammenziehen, Drücken, Klemmen,
Raffen, Krampf im Magen, mit dem Gefühle, als lägen die Klei-
der in der Magengegend zu fest an und beengten sie, welches
Gefühl auch mit dem zu vergleichen ist, als stemmten die Blä-
hungen sich in den Hypochondern; dieses Gefühl, so wie der
Magenschmerz selbst, werden gewöhnlich nach Essen und Kaffee-
trinken erhöht, womit sich zugleich auch eine Beklemmung,
eine Zusammenschnürung auf der Brust verbindet, die sich in
manchen Fällen bis zwischen die Schultern und in's Kreuz ver-
breitet, oder auch die Empfindung hervorbringt, als würde ein
Band um die Brust herumgezogen. Sind die Magenschmerzen
schon früh beim Aufstehen zugegen , wecken sie den Kranken
wohl auch aus dem Schlafe auf, so ist mit Sicherheit die heilende
Kraft der Nux zu prognostiziren. Aber auch dann ist sie indi-
zirt, wenn folgende Erscheinungen der Synergie und des Reflexes
mit den Magenschmerzen in Verbindung stehen : als Uebelkeit,
vorzüglich während des Anfalls, Wasserzusammenlaufen im Munde,
Aufschwulken einer sauren, bittern Feuchtigkeit mit oder ohne
Sodbrennen, Erbrechen des Genossenen oder Schleimerbrechen,
auch vergebliches leeres Brechwürgen, Herzklopfen mit Aengst-
lichkeit, saurer, fauliger Geschmack im Munde, Stuhlverstopfung,
Blähungsauftreibung im Unterleibe, zuweilen einseitiger Kopf-
schmerz, zuweilen drückender Schmerz in der Stirne. Tritt der
Schmerz besonders heftig zur Zeit der Catamenien, bei stark
menstruirteu Frauenspersonen hervor, so ist Nux ebenfalls
indizirt.

Je zarter, sensibler das Subject ist, um so schwächer bedarf
es der Arzneigabe; je robuster, kräftiger das Subject, um so stär-
ker. — Doch habe ich bis jetzt nie nöthig gehabt, unter die
3. Verdünnung herabzusteigen ; habe ich Nux einmal für die pas-
sendste Arznei in einer Cardialgie erkannt, so hält mich auch



Gastralgia, Gastrodynia. Cardialgia, Colica ventriculi. 421

nichts von ihrer Wiederholung ab ; eben so habe ich auch in
den wenigen Fällen, wo ich sie früh und Abends nehmen Hess,
Nachtheil wahrgenommen, wiewohl ich sie meistens fast nur Abends
nehmen lasse.

Chamomilla ist vorzugsweise da anzuwenden, wo ein sehr
reizbares Nervensystem und ein durch Aerger leicht erregbares
Temperament vorherrscht. Ein gutes Criterium zu ihrer An-
wendung giebt der wie ein Stein drückende Schmerz und die
schmerzhafte Aufblähung in der Herzgrube und unter den kurzen
Rippen linker Seits, über welchen die Kranken sich ausdrücken, es
sei, als wollte es ihnen das Herz abdrücken (Cardialgia flatu-
lent a). Dieser Schmerz ist immer mit Kurzathmigkeit und Angst
verbunden, oft die Nacht am schlimmsten, so dass der Kranke
sich vor Angst, Unruhe und Umherwerfen nicht zu lassen weiss;
hierzu gesellt sich zuweilen auch ein pochend klopfendes Kopf-
weh auf dem Wirbel, das ihn zum Aufstehen aus dem Bette nö-
thigt, wodurch er sich Erleichterung zu verschaffen glaubt. Nur
in der Ruhe und bei zusammengezogenem Oberkörper spürt er
einige Linderung. Wichtig ist hier noch der Umstand, dass die-
ser Magenkrampf gewöhnlich durch Kaffeetrinken gemindert wird,
während jener, den Nux zu heilen vermag, sich dadurch ver-
schlimmert. Eben dieses Umstandes wegen eignet sie sich oft
auch zur Heilung eines Magenkrampfes, der vom Kaffeetrinken
entstanden ist, oder sie giebt das passendste Zwischenmittel in
einem derartigen Magenleiden ab, das Nux allein nicht zu heben
vermag. — Anders aber verhält es sich, wo die Krankheit durch
den häufigen Genuss des Chamillenthee's erzeugt wurde, welche
Fälle nicht zu den seltenen gehören, besonders wenn der homöo-
pathische Arzt einen derartig Leidenden nach jahrelanger allöo-
pathischer Behandlung übernimmt, bei welcher, wie Jedermann
bekannt, der Chamillenthee in solchen Fällen nicht geschont, son-
dern vielmehr als Linderungs- und heilsames Hausmittel, täglich
mehre Male zu geniessen, von den allöopathischen Aerzten an-
empfohlen wird. Hier wird sich bald Ignatia amara^ bald Pul-
satilla, bald Coffea cruda hülfreich erweisen, letzterer besonders
dann, wenn die Schmerzanfälle unerträglich zu sein scheinen, und
überhaupt eine grosse Ueberempfindlichkeit bei'm Kranken vor-
herrscht. Ueber die beiden andern Mittel werde ich in der Folge



422 Magenkrampf, Magenschmerz.

noch sprechen. — Verdankt hingegen der Magenkrampf sein
Entstehen nicht Mos dem Chamillenthee-Genuss, sondern auch
dem des Kaffee's , so wird Nux immer das vorzüglichste Heil-
mittel bleiben, doch in einzelnen Fällen noch der Unterstützung
der Ignatia oder Pulsatilla, oder beider nach einander bedürfen.

Die zweckdienlichste Gabe der Chamomilla in dieser Krank-
heit ist: die erste bis höchstens sechste Verdünnung; die Wie-
derholung unerlässlich, und dadurch oft die Möglichkeit erzwun-
gen, mit dieser Arznei allein den Krampf zu heben, was, ohne
diese Massregel , nur durch den Wechsel mit andern Mitteln,
und darum auf Umwegen, geschehen kann. ,

Was Belladonna in dieser Krankheit auszurichten vermag,
wollen wir ebenfalls etwas genauer detailliren, da ihre grosse
Heilkräftigkeit gegen dieses Leiden unverkennbar ist. Ihre Wahl
ist nicht so leicht, da nur wenig characteristische Symptome, die
nicht auch andere Mittel in gesunden Constitutionen zu erregen
im Stande wären, vorhanden sind, die mit Bestimmtheit auf die
Anwendung der Belladonna hinweisen. So viel ist ausgemacht,
dass Belladonna in den hartnäckigeren Formen von Magen-
krampf indizirt ist, und grösstentheils in denen, gegen welche
Chamomilla zu passen schien, aber ganz nutzlos angewendet
wurde. In nur wenigen Fällen wird man sie gleich zu Anfange
der Krankheit anwendbar finden, weit häufiger wird ihr Chamo-
milla und Nux vomica, wie aus dem vorher Besprochenen er-
sichtlich ist, vorgezogen werden können, wenn überhaupt ein
Magenkrampf von der Art ist, dass ffr ohne die Anwendung eines
antipsorischen Heilmittels gehoben werden kann. Bei sehr ner-
venschwachen Subjecten hingegen und bei'm zarteren Geschlechte
findet man häufig eine sehr grosse Reizbarkeit mit dem Magen-
krämpfe verbunden und letzteren in seinen Symptomen so gestal-
tet, dass kein Mittel eine bessere Wirkung zu leisten verspricht,
als Belladonna in nicht zu starker Gabe. Vorzugsweise deuten
folgende mit dem Magenkrämpfe verbundene Symptome auf die
Anwendung der Belladonna hin, wenn der Kranke über-ein na-
gendes Drücken, oder über einen krampfhaft spannenden Schmerz
in der Herzgrube und in der Magengegend klagt, der ihn, um
sich Linderung zu schaffen, nöthigt, sich von Zeit zu Zeit rück-
wärts zu biegen und den Athem an sich zu halten; wenn der



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventriculi. 423

heftige Schmerz Besinnungslosigkeit, ja wohl Ohnmacht herbei-
führt, oder auch, wenn er jedesmal während des Mittag-Essens
zurückkehrt. Beachtenswerth sind bei so gearteten Beschwer-
den auch Hyoscyamus und Viola odorata, insbesondere bei Car-
dialgia hysterica. Sind zögernder Stuhl, Schlaflosigkeit,
vermehrter Durst und nach Befriedigung desselben erhöhetere
Schmerzen zugegen, so sind einige Anzeigen zur Darreichung der
Belladonna mehr vorhanden.

Ein noch vorzüglicheres Mittel, als das eben genannte, ist
Menispermum Cocculus, das eigentlich, nächst Nux und Chamo-
milla, das am häufigsten passendste in den verschiedenen Arten
des Magenkrampfs ist, und mit dem ich früher oft die hart-
näckigsten Arten beseitigt habe. Doch muss ich dabei noch be-
merken, dass ich es nie vom Anfange gleich anwendete, son-
dern immer erst in den Fällen, wo Nux anfangs indizirt war,
wohl auch etwas leistete, aber die Wiederkehr des Magenkrampfs
nicht zu verhüten vermochte. Bemerken muss ich ferner, dass
Cocculus jederzeit mit gutem Erfolge angewendet wurde, wo
Hartleibigkeit oder Stuhlverstopfung sich damit verband; hinge-
gen gab ich es ganz ohne wesentlichen Nutzen, wenn durchfäl-
lige Stühle den Magenkrampf begleiteten, daher diese Arten, die
für Cocculus passten, mich auch immer erst auf die Anwendung
der Nux hinwiesen, weil sie namentlich auch, in Hinsicht des
Magenschmerzes, ähnliche Empfindungen darboten, als ich sie
unter Nux angegeben habe. Etwas Eigentümliches boten diese
Arten doch aber immer dar, worauf ich vielleicht bei der Unter-
suchung der Krankheit sowohl, als bei der Wahl des Mittels zu
wenig Rücksicht nahm, und desshalb erst an Cocculus dachte,
wenn Nux sich ohne Nutzen gezeigt hatte. Diese Eigenthüm-
lichkeit bestand darin, dass mit den Magenschmerzen zugleich
ein pressender, zusammenschnürender Schmerz über den ganzen
Unterleib sich verbreitete, der nur dann sich minderte, wenn Blä-
hungsabgang Statt fand, oder wenn Uebelkeit und Wasserzusam-
menlaufen im Munde sich einstellte; nie war jedoch damit Sod-
brennen verbunden. Vielleicht beachtete ich auch zu wenig das
Temperament des Kranken ; wo Nux passt, ist immer ein ärger-
liches, zum Zorn-Ausbruche geneigtes Temperament während des
II. 28



424 ' Magenkrampf, Magenschmerz.

Anfalls, hingegen bei den Paroxysmen, denen Cocculus entspricht,
mehr ein verdriessliches , in sich gekehrtes , mürrisches Wesen.

Diejenigen Magenkrämpfe, deren Anfälle jederzeit mit Uebel-
keit, Brecherlichkeit und Erbrechen verbunden sind, wird man
nie zu beseitigen im Stande sein, wenn man ihnen nicht solche
Mittel entgegenstellt, die diese Zustände ebenfalls in ihrer Erst-
wirkung aufzuweisen haben. Eben darum erweist sich oft Ipe-
cacuanha hülfreich, vorzüglich wenn das Erbrechen mit stumpfem
Stechen in der Herzgrube verbunden ist, ausserdem aber ein
grosses Wehgefühl im Magen Statt findet.

Pulsatilla verdient jedenfalls aber vor der Ipecacuanha den
Vorzug, weil die Einwirkung jener auf die Krankheit intensiver
ist, als die Wirkung dieser. Bei stechenden Schmerzen im Ma-
gen, die sich bei Gehen und namentlich bei Fehltritten ver-
schlimmern, mit Brecherlichkeit, und bei einem sensibeln, milden,
nachgiebigen Gemüthe findet Pulsatilla ihren glücklichsten Wir-
kungskreis. Doch ist diess nicht die einzige Art des Magen-
schmerzes, den sie zu heilen vermag, sondern sie verdient auch
noch in anderen Arten angewendet zu werden, vornehmlich in
denen, wo zugleich dünnflüssiger Stuhl, und nur bei den heftig-
sten Schmerzen etwas Durst, jederzeit aber Erbrechen damit
verbunden ist; ferner, wenn der Kranke über heftiges Spannen
und Klemmen in der Magen- und Herzgruben-Gegend klagt; oder
ein Klopfen mit einer Aengstlichkeits-Empfindung in diesen Thei-
len, wohl auch ein Raffen und Kneipen, durch Essen vermindert,
gefühlt wird. Doch erweist sich Pulsamlla auch hülfreich in je-
nem Wechselzustande, wo die Krankheit durch Essen sich ver-
schlimmert und namentlich in Drücken und Kneipen ausartet,
auch wohl durch den Genuss fetter Fleischspeisen und Backwerke
hervorgerufen wurde.

In Wechselwirkung mit der Pulsatilla, und daher oft anwend-
bar, und den, nach vollbrachter Wirkung dieser, noch zurück-
gebliebenen Krankheitsrest tilgend, aber auch so umgekehrt,
steht Ignalia amara. Besser wirkt sie jedoch, wo weniger Er-
brechen und eher Hartleibigkeit als durchfälliger Stuhl zugegen
sind. Die stechende Empfindung ist auch in diesem Magenlei-
den ein Hauptsymptom, wiewohl auch ein drückendes Gefühl,
besonders durch den Genuss der Speisen, in der Gegend der



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventriculi. 425

Magenmündung, erregt oder verschlimmert, keine Gegenanzeige
für die Anwendung der Ignatia abgiebt. Ganz vorzüglich wirkt
sie, wo die Krankheit durch öftern Hunger und Nichlbefriedigung
desselben, durch fortwährende Nahrungssorgen, Kummer und
nagenden Gram erzeugt wurde.

Diese drei zuletzt genannten Mittel sind auch, wie schon er-
innert, die Gegenarzneien in demjenigen Magenkrämpfe, der dem
häufigen Chamillenthee und Kaffee-Genusse sein Entstehen ver-
dankt, nicht minder in demjenigen, der, jedesmal durch Aerger
hervorgerufen, der Anwendung der Chamomilla allein nicht mehr
weichen will. In diesem letztern Falle verdient auch Coloquinte
Beachtung, mehr jedoch noch dann, wenn Indignation und Erbit-
terung, oder innere nagende Kränkung über unwürdige Behand-
lung seiner selbst den Magenkrampf hervorrief; der Magenschmerz
ist, wie bei Chamomilla, ein drückender, wie von einem Steine,
besonders nach jedesmaligem Essen, mit Hungergefühl und Schmerz
in der Herzgrube bei Berührung; dabei oft Erbrechen des Ge-
nossenen, ohne vorherige Ueblichkeit, mit durchfälligen, kleinen,
grünlich-gelben Stuhlgängen unter kolikartigen Leibschmerzen.

Magenkrämpfe, die zu jeder Tageszeit zu entstehen pflegten,
nicht von Essen und Trinken abhängig waren, nur in einem
schmerzhaften Wehthun, ohne nähere Bezeichnung, in der Magen-
gegend bestanden, das durch Druck von aussen auf die Herz-
grube — welche letztere sehr empfindlich war — erhöht wurde;
öfters in der Nacht eintraten und dann mit heftigem Schweisse
verbunden waren, jedesmal sich zeigten, wenn eine Erkältung
der Hände in kaltem Wasser Statt gefunden hatte; hob ich sehr
oft durch mehrmalige Anwendung des Hyoscyamus.

Magisterium Bismuthi wendete ich bis jetzt immer in der
zweiten bis vierten Verreibung, früh und Abends eine Gabe ge-
reicht, an, und meistens auch bei unbestimmten Angaben, zu 6 —
8 Dosen, mit dem ausgezeichnetsten Erfolg. Seit den 12 Jah-
ren, wo die 2. Auflage dieser Therapie erschien, ist mir die
Cardialgie, für die Bismuth. als Heilmittel sich eignet, etwas kla-
rer geworden. Es ist nicht jene heftige Form, sondern eine
gelindere Art, in jedesmaligem Drücken bestehend, das Patient
bald nach gehaltener Mahlzeit empfindet und mit Uebelkeit wie

28*



426 Magenkrampf, Magenschmerz.

zum Erbrechen verbunden ist. Dieser Magenkrampf ist sehr
häufig 1 und findet jederzeit Hülfe durch Bismuth.

Piatina fand ich besonders hülfreich in denjenigen Arten von
Magenkrampf, die bei Frauenzimmern stets zur Zeit der sehr stark
und lange fliessenden Menstruation einzutreten pflegten. Auch
hier ist es kein eigentlicher Krampf, sondern mehr ein Magen-
drücken zu nennen, oder mehr noch ein Drücken in der Herz-
grube, das immer nach dem Essen eintritt, mit Empfindlichkeit
derselben gegen Berührung und Beklemmung, wie eingeschnürt,
verbunden ist; selten fehlt hier ein fortwährendes Weichlich-
keitsgefühl, das immer grosse Mattigkeit zur Folge hat.

China nimmt ebenfalls einen rühmlichen Platz unter den ge-
gen Cardialgien empfohlenen Mitteln ein.

Ihr glücklichster Wirkungskreis ist da, wo der Magenkrampf
durch eine allgemeine Schwäche des Körpers hervorgerufen wird,
die Säfte- Verlusten mancherlei Art ihr Entstehen verdankt. Mit
Recht empfiehlt sie sich in einer sogenannten Cardialgia fla-
tulent a und Pyrosis, die durch Missbrauch von Brech- und
Abführmitteln, so wie durch vieles Blutlassen, durch Blutflüsse,
übermässigen Saamenverlust, Galactirrhöen, ermattende Schweisse
entstanden sind, in deren Folge allgemeine Schwäche und
schlechte Verdauung entsteht, wodurch Verschleimung, gallichte,
saure Schärfen, davon abhängendes Wundheits-Gefühl im Magen,
Auftreibung und Drücken nach jedem Genüsse u. s. w. erzeugt
werden, so dass der Kranke sich weit wohler im nüchternen Zu-
stande und bei angemessener Bewegung, *ls nach dem Essen und
bei steter Ruhe befindet. Insbesondere sind es die anhaltenden,
heftigen Magenkrämpfe, die mit Vollheit, Beängstigung, Druck-
schmerz, Sodbrennen, Wasserzusammenlaufen im Munde und lee-
rem Brechwürgen sich paaren.

Ein sehr gutes Mittel in dieser Art Krankheit ist auch Sta-
physagria, besonders wenn der Kranke über ein empfindlich-
drückendes Spannen und Klemmen in der Herzgruben- Gegend
klagt, welches bei grösserer Ausbreitung auch den Athem beengt,
durch Vorbiegen aber gemindert, auch wohl ganz gehoben wird ;
zuweilen ist damit auch ein wühlender Schmerz verbunden.

Die hartnäckigeren Formen des Magenkrampfs, in welchen
ich mehre der vorher genannten Mittel theils nur mit geringem



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, CoJica ventriculi. 427

Erfolge, theils aber auch ganz ohne Nutzen angewendet hatte,
wichen oft wiederholten Gaben der sechsten Verreibung von
Stannum; vornehmlich war diess dann der Fall, wenn der Ma-
genschmerz in einem Greifen und Kneten bestand, und sich
bis zur Nabelgegend herab erstreckte; die Magengegend
bei'm Draufdrücken sehr empfindlich war; ein Spannen, Drücken
und Kurzathmen mit Aengstlichkeit und Uebelkeit sich damit ver-
banden. Immer fand ich, dass Stannum besonders gut wirkte,
wenn eine chronische Diarrhöe, ein öfteres, bitteres Aufstossen,
ein Vollheits- und Aufgetriebenheits-Gefühl im Magen mit gleich-
zeitigem Hunger diese Art Magenkrampf begleitete.

Gegen diese hartnäckigeren Arten von Cardialgie erlaube
ich mir hier noch auf ein Mittel aufmerksam zu machen, das ich
in den letzteren Jahren mit dem erwünschtesten Erfolge in den
für dasselbe passenden Fällen in Anwendung gebracht habe.
Es ist diess das, als anticardialgisches Mittel noch von Wenigen
gekannte: Argentum nitricum crystallisatum. Meine Erfahrun-
gen über dasselbe sind folgende; Ich fand nur Gelegenheit, bei
Frauen von ihm Gebrauch zu machen ; eine unordentlich eintre-
tende Menstruation war stets mein Leitstern; grösstentheils war
es die zu früh erscheinende und zu stark fliessende, die auch
schon eine mehr oder weniger grosse Verkümmerung des ganzen
Körpers und daraus entspringende hohe Nervenreizbarkeit zur
Folge hatte; die krampfhaften heftigen Schmerzen im Magen,
die zum Zusammenkrümmen nöthigten, hielten keine bestimmte
Zeit inne, sondern erschienen sowohl früh nüchtern, als Nachmit-
tags und Abends, ja selbst Nachts und waren jederzeit mit dem
heftigsten Brechwürgen verbunden, wodurch eine scharfe, saure
oder gallenbitter schmeckende gelb -grünlich aussehende, zäh-
schleimige Feuchtigkeit entleert wurde. Diess waren die glück-
lichsten Fälle, die ich am schnellsten mit diesem Mittel be-
seitigte.

Diejenigen, die einen länger fortgesetzten Gebrauch von
Argentum, erheischten, gestalteten sich anders, etwa wie folgt:
Es gab ebenfalls Unordnung in der Menstruation, jedoch nicht
so distincte, wie in dem vorhererwähnten Falle; dagegen waren
mehr oder weniger fliessende Hämorrhoiden vorhanden, grössten-
theils also bei Frauen, die schon geboren hatten; der Schmerz



428 Magenkrampf, Magenschmerz.

bestand hier mehr in Brennen, Hitze, Unbehagen in der Herz-
grube, zusammenziehendem Aufsteigen von da nach dem Halse,
Uebelkeit, Aufstossen, Appetitlosigkeit, während bei der vorigen
Art der Appetit unverändert blieb. Eine Abweichung im Stuhl-
gange fand in den wenigsten Fällen statt; war aber eine solche
vorhanden, gleichviel in welcher Art, so gab sie keine Contra-
indication für die Anwendung dieses Mittels ab.

Die Gabe, deren ich mich bediente, war die erste bis dritte
Decimal-Verreibung, d. h. 10 gr. Argent. nitr. zu 90 gr. Sacch.
lad. und die weiteren Verreibungen in gleichem Verhältnisse
fort; von einer solchen Verreibung Hess ich täglich 3 Mal eine
Federmesserspitze voll, in einem Theelöffel voll Wasser gelöst,
nehmen. Die Fälle ersterer Art waren oft schon mit 5 bis 6
Dosen geheilt; die letzterer bedurften bisweilen des Fortge-
brauchs des Mittels bis zu 3j und mehr.

Obschon Bryonia in den hartnäckigeren Arten von Magen-
krampf keinen ausgezeichneten Effekt bewirkt , so leistet sie
doch herrliche Dienste in den leichteren Graden und correspon-
dirt in mancher Hinsicht der Chamomilla, da sie ebenfalls in dem
so eigenthümlicben Magendrücken angewendet zu werden ver-
dient, namentlich wenn dieses Drücken schon während des Es-
sens, oder unmittelbar nach demselben eintritt, und sich mit dem
Gefühl verbindet, als wäre die Herzgrube und die Magengegend
angeschwollen. Zuweilen artet dieses Drücken auch in ein zu-
sammenziehendes Kneipen oder Schneiden aus und wird durch
Gegendruck von aussen und dadurch erzeugtem öfterem Aufstos-
sen gemildert, auch wohl ganz beseitigt.

Bei allen bis hieher gegen Magenleiden aufgezählten Mitteln
habe ich nur wenig auf die Nebenbeschwerden Rücksicht genom-
men und meistens nur die characteristisehen Eigentümlichkei-
ten verschiedener Arten Magenkrampf aufgezeichnet. Ich habe
das mit gutem Bedacht gethan, da die Erfahrung mir gelehrt hat,
dass man diess in nur wenigen Fällen thun kann, und diese we-
nigen schon zu den individuellen zu zählen sind und darum sel-
ten wieder so erscheinen. Sind die Magen - Beschwerden bei
einem Kranken die hervorstechendsten, so wird auch immer eins
von den genannten, oder noch zu nennenden Mitteln die passende
Heilpotenz dagegen sein , und die begleitenden Symptome ent-



Gastralgia, Gastrodynia, Cardialgia, Colica ventriculi. 429

scheiden dann leicht — welches? So ist z. B. Bryonia fast
immer angezeigt, wenn neben den vorhin angegebenen Krank-
heits-Symptomen des Magens ein drückender, pressender Kopf-
schmerz in den Schläfen, oder in der Stirn, oder in dem Hinter-
haupte, als ob die Kopfknochen aus einander gedrängt würden, /'
damit verbunden ist, der sich durch einen äussern Gegendruck,
festes Binden des Kopfes massigen lässt; nicht minder, wenn
diese Magenschmerzen von Hartleibigkeit begleitet sind; eben
so, wenn die Schmerzen während der Bewegung sich erhöhen -r
und verstärken , dagegen in der Ruhe allmälig nachlassen und
endlich wohl ganz verschwinden.

Oft schon ist der Homöopathie von der altern Schule der
Vorwurf gemacht worden, dass sie nichts auszurichten vermöchte,
wo schon Desorganisationen einzelner Organe sich gebildet hät-
ten. Dieser Vorwurf ist ungegründet und leicht zu verzeihen,
weil er einen deutlichen Beweis liefert, dass die Anhänger der
sogenannten rationellen Medizin die Homöopathie und das Ver-
fahren derselben am Krankenbette nicht kennen, während wir
uns durch eigene Erfahrung selbst mehrmals überzeugt haben,
dass wir da in der Homöopathie wenigstens noch Linderung zu
verschaffen im Stande waren, wo vorher die Allöopathie lange
Zeit ganz unzureichend sich bewiesen hatte. Diess geht ganz
natürlich zu, da die Homöopathie nur Mittel wählt, die das kranke
Organ im gesunden Zustande ähnlich zu affiziren vermögen, und
folglich auch hier auf dasselbe einwirken und, indem sie die
Schmerzen mindern, auch Rückbildung der begonnenen Desorga-
nisation bewirken müssen. Ist die Afterbildung nun noch
nicht zu weit vorgeschritten, so ist durch die Homöopathie
sogar Heilung möglich und gewiss ; ist jedoch diese Desorga-
nisation schon so weit gediehen, dass dadurch die Lebenskraft
des Menschen nicht blos in diesem einen Theile, sondern durch
den ganzen Organismus bedeutend geschwächt ist, so werden
die gereichten passenden homöopathischen Arzneien zwar eine
momentane Linderung, nie aber eine dauernde Besserung bewir-
ken können — also nur eine palliative Erleichterung, die der
Allöopathie zwar auch gelingt, aber nur nicht in dem Grade, wie
der Homöopathie, und mit dem Unterschiede, dass jene sich mit
ihrer Palliativ-Kur, wo noch Heilung möglich gewesen sein würde,



430 Magenverhärtung, Magenkrebs.

diese verscherzt, weil sie nur Mittel wählt, die durch ihren di-
rekten Gegensatz die Krankheit zu mildern vermögen, keineswegs
aber in pathischem Bezüge zu dem fraglichen Leiden stehen. —
Meine Behauptung wird durch die jetzt so häufig vorkommenden
Magenverhärtungen und Magenkrebse bestätigt, von
denen wenigstens ein grosser Theil nicht entstanden sein würde,
wenn die Allöopathie vom Anfange der Krankheit, wo sie sich
gewöhnlich durch Zeichen eines einfachen Magenkrampfs zu er-
kennen giebt, die passenden Mittel zu wählen verstanden hätte,
wodurch der Magenkrampf gehoben, und folglich die Bedingung
zur Entstehung der genannten fürchterlichen Leiden beseitigt
worden wäre. Ich fühle mich hier veranlasst, Einiges über die
genannten Krankheits-Zustände einzuschalten.

§. 217.

Magenverhärtung, Magenkrebs. Scirrhus et Carcinoma ven-
triculi; Gastrostenosis cardiaca et pylorica.

So angenehm es auch manchem Leser sein würde, wenn ich
ausführlicher diese Krankheit bespräche und insbesondere der
anatomischen Charactere derselben gedächte, so muss ich doch
darauf verzichten, um mir den Raum zu meinem Hauptzwecke
— therapeutische Andeutungen — nicht zu sehr zu verkürzen.
Ich beschränke mich daher nur auf das Nöthigste.

Symptome eines Magenkrebses sind in der Vor-
läufer-Periode, die oft viele Jahre lang sich hinzieht, fol-
gende; die Verdauung ist äusserst mühs%n, das Genossene quält
Patient während der ganzen Dauer der Digestion; er klagt über
dumpfen Schmerz, Schwere, Spannung im Epigastrium, Flatulenz;
zuweilen gesellt sich auch Sodbrennen, Brechreiz, Wass erb rechen
hinzu; meist früh nüchtern stösst eine wässrige, schleimige, faden-
ziehende Flüssigkeit, oft in beträchtlicher Menge auf in den
Mund, worauf der Tag über relativ wohl hingebracht wird. End-
lich kommt es auch zum Erbrechen, eine, zwei und mehre Stun-
den nach dem Essen, was aber auch längere Zeit verhütet wer-
den kann , wenn der Kranke nur solche Speisen und Getränke
zu sich nimmt, die er gut verträgt, doch kehrt es auch leicht nach
dem geringsten Excess wieder, was allerdings auch bei zuneh-
menderDegeneration im Magen, ohne alle Veranlassung, geschieht.



Scirrhus et Carcinoma ventriculi etc. 431

Symptome des entwickelten Magenskirrhus sind:
die durch Palpation fühlbare, zuweilen mit blossem Auge sicht-
bare umschriebene, verschiedentlich ausgebreitete Härte und An-
schwellung im Epigastrium , im rechten Hypochondrium oder an
irgend einer Stelle, die der Lage des degenerirten Magens ent-
spricht. Die Anschwellung hat verschiedene Gestallungen , ist
bald verschiebbar, bald unbeweglich und mit Nachbartheilen ver-
wachsen. — Das Erbrechen wird mit der Zeit habituell, erfolgt
2, 3, 4 Stünden nach der Mahlzeit, zuletzt sogar bei nüchter-
nem Magen — diess ist das characteristischste Zeichen eines
Magenkrebses, durch welches eine eigenthümliche schwärzliche
chocolat-, kaffeesatz-, russartige Masse, ja selbst reines Blut
entleert wird.

In diesem Stadium erreicht die beschwerliche Verdauung den
höchsten Grad ; der Kranke fürchtet sich zuletzt, irgend etwas
zu sich zu nehmen, weil er jeden solchen Versuch mit einem
Anfalle von unsäglicher Qual, Angst bis zur Ohnmacht, den hef-
tigsten Magenschmerzen und endlichem Erbrechen büssen muss.
Oft rauben fortwährend schmerzhafte Empfindungen auch ausser-
dem dem Kranken alle Ruhe. Meist hartnäckige Stuhlverstop-
fung; Appetit gering oder ganz erloschen; Durst gross; Urin-
absonderung spärlich; Haut trocken, pergamentarlig. — Abma-
gerung ist nothwendige Folge des gestörten Ernährungsproces-
ses , bis zum Skelett; dann treten hydropische Erscheinungen
hinzu; das eingefallene, fleischlose Gesicht trägt den Schmer-
zes-Zug, die Augen sind matt, eingesunken; die frühere erd-
fahle Hautfarbe geht ins Schmutziggelbe, Gelbgrüne über (Car-
cinomatöser Habitus). Die Veränderungen im Gefässsysteme sind
sehr häufig erst bis kurze Zeit vor dem Tode wahrnehmbar, der
Puls wird dann schwach, klein und unregelmässig. Das Ge-
müth des Kranken ist trübe, hoffnungslos.

In allen Erscheinungen, die ich hier aufzeichnete, können
Varietäten eintreten, wie diess ebenfalls auch bei andern Krank-
heiten vorkommt; so ist die Geschwulst oft gar nicht bemerk-
bar, besonders wenn der Skirrhus die innere Magenhöhlung er-
griff, oder die kleine Curvatur des Magens. Eben so wechselt
das Erbrechen in Bezug auf Zeit, auf Quantität und Qualität der



432 Magenverhärtung, Magenkrebs.

Stoffe; dasselbe gilt vom Stuhlgange, den Verdauungsbeschwer-
den und der Schmerzhaftigkeit (Canstatt).

§. 218.

Der Verlauf eines Magenkrebses ist gewöhnlich chronisch
und der Kranke stirbt meist erst nach jahrelangen Leiden, wenn
der Arzt nicht im Vorläufer-Stadium die Krankheit zu heben im
Stande ist.

Zur Aetiologie ist zu rechnen: Die Krankheit kommt am
häufigsten zwischen dem 60. und 70., dann zwischen dem 40.
und 50. Lebensjahre vor; ferner: mehr beim männlichen als
weiblichen Geschlechte, vielleicht darum, weil bei Frauen Ute-
rus und Brüste häufiger Sitz der carcinomatösen Localisation wer-
den. Erblg des Magenkrampfs. 439

fühlbarer Härte dicht unter dem Magen — bestimmten mich im-
mer am ersten zur Anwendung des Baryt. Es ist also wohl
auch ein mit eben so grossem Rechte, als andere, zu empfehlen-
des Mittel bei schon eingetretenen Desorganisationen des Magens.

Ohne Sepia getraue ich mir in vielen Fällen von Magen-
krampf beim zweiten Geschlecht nicht leicht auszukommen, be-
sonders wenn ein solcher bei schwächlichen Subjecten, mit em-
pfindlicher, zarter Haut auftritt, die eben der vorherrschenden
Nervosität wegen leicht zu Aerger geneigt sind, oder auch bei
solchen, die durch Manustupration ihr Nervensystem sehr ge-
schwächt haben. Die hieher gehörenden Symptome sind :
drückende Schwere, mit Krampf im Magen, saurem Aufstossen,
bei grösstem Lebensüberdruss, öfterer Ueblichkeit und vergebli-
chem Stuhldrang oder sehr hartem Stuhle.

Ueber Lobelia inflata kann ich eigentlich in dieser Krank-
heitsform noch nichts Bestimmtes sagen, obschon ich sie in
einigen Fällen mit Glück angewendet habe: glaube aber doch be-
haupten zu dürfen , dass sie in vielen Fällen der so häufig vor-
kommenden gewöhnlichen Magenkrämpfe angewendet zu werden
verdient, wo Patient sich über ein drückend -zusammenschnüren-
des Gefühl im Magen und Herzgrube beklagt, das bis zum Rücken
bis zwischen die Schultern sich erstreckt, nach dem Essen, be-
sonders Abends, eintritt und sich mit Gallerbrechen, Beklemmung
und Angst in der Brust und Kreuzschmerz verbindet.

Noch gehören hieher Natrum carbon, und muriaticum. Letz-
teres ist noch vorzüglicher, als ersteres, und besonders empfeh-
lenswerth bei zusammenziehendem Magenkrampf, der bald nach
dem Mittagsessen beginnt und bis zum Abende anhält, bei Kälte-
gefühl im Magen und Rücken.

Ein von mir noch nicht oft angewendetes, aber darum nicht
minder nutzbares Mittel in Leiden des Magens ist Alumina (Ar-
gilla), vorzüglich dann, wenn mit den Magenbeschwerden hart-
näckige Stuhlverstopfung verbunden war.



IL 29



440 Magenerweichung, Erweichung der Magenhäute.

§. 221.

Magenerweichung, Erweichung der M agenh äute. Gastro-

malacia; Malaxis ventriculi, Gastrobrosis (Alibert), Perforatio ventri-

culi spontanea (G6rard).

Obschon eine Krankheit anderer Natur und den Algien in keiner
Beziehung angehörig, bespreche ich selbige doch hier mehr curso-
risch, um sie den Magenleiden mit anzureihen. Der Geschwürsbil-
dung und der Periode des Zerfliessens, wie wir diess bei tuberculö-
sen und krebsigen Neubildungen im Magen beobachten, geht immer,
mehr oder weniger, Erweichung der Magenhäute voran, und so
hätte ich sogar einigen Grund als Fürsprecher für die Anmaas-
sung, diese Krankheit hier mit abgehandelt zu haben.

Dieser Krankheitszustand gehört vorzugsweise der kindlichen
Lebensperiode an, im Alter von einigen Wochen , Monaten, bis
zu 2 Jahren. Die anatomischen Charactere übergehe ich auch
hier der Raumersparniss wegen und wende mich zu der

Symptomatologie dieses Zustandes. Die Krankheit tritt
selten unter derselben Gestalt auf, bald ähnelt sie einer Cholera,
bald einer Gastritis Erwachsener, bald einem hydrocephalischen
Fieber, bald einer Febris nervosa lenta. Zuweilen tritt die Krank-
heit plötzlich, ohne alle Vorboten, mit heftigem Fieber auf, die
Kinder sind beständig sehr unruhig, schreien viel, der Puls ist
schnell und der Durst kaum zu stillen; Bauch aufgetrieben, Ma-
gengegend fühlt sich heiss an und sujynerzt beim Drucke, was
aus dem Anziehen der Füsse gegen den Leib zu schliessen ist;
wiederholtes , oft anhaltendes Erbrechen einer grünlich-schleimi-
gen, sauer riechenden Flüssigkeit, und gleichzeitig häufiger Ab-
gang wässeriger grüner, scharfer, sauer riechender Stühle; Re-
spiration beengt, trockner Husten; Athem und Haut kühl; aus-
serordentlicher rascher Collapsus der Gesichtszüge und Abmage-
rung; das Schreien geht nach und nach in Wimmern über; end-
lich tritt Betäubung ein und unter Convulsionen der Tod. — Ist
das Leiden weniger akut, so äussert es sich auf folgende Art:
Kinder verlieren den Appetit, sind mürrisch, niedergeschlagen,
leiden häufig an Aufstossen, an Aphthen, an hartnäckiger Diar-
rhöe, öfter auch an Erbrechen; ihr Schlaf ist unruhig, das Aus-
sehen ist blass und leidend. Mit dem Ausbruche des Fiebers



Gastromal., Mal. ventr., Gastrobr.(Alib.), Perf. ventr. spoht.(Ger.). 441

wird Durchfall und Erbrechen häufiger und hartnäckiger, schlei-
mig-wässerig, faulig riechend, zuweilen mit graugrünen Fasern
und Flocken untermengt; der Leib treibt sich auf; Kopf und Ex-
tremitäten werden kalt, während der übrige Körper oft noch sehr
heiss, der Bauch sogar brennend heiss sich anfühlt; auffallend
rasche Abmagerung, namentlich am Halse. Kopfsymptome tre-
ten hier gewöhnlich am auffallendsten hervor, die Kinder schlum-
mern dann immer und liegen in einem halbbetäubten Zustande,
aus dem sie jedoch leicht zu erwecken sind (Agrypno coma).

Zur Aetiologie sind zu rechnen: Säuglingsalter, Zahn-
durchbruch, cosmische Ursachen, besonders Spätsommer und Früh-
jahr, die Zeit, wo Gastrosen und Wechselfieber herrschen, Ver-
schlucken ätzenden Speichels bei Stomacace, Angina gangränosa,
Soor. Rokitansky nimmt an, dass das Leiden häufig in einer
nachweisbaren Gehirnkrankheit, besonders Hypertrophie des Ge-
hirns und Hydrocephalie begründet sei.

Die Prognose ist nicht so ungünstig zu stellen, als es
wohl auf den ersten Blick scheinen mag; nur lasse man nicht
seine Ansicht gefangen nehmen von der vorgefassten Idee einer
Gastromalacie, sondern wähle möglichst den auffallendsten Sym-
ptomen entsprechende Arzneien und oft wird man sich, unge-
achtet der ungünstigsten und das vollständige Bild einer Gastro-
malacie darstellenden Erscheinungen, eines günstigen Ausgangs zu
erfreuen haben.

§. 222.

Behandlung dieser Krankheit. Viele Erscheinungen,
die einem Vorläuferstadium beizuzählen sind, oder wohl auch
schon die Anfänge der beginnenden Degeneration manifestiren,
von den Aerzten aber in den wenigsten Fällen einem so gefahr-
drohenden Desorganisations-Prozesse zugeschrieben werden, ha-
ben so auffallende Aehnlichkeit mit einem gastrischen Zustande,
dass ich die Leser nur auf die Behandlung eines solchen (s. im
ersten Theile) zu verweisen nöthig habe; doch will ich ein Paar
Mittel ganz besonders hervorheben, die mir oft von grossem
Nutzen waren und die Krankheit im ersten Keime erstickten.
Erscheint das Leiden nämlich, wie es nicht selten zu thun pflegt,
in Form einer Diarrhöe, die habituell zu werden droht, so dürfte

29*



442 Magenerweichung, Erweichung der Magenhäute.

Calcarea acetica in flüssiger Gestalt, täglich mehre Dosen, darum
schon als ein geeignetes Mittel erscheinen, weil es den mancher-
lei Dentitionsbeschwerden hemmend entgegentritt und etwaigen
Entwickelungen der Scrophulosis (nach den neuern Erfahrungen
zwar geleugnet, von uns aber darum angenommen, weil wir wis-
sen, was darunter zu verstehen) kräftig begegnet und ihr Vor-
wärtsschreiten im Keime erstickt ; von der carbonica habe ich
dieses kräftige Eingreifen bei einer derartigen Unterleibsstörung
nie in dem Grade beobachtet und darum auch nie wieder von letz-
terer dagegen Gebrauch gemacht; aus diesem Grunde habe ich
aber auch nicht, nach Hahnemann's Vorschrift, der die Sym-
ptome beider als gleichbedeutend untereinander gemischt hat, die
Calc- acet. aus unserm Arzneischata zu verbannen vermocht, weil
ich der Ansicht bin, dass sie eine vorwiegendere Affinität vor
ersterer zur krankhaften Erregung des N. vagus und sympathicus
besitze. — Ein Gleiches behaupte ich von dem zweiten, hieher
gehörigen Mittel, dem Acidum phosphoricum , das ich der Calc.
acet in dieser Krankheitsspecies, wenn sie unter den vorhin ge-
nannten Symptomen aufzutreten beginnt, zur Seite stelle, nur
mit dem Unterschied , dass ich es schon bei habituell gewordener
Diarrhöe, bei tieferem Ergriffensein des Centralorgans des Un-
terleibsnervensystems, für noch vorzüglicher als Calc. acet. halte.

— Die fernem mit Diarrhöe verbundenen Krankheitszeichen mö-
gen der Vergleichung der physiologischen Andeutungen bei beiden
Mitteln dem Leser überlassen bleiben, %

Vermögte der Arzt vom Anfange der Krankheit nicht immer
mit der Klarheit zu sehen; wäre er schwankend, ob er es nicht
etwa mit einer febris hydrocephalica zu thun habe: so wird ihn
der Erfolg nach der Anwendung von Bellad., Acori. , Bryonia etc.
bald belehren, ob er einem Scheinbilde gefolgt sei, oder nicht.

— Ich muss hier ebenfalls wieder annehmen, dass der Leser
scrupulös bei Aufnahme der Symptome verfahren sei und ver-
weise ihn dann wieder auf das im 1. Bande hieher Gehörende und
ausführlicher Besprochene.

Tritt die Krankheit ähnlich der Cholera auf, nun so bezeich-
net der Name schon wieder, was der Arzt thun müsse, um das
gefahrdrohende Leiden zu heben, bevor es eine noch lebensge-
fährlichere Gestalt annimmt.



Gastromal., Mal. ventr., Gastrobr. (Alib.), Perf. ventr. spont. (Ger.). 443

Nur wenig initgetheilte Fälle von Gastromalacie bietet die ho-
möopathische Literatur dar; unter der- Angabe der Mittel bei der
Behandlung vermisse ich Tartarus emeticus, eine Arznei, die nach
meinen damit gemachten Erfahrungen gewiss nicht zu den un-
kräftigsten in dieser Krankheit zu zählen ist, besonders wenn —
wie sehr oft der Fall — jene oben beschriebene Agrypnocoma
mit zugegeu ist. Ich weiss nicht, ob gerade, wie Arnold in
Hygea. I. S, 400 annimmt, eine chemische Einwirkung des Mit-
tels zur Heilung einer derartigen Degeneration erforderlich ist,
ob nicht vielleicht auch eine dynamische Kraft ausreichend sei,
eine dergleichen Entartung in seiner Fortbildung zu beschränken,
auch wohl eine Rückbildung zu bewirken! Ich bin sehr geneigt,
diese Meinung zu verfechten, zu der in der neuesten Zeit mir
so manche Beobachtung reichen Stoff geboten hat. Dem sei wie
ihm sei; gewiss ist, dass Tart. emet. in dieser Krankheit ein ausge-
zeichnetes Heilmittel sei, das Arsen, und Veratrum weit übertrifft.
Doch auch von den beiden letzteren kann ich nicht so leicht von
ihrer gänzlichen Wirkungslosigkeit in dieser Krankheit mich über-
zeugen und nehme eher an, dass sie nur nicht in der zweckdien-
lichen Gabe in Anwendung gebracht worden sind — ein Fehler,
der allen Homöopathen begegnet ist und noch ferner begegnen
wird und besonders denen, die mit Eisenfestigkeit behaupten, ihre
Gabengrösse sei die allein seligmachende!

Das Hauptmittel aber, von Dr. Arnold empfohlen und
von Dr. Krummacher bestätigt, in Gastromalacie ist Kreosot,
von Erslerem in der ersten, von Letzterem in der sechsten Ver-
dünnung angewendet. Es tritt bald Nachlass aller Beschwerden
und baldige Heilung ein , nur die Abmagerung wird nicht so
schnell ausgeglichen. Eigene Erfahrungen habe ich nicht dar-
über, empfehle dessungeachtet dieses Mittel aus Ueberzeugung zu
fernem Nachversuchen und recht speciell zu gebenden Mitthei-
lungen.

§. 223.

Blasenkrampf. Spasmus vesicae, Cystodynia, Cystalgia, Cysto-

spasmus.

bschon der Blasenkrampf als begleitendes Symptom ver-
schiedener Krankheitszustände vorkommt, so sehen wir ihn doch



444 Blasenkrampf.

auch als eine functionelle Neurose auftreten, von der ich hier
spreche.

Erscheinungen eines Blasenkrampfes sind: heftiger zusam-
menschnürender Schmerz, vom Blasenhalse ausgehend, der bei
Männern sich über den Rücken des Penis nach vorn erstreckt,
mit vollkommener oder unvollkommener, schmerzhafter Erection
des Gliedes, auch in die Weichen, Hoden, Schenkel ausstrahlend,
oft gleichzeitig auch nach hinten über das Perinäum gegen den
After, mit Tenesmus ähnlichem Schmerz verbunden. Dieser
Schmerz dauert gewöhnlich nur wenige Minuten, höchstens ^ bis
-| Stunde und geht dann in Ruhe über. Zugleich verbindet sich
damit peinlicher Harndrang, der nicht befriedigt werden kann;
erstreckt sich der Krampf auf den Blasenhals, so ist spastische
Ischurie Folge davon; setzt er sich im Detrusor urinae fest, so
wird der Urin zuweilen mit einiger Gewalt ausgetrieben, oder er
fliesst nur tropfenweis ab, im letztern Falle leidet der Kranke
an Enuresis spastica. Mit Nachlass des Krampfes geht oft ein
voller Urinstrahl ab und der Urin sieht meist hell, ja selbst bläs-
ser als gewöhnlich aus. Bei reizbaren, schwachen Subjecten und
bei grosser Heftigkeit des Krampfes gesellen sich Angst, Unruhe,
Zittern, allgemeine Nervenzufälle, kalte Schweisse, kleiner, zu-
sammengezogener Puls, Erbrechen hinzu.

Aetiologie: Die Krankheit verschont kein Geschlecht und
Alter, doch ist sie häufiger an das mittlere Lebensalter gebun-
den; prädisponirt sind: nervös reizbare, hypochondrische, hy-
sterische Individuen. Aeussere Momente finden sich: in
Gemüthsbewegungen, Zorn, Aerger, geistigen Anstrengungen,
Reizen des uropoetischen oder Genital-Systems durch Canthariden,
diuretische Getränke, junge Weine, mit Wachholder gebraute
Biere, Excesse im Coitus, Erkältung, Sitzen auf feuchtem kalten
Boden u. dgl. m.

§. 224.

Therapie. Es versteht sich, dass auch hier, wie immer,
erregende Momente unschädlich zu machen gesucht werden müs-
sen. So kamen mir einige Fälle vor, die von Cantharidenstaub,
beim Durchsieben der ersteren entstanden , schnell mit einigen



Spasmus vesicae, Cystodynia, Cystalgia, Cystospasmus. 445

bald aufeinander folgenden Gaben Comphora beseitigt wurden;
eben auch solche, die durch öftere Vesikatore und die in Go-
norrhöen bekannte Hanfsaamen-Emulsion hervorgerufen wurden.
Ueberhaupt ist mir kein Mittel im Blasenkrampf, sei er auch ent-
standen, auf welche Art er nur immer wolle, so ausgezeichnet
hülfreich erschienen, als der Campher und ich nahm jedesmal
meine Zuflucht zu ihm, wo mir der Kranke, wegen ungemeiner
Heftigkeit des Schmerzes, die Art desselben nie anzugeben ver-
mochte; meistens waren es wohl die Fälle, denen kurze Zeit vor
ihrem Erscheinen eine Gonorrhöe vorangegangen war; fernere
Beobachtungen müssen jedoch diese noch nicht vollständig- con-
statirte bestätigen, oder als ungültig erweisen.

Bei vielen andern Arten war ich jedoch nicht immer so glück-
lich, vom Anfange das passendste Mittel zu treffen, was immer
um so unangenehmer ist, als man von dem armen Leidenden in
dieser Krankheit mehr als in vielen andern, der Heftigkeit der
Schmerzen wegen, förmlich gepeinigt wird, ihn von seinen Lei-
den zu befreien. — Als vorzüglichstes Mittel , nächst Campher,
haben sich die Cantharides erwiesen. Ich brauche kaum zu er-
wähnen, dass sie nur in solchen Fällen zu berücksichtigen, die
nicht durch Einwirkung der Canthariden entstanden sind. Am
vortheilhaftesten wirken- sie, wo zugleich eine Enuresis spastica
mit stattfindet; der Schmerz treibt den Kranken, besonders Nachts,
von einem Lager zum andern, er klagt über Schneiden, Zusam-
menziehen und Drängen nach dem untern Theile der Blase zu,
von den Harnleitern herab sich erstreckend; zuweilen ist auch
ein flüchtig reissender Schmerz im Blasenhalse damit verbunden
und Patient sucht alle diese schmerzhaften Empfindungen durch
Zusammendrücken der Eichel zu vermindern ; lässt das Urintröp-
feln bisweilen nach, so kommt nach einiger Zeit Buhe oft ein
starker Harnstrahl mit Erleichterung und selbst gänzlichem Nach-
lass aller Beschwerden ; selten fand ich hier den Urin rein spa-
stisch, meist trübe oder, besonders Nachts, mit weiss-schleimi-
gem Satze.

Sassaparilla habe ich in schmerzhaften Zusammenschnürun-
gen der Harnblase, wo das Leiden als eine functionelle Neurose
anzusehen war, nie nützlich gefunden; sie ist, nach meinen
Beobachtungen nur dann anwendbar, wenn Blasensteine die Krank-



446 Neurosen im Allgemeinen.

heit erzeugen, und dann ist Sassapar. ausgezeichnet hülfreieb,
besonders wenn der Kranke über sehr schmerzhaftes drängendes
Brennen sich beklagt und der Urin in reichlicher Menge, aber
blass aussehend, ausgeschieden wird.

Vorzüglicher im wahren Blasenkrampf ist Pulsatilla , die ich
noch immer mit demselben Nutzen wie früher in den für sie
geeigneten Fällen anwende. Hülfreicher erscheint sie mir beim
zweiten Geschlecht; ferner da, wo die Krankheit nach dem Ge-
brauche schwefelhaltiger Wasser, oder nach Erkältung der Füsse
eingetreten war; der Harnzwang ist, soll Puls, passend sein,
höchst empfindlich, anhaltend und mit Urintröpfeln verbunden.

Ihr zunächst steht, nach meinen Erfahrungen, in Blasenkräm-
pfen von Erkältung Colchicum, dem ich aber auch Dulcamara
anreihe. Bei beiden Mitteln weiss ich aber auch nur die Erre-
gungsursache als Indication anzugeben, während nähere Bestim-
mungen zur Anwendung des einen oder des andern Mittels mir
mangeln, ich kann nicht anders sagen, als aus Unachtsamkeit
auf die mit ihnen behandelten Fälle — folglich, rein empiri-
sches Verfahren , was in einzelnen Fällen wohl einmal zu ent-
schuldigen ist, nur nicht bei dem, der Andere belehren zu wol-
len sich unterfängt.

So sehr ich auch Lycopodium , Acid. plwsphor., Sepia und
Terebinthina in Blasenkrankheiten schätze, so kenne ich sie
doch in dieser Krankheitsform zu wenig , als dass ich sichere
Indicationen zu ihrer Anwendung zu geben im Stande wäre.



Neunzehnte Ordnung.
§• 225.

Neurosen im Allgemeinen.

Ihr physiologischer Character nach Schönlein ist:
1) Der Krankheitsprozess hat immer im peripherischen Nerven-
system seinen Sitz. — 2) Jede Neurose besteht aus einer Beihe
von Paroxysmen, die aber an nichts Begelmässiges, Typisches,
an keine bestimmten Zeityerhältnisse gebunden sind, daher auch
unbestimmte Intervallen; grossen Einfluss übt der Mond und wir



Neurosen im Allgemeinen. 447

sehen die Paroxysmen mancher Neurose zur Zeit gewisser Mond-
phasen heftiger. — 3) Der Reiz, der bei Neurosen im periphe-
rischen Nervensystem stattfindet, wird während der Paroxysmen
zum Centraltheile fortgeleitet, doch ist die Fortleitung bis zum
Centraltheile, namentlich Rückenmark und Gehirn , nicht immer
in ihrem ganzen Verlaufe, sondern nur an ihren beiden Endpunk-
ten , ersichtlich ; deutlich erkennbar ist sie bei peripherischer
Epilepsie, Anfangs leichte Zuckungen, später Convulsionen, end-
lich Ergriffensein des Gehirns selbst und Bewusstlosigkeit ; das
Gefühl der Fortleitung ist ein verschiedenes, als: eines fortstrei-
chenden Windes, des Ameisenlaufens, eines elektrischen Schlags,
einer Flamme etc. ; bei Hysterie geschieht die Fortleitung mit
einem zusammenschnürenden Gefühle einer sich fortwälzenden* Ku-
gel vom Uterus aus ; in andern Fällen ist nur der Anfangs- und
Endpunkt wahrnehmbar — Uterus und im Kopf der Clavus hy-
stericus. Dadurch nun, dass die Fortleitung nicht allemal die
Centraltheile erreicht, entsteht eine Abtrennung der Neurosen in
niedere und höhere Formen ; zu den erstem gehört Tussis con-
vulsiva, zu den letzteren Epilepsie; als eine Mittelform steht die
Hysterie da. — 4) Die einzelnen Paroxysmen werden durch
Krämpfe und Convulsionen bezeichnet. — 5) Die normale Ner-
ventätigkeit, besonders die Perception ist während der Paro-
xysmen entweder verstimmt, umgeändert oder aufgehoben, oder
unterdrückt — das beste Beispiel liefert die Hysterie , wo der
Geruch angebrannter Federn, der Asa foetida etc. angenehm, da-
gegen der einer Rose etc. unangenehm ist.

Der anatomische Character bietet weder im periphe-
rischen Nervensystem , noch in den Centraltheilen — also we-
der im Ausgangs- noch in dem Endigungspunkte — etwas ent-
schieden Declarirtes dar, was nicht auch andern Krankheiten bei-
zuzählen wäre, dass ich ihn hier füglich unberücksichtigt las-
sen kann.

Aetiologie: Lebensalter, z. B. Abdominal-Epilepsie tritt
in der Jugend auf, wird aber im Blüthen- und Greisenalter nicht
wahrgenommen; Asthma beobachten wir meistens in den Jah-
ren der Involution, Hysterie in den Blüthenjahren etc.; — Ge-
schlecht. — Aetissere Momente sind: Leidenschaften, Gicht,
äussere Reize, als Splitter, Knochensplitter, Contusionen, böse



448 Neurosen der Brustnerven.

Finger etc. Wurmreiz. Ein psychisches Contagium lässt
sich nicht wegläugnen und das Receptionsorgan dafür ist das
Auge, in einzelnen Fällen auch das Ohr; wie oft pflanzen sich
Epilepsien z. B. durch Sehen eines an dieser Krankheit leiden-
den Individuums auf ein anderes reizbares Subject über; dasselbe
Phänomen beobachten wir auch, jedoch seltner, wenn lebhaft
von Epilepsie, Wahnsinn u. s. w. gesprochen wird. Ein materiel-
les Contagium ist wohl nur beim Keuchhusten nachzuweisen.

Prognose: Manche Formen sind nicht gefährlich, z. B.
Hysterie, dagegen gehört Eclampsie zu den gefährlichsten. Das
ätiologische Moment ist auch hier wieder Leitstern : kann z. B.
eine materielle Veränderung nicht entfernt werden, so ist die
Prognose höchst ungünstig; giebt eine vorübergehende Schädlich-
keit die Veranlassung, so ist ein günstiger Ausgang zu progno-
stizieren; die Entwickelung der Form ist bestimmend für die Prog-
nose; nicht minder der Anfangspunkt der Reizung und die Dig-
nität der befallenen Nervenpartien, als auch der Endpunkt; die
Häufigkeit und Heftigkeit der Anfälle; der Hinzutritt anderer be-
denklicher Symptome und der Uebergang in andere Krankheit.

Therapeutik. Eine solche in allgemeinen Umrissen ist
für den homöopathischen Arzt nicht da, und die Behandlung der
einzelnen Paroxysmen und die der Krankheit als Totalität wird
von ihm nicht anerkannt, da ihm nur in letzterer Beziehung
gedient sein kann, was ich also, um nicht dasselbe wieder sa-
gen zu müssen, für die einzelnen Krankheitsformen der Neu-
rose mir aufspare. |

§. 226.
Neurosen der Brustnerven.

Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis con-
vulsiva, ferina, Pertussis.

Jede epidemisch vorkommende Krankheit gehört eigentlich
den akuten Uebeln an ; wenn sie aber in ihrem weitern Ver-
laufe die fieberhaften Symptome immer mehr und mehr abstreift,
sich ungebührlich lange hinzieht, im Körper schlummernde Ue-
bel weckt und mit ihnen eine Verbindung eingeht , wie wir es
bei dem Keuchhusten oft beobachten: so finde ich wenigstens



Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis convulsiva, fer. 449

einen Entschuldigungsgrund für mich dafür, dass ich ihn den
chronischen Krankheiten mit beizähle. — Hat man den neuern
Ansichten über das Zustandekommen der Krankheiten mehr ge-
huldigt, hat man sich immer mehr von der Wahrheit derselben
überzeugt, wie es denn bei Naturanschauungen nicht anders sein
kann; so glaubt man nicht, in welch Gedränge man mit der
scharfen Trennung in „akute und chronische Krankheiten" ge-
räth! Mit einem Worte: ich habe mich, Hahnemann zu Liebe,
so verfahren, dass ich oft nicht weiss, wo ein noch aus und
doch kann ich nun nicht zurück, sondern muss die angenom-
mene Norm durchführen bis zu Ende. Vielleicht bin ich so glück-
lich, noch eine neue Auflage meiner Therapie zu erleben, und
dann werde ich den selbstgefühlten Uebelstand verbessern.

Erscheinungen beim Keuchhusten. Sein Verlauf kann in
drei Stadien getrennt werden , obschon diese Trennung in der
Natur nicht so scharf begränzt ist, dass nicht die Symptome
des einen allmälig in die des nächstfolgenden mit übergingen.
Man unterscheidet also das Stadium catarrhale s. prodromorum,
das Stad. morbi (convulsivum, nervosum) und das Stad. decre-
menti (criticum , der Sekretion).

Erstes Stadium (catarrhale s. prodromorum, invasionis). Es
beginnt mit katarrhalischen Beschwerden, zuweilen auch mit ei-
nem katarrhalisch-gastrischen Zustande ; manchmal findet sich auch
grosse Aehnlichkeit mit den Vorläufern eines exanthematischen
Fiebers. Die Kranken haben einen kitzelnden Reiz in der Luft-
röhre, besonders unter dem Sternum, der einen trocknen, ei-
genthümlich hohlen, metallisch klingenden Husten erregt, der
auch hier schon etwas Periodisches an sich trägt und Paroxys-
men macht. Nicht selten finden sich dazu anginöse Beschwer-
den, mit leichter Röthung der Deglutitionsorgane, etwas Heiser-
keit, häufiges Niesen, Thränen und Empfindlichkeit der Augen
gegen Licht, Frösteln, Mattigkeit; das Kind ist mürrisch, unru-
hig, fiebert oft; das Fieber trägt den Character des Erethismus,
erscheint blos gegen Abend, mit etwas belegter Zunge, beschleu-
nigtem Pulse, etwas heisser, trockner Haut; gegen Morgen Trans-
piration, Urinsediment und Nachlass, oft vollständige Intermis-
sionen der Erscheinungen. Steigert sich das Fieber bis zur Sy-
nocha, so treten leicht entzündliche Brustsymptome mit auf, die



450 Neurosen der Brustnerven.

sich durch Percussion und Auskultation und durch den mit Blut-
streifen gemischten Auswurf erkennen lassen. Wenn dieser Zu-
stand 3 bis 21 Tage gedauert hat, geht er allmälig in das

Zweite Stadium (convulsivum, nervosum) über. Charac-
teristisch ist der hier in Paroxysmen wiederkehrende eigenthüm-
liche Husten, den man nur einmal gehört zu haben braucht, um
ihn sogleich wieder als Keuchhusten zu erkennen. Patient hat
gewöhnlich vor Eintritt eines Hustenanfalls eine eigene Vorempfin-
dung, wird unruhig, läuft zu einem Stützpunkt, an dem ersieh
festhalten kann , wozu ihn Angst, dumpfer Schmerz , Druck unter
dem Brustbeine, an der Insertion des Zwerchfells, in der Herz-
grubetreibt; Kinder athmen schneller, ängstlicher, unregelmäs-
siger, fangen an zu weinen, oder schrecken aus dem Schlafe
empor, setzen sich schnell aufrecht und biegen den Oberkörper
nach vorn. Der Husten selbst besteht in kurzen unregelmässi-
gen, rasch aufeinander folgenden exspiratorischen Stössen, welche
von kurzen oder gedehnten, unvollkommenen mit einem eigen-
thümlichen pfeifenden , dem Eselsgeschrei ähnlichen Tone beglei-
teten Inspirationsversuchen unterbrochen werden , wobei die Glot-
tis krampfhaft verschlossen ist, was man leicht ergründet, wenn
man während des Anfalls das Ohr an die Brust legt, wodurch
man kein Respirationsgeräusch, wohl aber ein sonores Pfeifen
bis zur Theilung der Trachea wahrnimmt, das sich in der halb-
geschlossenen Glottis bildet; kurz vor und nach dem Anfalle ist
die Respiration oft pueril. Während dieser Erscheinungen sind
alle Muskeln der Respirationsorgane in krampfhaften Zuckungen,
das Gesicht wird ganz purpurroth oder blau, es schwillt an, die
Augen werden geröthet und scheinen aus ihren Höhlen vortreten
zu wollen, die Halsadern schwellen an ; oft dringt Blut aus Nase,
Mund , Ohren und Bronchien und in der Conjunctiva bilden sich
Ecchymosen ; Gesicht und Hals überzieht ein kalter Schweiss, der
Puls ist unterdrückt. — Gewöhnlich endet nach 3 bis 10 Mi-
nuten ein solcher Anfall mit Erbrechen, wodurch eine Menge
farbloser, zäher Schleim und die Contenta des Magens entleert
werden. War der Anfall sehr heftig, so fühlt sich der Kranke
erschöpft , und fällt oft aus Ermattung in Schlaf. Meistens je-
doch befindet er sich gleich darauf wieder wohl, verlangt oft
gleich zu essen oder kehrt zu seinen Spielen zurück; auch ist



Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis conv. etc. 451

nachher eine physikalisch-wahrnehmbare Veränderung in den Ath-
mungsorganen selten zu entdecken, nur zuweilen eine puerile
Respiration mit Rhonchus untermischt. — Eine Regelmässigkeit
ist in den bald schneller, bald langsamer wiederkehrenden Paro-
xysmen nie beobachtet worden; die Zahl der Anfälle kann sich
auf 40 — 50 steigern, doch aber auch nur auf 3— 4 in 24 Stun-
den beschränken. — In diesem Stadium, das von 4 bis 8 Wo-
chen dauern kann, nehmen jedoch allmälig die Paroxysmen an
Zahl und Intensität ab.

Im dritten Stadium (decrementi s. criticum) werden
die Anfälle immer seltner, weniger heftig, das Convulsivische
verliert sich, das Athmen ist nicht mehr pfeifend, der Husten
wird feucht und die Kranken werfen zu Ende der kurzen Anfälle
mit grosser Erleichterung, unter Geräusch in den Bronchien,
zähe, dicke, grünliche Sputa aus. — Oft treten in diesem Stadium
Rückfälle auf, die die Krankheit um so länger hinziehen; in der
Regel dauert es selten länger, als 3 — -4 Wochen.

Der Keuchhusten geht manche Complicationen ein, un-
ter denen die mit Bronchitis undPr eumonie die häufigste ist;
fast eben so oft bemerken wir auch Congestion und Stase der
Gehirnhäute und des Gehirns; Complication mit Gastro- und
Enteropathie unter der Form des s. g. remittirenden Kinderfie-
bers, mit Pleuritis, Pericarditis, Croup, Angina.

Aetiologie. Am häufigsten beobachten wir den Keuchhu-
sten bei Kindern bis zum 7. Lebensjahre, seltner von da bis zum
14., am seltensten bei Erwachsenen ; oft erscheint er epidemisch,
doch bindet er sich an keine Jahreszeit; er scheint mehr conta-
giös als miasmatisch zu sein; auch sporadisch kommt er vor.

Die Prognose ist im Allgemeinen nicht sngünstig, denn,
obschon der Keuchhusten langwierig und quälend ist, so ist er
doch selten gefährlich. Indessen hängt die Prognose vom Alter,
der Constitution, von den etwaigen Complicationen, von der
Dauer des convulsivischen Stadiums etc. ab.

§. 227.

Behandlung desselben. Wo diese Krankheit ein ganz
gesundes, von jedem chronischen Hautausschlage frei gebliebenes



452 Neurosen der Brustnerven.

Subject befällt, da ist sie am leichtesten und in kürzester Zeit
zu heben. Skrophulöse Individuen widerstehen hartnäckig einer
schnellen Heilung und erfordern meistens die Anwendung anti-
psorischer, d. h. kräftiger eingreifender Arzneistoffe. Diess
sind auch grösstentheils die Fälle, bei denen die von Hahne-
mann im 6ten Theile seiner reinen Arzneimittellehre als speci-
fisch gegen diese fast nur epidemisch vorkommende Krankheit
gerühmte Drosera oft ganz unwirksam bleibt, besonders wenn
die Krankheit schon längere Zeit gedauert hatte, bevor der ho-
möopathische Arzt zu Rathe gezogen wurde. — Einen epide-
misch vorkommenden Keuchhusten erlebte ich während meines
fünfjährigen Aufenthalts als Arzt im sächsischen Erzgebirge und
ich entsinne mich keines Falles, der mehr als dieses eine Mittel
zu seiner Heilung erfordert hätte. Ganz anders verhält es sich
hier in Leipzig — eben so in vielen andern grossen Städten — ,
wo man unter hundert Kindern kaum zehn, nicht skrophulöse,
findet, die, vom Keuchhusten befallen, gewiss sehr selten mit
diesem einen Mittel allein geheilt werden. — Ungleich glückli-
cher in der Behandlung dieser Krankheit ist die Homöopathie
vor der Allöopathie und die Prognose bei ersterer Behandlung
weit sicherer, als bei letzterer, selbst wenn diese die richtigsten
Mittel gewählt hätte, indem durch die in den meisten Fällen zu
grosse Gabe der specifisch-passenden Arznei der Tod herbeige-
führt wird — die Kranken sterben nicht am Keuchhusten selbst,
sondern an den durch diese Mittel (Betyd.) Eyoscyam., Ipec.
etc.) erzeugten Nebenbeschwerden, als: Kopf- und Brustconge-
stionen, Stasen der Brustorgane, der Gehirnhäute und des Gehirns.
Worauf das Wesen dieser Krankheit beruhe, ist auch jetzt
noch ein Problem, dessen Lösung vielleicht wesentlich zur rich-
tigeren Behandlungsart in der Allöopathie führen würde, wenn
sie es nebenbei nicht verschmähete, sich auch eine naturgetreue
Ansicht von der Wirkungskraft ihrer Heilpotenzen zu verschaf-
fen, worin ihr die Homöopathie so vielumfassend vorgearbeitet
hat. — Am nächsten in der Erforschung über die Natur dieses
Krankheitsprozesses kommen diejenigen Schriftsteller, die sie in
cosmischen, den exanthematischen Krankheiten sehr nahe stehen-
den Verhältnissen suchen, und sich auf der Bronchialschleimhaut
ablagert. Bedenken wir, dass Keuchhusten - Epidemien häufig



Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis conv. etc. 453

gleichzeitig mit Masern auftreten und der die Masern begleitende
katarrhalische Zustand ungemein viel.Aehnlichkeit mit dem ersten
Stadium des Keuchhustens darbietet: so ist die Annahme der
Männer gerechtfertigt, die das Wesen des Keuchhustens in der
Localisirung einer specifischen (exanthematischen) Stase auf der
Bronchialschleimhaut suchen. Zugleich findet hierin auch das
dritte Stadium seine Erklärung ungesucht, da nach den neuern
Forschungen, die auf Naturanschauung beruhen, jede Stase ihre
normgemässen Stadien regelrecht durchwandert (die nur durch
das eingeschlagene künstliche Verfahren, je nach dem es richtig
oder falsch ist, beschleunigt oder verlangsamert werden) und
dasStad. criticum s. relaxationis denSchluss der Phasen aus-
macht. Ist es nun auch blos ein erethischer Zustand, den wir
im Stad. catarrhale eines Keuchhustens vor uns haben, so
ist er doch denselben Naturgesetzen, wie eine vollkommen aus-
gebildete, lebhafte Entzündung, nur in niedererm Grade, unter-
worfen und so bliebe denn nur noch die Erklärung des Stad. con-
vulsivum übrig, die nicht ganz grundlos auf die Art gegeben
wird, dass durch ein krankhaft verändertes Blut (wie jede Stase
diess nachweist) die den Zwerchmuskel , Kehlkopf und Trachea
versorgenden Nerven zu widernatürlicher Reaction erregt werden.
Nach den Regeln der Homöopathie würden also Arzneien
bei Behandlung eines Keuchhustens gewählt werden müssen, die
den eben beschriebenen krankhaften Veränderungen in ihrer To-
talität entsprechen, was so gar schwierig nicht ist, als es auf
den ersten Augenblick scheinen mag, wenn wir nur mit scharfer
Auffassungskraft die Symptome der Arzneien, und den daraus zu
erkennenden Character der Mittel, mit denen der Krankheit in
genauen Vergleich stellen. Berücksichtigt man bei dieser Krank-
heit genau den Grad derselben, die Nebensymptome, die län-
gere oder kürzere Dauer, den nur dieser Krankheit ganz eigen-
thümlichen Husten, der nur bei Einer Epidemie derselbe ist,
bei einer zweiten und in sporadischen Fällen aber auch immer
anders sich wieder gestalten wird: so bieten sich uns so man-
nichfache Eigenthümlichkeiten dar, die wir unter der Symptomen-
gruppemancher Mittel so treffend ähnlich wieder finden, dass dem
homöopathischen Arzte die Wahl gar nicht schwer werden kann.
Dieses genaue Specialisiren, das den denkenden homöopathischen


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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #17 on: April 30, 2013, 09:40:57 PM »

454 Neurosen der Brustnerven.

Arzt vor den Routinier auszeichnet und das dem Allöopathen,
der nur das Genus, nie die Species berücksichtigt, ganz abgeht,
bestimmt erst die richtige Wahl des homöopathischen Arzneimit-
tels und macht es begreiflich, warum dem einen Homöopathen
dieses, dem andern jenes Mittel in einer und ebenderselben Epi-
demie nützte und hülfreich sich erwies, weil er die Krankheit
bald in diesem, bald in jenem Zeiträume, bald unter diesen, bald
unter jenen Nebensymptomen etc. zur Behandlung übernahm,
während ein anderer Homöopath die Cur einer solchen Krank-
heit wieder unter andern Verhältnissen zu leiten hatte.

Dem ersten oder catarrhalischem Stadium entsprechen mehre
Mittel (m. s. ersten Band §. 29 u. f. und §. 194 u. f.), die nach
Verschiedenheit der Symptome in diesem Zeiträume, gleich einem
Prophylacticum, angewendet werden können. — Nothwendig ist
in diesem catarrhalischen Zustande gleichmässige Temperatur,
Aufenthalt im Zimmer, Schützen vor Witterungseinflüssen, Erkäl-
tung etc. ; empfehlenswerth sind schleimige Getränke, Eibischthee,
Hafer-, Graupenschleim, Eierwasser u. s. w. — Verdankt der
catarrhalische Zustand einer auffallenden Erkältung sein Entste-
hen, so wird Dulcamara sich öfters hülfreich erweisen, wenn be-
sonders der Husten feucht und leicht lösend ist und gelinde
Heiserkeit sich damit verbindet; in einem ähnlichen Falle dient
auch bisweilen Pulsatilla, vorzüglich wenn mit dem Husten es
leicht zum Erbrechen kommt, in welcher Berücksichtigung dann
auch wohl Ipecacuanha mit in die WahLfallen dürfte, wenn der
Krankheitszustand ein anders gearteter ist, als jene beiden vor-
her genannten Mittel erforderten, was dem Arzte zu entscheiden
überlassen bleiben muss.

Erregt ein brennend-stichlichter Schmerz im Kehlkopfe (den
das Kind zwar so nicht zu beschreiben vermag, die schmerzende
Stelle am Kehlkopf jedoch durch Hingreifen mit der Hand be-
zeichnet) den Husten, durch welchen der Schmerz lebhaft er-
höht wird; ist der Husten selbst sehr trocken: so ist die Annahme
eines lebhafter erethischen Zustandes gerechtfertigt, besonders
wenn auch Fieber - Erscheinungen nicht fehlen, und dann ist
Aconit, ganz an seinem Orte und beseitigt am schnellsten und
sichersten das Leiden in seinen ersten Anfängen, wie es keinem
andern Mittel so gelingen würde. Sehr zweckdienlich ist es



Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis conv. etc. 455

dann oft, China und Belladonna, im Wechsel, dem etwa noch
rückbleibenden characteristischen Husten entgegenzusetzen und
selbst Ledum diesen beiden, den Beobachtungen erfahrener Ho-
möopathen gemäss, noch folgen zu lassen, wenn es jenen nicht
gelingen sollte, den Rest ganz zu tilgen. Sollte es auch bei
diesem Handeln nicht immer möglich sein, die Krankheit gahz zu
beseitigen, so wird doch der Husten oft viel gemindert und in
so weit gebessert, dass er feucht wird und jenen eigenthümlichen
scharf klingenden Ton verliert.

In sehr vielen Fällen wird dieses dem Keuchhusten voran-
gehende Stadium catarrhale durch Chamomilla gehoben, nament-
lich da , wo entweder der immerwährende Reiz zum trocknen
Husten in der Gegend des Kehlkopfs durch ein klemmendes Ge-
fühl oder, wo er im obern Theile der Brust, unter dem Brust-
beine, durch einen kitzelnden Reiz erzeugt wird; eine catar-
rhalische Heiserkeit in der Luftröhre, ein brennendes Gefühl im
Kehlkopfe und ein Wundheitsschmerz auf der Stelle, wo nach
langem angreifendem Husten etwas Schleim sich losgelöset hat,
geben keine Gegenanzeige zu ihrer Anwendung. — Häufig auch,
und diess ist besonders bei einem sich schon dem zweiten Sta-
dio nähernden Husten der Fall, verbindet sich mit einem solchen
trocknen krampfigen Husten ein Brechwürgen und Erbrechen
selbst, das alsdann das Athmen sehr behindert, wobei der Kranke
ganz blau im Gesichte wird und sich vor Angst, als müsse er
ersticken, nicht zu lassen weiss : einem solchen Zustande ent-
spricht Nux am besten, sie beseitigt das Brechen, bei übrigens
auf dieses Mittel hindeutenden Krankheits-Symptomen, und hin-
terlässt meistens den Husten in einem solchen Zustande, dem
sehr oft Pulsatilla entgegenzusetzen ist. Bleibt hingegen mehr
ein trockner, krampfhafter Husten zurück, der aber schon den
eigenthümlichen, pfeifenden Ton verloren hat und mehr einem
catarrhalischen sich nähert, so zeichnen sich IgnaL, Ipecac,
Hyoscyam., Beilade Conium, als Heilmittel aus.

Bei unpassend gewählten Arzneien geht die Krankheit im
gestört in das zweite Stadium — in das sogenannte Stadium
convulsivum — über, und dann tritt auch eine andere Verfah-
rungsart hinsichtlich der Behandlung ein, welche letztere auch
dieselbe ist und bleibt, wenn der homöopathische Arzt die Krank-

II. 30



456 Neurosen der Brustnerven.

heit erst in diesem Stadio zur Behandlung übernimmt. — Die
Krankheits-Syrnptome bleiben in diesem Stadio dieselben, die sie
in dem catarrhalischen waren, nur in einem viel heftigeren
Grade. Der Husten ist hier, wie schon oben beschrieben, schrei-
end, gellend, pfeifend, hochtönend, und ein solcher Husten-Paro-
xysmus, der täglich zu mehren Malen kommt, endet oft mit Wür-
gen, Erbrechen und Auswurf einer Menge Schleim.

Das Hauptmittel in diesem Stadio ist Drosera (nach Ha h ne-
in an n, zu 2 bis 3 mit der Dezillion - Verdünnung befeuchteten
Streukügelchen) vorzüglich, wenn der Keuchhusten epidemisch
grassirt. Die Unwirksamkeit dieses Mittels hängt oft von seiner
Bereitungsart ab, die genau nach den Vorschriften Hahne manns
gemacht sein will. Neuere Erfahrungen haben jedoch zur Ge-
nüge dargethan, dass nicht die Bereitungsart der Arznei, nicht
das Mittel, die Schuld der Nichtheilung jedesmal trägt, sondern
sehr häufig die falsche Wahl, indem ja, wie begreiflich, Drosera
nicht für jede Keuchhusten-Epidemie das Specificum ist, da jede
neue Epidemie der Art sich anders gestalten kann, mit andern
Modificationen und Complicationen, unter andern atmosphärischen
Verhältnissen und anderm Krankheitsgenius auftritt. — Drosera
nützt immer, wenn der Keuchhusten vollkommen ausgebildet ist,
d. h. wenn die characteristische Eigentümlichkeit mit Husten
verbunden ist, dass der Kranke vor schneller gewaltsamer
Aufeinanderfolge der Hustenstösse nicht so viel Zeit gewinnt,
ordentlich einathmen zu können, wodurch er in Erstickungs-
Gefahr geräth ; der Hustenreiz wird öurch ein Kriebeln und
Kitzeln im Kehlkopfe hervorgerufen, das das Kind, besonders
Nachmitternacht, häufig aus dem Schlafe weckt und die Paro-
xysmen schneller herbeiführt; neben dem hat dieser für Dro-
sera passende Keuchhusten noch das Eigentümliche, dass fast
immer Blut aus Mund und Nase mit kommt und er am Tage
sehr leicht durch Singen, Lachen, Weinen, Gemüthsbewegungen
erregt wird.

Durch vielfache Erfahrungen haben wir die Ueberzeugung
erlangt, dass Cina ebenfalls ein herrliches Mittel in diesem Sta-
dio ist; sie ist vorzüglich da indizirt, wo die Krankheit mit
einem gastrischen Zustande sich paart, das Kind schon längere
Zeit vor Ausbruch des Keuchhustens an Verschleimung des Ma-



Keuchhusten, blauer, Schaafs-,Eselshusteit. Tussis conv. etc. 457

gens und Darmkanals, Verdauungsschwäche, Anorexie, Wurmbe-
schwerden litt; wo er ein scrophulöses Subject befiel; wo das
Erscheinen des Hustens auf einer plötzlichen krampfhaften Zu-
sammenziehung des Kehlkopfs beruht, mit welcher ein allgemei-
nes Starrwerden des ganzen Körpers, Bewusstlosigkeit und starrer
Blick verbunden ist.

Belladonna ist allerdings auch oft hülfreich, allein gewiss
nicht in dem vollkommen ausgebildeten Stadio convulsivo, wo
das ganz characteristisch geartete periodische Aussetzen des
Einathmens während der Husten-Anfälle zugegen ist. Der Hu-
sten muss, wo sie hülfreich sich zeigen soll, wohl als ein mit
krampfhafter Zusammenschnürung der Kehle verbundener, trock-
ner auftreten, nach vorgängigem Weinen oder unangenehmen
Gefühl in der Magengegend, aber er darf nicht mit den nur dem
ausgebildeten Keuchhusten zukommenden characteristischen Ei-
genthümlichkeiten gepaart sein, wodurch eine Gegenanzeige zu
ihrer Anwendung gegeben ist. — Bellad. und Cina sollen in
Abwechselung gegeben, wie ich schon weiter oben anführte,
sehr viel in dieser Krankheit nützen.

Ebenfalls sehr beachtungswerth in dieser Krankheit über-
haupt ist das Cuprum acet.; es ist ohnstreitig eine der schäz-
zenswerthesten Arzneien in jener gefährlichen Form des Keuch-
hustens, wo der Kranke während des Hustens ganz wegbleibt,
starr wird , und bei wieder eintretender Lebensthätigkeit und
Athmungsfähigkeit sich erbricht und dann langsam erholt; hier
ist auch ausser den Anfällen das Athmen mit einem schnurcheln-
den Geräusche in den Luftröhrästen verbunden, als ob sie mit
Schleim überfüllt wären. Seitdem habe ich mehrmals Gelegen-
heit gehabt, dieses Mittel im Keuchhusten anzuwenden, und es
nicht blos in dem eben beschriebenen Zustande als das hülfreichste
kennen gelernt, sondern es auch gleich zu Anfange der Krank-
heit in vielen Fällen passender als Drosera gefunden, indem da-
durch, oft in wenigen Tagen schon, der Keuchhustenton entfernt
wurde. Den zurückbleibenden catarrhalischen Husten hebt man
dann öfters leicht durch mehre wiederholte Gaben Ipecacuanha.
Ja dieses letztere Mittel ist allein sogar vermögend, einige Keuch-
hustenarten zu beseitigen, wenn man es in 2 — Sstündigen Zwi-
schenräumen repetirt, wie auch Gross beobachtet hat. Sie

30*



/



458 Neurosen der Brustnerven.

wird immer dann anwendbar sein, wenn die kurzen, heftigen und
erschütternden Hustenstösse so schnell und unaufhörlich auf ein-
ander folgen, dass die Kinder davor nicht zu Athem kommen
können; jede Inspiration scheint einen neuen Hustenreiz zu
erregen, auch ist meist Brechwürgen zuletzt damit verbunden.

Ein Mittel, das nicht minder Beachtung verdient, über des-
sen Wirkung ich aber selbst noch keine Erfahrung gemacht habe,
ist die Cortex Ulmi.

In nächtlichen Keuchhusten - Anfällen erweist sich Conium
fast spezifisch, insbesondere gilt diess, wenn der Keuchhusten
scrophulöse, bleichsüchtige Subjecte befällt, wenn der Husten
ein höchst gewaltsamer, erstickender, der heftigsten Art, mit
fliegender Gesichtsröthe und blutigem Auswurfe verbunden ist.

Lacluca virosa soll, nach den Erfahrungen einiger homöopa-
thischen Aerzte, die Angst schnell beseitigen, die bei Kindern
oft lange den Keuchhusten-Anfällen vorangeht, und sich über-
haupt auch bei heftigen Anfällen trocknen, krampfhaften Hustens
hülfreich erweisen.

Auch von Ambra, in der zweiten, dritten Verreibung, lässt
sich in dieser Krankheit viel erwarten, wie auch die Erfahrungen
von Stapf bestätigen, der Ambra oft dann hülfreich fand, wenn
keins der bekannten andern Mittel etwas nützte und der Husten
mit Aufstossen und Heiserkeit verbunden war. Eben so auch
von Hyoscyam., Arsenicum und Laurocerasus. Arnica ent-
spricht den Keuchhusten-Anfällen, die jederzeit mit Weinen ein-
treten.

Obgleich ich selbst noch keinen Versuch nach folgendem
Verfahren gemacht habe, so verdient es doch einer genauem
Aufmerksamkeit und fernem Prüfung unterworfen zu werden,
das Verfahren nämlich: täglich eine neue Gabe Aconit zu geben,
wodurch in wenigen Tagen die Krankheit beseitiget ist. Bestä-
tiget sich diese Behandlungsart in mehren Fällen als wirksam,
so ist dadurch zugleich meine Ansicht über das Wesen dieser
Krankheit gerechtfertigt.

Hat der Keuchhusten schon lange gedauert und sind dadurch
im Körper schlummernde Siechthume geweckt worden, so wer-
den viele der hier angegebenen Mittel oft fruchtlos angewendet,
doch wenigstens ohne erheblichen Erfolg. Diess ist alsdann der



Keuchhusten, blauer, Schaafs-, Eselshusten. Tussis conv. etc. 459

Zeitpunkt, wo Gebrauch von den Antipsoricis zu machen ist, un-
ter welchen vorzüglich Tinclur. sulphur. und Sepia als besonders
emphohlen, angewendet zu werden verdienen. Spätere Erfah-
rungen haben mir die Wichtigkeit der Sepia in dieser Krank-
heitsspecies oft genug gezeigt; nicht immer machte ich blos
in veralteten Fällen von ihr Gebrauch, sondern gab sie oft
gleich zu Anfange des zweiten Stadiums, wenn der krampfhafte
Husten Nachts so plötzlich und heftig eintrat, dass Patient nicht
schnell genug athmen konnte und er ihm die Brust zuzuschnü-
ren drohte, mit Geschrei und Brechwürgen.

Mit heftigen Zahn- und Wurmfiebern bei scrophulösen Sub-
jecten, ja selbst mit eigenthümlich gearteten Wechselfiebern sah
ich in einer Zeit, wo letztere besonders herrschend waren, den
Keuchhusten sich verbinden und zugleich mit diesen verschwin-
den , wenn ich erstere durch die damals specifisch passende Sili-
cea hob; diese Beobachtung bewog mich, auch in den Fällen von
Keuchhusten, die nicht mit einem derartigen Fieber sich verban-
den, sie anzuwenden, ich sah einen gleichen glücklichen Erfolg,
der jedoch immer mehr sich verminderte , je andersartiger der
Krankheitsgenius sich gestaltete, wodurch ich genöthigt wurde,
passendere Arzneien wieder in Gebrauch zu ziehen. Die Folge-
rungen mag der Anfänger sich hieraus selbst entnehmen.

§. 228.

Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf. Asthma, Malum caducum
pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea.

Das allgemeine Bild eines Asthma ist: Periodisch wieder-
kehrender Krampf des Athmungsorgans, paroxymenartige Hinde-
rung der respiratorischen Function mit dem Gefühle von Zusam-
menschnürung der Brust und heftiger Anstrengung aller Hülfsor-
gane des Athmens.

Da ein Asthma mancherlei Differenzen darbietet, so ist mit
Becht anzunehmen, dass ihm auch verschiedenartige primäre
Krankheitszustände zu Grunde liegen müssen, wie diess auch
in der Natur wirklich der Fall ist, was ich unter der Aetiolo-
gie näher angeben werde. — Prodromi eines Asthma sind so



460 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

wenig bezeichnend und so vielen andern Krankheiten gemein, dass
ich sie hier füglich übergehen und sogleich von dem eigentlichen

Asthmatischen Paroxysmus sprechen kann. Meistens
fallen diese Paroxysmen in die Abendstunden und die Stunden
von Sonnenuntergang bis 2 Uhr nach Mitternacht. Gewöhnlich
schrecken die Kranken mit dem Gefühle plötzlicher Erstickungs-
angst aus dem Schlafe empor; das Gefühl von Zusammenschnü-
rung der Brust, wie von einem eng anliegenden Gürtel, oder
von einem schwer lastenden Gewichte nimmt ihnen den Athem,
sie müssen sich schnell emporrichten, um nicht zu ersticken;
es fehlt ihnen Luft, die sie ängstlich suchen, jeder Raum wird
ihnen zu eng und nur die freie Luft ist ihnen etwas lindernd.
Die Anstrengung beim Athmen ist sichtbar und oft hört man
schon von ferne das pfeifende, metallisch klingende, rauhe,
rasselnde Geräusch, mit welchem die Luft eingezogen und aus-
gestossen wird, besonders beschwerlich ist die Inspiration , we-
niger die Exspiration. Der Thorax hebt sich nicht, wie im natür-
lichen Zustande ; er schiebt sich auf- und abwärts oder steht
selbst ganz unbeweglich, während die Hals-, Intercostal-, Rü-
cken- , Bauchmuskeln , das Zwerchfell gewaltsam arbeiten und
der Kranke überall angstvoll sich anklammert, um einen Stütz-
punkt zu finden ; die Schultern werden flügeiförmig in die Höhe,
die Präcordien längs der Anheftung des Zwerchfelles nach innen
gezogen. Die Kranken sind nicht im Stande zu sprechen, zu
schlingen ? zu husten, weil dadurch der Krampf gesteigert wird.

In den Gesichtszügen bemerkt man die fingst, Furcht, Schreck,
die Nasenflügel sind weit geöffnet, das Gesicht blauroth, die
Augen treten aus ihren Höhlen heraus, die Bindehaut-Gefässe
stark aufgetrieben , die Jugularvenen angeschwollen. Die Extre-
mitäten sind kalt; auf Stirn und Hals bricht Angstschweiss aus.
Herzschlag und Puls bleiben oft natürlich; oft aber auch, na-
mentlich bei organischem Herzleiden, setzt er aus, der Puls
wird klein , unregelmässige heftige Anfälle können Erbrechen,
convulsivische Bewegungen verschiedener Körpertheile, wahrhaft
epileptische Zustände hervorrufen. — Das Stethoscop lässt uns
während des Paroxysmus an verschiedenen Stellen der Brust Pfei-
fen, Schnarchen, Knurren, mehrentheils sehr schwaches, zu-
weilen aber auch pueriles Athmungsgeräusch wahrnehmen; der



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 461

Percussionston ist selten verändert. — Die Anfälle entscheiden
sich durch leichteres Aufhusten eines zähen Schleims, wodurch
der Athem immer freier wird und die Angst sich verliert; oft
tritt auch Schweiss und Stuhlentleerung ein und der Kranke ver-
fällt in einen erquickenden Schlaf.

Ein solcher Anfall dauert von einigen Minuten bis zu meh-
rern Stunden , ja selbst Tage lang fort mit Remissionen wäh-
rend der Tageszeit und Exacerbationen in den Abendstunden.
In den Remissionen hat der Kranke immer ein beklommenes Athem-
holen , nur ist er weniger mit der Angst belästigt. — Wie
lange nach Ablauf eines Paroxysmus der Kranke frei bleibt, ist
völlig unbestimmt; oft tritt der Anfall in sehr regelmässigen
Perioden (wöchentlich, monatlich, im Herbst, im Frühjahr) ein,
oft aber auch setzt das Leiden Jahre lang aus.

§. 229.

Anatomische Charactere. Es giebt keine organische
Veränderung der Rrustorgane, des Herzens, der grossen Gefässe,
der Pleura, der Lungen, des Mittelfells, die nicht schon in den
Leichen Asthmatischer einmal gefunden worden wäre; nicht min-
der hat man Anomalien im Gehirn, Rückenmark, in den pneu-
mogastrischen , phrenischen Nerven , in den Abdominalorganen
im Kehlkopf wahrgenommen. Dagegen haben aber auch wieder
viele Leichenöffnungen nicht die mindeste materielle Spur der
dagewesenen Krankheit nachgewiesen. — Folgerungen daraus
sind: dass jene Veränderungen, die eben so gut fehlen kön-
nen, den nächsten Grund der asthmatischen Zufälle um so we-
niger ausmachen , als dieselben Veränderungen sehr häufig be-
stehen, ohne Asthma zu erregen. Oft sogar sind die vorge-
fundenen Veränderungen, z. R. Hyperämie der Rronchialschleim-
haut, Emphysem der Lungen, Erweiterung und Hypertrophie des
Herzens, Wasseransammlung in der Rrust etc. Producte der oft
wiederholten asthmatischen Anfälle. (Canstatt.)

Diagnose und Aetiologie. Man könnte die Krankheit
leicht mit Angina pectoris, Asthma durch Affectionen des Kehl-
kopfs, mit Alp verwechseln. Rei Angina pectoris fühlt der Kranke
einen durchdringenden vernichtenden Schmerz in der Herzgegend,
unter dem Rrustbeine , der sich in den linken Arm und die Schul-



462 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

ter erstreckt; der Schmerz zwingt ihn still zu stehen, aber die
Respiration bleibt ziemlich frei, es ist nicht Luftmangel, der
den Kranken ängstigt, sondern ein unsägliches Todesgefühl; die
Paroxysmen treten häufig bei Tage und bei Bewegung ein , auch
fehlt hier der erleichternde Auswurf. — Bei Asthma von Kehl-
kopfaffection erkennt man , ausser den Paroxysmen , dies krank-
hafte ErgrilFensein des Kehlkopfs leicht, auch giebt der Kranke
den Krampfanfall von da ausgehend an, sie bekommen das Aus-
sehen eines Erdrosselten, können kein Wort sprechen und pres-
sen die Luft mit stark pfeifendem Crouptone durch die veren-
gerte Stimmritze. — Vom Alp unterscheidet sich ein Asthma
sehr leicht, denn obschon er ebenfalls nur Nachts auftritt, so
ist er doch nur ein Zustand des Halbwachseins, bei dem der
Kranke auf dem Rücken liegen bleibt und bei völligem Wach-
werden völlig frei von jeder Beschwerde ist ; während des An-
falls hat er zwar das Gefühl, als läge eine Last auf seiner Brust,
aber das Asthma ist dadurch nicht beeinträchtigt.

Aus den anatomischen Veränderungen entnehmen wir, welche
verschiedene Ursachen einen asthmatischen Zustand herbeifüh-
ren können; auch eine Erblichkeit wird angenommen; das männ-
liche Geschlecht ist der Krankheit häufiger, als das weibliche
unterworfen ; die meisten Asthma-Formen fallen in das spätere
Lebensalter; in frühern Perioden finden wir nur das Asthma Mil-
lari und das noch nicht hinlänglich gekannte Asthma thymicum
von Kopp. — Nach den verschiedenen Ursachen hat man auch
eben so viele Arten Asthma angenommen als: Asthma plethori-
cum, organicum , cardiacum, metastaticum, arthriticum, podagri-
cum, impeliginosum , urinosum (aus Anurie der Greise), humi-
dum etc. Diese Bezeichnungen haben nur in so fern Werth,
als sie bei der Therapie auf die passende Wahl der Arzneien
hinweisen , die der Grundursache specifisch entsprechen.

Prognose: Sie ist eine doppelte: günstig für den einzel-
nen Anfall; ungünstig für die Totaldauer der Krankheit, weil
diese in den meisten Fällen bis zum Grabe fortgeschleppt wird ;
günstig ist sie im Allgemeinen bei einem einfachen Asthma, wo
die erregenden Einflüsse leicht entfernt gehalten werden können ;
ungünstig , wenn ein organisches Leiden die Ursache zur Entste-
hung der Krankheit ist. Bei Greisen ist die Krankheit bedenkli-



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 463

eher, als bei jungen Subjecten, weil hier immer organische Ver-
änderungen zu Grunde liegen. — Erbliche Anlage stimmt in den
meisten Fällen gegen vollständige Beseitigung des Leidens. Bal-
diger Tod ist zu prognostiziren bei zunehmender Entkräftung, Ent-
wickelung von Hydrothorax, bei Lähmung der obern Extremitä-
ten, bei hektischem Fieber mit unregelmässigem, intermittiren-
dem Pulse, Anschwellen der Extremitäten, andauerndem Herz-
klopfen etc.

§. 230.

Therapie. Sehr schwierig ist es in asthmatischen Be-
schwerden, jederzeit die Grundursache zur Entstehung der Krank-
heit zu ermitteln, und doch gewährt diess in den meisten Fällen
die grösste Möglichkeit zur vollständigen Heilung. Aus den
vorigen Paragraphen wird dem homöopathischen Arzte, ohne mein
Erinnern, klar geworden sein, dass ihm bei Behandlung eines
Asthma eine doppelte Indication ins Auge zu fassen obliegt; er
muss Mittel zu finden suchen, die der Krankheitstotalität
sowohl, als den einzelnen Paroxysmen entsprechend sind;
ist diess nicht überall möglich, weil die Mittel, die den Paroxys-
mus heben, nicht allemal das Specificum gegen die Gesammt-
krankheit sind: so muss der Arzt, nach Beseitigung des ersteren,
die zweckentsprechendsten Arzneien gegen die letztere ausfindig
zu machen sich bestreben, und sie so lange in Anwendung brin-
gen, bis ein neuer Anfall eine Aenderung in der Wahl der Mit-
tel erheischt.

Ich will versuchen, meine Ansicht hier durch Angabe meh-
r,er Mittel deutlich zu machen. Oft schon habe ich einen asth-
matischen Anfall nach heftigem Aerger entstehen sehen, und
obschon manche Zeichen zugegen waren, die nicht gerade auf
das jetzt anzugebende Mittel hinwiesen, so war doch keins geeigne-
ter, den Paroxysmus schneller zu coupiren, als Chamomilla, wenig-
stens eine sehr grosse Milderung herbeizuführen und dadurch den
Zustand den zunächst passenden Mitteln , besser vorbereitet entge-
genzuführen. Ganz bestimmt von grossem Nutzen ist sie, wenn die
zusammenschnürende Beklemmung quer über die Brust Abends ein-
tritt und sich nach einem im Laufe des Tages erlittenen Aerger bis
dahin gradatim steigerte. Aber auch da hilft sie sicher, wo der



464 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

Zustand öfters von häufig sich entwickelnden und nicht abgehenden
Gasen (versetzte Blähungen) entstand; ein Leiden, das wir nicht
selten bei Kindern nach Erkältung auftreten und bis zu Engbrü-
stigkeit und Erstickungs- Anfällen sich steigern sehen. Diesem
ähnlich ist das sogenannte Verfangen der Kinder, dem
ebenfalls Chamomilla entspricht; erkennbar ist dieses Leiden
daran, dass bei vorher ganz gesunden Kindern die Herzgruben-
und Unterribbengegend so geschwollen ist, dass man die Stelle
daselbst nicht eindrücken kann, die Kinder sind dabei sehr un-
ruhig, werfen sich umher, schreien, ziehen die Beine an, sind
ängstlich und kurzathmig, und oft findet sogar eine Unterbre-
chung des Athems statt.

Wurde der Paroxysmus durch Brustcongestionen erregt, wie
wir diess so oft nach gehemmten Blutungen beobachten, bei voll-
blütigen, jugendlichen Subjecten, vorzüglich von Menstrual-,
Lochial- und Hämorrhoidal-Congestionen, die durch eine sitzende
Lebensart bei anhaltendem Denken, durch den Genuss geistiger
und erhitzender Getränke leicht hervorgerufen werden und dann
eben so leicht Anlass zu habituellen Brustkrämpfen werden , die
sich durch Herzklopfen, kurzes, keuchendes Athemholen, Be-
klemmungen, Aengstlichkeit, Gefühl von Druck, Vollheit, Span-
nung, Zusammenschnüren der Brust zu erkennen geben, so wird
sich Nux als das bewährteste Heilmittel, nicht nur gegen den
Paroxysmus allein, sondern auch gegen die Krankheitstotalität
erweisen. Ganz besonders noch werden wir auf sie hingewie-
sen, wenn wir im Paroxysmus auf folgende characteristische Ei-
genthümlichkeiten treffen: der asthmatische Anfall nimmt an Inten-
sität ab durch Wenden des Körpers auf die entgegengesetzte Seite,
oder auf den Rücken, oder durch Aufsetzen im Bette, oder durch
Aufstellen vom Lager, oder durch Niederlegen. Auch in denje-
nigen krampfhaften Brust-Zufällen findet Nux Anwendung, die
Nachts durch angstvolle, höchst beunruhigende Träume hervor-
gerufen werden, wie wir sie nicht gar zu selten bei Personen
antreffen, die an unregelmässigem Herzschlag, an Abdominalpul
sation, an Leber- und Milz-Hypertrophie leiden. Bei Melancho-
likern und Hypochondristen mit atrabilarischem Temperamente;
endlich auch in denjenigen Arten, die von dem Gefühl begleitet
werden, als lägen die Kleider zu fest an und beengten Brust



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 465

und Unterleib, doch erzeugt das Ablegen der Kleidungsstücke
keine Erleichterung, sondern Verschlimmerung. Asthma, als Se-
kundärleiden des Magenkrampfs , findet darum oft Hülfe durch
Nim, weil diese so verschiedenen Arten des Magenkrampfs spe-
zifisch entspricht und mit Beseitigung der letzteren auch erstere
verschwinden macht. — Aus den über Nux gegebenen Andeutun-
gen ersieht der Leser, dass sie für individuelle Fälle von Asthma
als wahres Specificum anzusehen ist.

Arsenicum ist ebenfalls ein Heilmittel ersten Ranges gegen
die Krankheitstotalität wie gegen die Paroxysmen selbst, wenn
sie einer Erweiterung des Herzens, einer Hypertrophie, einem
Emphysem und Oedem der Lungen, einem Hydrothorax, einer
chronischen Bronchitis, einer Hyperämie der Bronchialschleim-
haut, einer Tuberculose (Scrophulosis) , einem Missbrauch von
China, Jod — ihr Entstehen verdankt. Es ist einleuchtend, dass
auch hier gehörig individualisirt und specialisirt werde, wenn ein
glücklicher Erfolg die Wahl rechtfertigen soll, und das letztere
wird immer der Fall sein, wenn nach Eruirung der so eben an-
gegebenen allgemeinen Krankheitszeichen folgende Eigenthüm-
lichkeiten im Status praesens sich zeigendes stellt sich ein öfte-
rer Husten ein bei Bewegung, wie von Schwefeldampf erzeugt,
vorzüglich Nachts, der mit Zusammenschnüren in der Luftröhre
und Erstickungsanfällen sich verbindet; oder auch ohne Husten
tritt eine solche Erstickung drohende Beklemmung der Brust und
Athemhemmung, ein wahres Krampfasthma bei Erwachsenen ein,
mit einer Angst und Unruhe, als wolle es Alles zuschnüren, die
kein Wort zu sprechen erlaubt, ohne den Zustand zu verschlim-
mern, was gewöhnlich in den Abendstunden sich zeigt.

Denen durch Kupfer und arsenikalische Dämpfe erzeugten
asthmatischen Anfällen entsprechen mehrere Mittel; dem Paro-
xysmus selbst am öftersten Ipecacuanha, nach ihr Nux und dann
Hepar sulph. , wohl auch Mercurius solubilis. Zur Verhütung
des Wiedereintritts sind in den Anfallfreien Zwischenzeiten solche
Mittel in Anwendung zu bringen, die den durch jene metallischen
Einwirkungen entstandenen Allgemeinleiden kräftig entgegenar-
beiten — antidotarische Arzneien; die weitere Erörterung und
Behandlung derartiger Zustände gehört nicht hieher.

Ist Schwefeldampf die Erregungs-Ursache eines Brustkrampfs,



466 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

wie ich an einem meiner eignen Kinder zu beobachten Gelegen-
heit hatte, so ist Pulsatilla am geeignetsten, die baldige Heilung
zu bewirken, da ihre Heilkraft hier auf einem antidotarischen
Verhältnisse zu einem grossen Theile der durch diese schwef-
lichte Säure erzeugten Krankheits -Beschwerden beruht; darum
ist sie auch in denjenigen Arten anwendbar, die dem Missbrauche
schwefelhaltiger Wasser ihr Entstehen verdanken. Diess ist
jedoch nicht die einzige Art von Asthma, der man mit Nutzen
Pulsat. entgegensetzt; ihr Wirkungskreis ist in dieser Krank-
heitsform ein weit ausgedehnter, wie auch ihr Symptomen -Ver-
zeichniss schon hinlänglich darthut, auf das ich nur zu verweisen
nöthig habe, um den Anfänger auf die Wichtigkeit dieser Arznei
aufmerksam zu machen. Ueberflüssig wird es darum aber doch
nicht sein, wenn ich einige der Arten namhaft mache , in denen
dieses Mittel besonders nützlich sich erwiess. Oft wurde ich
gleich bei meinem Eintritt in das Krankenzimmer an Pulsat. er-
innert durch das eigentümliche gutmüthige, sanfte, das Mitlei-
den in hohem Grade erregende leidende Gesicht, abgesehen von
den durch die Krankheit veränderten Zügen , meistens wohl ein
Attribut des zweiten Geschlechts, aber doch zuweilen auch bei
Männern zu treffen — ein Abglanz des Patienten -Characters in
gesunden Tagen; hülfreich ist sie ferner da, wo das Leiden von
Hypertrophie der Lungenschleimhäute abhängig ist, die im Paro-
xysmus selbst sich dadurch documentirt, dass bei seinem Nach-
lass häufig erst wahrhafte Erleichterung durch freiwilliges Aus-
brechen von Massen degenerirten Schleimes herbeigeführt wird,
nach deren Entfernung die physikalische Untersuchung noch im-
mer an vielen Stellen ein bronchiales Athmen, wie bei partiel-
lem Lungenemphysem, nachweist — es wäre eine solche Art
nicht unrichtig Asthma humidumzu bezeichnen; nicht min-
der wichtig ist sie im A. senile et urinosum bei alten
Leuten, wo uns das höhere vesiculäre Athmen deutlich genug
auf Lungenödem bei zerstreuten interstitiellen Tuberkeln hin-
weist. Welche ausgezeichnete Hülfe sie im A. menstruale
und cardiacum bei chlorotischen und hysterischen Subjecten
schafft, haben viele homöopathische Aerzte neben mir schon er-
fahren und ihre Beobachtungen darüber in verschiedenen Schrif-
ten niedergelegt.



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 467

In den eben genannten Arten steht der Pulsat. Stannum rühm-
lich zur Seite, wenn die zusammenschnürende Engbrüstigkeit ins-
besondere Abends eintritt, höchste Angst verursacht und, zur
Erleichterung, durchaus die Lösung der Kleider verlangt; wird
auch bei dieser Form von Asthma die baldige völlige Beseitigung
nicht durch Ausbrechen von Schleim-Massen herbeigeführt, son-
dern durch mit Husten verbundene allmälige Lösung und Auswurf
von Schleim: so ist ihm doch dadurch schon seine Heilkräftig-
keit in A. humid um vollkommen gesichert.

Nicht so ganz evident sind mir die Arten von Asthma, denen
Colchicum recht treffend entspricht; constatirt ist seine Heilkraft
in A. cardiacum, Erweiterung des Herzens, die an akuten
Rheumatismus gebunden ist; dann aber auch da, wo bei Hyper-
trophie des Herzens der Asthma-Paroxysmus durch unbedeutende
Witterungs-Veränderung leicht bis zur höchsten Vehemenz her-
vorgerufen wird und dann einen gewaltigen Orgasmus mit sich
führt, bei eisig kalten Extremitäten, höchster Unruhe, Angst und
plötzlichem Sinken der Kräfte. — Die Symptome von Colchicum
liegen noch nicht als ein abgeschlossenes Ganzes vor uns, und
deshalb wird der Leser mich gewiss nicht tadeln, dass ich ihm
von diesem Mittel nur zerrissene Krankheitsbilder vorführe, auch
wohl nur Andeutungen zu seiner Anwendung gebe; aus manchen
eigenen Beobachtungen wird er sich sagen können : dass ihm Man-
ches schon hinreichend klar erscheint, was ihm zur Veröffent-
lichung dennoch nicht reif genug erscheint — und so geht es
mir mit diesem Mittel in Bezug auf vorliegende Krankheit ; dess-
ungeachtet schäme ich mich nicht, die aphoristischen Bemerkun-
gen mitzutheilen, hoffend, dass Andere sie mit der Zeit vervoll-
ständigen und zu Krankheitsbildern umgestalten, die dann als
Analogien für andere Fälle zu benutzen sind. — In solchen
Asthma-Anfällen ist Colchicum ebenfalls hülfreich, die mit einer
ödematösen Geschwulst der untern Extremitäten (nach Kreys-
sig characteristisches Zeichen für Herzleiden), oder mit einem
immerwährenden Harndrängen, wie Krampf in der Urinblase, und
schmerzhaftem Abgange einer sehr geringen Harnmenge verbun-
den sind — diess hat die Erfahrung auch schon mehrmals be-
stätigt.

Nicht unwahrscheinlich ist mir, dass gegen derartige unter



468 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

Colchic. zu Anfange angegebene Asthma-Anfälle wohl auch Am-
monium carbonic. einige Berücksichtigung verdiene, obschon
diess aus den Symptomen grade nicht so deutlich einleuchtet.
Ich habe ein Paar Fälle der Art gehabt, wo unter öfter sich
wiederholendem Herzklopfen, bei bedeutendem Oedem der Füsse,
fast jeden Abend ein asthmatischer Zustand eintrat, der nur erst
gegen Mitternacht sein Ende erreichte und durch Zuströmen freier
Luft gemildert wurde — die ich mit diesem Mittel allein besei-
tigte, ohne jedoch das Herzklopfen ganz heben zu können. Ein
bekanntes Mittel ist es in denjenigen Fällen, die von Hydrotho-
rax abhängen.

Belladonna ist bei dieser Krankheit nie aus den Augen zu
lassen und gewiss wird der Leser meine hier im Allgemeinen
niedergelegten Angaben bestätigt finden, wenn er sich die Mühe
nehmen will, nachzuschlagen und die Arzneisymptome mit mei-
nen gestellten Krankheitsangaben zu paralellisiren. Ich behaupte
nämlich, hier nicht blos vermuthungsweise, sondern auf vielfäl-
tige Erfahrungen gestützt, dass Bell, in A. plethoricum,
cardiacum, metasta ticum, haem orr hoidale, laryn-
geum, unter genauer Berücksichtigung aller individuellen Ver-
hältnisse, nicht nur im Paroxysmus selbst, sondern gegen die
Krankheitstotalität anwendbar ist und stets mit Nutzen gegeben
wird. Mit Fleiss will ich die nähere Auseinandersetzung hier
unterlassen, da ich in dieser Therapie schon zu oft von diesem
Mittel gesprochen habe, insbesondere thter den hieher bezüg-
lichen Krankheiten.

Obgleich ich nicht viel Erfahrungen noch über Ambra im
Asthma habe, so sind doch auch diese wenigen nicht zu ver-
achten. Bemerken muss ich zuvor, dass ich dieses Mittel nie
höher oder niedriger als in der zweiten und dritten Verreibung
nach Hahnemann's Bereitungsart — also Centesimalscala —
angewendet habe. Nützlich fand ich sie in Asthma siccum
und senile, besonders wenn Patient die Beklemmung mehr in
der linken Brust bis zum Rücken und zwischen die Schultern,
wie vom Herzen ausgehend, angab, mit Palpitation, Angst, Athem-
versetzung; eben so anwendbar fand ich sie auch in asthmati-
schen Zuständen bei scrophulösen Subjecten.



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 469

i

So unbedeutend Cannabis manchem Leser auch scheinen

mag, so hat dieses Mittel für mich in dieser Krankheit doch einen
hohen Werth, den ich, durch mehrfache Erfahrung belehrt, ihm
beilegen muss. Es ist namentlich diese Orthopnoe, für die Can-
nab. passend ist, bei welcher der Kranke durchaus nicht anders
zu athmen im Stande ist, als aufrechtsitzend mit vorgestrecktem
Halse, unter Pfeifen in der Luftröhre und unter der angestreng-
testen Mitwirkung der Bauchmuskeln, dabei die grösste Unruhe
und Angst; dieser Zustand trat immer in den Vormitternacht-
stunden, im Bette liegend, ein; so scharf entwickelt fand ich ihn
nur bei hydrothoracischen Leiden, die sich secundär einem immer
mehr sich entwickelndem Herzfehler (Hypertrophie) angeschlos-
sen hatten. So eclatant habe ich lange die Wirkung eines Mit-
tels nicht wahrgenommen, als in einem solchen A. organicum
die von Cannabis \ Darum aber ist ihr die Heilkraft für andere
Asthma-Arten nicht geschmälert, nur die Gelegenheit fehlte mir,
sie in diesen zu erproben.

Ihr zunächst steht in ähnlichen Fällen Tartarus emeticus; soll
diese Arznei von Nutzen sein, so muss die Erstickungsnoth, von
Zuschnürung der Luftwege abhängig, von Abends im Bette an bis
gegen Morgen aufs höchste steigen und dann allmälig wieder ab-
nehmen ; in der Heftigkeit des Anfalls wird die Angst zeitweise
gesteigert durch heftige schnelle Herzschläge, die das Herz abzu-
drücken drohen; obschon in den Anfall freien Zwischenräumen
zuweilen auch ein verstärkter Herzschlag, aber ohne die geringste
Nebenbeschwerde, bemerkbar war, so konnte doch ein Vitium
organicum nicht immer ermittelt werden, wodurch wenigstens so
viel klar wurde , dass Tart. emet. nicht blos für solche Fälle pas-
send sei, deren Grundursache^ auf einer Desorganisation des Her-
zens und der grossen Gefässe beruhe, sondern eben so sehr auch
für andersgeartete sich eigne. Im Allgemeinen wäre also wohl
anzunehmen, dass Tart. emet. einem A. plethoricum am mei-
sten entspreche, unbeschadet des ihm durch Erfahrung zu be-
gründendem und zu erweiterndem Wirkungskreises.

Ein herrliches Mittel in Asthma von verschiedenen Ursachen
ist der Moschus; auffallend heilkräftig erweist er sich, wenn das
Asthma ein hysterisches oder hypochondrisches Subject befällt
und bei solchen durch Kaltwerden des Körpers begünstigt wurde ;



470 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

der Anfall beginnt mit Schwerathmigkeit , steigert sich bis zur
Zusammenschnürung der Brust und geht am Ende in erstickenden
Lungenkrampf über, der den Kranken zur äussersten Verzweif-
lung treibt; Husten ist nie zugegen, höchstens anfangs ein gelin-
der Reiz dazu.

Oleum animale ist in solchen asthmatischen Fällen zu berück-
sichtigen , die entweder von Blähungsauftreibung im ganzen Un-
terleibe, namentlich unter den kurzen Rippen, oder von einer
krampfhaften Zusammenziehung im Kehlkopfe periodisch erzeugt
werden. Hier leistet auch Kali carbonicum, unter Berücksich-
tigung der äussern und innern Verhältnisse des Kranken, wesent-
liche Dienste, obschon ich mir der eigentlichen Wirkungssphäre
dieses Mittels in der in Rede stehenden Krankheit nicht recht
klar bewusst bin und darum die nähere Indication zu seiner An-
wendung übergehen muss; nur so viel glaube ich verantworten
zu können, dass es — man müsste denn die theilweise Zerstö-
rung der Lunge als Ursache eines asthmatischen Zustandes mit
hieher rechnen wollen — , nebst den beiden vorhergehenden
Arzneien, wohl nur im eigentlichen dynamischen Asthma
seine Anwendung finde.

Nitri acidum ist eins der ausgezeichnetsten Mittel gegen die
Krankheitstotalität eines Asthma, wie vielfältige Erfahrungen
mir bewiesen haben; in den Paroxysmen selbst habe ich in den we-
nigsten Fällen einen Nutzen davon gesehen, mich auch mehr
und mehr durch Nachschlagen und Vergleichen der Symptome
mit einem Asthma-Paroxysmus überzeugt^ dass sie einem solchen
in keiner Beziehung entspricht, wohl aber der eigentlichen Prä-
disposition , der Krankheits - Anlage , der für sie geeigneten
Grundursache, neben andern ebenfalls passenden Mitteln, kräftig
entgegen zu arbeiten vermag. Namentlich ist sie empfehlens-
werth, wo bei einem schon zarten Gliederbau, bei einem sensi-
beln Nervensysteme, bei einem sehr reizbaren Temperamente —
die an und für sich schon zu spasmodischen Zufällen disponiren
— der Organismus noch reizbarer gestimmt wurde durch angrei,
fende Mercurialkuren, durch syphilitische, scrophulöse und herpe-
tische Krankheiten etc. Die Beschwerden, die der Kranke klagt-
sind etwa folgende: abwechselnd Fliessschnupfen , bei Rauhheit
des Halses und unreiner Sprache; vermindert sich dieser, so



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 471

tritt Beklommenheit der Brust ein, die bei gänzlichem Verschwin-
den des Fliessschnupfens, bis zur Athemlosigkeit sich steigert
und namentlich beim Steigen mit Herzklopfen und Beängstigung
sich verbindet; oder auch: es ist immer eine Engbrüstigkeit vor-
handen , dass Patient kaum noch einige Luft holen kann, durch
Zurückbiegen verschlimmert; bisweilen, doch nicht immer, ist
Aengstlichkeit, besonders bei Schnellgehen, damit verbunden; in
dem heftigsten Grade ist es eine krampfhafte Beklemmung der
Brust, mit Blutdrang nach dem Herzen, Mattigkeit, Angst, von
geringer Gemüthsbewegung hervorgerufen.

Durch die vielfältig sich herausstellende Erfahrung, dass
Lobelia inflata einen spezifischen Einfluss auf das respiratorische
Nervensystem ausübe, haben die Aerzte älterer Schule die Ueber-
zeugung gewonnen, dass sie hülfreich in asthmatischen Anfällen
sich erweisen müsse. An uns Homöopathen würde eine derar-
tige Bemerkung nicht ungenützt für die Zukunft vorübergegan-
gen sein, wären wir nicht schon im Besitz dieses Mittels und
hätten aus den physiologischen Wirkungen die Heilkraft dessel-
ben in den genannten Leiden abstrahirt und durch die Erfahrung
bestätigt gefunden. Der Hauptwirkungskreis der Lobelia scheint
da zu sein , wo ein Asthma von Degeneration der Bronchial-
schleimhaut abhängig ist, die durch chronische Kehlkopf-, Luft-
rühr- und Bronchien -Entzündung erzeugt wurde. Der Zustand
eines Asthma, der uns die Lobelia anzuwenden räth , ist übrigens
characteristisch genug, dass wir nach den ausgesprochenen all-
gemeinen Ausdrücken uns in keiner Beziehung zu richten nöthig
haben und doch sicher sein dürfen, keinen Fehlgriff in der Wahl
des Mittels gethan zu haben, wenn wir insbesondere folgende
Symptome scharf ins Auge fassen: Athemmangel, auch mit beeng-
tem, schnellerem Athmen und öfterem Bedürfniss zum Tief-
athmen, beklemmende Engbrüstigkeit, oft gleich nach der ge-
ringsten Anstrengung, so wie nach jedem Luftzuge und nach Genuss
schwerer Speisen ; periodisch eintretendes Krampfasthma bei
Erwachsenen.

Eine grosse Aehnlichkeit in ihren physiologischen Wirkun-
gen mit den Symptomen eines Asthma bietet auch Lactuca virosa
dar und mannigfache Erfahrungen homöopathischer Aerzte spre-
chen auch schon vielseitig für ihre Heilkraft in dem genannnten
IL 31



472 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

Leiden, wie auch ihre Einwirkung auf die Respirationsorgane
und gegen hysterische, nervöse und krampfhafte Leiden deutlich
genug nachweist. Constatirt ist ihr Nutzen im Krampfasthma
bei organischen Herzleiden, bei Hydrothorax; bei grosser Be-
engung der Brust, die Nachts aus dem Schlafe weckt und zu
schnellem, ängstlichem Aufsitzen nöthigt, mit Schwere auf der
Brust, bis zum Zusammenschnüren derselben sich steigernd.

Digitalis, diese von uns in ihrem wahren Character noch gar
nicht richtig erfasste Arznei , ist unstreitig in asthmatischen Zu-
fällen immer mit zu beachten, namentlich wo wir es mit Brust-
Degenerationen zu thun haben. Mit Gewissheit mag ich nicht
behaupten, dass die Beobachtung „erhöhete Herzthätigkeit mit
verlangsamertem Pulse" eine falsche sei, jedoch hat es mir immer
geschienen, als ob Digitalis gerade da am rechten Orte sei, wo
die perturbirte Herzthätigkeit auch in den vom Herzen entfernte-
ren Blutgefässsen gleichen Rhythmus hält; für mich ist diess in
vielen Krankheitsfällen der indicirende Moment für ihre Anwen-
dung und der glückliche Erfolg hat meine Ansichten gerechtfer-
tigt. Dasselbe leitende Moment stand mir auch bei ihrer Wahl
in Asthma vor Augen und darum ist es mir möglich, die Indica-
tion für sie in Brustkrampf sicher zu stellen. Ich habe sie nur
da gegeben, wo zugleich eine erhöhete Herzthätigkeit zugegen,
die nicht Mos vorübergehend, sondern bleibend war und durch
leichte Irritationen von innen oder aussen so extravagant wurde,
dass sie ein Asthma hervorrief; allerdjggs lag diese Aufregung
in einer herangereiften organischen Verbildung des Herzens und
seiner Gefässstämme, durch die wiederum andere Leiden herbei-
gezogen wurden, die ebenfalls Asthma bedingen konnten; immer
jedoch erschien dann letzteres unter folgenden Zeichen:

Eine schon länger vorhandene Rauhigkeit in der Luftröhre
wird von einem kurzen Hüsteln begleitet und scheint allmälig
die Veranlassung zu einem erschwerten Athemholen zu geben,
das endlich in eine krampfhafte Zusammenschnürung der Kehle
und Brust, mit Erstickungsangst übergeht, die besonders früh
beim Erwachen eintritt und zum Aufsitzen zwingt. Digitalis ist
sonach ein herrliches Antiasthmaticum in A. cardiacum, orga-
nicum, metastaticum , hydrothor a cicum.

Kein Mittel aber verdient wohl mehr gegen die Totalität der



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 473

Krankheit den ausgezeichneten Ruf, den es schon sich erworben
hat, als Sulphur! Es giebt wohl kein Asthma, das nicht wenig-
stens einmal im Laufe der Behandlung die Anwendung dieses
Mittels erheischte, und hier scheint die Ansicht Hahnemann's
über den psorischen Ursprung chronischer Krankheiten vollkom-
men gerechtfertigt da zu stehen, nicht etwa, um meinen Schluss
a posteriori darauf zu gründen — Schwefel ist heilsam, folglich
muss es sich so verhalten — sondern weil mir auch nicht ein
Fall von Asthma vorgekommen ist, wo sich nicht ein psorisches
Leiden hätte nachweisen lassen. Entsprechend ist Sulphur fast
jedem Temperamente und jeder Constitution, eben so einer Menge
von Krankheitsanlagen; und welchen Nachtheilen vom Missbrauch
anderer, namentlich metallischer Mittel vermögte er nicht tref-
fend zu begegnen! In welcher Arznei liegt wohl so scharf her-
vorgehoben die Eigen thümlichkeit, die grosse Neigung zu Ver-
kältung, zu Schnupfen und vermehrter Schleimabsonderung der
Bronchien , die so sehr leicht Veranlassung zu Asthma geben,
zu heben als in Sulphur? Wem sind die öfter wiederkehrenden
gichtischen und rheumatischen Beschwerden unbekannt, die so
oft durch ihren Rücktritt Asthma erzeugen, das durch seine
characteristischen Symptome so häufig für die Anwendung des
Schwefels stimmt? Und so könnte ich noch leicht um ein Be-
deutendes die allgemeinen Anhaltepunkte vermehren, die in asth-
matischen Beschwerden gebieterisch den Schwefel als Heilmittel
fordern, wären sie allein zu seiner Wahl hinreichend; aber das
sind sie nicht und ein specifisches Heilmittel erfordert auch Spe-
cialitäten in der Form der Krankheit und diese erst machen
dann, in Verbindung mit jenen gebracht, die Totalität der Krank-
heit aus und geben den Leitfaden , nach welchem die richtige
Wahl des specifischen Heilmittels getroffen werden kann. Mehrere
der folgenden Symptome müssen bei einem asthmatischen Kran-
ken gegenwärtig sein, wenn Sulphur mit Nutzen angewendet
werden soll; bei kalt- feuchtem Wetter rauhe, tiefe Sprache;
Verschleimung des Halses und der Brust, zum Husten reizend,
der wiederum ein krampfhaftes Zusammenziehen der Brust mit
sich bringt; Schwerathmigkeit, mehr im Sitzen als Gehen; es
ist ihm unmöglich tief zu athmen, weil dann die Brust wie zu-
sammengezogen erscheint; das Athmen ist pfeifend; höchste

31*



474 Brustkrampf, Engbrüstigkeit, Dampf.

Engbrüstigkeit nach Spatzierengehen hält Stunden lang au,
ehe sie wieder verschwindet ; Krampfasthma bei Erwachse-
nen; Schleimasthma, wenn sie einige Schritte gegangen, ist die
Brust wie zugeschnürt und sie muss immer wieder stehen blei-
ben, um sich zu erholen — es scheint dieses Gefühl von einer
Verhinderung in der Herzgrube abzuhängen, wo es ist, als
wäre etwas angewachsen; Beklemmung um die Brust, äusser-
lich, mit Aengstlichkeit, durch Schweiss im Liegen gehoben;
Athem-Versetzung in periodischen Anfällen, in jeder Situation
und zu jeder Tageszeit; Erstickungsanfälle, namentlich Nachts
im Schlafe, in denen der Kranke mit lautem Schrei auffährt
und nicht wieder zu Athem kommen kann, worauf gegen Mor-
gen starkes Herzklopfen und matter Schweiss eintritt; Spannung
in der Brust, Aengstlichkeit und Schweregefühl auf der Brust,
eben so Drücken, wie von einem Klumpen , sind häufig vorkom-
mende Erscheinungen, denen Schwefel treffend entspricht;
nicht minder Zusammenziehschmerz um die Brust; schmerzhaf-
tes Zusammenschrauben in der Brust ; periodische Brustkrämpfe,
zusammenschnürend , mit blauem Gesichte und kurzem Athem,
besonders Abends im warmen Zimmer, bei starkem Herzklopfen,
von Bewegung schlimmer, von Liegen im Bette vergehend;
— erzeugt durch Blutandrang und starke Wallung in der
Brust, durch Stösse nach dem Herzen zu mit Athemversetzung,
durch ängstliches Herzklopfen.

§. 231.

Unter der grossen Anzahl von Mitteln, die hier noch anzu-
führen wären und von denen man in manchen Fällen sogar eine
wesentliche Erleichterung der asthmatischen Beschwerden sich
versprechen kann, nenne ich blos noch Phosphor, Sepia, Acid.
phosphor. Für solche Arten, die in den hier verzeichneten
Arzneien ihr Heilmittel nicht finden, reihe ich noch das Ar-
gentrunt nitric. cryst. an, auf das ich vornämlich da aufmerk-
sam mache, wo das Asthma durch Blutstörungen mancherlei Art
herbeigeführt wurde; doch kann ich eine genauere Bestimmung
für seine Wahl aus Mangel bestätigender Erfahrungen noch
nicht geben.



Asthma, Malum caducum pulmonum, Dyspnoea, Orthopnoea. 475

Wie schon mehrmals erinnert, ist es nicht immer möglich,
das gegen die Krankheitstotalität gerichtete Mittel permanent
fortgeben zu können, weil — namentlich zu Anfange der Cur —
die eintretenden Paroxysmen zu ihrer baldigen Hebung anderer
Mittel bedürfen , die ich theüweise schon mit anführte und hier
nur namentlich noch mit recapituliren will. Vorerst weise ich
noch auf ein Paar Palliative hin, von denen ich während eines
solchen Paroxysmus oft den evidentesten Nutzen wahrgenommen
habe. Das erste ist die Palpation der Brust, dieser partiell an-
gebrachte thierische Magnetismus, dieses Ausströmen des geisti-
gen Lebensfluidums durch Hände und Finger eines gesunden,
kräftigen, dem Kranken wohlwollenden Menschen, wobei ich
die eine Hand flach auf die Herzgrube, die andere ebenso auf
den Kehlkopf oder, wo diess zu beängstigend wäre, auf die Stirn
des Kranken legen lasse; mitunter benutze ich dazwischen auch
einen die Haut nicht ganz berührenden leichten Strich mit beiden
Händen bei geschlossenen Daumen, vom Kehlkopfe herab bis
unter die Herzgrube. — Dieses Verfahren gewährt den Vortheil,
nebenbei noch die zweckdienlichen Arzneien in Anwendung brin-
gen zu können, ohne ihrer Heilkraft einen Abbruch zu thun.

Ein zweites Palliativ, das allerdings störender eingreift, we-
nigstens den Nebengebrauch anderer Arzneien nicht zulässt, ist
der Kaffee als Trank in kleinen Mengen , nicht zu schwach
bereitet, alle fünf bis zehn Minuten einen bis anderthalb Esslöf-
fel voll. Ist nach 2 bis 3maligem Darreichen kein Nachlass er-
sichtlich, so muss man zu andern Mitteln seine Zuflucht nehmen
und nun den Kaffee ganz entfernen.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #18 on: April 30, 2013, 09:41:29 PM »

Obgleich ebenfalls Palliativ, d. h. hier nur den Paroxysmus
hebend, nicht aber gegen die Krankheitstotalität gerichtet, wird
Camphora von mir doch nie ohne bestimmte Indicatkm gereicht,
die mir in solchen Fällen stets klar vor Augen steht. Bei einem
sehr agitirtem Nervensysteme habe ich ihn nur in Asthma humi-
dum angezeigt gefunden, dann aber auch den entschiedensten und
schnellsten Erfolg von ihm beobachtet, wenn Kehlkopf und Bron-
chien so ungeheuer mit Schleim überfüllt zu sein schienen, dass
der Kranke dem Erstickungstode kaum entgehen konnte, was
durch bezeichnende Handbewegungen des Kranken, durch die



476 Krampfhafte Engbrüstigkeit, Steckcatarrh der Kinder.

angstvolle, krampfhafte Verzerrung seiner Gesichtsmuskeln den
Umstehenden klar wurde.

Auch Tabacum hat mir in derartigen asthmatischen Beschwer-
den mit Angst und Bangigkeit und Unvermögen tief zu athmen,
oft genützt, theils in erster, zweiter Verdünnung alle Viertel-
stunden gereicht, theils bei des Tabaks Ungewohnten in Dampf-
form; besonders anzurathen ist er gegen Paroxysmen eines
Asthma organicum, cardiacum, von Stenose im linken
Herzen abhängig, wie Erfahrung mir bewiesen.

Die hieher gehörigen Mittel sind ferner: Ipecac, Pulsatitta,
Ignatia, Nux, Ambra, Colchicum, Digitalis, Arsenicum, Tärtar.
slibiatus.

§. 232.

Krampfhafte Engbrüstigkeit, Steckcatarrh derKinder.

Asthma Millari, A. laryngeum, Spasmus glottidis.

Die beiden letztern Benennungen gebühren wohl eigentlich
nicht dem Millar'schen Asthma, sondern dem A. thymi cum nach
Kopp; die Unterscheidungszeichen sind jedoch so dunkel, dass
man nach denselben beide Krankheiten noch nicht so scharf zu
trennen vermag. Was mich jedoch besonders bewogen hat,
beide Krankheiten unter eine Rubrik zu fassen, ist der Umstand,
dass jene wesentliche Abänderung in der Behandlungsart dieser
beiden Kinderkrankheiten nicht stattfindet, sondern alle dagegen
anzuführenden Mittel der einen wie <fcr andern entsprechen.

Das pathognomonische Symptom eines Asthma laryngeum
ist eine plötzliche und gewaltsame Unterbrechung, ein Einhalten
des Athmens während einiger Minuten, wonach die Kinder mit
einem krähenden Athemzuge wieder zu Athem kommen.

Der niedrigste Grad des Stimmritzenkrampfes ist das im ge-
wöhnlichen Leben vorkommende Aussenbleiben der Kinder, Aus-
serathemsein, das vorzüglich bei leidenschaftlichen Kindern vom
dritten Vierteljahre an vorkommt und anfangs nur entsteht, wenn
sie sich heftig erzürnen oder heftig schreien. — Wird die
Krankheit heftiger, so tritt der Krampf plötzlich ein, meist beim
Aufwachen aus dem Schlafe, oder nach Schreck, Aerger, durch
Schreien, Lachen, Verschlucken beim Trinken, nach Erkältung,



Asthma Millari, A. laryngeum, Spasmus glottidis. 477

manchmal auch ohne wahrnehmbare Ursache, mit einer pfeifen-
den, äusserst feinen, mehrmals gewaltsam wiederholenden, fast
krähenden Inspiration, die alsobald durch gänzliches Stocken
des Athems unterdrückt wird; unter der heftigsten Anstrengung
schnappen die Kinder nach Luft, werden blass, blau, die Augen
treten aus ihren Höhlen, kalter Schweiss tritt auf die Stirn und
der Puls wird klein; diess dauert von 1 bis 10 Minuten, wonach
das Athmen mit einer heftig schreienden, hellklingenden, krähen-
den Exspiration, unter Weinen, wieder in Gang kommt; bald
tritt Schlaf ein, aus welchem das Kind, einige Mattigkeit abge-
rechnet, wieder gesund erwacht. Ausserdem ist etwas Krank-
haftes selten wahrnehmbar, nur in den wenigsten Fällen etwas
Husten oder geringe Athembeschwerden; meistens bleibt der
Appetit gut, nur bisweilen ist die Verdauung gestört, der Leib
gespannt und Durchfall vorhanden. Anfangs sind die Anfälle
selten, treten Nachts in den ersten Stunden des Schlafs ein, wer-
den aber allmälig häufiger und können sich sogar 40 bis 50
Mal im Tage wiederholen.

Mit noch weiterm Fortschreiten der Krankheit geht sie nun
in die zweite und convulsivische Periode über, wo sich noch fol-
gende Symptome beigesellen: Steifwerden der Muskeln, Einbie-
gen der Hand- und Fussgelenke, Einschlagen der Daumen, Rück-
wärtsbiegen des Rückgrats, stiere nach oben gekehrte Augäpfel,
unwillkürlicher Stuhl- und Urinabgang, Heraushängen der Zunge
aus dem Munde, unregelmässiger, aussetzender Herzschlag, kalte
Extremitäten, verzogenes Gesicht. — Nun befindet sich das Kind
auch in den paroxysmenfreien Zwischenzeiten nicht wohl , es
sieht bleich, matt, schläfrig aus, ist verdriesslich und hinfällig,
der Schlaf ist unruhig und von häufigem Zusammenschrecken
unterbrochen, Puls und Respiration sind andauernd beschleunigt,
die Wangen mit einer umschriebenen Röthe überzogen, die
Kräfte sinken immer mehr und hectisches Fieber tritt deutlicher
hervor.

Manche Beobachter wollen Vorboten wahrgenommen haben,
als: vor dem Eintritte des Paroxysmus, eine auffallende Geneigt-
heit zum Verschlucken, Schreien mit besonders langen Respira-
tionen, schnell vorübergehende, wohl auch ganze Tage aussetzende
Anfälle eines ängstlichen und beschwerlichen Athmens und eine



478 Krampfhafte Engbrüstigkeit, Steckcatarrh der Kinder.

besondere Reizbarkeit; Andere erwähnen als Vorboten Unruhe,
Zusammenschrecken, Blähungssucht, leichte tonische Krämpfe,
Rasseln in der Luftröhre etc.



§. 233.

Diagnostische Merkmale von andern Krankheiten.
Viele Aerzte behaupten, die Krankheit sei nichts anderes, als
eine Varietät einer Angina membranacea (Croup); allein bei
unserer Krankheit fehlt alles Fieber zwischen den Paroxysmen,
es ist weder Husten, noch örtlicher Schmerz am Larynx zugegen,
die Intermissionen sind rein und dauern oft mehre Tage, die
Anfälle können gleich vom Anfange in ihrer ganzen Heftigkeit
auftreten, es ist keine Zunahme der Symptome, wie im Croup,
wahrnehmbar, es gehen weder catarrhalische Zufälle vorher,
noch bemerkt man solche in den Intervallen, die Kinder sind aus-
ser den Anfällen ganz wohl und die Stimme ist nicht heiser, die
Krankheit dauert viel länger als der Croup etc. — Leichter ist
die Unterscheidung von Tussis convulsiva (Keuchhusten);
die Aehnlichkeit scheint nur in der pfeifenden Inspiration zu lie-
gen, womit die Anfälle beginnen, denn beim Miliar Asthma fehlt
jener heftige mit Würgen und Erbrechen endigende Stosshusten,
den wir im Keuchhusten jederzeit beobachten ; die Paroxysmen
des Keuchhustens kommen bei Tag wie bei Nacht und ein Sta-
dium catarrhale ist stets vorhanden, auch wird immer eine
grosse Menge zähen Schleims ausgewffcgt, was bei unserer
Krankheit alles fehlt. — Cyanose beruht immer auf angebornen
organischen Fehlern des Kreislaufapparats, die immer mittels der
Auscultation durch die anhaltenden Anomalien im Herzschlage
erkannt werden ; auch ist hier der suffocatorische Zustand schon
in den ersten Tagen nach der Geburt bemerkbar, während unser
Asthma meist in der Periode des ersten Zahnens oder noch spä-
ter auftritt; bei Blausucht findet ein eigenthümliches Rasseln, Ko-
chen statt, das von heftigem Husten begleitet wird.

Aetiologie. Die Krankheit kommt meist bei Kindern
von 6 bis 18 Monaten vor, selten später; es sind ihr mehr Kna-
ben als Mädchen unterworfen; sie pflanzt sich zuweilen erblich
fort und oft werden alle Kinder einer Familie davon befallen ;



Asthma Millari, A. laryngeum, Spasmus glottidis. 479

meist trifft sie Kinder von sehr zarter Constitution, blass, schwam-
mig, mit scrophulöser Disposition, kenntlich an den Gesichts-
und Kopfausschlägen , Ohrenfluss, Drüsenanschwellungen. Viele
Aerzte halten dieses Asthma für eine mit Entwickelungsvorgän-
gen zusammenhängende und dadurch bedingte Krankheit, wenig-
stens scheint diese Ansicht durch ihren Eintritt in der Denti-
tionsperiode gerechtfertigt zu sein; häufiger finden sich jedoch
andere Einflüsse , die Anlass zur Entwickelung der Krankheit
geben, wie: Catarrhe, Bronchitis, Croup, Keuchhusten, Masern,
hydrocephalische Fieber; auch Erkältung giebt Veranlassung,
namentlich die nasse, feuchte Jahreszeit.

Prognose richtet sich nach dem Alter, der Constitution
des Kranken; je älter und kräftiger das Subject, desto gefahrlo-
ser; auch Ursachen und Complicationen bestimmen die Gefahr;
nicht minder die Dauer, Verlauf und Stadium der Krankheit, sehr
ungünstig ist das convulsivische Stadium, eben so der Ueber-
gang in Hydrocephalus. (Canstatt).

§. 234.

Therapeutika Es giebt in der Homöopathie eben noch
nicht zu viel Arzneien, die gegen ein Asthma Millari empfohlen,
und durch die Erfahrung als heilkräftige bestätigt worden sind ;
letzteres liegt nun unstreitig daran, dass man in den wenigsten
Fällen genau distinguirte und die Krankheit nicht richtig als A.
Millari erkannte — ein Fehler, der gewiss vielen Aerzten in
dieser Krankheit zur Last gelegt werden kann, von dem aber
gewiss die allerwenigsten in allen Fällen eines ihnen vorgekom-
menen A. 1 a r y n g e u m infantum sich frei sprechen können. Hal-
ten wir das pathognomonische Symptom dieser Krankheit fest,
von dem ich Eingangs des §. 232 sprach, so muss es jedem
Arzte auf den ersten Blick klar werden, dass er es nur mit
einem Krämpfe im Kehlkopfe, oder besser, in der Stimmritze zu
thun habe und er wird dann mit leichterer Mühe die Krankheit
richtig zu beurtheilen vermögen. Die wenigen Mittel aber, die
uns in dieser Krankheit zu Gebole stehen, sind in ihren Bezie-
hungen zu diesem Asthma so bezeichnend, dass man nicht leicht



480 Krampfhafte Engbrüstigkeit, Steckcatarrh der Kinder.

einen Fehlgriff thun kann, wenn man nur einigermaassen sich
mit ihren Wirkungen vertraut gemacht hat.

Eins der vorzüglichsten hier zu nennenden Mittel ist Sambu-
cus, das mir schon vor 30 Jahren in dieser Krankheit ein Lob
erwarb und zur Homöopathie ein solches Vertrauen einflösste,
dass, hätte ich nicht schon damals die feste Ueberzeugung von
der Wahrheit dieses neuen Heilverfahrens gehabt, ich unbedingt
für dasselbe wäre gewonnen worden. Der Fall war aber auch
zu eclatant und machte damals grosses Aufsehen, weil ein berühm-
ter allöopathischer Arzt schon über 8 Tage gegen diesen beun-
ruhigenden Zustand vergeblich operirt, selbiger sogar an Inten-
sität zugenommen hatte. Ich habe aus diesem und später
beobachteten Fällen folgende Symptome für die Anwendung von
Sambuc. indicirend und durch Erfahruug bestätigt gefunden: Pa-
tient erwacht aus einem Schlummer mit halb offenen Augen und
Munde plötzlich und muss sich, weil er keinen Athem bekommen
kann, aufsetzen; er vermag nur in kurzen, pfeifenden Athemzü-
gen zu inspiriren, mit intercurrirenden Erstickungsanfällen, wobei
er mit den Händen um sich herumwirft, das Gesicht und die
Hände bläulich aufgetrieben erscheinen, unter allgemeiner trock-
ner Hitze, ohne Durst, bei einem unordentlichen, kleinen, aus-
setzenden Pulse; wenn der Anfall kommt, weint der Kranke;
Alles ohne Husten und vorzüglich in den Mitternachtsstunden.

Anderer Art ist das Asthma Millari, das in Arsenicum
sein Heilmittel findet. Gewöhnlich sind^hier leichte catarrhali-
sche Zustände schon mehrere Tage vor dem Ausbruche wahrge-
nommen , aber ihrer Unbedeutendheit wegen nicht beachtet
worden ; der kleine Kranke schläft Abends ruhig ein und die Um-
stehenden können nun den Ausbruch des Krampfs immer mehr
und mehr sich heranbilden sehen, denn bald nach dem Nieder-
legen wird der Athem allmälig kürzer, pfeifend, bis endlich der
völlige Krampf im Kehlkopfe unter einem lauten pfeifenden
Schrei und plötzlicher todtdrohender Erstickungsgefahr ausbricht.

Menyanthes trifoliata setze ich Sambuc. zur Seite und halte
die Fälle, worin der Fieberklee nützlich sich erweist, denen ähn-
lich, denen Sambuc. entspricht, nur weniger intensiv und leichter
vorübergehend; aber auch hier tritt die krampfhafte Verengerung



Asthma Millari, A. laryngeum, Spasmus glottidis. 481

der Stimmritze, mit ungemeiner Anstrengung zum Athmen plötz-
lich ein.

Die Beobachtungen über Moschus an gesunden Personen
setzen es ausser allen Zweifel, und die Erfahrung hat es bereits
auch bestätigt, dass er in der besprochenen Krankheit viel aus-
zurichten im Stande sei, wenn eine athemversetzende Zusammen-
schnürung des Kehlkopfs, mit sichtbarem Bedürfniss tief zu ath-
men, plötzlich eintritt.

Noch ist besonders Veratrum namhaft zu machen, das nicht
zu den unbedeutendsten Mitteln in dieser Krankheitsgaltung zu
rechnen ist. Die Anfälle von Zuschnürung der Kehle, zum Er-
sticken mit fast ganz erloschenem, unmerklichem Athmen und mit
verengerter Pupille, oder mit hervorgetretenen Augen; ausser
den Anfällen aber ein höchst mühsames, beschwerliches Athmen
— diess sind Zeichen, denen Veratrum vollkommen entspricht.

Einiger Arzneien gedenke ich noch ausserdem, die gegen
verschiedene nächtliche, plötzlich eintretende Angstan-
fälle wohl berücksichtigungswerth sind, z. B. Ignatia, Ipecac,
Beilad. , Pulsat , Laurocerasus , Nux, Aconit, Anguslura, Stra-
mon., Calcar., Lycopod., Phosphor und verweise zugleich auf die
unter Asthma genauer bezeichneten.

§. 235.

Nur cursorisch berühre ich hier einen Zufall, der ebenfalls
in diese Rubrik gehört und durch sein öfteres Vorkommen Ab-
hülfe erheischt. Ich meine das

Alpdrücken. Incubus.

Weiss ich auch, dass der Zustand nicht gefahrdrohend ist;
weiss ich auch, dass jeder einigermaassen routinirte Homöopath
mit leichter Mühe, das demselben entsprechende Heilmittel fin-
den wird: so darf ich doch nie meinen Zweck aus den Augen
verlieren, nämlich den — dem Anfänger einen Leitfaden in die
Hände zu geben, worin er sich auch Raths für die leichteren
Fälle erholen kann.

Das Alpdrücken ist ein Zufall, der nur im Schlafe, be-
sonders bei der Rückenlage, bei vollem Magen, und namentlich



482 Alpdrücken. Incubus.

vollblütige Subjecte befällt. Der davon Befallene Hegt in kei-
nem festen, vollkommenen, sondern nur in einem Halbschlafe,
in welchem ihm so viel Bewusstsein übrig bleibt, dass er weiss,
seine Leiden sind nicht wirklich, sondern nur eingebildet; den-
noch vermag er diesen Zustand durch Willenskraft nicht zu ver-
scheuchen; er kann sich auf seinem Lager nicht rühren, nicht
aufrichten und eben so wenig schreien. Gewöhnlich tritt das
Alpdrücken im ersten Schlafe ein, meistens nach vorgängigen
Träumereien und unter der Vorstellung eines dem Bette sich
nahenden und auf den Schläfer springenden Thieres oder Ge-
spenstes, das schwer lastend auf der Brust aufliegt, Beklem-
mung und Angst erzeugt , und Erstickung droht. Der Anfall
dauert nur kurze Zeit, zuweilen aber auch einige Stunden und
repetirt sogar mehrmals in einer Nacht. Das Erwachen erfolgt
meistens plötzlich und hinterlässt ein Gefühl von Mattigkeit,
manchmal Schweiss an den obern Theilen, Zittern des ganzen
Körpers, Herzklopfen, Kopfweh, doch verschwindet alles sehr
bald wieder und man nimmt keine weitern übeln Folgen wahr.

Wäre nicht die unangenehme und ängstliche Nachtstörung,
wodurch der Schlaf unerquicklich werden muss, man könnte den
Zufall getrost der Naturheilung überlassen, um so mehr, als
er sehr häufig nur transitorischen Ursachen sein Entstehen ver-
dankt; allein in nicht wenigen Fällen, insbesondere bei vollblü-
tigen Personen, wird er leicht habituell durch den oft wieder-
kehrenden Congestions-Zustand nach der Brust, der dann eben
so leicht organische Verbildungen im Blif%efässsysteme herbei-
führt, und darum muss der Arzt ihn durch seine Kunst zu besei-
tigen streben. Wie in vielen Krankheiten, so besonders hier,
sind Kaifee und alle erhitzende Getränke ganz aus der Lebens-
ordnung des Kranken zu verbannen, wodurch oft schon eine
wesentliche Erleichterung erzielt wird, die noch deutlicher sich
herausstellt, wenn man das hier zweckdienliche Heilmittel in
Anwendung bringt, was in Nux vomica gefunden ist, wenn na-
mentlich der übermässige Genuss erhitzender, geistiger Getränke
die Veranlassung zur Entstehung dieses Leidens gab, oder wenn
häufige Magenüberladungen den Eintritt dieses beängstigenden
Zufalls begünstigten.

Bemerken die vom Alpdrücken Befallenen schon einen oder



Alpdrücken. Incubus. 483

mehrere Tage vorher: Wallung im Blute, periodisch wiederkehren-
des Hitzeüberlaufen des Gesichts, öfters eintretendes Herzklopfen
mit Aengstlichkeit und Unruhe, beklommenes Athemholen, Hitze
und vermehrten Durst: so ist Aconitum das für diesen Zustand
geeignetste Mittel, wodurch am leichtesten und sichersten diese
beängstigende Nachtstörung abgehalten und, durch Wiederholung
der nicht zu kleinen Gabe, völlig gehoben werden kann.

Für die Anwendung von Opium sprechen folgende Beschwer-
den: Der Kranke liegt in völliger Schlafsucht schnarchend und
röchelnd mit offenem Munde und halb geöffneten Augen da, ist
nicht zu ermuntern und auf seinem mit kaltem Schweisse be-
decktem Gesichte spiegelt sich die innere Angst ab; das Athmen
geschieht stossweise krampfhaft und ist zuweilen auch mit ein-
zelnen Zuckungen der Glieder verbunden.

Süicea darf hier nicht unerwähnt bleiben, denn sie bietet
des Characteristischen zu viel in ihren Symptomeengruppen, das
auch bereits durch den Prüfstein der Erfahrung bewährt sich
gezeigt hat, besonders in dem Alpdrücken, mit grosser Angst,
als läge ein rauhes, zentnerschweres Thier auf ihm, dass er sich
nicht regen, noch einen Laut von sich geben kann. Auch das
Symptom ist hieher zu rechnen: halbwachender Traum nach
Mitternacht, als wollten ihn unzählige Geister packen , nach dem
Erwachen kann er kein Glied rühren, er liegt im Schweisse unter
grosser Angst mit Herzklopfen, hernach grosse Furchtsamkeit.

Folgende Arzneien verdienen noch die Aufmerksamkeit der
Aerzte in dieser Krankheitsform: Pulsat., Bryonia, Beilade
Conium , Guajac. , Ignat. , Nitrum , Sulphur , Ammonium carb. ;
letzteres besonders, wenn der Zufall beim Einschlafen eintritt;
Guajac. vornämlich, wenn der Kranke auf dem Rücken liegend
davon befallen wird; erscheint das Alpdrücken nach Mitternacht,
so ist Cinnabaris das Heilmittel — ob durch die Erfahrung
constatirt, weiss ich nicht.

§ 236.

Stickfluss. Catarrhus suffocativus.

Der Stickfluss gehört füglich den akuten Krankheiten an,
da er eigentlich nur eine Abart einer Bronchitis capillaris



484 Stickfluss. Catarrhus suffocativus.

acuta oder einer Pneumonia notha ist; aus manchen Grün-
den zog ich es jedoch vor, ihn den asthmatischen Beschwerden
anzureihen, mit denen er als solcher (also in seinem letzten
Stadio) die meiste Aehnlichkeit hat. Bestehen auch die Er-
scheinungen einer Bronchitis schon längere Zeit, so verdienen
sie in diesem Stadium doch die Bezeichnung: Steckkatarrh,
Stickffuss nicht, sondern erst dann, wenn durch die krankhafte
Ueberfüllung der Bronchien mit Schleim die höchste Erstickungs-
angst herbeigeführt wird, wodurch endlich akute Cyanose ent-
steht und der Kranke gleichsam im Schleime unter weithin hör-
barem Rasseln erstickt. Oft tritt ein derartiger Zustand auch
plötzlich, nach unbedeutend scheinenden Vorboten, etwas Schnup-
fen und Bronchialcatarrh ein. Das Auftreten einer so copiösen
Schleim-Secretion geschehe nun auf welche Art sie wolle; bildet
sie auch das Hauptelement der Krankheit — der Stickfluss kann
doch nicht zu Stande kommen, wenn sich nicht eine krampf-
hafte Reizung des Respirations-Apparates mit ihm paart, wodurch
das Krankheitsbild erst characterisirt wird. — In diesem krampf-
haften Zustande nun gelingt es zuweilen dem Kranken, nach
einem Paroxysmus höchster Athemnoth und Orthopnoe eine enorme
Menge serösen, durchsichtigen, eiweissähnlichen oder schleimi-
gen Sekrets herauf zu würgen oder zu erbrechen und unmittelbar
darauf werden Athem und Kreislauf etwas freier; eben so leicht je-
doch kann der Kranke in dem Anfalle ersticken. — Die Aus-
kultation lässt uns Anhäufung einer Ungeheuern Menge von mehr
oder weniger Flüssigkeit in allen Abtheilungen der Bronchien
und über den grössten Theil der Brust erkennen. Oft fehlt alles
Fieber. Die Anfälle repetiren in kürzeren oder längeren Zwi-
schenräumen ; hinzugetretenes Oedem der Lunge beschleunigt den
tödtlichen Ausgang ; die Krankheit verläuft oft in wenigen Stun-
den oder Tagen.

§. 237.

Therapeutik. Hier dürfte ich nur auf die vorhergehenden
Paragraphen und im ersten Theile auf Katarrh und Bronchien-Ent-
zündung verweisen ; allein der Anfänger will doch wenigstens die
hier indicirten Arzneien in nuce beisammen sehen, um nicht un-



Stickfluss. Catarrhus suffocativus. 485

ter einer zu grossen Anzahl wählen zu dürfen — für diese diess
Wenige.

Zu Anfange der Krankheit leisten Ipecacuanha, Coffea, Cam-
phora, Sambuc, Chamomilla, Pulsat. die meisten Dienste und ver-
hüten sogar die weitere Ausbildung der Krankheit, ihr Fortschreiten
bis zur höchsten Höhe. — Chamomilla ist besonders bei Kindern
empfehlenswert , wenn ein stickflussartiger Zustand einzutreten
droht, der sich mit stetem Kitzelreiz im Halse, Röcheln im Kehl-
kopfe und der Brust, heftigem Husten ankündigt, wohl auch mit
Convulsionen, Leibweh etc. verbunden ist. — Einer plötzlich
eintretenden erstickenden, stickflussartigen Beklemmung mit un-
geheurer Schleimanhäufung in den Luftwegen und keuchendem
Athmen begegnen wir am treffendsten mit Camphora, der bei
Kindern in der 1. bis 3. Verdünnung anzuwenden ist. — Unstrei-
tig eins der wichtigsten Mittel ist hier Ipecac. , aber in öfter wie-
derholter Gabe und nicht zu hoch gesteigerter Verdünnung, be-
sonders da, wo vergebliche Anstrengung zum Erbrechen sich
zeigt, wo vielleicht schon längere Zeit Katarrh mit sehr ver-
mehrter Schleimabsonderung voran gegangen war, worauf dann
dieser Steckhusten mit Steifwerden des Körpers und Blauwerden
des Gesichts auftrat.

Bei immer weitem Fortschreiten der Krankheit, wenn keins
der genannten Mittel Einhalt zu thun vermag, oder auch bei
plötzlichem Eintritt des Stickflusses, ist keine Arznei heilsamer
als Arsenic, der in nur wenigen Fällen der Belladonna, China
oder dem Veratrum nachstehen wird , über deren Anwendung die
begleitenden Symptome entscheiden.

Ist ein deutliches Röcheln und Schleimrasseln in der Tiefe
der Brust beim Einathmen wahrnehmbar, ein ängstliches Bestre-
ben der Brust, sich von dem quälenden Reize zu befreien; ist
der Husten mit einem ganz eigenen dumpfen, hohlen, rasseln-
dem Klange verbunden, und fehlt dem Kranken die Kraft , durch
den Husten die Schleimanhäufung in der Tiefe der Lungen zu
mindern: dann kann man mit grosser Wahrscheinlichkeit auf dro-
hende Lungenlähmung (Paralysis pulmonum) schlies-
sen, die theils auf Krampf, theils auf partiellem Erlöschen der
Nerventhätigkeit und Lebenskraft beruht, und am häufigsten in
dem kindlichen und hohen Alter vorkommt. Einem solchen Zu-



486 Brustbräune, Herzklemme , Neuralgie des Herzens.

stände entspricht sehr häufig Tartarus stibiatus in erster, zwei-
ter Verreibung und wiederholter Gabe. — Ereignet sich ein
solcher Zufall bei alten Leuten, so rathe ich zuerst Kampher-
Spiritus tropfenweise, in 5 — 10 minütlichen Intervallen anzu-
wenden, und dann Baryta carbonica, diese Panacee für das hohe
Alter, zu reichen.



§. 238.

Brustbräune, Herzklemme, Neuralgie des Herzens. An-
gina pectoris.

Pathognomonisch für Angina pectoris ist ; Plötzlicher Ein-
tritt eines eigenthümlichen entsetzlichen Schmerzes in der Herz-
gegend , unter dem Sternum , paroxysmenartig auftretend und
sich über die Nachbartheile, Brust, Hals, Arme, Zwerchfell aus-
breitend; dabei ein Gefühl von Ohnmacht und innerer Vernich-
tung ; der Kranke muss still stehn und sich an einen festen Ge-
genstand anklammern.

Verlauf der Krankheit. Sehr häufig tritt der Paro-
xysmus ohne alle Vorboten ein und diess ist eben ein wesent-
licher Characterzug der Krankheit ; etwaige Vorboten vor dem
Anfalle sind: ein Gefühl von Niedergeschlagenheit, unbeschreib-
liche Unruhe , Dehnen der Glieder, Umnebelung der Augen.

Characteristisch für den neuralgis chen Schmerz ist im-
mer die damit verbundene Empfindung &pn naher Ohnmacht, bis
zur Syncope sich steigernd, und das Gefühl von Todesangst,
der Schmerz selbst ist verschieden geartet, als: Pressen, Zu-
sammenschnüren, oder Ausdehnen des Herzens, als ob es ber-
sten wolle; oder die Empfindung, als bleibe das Herz still ste-
hen; oder der Schmerz ist schneidend, als werde die Brust zer-
fleischt. Ruhe und festes Anstemmen der Brust erleichtert.
Das Athmen ist scheinbar gehemmt, der Kranke glaubt zu er-
sticken, ist sprachlos. Herzklopfen ist nicht immer vorhanden;
eher beobachtet man einen flatternden unregelmässigen Herzschlag;
der Puls ist meist klein, schwach, etwas beschleunigt, oft un-
regelmässig; zuweilen aber auch hart, voll, unverändert, so-
garlangsamer — Zeichen, jedenfalls von organischer Herzkrank-
heit abhängig. — Während des Paroxysmus sind Gesicht und Ex-



Angina pectoris. 487

tremitäten kalt, blass, mit kaltem Schweisse bedeckt; die Ge-
sichtszüge sind krampfhaft verzerrt und die Sinne vergehen ;
meist jedoch behalten die Kranken ihr Bewusstsein während der
ganzen Dauer des Anfalls.

Der Paroxysmus dauert zu Anfange der Krankheit nur einige
Minuten, später jedoch länger, aber er ist auch dann weniger
heftig; unter erleichterndem Aufstossen, Schweiss lässt der Krampf
nach; seltner unter Abgang von Blähungen oder Erbrechen;
manchmal unter Husten mit Schleimauswurf. — Anfangs kehren
die Anfälle gewöhnlich in langen Zwischenräumen wieder, oft
liegen Jahre dazwischen; später werden sie häufiger und durch
die unbedeutendsten Gelüste hervorgerufen, z.B. durch anstren-
gende Bewegung, Höhensteigen, Gehen gegen den Wind, Diätfehler,
Gemüthsbewegungen, geistige Anstrengung u. s. w. ; endlich kann
Husten, Sprechen, Gähnen, Niesen oder irgend eine Bewegung
den Anfall hervorrufen.

§. 239.

Anatomische Charactere. Die Untersuchung der Lei-
chen weist deutlich nach, dass die an Angina pectoris Verstor-
benen grösstentheils an auffallenden Structurkrankheiten des Her-
zens oder der grossen Gefässe, besonders der Aorta, gelitten
haben, woraus sich zugleich die nächste Ursache der Krankheit
entnehmen lässt. Am häufigsten zeigen diese Obductionen Aor-
tenkrankheit (Erweiterung, Verknöcherung), Verknorpelung oder
Verknöcherung der Kranzarterien , Verknöcherung der Klappen,
Hypertrophie und Erweiterung des Herzens, Entzündung und Ge-
schwulst im Mediastinum, Fettanhäufung um das Herz, Verknö-
cherung der Rippenknorpel , Verwachsung des Herzens mit dem
Herzbeutel, varicöse Erweiterung der Herzvenen, Lungenkrank-
heit, Hydrothorax u. s. w.

Ursachen: Schwerere Fälle kommen selten vor dem 50. Le-
bensjahre vor; leichtere fallen in das jüngere Lebensalter. Män-
ner werden häufiger als Weiber von dieser Krankheit befallen.
Andere ursächliche Momente sind: anomale Gicht, Hysterie , Hy-
pochondrie; auch werden noch hieher gerechnet: Müssiggang,
üppige Lebensweise, Trunk, Mangel an Bewegung, chronische
Dyspepsie, sorgenvolles Leben, Gemüthsbewegungen u. s. vv.
IL 32



488 Brustbräune, Herzklemme, Neuralgie des Herzens.

Alle organische Veränderungen , alle anderen Ursachen aber
können fehlen, und doch tritt eine A. pectoris auf, zum Beweis,
dass das Wesen dieser Krankheit nicht auf ihnen beruhe, wohl aber
durch sie, bei ihrem Vorhandensein, verstärkt werden könne und
ihre Heilbarkeit in das Reich der Unmöglichkeit versetze. So-
nach ist eine A. pectoris nichts anderes als eine Neuralgie
der Herznerven — eine rein dynamische Krankheit, zum Trotz
der neuern anatomisch -pathologischen Schule, die eine solche
durchaus nicht gelten lassen will, weil die Sectionen ihr keine
erhebliche Structur-Veränderung der Nerven hat erkennen lassen.
Merkwürdig, dass noch immer Extreme so gern sich berühren!
Früher nurDynamis, Lebenskraft, Nervenkraft — jetzt nur Ma-
terie, materielle Veränderungen, Blutcrasen u. s. w. ; nur Sicht-
bares ist jetzt güllig, ein unsichtbares Etwas ist der jetzigen
Medizin ein Graue! , denn es existirt nicht, weil das anatomische
Messer es nicht ergründet! So sehr die neuere Richtung mich
anspricht, so viel Vortreffliches ich auch durch sie kennen ge-
lernt habe: so wenig kann sie mich überreden, dass es ein
nee ultra über das von ihr Gelehrte gebe! Nur die Maschine
des Mikrokosmus in allen Einzeltheilen können wir ergründen,
das belebende Agens aber wird unserm leiblichen Auge stets
als dunkles Nebelbild erscheinen, das selbst dem tiefsten For-
schergeiste nicht gelingen wird zu klarerer Anschauung zu brin-
gen. — Diess ist meine Ansicht als praktischer Arzt, bei der
ich als solcher mich immer glücklich^ühlen werde, weil ich
Vertrauen zur Heilkunst und zu mir selbst behalte und sogar
da nicht verzweifle, wo nach den neuern Erfahrungen ich längst
die Segel hätte streichen sollen.

Der Verlauf und die Ausgänge haben dargethan, dass
die Krankheit 20 Jahre und länger dauern, dass sie aber eben
so leicht nach wenigen Anfällen tödten kann. Zuweilen ist sie
mit ein Paar Anfällen gehoben und kehrt nie mehr wieder. — Sel-
ten jedoch ist der Ausgang in Genesung. Oft alternirt die Krank-
heit mit andern gichtischen Beschwerden, die Füsse schwellen
an o ler es erfolgen Ausleerungen durch Schweiss und Urin;
zuweilen zeigt sich auch Erysipelas an den Füssen, das die Brust
frei macht. Auch mit andern nervösen Zufällen, mit Gastralgie,
Ischias, Kopfschmerz u. s. w. kann die Krankheit alterniren und



Angina pectoris. 489

in organische Herzkrankheit, Cachexie, Wassersucht übergehen.
Meist aber tödtet sie, vor Eintritt dieser Folgen, gewöhnlich un-
vermuthet während eines Anfalls.

Die Prognose ist im Ganzen ungünstig, besonders bei schon
veralteten Fällen, bei Complication mit Desorganisationen, bei
sehr heftigen und schnell auf einander folgenden Anfällen, durch
geringe Veranlassungen entstanden, und endlich da, wo auch
die Intermissionen nicht mehr symptomenfrei bleiben. — Gün-
stiger gestaltet sich die Prognose, wo das ursächliche Moment
Gicht, Hysterie, Spinalreizung ist, wo die Paroxysmen selten
und nicht zu vehement sind und wo Patient noch nicht zu weit
in den Jahren vorgerückt ist ( Ca n statt).

§. 240.

Therapie dieser Krankheit. Während des Anfalls sind
von dem Kranken jeder äussere Druck, jedes beengende Klei-
dungsstück zu entfernen und die grösste Ruhe von seiner Seite
zu beobachten, wozu er oft selbst gezwungen wird, indem er
sogar die aufrechte Stellung beibehalten muss, weil er die Rü-
ckenlage nicht ertragen kann. Empfehlenswerth sind hier als
antagonistische Reize, namentlich: warme Hand- und Fussbäder,
Reibung der Haut mit wollenen Tüchern, Application warmer
Cataplasmen und die Anwendung des thierischen Magnetismus.
Ob kalte Bespritzungen, Begiessen mit kaltem Wasser und kalte
Umschläge auf die Brust nicht ebenfalls zu empfehlen sind, mö-
gen fernere Erfahrungen entscheiden.

Nicht blos der Paroxysmus, sondern auch das Totalleiden
findet in Arsenicum das passendste Heilmittel, vorausgesetzt, dass
nicht zu grosse Structurveränderungen des Herzens und der gros-
sen Gefässe, oder andere gewaltige Desorganisationen mit der
Krankheit complicirt sind. Er ist vollkommen indizirt, wenn
der Kranke nur bei vorgebeugter Brust ganz leise zu athmen
vermag, wenn die leiseste Bewegung schon völligen Athem-
mangel erzeugt; wenn bei einem drückenden Stechen in der
Herzgegend eine Ohnmacht mit Angst sich paart; wenn Athem-
mangel schon beim Einsteigen ins Bett hervorgerufen wird
und der Kranke lange zu seiner Erholung bedarf; wenn beim

32 *



490 Brustbräune, Herzklemme, Neuralgie des Herzens.

Umwenden im Bett der Anfall schon erneuert wird. — Nach
meiner Ueberzeugung und den mir zur Seite stehenden eigenen
Erfahrungen muss Arsen, das souveränste Mittel in dieser Krank-
heit sein, namentlich wenn sie dynamischen Ursprungs ist; pro-
blematisch bleibt seine Heilkraft immer in Complication mit grös-
sern Desorganisationen, deren vollständige Rückbildung doch wohl
nicht ganz in unserer Macht steht, da die Erfahrung zu oft ge-
lehrt hat, dass wir wohl zu mindern, aber nicht ganz zu hei-
len vermögen, mithin eine unberechenbare Veranlassung von
aussen im Stande sein kann, einen neuen Anfall hervorzurufen
und ein ferneres Fortschreiten der Krankheit zu begünstigen.
Aber auch unter solchen Verhältnissen bleibt es immer ein wohl-
thätiges Gefühl für den Arzt, ein Mittel zu besitzen, auf das
er sich unter allen Umständen verlassen kann und das bietet
ihm, nach meinem Dafürhalten, der Arsen.

Noch giebt es aber auch einige andere Mittel, die der Arzt
in dieser höchst gefahrdrohenden Krankheit nicht ganz unbeach-
tet an sich vorübergehen lassen darf. Unter diesen steht Digi-
talis oben an, und die kräftigere Action des Herzens bei ver-
langsamertem Pulse, diese unrhythmische Gefässthätigkeit gilt hier
sogar als indizirendes Moment; nicht minder der plötzliche Ein-
tritt der Krankheit fordert die Anwendung der Digitalis, so wie
die ziehend - spannenden Krampfschmerzen in der linken Brust
und dem Sternum, nach dem Nacken und dem Oberarme ausstrah-
lend, unter der unsäglichsten Todesang|t.

Was von Sambucus in Angina pectoris zu erwarten
ist, habe ich unter Asthma Millari bereits angedeutet und
der Anfänger mag das Fehlende durch eigenes Nachschlagen er-
gänzen.

Eine genauere Durchsicht bei die Wahl der Arzneien für
Angina pectoris verdient Angustura, und ich glaube, es
giebt Fälle, in denen sie wohl passend erscheinen dürfte, z. B.
würde ich sie in den leichtern Formen dann anwenden, wenn
eine stete Bewegung der Brust zugegen ist, die durch die ge-
ringste Bewegung oder Steigen bis zum Unerträglichen sich stei-
gert und mit einem sehr beängstigenden Herzklopfen, schneiden-
den Stössen im Brustbeine und Rücken, oder schmerzhaften
Stössen in der Herzgegend sich paart.



Angina pectoris. 491

Lacluca vi?'Osa, die, wie ich schon früher nachgewiesen habe,
in manchen asthmatischen Beschwerden von Nutzen ist, leistet
in dieser Krankheit gewiss nicht weniger, als die so eben ge-
nannten Arzneien, namentlich verdient sie da Beachtung, wo ein
klemmendes Stechen in der linken Brust bis zum Schulterblatte,
mit unsäglicher Beengung der ganzen Brust empfunden wird.

Auch Veratrum album wird sich bewährt zeigen, wenn der
Arzt die begleitenden Nebenbeschwerden gehörig zu würdigen
versteht. Die Hauptbeschwerde ist hier insbesondere: der pe-
riodische, zusammenziehende Klammschmerz in der linken Brust,
oder auch der schneidende Schmerz, mit der Ungeheuern Her-
zensangst, der den Athem benimmt und selbst in die Schulter
mit ausstrahlt.

Weiter erstrecken sich meine Erfahrungen über die noch
entsprechenden Mittel, von denen gewiss auch Gutes zu erwar-
ten ist, nicht und die über Angina pectoris mitgetheilten
Beobachtungen sind nicht so scharf und distinct verzeichnet, dass
sich daraus etwas Bestimmtes für die Therapie dieser Krankheit
entnehmen Hesse. Aufmerksam mache ich desungeachtet noch
auf Asa foetida und Sepia. — Mehrmals ist es mir und andern
homöopathischen Aerzten gelungen, durch öfter wiederholte Ga-
ben Aconit den Anfall zu coupiren, oder doch die Heftigkeit
desselben zu massigen. — In manchen Fällen wird diess auch
der Ipecacuanha gelingen, vorzüglich wenn während des Paro-
xysmus immer vergebliche Neigung wie zum Erbrechen statt
findet. —

Als passende Zwischenarzneien dürften unter übrigens pas-
senden Symptomen; Belladonna, China, Spongia, Jodium, Mercur
etc. zu empfehlen sein.

§. 241.

Neurosen des Genitalien-Systems.

Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschwerden. H yste-
ria, Asthma uteri, Suffocatio uterina, Passio hysterica.

Ganz umfassend ist die Hysterie in einem Handbuche für
Anfänger nicht zu bearbeiten, indem sie ein Summarium aller



492 Neurosen des Genitalien-Systems.

Nervenaffectionen darbietet, das leicht einen selbstständigen Band
als monographische Bearbeitung liefern könnte, wie auch der
Ausspruch Fr. Hoffmann's bestätigt, der lautet: Non est
morbus unus, sed potius cohors morborum. Dennoch versuche
ich in Andeutungen das Wissensvvertheste in homöopathisch-
therapeutischer Beziehung hier niederzulegen und mich in der
Anordnung des Ganzen an S chönl ein und Canstatt zu halten.
Es giebt fast keine Krankheit, die so weit verbreitet, so
ausserordentlich frequent wäre, und in einen grossen Theil der
Frauenzimmerkrankheiten mit hineinspielte, als die Hysterie.
Durch diese letztere Eigenschaft ist es ihr möglich, sich uns
unter den mannichfachsten Formen und Gestalten darzustellen
und uns dadurch oft die grössten Hindernisse für die richtige
Würdigung der vorliegenden Krankheit in den Weg zu legen.
Characteristisch für sie bleibt jedoch der schnelle Wechsel der
Erscheinungen und ohne sichtbare, auffallende Ursache treten
vehemente Symptome auf, verschwinden aber auch eben so schnell
wieder und springen nicht minder leicht in eine andere Form
der Krankheit über, die plötzlich in Gesundheit und Munterkeit
sich umwandelt.

Die psychisch en Erscheinungen sind eigentümlich.
Der Character der Hysterischen spricht sich in launenhaftem We-
sen, raschem Wechsel der Stimmung und Gefühle und ausseror-
dentlicher psychischer Reizbarkeit aus; eben so verhält es sich
mit den Affecten, von der tiefsten Wehmuth springen sie plötz-
lich zur grössten Heiterkeit über; immer hält sich die Hysteri-
sche für die kränkste Person und will bemitleidet sein; auch
versteht sie am meisten zu betrügen und zu täuschen, sie simu-
lirt die sonderbarsten Krankheitserscheinungen, meist aus dem
Grunde, um Aufsehen und Interesse zu erregen — dabei feuchte,
schmachtende, halbgebrochene Augen; erhöhte Reizbarkeit des
Nervensystems, Idiosyncrasien.

Aeusserungen des hysterischen Paroxysmus sind fol-
gende: Vorausgehend allgemeines Unbehagen, Traurigkeit oder
ausgelassene Lustigkeit, schwatzhaftes Wesen, Unruhe, Angst,
leichte Zuckungen und Schmerzen in den Gliedmassen, Seufzen
und Gähnen , Drängen zum Harnen und Abgang wasserhellen
Urins. Gefühl einer aufsteigenden Kugel (Globus hysteri-



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw. Hyst., Asthma etc. 493

cus), die mit Kollern von der linken Unterbauchseite bis nach
dem Epigastrium sich hinwälzt, dort ein Würgen und Erbrechen
erregt, oder bis nach dem Halse zu aufsteigt und ihn zusammen-
schnürt. Hierauf folgen Convulsionen: die Kranken schlagen
sich mit geballter Faust auf die Brust, werden in die Höhe ge-
worfen, wobei es der grössten Aufsicht bedarf, um sie nicht
Schaden leiden zu lassen. Gewöhnlich bleibt ihnen in diesem
Zustande das Bewusstsein; sie schreien laut auf, heulen, lachen,
schluchzen krampfhaft. In den Remissionen sind die Kranken
erschöpft, schlummern, deliriren, oder sind in einem Zustande
der Ecstase, des Somnambulismus ; bald jedoch kehren die Con-
vulsionen zurück und dieselbe Scene kann sich mehrmals wieder-
holen, alle 3 bis 4 Minuten. Ein solcher Paroxysmus kann
mehre Tage sich- hinschleppen und dann endigt er öfters mit
Asphyxie, Coma, Luftaufstossen, oder unter Weinen, Schluchzen,
Lachen, vermehrter Schleimabsonderung aus den Genitalien und
vermehrtem Abgang wasserhellen .Urins. Der Puls ist im Anfalle
klein, zusammengezogen, das Gesicht blass, die Extremitäten
kalt; nachher fühlen sich die Kranken ermattet, der Puls wird
allmälig wieder voller und die Hautwärme kehrt zurück.

Diess die gewöhnlichste Form der hysterischen Convulsio-
nen; steigt die Krankheit zu einem höheren Grade auf, so kann
sie in Veitstanz, Tetanus, Catalepsie, selbst Epilepsie mit Verlust
des Bewusstseins ausarten. — Die Anfälle treten oft ohne alle
bekannte Ursache ein ; zuweilen jedoch werden sie durch Ge-
müthsbewegungen, Erkältung, Diätfehler hervorgerufen. Oft
sind sie sehr unbedeutend und kehren periodisch , alle Wochen,
Monate zurück; mit zunehmendem Alter werden sie häufiger und
heftiger — trotz dem aber sehen die Kranken immer wohl und
munter aus und bleiben wohlgenährt.

§. 242.

Local formen der Hysterie sind:

1) Hysterisches Kopfleiden (Encep h alopathia
hysterica, Hysteria cephalica): Hemicranie,
Clavus, Gefühl von Kälte am Hinterhaupte, Sopor und
Coma, Symptome drohender Phrenitis, Dilirien, hart-



494 Neurosen des Genitaliea-Systems.

nackige Schlaflosigkeit. — Characteristisch ist für diese
Beschwerden ilir schnelles Aufhören und rascher Wech-
sel mit andern hysterischen Zufällen, die Blässe des
Gesichts, der wasserhelle Urin, die Kleinheit des Pul-
ses etc.

2) Hysterische Psychosen. Hieher gehören: das
öftere Wiederholen gewisser Sylben, Worte, Sätze,
Gesangsweisen; Nymphomanie.

3) Hysterisches Rückenleiden (Hysteria s p i -
nalis, Myelopathia hysterica). Eine solche
Spinalirritation ist grösstentheils nur Symptom der Mit-
empfindung, keineswegs nächste Ursache. Der Schmerz
ist gewöhnlich ein ziehender durch die ganze Columna
vertebralis, mit ihm verbinden sich Schmerzen in
den Extremitäten, Ameisenlaufen, Zusammenziehung der
Muskeln, Wadenkrämpfe, Paralysen, neuralgische Affec-
tionen der Brust- und Intercostalnerven, der Gelenke.
Selten ist dieser Schmerz fix, sondern flüchtig und
wandernd.

4) Hysterisches Uterinleiden (Hysteria ute-
rina, Neurosis uterina, Spasmus hysteralgi-
cus). Die Kranken klagen über Schmerz, Spannung
in der hypogastrischen und Schamgegend , oft mit zie-
henden Schmerzen in Lenden und Kreuz, nach dem
Laufe der runden und breiten Mutterbänder; es ist
ihnen, als würde der Uterus gewaltsam aus der Tiefe
des kleinen Beckens herauf in das grosse gezogen.
Oft sind diese Schmerzen kolikartig, oft mit dem Ge-
fühle einer aufsteigenden Kugel verbunden. Zuweilen
starke Aufregung des Geschlechtstriebes. Gewöhnlich
sind Störungen in der Menstruation zugegen : bald ist
sie sparsam, bald profus, überhaupt unregelmässig, stoss-
weise erfolgend ; auch mit Leucorrhöe verbunden. Am
heftigsten sind die Anfälle zur Zeit der Menstruell, an-
fangs periodisch; ist die Menstruation ganz in Unord-
nung gerathen, so binden sich auch die Anfälle nicht
mehr an diese Periode.

5) Hysterisches Nieren- und Blasenleiden ( N e ■



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw. Hyst., Asthma etc. 495

phro- et Cystopathia hysterica, Hysteria
vesicalis). Die Kranken bekommen heftige zusam-
menziehende, oft brennende Schmerzen in der Lenden-
gegend, nach dem Laufe der Ureteren durch das ganze
Becken, in der Blasengegend, ohne Empfindlichkeit ge-
gen tiefen, äussern Eindruck, wodurch sich die Krank-
heit von Nephritis und Cystitis unterscheidet; dabei
heftiger Drang zum Urinlassen, das entweder gar nicht,
oder nur tropfenweise unter heftigen Schmerzen ge-
schieht (Ischuria et Stranguria hysterica);
der ausfliessende Harn ist klar, hell, oft wie Brunnen-
wasser.

6) Hysterisches Darmleiden (Hysteria i ntesti-
nalis, Colica hysterica). Gewöhnlich geht der
Krampf von der Gegend des Blinddarms oder von der
flexura sigmoidea aus und die Kranken haben die Em-
pfindung, als wenn sich daselbst eine immer grösser
werdende Kugel befinde. Der Schmerz deutet auf eine
der heftigsten Arten von Kolik, er ist brennend, reissend,
wie von Messern, als würde der Darm auseinandergeris-
sen. Die Kranke schreit laut auf, wenn man nur Miene
macht sie zu berühren , dagegen erträgt sie starken
Druck, wenn man während der Untersuchung ihre Auf-
merksamkeit auf andere Gegenstände lenkt. Borboryg-
men, Tympanilis, zuweilen enorme Ausdehnung des Co-
lon transversum, mit Beängstigung, Kurzathmigkeit,
Erbrechen etc. Keine Spur von Fieber.

7) Hysterisches Magenleiden (Hysteria ga-
strica, Gastropathia hysterica, Cardialgia
hysterica, Pyrosis hysterica). Die Kranken
klagen über einen bald zusammenschnürenden, bald
brennenden, bald krampfhaften Schmerz im Magen, mit
Beklemmung, Uebelkeit, Erbrechen; Angst vor Berüh-
rung und doch Ertragen des stärksten Drucks. — Hie-
her gehört auch die Empfindlichkeit der Kranken gegen
starke Arzneigaben, so dass selbst Ca n statt die Be-
merkung macht: die beabsichtigte Heilwirkung sei nur
durch wahrhaft homöopathische Heildosen zu erreichen.



496 Neurosen des Genitalien-Systems.

8) Hysterisches Brustleiden (Hys teria p ulm o-
nalis, Asthma hystericum). Zuweilen leiden
Hysterische an heftiger Athembeklemmung, Erstickungs-
angst, Brustschmerzen stechender Art, doch können sie
tief einathmen, zum Beweis, dass kein pneumonischer
Zustand vorwalte. Zuweilen ist Husten da$ zuweilen
auch nicht; er ist trocken, oft bellend, fast keuchhusten-
artig. Die Respiration geschieht in manchen Fällen nur
mit den Bauchmuskeln, in andern athmen die Kranken
keuchend, ängstlich, in aufrecht sitzender Stellung im
Bette. Percussion und Auscultation ergeben keine Ver-
änderung in der Lunge, kein Fieber.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #19 on: April 30, 2013, 09:42:07 PM »

9) Hysterisches Ke hlkopf leiden (Hysteria la-
ryngea, Laryngopathia hysterica). Die Kran-
ken haben einen lauten, trocknen, fast bellenden Hu-
sten, anfallsweise kommend, der besonders durch
Gemüthsbewegung und Erregung des Nervensystems
hervorgerufen wird, zuweilen mit Krampf der Stimm-
ritze und mit Crouprespiration. — Eine andere Form
ist Heiserkeit und Aphonie. Sie entsteht plötz-
lich und verschwindet, nach Monate, Jahre langer Dauer,
oft eben so plötzlich wieder; zuweilen, nach einer hef-
tigen geistigen Aufregung, spricht die Kranke mit ihrer
natürlichen Stimme, während sie kurz vorher nur leise
zu lispeln vermochte. Endlich, müssen hier noch der
thierischen Laute, gleich dem Bellen eines Hundes etc.,
gedacht werden, die Hysterische nicht selten anfalls-
weise und unwillkürlich ausstossen.

10) Hyterisches Herz- und Arterienleiden (Hy-
steria cardiaca et vascularis, Cardio- etAn-
giopathia hysterica). Eine sehr gewöhnliche
Klage Hysterischer ist Herzklopfen und Beängstigung
in der Herzgegend ; ersteres ist auch objectiv wahr-
nehmbar; manchmal erscheint es periodisch und wird
oft so heftig, dass man meint, er müsse die Rippen zer-
sprengen. — Der Puls schlägt oft unregelmässig , in
schneller Abwechslung frequent und langsam.

11) Hysterisches Schi un d 1 eiden (Pharyngopa-



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw. Hyat., Asthma etc. 497

thia hysterica, Globus hystericus). Eins der
bekanntesten hysterischen Symptome: Gefühl von Zu-
sammenschnürung im Halse, als ob eine Kugel darin
stecke, zuweilen durch Aufstossen gehoben. Oft Krampf
beim Versuche zu trinken (Hydrophobia hyste-
ri ca).
Noch mehre solcher Localformen werden von den Schrift-
stellern als der Hysterie besonders eigenthümlich verzeichnet,
doch sind sie, nach meiner Ansicht, eben auch nichts weiter,
als einzelne Symptome der Totalkrankheit, die nur schärfer als
die übrigen Beschwerden hervortreten.

§. 243.

Ueber die anatomischen Charactere lässt sich nichts
sagen, da die etwa aufgefundenen organischen Veränderungen
wohl mehr als Folgekrankheiten der Hysterie anzusehen sind.
— Nicht anders verhält es sich mit dem Wesen der Krank-
heit, das von vielen Schriftstellern in eine idiosyncrasische
Verstimmung und Hyperästhesie des Nervensystems gesetzt wird,
wodurch die mannichfachsten Hallucinationen hervorgerufen wer-
den, die, bei Lichte betrachtet, nichts anders sind, als recht
eigenheitliche, characteristische Symptome der Krankheit selbst,
durch die wir namentlich auf specifische Heilmittel mit hingewie-
sen werden.

Ursachen. Canstatt meint, die Hysterie ist die Hypo-
chondrie des Frauengeschlechts, eine weibliche Hypochondrie,
während letztere als männliche Hysterie zu bezeichnen sei;
Naumann nennt sie eine excessiv gewordene, krankhaft ge-
steigerte Weiblichkeit, woraus innormale Relation des Nerven-
systems sowohl zu den Organen des eignen Körpers als auch
zu den Aussendingen entspringe. Diese Ansicht ist wohl
nicht unrichtig, nur ist dadurch nichts weiter gewonnen; gewiss
aber ist übrigens , dass die Hysterie immer noch häufiger vor-
kommt als die Hypochondrie , wegen der beim weiblichen Ge-
schlechte ursprünglich grösseren Reizbarkeit des Nervensystems,
und darum wird es auch in weit frühern Lebensjahren schon von
Hysterie befallen, als das männliche von Hypochondrie, ja selbst



498 Neurosen des Genitalien-Systems.

12 und 13jährige Mädchen leiden schon daran. Vorzugsweise
werden wohl schwache, blutarme Subjecte von dieser Neurose
befallen, doch bleiben auch plethorische, blühende Mädchen und
Frauen nicht von ihr verschont. — Je zarter, sensibler das
Subject, desto leichter vermögen geringe erregende Ursachen
die Krankheit herbeizuführen. — Die neuere Erziehungsme-
thode, Romanlectüre, frühzeitiges Wecken der Leidenschaften
und Geschlechssphäre, Stubensitzen, Mangel an Bewegung in
freier Luft, langes Schlafen, Ausbildung sogenannter gesell-
schaftlicher Talente auf Kosten der körperlichen Entwicke-
lung etc. tragen gewiss sehr viel zur Ueberspannung der weib-
lichen Sensibilität und zur Entartung in hysterische Hyperästhesie
bei. — Am häufigsten geht die Krankheit von den Organen
des Sexualsystems aus; unfruchtbare Frauen, junge Wittwen
sind ihr am meisten unterworfen; unregelmässige, schmerzhafte
Menstruation wirkt zur Erregung derselben mit; Schwanger-
schaft bewirkt oft einen Stillstand, ja selbst Heilung; unbefrie-
digte Sehnsucht, Liebeskummer, Impotenz des Mannes sind
häufig der Grund zur Entstehung der Krankheit, eben so plötz-
liche Entbehrung gewohnten Geschlechtsgenusses bei Freuden-
mädchen; nicht minder rasch auf einander folgende Wochenbet-
ten bei sehr jungen Frauen, Blutflüsse, langdauernde Leucorrhöe,
lange fortgesetztes Stillen, Missbrauch von Blutentziehungen,
Abführmitteln.

Zu den erregenden Ursachen gehöre^ ferner : schlechte Ver-
dauung, Stuhlverstopfung, Diätfehler, übermässiger Genuss von
Thee, Kaffee, schwächende Krankheiten, besonders Wechselfieber
und Abdominaltyphus, heftige Gemüthsbewegungen, Zorn, Eifer-
sucht etc.

Ein nicht seltener Ausgang der Hysterie ist Umwandlung
in Epilepsie, Somnambulismus und Geisteskrankheiten, auch wohl
theilweise Lähmungen.

Die Prognose ist in so fern nicht zu güntig zu stellen,
als die Heilung einer Hysterie zu den langweiligsten mit gehört,
die dem Arzte zur Behandlung übergeben werden, wenn nicht
ein glücklicher Zufall sich mit ins Mittel schlägt. Naumann
sagt: „am widerspenstigsten pflegen diejenigen Formen der



Mutterkrampf, Mutterweli, Mutterbeschw. , Hyst. , Asthma etc. 499

Hysterie zu sein , welche aus der Concurrenz von starken Ge-
müthsaffecten , und von schon seit längerer Zeit mangelhaft oder
nur kümmerlich bestandener Menstrualfunction hervorgegangen
sind." Schlimme Zufälle sind: lang dauernde Ohnmächten,
hoher Grad von Athmungsbeengung, Verlust der Sinne und des
Bewusstseins, Schaum vor dem Munde während des Paroxys-
mus; es sind diess Vorboten des Uebergangs der Krankheit in
Epilepsie. Gefährlich sind hysterische Zufälle während der
Schwangerschaft, weil sie leicht Abortus herbeiführen; im Wo-
chenbette, weil sie leicht, durch Versetzung der Wochenfunctio-
nen, zu Mania puerperarum, Erschöpfung, Veranlassung geben.

§ 244.

Behandlung hysterischer Beschwerden. Es wer-
den nur wenige Arzneien in der homöopathischen Materia medica
sich ausfindig machen lassen, die nicht schon in einem oder dem
andern hysterischen Zufall ihre Anwendung gefunden hätten,
wie es denn auch bei einer so proteusartigen Krankheit, die unter
den mannichfachsten Formen und Gestaltungen auftritt, nicht
anders sein kann! Welches System, welches Organ, welche
Function würde nicht von dieser vielköpfigen Hydra ergriffen
und wäre nicht schon von ihr beeinträchtigt gewesen? Doch ist
es tröstlich, dass viele der schon besprochenen Krankheiten
ebenfalls als hysterische Formen zu betrachten sind und dem
dabei angegebenen Heilplane gemäss behandelt werden müssen.
Zugleich halte ich nicht für überflüssig, dem angehenden homöo-
pathischen Arzte die Worte Schönlein's recht eindringlich
ans Herz zu legen, die ich als alter Praktiker durch die Erfah-
rung oft genug bestätigt gefunden habe.

„Die Behandlung der Hysterie ist eine der schwierigsten
„Aufgaben, nicht blos wegen Schwierigkeiten in der Diagnose
„und langwierigem Verlaufe der Krankheit, sondern auch wegen
„geistiger Hindernisse. Die Geduld des Arztes wird nämlich
„nicht selten auf die härteste Probe gestellt, denn während er
„vielleicht überzeugt ist, dass die Krankheit wenig zu bedeuten
„habe, muss er beständig der Kranken Klagen und Jammern
„hören, und das schon hundert Mal Erzählte wieder anhören,



500 Neurosen des Genitalien-Systems.

„ohne ungeduldig zu werden, denn die Empfindlichkeit der
„Kranken ist so gross, dass die geringste Veranlassung von
„Seite des Arztes, wenn er ihnen merken lässt, dass er nicht
„viel aus ihren Leiden macht und sie nur halb hört, ihm so-
„gleich den Kredit raubt. Der Arzt, der hysterische Frauen be-
handeln will, muss daher das grösste Mitleid zeigen, muss
„diese Klagen geduldig anhören, darf durchaus nicht gleich-
gültig scheinen und ärgerlich werden , wenn er nicht verabschie-
det zu werden wünscht."

Aus den vorhergehenden Paragraphen ersieht der Leser, dass
bei dieser Krankheit durchaus keine festständigen Erscheinungen
gefunden werden, und darum wird er mir in der Ansicht beipflichten,
dass der Therapeut eine kaum zu erfüllende Bedingung sich stellt,
Mittel mit Gewissheit für diese oder jene Form von Hysterie
in Vorschlag zu bringen, die nicht eben so leicht, bei der Unbe-
ständigkeit der Symptome bei einem ähnlich scheinenden Falle
wieder für nutzlos erklärt Werden könnten. Wir stehen hier
einmal nicht auf einer firma terra und hätten wir ja einmal
gewähnt, festen Boden gefunden zu haben, so ist es doch nur
Täuschung gewesen, denn er sinkt unerwartet wieder unter uns
zusammen. Es kann mir also wohl bei dieser Krankheit nicht
in den Sinn kommen, bei der Angabe der Mittel als untrüglich
gelten zu wollen; da jedoch Analogien gestattet sind, und der
denkende Arzt sich, wo immer möglich, Vergleichungen er-
laubt und am passenden Orte einen zweckmässigen Gebrauch da-
von zu machen versteht: so meine ich, dass auch der ange-
hende Arzt ein solches Verfahren sich mit der Zeit aneignen
müsse und ich versuche daher, in dieser Voraussetzung, dem
Leser einige Mittel namhaft zu machen, für deren Wirkungskreis
er dann leicht, bei einem ihm vorkommenden Falle die passende
Gelegenheit finden wird.

Die Störungen in der Function des Nervensystems , die bei
Hysterischen so auffallend scharf hervortreten, geben uns oft
am sichersten das passendste Mittel in die Hand; doch dürfen
sie auch wieder nicht allein , ohne die dabei vorkommenden
körperlichen Leiden und schmerzhaften Aeusserungen in das
Krankheitsbild mit aufzunehmen , die Wahl leiten und die Arznei
bestimmen.



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw., Hyst. , Asthma etc. 501

Gegen einen in § 241 aufgezeichneten hysterischen Paroxys-
mus müssen wohl zuerst die Mittel genannt werden, bevor ich
die gegen Localformen passenden anführe. Eins der vorzüg-
lichsten in einem solchen Paroxysmus ist: Nux moschata, die
diesen Krämpfen und Schwächeanfällen ganz besonders entspricht.
Sie ist ein Frauenzimmer -Mittel, auch schon in Bezug auf die
veränderliche Gemüthsstimmung, auf das schnelle Ueberspringen
von der grössten Traurigkeit bis zur höchsten Lustigkeit; sie
dient vornämlich den hysterischen Subjecten, bei denen vor dem
Anfalle, nach der kleinsten Verrichtung, Mattigkeit zum Nieder-
legen mit Schläfrigkeit, starkem Raffen im Körper und dem Ge-
fühl, als solle sie ohnmächtig werden, sich einstellt. Auch da
wird sie immer von Nutzen sein , wo die Krankheit überhaupt
nach Wechselfieber und Abdominaltyphus, der von Spinalirri-
tation ausging, sich entwickelte; ferner da, wo sie von Störun-
gen im Sexualsysteme ausgeht, wo die Menses zu spät und zu
schwach eintreten, wo zuvor Kreuzschmerz, wie von Heraus-
drücken eines querüberliegenden Holzes, vorhanden ist, nebst
Kopfschmerz, Mattigkeit, Magendruck mit Wasserausfluss, Le-
berschmerz; wo das Blut ein dickeres, dunkleres ist, nach-
dem zur eigentlichen Regelzeit nur Leucorrhöe stattfand.

Valeriana ist gewiss in hysterischen Anfällen eine höchst
beachtenswerthe Arznei, die ich schon mehrmals Gelegenheit
hatte, in ihrer heilkräftigen Wirkungssphäre kennen zu lernen.
Da verdient Valeriana Beachtung, wo krankhafte Aufgeregtheit
der Nerven , mit Gefühl grosser Mattigkeit, Ueberempfindlichkeit
aller Sinne ersichtlich ist; nicht wie bei der vorigen Arznei
darf hier die wechselnde Gemüthsstimmung vorwalten, sondern
mehr eine furchtsame, verzweifelnde das kranke Subject beherr-
schen. Ist auch nicht das Gefühl einer aufsteigenden Kugel in
dem Symptomen - Verzeichnisse dieser Arznei zu finden, so ist
doch das nicht minder wichtige einer plötzlich aufsteigenden
Wärme aus dem Oberbauche, mit Athembeklemmung, vorhanden,
dem sich die Brechübelkeit anschliesst , die im Nabel entsteht,
und bis zum Pharynx aufsteigt, mit Gefühl, als hinge von da ein
Faden herab, mit viel Speichelzufluss und Erbrechen.

Ueber Viola odorata, die hier ebenfalls von einigen Homöo-
pathen als Heilmittel gerühmt worden, ist nicht viel zu sagen.



502 Neurosen des Genitalien-Systems.

Ich möchte behaupten , dass ihre Empfehlung auf die eigentüm-
lichen Idiosyncrasien Hysterischer sich gründe, nach denen oft
angenehme Gerüche widerlich für ihre Nasen sind, die dem
lieblichen Dufte des wohlriechenden Veilchens weniger Geschmack
abgewinnen konnten, als dem brenzlichen Gerüche angebrannter
Federn etc. Vielleicht wäre das viele Weinen, ohne zu wissen
warum, eine Indication für die Anwendung der Viola odorata, und
überhaupt die mehr überreizte Gemüthsstimmung, die fort-
dauernde Angegriffenheit der Brust, die Engbrüstigkeit mit
Schmerz, das schwere und schmerzhafte Ein- und Ausathmen
mit Bänglichkeit und untermischten starken Herzschlägen.

Seeale cornutum möchte in hysterischen Paroxysmen wohl
nichtbeachtungslos bei der Wahl der passenden Arzneien an uns
vorübergehen dürfen. Wie schon erinnert, muss man von die-
sem Mittel den allgemeinen Character scharf aufgefasst haben,
wenn man es richtig wählen will, deshalb begnüge ich mich
auch , hier nur auf selbiges aufmerksam gemacht zu haben,
mit der beigefügten Bemerkung, dass die eigentümlich gearte-
ten Krampfzufälle, die klonischen und tonischen Convulsionen,
die gemüthlichen und sensoriellen Erscheinungen, den richtigsten
Wegweiser für die Wahl des Seeale com. abgeben.

Aurum. Obschon die Ueberempfindlichkeit aller Sinne, die
grosse Empfänglichkeit für Schmerz, selbst beim blossen Gedan-
ken daran, mit Unleidlichkeit gegen Alles, so wie die characte-
ristische Gemüthsstimmung, als religiöse'Schwermuth, der Gram
über selbst verschuldetes Schicksal, die grosse Bangigkeit und
Angst, vorzüglich ums Herz, die schüchterne Menschenscheu,
deutlich auf Gold als Heilmittel in hysterischen Beschwerden hin-
deuten : so mag ich darum doch nicht behaupten, dass es in
hysterischen Paroxysmen als solches sich jederzeit herausstelle.
Dessungeachtet werde ich aber stets bei einem derartigen An-
falle an Aurum zuerst mit denken und hier gerade diese
characteristischen Eigenthümlichkeiten bei der Wahl allein gel-
ten lassen, da sie bei keiner andern Arznei so scharf her-
vortreten.

Wollte man diesem Mittel ein anderes zur Seite stellen, so
wäre es vielleicht Pulsatilla, allein ihr Hauptcharacter ist doch



Mutteikrampf, Mutterweh, Mutterbeschw., Hyst., Asthma efc. 503

ein ganz anderer, als der des Goldes; Pulsat. bleibt der sensi-
beln, leicht erregbaren Sphäre treu, extravagirt nie, was schon
daraus ersichtlich, dass sie der weiblichen Hypochondrie fast
stets, hingegen der männlichen Hysterie in den seltensten Fal-
len, und dann nur in den dem weiblichen Organismus entspre-
chenden Subjecten, mit Nutzen gegeben wird; während Gold
jeder Constitution, jedem Temperamente etc. in Hysterie und
Hypochondrie gleich treffend angepasst weiden kann. Von
Pulsatilla aber ist mit Gevvissheit anzunehmen , dass sie den
eigentlichen hysterischen Paroxysmen entspricht, vorausgesetzt
(was ich immer ohne ferneres Erinnern so annehme), dass die
dabei auftretenden Symptome eine solche Gruppe bilden, wie
sich in dem Symptomencomplexe von Pulsat. wieder finden lässt.
— Schönlein empfiehlt sie in der Localform, Hysteria uterina,
als eins der gewaltigsten Mittel bei Hysterien überhaupt und
Uterinhysterien insbesondere, namentlich bei jenen Formen, die
mit spärlicher, von heftigen nervösen Symptomen begleiteter
Menstruation verbunden sind, in den möglichst kleinsten Gaben,
da die Erfahrung für deren Wirksamkeit entschieden hat. Es
wäre wohl billig von Schönlein gewesen, offen zu bekennen,
dass diese Erfahrung nicht auf seinem Grund und Boden ge-
wachsen und seinem eignen Scharfsinne nicht entsprungen wäre.
Dasselbe gilt von seiner Empfehlung des Nux vomica Extracts
zu y 32 — y ]6 Gran p. d. — eine Gabe, die eben nicht von zu
vielen Allöopathen gebilligt werden wird.

Moschus ist eine in hysterischen Paroxysmen nicht zu ent-
behrende Arznei, die wir aber nicht der Allopathie, sondern
den mit ihm vorgenommenen Prüfungs-Versuchen und den durch
selbige gewonnenen physiologischen Moschus-Wirkungen verdan-
ken ; nie wird von homöopathischen Aerzten so gedankenlos
eine Arznei angewendet, blos auf die Empfehlung oder Autorität
irgend eines Schriftstellers hin , ohne sich genaue Rechen-
schaft über das Warum geben zu können; ja selbst da, wo
der Homöopath mir nicht blos generelle, sondern auch spe-
cielle Data liefert, nehme ich nicht blos auf Treue und Glauben
seine Empfehlung an, sondern überzeuge mich noch durch
Autopsie von der Wahrheit seiner Behauptung, die mir bei die-
sem Verfahren noch manchen Irrthum gezeigt, dem ich ohnedem
II. 33



504 Neurosen des Genitalien-Systems.

mich ebenfalls würde ausgesetzt haben. Misstrauen in der Me-
dizin verdient durchaus keinen Tadel, eben so wenig die Täu-
schungen, die hier so verzeihlich sind, aber eben deshalb ist
auch eine stete Wachsamkeit einem gewissenhaften Arzte nicht
genug zu empfehlen, damit er nicht so leicht in Irrungen ver-
falle, die nicht er allein, sondern zugleich sein ihm anvertrauter
Kranker mit zu büssen hat.

Es ist längst bekannt, dass Moschus in nervösen und hyste-
rischen Zufällen mit glänzendem Erfolge angewendet wird, aber
es sind nicht alle Zufälle von der Art, dass ihnen dieses Mittel
entspricht. Folgende Zeichen geben einen sichern Haltpunkt
für seine Wahl und deuten zugleich an, dass er, im Wechsel
mit andern ebenfalls indicirten Arzneien, auch der Totalität einer
Hysterie angepasst werden und selbige heilen könne : Hyste-
rische klagen so sehr häufig über Schmerzgefühl im ganzen
Körper, ohne genaue Angabe, wo es ihnen fehle; bei Befragen
darnach fühlen sie die Schmerzen lebhafter; mit thränenden
Augen klagen sie über eine allgemeine Abgeschlagenheit, mit
Unbehaglichkeitsgefühl bis zur Ohnmacht; Krampfanfälle man-
cherlei Art, die den hysterischen beizuzählen sind, werden
durch ihn gehoben, z. B. Blutdrang nach dem Kopfe, plötzlich
eintretend, mit starren Augen und Krampf im Munde, darauf
schnelles, verwirrtes Sprechen, dann Leichenblässe mit ungeheu-
rem Schweisse am ganzen Kopfe; oder: starres Auge mit Ge-
sichtsblässe , Kopfschwere, Druck im Nacken, Kälte des Körpers,
Uebelkeit, darauf Gesichtsverdunkelung, Pupillen -Verengerung,
Verlust des Gleichgewichts , mit Steifheit und Austrecken der
rechten Hand und Finger treten unvermuthet ein ; plötzliches
Vergehen der Sinne bei einem gelinden Drucke auf dem Kopf-
wirbel, mit grosser Aengstlichkeit und Herzklopfen und betäu-
bendem Kopfschmerz, oder wie von einem eingeschlagenen Na-
gel; Beklemmung über den Magen und Herzgrube, mit Aengst-
lichkeit; stark erregter Geschlechtstrieb, mit unausstehlichem
Kitzel; in der Kehle athemversetzende Zusammenschnürung etc.
— Alles Symptome, die auf eine grosse Heilkraft dieses Mit-
tels in hysterischen Beschwerden überhaupt hindeuten.

Sehr häufig beobachten wir hysterische Anfälle und Krämpfe
bei unverheiratheten Frauenzimmern , denen kein Mittel so tref-



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw., Hyst., Asthma etc. 505

fend ähnliche Symptome entgegensetzen kann, als Conium. Die
meisten Leiden Hysterischer werden hier vom Sexualsysteme
ausgehend angegeben ; Patientin klagt über arges Jucken an und
in den Schamtheilen, mit Schmerz, wie Herabpressen des Ute-
rus, mit Stichen in der Vagina; die Menses sind unterdrückt
und, wenn sie erscheinen, zu schwach; eine wundmachende,
beissende Leucorrhöe ist fast immer da, bei oft wiederkehren-
dem, wehenartigem Zusammenziehschmerz im Bauche. Recht
characteristisch ist hier ein Drücken im Schlünde, von der Herz-
grube herauf, als wolle ein runder Körper aufsteigen; Unmuth
und Trübsinn ist vorherrschende Gemüthsstimmung, daher Unzu-
friedenheit mit sich und Allem, was sie umgiebt; nervöse An-
fälle: beim Alleinsein, Neigung zum Weinen bis zum lauten
Schluchzen, dann Flimmern vor den Augen und undeutliches
Sehen, so dass sie sich anhalten muss, dann Abspannung in den
Gliedern und dumpfes Kopfweh; oder: Müdigkeit und Frösteln,
zum Liegen nöthigend, mit Kopfschmerz und argem Herzklopfen
und Schmerz bei jedem Pulsschlage, als würde ein Messer durch
das Hinterhaupt gestossen, mit bald starkem, bald schnellem,
bald schaukelndem Herzschlage. — Mir hat sich Conium immer
als eins der vorzüglichsten Mittel in den verschiedensten For-
men von Hysterie erwiesen.

Auch Cocculus habe ich vielfältig als ein solches bewährt
gefunden, namentlich wenn, neben andern für dieses Mittel pas-
senden Beschwerden, die Kranken sich über öfter wiederkehren-
des Schlucksen, über würgendes Zusammenschnüren oben im
Schlünde, mit Athembeengung und Hustenreiz beklagten, wenn
die Regel lange ausbleibt und dann mit Unterleibskrämpfen,
Angst, Athembeklemmung, Brustkrämpfen, Uebelkeitsanfällen bis
zur Ohnmacht und Gliederzucken wieder eintritt.

Schwierig ists und bleibts, bei homöopathischer Behandlung
gegen ein einzelnes Symptom, oder gegen einen periodisch auf-
tretenden Anfall, der fast stets nur der Abglanz eines den gan-
zen Körper beherrschenden Allgemeinleidens ist, Mittel wählen
und angeben zu wollen, ohne dabei die Krankheits- Totalität im
Auge zu behalten. So geht es mir hier mit diesen hysterischen
Paroxysmen, mit denen ich in meinem Uebermuthe mir zutrauete

33*



506 Neurosen des Genitalien-Systems.

bald fertig zu werden! Zu meinem Leidwesen werde ich je-
doch gewahr, dass ich bis hieher meinen Zweck nicht habe er-
reichen können, sondern dass die bis hieher angegebenen Arz-
neien den Paroxysmen allein nicht entsprechen würden, wenn
sie sich nicht zugleich auch zur Heilung der Gesammtkrankheit
eigneten. — Ich will also den Versuch aufgeben und lieber noch
einige Mittel namentlich bezeichnen , die gegen Hysterie über-
haupt mit Nutzen anzuwenden sind; unter diesen ist eins der
vorzüglichsten mit:

Natrum muriaticum. Schon manchmal bin ich versucht wor-
den zu glauben, manche hysterische Kranke besitzen die Fähig-
keit, über ihre Leiden eine geistige Anschauung sich zu ver-
schaffen undvermöge des dadurch erlangten Divinations-Vermögens
die Mittel sich vorzuschreiben, die ihnen heilsam sein können;
sie sind sich dessen allerdings nicht klar bewusst, sondern nur
ein inneres Gefühl treibt sie dazu, die sonst ihnen zusagenden
Genüsse schärfer zu salzen, den chemisch bereiteten Weinessig
(Vitriolsäure enthaltend) in Menge zu geniessen, Kreide und
weiss getünchte Kalkwand (Kalkerde) habhaft zu werden suchen,
um Beides mit Gier zu verschlingen. Gewiss eben so verhält
es sich mit den sogenannten ldiosyncrasien, durch die sie so ver-
langend nach Teufelsdreck , wie nach Moschus etc. getrieben
werden! Mag diese Ansicht als Hypothese hingestellt sein,
merkwürdig bleibt es doch , dass gerade diese Gelüste oft dien genannter Krankheit dadurch
constatirt.

Entstand sie jedoch nach Ausschweifungen, nach übermässiger
Befriedigung des Geschlechtstriebes durch Beischlaf oder Onanie,
oder durch unbefriedigte Geschlechtslust, so sind ganz vorzüg-
lich indizirt: China, Conium, Anacardium, Staphysagria ; doch
dürften auch noch Auruni, Thuja, Mercur, Ignatia, Nux, Hyos-
cyamus u. s. w. nicht unberücksichtigt zu lassen sein.

§. 247.

3) Hysterisches Rückenleiden (Hysteria spina-
lis, Myolopathia hysterica). Gewöhnlich ist es, wie ich
§. 242 angab , ein ziehender Schmerz längs der Rückenwirbelsäule
herauf oder herab, doch kann er eben so leicht auch in eine andere
Art übergehen oder gleich Anfangs als ein Schmerz anderer Art



514 Neurosen des Genitalien- Systems.

auftreten. Sei dem nun, wie ihm wolle, immer wird es schwer
sein, Mittel im Voraus dagegen als hülfreiche bezeichnen zu
wollen, da ein derartiger Schmerz nie isplirt dasteht, sondern im-
mer in Verbindung mit andern Beschwerden hysterischer Natur
auftritt, die dann erst jenen bezeichnender erscheinen lassen.
Vorzugsweise mache ich aufmerksam auf Bellad., Dulcam., Di-
gital, Capsic, Thuja, Mercur., Sulphur, Carbo ligni. — Ist er
mit krampfhaften Zusammenziehungen der Muskeln , Wadenkräm-
pfen verbunden, so können Ipecac. , Cuprum., Secal. mit in die
Wahl fallen. — Bei damit verbundenen Paralysen , neuralgischen
Affectionen der Brust- und Intercostalnerven , der Gelenke sind
Dulcamara, Rhus, Plumb., Stannum, Squilla u. s. w. zu em-
pfehlen, denen auch Pulsat., Ignat., Arsenic, Moschus, Causl.,
Cicuta anzureihen sind.

§. 248.

4) Hysterisches Uteri nleiden (Hysteria uteri na,
Neurosis uterina, Spasmus hysteralgicus). Ich habe
hier nur sehr wenig nachzutragen, da die meisten der unter §. 244
genannten Arzneien mehr oder weniger gegen eine solche Local-
form der Hysterie indizirt sind. Gewiss eins der vorzüglichsten
Mittel ist Cocculus bei derartigen Leiden, wenn sich, bei unter-
drückter oder zu kurzer Regel , drückende Unterleibskrämpfe,
blähungsartige Auftreibung des Bauches- lähmige Schwäche in
der Uteringegend, Angst, Athembeklemmung, Brustkrämpfe u.
s. w. einstellen.

Causticum, ebenfalls bei verspäteter Regel, ist in einer
solchen Localform indizirt, wenn ein heftiges Leibschneiden, als
wäre Alles zerrissen , mit Zerschlagenheit und Reissen im Rü-
cken und Kreuze, besonders bei Bewegung und unter Abgang
geronnener Blutstücken , oder auch unter Schmerzen bald im
Magen, Brust oder Kreuz, zum Krummbiegen nöthigend, mit Ge-
fühl drückender Vollheit im Bauche wie zum Zerspringen, mit
steter vergeblicher Neigung zum Aufstossen, arger Erhöhung
der Schmerzen beim geringsten Genüsse, Geraderichten und Fest-
machen der Kleider um die Hypochondern und Erleichterung nur
durch warme Tücher und Steine, sich verbindet.



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw., Hyst., Asthma etc. 515

Phosphor ist unter den antihysterischen Arzneien keine der
ausgeichnetsten, wohl aber für diese Localform eine beachtens-
werte, sobald in der Menstruation eine Unregelmässigkeit ob-
waltet und namentlich der zu späte Eintritt oder die unter-
drückten Menses die hysterischen Beschwerden begleiten ; finden
sich nun noch arge schneidende Kolikschmerzen, mehr rechts und
nach dem Kreuze hin, starke Rückenschmerzen, wie zerschlagen,
mit Erbrechen, Herzklopfen und Aengsllichkeit u. s. w. dazu ein,
so giebt Phosph. das geeignetste Heilmittel für ein derartiges hy-
sterisches Uterinleiden ab, das nur dann durch Acidum phosphor.
verdrängt wird, wenn zugleich eine meteoristische Auftreibung
der Gebärmutter damit verbunden ist.

Wenn ich auch nichts mehr über Pulsatilla sage, da ich ihrer
oft genug in den so mannichfachen Leiden des weiblichen Ge-
schlechts gedacht habe: so muss ich hier doch wenigstens an sie
erinnern, indem sie gerade in dieser Localform die grösste Be-
achtung verdient ; wo sie bereits durch vielfältige Erfahrung sich
den Ruf als wirkliches Heilmittel erworben hat. — Dasselbe gilt
von Sepia, die in §. 244 schon näher beleuchtet wurde.

Wenn auch Stannum in andern hysterischen Beschwerden
nichts nützte, wie es jedoch nicht der Fall ist, so ist es doch in
unserer Localform eine ganz ausgezeichnete, ja unentbehrliche
Arznei, die ihrer Eigentümlichkeit wegen einer etwas nähern
Angabe bedarf. Nach meinen mit Stannum gemachten Erfah-
rungen ist es anwendbar in Mutterkrämpfen, die sich durch öfter
wiederholtes Pressen tief im Unterbauche äussern, das durch
Aussendruck verschlimmert, und von einem immerwährenden
gelblichen Weissflusse begleitet wird, der grossen Kräfteverlust
zur Folge hat. In den seltensten Fällen sind jedoch diese
Krämpfe so isolirt, dass nicht eine Mitleidenheit benachbarter
Organe damit in Verbindung stände, die sogar bis zum Magen
und Zwerchfell hinauf sich erstreckt, von der Kranken aber stets
vom Uterus ausgehend, angegeben wird. Das vorherrschendste
Gefühl ist ein krampfhaft spannender Schmerz unter und über
dem Nabel, mehr nach dem Kreuze zu, den die Kranken durch
Ausdehnen des Oberkörpers, mittels Ausspannen der Arme und
Auflegen des Bauches über einen breiten unnachgiebigen Gegen-
stand (einen Tisch) sich erleichtern und verscheuchen. Seltner



516 Neurosen des Genitalien-Systems.

konnte ich mit diesem Mittel viel ausrichten, wenn Patientin zu-
gleich über ein wühlendes Stechen im Bauche sich beklagte, das
bald auf der rechten, bald auf der linken Seite sein sollte; doch
gebe ich gern zu, dass eine falsche Angabe der Patientin mich
getäuscht haben kann.

Obschon die Wirkung des Stramonium eine schnell vorüber-
gehende ist, so eignet es sich darum doch nicht weniger zum
Heilmittel hysterischer Leiden , da sich dieser Fehler leicht durch
öftere Wiederholung der Gabe ausgleichen lässt. Jedenfalls ist
es ein herrliches Mittel in Uterinkrämpfen bei übermässiger Men-
struation, wenn sie mit hysterischen Psychosen und Globus
hystericus gepaart sind.

Noch mache ich in dieser hysterischen Form auf Magnes.
mur., Conium und Ignatia aufmerksam, von denen ich schon das
Nähere auch besprochen habe.

§. 249.

5) Hysterisches Nieren- und Blasenleiden (Ne-
phro- et Cystopathia hysterica, Hysteria vesicalis).
Vorerst muss ich den Leser zurückverweisen auf das therapeutische
Handeln in Nephritis und Cystitis, das er unter den Entzün-
dungen im ersten Bande dieser Therapie angegeben findet. Die hy-
sterischen Nieren- und Blasenleiden unterscheiden sich oft nur wenig
von den bei jenen Entzündungen vorkommenden Schmerzen und Be-
schwerden, wenigstens werden in vielen Eällen die subjectiven An-
gaben uns oft in Zweifel lassen, ob wir es mit einem entzündlichen,
krampfhaften oder einem andern Schmerze zu thun haben, wie das
in hysterischen Leiden leider nur zu oft geschieht; aus diesem
Grunde ist es eben so schwierig, wie bei den vorhergehenden und
noch nachfolgenden Localformen der Hysterie, mit Sicherheit die
Mittel anzugeben. Indessen hat es auch hier der homöopathische
Arzt besser als der allopathische, da er das Krankheitsbild streng
nach der Aussage seiner Patienten aufzeichnet, ohne sich in wei-
tere Spekulationen und Sophistereien über die Natur und das
Wesen der angegebenen Beschwerden einzulassen, und nach ei-
nem vorgenommenen strengen Vergleiche desselben mit dem
Symptomen-Complexe der Arzneien , die letzteren zum Heilmittel
sich auswählt.



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw., Hyst. Asthma etc. 517

Sind Nierenschmerzen in Hysterien die vorherrschen-
den Beschwerden, so denke der Leser zuvörderst an: Canthari-
des, Mercur, Hepar, Beilad., China, Mezereum, Colocynth u.
s. w. — Zincum ist ganz vorzüglich in den brennenden; doch
ist es auch nicht ganz bei Seite zu setzen in drückend-stechen-
den und scharf absetzend reissenden Wundheits-Schmerzen. —
Stechende Schmerzen in der Nieren- und Lendengegend finden,
ausser Zinc., auch ihr Heilmittel in Lycopod. , Canthar., Dulcam.,
Acid. sulphur.

Ist schmerzhafte Harnverhaltung (Ischuria et Stran-
guria) damit verbunden, so sind Canthar., Arnica, Digitalis,
Pulsat. , Nux, Camphora, Colchic., Sassaparilla u. s. w. beach-
tenswerte Mittel (s. auch §. 177 und 223).

§. 250.

6) Hysterisches Darmleiden (Hysteria intesti-
nalis, Colica hysterica). Ich weiss hier kein anderes
therapeutisches Verfahren anzugeben, als ich es unter den Neu-
ralgien des Bauchnervensystems (s. §. 196 u. f.) bereits beschrie-
ben habe. Dasselbe gilt von den

7) Hysterischen Ma genleiden (Hysteria gastrica,
Gastropathia hysterica, Cardialgia hysterica, Py-
rosis hysterica); siehe §. 216; und von den

8) Hysterischen Brustleiden (Hysteria pulmona-
lis, Asthma hystericum). Man sehe hier §. 230. Hieher
sind auch die öfter nächtlichen Asthma-Anfälle zu rechnen, die
hysterischen Ohnmächten vorangehen, wiewohl letztere anch
durch einen heftig bohrenden Kopfschmerz auf einer kleinen
Stelle, wie von einem eingedrückten Nagel, oder auch von einem
periodischen Magen- und Darmschmerz herbeigeführt werden kön-
nen. Gegen derartige Zufälle giebt man oft mit grossem Nutzen
Ignatia. Andere nächtliche Angstanfälle hinwiederum, insbeson-
dere bei einem zarten, gracilen Subjecte mit stets weinerlicher
Gemüthsstimmung und bei Mangel an gehöriger Lebenswärme,
weichen oft der Anwendung der Pulsatilla, zuweilen auch dem
Veratrum, worüber die Nebenbeschwerden zu entscheiden haben.

9) Hysterisches Kehlkopfleiden (Hysteria la-



518 Neurosen des Genitalien-Systems.

ryngea, Laryngopathia hysterica). An vielen Stellen
meiner Therapie findet der Leser Auskunft, was in therapeuti-
scher Beziehung hier zu thun ist; insbesondere verweise ich
ihn auf febris catarrhalis, Catarrhus, Laryngitis,
Trach eiti s et Bronchitis, so wie auf Phthisis laryngea
u. s. w. , wo von Husten, Heiserkeit und Aphonie ausführlich
gesprochen wurde. — Gegen diese lispelnde, leise, oft plötz-
lich mangelnde Stimme sind namentlich hervorzuheben: Phosphor,
Platin., Ignat., Angustura, Spong., Pulsat., Antim. crud.

§. 251.

10) Hysterisches Herz- und Arterienleiden ( H y -
steria cardiaca et vascularis, Cardio- et Angiopa-
thia hysterica). Ein überaus häufig vorkommendes Symptom
bei Hysterischen ist Herzklopfen und Beängstigung in der Herz-
gegend, oft mit höchster Angegriffenheit und Schwäche verbun-
den. In vielen Fällen ist das Hauptmittel hier Aconit und es
wirkt da um so vorteilhafter, wo eine so gesteigerte Nerven-
erregung vorhanden ist, dass alle vorhergegebenen Mittel, trotz
der glücklichsten Wahl und der angemessensten Dosis, zu stark
wirken , wogegen Aconit allein Abhülfe zu schaffen vermag.

Findet sich bei einem derartigen Herzklopfen ein drücken-
des Magenweh, eine ungemeine Ueberempfindlichkeit mit Mattig-
keit abwechselnd, ein, bei einer bellten Zunge, Anorexie u.
s. w. ; so wird China immer ein hiilfreiches Mittel sein , wie-
wohl auch Pulsalilla hier mit in die Wahl fallen kann.

Wie oft verbinden sich mit einem solchen Herzklopfen Ohn-
mächten , Verschwinden der Sinne und allgemeine Unempfindlich-
keit — Alles keine gar zu seltnen Erscheinungen bei Hysteri-
schen , die oft wunderbar schnell, wenn auch nur palliativ,
durch Riechen an Nux moschata, ein andermal an Moschus oder
Aconit, gehoben werden. Freilich stehen auch diese Erschei-
nungen so isolirt und machen so wenig Anspruch auf ein voll-
ständiges Krankheitsbild, dass sie immer nur als Eigenthümlich-
keiten einer Hysterie gelten, die aber dann auch um so siche-
rerer auf das zweckmässig entsprechende Mittel hindeuten, das
nicht blos der Wiederkehr vorbeugt, sondern zugleich auch eine



Mutterkrampf, Mutterweh, Mutterbeschw. Hyst., Asthma etc. 519

Menge andere hysterische Beschwerden mit beseitigt; dieses pas-
sende Mittel nun finden wir oft in Nux vomica, die während
der Cur selbst zu verschiedentlichen Malen wiederholt werden
kann. Unvergleichlich und durch kein anderes Mittel zu er-
setzen ist sie in der Hysterie, die bei einer sogenannten Vi-
rago vorkommt.

11) Hysterisches Schlundleiden (Pharyngopa-
thia; Globus hystericus). Die hieher gehörigen Mittel
findet der Leser in §. 244 ausführlich genug angegeben, dass
ich wohl nicht nöthig habe, sie hier nochmals zu wiederholen
und unnütz Raum zu verschwenden.

§. 252.
Eclampsie, akute Epilepsie.

Die Eclampsie ist weit weniger eine Neurose, wie die Epi-
lepsie, sondern mehr eine Anomalie des Blutlebens, wie sich
auch aus ihrem Vorkommen in zwei durch eigenthümliche Ver-
hältnisse der Vegetation auszeichnende Lebensperioden: dem Säug-
lings- und Kindesalter und der Schwangerschafts- und Geburts-
periode, entnehmen lässt. Auch in andern topischen Zuständen
des Blutsystems (in manchen Vergiftungen , in der Invasionspe-
riode der Blattern, des Scharlachs u. s. w.) kann Eclampsie ent-
stehen.

A. Eclampsie, Gefraisch, Gichter, Jammer der Kinder*
Eclampsia infantum.

Man theilt die Krankheit in das Stadium der Vorboten,
die Paroxysmen und die Intervalle.

Vorboten können fehlen, aber auch kürzere oder län-
gere Zeit dem Ausbruche der Krankheit vorausgehen. Es sind:
üble Laune, Weinerlichkeit, plötzliches Zusammenschrecken, Auf-
fahren im Schlafe, Schlaflosigkeit, Anfälle von Schreien bei oft
geringem Anlasse, häufiger und rascher Wechsel der Gesichts-
farbe, plötzliches Loslassen der Brust; oder wir finden die Zei-
chen eines andern Krankheitszustandes , wodurch Eclampsie her-
vorgerufen wird, als: Hitze und Röthe des Zahnfleisches bei
Dentition, Fieber bei Exanthemen, Erbrechen und wie gehackte
II. 34



520 Eclampsie, akute Epilepsie.

Eier aussehende Stuhlentleerungen bei Magensäure. — Unter
dem Namen innerer Krampf e oder Fraisen der Kinder ver-
steht man den Zustand, wo die Kinder die Augen verdrehen und
im Schlafe nach oben rollen, so dass man unter den halboffe-
nen Augen nur das Weisse sieht; die Gesichtsmuskeln zittern
und die Kinder scheinen im Schlafe zu lächeln; das Athmen ist
ängstlich und unregelmässig; nach einer heftigen Pause im Ath-
men inspiriren sie auf einmal wieder lang und tief; sie zucken
mit den Gliedern im Schlafe, ziehen Daumen und Zehen ein, krüm-
men die Füsse gegen den eingezogenen Leib. Oft bemerkt man
eine eigentümlich livide Farbe um Mund und Augen, die Nase
und Gesichtszüge werden spitzig.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #20 on: April 30, 2013, 09:42:53 PM »

Paroxysmus Die Anfälle einer Eclampsie ähneln den epi-
leptischen sehr: Entstellung und Verzerrung der Gesichtszüge,
Starren, Rollen und Verdrehen der Augen, Rückwärtswerfen des
Kopfs, convulsivische Erschütterungen der Brust und des Bauches;
keuchendes Athmen ; heiseres Schreien oder Wimmern und Steif-»
werden und abwechselndes heftiges Stossen der Glieder. Dabei
schwillt das Gesicht auf , wird dunkelblau, purpurroth, nach und
nach eben so der ganze Körper und die Hals- und Stirnadern
treten hervor; bei erhöheter Hauttemperatur bleiben aber Hände
und Füsse oft kalt. Ein solcher Zustand verdient die Bezeich-
nung: Eclampsia cum Hyperaemia im Gegensatz zu einer
Eclampsia cum Anaemia, wo das Gesicht blass, eingefal-
len, die Haut kalt ist; Conjunctiva und^Cornea blutleer, glanzlos.
Bei jener sind die Krämpfe mehr tonisch, tetanisch; hier mehr
clonischer Art. Die Convulsionen können verschiedene Aus-
gangspunkte haben, vom Gesichte, vom Bauche, von der Brust aus.

Intervalle zwischen den Paroxysmen. Der Anfall
dauert meist nur wenige Secunden oder Minuten, zuweilen jedoch
auch länger; ihm folgt ein Zustand von Erschlaffung oder coma-
töser Betäubung. Das Intervall dauert oft nur kurze Zeit und
in ihm bemerken wir Symptome fortdauernder Gehirncongestion,
als: heisses Gesicht, injicirte Augen, Agitation oder ununterbro-
chener Sopor, Fieber etc. Je öfter die Anfälle wiederkehren,
desto heftiger werden sie. Oft tödtet jedoch die Krankheit
schon mit dem ersten Anfalle.



Eclampsie, Gefraisch, Gichter, Jammer d. Kinder. Eclampsia etc. 521

§. 253.

Aetiologie. Säuglingsperiode und bis zum 3. und 4. Le-
bensjahre disponiren am leichtesten zu Convulsionen. In man-
chen Familien ist die Krankheit erblich und der Habitus solcher
Kinder soll kenntlich sein: an dem grossen Schädel, spätem
Schliessen der Fontanelle, an der weissen, zarten Haut, an der
schwachen Muskulatur, an den sogenannten gläsernen Augen, an
der Raschheit in den Bewegungen, häufigem Zusammenschrecken
und Zucken, besonders im Schlafe, an häufigen innern Krämpfen,
an der raschen Entwickelung der Geistesthätigkeiten. Fernere
Ursachen sind : Gemüthsbewegungen, Schreck, Krampfzufälle der
Mütter und Ammen; mechanischer Druck des Kopfes während der
Entbindung; Spirituosa, Narcotica, geistige Anstrengung.

Zu den Ursachen sind ferner zu zählen : gastrische Reize,
daher leicht in der Periode des Entwöhnens, die fast immer mit
der Dentition zusammenfällt; dann aber auch durch andere ali-
mentäre Schädlichkeiten, Ueberfütterung, schlechte, sauer ge-
wordene Mehlbreie, Misbrauch sogenannter Lutschbeutel. (Zulpe).

Im Invasionsstadium fieberhafter Krankheiten treten oft Con-
vulsionen ein, doch haben sie hier fast keine grössere Bedeu-
tung, als der Fieberfrost im erwachsenen Organismus. Treten
sie nach beendeter Dentition ein, so hat Sydenham in ihnen
den bevorstehenden Ausbruch der Blattern erkannt, zugleich aber
auch sie als ein günstiges Omen für den Verlauf des Exanthems
gehalten. —

Prognose. Sie ist sehr ungünstig , besonders bei ganz
kleinen Kindern und bei erblicher Anlage; eben so sind die Con-
vulsionen fast stets tödtliche, die durch vergiftete Mutter- und
Ammenmilch hervorgerufen werden. Günstiger sind die nach
gastrischen Reizen, Würmern, entstandenen; am günstigsten die
in der Invasionsperiode febriler und exanthematischer Krank-
heitsprocesse eintretenden. Gross ist auch die Gefahr, wo die
Krankheit ohne alle Vorboten eintritt, wo die Anfälle rasch auf
einander folgen, sehr heftig sind und selbst in den Intervallen
nicht ganz schweigen, wo das Kind nicht aus dem Sopor kommt,
der Kopf heiss, das Gesicht livid bleibt, wo das Kind die Augen

34*



522 Eclampsie, akute Epilepsie.

beständig verdreht, mit dem Kopfe in die Kissen bohrt. Ro-
buste Kinder sind besonders gefährdet.

§. 254-

Therapeutika Einiges schon hieher Gehörige findet der
Leser im I. Bde. dieser Therapie unter §. 28. S. 107. Hier habe
ich nun die Fortsetzung dem dort Besprochenen anzureihen.

Wie schon unter der Aetiologie von mir angegeben wurde,
wird die Mutter- oder Ammenmilch nicht selten durch schädliche
Einflüsse physischer oder psychischer Art, zum momentanen
Gifte für das Kind; so bewirken z.B. Leidenschaften eine solche
Veränderung in der Mutterbrust, dass die Kinder, wenn sie an-
gelegt werden, gleich in die heftigsten Convulsionen verfallen.
Doch lehrt auch wiederum die Erfahrung, dass 3 bis 4 Stunden
langes Unterlassen des Säugens und Wegnahme der Milch durch
eine Milchpumpe oder ein Milchglas die üble Einwirkung auf-
hebt und dass nachher die Kinder ohne Gefahr angelegt werden
können. — Fällt das Leiden in die Zahnperiode, so halte ich
mich hier für berechtigt, darauf aufmerksam zu machen, dass
das Verfahren mancher Aerzte, das Zahnfleisch einzuschneiden,
um den Durchbruch des Zahnes zu begünstigen, ein ganz falsches
ist, indem dadurch die verschiedenen Evolutionsvorgänge, von
denen das Zahnen doch nur einen Theil des Summariums bildet,
nicht gehoben werden; ja, abgesehen von der niemals leichten
Procedur des Zahnfleischdurchschneidens,*bildet sich dadurch oft
eine Narbe, die den Zahndurchbruch nur noch mehr erschwert.
— Eine andere, ebenfalls höchst beachtenswerthe Bemerkung
ist ferner die: dass man jedes von Convulsionen befallene Kind
vollkommen entkleiden lassen müsse, um sich zu vergewissern,
ob die Zuckungen nicht durch das Stechen einer Nadel, ein fest
angelegtes Band oder eine durch die Windeln bewirkte Einklem-
mung verursacht werden.

Der leichtern Fälle von Convulsionen habe ich unter den
Zahnfiebern der Kinder schon gedacht. Für die schwierigem
und, wenn jene dort angegebenen Arzneien nutzlos angewendet
worden, oder gleich von vorn herein nicht indizirt wären, hier
noch einige näheren Data über die hieher gehörigen Mittel.



Eclampsie, Gefraisch, Gichter, Jammer d. Kinder. Eclampsia etc. 523

Cina giebt man gern in solchen Fällen, wo ein krampfhaf-
ter, trockner Husten längere Zeit schon gegenwärtig war, der
sich immer mehr verschlimmerte und endlich zu Brustkrämpfen
mit Zuckungen und Verdrehungen der Glieder und fallsuchtarti-
gen Convulsionen mit Bewusstsein und Geschrei, Veranlassung
gab, die öfter repetirten. Zugleich fand ein öfteres, unwillkür-
liches Urinlassen, auch ausser den Anfällen, Statt, und Wurmbe-
schwerden, durch Uebelkeit, Erbrechen, zeitweises Leibweh,
Aufstossen, Appetitlosigkeit, unruhigen Schlaf, mit Zusammen-
schrecken, Aufschreien und Umherwerfen sich documentirend,
waren unverkennbar.

Rhus eignet sich vorzüglich dann in derartigen Krankheits-
Zuständen als Heilmittel, wenn das Kind gern schlafen möchte,
aber, kaum eingeschlafen, höchst schreckhaft zusammenfährt, bei
grosser Aufregung des Blutgefäss-Systems, mit Wallung im Blute,
heftigem Klopfen der Adern, krampfhaften Zuckungen der Glie-
der und Muskeln mit Kinnbackenkrampf, zuweilen bis zu rück-
wärtsbiegenden Starrkrämpfen ausartend.

Arsenicum kann fast stets da mit Gewissheit als passend-
stes Heilmittel gegeben werden , wo eine brennende Hitze den
ganzen Körper des Kindes überzieht, und letzteres durch immer-
währendes Lecken mit der Zunge an den trocknen, rissigen Lip-
pen, ein Lechzen nach Getränk ausdrückt. Uebrigens ist das
Zucken einzelner Glieder während des unruhigen Schlafs ein
characteristisches Symptom vom Arsenicum, was gerade hier sehr
häufig dem aufmerksamen Beobachter als etwas Aussergewöhnli-
ches aufstösst, das oft längere Zeit dem Ausbruche eines con-
vulsivischen Anfalls voranschreitet, und daher um so ernster zur
Anwendung dieses Mittels auffordert, durch welches oft, wie mit
einem Zauberschlage, der ganze beunruhigende Krankheits - Zu-
stand binnen wenigen Stunden gehoben wird. Sollte aber auch
diess Alles dem homöopathischen Arzte noch nicht genügend
sein, sich zur Anwendung dieser Arznei, weil sie dem Anfänger
vielleicht noch zu heroisch erscheint, zu bestimmen, so thut es
vielleicht die Hast, die das Kind in allen seinen Bewegungen
verräth, z. B. beim Essen, beim Ergreifen eines Gegenstandes
u. s. w., die zugleich auch ein inneres Angstgefühl andeutet, das
oft deutlicher noch sich auf dem Gesichte ausprägt und zuweilen



524 Eclampsie, akute Epilepsie.

mit ganz veränderten Gesichtszügen gepaart ist, indem die hier
bezeichneten Symptome, die im Gefolge einer krankhaften Den-
tition nicht selten zu linden sind, ebenfalls Eigenthümlichkeiten
in den Befindens- Veränderungen vom Arsenicum darbieten, die
kein anderes Mittel so treffend aufzuweisen hat. Aber nicht
blos in diesen, einem Eclampsie-Anfalle vorangehenden Zeichen
findet der Arsenik rühmliche Anwendung, sondern auch in dem
für ihn passenden Anfalle selbst, der von Hahnemann charac-
teristisch genug in dem Symptome 273 gezeichnet ist, dass ich
den Leser blos darauf zu verweisen nöthig habe.

Arnica passt, nach meinen Erfahrungen, gewöhnlich, wenn
eine Affection des Gehirns vorangegangen ist, die, zwar geho-
ben, doch eine Abstumpfung der Gehirnthätigkeit zurückliess,
und, nach allen dafür sprechenden Zeichen, auf einer Ansamm-
lung von Feuchtigkeit in den Gehirnhöhlen beruht, die erregende
Ursache für den gegenwärtigen Krankheits - Zustand ist; doch
dürfte eine zittrige Unruhe in den Gliedern, die zu stetem Bewe-
gen nöthigt, eine schmerzhafte Ueberempfindlichkeit des ganzen
Körpers, die sich durch Schreien bei jedem Angreifen zu erken-
nen giebt, ebenfalls zur Anwendung der Arnica auffordern.

Piatina, dieses in Neuralgien und Neurosen überhaupt nicht
zu verachtende Mittel, zeichnet sich auch in Eclampsie -artigen
Beschwerden aus und ist besonders da anwendbar, wo ein Anfall
von krampfhafter Steifheit der Glieder, ohne Verlust des Be-
wusstseins, mit krampfhaftem Gähnen und nachfolgender Ver-
schliessung der Kinnbacken, Sprachlosigkeit, Verdrehung der
Augen und unwillkürlichen Bewegungen der Mundwinkel und
Augenlider, sich einstellt. In den Intervallen, während des
unruhigen Schlafs, liegen die kleinen Kranken dann meist auf
dem Bücken und suchen immer die Beine zu entblössen, die,
mit ausgespreizten Knien, nach dem Bauche heraufgezogen sind,
wobei das Gesicht blass, bleich, eingefallen erscheint. — Piatina
eignet sich mehr für eine Eclampsia cum Anaemi a.

Eyoscyamus empfiehlt sich besonders dann, wenn der An-
drang des Blutes nach dem Kopfe durch ungewöhnliche Röthe
im Gesichte und Aufgedunsenheit des letzteren sich ausspricht,
das Kind viel speichelt, eine ungewöhnliche, krampfhafte Zusam-
menziehung in den Bauchmuskeln Statt findet, alle schnell wech-



Eclampsie, Gefraisch, Gichter, Jammer d. Kinder. Eclampsia etc. 525

selnden convulsivischen Bewegungen und Verdrehungen des Kör-
pers bald den einen, bald den andern Theil befallen, mit Ueber-
munterkeit und mit unwillkürlichem Harnabgänge begleitet sind.
Dieses Mittel ist auch dann indizirt, wenn die Zufälle durch einen
plötzlichen Schreck herbeigeführt wurden. Es entspricht einer
Eclampsia cum Hyperaemia.

Stramonium wird da am passendsten sein, wo Kinnbacken-
krampf, vollkommene Steifheit des ganzen Körpers oder krampf-
hafte Angespanntheit der Gliedmassen bei wechselnden stossarti-
gen Convulsionen, einem tiefen, schnarchenden Schlafe und vie-
lem Urinabgange Statt hat; hiezu gesellt sich meistens sehr
grosse Hitze über den ganzen Körper mit vielem Trinken, bei
sehr trockener Zunge, die Gesichtszüge sind wie von Schmerz
verzerrt, dabei das Gesicht aber roth und wie gedunsen, die
Sprachwerkzeuge wie gelähmt, das Schlingen erschwert. Auch
dieses Mittel ist in Eclampsia cum Hyperaemia vorzugs-
weise indizirt.

Cicuta virosa ist dann anwendbar, wenn das Kind ganz un-
erwartet, nachdem es vorher noch heiter und freundlich gewe-
sen ist, ein ganz starres , unbewegliches Ansehen bekommt , das
nur erst nach wenigen Minuten einer Erschlaffung weicht, wobei
das Kind zusammensinkt. Dieser Zustand wiederholt sich öfters
und hält jedesmal längere Zeit an. Nicht minder hülfreich er-
weist sich aber auch dieses Mittel in wirklichen Eclampsie - An-
fällen, die ebenfalls öfters zurückkehren. Bei diesen werden
die Glieder, der Kopf und der Oberkörper auf eine wunderbare
Weise bewegt und verdreht , das Gesicht ist bläulicht aufgetrie-
ben, Schaum findet sich vor dem Munde, und nach Aufhören der
Convulsionen ist das Kind ganz unbesinnlich und wie todt.

Stannum ist meistens in denjenigen Fällen zu empfehlen, die
habituell geworden sind, d. h. wo die convulsivischen Anfälle
sich bei jedem neuen Zahndurchbruche erneuern, jedesmal hefti-
ger werden, das Kind auch wohl ausserdem an krampfhaften
Beschwerden leidet und dabei elender und kraftloser wird.

Ganz ausgezeichnet wirkt Cuprum metatticum, wie vielfache
Erfahrung darüber bewiesen hat, in den heftigsten Eclampsie-
Anfällen von Zahnreiz, fast den epileptischen gleichkommend,
wobei zugleich der ganze Kopf gedunsen ist und das Gesicht auf-



526 Eclampsie, akute Epilepsie.

getrieben und sehr roth erscheint, das Kind dabei ein kreischen-
des Geschrei ausstösst; vor dem Anfalle selbst viel Ekel und
Uebelkeit bei übrigens lethargischem Zustande zeigt , auch wohl
eine Menge Schleim auswürgt; bei einiger Besinnung sich win-
det, krümmt, schreit, der Unterleib aufgetrieben und gespannt ist,
wobei unwillkürlich dünnflüssiger Stuhl abgeht, und mitunter
convulsivische Bewegungen und Verdrehen der Glieder vorkom-
men, welche Symptome immer neuen Paroxysmen Platz machen,
bei denen das Kind ganz bewusstlos ist.

Ein Hauptmittel in solchen Kinder -Eclampsie -Anfällen aber
ist Zincum. Ich würde in den Verdacht gerathen, als wäre mir
diese Arznei in obenstehender Krankheit völlig unbekannt, wenn
ich es hier übergehen wollte; insbesondere würden allöopathi-
sche Aerzte, die dieser Therapie die unverdiente Ehre geben,
sie zu durchblättern, bedenklich den Kopf schütteln, dass ich ihr
Hauptremedium ganz ignorire und sie würden sich für berechtigt
halten, mich und alle Homöopathen für Ignoranten zu halten!
Sie dächten aber falsch, da die Wahl unserer Mittel auf ganz
anderen Principien beruht, als bei ihnen und es sich da leicht
wohl einmal treffen könnte, dass eins ihrer gerühmtesten Mittel
für diese oder jene Krankheit von uns ganz verworfen würde,
weil es die physiologischen Eigenthümlichkeiten in seinen Wir-
kungen nicht ausspräche, die gerade zu seiner Wahl erforderlich
wären. Mit Zincum ist diess nun schon nicht der Fall, denn
wir wenden es in Eclampsien ebenfalls an, aber die exquisitesten
Fälle sind es nun gerade nicht, gegen di% es von uns empfohlen
werden kann und darum ist es auch bei uns nicht, wie bei den
Allöopathen, das souveränste Mittel in dieser Krankheitsform.
Die Fälle, wo wir Zincum geben, gehören zu den leichtern, ja
ich möchte fast sagen, dass es nur die Prodromen sind, denen
• es entspricht, z. B. das laute Aufschreien, Aufkreischen im
Schlafe, ohne dass das Kind etwas davon weiss; wird es aber
darüber munter, so spricht der furchtsame Blick, das scheue Um-
sichsehen die Angst aus, die es in seinen beunruhigenden Träu-
men ausgestanden haben muss. Schon die grosse Hitze am
Körper beim Niederlegen Abends, mit der ängstlichen Unruhe
deutet auf einen ungewöhnlichen Zustand, der grössere Besorg-
niss erregen muss, wenn das Kind schon am Tage an sichtbaren



Eclampsie d. Schwängern etc., Gefraisel d. Wöchner. Eclampsia etc. 527

Zuckungen, Fippern in verschiedenen Muskeln, mehr auf der rech-
ten, als linken Körperhälfte litt; wenn schon mehre Tage eine
sehr reizbare Stimmung, eine verdriessliche, mürrische, weiner-
liche Laune statt fand, bei grosser Essgier und hastigem Schlin-
gen, starker Aufgetriebenheit des Leibes, wie von Blähungen und
unwillkürlichem Harnabgang.

§ 255.

B. Eclampsie der Schwangeren und Gebärenden, Ge-
fraisel der Wöchnerinnen. Eclampsia Gravidarum et
Parturientium.

Wohl zu beachten ist, dass die hier zu besprechende
Krankheit von einem congestiven Zustande abhängig ist, zum
Unterschiede von hysterischen und den durch Erschöpfung oder
Blutverlust verursachten Krämpfen.

Die Vorboten deuten gewöhnlich schon auf congestives
Ergriffensein des Gehirns und spricht sich aus durch unerträg-
lichen Stirnkopfschmerz, der oft plötzlich auf die heftigste Art
eintritt, durch Schwindel, Hitze im Kopfe; es stellen sich Hallu-
cinationen, Flammensehen, Ohrenklingen, Abnahme des Sehver-
mögens bis zur vollständigen Blindheit, erschwertes Sprechen,
Lähmungsgefühl in den Gliedmassen ein. Patientin ist ver-
stimmt, tiefsinnig, gleichgültig gegen ihre Umgebung, ihr Blick
stier, mit erweiterter Pupille. Zuweilen Klagen über unange-
nehme Empfindung und Schmerz in den Präcordien , Uebelkeit,
Erbrechen, oder über Druck und Schmerz im Hypogastrium und
Empfindlichkeit dieser Gegend gegen äussere Berührung ; Puls
unregelmässig, oder hart, voll; bei Gebärenden findet zuweilen
ein heftiger Frost vor dem Ausbruche der Eclampsie statt. —
Manchmal gehen diese Prodromen Tage lang, manchmal auch nur
wenige Stunden oder Minuten dem Anfalle voran; doch kön-
nen sie auch ganz fehlen; je kürzer sie sind, desto gefährlicher
ist die Eclampsie.

Der Paroxysmus einer Eclampsia parturientium ist den
epileptischen Anfällen fast gleich. Es stellen sich automatische
Bewegungen im Muskelsysteme ein ; vom Uterus ausgehend



528 Eclampsie, akute Epilepsie.

werden zuerst die Bauchmuskeln affizirt, dann zieht es sich ge-
gen die Brust und die Kranken haben das Gefühl, als würde
ihnen die Brust zusammengeschnürt, bei heftigem Herzklopfen;
dann treten die Krämpfe nach dem Halse, der nach hinten ge-
zogen wird und steigen dann nach oben gegen den Kopf, nach
unten gegen die Extremitäten. Auffallend ist dabei die tiefe,
livide Röthe und Anschwellung von Gesicht und Hals, heftiges
Schlagen der Carotiden und Temporalarterien, Turgescenz der
Drosseladern, Injection und Hervortreten der Augen; die Kran-
ken verfallen in Geistesabwesenheit, Delirien, mit Sopor wech-
selnd und dieser Zustand dauert längere oder kürzere Zeit fort,
ehe die Kranke wieder zu sich kommt und über Kopfschmerz,
Mattigkeit, Abgeschlagenheit klagt, während sie von dem Vor-
hergegangenen nichts weiss. Nach kurzer Zeit erneuert sich der
Anfall; folgen diese rasch aufeinander, so kehrt die Besinnung
nicht vollständig zurück.

§ 256.

Aetiologie. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass gewisse
Witterungsconstitutionen, namentlich sehr grosse Wärme und
electrische Luft Einfluss auf die Entwickelung der Krankheit
haben. Sie ist an eine bestimmte Lebensperiode gebunden, von
der Periode der Conception bis kurze Zeit nach erfolgtem Aus-
stossen der Frucht. Sehr selten ist sie in den ersten Monaten
der Schwangerschaft, erst gegen denkten, 5ten Monat findet
sie sich ein, wird vom 7ten an frequenter, am häufigsten aber
während der Geburt; einige Wochen nach der Geburt wird sie
nicht mehr beobachtet. — Am mehrsten sind ihr robuste, ple-
thorische, vollsaftige, brünette, dabei jedoch sehr reizbare
Subjecte unterworfen. Werden zarte und schwache Gebärende
von Zuckungen befallen, so sind diese meist hysterischer Art;
meistens trifft die Krankheit Erstgebärende und dann am häu-
figsten während und in der Mitte der Geburtsarbeit; im Wo-
chenbett selbst bildet die Krankheit zuweilen den Anfang eines
Kindbettfiebers.

Prognose. Diese Krankheit gehört zu den gefährlichsten,
die das weibliche Geschlecht auf der höchsten Stufe seines ve-



Eclampsie d. Schwangern etc., Gefraisel d. Wöchner. Eclampsia etc. 529

getativen Lebens befallen kann. Die meisten Beobachter stim-
men darin überein, dass die Krankheit in der Regel die Hälfte
der Befallenen tödtet, ja noch mehr und die Kinder sind fast
stets gefährdet, besonders wenn sie den Krampfanfällen länger
ausgesetzt sind. Die Eclampsie vor Eröffnung des Muttermun-
des soll gefährlicher sein, als die sich in einer spätem Geburts-
periode einstellt. Je weiter die Entbindung vorgerückt ist, desto
günstiger wird die Prognose. Sie ist aber um so trüber, je
heftiger und länger die Anfälle, je stärker die venösen Erschei-
nungen sind, je tiefer der Sopor, je beklemmender das Athmen
nach dem Anfalle, je kürzer die Remissionen zwischen den Pa-
roxysmen. Erstgebärende sind mehr gefährdet.

§ 257.

Homöopathische Behandlung einer Eclampsia
parturientium. Aufgabe einer regelrechten, folgerichtigen
Therapeutik dieser Krankheitsform ist die Berücksichtigung ihres
Vorkommens, Erscheinens und Auftretens in einer Periode des
Weibes, wo das Blutleben in ihm die höchste Blüthe erreicht
hat, wo es mithin auf dem Culminationspunkte seiner Thätigkeit
steht, die leicht durch geringe, oft gar nicht erkennbare, Aus-
senreize zu einer excessiven, regelwidrigen umspringen und
eben jene eclampsieartigen Zufälle erregen kann. Dass das
Zustandekommen derselben nicht ohne thätige, mitwirkende Bei-
hülfe der Nervenkraft geschieht, ist zu bekannt, als dass es von
meiner Seite noch einer besondern Erinnerung deshalb bedürfte;
aber eine leise Andeutung darauf durfte ich doch auch nicht
ganz umgehen , um mir als Therapeutiker den Vorwurf von dem
angehenden Homöopathen zu ersparen, die von mir unter
Eclampsia infantum angegebenen Mittel seien doch in E. partu-
rientium nicht immer mit demselben glücklichen Erfolg anzuwen-
den , den ich von ihnen gerühmt. So richtig dieser Vorwurf
auf den ersten Moment erscheint, so ist er doch bei ruhigerer
Betrachtung der ganzen Sachlage ein völlig unbegründeter, in-
dem bei E. infantum die Krankheit nie so unbedingt wie hier
der Blutcirculation allein zugeschrieben werden kann, ja es nicht
einmal als völlig entschieden zu betrachten ist, ob nicht wohl



530 Eclampsie, akute Epilepsie.

gar die Nerventhätigkeit eine prävalirende vor der Blutthätigkeit
sei, was bei E. parturientium doch als richtig constatirt dasteht,
da die Krankheit nur in dieser Lebensperiode des Weibes auf-
tritt und mit dem Emporstreben nach der höchsten Entwicklung
und Ausbildung des physischen weiblichen Lebens ebenfalls mit
wächst und auf dem Culminationspunkte des Blutlebens wiederum
die grösste Intensität behauptet.

Nach dieser Auseinandersetzung wird es erklärlich sein, dass
hier nur solche Arzneien andwendbar sind und sich hülfreich
zeigen können, die ähnliche Intoxications-Symptome zu erregen
vermögen, als wir sie bei einer E. parturientinm, durch Blut-
Exaltation erzeugt (eine der Intoxication ähnliche Noxe), beob-
achten. Mithin müssen hier die Mittel, wie Opium, Laurocerasus.,
Stramon., Hyosc. , Bellad. , Acori, etc. ganz besonders in Be-
tracht kommen und die characteristischen, eigenheitlichen Krank-
heitszeichen entscheiden die Wahl für diese oder jene der ge-
nannten Arzneien, durch welche die Intensität der cerebralen
Hyperämie gebrochen wird, was die Allöopathie nur durch ener-
gische und wiederholte Blutentziehungen zn vermitteln sich be-
müht und gerade dadurch wieder so sehr leicht zu einem, das
Weibes- und Kindes-Leben gefährdenden, unglücklichen Geburts-
Verlaufe Veranlassung giebt. — Das passend scheinende Mittel
ist so lange unausgesetzt fort zu geben, als noch die regelwi-
drige Beschaffenheit des Pulses und Herzschlages der Kranken
es erheischt. Um diess richtig zu beurteilen, muss der behan-
delnde Arzt selbst gegenwärtig bleiben und darf dem Laien das
öftere oder seltnere Darreichen der passenden Arznei nicht
überlassen, der ja nicht weiss, welcher Grad von Energie des
Pulses mit dem weiteren Fortschreiten der Geburtsperiode ver-
bunden ist, welcher auf der andern Seite wieder ein verderb-
licher, der Fortbildung und Steigerung der Krankheit angehö-
riger ist.

Eins der vorzüglichsten Mittel in dieser Krankheit ist wie-
derum Belladonna und ihr wiederholtes Anführen in den ver-
schiedenartigsten Krankheits - Zuständen mag den angehenden
Homöopathen ja auf die Wichtigkeit dieses Arzneistoffes auf-
merksam machen und er mag sich dadurch aufgefordert fühlen,






Eclampsied. Schwangern etc., Gefraisel d. Wöchner. Eclampsia etc. 531

die physiologischen Wirkungen desselben seinem Gedächtnisse
immer mehr zu imprimiren, um auch den Hauptcharacter der
Beilud, schärfer auffassen zu lernen, der ihm dann bei ihrer Wahl
der richtigste Führer und Rathgeber sein wird. Dieser allge-
meine Character, aus der gehörigen Würdigung der Einzel-
Symptome hervorgegangen, lehrt alsdann, dass Bellad. dem
kindlichen Alter wie dem weiblichen Geschlechte vorzugsweise
entspricht und unter letzterem insbesondere, in Bezug auf diese
Krankheit, dem angehenden Weibe, der Erstgebärenden, bei
sanftem Character, zarter Haut, lebhaftem Colorit , dem schwim-
menden Auge zusagt, aus denen man so leicht den Abglanz
der krankhaften Aeusserungen einer Eclampsia parturientium ab-
strahirt. Die Geburtsperiode bedingt die grösste lebendige
Thätigkeit im ganzen Sexualsysteme und nichts ist leichter, als
dass durch einen unscheinbaren Einfluss zu dieser Zeit eine
Normwidrigkeit der Art herbeigeführt wird, die eine E. partu-
rient. zur Folge hat, wodurch jene in ihrem Fortschreiten ge-
hemmt wird, indem die erforderliche Blutthätigkeit in einem vom
Uterus entfernten Organe, dem Gehirn, ihren Sitz aufschlägt
und durch ihre Excessivität jene so sehr beunruhigenden Symp-
tome: Zuckungen, Convulsionen, Krämpfe mit Geschrei, De-
lirien , Verdrehung der Augen, Ausstrecken der Glieder, Starr-
krämpfe mit Rückwärtsbeugung des Körpers etc. erzeugt; fast
stets ist auch Bewusstseins- Verlust, Gefühllosigkeit und ein
röchelndes Athmen damit verbunden, zugleich aber auch jene
tiefe, livide Röthe, bei Aufgetriebenheit der Jugularvenen und
Gedunsenheit des Gesichts, der starke und schnelle Puls und
das heftige Schlagen der Carotiden und Temporalarterien. Lässt
die Eclampsie etwas nach, so dauert die Bewusstlosigkeit noch
längere Zeit fort, eben so die Augenverdunkelung, die Kranke
sieht und hört noch nicht, erkennt Niemand von den Ihrigen,
woraus auf einen noch immer fortdauernden soporösen Zustand
zu schliesseu ist. Ein treffenderes Bild einer E. parturientium
giebt es wohl kaum, als ich hier gezeichnet habe, das in allen
seinen feinern Nuancen sich für die Anwendung der Belladonna
eignete, worüber auch die Erfahrung bereits vielfältig zu ihren
Gunsten entschieden hat.

So sehr Hyoscyamus auch mit der vorigen Arznei um den



532 Eclampsie. akute Epilepsie.

Vorrang zu streiten scheint, so kann ich ihm doch die Prävalenz
nicht judiciren, indem manche Erscheinungen von ihm doch
ganz andere Deutungen zulassen und mehr dafür sprechen, dass
sie Folgen eines anämischen, durchaus aber nicht hyperämischen
Zustandes sind. Die Krämpfe bei Schwangeren und Gebärenden,
die viel Aehnlichkeit mit Eclampsie haben, treten, bei Letzteren
vorzüglich, fast immer nur ein, wenn während der Entbindung
zu viel Blut schon verloren gegangen ist; das Gesicht ist zwar
auch ein bläuliches, oder braunrothes und aufgetriebenes, aber
diess deutet mehr auf übergrosse Venosität — wenigstens ist
aus den wenigen angegebenen Verschiedenheiten schon abzuneh-
men, dass jene unter Bellad. angegebene Eclampsie eine ganz
andere — ich möchte mich ausdrücken — reinere Form ist,
als die, der Hyosc. entspricht, und eben darum — vorausgesetzt,
dass vom Arzte nicht blos der Character beider Mittel richtig
aufgefasst, sondern auch die überwiegende Hyperämie gehörig
gewürdigt worden ist — wird ein Schwanken bei der Wahl
beider Mittel am Krankenbette nicht leicht vorkommen können.
Die Krämpfe beschränken sich hier mehr fast nur auf stossähn-
liche Rucke, die selbst dann nicht wegbleiben, wenn eine teta-
nische Steifheit sich des Körpers der Kranken bemächtigt; auf-
fallend ist aber, bei Nachlass der krampfhaften Zufälle, die ein-
tretende Gesichtsblässe nicht blos, sondern auch der Collapsus
des Körpers überhaupt, obschon eine völlige Betäubung und Be-
wusstlosigkeit, ein wahrer Sopor, unverkennbar in den Interval-
len fortdauert.

Von Stramonium behaupte ich, es steht noch entfernter von
Bellad. als Hyoscyamus, obschon bei ihm der hyperämische Zu-
stand, hervorstehender erscheint, doch scheint diess blos so,
denn in der That ist es nur ein partiell erethischer, noch oben-
drein secundärer, vom Nervensysteme abhängiger, mehr dem
bei einem Delirium tremens vorkommenden ähnlich. In die-
sem Sinne sind auch alle die Erscheinungen aufzufassen, die
mit einem solchen in Verbindung stehen und nur derartige
Eclampsie -Anfälle können in Stramonium ihr Heilmittel finden,
die einen so allgemeinen Character an sich tragen.

Vor Opium stehe ich oft wie vor einer verschleierten Göt-
tin, ich sehe wohl Contouren, aber scharf markirte Striche, die



Eclampsie d. Schwangern etc., Gefraiseld.Wöchner. Eclampsia etc. 533

mit einiger Wahrscheinlichkeit auf etwas Bestimmtes schliessen
Hessen, fehlen ganz, und Hahn em ann's Behauptung von ihm,
dass es fast nur in kürzlich entstandenen Uebeln erfolgreich zu
wirken scheint, hat den Faltenwurf des Schleiers nur verdichtet
und nicht in der geringsten Beziehung gelüftet. Es ist doch
kaum denkbar, dass die Aerzte Jahrtausende hindurch von einem
Irrwahne hätten befangen gewesen sein sollen, ohne je zu der
klareren Einsicht zu gelangen, dass Opium ein höchst zweideu-
tiges Mittel sei ! Und welche Curen haben sie mit ihm voll-
bracht! Nein, es war eine jener paradoxen Behauptungen
Hahn em ann's, deren er so manche hatte, Ansichten, Mei-
nungen, Anschauungen, worüber er nicht mit sich einig werden
konnte, nach seiner Art zu begünstigen oder zu verwerfen, je
nachdem er sie zu seinem Behufe brauchbar fand oder nicht —
er zerhieb den gordischen Knoten, wenn er ihn nicht anders zu
lösen vermochte. Aehnlich scheint es ihm mit Opium gegangen
zu sein , durch dessen Prüfung er nicht viel Schmerz-Symptome
gewann und decretirte deshalb : Opium heilt keinen Schmerz !
Sehr viele Symptome von Opium entnahm er alten Schriftstel-
lern,' die sie bei Opiumschluckern beobachtet und gefunden
hatten, dass durch den längeren Fortgebrauch dieses Mittels,
selbst bei jugendlichen Subjecten, Arzneisymptome sich ent-
wickelten, die ungemeine Aehnlichkeit mit Altersbeschwerden
hatten — das Decret lautete: heilt Zufälle und Beschwerden des
Greisenalters! Langer Gebrauch des Opium erregt eine solche
Nervenreizbarkeit, dass solche Subjecte über ganz geringfügige
Ursachen erschrecken — decretirt wurde : heilt die Übeln Fol-
gen von Schreck u. s. w. Leicht einzusehen ist, dass derartige
Zustände durch vorschriftsmässige Prüfungen an gesunden Sub-
jecten nicht gewonnen werden, sondern nur durch längern und
anhaltendem Fortgebrauch des Mittels (wie diess bei vielen an-
dern Arzneien ebenfalls vorkommt); falsch ist aber dann der
Schluss: die Arznei sei in wenig Krankheiten anwendbar, weil
sie wenig Beschwerden, und nur allgemeine, hervorzurufen im
Stande sei! In solchen Fällen muss die Prüfungsarznei forcirt
werden durch lange anhaltenden Gebrauch und sie liefert dann
gewiss eine Menge schöner Symptome, die in Krankheiten gut
zu benutzen sind , aber freilich darf man dann auch nicht auf



534 Eclampsie, akute Epilepsie.

seinem Starrsinn beharren, und glauben: weil viele Mittel in
sehr hohen Verdünnungen Krankheiten zu heilen im Stande
sind, so müssen diess auch alle thun; mit nichten! die eine
heilt in kleinen Gaben, was der andern nur in stärkern Gaben
möglich ist, zu diesen letzteren gehört nun auch Opium, das
sich in den wenigsten Fällen in der lOten, 20sten, 30sten,
vielweniger in einer Hochpotenz, heilsam erweisen wird, son-
dern fast immer nur in stärkern Dosen, und doch kann ihm der
Name eines homöopathischen Heilmittels darum nicht entzogen
werden , weil es sich nicht in die engen Grenzen einer dicta-
torischen Macht einpferchen lässt. Seitdem ich mit mir über
die Arzneigaben einig bin für die individuellen Fälle; seitdem
die Dictatur: diess ist die Normalgabe, für mich nicht mehr gül-
tig ist: seitdem habe ich erst von vielen Arzneien eine richtige
Anwendung, einen richtigen Gebrauch machen gelernt und selbst
Opium wird für mich zugänglicher und schon manchen schönen
Nutzen habe ich mir durch selbiges verschafft, der Anderen in
verba magistri Schwörenden ewig unbekannt bleiben wird. —
Opium ist in unserer Eclampsie ein ganz herrliches Mittel bei
robusten Erstgebärenden, wo vielleicht auch durch plötzlichen
Schreck oder allzuplötzliche Freude während der Entbindung
derartige Zufälle erweckt wurden; ja wäre es wirklich nur ein
Palliativ-Mittel, so wäre es hier um so schätzenswerther, da ja
die Krankheit mit wenigen Anfällen sich begnügt, die der Arzt
beseitigen soll , wenn er 2 Menschenleben erhalten will — auf
eine längere Zeit hinaus, bedarf es keines weitern Arzneimit-
tels, weil der der Krankheit günstige Grund und Boden ver-
schwunden ist. Ich kann speciell die Krankheitszeichen, wie sie
da sein müssen, wenn Opium gegeben werden soll, nicht auf-
zählen, ich muss auch hier, wie ich schon bei mehren Mitteln
gethan, den Leser das Eigenheitliche selbst nachzuschlagen
empfehlen und gewiss, er weiss es mir Dank, dass ich ihn
zuweilen selbstständig mache, weil er dadurch mehr gewinnt,
als durch meine Declarationen, die ja wohl auch — denn ich
bin auch Mensch — manchmal durch Doppelgläser verändert
sein können.

Laurocerasus will ich noch mit einigen Worten erwähnen,
da es mir, auf Analogien mich stützend, ebenfalls kein unbe-



Eclampsiod. Schwangern etc., Gefraiseld. WÖchner. Eclampsia etc. 535

deutendes Mittel in unserer Krankheit zu sein scheint. Jedenfalls
ist es da indizirt, wo eine Eclampsia parturientium wie ein Blitz
aus heiterm Himmel auftritt, wo vor der Entbindung, oder auch
während des Geburtsactes das immer kräftige Subject plötzlich
von Starrkrämpfen mit Bewusstseins- Verlust befallen wird, die,
von Convulsionen der heftigsten Art unterbrochen, in viertel-
stündigen Zwischenräumen wiederkehren, ohne das Bewusstsein
wieder zu einer klaren Anschauung gelangen zu lassen. Die
damit verbundene Gefässthätigkeit zeigt weder für Hyperämie,
noch für Anämie, obschon für letztere der damit verbundene
Collapsus des ganzen Körpers zu sprechen scheint, der jedoch
mehr von einem Gesunkensein der gesammten Lebensaction ab-
hängig ist, was der wenig energische, bald schwache und be-
schleunigte, bald kaum fühlbare und sehr seltene Puls andeutet.
In einem solchen Falle ist Laurocerasus oder Acidum hydro-
cyanicum, in kleinen Dosen, in 5minütlicher Wiederholung,
das Mittel, dem vielleicht noch allein die Möglichkeit einer Hei-
lung gelingt.

Von Aconit habe ich vielfach schon die Erscheinungen ge-
nannt, die bei einer E. parturientium ebenfalls gegenwärtig sein
müssen, wenn es als Heilmittel gültig sein soll. — Der übri-
gen Arzneien, die vielleicht noch in Betracht kommen könn-
ten, erwähne ich weiter nicht, da ich sie unter E. infantum
schon angab.

Eine Vorsichtsregel aber ist gewiss hier am passenden Orte.
Sistirt die Krankheit, so kann die gänzliche Ausgleichung und
das Zurückführen zum Normalzustande nur durch prävalirende
Thätigkeit der Haut gelingen und darum ist es eine unerlässliche
Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Schweiss bald ein über den
ganzen Körper gleichmässig verbreiteter wird, dessen Unter-
brechung in keinem Falle stattfinden darf. Darum ist Vorsicht
während der Entbindung höchst nöthig, dass nicht etwa durch
übergrosse Eile und Geschäftigkeit der Hebamme nutzlose Ent-
blössungen vorkommen, während aber auch anderseits keine
Hyperidrose, durch Missbrauch warmer Getränke, durch Ueber-
heitzung der Stuben oder durch übermässiges Einpacken in
Decken, Federbetten und Verpalisadiren mit Wärmflaschen, her-
II. 35



536 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

beigeführt wird. Ein ruhiges, besonnenes Handeln trägt den
schönsten Lohn !

§. 258.

St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillkürliche Muskel-

bewegung. Chorea St. Viti, Scelotyrbe, Choreomania, Epilepsia sal-

tatoria, Morbus gesticulatorius.

Vieles wird unter dem allgemeinen Namen Veitstanz zu-
sammengefass!, was keinen Anspruch auf diese Bezeichnung ma-
chen kann. Ich folge hier der Angabe Canstatts, dessen
aufgestellte Formen mir zum praktischen Behuf e am klarsten er-
schienen sind, weshalb ich sie hier als Grundlage für die Thera-
peutik dieser Krankheit annehme, unbekümmert darum, ob ein
Anderer nicht vielleicht wieder eine andere Anordnung ge-
wünscht, oder für zweckmässiger geachtet hätte. Nach Can-
statt also giebt es 4 deutlich gesonderte Arten der Chorea:

1) die Muskelunruhe oder den kleinen Veits-
tan z;

2) dengrossen Veitstanz;

3) den pandemischen Veitstanz und die imitatori-
schen Volks k ran kheiten, und

4) den Tarantismus.

Symptome der ersten Art, der Muskelunruhe, sind
als Vorboten: zuweilen Verdauungsstörung, Auftreibung des Un-
terleibs, Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung, häufige Müdigkeit,
Zerstreutheit, Missmuth, psychische Reizbarkeit, Aengstlichkeit.
Dieser Zustand kann Wochen und länger dauern. Selten, viel-
leicht nur nach einem heftigen Schreck, werden die Kranken
plötzlich befallen ; man bemerkt an ihnen ein Grimaciren, das man
anfangs für unartige Gewohnheit hält, Unsicherheit in Händen
und Füssen; sie zucken die Achseln, schlenkern die Hände,
schleppen einen Fuss beim Gehen nach. — Alles diess ist zu-
weilen nur auf einer Seite sichtbar. Bald jedoch gehen die
GrimaQen in anhaltend zuckende und bizarre Bewegungen des
ganzen Körpers über; Gehen, Sprechen, Essen werden dadurch
erschwert; sie sind unbehülflich und erscheinen possirlich. Je-



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk. Muskelbew. Chorea etc. 537

der Versuch willkürlicher Bewegung des leidenden Theils ruft
sogleich die unwillkürliche Unruhe in ihm hervor. Durch Fest-
halten der Glieder nehmen die unwillkürlichen Bewegungen an
Heftigkeit zu; eben so auch, wenn die Kranken sich beobachtet
glauben; ferner durch Zorn, Schreck. Zuweilen zuckt eine
Seite mehr als die andere, oder beide Körperhälften lösen sich
ab; manchmal werden mehre Muskeln der Reihe nach von den
Zuckungen befallen. Trotz der unausgesetzten Bewegungen be-
klagen die Kranken sich nicht über Ermüdung. Mit dem Ein-
schlafen lässt in der Regel der Zustand nach, doch dauert zu-
weilen in heftigeren Graden ein unruhiger Schlaf fort. Nach
den Mahlzeiten ist die Muskelunruhe grösser. Bei langer Dauer
der Krankheit wird das Gesicht blass, der Puls gegen Abend be-
schleunigt, der Körper mager. — Nach Wich mann ist diess
die Chorea Anglorum. Schönlein begreift diese, sowie
die nachfolgende Form unter dem Namen Hysteria muscu-
larisund hat seine Ansicht darüber sehr scharfsinnig auseinan-
dergesetzt.

Symptome des gr ossen Veitstanzes. Er erscheint
in Paroxysmen und ähnelt darin der Epilepsie und Eclampsie, von
der er sich oft kaum unterscheiden lässt. Die Paroxysmen be-
stehen in einem Gemisch von clonischen und tonischen, bald
Epilepsie-, bald Tetanus-, bald Opisthotonus- artigen Krämpfen,
bald in höchst sonderbar associirten Bewegungen; die Kranken
tanzen, kriechen auf allen Vieren, gebehrden sich als wollten
sie fliegen, schwimmen, werden vom Boden emporgeschnellt,
machen die tollsten Sprünge, schlagen Purzelbäume, lachen aus-
gelassen und ahmen thierische Töne nach. Auch hier findet nach
den heftigsten Anfällen keine Ermüdung statt. — Die Kranken
haben eine Neigung sich zu verkriechen und zu verstecken. Es
folgen oft vollständige Intermissionen von mehren Tagen. Die
Anfälle treten aber eben sowohl bei Nacht als bei Tage ein.
Psychische Störungen sind : lebhafte Aufregung der Phantasie,
Delirium, wirkliche Narrheit, Somnambulismus, Ecstase. Nach dem
Anfalle wissen die Kranken gewöhnlich nicht, was mit ihnen vor-
gegangen und was sie getrieben haben. Zuweilen verschwindet
dieser grosse Veitstanz plötzlich und die Kranken sind geheilt.

35*



538 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

Pandemischer Veit stanz (Tanzwuth) und imita-
torische Volkskrankheiten. Aus dem hohen Alterthum
sind uns solche imitatorische Pandemien durch Erzählungen über-
liefert. „Die Tanzwuth in ihrer ausgeprägtesten Gestalt und
„weitesten Verbreitung zeigte sich 1374 und 1418, gleich nach
„den Schrecken des schwarzen Todes , in Aachen, in den Nie-
derlanden, in Metz, Strassburg u. s. w. Stundenlang tanzten
„die sogenannten Johannistänzer (deren Zahl durch Betrüger
„und Almosenjäger vermehrt wurde), Weiber und Männer, das
„Haupt bekränzt und den Unterleib eingeschnürt, mit bacchan-
tischen Sprüngen in wilden Reihen schäumend und schreiend,
„bis sie erschöpft umfielen. Dann klagten sie über grosse
„Beklemmung und ächzten, als stände ihnen der Tod bevor, bis
„ihnen der Unterleib noch fester zusammengeschnürt wurde,
„worauf sie sich erholten. Die Einschnürung geschah wegen
„der sich nach dem Anfalle einstellenden Trommelsucht, Oft
„half man statt dessen mit Faustschlägen oder Fusstritten auf
„den Unterleib. Während des Anfalls hatten die Tanzenden
„Erscheinungen aller Art. Bei vollkommen entwickelter Krank-
„heit begannen die Anfälle mit fallsüchtigen Zuckungen, die
„Behafteten fielen bewusstlos und schnaubend zu Boden, Schaum
„trat ihnen vor den Mund, sie sprangen auf und begannen
„ihren Tanz mit unheimlichen Verzerrungen. In religiöser Ver-
zückung sangen sie während des Tanzes und riefen den heili-
„gen Johannis um Stärkung an, so wie in seinen Kapellen diese
„Tanzwuth, welche nachmals an seinem Feste wiederkehrte,
„gestillt und geheilt wurde."

Imitatorische Pandemien , am häufigsten unter der Form des
grossen Veitstanzes und mehr endemisch als epidemisch, kom-
men auch noch in neuerer Zeit vor. Im Jahre 1808 fand sich
eine solche unter einer Secte religiöser Schwärmer in den Staa-
ten Tenesse und Kentucky. Hieher gehört auch die Endemie,
die Boerhaave im Leydner Waisenhause beobachtete, ferner
der von Albers in Hufelands Journal 1813, April. S. 3 be-
schriebene Bohnhorster-Veitstanz u. s. w.

Tarantelkrankheit, Tarantismus. Das Gift der
Tarantel (dieser eigenthümlichen Art von Spinne), in einen Theil
der Haut gebracht, bringt manchmal eine sehr bedeutende, sich



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk.Muskelbew., Chorea etc. 539

über die Nachbartheile mit scharfem Schmerz verbreitende An-
schwellung hervor. Nach einigen Stunden tritt Schwermuth,
Angst, Beklemmung der Brust, Schwindel, allgemeines Zittern
ein; der Kranke verfällt in Convulsionen, Delirien; der Puls
wird häufig und unregelmässig ; es gesellt sich Ekel und Er-
brechen hinzu. Ohne zeitige Hülfe geht der Zustand nach eini-
gen Tagen in eine Art von Stumpfsinn , mit Melancholie ge-
mischt, über. Sommerhitze und der Anblick eines andern Ta-
rantelkranken erregen Wuthanfälle. Musik übt einen eigenthüm-
lichen Zauber auf den Kranken; ihre Töne erwecken die Lust
zum Tanzen, der er so lange fröhnt , bis er müde nnd abge-
schlagen in reichlichen Schweiss geräth und einschläft; beim
Erwachen ist gewöhnlich der Tarantismus geheilt.

§ 259.

Aetiologie. Ein reizbares Nervensystem disponirt vor-
zugsweise zu dieser Krankheit und dann wieder mehr das weib-
liche, als männliche Geschlecht; von diesem wiederum mehr das
Kindesalter, in der Periode von 9 — 15 Jahren. Obschon von
dieser Neurose schwächliche Körper mit vorwaltender Reizbar-
keit des Nervensystems vorzugsweise ergriffen werden, so ist
doch der Körperconstitution ein besonderer Einfluss nicht zuzu-
schreiben. Häufiger kommt die Krankheit in nördlichen als in
südlichen Ländern vor.

Gelegenheitsursachen sind insbesondere: der psychi-
sche Eindruck von Furcht, Angst, Schreck, der die Krankheit
am häufigsten zum Ausbruche bringt; der Nachahmungstrieb;
durch ihn wird nie der erste Grad, die Muskelunruhe, hervor-
gerufen, sondern nur der grosse Veitstanz. Einen wesentlichen
Antheil an Entstehung einer Chorea haben wohl nie Würmer
oder gastrische Unreinigkeiten, ja sie stehen sogar in sehr ent-
fernter Beziehung und begünstigen vielleicht nur den Ausbruch
der schon vorbereiteten und latenten Krankheit.

Prognose ist im Allgemeinen sehr günstig; nur äusserst
selten endet die Krankheit tödtlich oder hinterlässt Nachkrank-
heiten. Am günstigsten ist die Prognose, wenn die Chorea in
der Entwickelungsperiode entsteht; schlimmer, wo Gemüthsbe-



540 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

wegungen, Onanie mitwirkten. Muskelunruhe ist leichter zu
heilen, als grosser Veitstanz, besonders wenn dieser mit Symp-
tomen von Manie, Epilepsie verbunden ist. Habituelle Chorea,
Ausgang in Blödsinn, Epilepsie, Gehirnleiden lassen kaum Hei-
lung hoffen.



§ 260.

Therapeutisches Verfahren in dieser Krank-
heit. Ich habe, mit C anstatt, mehrere Formen einer
Chorea aufgezeichnet und der Leser glaubt vielleicht auch nun,
ich werde gegen diese einzelnen Formen die zweckdienlichen
Mittel anführen. Diess bin ich aber nicht gesonnen zu thun,
aus dem einfachen Grunde, weil die Arzneien, die ich als hei-
lende in Chorea kennen gelernt habe, einer solchen Zerglie-
derung und Zersplitterung, nach meiner Einsicht, nicht fähig
sind , indem sie in ihren eigentümlichen Beziehungen zu einer
Chorea überhaupt aufgeführt werden müssen, wenn man nicht
durch Zerreissen der characteristischen Gesammtgruppen das
eigengeartete Bild der Krankheit will verloren gehen sehen.
Zweckmässiger erscheint es uns daher, den angehenden Ho-
möopathen aus dem zusammengestellten Arznei -physiologischen
Chorea-Bilde die einzelne Krankheits-Form sich selbst heraussu-
chen zu lassen, was so sehr schwierig nicht ist, um für den je-
desmaligen speciellen Krankheitsfall das richtige specifische
Mittel zu wählen.

Die gegen Veitstanz überhaupt empfohlenen und durch
die Erfahrung als heilkräftig bestätigten, homöopathischen Arz-
neien sind : Ignalia, Cuprum acet., Calcarea carbon., Belladonna,
Asa, Seeale com., Stramonium, Cina, Crocus , Hyoscyamus,
Rhus, Caustic., Jod., Pulsat., China, Sulphur.

Nehmen wir zuerst Ignatia etwas genauer durch, so zeigt
sich, dass sie in solchen Fällen von Chorea viel leisten müsse,
die durch einen psychischen Eindruck von Schreck mit zum
Ausbruche gekommen sind. Vergleichend kann ihr hier Opium
zur Seite gestellt werden, wenn sonst die Haupterscheinungen
der Krankheit mit den physiologischen Wirkungen dieses Mittels
harmoniren. Bei Ignatia verdient die Beobachtung ebenfalls Be-



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk. Muskelbew., Chorea etc. 541

rücksichtigung, dass die Erneuerung der Beschwerden gleich nach
Tische erfolgt — ein characteristisches Zeichen, das von den Schrift-
stellern über diese Krankheit bei der Muskelunruhe ebenfalls mit
aufgezeichnet ist; eben so, dass die Erscheinungen beim Liegen
auf dem Rücken nachlassen. Der schwankende Gang, das leichte
Fallen und Stolpern über kleine Gegenstände, das Zittern, Ru-
cken und Zucken in verschiedenen Muskeln , die Voreiligkeit des
Willens und das davon abhängige ängstliche Benehmen und Han-
deln stempeln diese Arznei recht eigentlich zu einem Heilmittel
für den ersten Grad, die Muskelunruhe; doch ist sie darum auch
nicht als Heilmittel für den grossen Veitstanz ausgeschlossen,
den wir ja nicht selten schon auch, durch einen plötzlichen
Schreck hervorgerufen, geheilt haben, freilich wohl oft genug
unter der falschen Begriffs-Bestimmung: eine nach plötzlichem
Schreck entstandene Epilepsie. In den bei weitem häufigsten
Fällen sehen wir derartige Erscheinungen bei jugendlichen Sub-
jecten sich ereignen, die Anfälle des grossen Veitstanzes sich
häufig so gestalten, dass sie leicht mit epileptischen Paroxysmen
verwechselt werden; sollten da wohl nicht oft Täuschungen mit
unterlaufen sein, dass wir glauben Epilepsie-Anfälle geheilt zu
haben , während wir es nur mit einer Chorea zu thun hatten.
Die oft wunderbar schnell gelingende Heilung lässt diess we-
nigstens vermuthen, da die Beseitigung einer Epilepsie — • wäre
sie auch noch so neu — in den allerwenigsten Fällen in so kur-
zer Zeit zu bewirken ist. Uebrigens ist es gut, dass bei einer
homöopathischen Behandlung die Krankheits-Bestimmung so un-
geheuer viel nicht auf sich hat und immer besser ists, ich bin
kein unwissender Arzneikenner, als nur ein rationeller Krank-
heitskenner — ich will nicht blos wissen, vvo's fehlt (Diagno-
stiker), sondern ich will da, wo's fehlt, wieder zu ordnen, zu
restauriren suchen (Heilkünstler). Und so ist es denn auch hier
bei dieser Krankheit und bei der ihr oft entsprechenden Ignatia;
sie hilft, wenn der Heilkünstler die Symptome scharf genug auf-
gefasst und verglichen hat, mögen es dann Chorea- oder Epi-
lepsie-artige Anfälle gewesen sein.

Asa foetida gehört mit keinem besondern Rechte unter die
hier heilkräftigen Mittel und jedenfalls ist sie als Lieblingsmit-
tel eines von der Allopathie zur Homöopathie übergetretenen



542 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

Arztes, dem die Nervina gegen Veitstanz noch fest im Kopfe
sassen, mit übergeschmuggelt worden. Doch nein, ganz ver-
hält es sich nicht so, da der Asa einige Beziehungs-Aehnlich-
keit, wie ihre Symptome zeigen, nicht abzusprechen ist; z.B.
da wird sie immer mit Nutzen gereicht werden, wo eine krank-
haft gesteigerte Erregbarkeit des Unterleibs-Nervensystems, gleich-
viel, ob durch gastrische, Wurm- oder andere Reize dahin ge-
bracht, in die Augen springt, wodurch möglicherweise eine
Chorea begünstigt werden kann. Ein solcher Zustand spricht
sich wohl auch durch Abdominalpulsation mit aus, denen sich
das Zucken und Fippern einzelner Muskeln sowohl, als auch die
covulsivische Bewegung derselben mit anschliessen. Bemerkbar
ist hier noch die stete Willensveränderung und Unruhe der Kran-
ken, so wie ihre leichte Verwirrung der Ideen.

Belladonna habe ich schon vielfach als Heilmittel unter den
Neurosen erwähnt, dass es wohl nur der namentlichen Aufzeich-
nung bedarf, um den Leser auf sie aufmerksam zu machen ge-
gen Chorea ; aus diesem Grunde halte ich es für um so erlaub-
ter, als ich ja doch nichts weiter, als das schon oft Herer-
zählte wiederholen müsste. Nur diese eine Bemerkung mag
hier ihren Platz finden , dass Bellad. dann vorzügliche Berück-
sichtigung verdient, wenn in der Muskelunruhe sowohl, als im
grossen Veitstanze, insbesondere die Flexoren von Zuckungen
ergriffen sind und den Paroxysmen ein Laufen in den Muskeln
und ein Kriebeln und Taubheitsgefühl in denselben vorangeht.
— Aus mehreren Symptomen des Gemühs und des Sensoriums
ist mit Recht zu folgern , dass sie im pandemischen Veitstanz,
in den imitatorischen Volkskrankheiten und selbst im Tarantis-
mus Hülfe bringen müsse, d. h. in dem jedesmal genau aufge-
fassten und speciellen Krankheitsfalle.

Cuprum acet. oder metallic. ist mancher Art Veitstanz an-
gemessen und vermag manchen ganz allein, ohne Beihülfe ei-
nes andern Mittels , zu heilen. In seiner Erstwirkung liegt ja
, ganz besonders dieses unruhige Zucken in den Muskeln, dieser
zuweilen plötzlich ausgestossene durchdringende Schrei, diese
krampfhaften Verdrehungen und Bewegungen der Glieder, auch
sogar die Nachts im Schlafe vorkommenden, die meist an den
Fingern und Zehen beginnen und als Zuckungen nach dem Kör-



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk. Muskelbew., Chorea etc. 543

per zu aufsteigen , wozu sich später Verzerrung des Mundes und
abwechselndes Oeffnen, Schliessen und Verdrehen der Augen ge-
sellt. Wiederum eine andere Art von Veitstanz-Anfall, ebenfalls
für Cuprum geeignet, ist mit Röthe des Gesichts, krampfhafter
Verzerrung des Gesichts, der Augen und des Körpers verbun-
den, wird theils von Lachkrampf begleitet, theils aber auch wie-
der von heftigem Weinen, Aengstlichkeit, Possenmachen und
Neigung sich zu verstecken. In Begleitung finden wir sowohl
Melancholie mit Menschenscheu und Suchen der Einsamkeit, als
auch anderseits wieder eine exaltirte, ekstatische Stimmung. —
Ein hieher gehörender Fall wurde von Gross mitgetheilt; er
bestand, durch Schreck erzeugt, aus unwillkürlichen Bewegungen
des rechten Armes und Beines, allmälig auch auf die übrigen
Gliedmaassen übergehend, so dass zuletzt kein Glied mehr still ge^
halten werden kann und während des Wachens alle Theile in wun-
derlicher Bewegung sich befinden , ja selbst die Sprache bisweilen
fehlt. In späterer Zeit will Gross die Calcar. carb. wirksamer als
Cuprum gefunden haben, was, nach meinem Dafürhalten, doch
nur dann der Fall sein kann, wenn die Symptome von der Art
sind, dass Calcar. ihnen besser als Cuprum entspricht. — Auch
Bethmann hat die Heilung eines Veitstanses mitgetheilt, die
ihm durch Cupr. met, gelungen ist; er war vom Anblicke eines
an Convulsionen leidenden Kindes entstanden und äusserte sich
durch Stechen und Brennen im linken Arme, worauf heftige Con-
vulsionen in demselben eintraten, mit Aengstlichkeit und Wei-
nen; binnen 24 Stunden kehrten die Anfälle acht bis zehn Mal
wieder und dann wurden die Finger immer zuerst, später auch
die Beine ergriffen, wobei Gesichtshitze, Schweiss, Durst, nach
rechts gezogener Hals, schreckliches Verdrehen der Augen, des
Gesichts und des Körpers, dann verschiedene Possen, Verkrie-
chen unter den Tisch; Alles bei reizbarer, abwechselnd bald
sanfter und empfindsamer, bald sehr widerspenstiger Laune.

Agaricus muscarius habe ich in leichteren Veitstanz-Anfäl-
len schon mehrmals mit Erfolg angewendet, d. h. ich habe mit
ihm die Krankheit gemildert und sie dem zunächst passenden
Mittel zugänglicher gemacht. Die Symptome müssen folgende
sein, jvenn man Agar, indizirt finden will: leichte Zuckungen
hier und da; leichtes Verdrehen der obern Extremitäten; be-



544 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

ständiger convulsivischer Zustand der Kopf- und Halsmuskeln;
Neigung zum Tanz ; die sonderbarsten Bewegungen mit den Hän-
den ; ausserordentliche Behendigkeit auf den Beinen, äusserste
Geschicklichkeit für körperliche Bewegungen. — Vorzügliche
Berücksichtigung verdient diese Arznei in den pandemischen
Volkskrankheiten und im Tarantismus.

Seeale cornutum wird von mir ebenfalls in die Reihe der
hier hülfreichen Mittel gesetzt, da ich es durch vielfache Erfah-
rung als ein schnell und sicher helfendes in dieser Krankheit
kennen gelernt habe. In manchen Fällen nahm ich gleichzeitig
noch die Anwendung des thierischen Magnetismus zu Hülfe und
immer mit gutem Erfolg; namentlich fand ich ihn dann von
Nutzen, wenn die Anfälle sich nicht blos auf einzelne Muskel-
paresen beschränkten , sondern ganze Partien gleichzeitig über-
fielen, schnell auf andere Theile übersprangen und selbst innere
Organe partiell mit daran Theil nehmen Hessen. Der Zustand,
wogegen ich Seeale angewendet, begann immer mit Oscilliren
einzelner Muskelpartien im Gesicht, das alsdann in Zuckungen
überging, die oft abschreckende, oft lächerliche Entstellungen
zeigten durch die Verzerrungen der verschiedenen Muskeln, die
von Krampf ergriffen waren. Plötzlich sprang dann letzterer
auf einen Arm oder einen Fuss über, zuweilen auch auf beide
Arme oder beide Füsse und rief gesticulirende, tanzende, sprin-
gende Bewegungen hervor. Oder auch er bemächtigte sich der
Brustmuskeln, zog das Zwerchfell mi^in seinen Bereich und
erregte zugleich mit Athemlosigkeit. Am schlimmsten äusserte
er sich, wenn er die Bauchmuskeln mit affizirte, wo er dann
nie ohne Schmerzäusserungen vorüberging. Diess sind die Fälle,
wo Seeale nie ohne Nutzen gegeben werden wird.

Ich meine Cina muss dem Seeale in Wirkungsähnlichkeit sehr
nahe stehen. Die Chorea- Anfälle, denen sie entspricht, zeigen
sich häufig nach Tische, Abends oder Nachts; auch werden sie
häufig durch Berührung oder Aufdrücken auf die vorher ergrif-
fen gewesenen Muskelparthien wieder erregt. Von grossem Nu-
tzen ist sie unfehlbar, wo Cruditäten im Darmkanal oder Wurm-
reiz ein erregendes Moment bei Kindern mit abgab; die Zu-
ckungen in den verschiedenen Muskeln der Extremitäten verbin-



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk. Muskelbew., Chorea etc. 545

den sich auch mit Verdrehungen der Glieder und werden sogar
zeitweise von Leibweh unterbrochen.

Stramonium gehört wiederum zu den Arzneien, die ich schon
oft in Neuralgien und Neurosen gerühmt habe. Hier gehört es
unstreitig zu den Hauptmitteln mit und empfiehlt sich besonders
da, wo schon längere oder kürzere Zeit vorher die Kranken über
ein Gefühl von Kriebeln in den Gliedern, mit gehemmter Bewe-
gung derselben sich beklagten, denen eine melancholische Stim-
mung sich zugesellte. Häufig ereignet es sich, dass diese Be-
schwerden zur Herbst-Aequinoctialzeit lebhafter hervortreten, de-
nen dann die Chorea-Anfälle bald folgen, die eine eigenthümliche
Gestalt zeigen: es sind heftige krampfhafte Bewegungen der
Glieder, fast immer kreuzweise, oben der linke Arm, unten der
rechte Fuss , dann sehr schnelle des Kopfes, auch wohl blos
der Unterkiefermuskeln, der Lippen u. s. w.; oder die Kranke
macht rotirende Bewegungen mit den Händen und Armen, als
wollte sie spinnen oder weben. — Noch ferner gehört hieher:
die grosse Aufgeregtheit, die Kranke bewegt sich so schnell,
dass zuletzt alle Bewegung stockt, und es ihr schwarz vor den
Augen wird; sie verrichtet die Bewegungen mit solcher Hast,
Emsigkeit und Kraft, dass es ihr ängstlich wird, wenn sie nicht
gleich damit zu Stande kommt; sie. läuft überschnell aus allen
Kräften, wenn sie von einem Orte zum andern gehen will; beim
Treppensteigen nimmt sie jedesmal 2 Stufen, weil sie sie für
eine hält, bis sie fällt; obschon ihr Gang wankend ist, folgen
die Schenkel dem Willen doch so leicht, als habe sie gar keine,
dabei deuchten sie ihr länger, so dass sie den Boden schon zu
berühren glaubt, wenn der Fuss noch eine Spanne weit davon
entfernt ist. — In diesen Symptomen finden sich eine Menge
Andeutungen zu verschiedenen Arten von Veitstanz, insbeson-
dere auch zu dem pandemischen Veitstanz und zu den imita-
torischen Volkskrankheiten, dass es keinen Zweifel unterliegt:
Stramonium müsse in so mannichfaltig gearteten die heilende
Arznei sein, wie sie sich auch bereits in der Praxis verschie-
dentlich erwiesen hat. Auch da ist sie indizirt, wo die Krank-
heit den Ausgang in Blödsinn und religiösen Wahnsinn machte.

Hyoscyamus hat grosse Aehnlichkeit mit Stramonium , doch
sind die Chorea-Anfälle nicht die heftigen, denen Stramonium



546 St. Veitstanz. Chorea St. Viti.

entspricht. Die Veitstanz-Krämpfe, für Hyosc. passend, sind mit
Verdrehen und Umherwerfen aller Glieder verbunden, so dass
sie mehr für ungezogene Geberden angesehen werden ; nach dem
Anfalle liegt Patient ruhig da mit verschlossenen Augen. In
der paroxysmenfreien Zeit spricht sich ebenfalls eine Ueberei-
lung, eine Uebergeschäftigkeit, eine lebhafte Schwatzhaftigkeit,
eine Neigung über Alles zu lachen aus, und, bei längerer Dauer
der Krankheit, ist auch der Uebergang in Dummheit, Blödsinn
unverkennbar.

So wenig Crocus auch wohl den Anschein haben mag, als
könne er in unserer Krankheit heilsam sich erweisen, so habe
ich doch mehrmals das Gegentheil von ihm erfahren, leider bin
ich aber noch nicht zu klarer Einsicht über die besonderen
Arten von Chorea gekommen , dass ich mich also auch nicht
vollkommen klar über dieselben aussprechen kann. Der Fall
war ein eigenthümlicher, in dem mir weniger die Chorea- als
die begleitenden Nebensymptome zum ersten Male dieses Mittel
in die Hände spielten. Ich entsinne mich nur noch dunkel,
dass ein Hüpfen in den Muskeln schon längere Zeit zugegen
war, was auch zeitweise sich verstärkte und in krampfhafte
Zusammenziehungen einzelner Muskelpartien ausartete, das Sub-
ject litt an öfteren Nasenbluten und befand sich wohler, wenn
diess in verstärkter Maasse auftrat, zugleich beobachtete ich
vor dem eintretenden Nasenbluten ein sichtbares Pulstren der
Schläfearterien und Darniederliegen des Kindes; das ausgeschie-
dene ßlut war ein zähes, schwarzes. Bs war nicht schwer zu
beurtheilen, dass die Krankheit mehr Nahrung gewinnen müsse,
je mehr der Organismus durch die immer wiederkehrende Blu-
tung geschwächt würde und die Indication zur baldigen Si-
stirung des Nasenblutens musste für mich die wichtigste sein.
Vergeblich wandte ich Aconit, Amica, China u. s.w. an, ja
es schien mir sogar, als steigerte sich dadurch der Orgas-
mus, bis die genauere Auffassung der Kopfcongestion mich auf
Crocus leitete, von dem dann nur wenige Gaben zur vollstän-
digen Heilung erforderlich waren. Seitdem hat mich immer
der zuweilen mit einem Veitstanze verbundene Kopfcongestions-
Zustand auf dieses Mittel geführt.

Für China weiss ich keine andere Indication, als die: sie



St. Veitstanz, St. Johannistanz, unwillk. Muskelbew.. Chorea etc. 547

eignet sich insbesondere für die Veitstanz-Arten, die bei den,
durch Onanie oder andere Säfte-Verluste zustandegekommenen
Subjecten eintreten. In solchen Fallen ist gewöhnlich auch
eine nervöse Ueberreiztheit, eine Unerträglichkeit aller Sinnes-
eindriicke vorherrschend.

Causticum ist auch ein Mittel, das gegen Chorea von ho-
möopathischen Aerzten empfohlen worden ist; ich habe noch
nie Gelegenheit gefunden, es in Anwendung zu bringen, weil
ich mit den schon genannten, oder noch zu nennenden stets
ausgekommen bin und ich unter den Symptomen, ausser der
convulsivischen Bewegung der Arme und Beine und dem Ver-
drehen der Augen, keine näheren Beziehungen zu einem Chorea-
Anfalle habe ausfindig machen können.

Dagegen ht Rhus toxicodendron ein bewährtes Mittel, dem
der angehende Homöopath in dieser Krankheit wohl mehr Auf-
merksamkeit schenken muss, da die Zuckungen in den Gliedern
und Muskeln, die Unfestigkeit in den Gliedern, die im Stehen
immer ein Wanken bewirkt, was beim Gehen noch deutlicher
hervortritt — hinreichende Annäherungspunkte schon darbie-
ten. Grosse Beachtung verdient das Mittel besonders, wenn
die Krankheit nach kaltem Baden und nach zurückgetretenen
Masern sich entwickelte.

Pulsatilla gehört zu den allbekannten Arzneien, deren all-
gemeinen sowohl als speciellen Character ich schon mehrmals
detaillirt genug angegeben habe und mich hier einmal der Mühe
überhebe, es abermals zu thun. Genug, der Leser sei hiermit
darauf aufmerksam gemacht.

Noch bleibt mir Jod. und Sulphur anzuführen übrig, die ich
darum bis zuletzt aufsparte, weil sie mir die unwichtigsten Mittel
für diese Krankheit zu sein schienen ; doch will ich gern mein Un-
recht eingestehn, wenn ich zu vorschnell geurtheilt habe, da ich
meiner Behauptung durch nichts weiter Gewicht verschaffen kann,
als dass ich beide Arzneien in Chorea noch nicht angewendet habe.
Nach meiner Ueberzeugung dürfte Jod. da Berücksichtigung verdie-
nen, wo die Krankheit augenscheinlich durch Mitwirkung des Unter-
leibs-Nervengeflechts zu Stande gekommen, wo eine krankhafte
Affection des Magens, der Leber, der Bauchspeichel- und der Unter-
leibsdrüsen ersichtlich ist, die zugleich eine veränderte Gehirn-



548 S. Veitstanz. Chorea St. Viti.

thätigkeit nach sich zieht. Aus diesen gleichzeitigen Verände-
rungen entspringen alsdann die ungewöhnlichen Muskelactionen,
die einige entfernte Aehnlichkeit mit Veitstanz-Anfällen haben,
z. B. die Unruhe in den Gliedern mit Angegriffenheit und Beben
von der Magengegend nach der gesammten Peripherie ; das Zit-
tern der Glieder, besonders auch der Hände, Finger und Au-
genlider; der schwankende, unsichere Gang; die Unmöglich-
keit, die Hand gerade zum Munde zu fuhren, unter schmerz-
hafter Bewegung des Körpers , beschleunigtem Blutlaufe und klei-
nem , fadenförmigen Pulse ; in der Ruhe lassen sich die zittern-
den Theile leicht festhalten ; die Krämpfe sind heftig im Rücken
und in den Füssen, mit convulsivischen Zuckungen in densel-
ben und in den Armen, in denen zuweilen auch Flechsensprin-
gen vorkommt, bei niedergeschlagener trauriger Gemüthsstim-
mung, namentlich zur Verdauungszeit. — Derartige Fälle halte
ich für Jod. passend.

In der Wirkung von Sulphur liegen wohl auch krampfhafte
Zufälle, aber sie scheinen mir nicht von der Art zu sein, dass
man sich versucht fühlen sollte, sie mit einem Chorea-Anfalle
in Vergleich zu bringen. Nur dann vielleicht könnte man von
Sulphur Gebrauch machen ; aber nicht gegen die Krankheit selbst,
sondern gegen ihre muthmaasslichen Erregungsursachen, wo
sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen lässt , dass das
baldige Verschwinden eines akuten oder chronischen Hautaus-
schlages Theil an der Entstehung der Jirankheit hat.

Schlüsslich noch ein Paar nicht überflüssige Bemerkungen.
Wie ich schon unter Tarantismus mit anführte, übt Musik einen
eigenen Zauber auf derartige Kranke aus und es ist darum ge-
wiss nicht unwahrscheinlich, dass Chorea-Anfälle, die besonders
in tanzenden Bewegungen sich aussprechen, in Musik ihr Heil-
mittel finden können — wenigstens ist gewiss, dass der Versuch
keinen Nachtheil bringt.

Die zweite Bemerkung ist : Da diese Krankheit nicht zu den
tödtlichen gezählt werden kann, zuletzt meist in sich selbst
erlischt und von der Natur geheilt wird: so ist es rathsam,
mit den Arzneien nie zu rasch zu wechseln und überhaupt nie
zu viel zu thun und übergeschäftig dabei sich zu benehmen.



Kornstaope, Kriebeikht. Raphania, Morb. cerealis, ConvUls. cereal. 549



§. 261.

In dem vorigen Kapitel habe ich des Tarantismus als einer
Neurose mit Erwähnung gethan; als solche gehörte sie auch
mit hieher, obschon sie eigentlich einer Toxikose beigezählt zu
werden verdiente. Mit gleichem Rechte steht es mir nun aber
auch frei, die ihr verwandten Krankheiten, Toxikosen und Thier-
giftseuchen, im Allgemeinen den Neurosen ebenfalls angehörig,
hier gleich mit namhaft zu machen, um eine neue Rubrik mir zu
ersparen — ich meine die Kr iebelkra nkheit und die Hunds-
wu th

Logged
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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #21 on: April 30, 2013, 09:43:26 PM »

Kornstaupe, K rie b e lkra nkheit. Raphania, Morbus cerealis,
Convulsio cerealis.

Die Raphanie ist eine durch vegetabilische Intoxication,
insbesondere durch den Genuss des Mutterkorns erzeugte Krank-
heit. Sie tritt unter zwei, ihren Erscheinungen nach, vollkommen
von einander verschiedenen Gestalten^ der convulsiven und
der gangränösen Art auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
beide auf verschiedenen ätiologischen Momenten beruhen, jene
vielleicht auf Vergiftung mit Lolium temulentum, diese auf
Vergiftung mit Mutterkorn; sie ist ja eine durch den Genuss
schlechter Nahrungsmittel überhaupt und eines verdorbenen Getrei-
des insbesondere, vornämlich nach der Kornerndte erzeugte, in den
Jahren des Misswachses und der Hungersnoth epidemisch vorkom-
mende Krankheit.

Symptome einer convulsivischen Kriebelkra nk-
heit (Morbus convulsivo-epidemicus). In der Vorläu-
ferperiode sehen wir Gefühl von Zerschlagenheit in den Gliedern,
schreckhafte Träume, Unruhe ; andere ungewöhnliche Empfindun-
gen, wie Ameisenkriechen, Stechen, Krämpfe in den untern Extre-
mitäten, drückender Kopfschmerz, Betäubung, Schwindel, melan-
cholische Gemüthsstimmung; zusammenschnürendes Gefühl im
Epigastrium, Neigung zum Erbrechen und Erbrechen selbst einer
verdorbenen, übel gemischten, dunkel oder schwarzbraun gefärb-
ten Galle.



550 Kornstaube, Kriebelkht. Raphania, Morb. cerealis, Convuls. cereal.

Man wird durch diese Prodromi, die mehr oder weniger den
Anfang sehr vieler Krankheiten ausmachen, nicht leicht auf den
Eintritt eines so bedeutenden Leidens, wie dieRaphanie ist, schlies-
sen können, wenn nicht die Krankheit schon mehrmals in dersel-
ben Zeit sich gezeigt hat. Ist letzteres der Fall, so lä'sst sich
auch leicht mit dem dagegen bekannten specifischen Mittel die
Krankheit schon im Entstehen wieder vernichten. Ist diess aber
nicht, so kann auch ein Fehlgriff in der Wahl der Mittel dem Arzte
nicht gut zur Last gelegt werden. Ich wenigstens gestehe gern
ein, dass ich nach den hier so unvollkommen angegebenen Symp-
tomen, bei deren Angabe das Aussehen des Gesichts, der Augen,
die Haltung des Körpers, dessen Kraft oder Schwäche ganz ver-
gessen ist, nicht wüsste, welches Mittel hier das passendste sein
würde. Am ersten würde ich auf Nux, Belladonna, Ignatia, Pul-
satilla, Ipecac. u. a. meine Aufmerksamkeit gerichtet haben. —
Doch wir gehen zu den eigenthümlichen Symptomen der Krank-
heit selbst über.

Nach 7 bis 21tägiger Dauer dieser Erscheinungen geht die
Krankheit in das eigentliche Stadium morbi über. Die Schmer-
zen in den Gliedmassen nehmen an Heftigkeit zu und erstrecken
sich über den ganzen Körper. Patient klagt in den Füssen über
ein unerträgliches Brennen, wobei Knie und Hände zittern und
die obern und untern Gliedmassen von convulsivischen Bewegun-
gen befallen werden, die am meisten die Beugemuskeln betreffen,
so dass oft eine enorme Gewalt dazu genört, die Glieder gerade
zu strecken; die Fersen werden gewaltsam nach den Hinterbacken,
die Hände nach den Schultern zurückgezogen. Die sehr schmerz-
haften Krämpfe sind anfangs meistens clonisch, oft sind sie auch
mit tonischen, Opisthotonus, Trismus, Strabismus gepaart; es tritt,
wie bei Epileptischen, blutiger Schaum vor den Mund, die Augen
stehen starr, oder werden wild umher gerollt, das Athmen ist er-
schwert etc. Oft behalten die Kranken ihr Bewusstsein während
dieser Anfälle, doch kommen zuweilen auch Störungen des Senso-
riums mit vor, als : Kopfschmerz, Schwindel, furibunde Delirien,
Schreien, Manie, Melancholie, erschwertes Sprechen, Stupor oder
Coma, Taubheit, Ohrenklingen, Gesichtstäuschungen. Zuweilen
bricht kalter Schweiss auf der Stirn oder dem ganzen Körper aus,



Kornstaupe, Kriebelkht. Raphania, Morb.cerealis, Convuls. cereal. 551

der Harn geht unwillkürlich ab, das Gesicht bekommt ein icteri-
sches oder erdfahles Aussehen.

Die Paroxysmen dauern oft stundenlang, kehren mehrmals des
Tages wieder, setzen aber auch oft mehre Tage lang aus. Wäh-
rend der Intervallen ist der Puls unverändert, der Appetit gut,
oft sogar Heisshunger zugegen, doch kommen auch Fälle vor, wo
gastrische Erscheinungen sich beigesellen, wie Cardialgie, Uebel-
keit, starker Durst, Sodbrennen, biliöses Erbrechen, Kolik, Diar-
rhöe mit Entleerungen von flüssigen gelblichen, sehr stinkenden
Materien; äusserlich ist Eiskälte, innerlich verzehrende Hitze.

Bei Uebergang der Krankheit in Genesung lassen die Convul-
sionen nach; die Dauer der Krankheit ist von 4 — 12 Wochen.
Zuweilen bilden sich auf der Haut mit scharfem Serum angefüllte
Phlyctänen oder Eruptionen. Längere Zeit nachher bleiben noch
Zittern der Hände, Augenschwäche, Steifigkeit der Muskeln und
Gelenke, Lähmung etc. zurück. — Tödtlich wird die Krankheit
durch Andauer der tetanischen Krämpfe, Lähmung, Apoplexie.

§. 262.

Symptome der brandigen Kriebelkrankheit (Ne-
crosis ustilaginea). Das Stadium der Vorläufer hat
fast dieselben Erscheinungen wie das der vorigen Art: allge-
meines Unbehagen, Abgeschlagenheit, unruhiger Schlaf mit Träu-
men, Angst; wandernde Schmerzen in Rücken und Beinen, krampf-
hafte Zusammenziehungen dieser Theile , oft heftige Schmerzen
und Krämpfe, Gefühl von fliegender Hitze; Puls und Appetit
meist unverändert; Unterleib zuweilen gespannt und schmerzhaft;
Urin hell und copiös.

Nach und nach tritt in den von Convulsionen befallenen
Gliedern ein Eingeschlafenheits-Gefühl ein, in denen, die später
vom Brand ergriffen werden, der heftigste Schmerz; beschleu-
nigter, zusammengezogener, schwacher Puls, Schweiss im Ge-
sicht, am Kopf. Patient klagt in Händen und Füssen über eisige
Kälte, die durch nichts zu erwärmen sind. Auf den Extremitäten
bildet sich zuweilen Erysipelas.

Mit einem Male verschwinden die Schmerzen in den Extre-
mitäten, die Eiskälte nimmt zu und die Empfindung und Bewe-
II. 36



552 Kornstaupe, Knebelk rankheit.

gung sind aufgehoben; meist trockner Brand tritt ein, doch zu-
weilen auch feuchter. Im erstem Falle wird das ergriffene Glied
livid, die Haut schrumpft zusammen, faltet sich, wird gelb; end-
lich wird das Glied schwarz, trocken, hornartig verhärtet. Im
zweiten Falle (feuchter Brand) schwillt das Glied an, es bilden
sich auf der Haut Phlyctänen, die mit gelblich blutigem Serum
gefüllt sind, die Muskeln werden weich und die brandigen Theile
verbreiten einen höchst fötiden Fäulnissgeruch. — Puls wird
immer schwächer, die Mattigkeit steigt auf den höchsten Grad,
es treten Symptome eines torpiden putriden Fiebers ein, die Ge-
sichtszüge verfallen, es gesellen sich Ohnmächten, Delirien,
Coma, erschöpfender Durchfall hinzu und der Tod erfolgt bei
grösserer oder geringerer Ausbreitung der Gangrän. Doch ist
Genesung möglich, ehe es zum wirklichen Brande kommt; und
auch bei schon vorhandenem Brande kann Abstossung der gan-
gränösen Theile erfolgen durch eiternde Abgrenzung. Bei trock-
nem Brande fallen die abgestorbenen Theile ohne Blutung ab;
bei feuchtem zuweilen unter Hämorrhagien. Oft bleibt Ver-
stümmlung, Atrophie, Lähmung der erkrankten Glisdmassen zu-
rück. Die Ausbreitung des Brandes ist nie gleich, bald erstreckt
sie sich nur auf Zehen, Hände, Füsse bis zum Knie; bald aber
auch auf eine ganze Extremität. Bei sehr copiöser Eiterung der
mortificirten Theile kann der Kranke noch an Pyämie zu Grunde
gehen, wenn ihr nicht in der Zeit Einhalt gethan werden kann.
(Canstatt).

§. 263.

Aetiologie. Die Kriebelkrankheit zeigt sich nur ende-
misch zu Zeiten und an Orten, wo durch Krieg, Hungersnoth,
schlechte Erndten und Witterung die Menschen gezwungen sind,
sich mit verdorbenem Mehl zu ernähren. Diese Verderbniss
wird durch mancherlei Beimischungen und Entartungen erzeugt;
erstere z.B. durch Lolium temulentum,Raphanus rapha-
nistrum, Nigella sativa, Agrostemma githago etc. ;
— Entartungen entstehen durch Pilzbildungen auf den Körnern
und lassen sich bezeichnen durch Sclerotium clavus,
Uredo caries, Rubigo. Auch durch Feuchtigkeit, Gährung,



Raphania, Morb. cerealis, Convuls. cereal. 553

Insecten kann das Getreide in Verderbniss gerathen und dadurch
sein Genuss schädlich werden.

Dass nicht auch andere Bedingungen zur Entstehung einer
En- und Epidemie der Kriebelkrankheit noch mitwirken, unter-
liegt wohl keinem Zweifel, wenigstens sieht man sie vorzugs-
weise gern in sumpfigen Gegenden, in gewissen Districten, unter
Menschen, die durch Elend herabgekommen sind, herrschen.

Prognose. Günstiger gestaltet sich die convulsive, als die
gangränöse Art. Je häufiger die Paroxysmen des Krampfes wie-
derkehren oder gar epileptischen tetanischen Anfällen ähnlich
werden, desto schlimmer. Günstige Zeichen sind: Ausbruch von
Phlyctänen und Hautausschlägen, von Schweiss, Durchfall. —
In der gangränösen Art richtet sich die Vorhersage nach der
Ausdehnung des Brandes, und nach der Neigung sich zu begrän-
zen; feuchter Brand ist schlimmer als trockner. Manche Epi-
demien sind besonders bösartig.

§. 264.

Nach den zu Anfange der Beschreibung der angegebenen
Erscheinungen, die als die ersten in dieser Krankheit aufzutre-
ten pflegen, ohne gleich von den ihr eigenthümlichen characte-
ristischen Symptomen begleitet zu sein, dürfte man sich leicht
versucht fühlen, die Krankheit für eine heftige Art Febris i n-
flammatoria zu halten, und demzufolge Aconitum Napellus
in kleinen Gaben dagegen anzuwenden. Noch passender jedoch
dürfte gegen die erwähnten eigenheitlichen Symptome Arsenik
erscheinen, der auch ausserdem noch die ängstliche Respiration,
das krampfhafte Herzklopfen, den eigenthümlichen Zungenbeleg,
die Mattigkeit u. s. w. unter seinen Erstwirkungen aufweisen
kann, und auch nach den von homöopathischen Aerzten mit ihm
angestellten Versuchen in dieser Krankheit sich hülfreich erwie-
sen hat; doch bezieht sich das günstige Resultat dieser Arznei
wohl mehr auf die gangränöse Form derselben. Nicht minder
wichtig, sollte ich meinen, wäre aber auch Belladonna, die eben-
falls jene brennende Hitze, jenen heftigen, fast unauslöschlichen
Durst in ihren Primär- Wirkungen hat, und jedenfalls den Vorzug
vor den beiden genannten Mitteln verdient, wenn die nervösen

36*



554 Kornstaupe, Kriebelkrankheit.

Zufälle, selbst das eigentümliche Zittern der Glieder, leichte
Convulsionen der Extremitäten, die verengerte, unbewegliche
Pupille, die Nebel und Flecken vor den Augen zugegen sind.
Der erfahrenere Praktiker wird wenigstens bei einem ihm vor-
kommenden ähnlichen Krankheitsbilde immer bei der Wahl der
Mittel mit an Belladonna*) denken. Eben so wichtig ist aber
auch Rhus, wenn die nervösen Erscheinungen deutlich hervortre-
ten und die Krankheit sich mehr einer nervosa stupida nähert,
ohne bedeutende krampfhafte Zufälle in ihrem Gefolge zu haben.

Wichtiger sind aber unstreitig Stramonium und Hyoscyamus,
die beide jenen krampfhaften Erscheinungen, die bald nach dem
Entstehen der Krankheit sich einstellen, sehr characteristisch
entsprechen. Eyoscyamus wird jederzeit aber früher Anwen-
dung finden, als Stramonium, weil die Zufälle, für welche letzte-
res Mittel passt, immer erst in den höheren Graden der Krank-
heit sich entwickeln; die aber, denen Hyoscyamus entspricht,
schon in der ersten Zeit gegenwärtig sind.'

Nach den seitdem bei Behandlung dieser Krankheit gemach-
ten Beobachtungen sind die genannten Mittel mehr in den Folge-
krankheiten indizirt, namentlich ist es Belladonna in einer eigen
gearteten Stupidität und Nervenschwäche.

Das sicherste Mittel, das* ich in meinem Notiz -Buche,
von Hahnemann vor vielen Jahren schon erfahren, als
solches dagegen aufgezeichnet habe, aber aus Mangel eines
vorkommenden Falles nicht in der Erfa^ung habe prüfen kön-
nen, ist Solanum nigrum. Der verstorbene Dr. Gross in Jüter-
bogk**) war so glücklich, mehre Fälle der Art in Behandlung
zu nehmen, (auch Dr. Kretzschmar in Beizig hat dieses Mit-
tel hülfreich gefunden, wie der Leser in der Allgem. hom. Zeit.
B. I. Nr. 3. S. 23 finden wird) und ob er gleich einige der vor-
her genannten Mittel mit Nutzen dagegen angewandt hatte, so
entging es seinem Scharfsinne und seiner Umsichtigkeit bei Be-
handlung der Krankheiten doch nicht, dass sie das nicht leiste-
ten, was er sich von ihnen in dieser Krankheit versprochen



*) Man sehe meine praktischen Erfahrungen über Belladonna (Port-
setzung) in XI. B. des Archivs, 2tem Hefte. S.49.
**) S. Archiv XI., Heft L, S. 92.



Raphania, Morb. cerealis, Convuls. cereal. 555

hatte, und so wendete er das Mittel in mehren Fällen mit dem
glücklichsten Erfolge an und hält sich überzeugt, dass es das
Spezificum für diese Krankheit ist. Ich erlaube mir aus seinen
am 10. August 1831 mitgetheilten Erfahrungen das hieher Gehö-
rende wörtlich anzuführen :

„ — Im Spätsommer des Jahres 1830 erhielt ich eine
Aufforderung, einem jungen Bauerburschen in einem entfernte-
ren Dorfe, welcher seit einiger Zeit an epileptischen Krämpfen,
mit Raserei verbunden, litte, Arznei zu verordnen. Bios ge-
sprächsweise erfuhr ich noch von dem Boten, dass auch noch
ein jüngerer Bruder des Kranken an einem schmerzlichen Kne-
beln in den Gliedmassen mit Verkrümmung der Hände zu lei-
den angefangen hätte, allein für diesen sollte ich nichts verord-
nen, weil gegen diese Krankheit, welche dort sehr gemein wäre,
doch keine Hülfe sich fände. Eine so erwünschte Gelegenheit,
die Kriebelkrankheit zu behandeln, durfte ich mir nicht entgehen
lassen. Ich gab daher dem Boten auch für diesen zweiten Kran-
ken Arznei mit, die in Solanum nigrum ~ bestand. Ich gab
diess Mittel blos darum, weil Hahnemann schon im Jahre 1796
die Spezifizität dieser Pflanze gegen die Kriebelkrankheit theo-
retisch ausgesprochen hatte *). Denn da ich beim Mangel eige-
ner Erfahrungen an irgend eine Autorität mich halten musste,
so wollte ich lieber einem theoretischen Ausspruche unseres
grossen Meisters folgen, als die zweideutigen Erfahrungen der
Allöopathen zur Richtschnur nehmen. Dass aber der, mit Kräm-
pfen behaftete Rasende aus gleicher Quelle leide, fiel mir wirk-
lich gar nicht ein, und so erhielt dieser letztere eine Dosis
Eyoscyamus. Nach wenigen Tagen kam der Vater beider Kran-
ken selbst zu mir und erzählte, dass sein jüngerer Sohn völlig
genesen sei, der ältere dagegen zwar nicht mehr rase, aber doch
bewusstlos und mit krampfhaft verzerrten Gliedmassen liege ;
zugleich seien noch zwei andere Kinder eben so, wie der zweite
Sohn erkrankt, und ich solle daher auch diesen helfen. Auf
mein weiteres Erkundigen hörte ich nun wohl, dass der älteste
Sohn ebenfalls nur an der Kriebelkrankheit, jedoch in ihrem

*) S. Kleine medizinische Schriften von S. Hahnemann; gesammelt
und herausgegeben von Dr. E. Stapf. B. I. 1829. S. 162.



556 Kornstaupe, Kriebelkrankheit.

höchsten Grade litt, und so erhielt auch dieser, nebst den beiden
neu erkrankten Kindern, eine Dosis Solanum nigrum. Nicht
lange darauf wurden mir aus demselben Dorfe einige andere
Kriebelkranke mit dem Bemerken gemeldet, dass jene drei völ-
lig genesen wären, und so habe ich nachher aus jener ganzen
Gegend eine Menge von Kranken dieser Art, die zum Theil das
Uebel schon in dem erwähnten höchsten Grade bis zur Raserei
hatten, auf gleiche Weise behandelt und alle geheilt. Später
hatte ich auch noch zwei solche Kranke in der Nähe, und den
einen bekam ich selbst zu sehen. Dieser, ein Knabe von etwa
6 Jahren, hatte die Krankheit eben erst bekommen. Die Hände
waren einwärts gekrümmt und die Füsse eben so einwärts ge-
bogen. Doch konnte der Knabe noch zur Noth minutenlang
stehen, wiewohl der Krampf, in welchem die willkürliche Aus-
streckung der Extensoren mit der willkürlichen Zusammenzie-
hung der Flexoren begriffen war, ihm das Ansehen gab, als
wollte er hüpfen. In den Gesichtsmuskeln war bereits eine
entfernte Andeutung von Lachkrampf zu erkennen. Er erhielt
ebenfalls Solanum nigrum ~ und die Primärwirkung war darauf
so stark, dass er den folgenden Tag nicht mehr stehen konnte,
und die Hände noch mehr einwärts gekrümmt erschienen. Am
dritten Tage war es wieder, wie am ersten, und den vierten
zeigte sich keine Spur mehr von Krampf. Ich bin daher der
Meinung, dass eine Dezillion - Potenzirung von Solanum nigrum
in jedem Falle besser wirken wird."

„Nach Allem, was ich über das Characteristische der Krank-
heit habe in Erfahrung bringen können, hatte dieselbe viel
Aehnliches mit der im Jahre 1770 und 1771 im Zellischen herr-
schenden und von J. Taube*) ausführlich beschriebenen Seuche.
Nur begann bei uns der Anfall meist plötzlich, ohne deshalb so
schnell zu tödten, wie es dort der Fall war, wo die Krankheit
einen zwiefachen Verlauf zu halten pflegte und allemal schnell
den Tod herbeiführte, wenn sie ohne Vorboten eintrat. Zuckun-
gen und später tonische Krämpfe, Einwärtskrümmungen der Glie-
der, so dass z. B. das Handgelenk ganz einwärts gebeugt, die



*) J. Taube, die Geschichte der Kriebelkrankheit im J. 1770 und
1771. Göttingen 1783. 8.



Raphania, Morb. cerealis, Convuls. cereal. 557

Finger in die Hand gezogen und der Ellbogen auf die Brust ge-
stemmt waren, selbst Tetanus — wurde hier, wie dort bemerkt;
auch bis zur Epilepsie, zum Blödsinn, zur Tobsucht kam es in
mehren Fällen, und das Sardonische Lachen ward wenigstens
angedeutet, selbst in den gelinderen Graden der Krankheit. Al-
lein alle diese Ausbrüche hob Solanum nigrum in wenigen Ta-
gen, ohne dass Würmer abgingen, wodurch dort lediglich die
Todesgefahr abgewendet wurde. Den noch höheren Grad der
Krankheit, welchen Taube unter der Form des Brandes beob-
achtete, hat man bei uns nicht entstehen sehen." Gesetzt aber,
er zeigte sich auch bei uns, so würde kein Mittel sich hülfreicher
dagegen erweisen, als Seeale comutum, das auch da, wo Sola-
num nigrum nutzlos angewendet worden ist, als homopathisches
(isopathisches) Mittel Beachtung verdient.

Gegen die von den Schriftstellern angegebenen höheren
Grade der Krankheit wage ich nicht, Mittel anzugeben, da ich
selbige nicht für festständig, sondern wechselnd und verschieden-
artig gestaltet halte, je nach den von dem behandelnden Arzte
verordneten Arzneien, die wohl in den wenigsten Fällen dem
Krankheits-Zustande entsprechen, ihm aber doch immer eine an-
dere Form und Gestalt aufdrücken dürften, die nicht der Krank-
heit allein, sondern der Arznei zugleich beizumessen sind, was
sich von Mitteln, wie die dagegen empfohlene Valeriana, Li-
quor C. C. succ., Camphora, Moschus, Opium u. s. w., wohl er-
warten lässt.

§. 265.

Wir kommen nun zu der zweiten Formdieser Krank-
heit, die sich durch die längere Dauer, durch die deutlichen
Exacerbationen , Paroxysmen und Remissionen unterscheidet.
Diese Form, die ich selbst einigemal, unter einer weniger hefti-
gen Gestalt, behandelt habe, sah ich immer nur unter der nie-
drigsten Klasse von Menschen auftreten, die in feuchten Woh-
nungen sich aufzuhalten, und nur von Kartoffeln, Cichorienbrühe
und Kartoffelbrod sich zu nähren genöthiget waren. — Immer
schien mir vom Anfange Belladonna das passendste Mittel, das
aber nie allein die Krankheit zu beseitigen vermochte, im Ge-
gentheil bedurfte ich dazu noch mehrer Mittel, die ich bald unter



558 Hundswuth, Wasserscheu.

denen im vorletzten Paragraphen angegebenen wählte, bald aber
auch in Ignatia amara fand , die vornämlich dann angezeigt war,
wenn die convulsivischen Bewegungen denen eines Veitstanzes
(s. das vorige Capitel) ähnelten. Cina wendete ich versuchsweise
einmal mit sehr glücklichem Erfolge an, da bei den krampfhaf-
ten Beschwerden, die in diesem Falle den Unterleib vorzüglich
ergriffen hatten, auch Erbrechen sich einstellte, wodurch mehre
Würmer ausgebrochen wurden. Bei einer ähnlichen Krankheit,
wo die convulsivischen Bewegungen, bei jedem neuen Paroxys-
mus, immer heftiger wurden und keins von allen erwähnten Mit-
teln eine dauernde Hülfe heryor brachte, gab ich Cuprum aceti-
cum mit dem ausgezeichnetsten Nutzen, dem ich nach 8 Tagen
noch eine Gabe China, zur Beseitigung der zurückgebliebenen
Schwäche, folgen Hess.

Jedenfalls sind auch in dieser Form der Kriebelkrankheit,
wie aus den Beobachtungen der sie behandelt habenden Aerzte
ersichtlich ist, Solanum nigrum, Seeale comutum und Arsenicum
die speeifischen Mittel, die vor allen andern angewendet werden
müssen, wenn trockner und feuchter Brand die Krankheit be-
gleitet.

§. 266.

Hundswuth, Wasserscheu. Hydrophobia, Rabies canina.

Die Krankheit entsteht durch Uebertragung eines speeifi-
schen thierischen Krankheitsgiftes, des Wuthgifts, auf den mensch-
lichen Körper, und zwar mittels Inoculation des Gifts in ver-
letzte Theile, Bisswunden u. dgl.

Symptome der Hundswuth. Die ersten krankhaften
Erscheinungen treten meist zwischen dem 7. bis 40. Tage nach
geschehenem Bisse auf; doch soll die Krankheit auch, wie man
behaupten will, oft noch viel später, selbst nach Jahren, aufge-
treten sein. Das Stadium prodromorum dauert oft 2 — 12
Tage. Die Bisswunde heilt gewöhnlich wie jede andere unbe-
deutende Verletzung. Ist die Wunde noch nicht völlig geheilt,
so wird sie, bei Entwickelung der ersten krankhaften Erschei-
nungen, livid, schwammig, schmerzhaft, sondert einen dünnen
ichorösen Eiter ab. War die Wunde geschlossen, so entzün-
det sie sich von Neuem und bricht auf; der Kranke klagt über



Hydrophobia, Rabies canina. 559

Jucken, Schmerzen, welche von der Wunde oder Narbe längs
des Nerven gegen Hals und Rumpf schiessen; oft hat er das Ge*
fühl von Taubheit, Eingeschlafensein, Starrheit in dem gebisse-
nen Gliede oder dasselbe wird convulsivisch bewegt.

Allgemein verbreitete Symptome sind: ängstliche Verstim-
mung, Trübsinn, Schreckhaftigkeit, höchste Bekümmerniss über
seinen Zustand und seine Zukunft; er sucht die Einsamkeit;
sein Schlaf ist unruhig, durch wilde Träume (von Hunden) und
schreckhaftes Auffahren unterbrochen, oder er ist völlig schlaf-
los. Patient klagt über Mattigkeit, ziehenden Schmerz im Nacken
und Rücken, über brennende Empfindung im Schlund und Magen;
Empfindlichkeit gegen Zugluft und Kälte, Wechsel von Hitze und
Frost. Oft stellt sich Schwindel , Ohrenklingen , Verdunkelung
des Gesichts, Uebelkeit, Erbrechen grüner Galle ein. Das Ge-
sicht ist häufig entstellt, bleich, das Auge matt, die Sprache hohl
und zitternd, der Athem beengt, der Puls klein, der Harn blass.
Manche Kranke haben einen ungemeinen Trieb zum Beischlafe,
fortwährendes Harndrängen, wobei der Urin nur tropfenweise
abgeht.

Stadium morbi. Hier kommt die Krankheit nun zu ihrem
völligen Ausbruche und zeigt sich als Stadium convulsi-
vum, hydrophobicum oder furibundum in ihrer scheuss-
lichsten Gestalt. Der Kranke hat den schrecklichsten Widerwil-
len gegen alle Flüssigkeit, trotz des heftigsten Durstes ; er kann
nichts Flüssiges schluken, noch sehen, das Geräusch von Flüs-
sigkeit nicht hören; jeder Versuch, ein Paar Tropfen Wassers
zu verschlucken, schnürt ihm Kehle und Brust zusammen, erregt
die heftigsten Erstickung drohenden Convulsionen der Gesichts-,
Hals-, Brust- und Bauchmuskeln; ja selbst blosses Speichel-
schlucken und der Gedanke an das Trinken erregt diess. Patient
hat das Gefühl heftigster Brustbeklemmung und muss deshalb
oft seufzen. Oft erregt der geringste Luftzug, das Bewegen des
Vorhanges, die Berührung des Körpers, Convulsionen ; das Auge
ist lichtscheu; glänzende Gegenstände, Spiegel, ein brennendes
Licht sind dem Kranken peinlich und verursachen Krämpfe; je-
des Geräusch ist ihm schmerzhaft — daher treten oft, ohne
scheinbare Veranlassung, periodische Anfälle von krampfhafter
Beklemmung, Zusammenschnürung des Schlundes und Kehlkopfs



560 Hundswuth, Wasserscheu.

ein. Anfangs vermehrte Absonderung eines dicken, zähen, schau-
migen Speichels , daher Geifern und beständiges Ausspucken,
schon zum Theil aus Furcht, denselben hinterzuschlucken.

Endlich wandelt sich die Krankheit zur wahren Wuth und
epileptischen oder tetanischen Anfällen um; Palient verfällt perio-
disch in wüthende Delirien, worin er der enormen Muskelstärke
wegen kaum zu bändigen ist; dabei spuckt er um sich, beisst,
sucht seinen Wärtern zu entrinnen, zerreisst Kleider und Betten,
heult, bellt wie ein Hund und sucht seinem qualvollen Zustande
ein Ende zu machen; das blutrothe Auge rollt wild und der
Schreck mahlt sich in den Gesichtszügen des Kranken. Oft ver-
fällt er in epileptische Convulsionen oder Starrkrampf. Die An-
fälle dauern von ^- bis ^ Stunde. In den Intervallen zeigt sich
die grösste Erschöpfung; Patient ist da meistens bei vollem Be-
wusstsein, warnt seine Umgebung vor der Gefahr seiner Raserei
und bittet um Beendigung seiner furchtbaren Leiden. Zuweilen
findet Erbrechen, bei Männern während des Anfalls Priapismus
mit Saamenentleerung, bei Weibern Furor uterinus statt. Puls
beschleunigt bis zu 130 — 150 Schlägen, klein, unordentlich.
Mit zunehmender Krankheit kehren die Anfälle immer häufiger
und heftiger zurück und führen nach 24 Stunden, nach 2 bis
3, seltener nach 5 bis 8 Tagen, zum Tode, meist durch Erschö-
pfung (Apoplexia nervosa); der Kranke wird oft zuletzt
ruhig, kann sogar wieder Flüssigkeit zu sich nehmen und stirbt
sanft, soporös — oder in einem heftige^ Anfalle von Zuckungen
asphyktisch. — Abweichungen kommen auch hier, wie bei jeder
andern Krankheit vor, doch sind sie nicht so erheblich, dass sie
in dem Heilverfahren eine wesentliche Aenderung bedingten,
da die characteristischen Symptome immer dieselben bleiben und
nur durch ihre grössere oder geringere Intensität jene etwaigen
Abweichungen bedingt werden, z. B. dass die Unmöglichkeit zu
schlingen nicht in allen Fällen vorhanden ist; in manchen sich
blos auf den Genuss des Wassers bezieht, während Kaffee, Bier
oder feste Substanzen verschluckt werden können; oder die Hydro-
phobie findet blos in den Paroxysmen statt; oder der Kranke kann
das Wasser schlucken, wenn er es nicht sieht, und die Nase ihm
zugehalten wird. Ja wir haben Fälle, wo die Hydrophobie gar
nicht zum Ausbruche kommt, sondern die Cerebralaffection giebt



Hydrophobia, Rabies canina. 561

sich nur durch höchst gesteigerte Angst und Empfindlichkeit kund;
diess mag besonders dann der Fall sein, wenn der Kranke, nach
dem Bisse eines Hundes, von der fortwährenden Furcht gepeinigt
wird, die Krankheit werde ihn befallen — wo also eine aufs
höchste gesteigerte lebhafte Einbildungskraft nur einen simulir-
ten, der Hydrophobie ähnlichen, Krankheitszustand herbeige-
führt hat.

§. 267.

Bezüglich der anatomischen Charactere erwähne ich
nur das Constatirte. Im Allgemeinen zeichnen sich die Leichen
Hydrophobischer durch schnelle Verwesung aus; das Blut ist
dunkel, dünnflüssig und wird rasch von den Geweben imbibirt;
das Venensystem ist überfüllt. In den grossen Gefässen findet
man häufig Luft, und Emphysem entwickelt sich rasch. Die
ganze Oberfläche des Körpers ist blauroth, die Oberhaut sehr
trocken, alle Muskeln sind dunkelroth und so wie die Flechsen
sehr steif und gespannt.

Ursachen. Die Wuth ist eine Krankheit, die sich spontan
nur im Hundegeschlechte und bei Katzen entwickelt. Spontane
Wuth ist an allen Arten von Hunden, an Wölfen, Füchsen, Scha-
kalen und Katzen beobachtet worden. Von diesen kann das
Wuthgift nicht blos auf den Menschen , sondern auf alle warm-
blütigen Hausthiere — Pferde, Rinder, Schaafe, Schweine, Zie-
gen — übertragen werden; doch scheint sich in den Pflanzen-
fressern das Wuthgift selbst nicht wieder zu reproduciren. Das-
selbe gilt auch vom Menschen und alle bis jetzt gesammelten
Erfahrungen sprechen dafür, dass der Biss eines wuthkranken
Menschen gefahrlos sei.

Wie und wodurch die Krankheit in Hunden u. s. w. entstehe,
ist eine bis jetzt noch ungelöste Frage, die vermuthungsweise nur
beantwortet weiden kann. Jedenfalls entsteht das Wuthgift aus
dem Zusammenwirken terrestrischer, atmosphärischer, individuel-
ler und occasioneller Momente. So nimmt man an, dass ausser»
ordentliche Hitze in den Hundstagen und ausserordentliche Käl-
tegrade die Wuth in Hunden erzeugen könne; doch kommt die
Krankheit zu, allen Jahreszeiten vor in Ländern aller Zonen
und fehlt oft da, wo Temperatur-Extreme herrschend sind. Auch



562 Hündswüth, Wasserscheu»

gehinderte Befriedigung des Geschlechtstriebes bei Hunden soll
eine Ursache des Wuthausbruchs mit sein, eben so schlechte fau-
lende Nahrung, Entbehrung frischer Fleischnahrung, Mangel an
Trinkwasser bei gleichzeitig herrschender grosser Hitze.

Die Wuthkrankheit tritt bei Hunden unter zwei Formen ein,
der sogenannten rasenden und stillen Wuth. Früher galt
als unzweifelhaft: dass ein toller Hund sich immer vor dem
Wasser scheue, dass ihm Schaum vor dem Maule stehe, dass er
den Schwanz zwischen die Beine klemme und immer grade aus
laufe. Diess Alles ist, nach den gemachten Beobachtungen,
theils unrichtig, theils nur bedingt wahr. Selbst im höchsten
Grade der Tollheit sind die Hunde nicht immer wasserscheu, im
Gegentheil saufen sie und schwimmen sogar durchs Wasser;
eigentlich wasserscheu wird nur der wuthkranke Mensch. Das
Schäumen und Ausfliessen von Speichel aus dem Munde kommt
nur bei stilltollen Hunden vor etc.

Wichtigere Kennzeichen der Wuthkrankheit bei Hunden sind :
Veränderung ihres Betragens, Unruhe, rastloses Umherstreifen,
Entweichen aus dem Hause, Mangel an Fresslust, Fressen von
Dingen, die im gesunden Zustande nicht zu ihrer Nahrung dienen,
wie Holz, Stroh, Torf, Koth u. dgl., Leibverstopfung, Erbrechen,
eigenthümliche rauhe, heisere heulende Veränderung der Stimme
und des Bellens, Neigung zum Anfallen und Beissen, meist nur
hastiges Schnappen nach leblosen Dingen, in die Luft, veränder-
tes, mageres, struppiges, schläfriges ARehen, Röthung der Bin-
dehaut und Lichtscheu; bei der stillen Wuth ausserdem läh-
mungsartiges Herabhängen des Unterkiefers, Geifern, Hervorstehen
der Zungenspitze zwischen den Zähnen, endlich Lähmung der
Hinterbeine. Alle so erkrankten Hunde sterben zwischen 6 —
8 Tagen, oft schon früher, .plötzlich apoplektisch.

Die in den Leichen wüthiger Thiere gefundenen Veränderun-
gen sind: dunkles, theerartiges Blut; Entzündung des Pharynx,
der Tonsillen, Epiglottis, Larynx und Magenschleimhaut; im Ma-
gen noch Anhäufung verschluckter unverdaulicher Stoffe. Nicht
selten auch Entzündung des Zwölffinger- und Leerdarms ; Anfül-
lung der Luftröhre und Bronchien mit zähem, blutigem Schaume,
Blutüberfüllung des Gehirns und Rückenmarks.



Hydrophobia, Rabies canina. 563

Fortgepflanzt wird das Wuthgift durch den Speichel und
Geifer; wird dieser in eine Wunde oder auch auf eine mit zarter
Oberhaut versehene Hautslelle gebracht, so theilt sich die Wuth-
krankheit mit; das Contagium ist fix, steckt nur durch Contact
an. Fleisch, Milz, Nervenmasse enthalten kein Wuthgift. Immer
muss das Gift von aussen durch Wunden, oder durch Belecken
zarter Theile in den Körper und resp. in die Blutmasse aufge-
nommen werden, wenn es seine virulenten Wirkungen äussern
soll. In den Magen aufgenommen, wirkt es nicht vergiftend. —
Damit das Gift aber Hydrophobie erzeuge, muss noch eine beson-
dere Prädisposition Seitens des vergifteten Subjects vorhanden
sein. Glücklicherweise steckt nicht jeder Biss eines wuthkran-
ken Thieres an, weil die dazu nöthige Empfänglichkeit nicht in
jedem Subjecte gleichmässig vorhanden ist. Hunt er erzählt
,,4 Menschen und 12 Hunde wurden von einem wüthenden
Thiere gebissen; alle Hunde starben, die Menschen aber blieben
frei." In einem andern Falle wurden 20 Personen von ein und
ebendemselben Hunde gebissen und nur Eine erkrankte. Viel-
leicht verliert das Wuthgift auch von der Intensität seines An-
steckungsvermögens, wenn ein wüthender Hund mehrere Thiere
oder Menschen schon gebissen hat, und nur die zuerst Gebisse-
nen bekommen die Krankheit. Alter, Geschlecht, Constitution
kommt bei der Empfänglichkeit für das Wuthgift nicht in Be-
tracht.

Das Wuthgift behält seine ansteckende Kraft und es scheint
der Zerstörung längere Zeit zu widerstehen. Es hängt sich an
Stroh, Holz, Kleidungsstücke und andere von dem wüthenden
Thiere begeiferte Stoffe und wird dadurch oft erst nach längerer
Zeit Ursache der Verbreitung der Krankheit.

Wie lange aber das Gift im Körper latent bleiben könne, be-
vor es seine zerstörende Wirkung äussert, darüber sind die Mei-
nungen sehr getheilt; selten entwickelt sich seine Kraft vor
dem 10. Tage, ja man will sogar Monate und Jahre darüber ha-
ben verstreichen sehen, was jedoch wohl auch auf Täuschung
beruhen kann, indem ja bekanntlich zu einem schon vorhandenen
Krankheitszustande sich leicht auch Erscheinungen hinzugesellen
können, die einem hydrophobischen Leiden nicht unähnlich sehen
und mit dem Namen Hydrophobia spontanea zu bezeich-



564 Hundswuth, Wasserscheu.

nen sind. Wir finden einen solchen Schlundkrampf mit Scheu
vor dem Schlingen flüssiger Gegenstände bei Hysterischen, Ner-
venkranken, in typhösen und andern Fiebern, in örtlichen
Krankheiten des Pharynx, Oesophagus, Nervus vagus. — Der
Ausbruch der wirklichen Wuthkrankheit beim Menschen kann
übrigens noch beschleunigt werden durch Excesse, psychische
Aufregungen, Zorn, Furcht, Schreck, Beischlaf. (Canstatt.)

Unter der Prognose ist zu bemerken, dass, wie schon
bemerkt, keineswegs immer und in jedem Individuum der Biss
eines tollen Thieres die Wuthkrankheit nach sich zieht. Ist
schon längere Zeit — Monate, Jahre — nach dem Bisse ver-
flossen, ohne dass verdächtige Erscheinungen sich einstellten, so
ist wohl selten noch etwas zu befürchten. Dagegen ist bei
ausgebrochener Wuthkrankheit die Prognose nicht zu günstig
zu stellen.

§. 268.

Die Allöopathie hat schon manches Verfahren aufgestellt,
was theils zur Verhütung, theils zur Heilung der Krankheit selbst
ausreichend sein solle. Die grosse Menge der dagegen gerühmt
ten Mittel giebt schon selbst einigermassen zu verstehen, dass-
jene eine zuverlässige Heilart nicht kennt, denn sonst würde sie
sich an diese Einzige halten. — Ein grosses und sehr nach-
theiliges Vorurtheil der allöopathischen Aerzte ist das grosse
Vertrauen, welches sie auf einige, theHi äusserlich, theils inner-
lich angewendete, für untrüglich gehaltene Mittel setzen, und
kommt daher, dass man bei solchen von Hunden Gebissenen, die
man für toll hielt, mit allem Eifer, bei der zweckmässigen äus-
seren Behandlung, ein gewöhntes Spezificum anwendete und
Keinen an der Wasserscheu erkranken sah. Untersuchte man
jederzeit beim ersten so glücklichen Gebrauche eines gerühmten
Spezificums die Sache ernsthafter, so würde man oft gefunden
haben, dass der Biss gar nicht gefährlich war, das Mittel also
leicht helfen konnte, weil nichts zu helfen war. Auf diese Art
würden viele unglücklich abgelaufene Fälle verhütet worden
sein, wenn man kein so unumschränktes Vertrauen auf ein dage-
gen empfohlenes Mittel gesetzt hätte! Ich erinnere nur an das
selbst von der preussischen Regierung vor mehren Jahren obrig-



Hydrophobia, Rabies canina. 565

keitlich bekannt gemachte Arcanum, die sogenannte Maywurm-
Lalwerge, ferner an das von einer ärztlichen Commission in eben
diesem Lande anempfohlene Aderlassen bis zur Ohnmacht, die
wohl nicht selten auch in den Tod übergeht. Unwillkürlich
denke ich bei dieser Admonition an die jetzigen vielgerühmten
Spezifica gegen die uns so grossen Schrecken erregende asiati-
sche Cholera, deren Heilung, nach den Grundsätzen der älteren
Schule, dessenungeachtet sich doch um kein Haar verbessert hat,
zum sichersten Beweise, dass es auch mit diesen vielgepriesenen
Spezificis eine eben solche unsichere Bewandtniss hat, als mit
jenen gegen die Hundswuth. Wie es hier ist, so ist es auch
dort — die ältere Schule findet kein Speziiicum, was ihr nicht
der gemeine Mann oder der Zufall in die Hände spielt, und hat
sie es ja gefunden, so behält sie es nicht lange, weil sie es
dann durch ihr Mischungs-Vergnügen so verballhornisirt, dass es
alle spezifische Kraft verlieren muss. Die ältere Schule kann
aber auch kein Spezificum finden, weil sie sich nicht bestrebt,
die Arzneien und ihre physiologischen Wirkungen specieller
kennen zu lernen, als es zeither der Fall gewesen ist, wo sie
sich mit den allgemeinen Wirkungen derselben begnügte, aber
auch begnügen musste, weil sie den einzig sicheren Weg, auf
welchem diess zu erlangen ist, nicht betreten hat und nicht be-
treten will, da die Homöopathie ihn vorschlägt. Ein zweiter
Grund, warum ihr das Auffinden von Spezificis nie gelingen wird,
ist: dass sie sich nicht um die Heilung der Krankheit kümmert,
bevor sie nicht erst das Wesen, die causa proxima, die causa
morbi interna erforscht hat, aus welcher sie alsdann das passende
Mittel zu abstrahiren meint, ohne zu bedenken, dass das Auffin-
den des specifischen Heilmittels gegen das Sumpfwechselfieber,
gegen die venerische Krankheit, gegen die Krätze u. s. w. ihr
auf diese Art nie und in alle Ewigkeit nicht gelungen sein würde,
wenn ihr nicht ein glücklicher Zufall dazu verholfen hätte, wor-
nach es ihr alsdann weit leichter wurde, sowohl das Wesen der
Krankheit, als auch die Krankheit selbst zu definiren, und eine
Erklärung, wie diese Spezifica in den genannten Krankheiten
wirken , zu geben. Ob diese Erklärungs - Versuche auf ganz
sichern Basen beruhen und unumstösslich sind , ist nicht zu er-
weisen, obgleich die Allöopathie sich abmühte, die Wirkung



566 Hundswuth, Wasserscheu.

der specifischen Heilmittel zu erklären und darüber eine Menge
Hypothesen aufzustellen; doch hängt zum Glück nichts davon ab,
da die Heilung der Krankheit nicht darauf, sondern auf dem ge-
fundenen specifischen Heilmittel beruht. Hiernach sollte man
meinen, würde die ältere Schule, seit beinahe 3000 Jahren,
wohl einsehen gelernt haben, dass auf diesem Wege es nicht
möglich ist, die Arzneien als specifische Heilmittel in Krankhei-
ten kennen zulernen, sondern dass ein anderer, sicherer aufge-
funden werden müsse, den sie nicht einmal zu suchen nöthig hat,
da sie ihn, von der Homöopathie schon gefunden, nur betreten
darf; allein sie scheut treue und genaue Nachversuche und
schreit: malo cum Galeno errare, quam cum Harveyo esse cir-
culator!

Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir wieder zu
der in Rede stehenden Krankheit zurück, und bemerken ferner:
dass von wahrhaft tollen Hunden Gebissene, oft sogar Zer-
fleischte, doch bei weitem nicht alle von der Hundswuth ergrif-
fen werden. Man hat Beispiele, dass unter vielen von einem
tollen Hunde Gebissenen oft kaum der sechste, achte Theil von
der Wuth befallen wurde, während die übrigen weder ein medi-
cinisches noch chirurgisches Vorbauungsmittel brauchten und
dennoch gesund blieben. Hätte man diesen letzteren ein solches
Arcanum eingegeben, so würden eine Menge Menschen darauf
schwören, diess Mittel habe vor dem Ausbruche der Wuth ge-
schützt.

Diese beiden Umstände — die Häufigkeit der fälschlich für
toll gehaltenen und erschlagenen Hunde, und die Seltenheit der
Ansteckung des wirklich wüthigen Speichels, haben zu den tau-
send leeren Zeugnissen für die Verhütungskraft jener gepriese-
nen Arcane Veranlassung gegeben.

Es kann kein Vorbauungsmittel der Hundswuth geben, was
sich nicht zugleich als ein wahres , zuverlässiges Heilmittel
der schon wirklich ausgebrochenen Hundswuth erweist und er-
wiesen hat.

§. 269.

In der Vorrede zur Belladonna sagt Hahnemann: „Die
gewisseste Vorbauung der Hundswuth bleibt immer die



Hydrophobia, Rabies canina. 567

kleinste Gabe Belladonna alle 3, 4 Tage gegeben und die Hei-
lung in ein, zwei Gaben überhaupt." Da nun aber Belladonna
nicht das einzige Heilmittel dieser fürchterlichen Krankheit ist,
so kann sich der Fall leicht ereignen, dass die Krankheit selbst,
trotz dieses Schutzmittels, dennoch zum Ausbruche kommt, je-
denfalls aber in einer viel milderen Gestalt, wogegen alsdann
eins der später zu nennenden Mittel passend sein wird.

Bevor ich jedoch die innere Behandlung der Krankheit selbst
hier näher erörtere, ist es nöthig, auch unsere Meinung über die
örtliche Behandlung der Wunde anzugeben. Unsere Ansicht
ist, dass die Wunde weit einfacher behandelt werde, als die
Allöopathie es vorschlägt, weil vielfältige, nicht eigene, sondern
fremde Erfahrungen uns die Ueberzeugung gegeben haben, dass
das Wuthgift schon im Momente des Bisses, bei einer empfäng-
lichen Disposition, sich dem Gesammtorganismus mittheilt, indem
es nicht durch die Säftemasse, sondern durch den schnell über
den ganzen Körper sich verbreitenden Nervenreiz übertragen
wird. Demnach würde die örtliche Behandlung der Wunde,
nach homöopathischen Grundsätzen, blos darin bestehen, selbige
sorgsam zu reinigen und sorgfältig auszuwaschen und sie dann
mit Charpie, vielleicht mit etwas ungesalzener Butter oder etwas
Althäesalbe bestrichen, oder mit dem vom verstorbenen Apothe-
ker Otto in Rötha selbst gefertigten und, nach meinen damit
angestellten Versuchen und daraus gewonnenen Resultaten, sehr
zweckdienlichen homöopathischen Wundpflaster, zu bedecken.
Doch hängt auch weiter nicht so viel davon ab, wenn die Wunde
nach allöopathischen Grundsätzen behandelt wird, da diess auf
die Behandlung der nachfolgenden Wuthkrankheit keinen Ein-
fluss hat; es wäre denn, dass äusserlich auch, ausser dem Aus-
schneiden, Ausbrennen, Schröpfköpfe aufsetzen etc., Arzneimittel
angewendet worden wären, auf welche bei der nachfolgenden
homöopathischen Behandlung Rücksicht genommen werden muss.
So z. B. würde die Krankheit immer modificirt erscheinen , wo
die Wunde mit Cantharidenpulver äusserlich behandelt wurde,
und die innere Behandlung muss dann nothwendig eine Aende-
rung erleiden. Eben so wird das Einreiben von Quecksilber-
salbe bis zum Speichelflusse die nachherige homöopathische Be-
handlung wesentlich verändern. — Ausserdem findet noch der
II. 37



568 Hundswuth, Wasserscheu.

Unterschied Statt, dass bei dem Verfahren der Homöopathiker
die Gebissenen gar keine Schmerzen auszustehen haben, während
sie bei dem der Allöopathen auf einer wahren Tortur sich zu
befinden wähnen, und darum doch auch keine grössere Garantie
für den Nichtausbruch der Krankheit haben, als bei jenem Ver-
fahren. Unstreitig bleibt das Hauptmittel zur Verhütung der
Krankheit die innere Anwendung der Belladonna.

Wir gehen nun zu der innern Behandlung über und
werden, aus Mangel eigener Erfahrung, blos die Mittel hier an-
geben, die der Stifter der Homöopathie als Heilmittel gegen
diese Krankheit bezeichnete ; dann aber auch das von den DDr.
Hartlaub und Trinks*) dagegen vorgeschlagene anführen
und die darauf hindeutenden Symptomengruppen erwähnen.

Die wahren Geschichten von dieser fürchterlichen Krankheit
zeigen uns mehre Abweichungen derselben an Menschen , für
deren jede es ein genau passendes Heilmittel geben wird. Für
diese einzelnen Fälle nun ist entweder Belladonna , oder Eyos-
cyamus, oder Stramoninm, oder Cantharides das treffende homöo-
pathische Heilmittel, je nachdem der Inbegriff der Zufälle be-
schaffen ist. Schon hat die Belladonna einige vollständige
Heilungen bewirkt und sie würde es noch öfter ausgerichtet ha-
be^ wenn man nicht theils andere, die Hülfe störende Mittel
dabei angewendet, theils aber und vorzüglich, wenn man sie
nicht in so Ungeheuern Gaben gegeben und so die Kranken zu-
weilen mit dem Heilmittel selbst getötet hätte. Denn grosse
Gaben homöopathisch angemessener Arzneien sind weit gewisser
schädlich, als wenn sie ohne ähnlichen (homöopathischen) Bezug,
vielmehr in entgegengesetzter (antipathischer) Beziehung auf
den Krankheitsfall angewendet werden. Beim homöopathischen
Arzneigebrauche, wo die Gesammtheit der Krankheitssymptome
von der Arzneiwirkung in grosser Aehnlichkeit erreicht wird,
ist es ein wahres Verbrechen, nicht ganz kleine, möglichst kleine
Gaben zu geben, vorzüglich wenn die Krankheit so. höchst akut
ist, wie die Wasserscheu **).

Unstreitig ist Belladonna unter den vier genannten Arz-



*) S. deren Materia medica, Theil I.
**) S. Hahne mann's reine Arzn. M. L., B. IV. S. 45.



Hydrophobia, Rabies canina. 569

neien, das Hauptmittel. Sie zeichnet sich vornehmlich da aus,
wo ein vergebliches Haschen nach Schlaf, ein ängstliches Odem-
holen, ein öfteres Verlangen nach Getränken, die der Kranke
kaum erhält, als er selbige auch wieder von sich stösst, ein
brennendes Gefühl im Halse mit grosser Trockenheit, rothes, ge-
dunsenes aufgetriebenes Gesicht und funkelnde Augen, Ersticken
erregendes Niederschlingen bei übermässigem Durste (dieses
Zusammenschnürungs-Gefühl im Halse ist nicht immer vorhanden,
sondern zeigt sich nur immer bei jedem neuen Versuche, Etwas
hinabzuschlucken), Unvermögen zu schlucken, mit Furchtsamkeit
abwechselnde Begierde, nach den Umstehenden zu schnappen
und umher zu spucken, auch wohl zu entfliehen, beständige Reg-
samkeit des ganzen Körpers und Zucken einzelner. Muskelpar-
tien, vorzüglich der Gesichtsmuskeln, zugegen sind.

Obschon nun aber Belladonna nicht contraindizirt ist, wo
convulsivische Bewegungen der Extremitäten die Hydrophobie
begleiten, so wird Hyoscyamus doch immer den Vorrang ver-
dienen, wo die Convulsionen anhaltender sind, der Schlundkrampf
nicht in der grossen Heftigkeit zugegen ist, nicht sowohl die
Begierde, nach den Umstehenden zu schnappen und zu spucken,
als vielmehr ihnen ein Leid anderer Art zuzufügen, da ist. Sind
die Zufälle, wie ich sie jetzt angeben will, geartet, so passt
Hyoscyamus ganz vorzüglich:

Der Kranke klagt über grosse Trockenheit und brennende
Hitze im Halse, die ein stechendes Gefühl erzeugt und ein Hin-
derniss beim Schlucken abgiebt, das ihm wie eine Art Zusam-
menschnürung erscheint und bei Befriedigung des Durstes ihn
zu ersticken droht; doch zeigt er Abscheu vor Getränken, weil
er sie nicht schlingen kann, und ist es ihm ja möglich, das Ge-
tränk zu verschlucken, so bekömmt er bald nach dessen Genuas
Convulsionen, die ihn zugleich die Sinne berauben, und häufiges
Speichelausspucken. Zugleich redet er, wenn der Anfall gerade
nicht zugegen ist, im wachenden Zustande irre, delirirt ununter-
brochen, oder er ist still in sich gekehrt und höchst furchtsam,
oder es sind ausgezeichnete Wuthanfälle zugegen, in welchen er
Anderen Beleidigungen zuzufügen oder sie zu verletzen droht,
und übernatürliche Kräfte zeigt, so dass er kaum zu bändigen
ist; oft stellt sich bei ihm die grösste Angst ein, die mit Schreck-

37*



570 Hundswuth, Wasserscheu.

Erschütterungen, Zittern und Convulsionen abwechselt; dabei
äussert er wieder eine eigentümliche Furcht, von Thieren ge-
bissen zu werden; bald stellen sich blos leichte, convulsivische
Bewegungen der oberen und unteren Gliedmassen ein, bald sind
aber auch die krampfhaften Zufälle so heftig, dass sie ihm die
Gliedmassen krümmen, und den gebogenen Körper in die Höhe
werfen, wobei der Kranke oft wie im Schweisse gebadet ist.
Auch hier finden wir ein rothes, gechwollenes, aufgedunsenes
Gesicht. Schlaf findet sich hier wohl eher ein , als da , wo
Belladonna passt, allein er wird durch Aufschrecken , ängstliche
Bilder und Träume gestört, während bei Belladonna mehr ein
vergebliches Haschen nach Schlaf Statt findet.

Stramonium scheint vorzüglich da indizirt zu sein, wo fol-
gende Symptome zugegen sind : Unruhe , die heftigsten Convul-
sionen (die mehr den tonischen Character annehmen), wobei der
Kranke wüthend ist, dass er gebunden werden muss; schlaflos
wälzt er sich äusserst unruhig im Bette herum, und stösst ein
kreischendes Geschrei aus ; er delirirt ohne Gedächtniss und
Besinnung; äusserst erweiterte Pupillen; heftige Begierde zu
beissen, und Alles mit den Zähnen zu zerreissen : äusserste
Trockenheit des innern Mundes und Rachens ; beim Anblick eines
Lichtes, eines Spiegels oder Wassers, schreckliche Convulsionen,
unüberwindlicher Abscheu vor Wasser, mit Zusammenschnürung
und Convulsionen des Schlundes, Geifer vor dem Munde und
häufiges Ausspucken; geschwätziger "V^hnsinn mit Gesticulatio-
nen, Tanzen, Singen, Lachen.

Ob die Cantharides, nach Angabe der Herrn DDr. Hart-
laub und Trinks*) dem Ausbruche der Hundswuth wirklich
vorzubeugen im Stande sein werden, wird die Erfahrung leh-
ren; doch würde ich, bis auf die gewisse Bestätigung dieses
Ausspruchs, vor der Hand, bei vorkommenden Fällen, mich
der Belladonna als Vorbauungsmittel in der oben angegebenen
Dosis bedienen. Nach meiner Ansicht passen die Canthariden
bei ausgebrochener Hydrophobie dann: wenn der Kranke Wuth-
anfälle, abwechselnd mit Convulsionen bekömmt, die sich durch
Berührung der in der Gegend des Schildknorpels schmerzenden



*) S. deren Arzneimittellehre, B, 1.



Hydrophobia , Rabies canina. 571

Kehle, durch Druck des Unterleibes und beim Anblick des Was-
sers erneuern, wobei die Augen ein feuriges, blitzendes Ansehen
haben und sich fürchterlich in ihren Höhlen hin und her drehen;
und der Kranke wegen Brennen im Munde und in der Kehle,
bei grosser Trockenheit dieser Theile, nur mit Beschwerden, vor-
züglich Flüssigkeiten, zu schlucken vermag. Zugleich ist die
grösste Geilheit, bei fortwährenden schmerzhaften Erektionen
oder immerwährendem Jucken und Brennen in den inneren Ge-
schlechtstheilen , zugegen. Die Athembeklemmung und Angst
ist hier jedoch nicht so auffallend und characteristisch, als bei
den vorgenannten Arten, gegen welche Beilad. , Hyosc. und
Stramon. indizirt sind, dagegen sind die Convulsionen oft fürch-
terlich. — Ueberhaupt glaube ich, was ich auch schon an einem
andern Orte*) angegeben habe, dass die Cantharides dann indi-
zirt sind, wenn die Entzündlichkeit der Symptome mehr hervor-
sticht, so dass das verhinderte Schlingen nicht von Krampf im
Rachen und Schlünde, sondern der Krampf erst von einem in-
flammatorischen Zustande dieser Theile, oder vielmehr erst von
den beim Niederschlucken erregten Schmerzen abhängig ist.

§. 270.

Die symptomatische Hydrophobie (Hydrophobia
symp toma tica) ist, nach Verhältniss der Hauptkrankheit, weit
unbedeutender, nicht ansteckend, und nicht immer mit heftigen
Zufällen verbunden, ohne jene entsetzliche Angst, ohne Spei-
cheln. Sie entsteht ohne Wuthgift, ohne Biss, oft nach hefti-
gem Schreck oder Zorn, oder als Symptom inflammatorischer,
nervöser, hysterischer Erscheinungen, oder als Symptom eines
sehr angreifenden Ausschlags, oder einer anderen krampfhaften
oder bösartigen Krankheit. Jedoch kann auch Einbildungs-
kraft und Furcht, vorzüglich bei sehr sensibeln Subjecten, nach
einem unschuldigen Bisse, bedenkliche Zufälle erregen. Eben so
können auch die allöopathischen Vorbauungskuren, mit Bella-
donna, Canthariden und Mercur, die als Schutzmittel, nach den
Ansichten und Vorschriften der älteren Schule, in grossen Ga-



*) S. Archiv IX. Heft 3. S. 61.



572 Hundswuth, Wasserscheu.

ben gegeben werden müssen, wenn sie nützen sollen, täuschende
Erscheinungen hervorbringen, die der Unkundige und mit den
reinen Wirkungen der Arzneien auf den gesunden menschlichen
Körper nicht Vertraute für den Ausbruch der Wuthkrankheit
hält, welche er mit unpassenden Mitteln zu beseitigen sich
bemüht.

Diese symptomatische Hundswuth zu heben hat keine grosse
Schwierigkeit, wenn der homöopathische Arzt die Causalmomente
gehörig zu würdigen versteht. Hier gerade ist die Erforschung
der Erregungs-Ursache ein Haupt-Erforderniss , die sehr oft der
allöopathischen Behandlung zum Vorwurfe gereichen wird, weil
die Krankheit meistens durch den Missbrauch der genannten
Mittel, mögen sie nun als Schutz- oder als Heilmittel in Krank-
heiten angewendet worden sein, vorzüglich bei sehr erregbaren
Personen, entstanden ist. Der homöopathische Arzt wird leicht
enträthseln, ob diese symptomatische Hydrophobie der Gesammt-
Krankheit eigenthümlich angehört, oder durch den zu lange fort-
gesetzten Gebrauch, oder die übermässig starken Gaben der
Belladonna erzeugt wurde; im letzteren Falle wird kein Mittel
diesen Krankheits-Zustand leichter beseitigen, als schwarzer Kaf-
fee in grosser Menge, theils getrunken , theils in Lavements ap-
plicirt und nachher Hyoscyamus, von dem in den meisten Fällen
noch eine zweite, dritte, auch wohl vierte Gabe erforderlich
wird. Nicht unmöglich wäre es, dass die Gastaltung der Krank-
heit wohl auch einige kleine Gaben Camphora erheischte. Er-
zeugte sich die Krankheit durch die innwe oder äussere Anwen-
dung der Canthariden, so bedarf man zu ihrer Tilgung ebenfalls
des Kamphers, in öfter wiederholten Gaben , nach dessen Hülfs-
leistung der Arzt dann das zunächst passende Mittel für den
übriggebliebenen Krankheits -Piest leicht finden wird. Erregte
der Missbrauch des Mercur's die Krankheit, was freilich ohne den
Nebengebrauch der Canthariden oder der Belladonna nicht leicht
der Fall gewesen sein dürfte, da hydrophobische Erscheinungen
nicht in der Erstwirkung des Merkurs zu finden sind : so wird
bald Kampher, bald Opium, bald Belladonna , bald die Electrizi-
tät, bald ein anderes der vorher genannten Mittel, je nach den
hervorstechendsten Symptomen, Hülfe zu bringen im Stande sein.

Ist die Krankheit aber wirklich blos Symptom einer anderen



Epilepsie, Fallsucht. Morbus sacer, Morbus caducus, Epiiepsia. 573

bedeutenderen Krankheit und nicht durch Missbrauch jener Mit-
tel entstanden, so findet der homöopathische Arzt bei genauer
Erforschung und Aufzeichnung der Gesammtkrankheit leicht (da
gerade die hydrophobischen Symptome zugleich die characteri-
stischeren der letzteren ausmachen), dass immer eine von den
im vorigen Paragraphen angegebenen Arzneien zuerst indizirt
sein wird , um den Symptomen-Complex der Gesammtkrankheit
in seiner Totalität zu decken, und folglich nicht blos die symp-
tomatische Hydrophobie, sondern zugleich auch die oft sehr
bösartige Hauptkrankheit zu heilen.

S. 271.

Epilepsie, Fallsucht. Morbus sacer , Morbus caducus , Epiiepsia.

Jede Epilepsie besteht, wie andere Neurosen, in Paroxys-
men plötzlicher vollständiger Unterbrechung des Bewusstseins und
der Sinnesfunctionen mit Convulsionen. Jeder einzelne Paroxys-
mus lässt verschiedene Stadien in der Aufeinanderfolge der Symp-
tome unterscheiden. Doch ist es nicht bei allen Epileptischen
der Fall , dass die Paroxysmen alle Stadien gleichmässig durch-
laufen; bei Vielen fehlt bald das eine, bald das andere,

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #22 on: April 30, 2013, 09:44:03 PM »

Erstes Stadium. Ein sehr bekannter Vorläufer des Pa-
roxysmus ist die sogenannte Aura epileptica, doch immer
viel seltner, als man gewöhnlich glaubt. Es ist eine vom
Kranken wahrgenommene peripherische Nervenaction, die oft
nach dem Gehirn hinzustrahlen scheint und dort, oder schon
an denPräcordien, unmittelbar in Verlust des Bewusstseins en-
digt. Bald spricht sich diese Aura epileptica aus durch
Umneblung des Gesichts, Funkensehen, Ohrenklingen, ungewöhn-
liche Geruchsempfindung oder andere Sinnes-Hallucinationen, ein
andermal äussert sie sich durch Empfindung von Wärme, Frost,
Kitzeln, Prickeln, Ameisenlaufen, Gefühl eines kühlen Hauches
oder kalten Luftzugs; bald wiederum erkennt sie der Kranke in
der krampfhaften Zusammenziehung, in Zittern, convulsivischer
Bewegung oder plötzlicher Lähmung irgend eines Theils des
motorischen Systems, der Zunge, der Extremitätenmuskeln, Herz-
klopfen u. s. w. — Jede Stelle des Körpers kann scheinbar
der Ausgangspunkt dieser Aura sein.



574 Epilepsie, Fallsucht.

Nächst dieser Aura gibt es noch verschiedene andere Er-
scheinungen als Vorläufer, die jedoch von geringerer Bedeutung
sind, da sie zu unbestimmt wahrgenommen werden. Hieher
sind zu rechnen; Symptome von Gehirncongestion, Schwindel
und Kopfschmerz, gastrische Störungen, Anomalien des psychi-
schen Lebens, der Herz-, Respirations-, Geschlechtsorgane u. s. f.
Erbrechen ist sehr häufig.

Zweites Stadium (Stadium convulsivum). In
den bei weitem häufigsten Fällen tritt dieses mit einem brüllen-
den Schrei ein, mit welchem der Kranke bewusstlos hinstürzt,
worauf die verschiedenartigsten Convulsionen eintreten; Verdre-
hen der Augen, des Mundes, der Gesichtszüge, Runzeln der
Stirn, abwechselndes Schliessen und Oeffnen der Augenlider,
Krampf der Kiefermuskeln; convulsivisches Hervorstrecken und
Zurückziehen der Zunge , wodurch letztere oft verletzt wird ;
was an dem blutigen Schaum vor dem Munde erkannt wird ;
Zähneknirschen, selbst Zerbrechen der Zähne durch die Heftig-
keit der convulsivischen Reibung; krampfhaftes Drehen, Beugen,
Rückwärtsbeugen des Kopfes; ächzendes, ungleiches, mühsames
Athmen ; livides Anschwellen des Gesichts, der Stirn- und Ju-
gularvenen und Hervordrängen der Augen aus ihren Höhlen,
krampfhafte Zusammenziehung der Hand und Finger; Einschla-
gen der Daumen, nach Huf el and, der einzige Muskel, der,
während alle andern convulsivisch arbeiten, tetanisch starr bleibt,
(doch ist diess kein constantes Symptom); Umherschlagen und
Werfen der Kranken, dass sie nur mil%der grössten Aufmerk-
samkeit vor Beschädigung geschützt werden können; Krümmen
und Umherwälzen des Rumpfes. Zuweilen bei Männern Pria-
pismus, Samenerguss, Anziehen der Hoden gegen den Leisten-
ring; unwillkürliche Harn- und Stuhlentleerung; Schluchzen, plötz-
liches Aufblähen des Unterleibes, Aufstossen, Erbrechen. —
Wesentlicher als alles diess ist die gänzliche Bewusstlosigkeit
und gänzlicher Verlust der Perception, sogleich mit dem Ein-
tritt der Convulsionen, es ist diess das pathognomonische Symp-
tom und wo diess fehlt, da können die Convulsionen noch so
heftig sein, so ist die Krankheit doch nicht Epilepsie zu nen-
nen; sie verdient hingegen da diesen Namen, wenn mit diesem
Symptom auch die schwächsten Convulsionen verbunden sind.



Morbus sacer, Morbus caducus, Epilepsia. 575

Diese letztere Erscheinung ist für den Arzt ganz besonders
beachtenswerth, da diese Krankheit von manchen Individuen, zu
Erreichung mancherlei Zwecke, oft täuschend nachgeahmt wird.
Suchen die Kranken z. B. , wenn sie die Anfälle bekommen,
sich einen Ort aus, wo sie sicher fallen können, so ist diess
ein sicheres Zeichen ihres Betrugs, denn bei wahrer Epilepsie
ist der Kranke mit dem Eintritte der Convulsionen auch bewusst-
los. Eben so verhält es sich auch mit der Perception; bei
dem wahren -Epileptiker sind alle Thätigkeiten der Sinne erlo-
schen, das Auge sieht und das Ohr hört nicht mehr, die Haut
ist gegen die heftigsten Eindrücke unempfindlich, man kann sie
stechen, schneiden, brennen, ohne dass sie durch die ge-
ringste Zuckung den Schmerz verriethen. Beim Betrüger ver-
hält sich diess anders, der Abhaltung eines solchen Schmerzes
ist er nicht gewachsen und gewöhnlich wird dadurch sein Be-
trug erkannt. — Die Dauer dieses Stadiums ist verschieden, von
wenigen Minuten bis zu -| Stunde.

Drittes Stadium (Stadium soporosum s. apo-
plecticum) des Collap sus, der Muskel erschlaff ung.
Die Krämpfe lassen nach, das Athmen ist freier, etwas sterto-
rös; der Puls wird regelmässiger und der Kranke verfällt in
einen comatösen Schlaf , dem eines Apoplectischen ähnlich; nach
dem Erwachen aus diesem unbestimmt dauernden Schlafe, weiss
Patient nichts von dem mit ihm Vorgefallenen, er fühlt sich
matt, abgeschlagen, traurig, wüst und dumm im Kopfe; klagt
oft Kopfschmerz. Oft erst nach mehren Tagen ist jede Spur
des Anfalls verschwunden. Stumpfsinn und Vergesslichkeit dauern
zuweilen längere Zeit fort. Mitunter beobachtet man nachher
theilweise Paralysen, Schielen und Schiefstehen des Auges, De-
lirien, einen somnambulen, ecstatischen, maniacalischen Zustand.

Die Anfälle kommen zuweilen typisch, zu bestimmten
Zeiten und Tagen, manchmal alle Nächte (Epilepsia noc-
turna); häufiger aber zu unbestimmten Zeiten, wöchentlich, mo-
natlich, ja wohl nur jährlich ein- oder zweimal.

§. 272.

Aetiologie. Innere Momente sind: Erblichkeit;
diese ist selbst dem Volke eine bekannte Thatsache und die



576 Epilepsie, Fallsucht. • .

vielen Beispiele sprechen dafür; häufig bricht die aus dieser
Ursache entspringende Krankheit erst zur Zeit der Pubertät aus
und begleitet von nun an den Kranken durch das Leben. Durch
Schreck der Mutter während der Schwangerschaft kann Epi-
lepsia congenita entstehen. — Lebensalter: Die grösste
Anlage zur Krankheit und die häufigsten Formen beobachten wir
zwischen dem 6. und 11. Lebensjahre, dann nimmt die Anlage
ab, steigert sich aber wieder mit der Pubertät und verschwin-
det allmälig in den Blüthenjahren, während sie in der Involu-
tions-Periode wieder mehr hervortritt. Schönlein nimmt als
inneres Moment auch eine bestimmte Schädelbildung an
— ungeheure Dicke der Kopfknochen, wodurch die Entwicke-
lung des Gehirns gehemmt wird. Muthmaasslich disponirt ein
reizbares Nervensystem vorzugsweise zur Epilepsie und mehre
grosse Aerzte stimmen darin überein, dass scrophulöse und
rhachitis che Diathese eine bemerkenswerthe Anlage zur Epi-
lepsie begründen. Das Coli bat scheint die Entstehung der
Epilepsie ebenfalls zu begünstigen.

Aeussere Momente. Hieher sind besonders gewaltsame
Erschütterungen des Nervensystems durch heftige Gemüthsbewe-
gungen, Schreck, Furcht, Zorn, zu rechnen; eben so über-
mässige Geistesanstrengungen, Geschlechtsausschweifung, Onanie;
ferner der Eindruck des Anblicks eines Epileptischen im Zustande
des Paroxysmus ; noch gehören hieher: Würmer, besonders Band-
wurm, Metastasen auf die Nerven, namentlich unterdrückte Krätze,
Herpes, Ablagerung von Gichtproducteft; örtliche, mechanische
Reize, als: Knochensplitter, Exostosen, Caries occulta , unter-
drückte Blutflüsse, besonders Nasenbluten u. s. w.

Die Prognose ist traurig, denn die Krankheit ist schwer
heilbar, zwar nicht tödtlich, aber wegen der Gefahr des Fallens
und eigner Verletzungen gefährlich, den Mitmenschen lästig,
schaudererregend, selbst durch mögliche Ansteckung gefährlich,
am Ende Geistesschwäche, selbst Blödsinn erzeugend.

§. 273.

Therapeutik. Obschon in dieser Krankheitsform durch
das homöopathische Heilverfahren glücklichere Resultate erzielt



Morbus sacer, Morbus caducus, Epilepsia. 577

worden sind, als durch das allöopathische: so lässt es doch
immer auch noch sehr viel zu wünschen übrig, wie ich aus eig-
ner Erfahrung bestätigen kann. Wollte ich auch in einzelnen
Fällen mir selbst die Schuld beimessen, was ich mir aber selbst
noch nicht einreden kann, da man bei Epilepsien Zeit genug
zum Nachschlagen und zur richtigen Wahl des Mittels, nach vor-
heriger genauer Individualisirung des Krankheitsfalles , übrig be-
hält — so sind und bleiben unter den vorkommenden exquisiten
Epilepsien doch gewiss 2 Drittheile auch der specifischen Heil-
methode unzugänglich und alle unerwiesenen Gegentheils-Behaup-
tungen sind nicht im Stande, meinen Glauben hierin zu ändern.
Die durch innere Momente (s. den vor. §.) erzeugten Epilepsien
gehören mehr oder weniger zu diesen unheilbaren und selbst
die durch heftige Gemüthsbewegungen hervorgerufenen, die wohl
noch am ersten Heilung mit zulassen, sind nicht so leicht anzu-
sehen, da sie ja eine besondere Prädisposition für diese Krank-
heit schon voraussetzen, die bald in diesem, bald in jenem
innern oder äussern Momente ihre Erledigung findet, wobei
eine psorische, herpetische, scrophulöse, rhachitische Diathese
nicht unter die geringern Ursachen zu stellen ist. — Ich mag
nicht entscheiden, ob die vielen mitgetheilten Krankheitsge-
schichten geheilter Epilepsien auch wirkliche Epilepsien gewe-
sen sind; aus manchen habe ich das Gegentheil herausgelesen
und sie blos für heftige Krampfzufälle halten können, weil ih-
nen die # pathognomonischen Symptome — Bewusstlosigkeit und
vollkommener Verlusst der Perception beim Eintritt der Convul-
sionen — gänzlich mangelten. Doch es ist uns genug zu
wissen, dass eine antiepileptische Cur auch für uns der Schwie-
rigkeiten genug darbietet und ein glücklicher Ausgang, eine
vollständig gelungene Heilung einer exquisiten Epilepsie nicht
minder zu den Seltenheiten gehört, als bei einer allöopathi-
schen Behandlung, bei der uns immer noch eine Menge zufäl-
liger glücklicher Ereignisse begünstigen müssen , wenn wir uns
einer solchen erfreuen wollen.

Auch hier ist die Indicatio ca usalis beachtenswert!! , wenn
nämlich eine Entfernung oder Unschädlichmachung der veranlas-
senden Momente in der Möglichkeit liegt; eine völlige Beseiti-
gung der inneren Momente liegt meistens ausser dem Bereiche



578 Epilepsie, Fallsucht.

der Kunst. Gegen mechanische Reizung muss oft das chirur-
gische Messer zu Hülfe genommen werden. Ist unterdrückte
Menstruation die Erregungs-Ursache, so ergiebt sich von selbst,
dass sie vor allererst wieder hergestellt und in Ordnung ge-
bracht werden muss, worüber der Leser das Nölhige in der er-
sten Abtheilung dieses Bandes angegeben findet. Uebrigens hat
sich schon vielfältig erwiesen , dass die veranlassende Ursache
entfernt sein kann, und die Epilepsie doch fortdauert, zum Zei-
chen, dass letztere selbstständig geworden ist. Ich begnüge
mich hier mit dem Angedeuteten , da ich in den vorhergehenden
Capiteln mehrmals derlndicatio causalis in den Neuralgieen
ausführlich gedachte, und das dort Gesagte auch hier Anwen-
dung findet. Eben so habe ich vieler Mittel, insbesondere un-
ter Eclampsie, Hysterie, Veitstanz schon Erwähnung gethan, die
hier ebenfalls benutzt werden können, weshalb ich ihrer nicht
zum zweiten Male ausführlich gedenken werde, sondern sie nur
namentlich, vielleicht auch gar nicht, mit erwähne. Ich meine
diess sagen zu müssen , damit ich dem Vorwurfe entgehe , als
hätte ich dieses oder jenes Mittel vernachlässigt.

Als zwei ganz vorzügliche Mittel sind, namentlich vom Herrn
v. Bönninghausen, Calcarea carbonica und Causticum gegen
Epilepsien empfohlen worden, mit denen er eine Menge Hei-
lungen bewerkstelligt, die er im Archiv für homöopathische Heil-
kunst niedergelegt hat. Sind auch gerade die Symptome von
Calcar. carb. nicht so sehr hervorstechend und in die^ Augen
fallend für ein der Epilepsie entsprechWides Heilmittel, so bie-
tet sie doch in vielen anderen Beziehungen eine Menge Anknü-
pfungspunkte und characterjstische Eigentümlichkeiten, die un-
ter den occasionellen Momenten zur Hervorrufung einer Epilep-
sie von hoher Bedeutung sind, und denen kein Mittel treffender
entgegenzustellen ist, als Calcarea. Für den Fallsuchtanfall
selbst haben wir nur die zwei Symptome: bei Händearbeit im
Stehen plötzliches Seitwärtsfallen zu Boden, mit Verlust des
Bewusstseins und nach Rückkehr desselben Hitze und etwas
Schweiss; und das zweite, schon weniger characteristische:
nächtliche Fallsuchtanfälle, zum Vollmonde, mit Schreien. Da-
gegen müssen wir bei diesem Mittel folgende Momente vorzugs-
weise mit ins Auge fassen , da wir diese unter der Aetiologie



Morbus sacer, Morbus caducus, Epilepsia. 579

einer Epilepsie namentlich mit hervorgehoben haben. Cälcar.
passt vorzüglich für die venös- hämorrhoidalische, plethorische
Constitution, in der ja so gern eine Epilepsie Wurzel schlägt;
nicht minder entspricht sie einer scrophulösen, rhachitischen Dia-
thesis, die, in Verbindung mit einem schwächlichen Körperbau
und schlechter Ernährung, als Causal- Momente für eine Epilepsie,
wie ich oben zeigte, so auffallend sich herausstellen. Der ju-
gendliche Organismus mit seinen in der Reproduction häufig
wurzelnden Entwickelungskrankheiten bietet, wie wir gesehen
haben , für Epilepsien einen günstigen Grund und Boden dar und
gerade hier finden wir die Calcar. als eine wahre Panacee mit
verzeichnet. Und wie schön eignet sie sich für das weibliche
Geschlecht mit seiner reizbaren, sensibeln Constitution und den
mannichfachen Menstruationsstörungen, unter den allerdings das
Uebermaass und der zu frühzeitige Eintritt der Regel den Vor-
rang behauptet. Noch erinnere ich an die Fallsuchten, die
nicht selten nach Onanie sich entwickeln und an solche, die
nach Erkältung in kaltem Wasser entstanden, wogegen Calc.
ebenfalls ein höchst beachtenswerthes Mittel ist.

In kindlichen Epilepsien werden wir allerdings sehr häufig
erst an Belladonna denken, und in ihr eben so oft auch das
specifische Heilmittel finden , aus den bei Angabe dieser Arznei
schon mehrfach aufgeführten Gründen ; allein es wird uns nicht
selten auch begegnen, dass die Krankheit doch diesem Mittel
allein nicht weichen will, trotz dem die Bell, in allen ihren
Eigentümlichkeiten dem Krankheitsbilde treffend zu entsprechen
scheint — hier ist alsdann gewiss die passende Stelle, wo
keine Arznei die Calcarea ersetzt, die dann am besten, in
passenden Zwischenräumen, im Wechsel mit Bellad. zur gänzli-
chen Beseitigung der Krankheit gegeben wird.

Aber auch andere Epilepsien, die für Calcar. ganz vorzüg-
lich geeignet zu sein scheinen, werden durch sie allein doch
nicht immer beseitigt, sondern bedürfen der Unterstützung, vor-
nehmlich des Wechselgebrauchs, mit andern ihr verwandten
Mitteln, unter denen dann vorzugsweise Cuprum und Plumbum
aceticum genannt zu werden verdienen; beide würden jedoch
nichts nützen , wenn sie nicht ebenfalls in ihren pathogenetischen
Wirkungen Epilepsie -Anfälle aufzuweisen hätten, die grosse



580 Epilepsie, Fallsucht.

Aehnlichkeit mit den für Calc. passenden haben. So finden wir
z.B. bei Cuprum metaUicum: Convulsionen mit Verlust des
Bewusstseins, Schaum vor dem Munde, Auswärtsbeugung
des Rumpfes, Auswärtsstossen der Gliedmaassen und offenem
Munde. In rein nervöser hat Lobethal dieses Mittel mit
Nutzen angewendet und zur Nachkur noch Calc. carb. oder
Causlic. benutzt; in einer durch Schreck erzeugten wandte
Vehsemeyer das Cuprum, unter Beihülfe von Jgnatia an, wo
jedoch Hyoscyamus auch nicht zu vernachlässigen ist und fast
vor Ignat. noch den Vorzug verdient, indem die epileptischen
Anfälle bei Hyosc. bestimmter hervortreten und sich auf fol-
gende Art äussern: Patient fällt plötzlich mit Geschrei nieder,
schlägt mit Händen und Füssen um sich, bei geballten Händen,
eingeschlagenen Daumen und Zusammenbeissen der Zähne. —
Einen durch Cuprnm geheilten Fall, denWeigel mittheilt, füge
ich den kurzen Angaben dieses metallischen Mittels noch bei;
er war nach einem Fall auf den Kopf entstanden und der An-
fall trat jedesmal ein bis zwei Tage nach dem Cessiren der Re-
gel in der Nacht ein mit Verlust des Bewusstseins, Stöhnen und
Röcheln, Schaum vor dem Munde, und Einschlagen der Dau-
men ; mitunter traten krampfhafte Beschwerden im Magen hinzu,
bei Appelitmangel und gelblichtweiss belegter Zunge. Schrön
hat dieses Mittel ebenfalls angewendet gegen Epilepsie, die alle
Monate erschien , vor deren Anfall Patient über Ziehen im lin-
ken Arm klagte, der sich unwillkürlich an den Körper heran-
bewegt.

Die nächtlichen Fallsucht-Anfälle sind wohl nur selten der
Art, dass Calc. carb. Nutzen zu bringen verspräche; weit öfter
wird in solchen Opium indizirt sein und dann würde Ignatia
immer noch eher passend sich erweisen , als Calc.

Ich habe vorhin Plumbum mit unter den Mitteln genannt,
die als verwandte der Calcarea mit zur Seite stehen, drum will
ich hier noch einige Worte beifügen, obgleich ich seiner schon
mehrmals unter den Neuralgien gedachte. Ich darf hier mit
Recht auf den II. Band des Handbuchs der homöopathischen Arz-
neim. -Lehre von Trinks und Müller verweisen, wo die man-
cherlei Wirkungen des Bleis auf den gesunden menschlichen Kör-



Morbus sacer, Morbus caducus, Epilepsia. 581

per zusammengestellt sind , dass sie nichts mehr zu wünschen
übrig lassen. Dort findet der Leser auch die gewünschte Aus-
kunft über eine Epilepsia saturnina, die ihm der Leitstern
für die Anwendung des Plumb. in Epilepsien sein , und aus de-
nen er zugleich ersehen wird, dass die Epilepsien , denen das
Blei zu entsprechen scheint, grösstentheils vom splanchnischen
Nervensystem ausgehen und von da über die Empfindungs- und
Bewegungsnerven des Spinalnervensystems ausstrahlen und zu-
letzt erst das Gehirn und die von ihm ausgehenden Sinnesner-
ven ergreifen. Es würden sonach die Epilepsien mit Vorboten
in das Bereich der Wirkungssphäre des Bleis fallen , welches
dann auch gleich vom Anfange der Behandlung die meiste Berück-
sichtigung mit verdient; dasselbe gilt auch von denen, die nach
jedesmaligem Paroxysmus mancherlei paralytische Zustände und
längere Zeit Bewusstlosigkeit, oder wenigstens nur ein halbes
Bewusstsein, hinterlassen; eigenthümlich sind die für Plumb.
passenden Anfälle noch in so fern, als sie, neben den charac-
teristischen Zeichen, noch ungeheure Geschwulst der Zunge, die
zum Munde herausgestreckt und zerbissen wird, in ihrem Ge-
folge haben.

Causticum ist, das wissen die meisten homöopathischen
Aerzte, ein grosses Mittel und wir lassen ihm alle Gerechtig-
keit widerfahren ; trotzdem aber halte ich es nicht für eine so
empfehlenswerthe Arznei in Epilepsien , die andern wohl gar
vorgezogen zu werden verdiente. In convulsivischen und Krampf-
anfällen mancherlei Art ist Caustic. ausgezeichnet und selbst epi-
lepsieartige Zufälle mögen durch diese Arznei geheilt worden
sein, allein wirkliche, schon länger bestehende Epilepsien wer-
den gewiss nicht so leicht durch sie gehoben werden, da die
pathogenetischen Wirkungen derselben nur durch ein Symptom
andeuten, dass sie vielleicht in leichtern vorübergehenden Fäl-
len etwas zu leisten verspreche; dieses Symptom lautet: plötz-
liches Niederfallen ohne Bewusstsein, beim Gehen im Freien und
eben so schnelles Wiederaufstehen. Die übrigen Symptome von
Caust., die eine etwaige Andeutung für epileptische Anfälle ge-
ben könnten, entbehren des so characteristischen Verlusts des Be
wusstseins und der Perception. Hat sich das Caust. aber meh-
rern Homöopathen als brauchbares und hülfreiches Anliepilepti-



582 Epilepsie, Fallsucht.

cum bewährt, nun so fallen meine Zweifel von selbst, denn
der Gegenbeweis ex usu in morbis ist nicht umzustossen.

Von Petroleum möchte ich fast dasselbe behaupten; auch dieses
figurirt unter den Antiepilepticis und doch findet sich nicht ein ein-
ziges Symptom unter seinen pathogenetischen Wirkungen, das
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auf seine Heilkraft in Epilep-
sie hindeutete. Der verstorbene Dr. Franz will es in einem
Falle heilsam gefunden haben und diess ist, so viel mir be-
kannt, die einzige Empfehlung, die es in dieser Krankheit für
sich hat. Mögen weitere Beobachtungen und Erfahrungen das
Richtige ermitteln, und dann zu seiner Zeit das Für oder Wi-
der mit mehr Gewissheit, als es mir gestattet war, entscheiden.

Dagegen kann ich nicht umhin, wie ich schon unter der
Eclampsie der Kinder gethan, Cicuta virosa wieder mit zu er-
wähnen und auf sie als eines ganz vorzüglichen Mittels in Epi-
lepsien aufmerksam zu machen, da es unter seinen Symptomen,
ausser den allgemeinen, oft Ungeheuern Convulsionen, Hin- und
Herwerfen der Glieder, krampfhaften Gliederverdrehungen und
Emporschnellen des Körpers, recht characteristische Fallsucht-
Anfälle aufzuweisen hat, die in kürzern oder längern Zwischen-
räumen wiederkehren und mit wundersamen Bewegungen des
Kopfes und Oberkörpers'Kinnbackenkrampf, schäumendem Munde,
aufgedunsenem, bläulichem Gesichte, oder Leichenblässe, her-
vorgetretenen Augen, Erbrechen, schwachem, kaum fühlbaren Pulse,
gänzlich emVerluste desBewusstseins und kaum wahr-
nehmbarer oder unterbrochener Respiration verbunden sind; vor-
her klagt Patient über seltsames Gefühl im Kopfe, grosse Em-
pfindlichkeit der Augen gegen Licht, er delirirt im Herumgehen
bei langsamem Pulse; doch tritt der Anfall meist ohne Vorboten
ein und beginnt unter plötzlichem Niederstürzen ; nach dem Pa-
roxysmus zwar freier Athem, aber verstandloses Daliegen, Un-
empfindlichkeit, Lethargie.

In der Epilepsie soll Lachesis eins der hülfreichsten Mittel
sein, nächst Bellad. , Caust. , Cicuta, Hepar sulph. calc. , Calcar.
und Silic. ; — wer nur der Angabe trauen könnte! Die Symp-
tome sind aber so pele mele unter einander, Physiologie und
Pathologie so verworren durch einander geworfen, dass es ei-
nem gewissenhaften Arzte rein unmöglich ist, dieses Mittel in



Morbus sacer, Morbus caducus, Epiiepsia. 583

Epilepsien in Anwendung zu bringen, ohne sich den Vorwurf
des Leichtsinns machen zu müssen! Drum mag es nur andeu-
tungsweise gesagt sein , dass Lackes, in dieser Krankheit einige
Berücksichtigung verdient und der Leser mag, bei vorkommen-
dem Falle, im Original nachschlagen und vergleichend und wohl
prüfend zu Werke gehen.

Auch Hepar sulphuris ist als ein Mittel gegen Epilepsie em-
pfohlen. Ich mag ihm seine Wirksamkeit in dieser Krankheit nicht
absprechen , aber ich beschränke sie sehr und mag sie eigentlich
nur in einigen wichtigen Gelegenheits-Momenten angewendet
wissen, deren Beseitigung durchaus erforderlich sind, wenn die
Heilung der Epilepsie selbst andern passendem Mitteln gelingen
soll. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, das wirkliche An-
tiepilepticum im Wechsel mit Hepar in Anwendung zu bringen,
damit die Krankheit nicht zu sehr überhand nehme und es sich
doch nicht denken lässt, dass jene Momente so schnell gehoben
würden, um nach ihrer vollständigen Beseitigung erst die Be-
handlung der Epilepsie beginnen zu wollen. Ja, es ist sogar
nicht einmal denkbar, dass der Kalkschwefelleber allein die Un-
schädlichmachung jener Momente gelingen sollte, die noch meh-
rer anderer hieher gehörenden Mittel bedürfen, unter denen
Aurum, Calcar. carb., Nitri acid.^ Sulphur etc. vorzugsweise
genannt zu werden verdienen, da diese sogar in grösserer pathi-
scher Beziehung zu unserer Krankheit noch stehen , als Hepar.
Die ursächlichen Momente nun, denen die Kalkschwefelleber an-
gemessen entgegenzusetzen ist, sind: die scrophulöse und pso-
rische Constitution; die Affectionen der Beproduction, aus denen
eine Epilepsie hervorgeht; die Mercurial-Cachexie; secundäre
Syphilis; Tuberculose, Vorboten, unter denen Ueberreiztheit der
Geruchsnerven, Geruchstäuschungen vorherrschend sind.

Wie Alumina und Agaricus muscar. mit unter den Heilmit-
teln gegen die Epilepsie aufgeführt werden konnten, ist schwer
einzusehen , wenn nicht etwa der usus in morbis für sie entschie-
den hat. Nur von letzterem Mittel finden sich, unter den pa-
thogenetischen Wirkungen, Fallsuchtanfälle mit grosser Kraftan-
strengung verzeichnet, die aber so unmotivirt hingestellt sind,
dass mit diesem Symptom allein kein Gebrauch in der in Rede
stehenden Krankheit gemacht werden kann, wenn nicht andere
II. 38



584 Epilepsie , Fallsucht.

Zeichen noch gegenwärtig sind, die bestimmt auf diese Arznei
hinweisen. — Von Alumina hingegen fehlen selbst die unbe-
deutendsten Anknüpfungspunkte, und ich gestehe gern ein, dass
ich mich, trotz der Vertrautheit mit diesem Mittel, noch nicht
habe entschliessen können, Gebrauch von ihm in Epilepsien zu
machen.

Dagegen kann ich, auf selbstgemachte Erfahrungen mich
stützend, den Campher als ein oft hülfreiches Mittel in dieser
Krankheit empfehlen, da ich seine pathogenetische Wirkung in
dieser Beziehung an dein Prüfungssubjecte selbst mit angesehen
und bis zu ihrem Aufhören beobachtet habe. Scheint es nun
auch, als ob Camphora, seiner flüchtigen Wirkung wegen, sich
nicht zum Heil- sondern nur zum Beschwichtigungs- Mittel ein-
zelner Paroxysmen eignete, so wäre doch der grosse Gewinn
für den Kranken darin schon nicht zu verkennen, indem auf diese
Art die Anfälle verkürzt werden und sie folglich auch an Inten-
sität abnehmen müssen; zweckdienliche Zwischenmittel führen
dann weiter zur endlichen Heilung , die ja überhaupt in den
wenigsten Fällen einem einzigen Mittel gelingt. Wahrhaft epi-
leptische Anfälle liegen also in der Primärwirkung des Camphers
und es kommt nur auf den behandelnden Arzt an, sie richtig
aufzufassen und dann auch des Erfolgs sicher zu sein; meistens
sind sie verbunden mit Röcheln, Röthe und Gedunsenheit des
Gesichts, Zucken der Glieder und selbst der Zunge, der Augen
und Gesichtsmuskeln, bei heissem, kkbrigen Stirn- und Kopf-
schweisse und gänzlicher Bewusstlosigkeit; der Anfall
beginnt mit einem fürchterlichen Schrei, plötzlichem Zusammen-
stürzen des Kranken, worauf sogleich Schaum vor den Mund
tritt; nach dem Anfalle liegt der Kranke mit langsamem,
schwerem Athmen in betäubter Schlafsucht, aus deren Erwa-
chen er nur mit Mühe sich wieder in seine natürliche Lage fin-
den kann.

Ueber Stanniim habe ich mich schon mehrfach ausgesprochen,
dennoch kann ich nicht umhin, es hier wiederum namentlich
aufzuführen, da es unter den Antiepilepticis einen der ersten
Plätze mit einnimmt, und sich sein Wirkungskreis auf das ganze
animale und vegetative Nervensystem, so wie auf einzelne
Nervenstämme und Plexus, namentlich auch auf die Genitalien



Morbus sacer, Murbus caducus, Epilepsia. 585

beider Geschlechter erstreckt, worin doch sehr häufig eine
Epilepsie wurzelt. Die Symptome, die zu Anwendung des
Stannum besonders auffordern, sind: besonders abendliche
Fallsuchtanfälle, mit Einschlagen der Daumen, oder mit Rück-
wärtsbeugung des Kopfes, Gesichtsblässe, Zuckungen der Hände
und Augen und Bewusstseinsverlust. — Diess Mittel
eignet sich vorzugsweise für Epilepsien im kindlichen Alter,
doch ist damit, nicht gesagt, dass es andern Epilepsie-Anfällen
weniger entsprechend sich zeigte.

Auch Silicea ist ein hier nicht zu verachtendes Mittel, um
so mehr, als sein Wirkungskreis ein sehr ausgebreiteter ist, der
mit gleicher Intensität auf die dynamische, wie auf die materielle
Sphäre sich erstreckt. Empfehlenswerth ist Silicea in den
Epilepsien, die auf einem scrophulös - rhachitischen Boden wu-
chern; eben so in denen, die vorzugsweise vom Cerebrospinal-
Nervensysteme ausgehen. Wohl zu beachten sind aber insbe-
sondere folgende Symptome in Epilepsien, die zur Anwendung
dieser Arznei auffordern: nach Gefühl grosser Kälte in der
linken Körperseite , öfterem Schlummer und Auffahren aus
demselben, erst B ewuss tseins-Verlust: der Kranke spricht
unverständlich, erkennt Niemand, wird so schwach, dass er sich
nicht allein umwenden kann; darauf heftige Convulsionen bei
stierem Blicke, Verdrehen der Augen, Zuckungen der Lippen,
Lallen der Zunge, Strecken und Verdrehen des Kopfes, so wie
der Glieder, dann schreckliches Brüllen, Thränentröpfeln aus
den Augen, Schaum vor dem Munde; hierauf warmer Schweiss
über den Körper, Athem freier, Schlummer und nach mehrern
Stunden wieder Besinnung und Sprache. — Auch nächtliche
epileptische Anfälle werden durch Silicea gehoben, namentlich
die zum Neumonde eintreten, wobei der Körper ausgestreckt,
dann in die Höhe geworfen wird — doch erfolgen diese Anfälle
ohne den gewöhnlichen Schrei.

Sind auch die Epilepsien, denen Nux gewachsen zu sein
scheint, nicht gerade die ausgeprägtesten, so leuchtet doch aus
ihren physiologischen Wirkungen schon deutlich genug hervor,
dass sie in einigen Arten derselben ein durch keine andre Arznei
zu ersetzendes Heilmittel sein müsse, wie sich aus seiner gewal-
tigen Einwirkung auf das Gehirn und die Sinnesorgane, auf das

38*



586 Epilepsie, Fallsucht.

Rückenmarksnervensystem und die von ihm ausgehenden Empfin-
dung^- und Bewegungsnerven der Extremitäten u. s. w. entneh-
men lässt. Die hier besonders aufmerksam zu betrachtenden
Hauptzeichen, die in Epilepsien mit vorkommen können und auf
die Anwendung der Nux hinweisen, sind: das Aufsteigen von
Hitze ans Herz, von da in den Hals mit Uebelkeit und Bangig-
keit, mit Zittern, endlich in den Kopf; dabei ein mehr krampf-
haftes als schmerzliches Gefühl in den Muskeln der Gliedmassen,
des Rückens, der Schulterblätter etc., mit darauf folgenden,
bald vorübergehenden Convulsionen, die anfallsweise wiederkeh-
ren und durch Berührung leicht wieder erregt werden können;
convulsivische Anfälle mit entstellten Zügen und Steifigkeit der
Muskeln; Zusammenziehung der Kinnladen, Ausstreckung des
Rumpfes, bei nicht bedeutend verändertem Pulse , aber ausseror-
dentlich erhöhter Empfindlichkeit des Gehörs und Gefühls; die
leiseste Berührung, das leiseste Geräusch rief tetanische Zuckun-
gen hervor; äusserst schmerzhafte Muskelcontractionen, die 3 —
4 Minuten anhielten und dann durch einen heftigen Krampfanfall
unterbrochen wurden, wobei der Körper stark nach hinten ge-
zogen, der Herzschlag schwach, der Puls klein und kaum fühl-
bar war; Spannung in den Schläfen und im Nacken, die sich
bald über alle Muskeln des Stammes und der Gliedmassen ver-
breitet; diese Steifigkeit ist keine anhaltende, sondern ver-
schlimmert sich momentweise und springt von einem geringen
Grade zu einem sehr heftigen über; diesen krampfhaften Zusam-
menziehungen geht oft ein sehr starkes Frösteln und Schaudern
vorher, hierauf stellen sich im Verlauf der Nerven der Glieder
Formicationen und schmerzhafte Sensationen ein, welche die
Kranken mit durchfahrenden elektrischen Funken vergleichen ;
nach dem Frösteln treten die Krämpfe desto heftiger ein, um so
stärker, je heftiger die Vorläufer waren; aller 3 — 6 Minuten
ein Anfall fürchterlicher Krämpfe des ganzen Körpers, ein wahrer
Starrkrampf, mit Krümmung des Stammes nach hinten, eingezoge-
nen Brustmuskeln, Bewusstlosigkeit, Steifigkeit der Glieder,
Härte der Muskeln wie Holz, Verdrehen der Augen, kirschrothem
Gesicht etc. — Dieses Wenige mag hinreichend sein, auf Nux
in epilepsieartigen Anfällen aufmerksam gemacht zn haben; hier-
aus wird der Leser meine oben ausgesprochene Behauptung:



Morbus sacer, Morbus caducus, Epilepsia. 587

dass Nux für wahre Epilepsien sich nicht als Heilmittel eigne,
vollkommen gerechtfertigt finden, da in den meisten Fällen Be-
wusstsein und Perception nicht verloren gehen. Uebrigens bitte
ich den Leser über dieses Mittel im 2. Bde. von Trinks und
Müller Handbuch der hom. Arzn.-M. -L. das Weitere nach-
zulesen.

Ausser den hier aufgeführten Arzneien sind noch zu berück-
sichtigen: Seeale cornut.^ Solanum nigrum, Magnesia carbon.,
Sulphur, Lycopod. etc.

§274.

Schönlein hat noch mehrere Arten Epilepsien nach den
Gebilden bezeichnet, von denen die Reizung ausgeht, die ich
hier cursorisch noch mit erwähne, um in den einzelnen Fällen,
wo ich Erfahrungen gemacht habe, auf einige Mittel hinzuweisen
oder auch auf andere, die mir der Berücksichtigung werth er-
scheinen, aufmerksam zu machen.

Die erste Art ist die

Epilepsia abdominalis. Bauch- oder Ganglien -Epilepsie.

Sie ist anfangs nicht gleich vollkommen entwickelt, sondern
durchläuft eine Reihe von Bildungsstufen, die Schönlein in
2 Perioden bringt. In der ersten Periode klagen die
Kranken über einen nagenden, zusammenziehenden, oder bren-
nenden, stechenden Schmerz in den Präcordien oder der Nabel-
gegend, der in das Gefühl eines Hauches (Aura) übergeht und
sich nach oben fortpflanzt und Erscheinungen verletzter Func-
tionen in den Unterleibsorganen hervorruft, als: zusammen-
schnürenden Magenschmerz, Gefühl von Spannung und Aufblä-
hung, Ekel, Aufstossen, Brechneigung, Erbrechen einer eiweiss-
ähnlichen Flüssigkeit, momentane Erscheinungen der Gelb-
sucht etc. Steigt die Aura höher bis zur Glandula pinealis, so
treten Sinnesstörungen ein, als-Vergehen des Gesichts, Flimmern
vor den Augen, leichter vorübergehender Taumel. Dieses
Stadium dauert manchmal nur einige Wochen, manchmal 1 Jahr
und darüber.



588 Epilepsie, Fallsacht.

Zweite Periode. Ergriffen werden jener Gehirntheile,
die die Träger höherer Seelenthätigkeiten sind. Der Paroxys-
mus beginnt auch hier mit einem zusammenschnürenden oder
kitzelnden Schmerze am Nabel, in Aura übergehend, die blitzähn-
lich über die Brust nach dem Kopfe sich hinzieht, mit Bewusst-
seinsverlust, Zusammenstürzen und Convulsionen und später
Uebergang in Schlaf, aus dessen Erwachen dem Kranken keine
Rückerinnerung über das mit ihm Vorgegangene geblieben ist.
Anfangs kommen die Anfälle selten, später in immer kürzeren
Pausen, ja selbst 8 — 10 Mal in 24 Stunden. Eine derartige
Epilepsie steht unter dem Einflüsse des Mondes; die Anfälle
sind daher zur Zeit des Vollmondes am häufigsten und am läng-
sten anhaltend.

Zur Aetiologie ist zu rechnen: das jugendliche Alter,
besonders vom 7 — 11. Jahre; daher bei Säurebildung in der
Chylopoese, wie diess in niedern Volksklassen häufig beobachtet
wird; Helminthen, insbesondere Ascaris lumbricoides, doch auch
Tänia (diese stehen namentlich unter dem Einflüsse der Mond-
phasen); nach Schönleinsollen sich derartige Epilepsien gern
nach Scharlach-Epidemien entwickeln.

In Bezug auf Prognose ist diess die günstigste Form der
Epilepsie und in der Mehrzahl der Fälle heilbar.

Die Therapeutik findet der Leser theils im I. Theile die-
ser Therapie unter den §§. 28, 41, 44, 53, 108, theils viel-
fältig unter den vorhergehenden Pa^pgraphen. Aufmerksam
mache ich besonders auf Ignat., Chamomilla, Cina, Beilad.,
Niix, Mercur, Stannum, Cuprum, Magnes. carb., Calcar. etc.

§. 275.

Epilepsia uterina. Uterinepilepsie.

Auch hier folgen wir Schön lein, der 2 Formen unter-
scheidet, nämlich eine chloro t ische und eine plethori-
sche Uterinepilepsie. Beide Formen trennt er ebenfalls wie-
der in 2 Perioden, in deren erster die Kranken ein vom Ute-
rus ausgehendes zusammenschnürendes Gefühl haben, das als



Epilepsia uterina. Uterinepiiepsie. 589

Globus hystericus rasch über die Brust nach dem Gehirn auf-
steigt und Schwarzsehen, Flimmern erzeugt, das die Kranken,
um nicht umzufallen, zum Niedersetzen zwingt. In der zweiten
Periode treten dann complete epileptische Anfalle mit Bewusst-
losigkeit und Convulsionen ein. Bei der chlorotischen Ute-
rinepilepsie ist und bleibt das Gesicht blass, chlorotisch gefärbt,
durchaus keine Zeichen von Gefässaufregung. Letzteres aber
ist bei der plethorischen der Fall und oft schon mehre Tage
vor Eintritt des Paroxysmus klagen die Kranken über vermehrte
Wärme im Kopfe, der sich heiss anfühlt, geröthetes Gesicht,
Kopfschmerz; im Anfalle selbst stark injicirte, hervorgetriebene
glotzende Augen, beschleunigte Respiration, blutiger Schaum
vor dem Munde, selbst Blutspuckeu. — Menstruationsstörungen
sind bei beiden Formen vorhanden; sie geben gewöhnlich ein
ätiologisches Moment mit ab; die Chlorotica finden wir
vorzugsweise bei schwächlichen, reizbaren, chlorotischen Sub-
jeeten zur Zeit der Entvvickelung der Pubertät; die Plethorica
hingegen in den Blüthenjahren. Leidenschaftliche Aufregungen,
namentlich Zorn während der Menstruationsperiode, wodurch
die Menses gehemmt oder unterdrückt werden, führen die Krank-
heit am ersten herbei ; eben so Hysterie, Uterus-Desorganisation,
Retroversio uteri.

Die Prognose ist in beiden Fällen nicht ungünstig, ja
die Plethorica ist oft noch leichter heilbar, als die Chlo-
rotica.

Therapeutisches Verfahren. Auch hier bleibt mir
nichts zu erinnern übrig, was ich nicht anderweitig schon viel-
fach und ausführlich besprochen hätte. Für die Plethorica sind
besonders die Congestionszustände nachzulesen; für beide For-
men aber die verschiedenen Menstruationsanomaüen. Dass,
wo Retroversio uteri vermuthet wird, die Maniialexploration
vorgenommen werden muss, versteht sich von selbst; hat man
sich durch selbige die Diagnose gesichert, so übernimmt die
Geburtshülfe die Behandlung. Ist den in ätiologischer Beziehung
nöthigen Indicationen Genüge geleistet worden, und die Krank-
heit bleibt dennoch unverändert, so kommen .alle die Mittel in
Betracht, die als Specifica gegen Epilepsie überhaupt gekannt
sind, unter denen der Arzt immer diejenigen vorzugsweise wählt,



590 Epilepsie, Fallsucht.

die in mehr oder weniger Beziehung zum weiblichen Sexual-
systeine mit stehen. — In der chlorotischen aber, so wie in der
plethorischen Epilepsie werden, ausser dem schon Angedeuteten,
folgende Mittel einer besondern Berücksichtigung werth sein:
Piatina, Ignat., Pulsat., Sulphur, Conium, Magnes. muriat., Colo-
cynth., Slaphys., Phosphor, CoccuL, Caust., Stannum etc.

§ 276.

Epilepsia testicularis. Testicularepilepsie.

Sie erlangt nicht gleich ihre volle Entwickelung, sondern
durchläuft folgende Perioden:

Erste Periode. Die Kranken haben von Zeit zu
Zeit, meist Nachts, einen heftig ziehenden Schmerz, in
einem, seltner in beiden Hoden, die krampfhaft gegen den
Bauchring gezogen werden. Nach % bis % Stunde enden diese
Erscheinungen entweder mit Erbrechen, oder, was häufiger ge-
schieht, mit Samenerguss, selten, dass es zu Schwindel und Ver-
gehen der Sinne kommt. Dieses Stadium dauert Monate, oft ein
Jahr und darüber.

Zweite Periode. Es kommt wieder zur Reizung in
den Genitalien, aber der Anfall endet nicht mehr mit Erbrechen
sondern der Kopf wird ergriffen, die Kranken stürzen bewusstlos
zusammen und verfallen in die eigentümlichen Convulsionen:
auch hier schliesst der Paroxysmus mit Samenausfluss. Bei
Fortschreiten der Krankheit verschwindfe allmälig die Erschei-
nungen von Aufreizung im Genitaliensysteme und es kommt gleich
zu den epileptischen Anfällen, ohne dass Vorläufer vorausge-
gangen wären.

Aetiologie: Erscheinen der Krankheit vorzüglich im
Pubertätsalter, in Folge von Nichtentleerung des Samens, durch
Aufreizung der geschlechtlichen Sphäre durch Leetüre , Onanie
oder Versuch zum Coitus; aber auch bei Männern, die frü-
her sehr ausschweifend gelebt haben und plötzlich Enthalt-
samkeit üben.

Auch hier , ist die Prognose günstig, besonders
wenn man die Krankheit gleich Anfangs zur Behandlung be-
kommt.



Epilepsia testicularis. Testicularepilepsie. 591

Therapeutik. Für den homöopathischen Arzt ist hier
vorzüglich das erste Stadium scharf ins Auge zu fassen mit seinen
characteristischen Eigentümlichkeiten, und eine umsichtige Be-
handlung wird den Uebergang der Krankheit ins zweite Stadium
ganz verhüten — ein Resultat, das durch das allöopathische Heil-
verfahren nie erzielt werden wird, das aber auch dem Homöopa-
then nie die drohende Gefahr, in der der Kranke schwebte, wird
erkennen lassen , indem aus den Zeichen des ersten Stadiums
wohl in den wenigsten Fällen der Schluss zu ziehen sein mögte,
dass eine so wichtige Krankheit im Anzüge gewesen sei.

Vorzüglich beachtenswerth ist hier die Irritation des Genita-
liensystems (gleichviel ob sie durch schlüpfrige Leetüre, Onanie,
übertriebenen Beischlaf oder grosse Enthaltsamkeit in Bezug auf
Ausübung des Beischlafs herbeigeführt wurde) und ihre Zurück-
führung auf das Normalmaass die Hauptindication, der wir auf
folgende Art entsprechen: Lesen aufregender Romane ist gänz-
lich aufzugeben; Onanie und übertriebener Beischlaf iriuss ge-
mieden werden und dem Enthaltsamen ist ein massiger Genuss
des Coitus anzuempfehlen. Um die übermässige Reizbarkeit,
die Romanlectüre, Onanie und häufiger Beischlaf erzeugte, zu
massigen, empfehlen sich nachstehende Mittel als vorzüglich
heilsam: China, Acid. phosphor., Staphysagr., Calcar. carb., Sul-
phur, Sepia, Nalrum muriaticum. — Den Nachtheilen von stren-
ger Enthaltsamkeit begegnet man am besten mit Conium, Phos-
phor, Nux, Sepia u. e. a. — Den häufigen, allzu öftern Samen-
ergiessungen entsprechen mehne Mittel ; hier würden vorzugs-
weise in Betracht kommen: Sulphur, Sepia, Conium, Phosphor,
Caustic, Bovist. — Gegen die ziehenden Schmerzen mit krampf-
hafter Heraufgezogenheit der Hoden sind zu berücksichtigen:
Thuja, Rhododendron, Pulsat., Zinc, Nux, Terebinth., Clematis,
Nitri acid., Coccul.

Heisst diess aber nicht den Anfänger aufs Glatteis führen,
wenn man ihm eine so grosse Anzahl von Arzneien gegen eine
Krankheit empfiehlt, ohne ihm auch genaue Specialitäten anzuge-
ben, die bestimmt genug für die Anwendung dieser oder jener
Arznei sprechen? Ich fürchte diess nicht und darum habe ich es
an andern Orten in diesem zweiten Bande schon auch so gehalten,
aus dem gewiss allen Lesern einleuchtenden Grunde : weil es in



592 Epilepsie, Fallsucht.

chronischen Krankheiten, die sich in so vielen Theilen, Systemen,
Organen des menschlichen Körpers verzweigen, weit schwieriger ist,
sichere Criterien für dieses oder jenes Mittel hinzustellen, die dem
Anfänger in jedem Einzelfalle als Leitstern dienen könnten. Es
ist der erste Versuch, die chronischen Krankheiten ähnlich den
akuten zu bearbeiten, aber er ist weit schwieriger, und die we-
nigsten Krankheiten bieten dem Bearbeiter den Lohn, auf den er
bei der vielen Mühe wohl Anspruch zu machen hätte, weil eine
Menge unter ihnen sind, die bei den genauesten Angaben der
bestgewähltesten Mittel doch häufig einen unglücklichen Ausgang
nehmen. — Diess ist jedoch nicht der Grund, der mich hätte
verleiten können und dürfen, mir eine Nachlässigkeit in Bearbei-
tung der Mittel zu Schulden kommen zu lassen; o nein! der
Grund liegt einzig und allein darin, dass ich mir in einzelnen
Fällen selbst nicht Rechenschaft genug geben kann, in andern
wiederum die Erfahrung mir fehlt. Tadle mich darum Niemand ;
habe ich doch die Bahn gebrochen und die kommende Genera-
tion mag die Vollendung, ist sie irgend möglich, übernehmen.

Die zweite Periode der Testicular - Epilepsie bietet für die
Therapie nichts Abweichendes gegen die andern Epilepsien.

§. 277.

Epilepsia thoracica. Brustepilepsie.

Der Sitz der epileptischen Aufregung ist vorzüglich im
Nervus pneumogastricus. Schönlein's Schilderung
einer Brustepilepsie ist wörtlich folgende:

Erste Periode. Die Kranken bekommen gegen Abend,
oft dadurch aus dem Schlafe geschreckt, das Gefühl grosser Be-
engung, Oppression auf der Brust, so dass sie heftig und keu-
chend athmen, ohne jedoch stechenden Schmerz zu fühlen. Diess
zusammenschnürende Gefühl beginnt am Processus ensifor-
mis und verbreitet sich von da über die Brust, oft mit dem
Gefühle eines aufsteigenden Hauches. Die Dauer des Anfalls
ist x k bis Va Stunde und darüber und endet entweder mit krampf-
haftem, wenig Schleim heraufbeförderndem, Husten, oder höher
oben am Kopfe, mit Flimmern vor den Augen und Schwindel.



Epilepsia thoracica. Brustepilepsie. 593

Dieses Stadium dauert manchmal nur wenige Monate , oft aber
auch mehre Jahre. Im letzten Falle zeigt sich ein merkwürdiger
Einfluss der Jahreszeit auf die Heftigkeit der Paroxysmen in der
Art, dass dieselben den Winter über an Frequenz zunehmen, im
Sommer aber sich auffallend mindern.

Zweite Periode. Die Kranken erwachen aus dem Schlafe,
stossen eigentümliche, thierähnliche, oft sogar schreiende Laute
aus und verfallen in Convulsionen, die oft so heftig sind, dass
sie aus dem Bette stürzen. Am Morgen fühlen sie sich dann
ungeheuer ermattet und tragen nicht selten Spuren der Verletzung
durch den Fall an sich, was sie um so mehr wundert, da sie von
dem, was mit ihnen vorgegangen ist, durchaus nichts wissen.
Die Anfälle kommen Anfangs blos Nachts (die E. thoracica
ist immer E. nocturna, nicht aber umgekehrt) und wenn im
Fortgange des Uebels die Paroxysmen auch am Tage kommen,
so sind die nächtlichen doch immer häufiger und heftiger als jene.

Aetiologie. Die Krankheit kommt vorzüglich bei jungen
Männern vor; die häufigste Ursache ist unterdrückte Krätze,
doch nicht die einzige, wie Autenrieth annimmt; auch Durch-
nässung, Verkältung bei stark schwitzender Haut scheint sie ver-
anlassen zu können.

Die Prognose ist nicht ungünstig.

Therapie. Eine sehr vorzügliche Arznei in der ersten
Periode der Krankheit ist Aurum tnetall., das ich nicht blos nach
seinen physiologischen Wirkungen als empfehlenswerth angebe,
sondern weil es sich mir schon mehrmals in ähnlichen Leiden in
der Erfahrung bewährt gezeigt hat bei grosser, starker Been-
gung der Brusthöhle mit zusammenkrampfendem Gefühle in der-
selben, Nachts und dem steten Bedürfnisse tief athmen zu müs-
sen, wozu sich oft ein sehr heftiges Herzklopfen gesellt.

Ihm zunächst steht unstreitig Arsenic. bei einer solchen
nächtlichen Erstickung drohenden Beklemmung und Athemnoth,
mit sehr gereiztem Herzschlage. — War die Krankheit nach
Durchnässung einer sehr stark schwitzenden Haut entstanden, so
verdient Colchicum die vorzüglichste Beachtung.

Kein Mittel jedoch wird in einer solchen Brustepilepsie, de-
ren frequenteste Ursache unterdrückte Krätze ist, häufiger An-
wendung finden, als Sulphur , den die Erfahrung schon so oft



594 Epilepsie, Fallsucht.

als Heilmittel in nächtlichen Asthma-Anfällen uns kennen gelehrt
hat, dass wir diese Fälle füglich als Analogien für die erste Pe-
riode dieser Krankheit benutzen können. Die hieher gehörenden
Symptome sind auch characteristisch genug, um nicht beim Nach-
schlagen sogleich auf dieses Mittel hingewiesen zu werden:
Athemversetzung oft im Schlafe; Patient muss geweckt werden,
um nicht zu ersticken; Athemmangel plötzlich, Nachts im Bette,
beim Umwenden auf die linke Seite, beim Aufsitzen vergeht es ;
kaum eingeschlafen Nachts war der Athem weg, sie wollte er-
sticken, fuhr auf mit lautem Schrei und konnte nicht wieder zu
Athem kommen; gegen Morgen starkes Herzklopfen und matter
Schweiss darnach; Erstickungsanfall, Nachts im Schlafe, doch
ohne Schmerz, grosse Schwäche in der Brust, die ihn besonders
Nachts, wenn er ins Bett kommt, belästigt, so dass er nicht
lange auf einer Stelle liegen kann.

Mit eben dieser Gewissheit, wie bei Sulphur, können wir
aber auch Sepia in diesem ersten Zeiträume der Krankheit em-
pfehlen, wobei wir uns ebenfalls auf die Erfahrung berufen, die
oft genug bewiesen hat, dass das Mittel derartigen nächtlichen
Anfällen vollkommen entsprechend ist; folgende Symptome sind
bei der Wahl der Sepia besonders in Anschlag zu bringen:
Starke Brustbeklemmung Abends, das Athmen sehr erschwerend
und beim Niederlegen sich so verschlimmernd, dass sie im Bette
sitzen musste ; dabei Flimmern vor den Augen. Beklemmt und
sehr beengt wacht er Nachts auf; er musste 1 Stunde lang
schwer und tief sthmen und war früh naÄh dem Erwachen noch
etwas beengt, Engbrüstigkeits-Anfall, Nachts; er lag vorgebückt
mit dem Kopfe, fühlte Beengung und musste tief athmen um
Luft zu bekommen, eine Stunde lang; darnach Husten mit Aus-
wurf zähen Speichels. — Die hier angeführten Symptome ent-
sprechen den beiden angedeuteten Erscheinungen in der ersten
Periode, wo die Aura sich nur in der Brust ausbreitet und
durch Husten mit Schleimauswurf endet; und den höher nach
dem Kopfe steigenden, wo Flimmern vor den Augen eintritt.
Zugleich aber ist Sepia auch eins von den Mitteln, die den durch
unterdrückte Krätze entstandenen Leiden, nach Hahnemann's
eigener Angabe, am öftersten entsprechend sich zeigt.



Epilepsia peripherica. 595

Sulphur und Sepia besitzen aber auch noch den Vorzug,
dann heilend einzugreifen, wenn ein längst unterdrückter chroni-
scher Haut- Ausschlag zwar nachgewiesen werden konnte, die
Krankheit aber erst weit später, durch zufällige Ereignisse, wie
Verkältung, Durchnässung der Haut, heftige Gemüths -Eindrücke
u. s. w., sich entwickelte.

In der zweiten Periode, wo die Epilepsie völlig entwickelt
dasieht und sich nur deutlicher als Epilepsia nocturna her-
awStellt, gilt dasselbe Verfahren, was ich bei der Behandlung
der Epilepsie schon angegeben habe, nur dass der Anfänger
immer auf die Mittel mehr Rücksicht zu nehmen hat, die die An-
fälle bei nächtlicher Weile hervorzurufen vermögen, z. B. auf
Calcarea, Kai. carb., Cuprum., Secal. com., Arsenic, Ipecac,
Moschus, Lycopod. u. s. w.

§. 278.

Epilepsia peripherica.

Dass die primitive, den epileptischen Anfall erregende Rei-
zung in irgend einem peripherischen Nerven der Extremitäten
u. s. f. ihren Sitz habe, ist anzunehmen, wenn eine Verletzung
oder eine andere pathologische Veränderung solchen betroffen
hat, wenn der Kranke vor dem Eintritte des Anfalls an der
Stelle dieses Nerven Schmerz, oder eine unangenehme Empfin-
dung verspürt, wenn von diesem Nerven aus die Aura ihren
Ursprung nimmt und in der Fortleitung zum Gehirne der Bahn
seiner Fasern folgt, wenn durch Ligatur diese Fortleitung unter-
brochen werden kann. Zuweilen leitet nur die Gegenwart einer
Narbe, einer in der Tiefe fühlbaren Härte auf die Vermuthung
peripherischen Ursprungs der Epilepsie. Uebrigens muss die
Reizung an einer peripherischen Partie des Nervensystems per-
manent sein, wenn sie eine Epilepsia per ipherica erzeugen
soll, z. B. ein Schrotkorn, Kugel, Holz, das fortwährend auf
einen Nerven drückt; oder pathische, im Organismus selbst er-
zeugte Producte, z. B. Exostosen, gichtische Concremente: end-
lich aber auch metastatische Ablagerungen , z. B. unterdrückte
Krätze.



596 Cyanosen im Allgemeinen.

Die Prognose ist hier fast immer günstig, wenn das Cau-
salmoment ermittelt und, wo möglich, entfernt werden kann, und
wenn die Krankheit überhaupt noch nicht zu sehr um sich ge-
griffen hat.

Die Therapie weicht von der anderer Formen nicht ab.

Die übrigen Arten von Epilepsie, wie die protopathi-
sche, durch Schreck, Furcht, Zorn etc. entstanden; die E. spi-
nalis,vom Rückenmark ausgehend, die idiopa thische,^^h
E. cephalica genannt, die mehr Symptom anderer Krankheiten
ist, übergehe ich, da sie in keiner Beziehung weitere Verschie-
denheiten darbieten, und mir den eng zugemessenen Raum für
die noch folgenden Krankheiten nur rauben würden.



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #23 on: April 30, 2013, 09:44:36 PM »

Zwanzigste Ordnung.
§. 279.

Cyanosen im Allgemeinen.

Zuerst wurde dieses Wort für eine bestimmte Krankheit des
Herzens, die Blausucht, gebraucht; da aber auch andere Krank-
heiten, unter denen wir nur die Chlorose noch nennen wollen,
ähnliche Erscheinungen zeigen, namentlidi in Bezug auf die Blut-
mischung, so werden wir die Cyanosen^nd Chlorosen unter die-
ser Ordnung einer nähern Betrachtung würdigen.

Der physiologische Char acter bei allen Cyanotischen
bietet auffallende Veränderungen in der Beschaffenheit des Blu-
tes, es ist sehr leichtflüssig, gerinnt äusserst schwer und bildet
nie einen vollständigen Blutkuchen ; das Serum ist immer sehr
überwiegend ; die Farbe desselben ist selten roth, meist schwarz
gefärbt, ins Violette oder Blaue ziehend; nicht blos die Masse,
sondern auch die einzelnen Bestandtheile desselben, Blutkuchen
und Serum, sind spezifisch leichter; die Menge der Fibrine und
des Albumens hat abgenommen, während die wässrigen Bestand-
theile prävaliren. — Auch die Respiration und Verdauung ist
verändert; erstere ist beschleunigt, kurz, schmerzhaft, doch er-



Cyanosen im Allgemeinen. 597

giebt Percussion und Auscultation keine Veränderung im Respira-
tionsapparate. — Was die Verdauungsorgane anlangt, ist ihre
Thätigkeit in den verschiedenen cyanotischen Formen auch eine
verschiedene; bald vermindert und die Esslust bedeutend herab-
gestimmt; bald erhöht — es findet Gefrässigkeit statt, aber die
Richtung derselben ist alienirt, z. B. Appetit nach Thran, Talg,
Fett, Kreide etc. — Eben so finden sich auch Störungen in den
Functionen des Muskel- und Nervensystems, daher grosse Mat-
tigkeit, Erschöpfung und höchste geistige Schwäche. — Verän-
derungen in der Temperatur, nicht blos subjectiv, sondern auch
objectiv; immer ist Wärmeverminderung zugegen. — Verände-
rung in der Hautfarbe, in einzelnen Formen blau, in andern
mehr schmutzig und ins Gelbe ziehend; auch der Urin nimmt an
dieser Veränderung Theil. — Die normalen Secretionen mindern
sich mit Zunahme des Uebels; so sind die Secretionen der Haut
beschränkt, oft ganz unterdrückt, eben so die des Darmkanals
und an ihre Stelle treten oft blutige Secretionen.

Anatomische Charactere sind: die Muskeln sind ent-
weder äusserst dunkelbraun oder äusserst blass, es fehlt in ihnen
der Normalbestandtheil, der Cruor; dabei sind sie leicht zerreiss-
bar, weich und haben an Volumen verloren. — Die Venen sind
erweitert und mit Blut überfüllt; die Herzsubstanz, dunkelbraun,
weich, leicht zerreissbar. — Milz ist oft vergrössert und dann
gleichzeitig erweicht; oft verkleinert und dann gleichzeitig ver-
härtet, carniticirt, mehrmals ganz knorpelähnlich. — Im Zellge-
webe fehlt das Fett entweder ganz und es ist blos durch Wasser,
an einzelnen Stellen blos durch Venenblut ersetzt ; oder es findet
sich eine eiweisshaltige Secretionsflüssigkeit mit Resten des
Fettes.

§. 280.

Aetiologie. Erbliche Anlage; Bildungsfehler; eine be-
stimmte Lebensperiode, z. B. die Entwickelungs- und Involutions-
periode; die Cyanosis cardiaca der ersten Lebensjahre; die
Chlorose in der Pubertätszeit; in der Periode der Involution der
Scorbut; bei allen aber ist eine grosse Revolution im Respira-
tionssysteme bemerkbar.



598 Cyanosen im Allgemeinen.

Zu den äussern Momenten sind insbesondere zu rech-
nen: Mangel an Nahrung, schlechte Kost; atmosphärische Ein-
flüsse, z. B. sauerstoffarme, mit thierischen und vegetabilischen
Effluvien verunreinigte Luft; eben so eine mit Quecksilber,
Chrom, Chlordämpfen geschwängerte; endlich eine solche mit
Wasserdünsten überfüllte; Verminderung des Blutes durch über-
mässige Muskel- und Nervenanstrengung, oder durch heftige
Blutungen.

Der Verlauf der Cyanosen ist meist ein chronischer, lang-
samer. Ihre Ausgänge sind 1) in Genesung, meistens je-
doch nur durch Hülfe der Kunst und auch da nur äusserst lang-
sam, ohne Crisen, blos durch allmälige Abnahme der Symptome,
absatzweise. Im Sommer tritt die Genesung eher ein, als im
Winter. — 2) In theilweise Genesung. Störungen im
Gangliensysteme bleiben zurück, Hysterie, Hypochondrie, Melan-
cholie, Dyspepsie. — - 3) In den Tod, durch plötzliche Erschö-
pfung in Folge eines augenblicklichen Mangels normalgemischten
Arterienblutes; die Kranken fallen plötzlich in Ohnmacht und
sterben; — durch Erschöpfung in Folge colliquativer Blutungen;
— durch Hinzutritt von Hydropsie und Phthisis. — Die Prog-
nose ergiebt sich aus dem eben Gesagten.

§. 281.

Die Therapie dieser Krankheitsfarmen im Allgemeinen be-
schränkt sich eigentlich nur auf die lndi ca tio causalis,
die für alle Cyanosen fast die Hauptsache ist, da sie die Reguli-
rung der Diät zum obersten Zweck hat, wovon der grössere
Theil des Gelingens der Cur abhängig ist. Es handelt sich
aber hier nicht blos darum, die schädlichen Einwirkungen zu
entfernen, sondern sie muss an ihre Stelle auch heilbringende
anordnen. Bezüglich der Speisen und Getränke gilt Folgendes :
1) alle cyanotischen Formen verlangen nährende, aber nicht
reizende, mehr Stick-, als Kohlen- und Wasserstoff haltende
Dinge; frisches Fleisch, zuckerstoffhaltige Vegetabilien, Knollen-
gewächse ; zum Getränk frisches Wasser, auch mit Ei und etwas
Zucker gemischt, in einzelnen Fällen, worüber jedoch der be-
handelnde Arzt allein zu entscheiden hat, zuweilen Eisensäuer-



Cyanosis cardiaca, Morbus coeruleus. Blausucht. 599

linge. Alles Erhitzende, Reizende, viel Wein, Branntwein,
scharfes Gewürze ü. dgl. ist dagegen schädlich. 2) Die Luft
muss wann, trocken und sauerstoffreich sein, denn nasse oder
kalte Luft wird nicht vertragen ; es ist daher häufig notwen-
dig, den Kranken eine Luftveränderung vornehmen und, erlauben
es ihre Mittel, aus dem kälteren in ein wärmeres Klima reisen
zu lassen. 3) Die Cultur der Haut indizirt den Gebrauch der
Bäder.

§. 282.

Cyanosis cardiaca, Morbus coeruleus. Blausucht.

Erscheinungen: Die Kranken haben schon im ersten
Kindesalter blaues Colorit und einen eigenthümlichen blausüchti-
gen Habitus. Sie sind mehr oder weniger schlank, fettlos, ha-
ben schwache Muskeln, blaue Lippen, oft auch blaue Nase, und
ungewöhnlich lange obere Extremitäten. Die Nagelphalangen
sind auffallend verbildet, angeschwollen, kuglich, mit einem
klauenförmigen Nagel besetzt. Der Livor, der sich besonders
deutlich am Gesichte, den Lippen und in der Mundhöhle aus-
spricht (die Kranken sehen aus, als hätten sie Schwarzbeeren ge-
gessen) und der deutlich auch an den untern und obern Extremi-
täten, besonders an den* Fingern und Nagelgliedern erscheint,
steigert sich bei geringer Temperatur, bei Muskel- und Lungen-
anstrengung. Die Muskeln der Kranken sind dünn, schlaff, welk;
die Kranken ermüden bei der geringsten Anstrengung, sind da-
her trag und scheuen jede Bewegung. Die Haut fühlt sich kalt
an. Alle normale Secretioneu sind beschränkt, die der Haut,
des Darms, des Uterus etc., dagegen findet sich grosse Neigung
zu Blutflüssen. Bei jugendlichen Subjecten kommen Blutungen
aus der Nase und Mund, später Pneumorrhagien ; auch Blutungen
aus dem Darmkanal und den Harnwerkzeugen sind nicht selten.
Die Palpitation lässt äusserlich oft beträchtliches Katzenschnurren
wahrnehmen. Der Arterienpuls ist selten natürlich, meist klein,
schwach, unregelmässig oder intermittirend und kann 80 — 120
Schläge in der Minute machen.

H. 39



600 Cyanosis cardiaca, Morbus coeruleus. Blausucht.

§. 283.

A e t i o 1 o g i e : Missbildungen des Herzens : Die Perforation der
Scheidewand der Vorhöfe und Kammern ist in der Mehrzahl der Fälle
eine angeborne Bildungshemmung; es findet also keine Trennung
zwischen dem linken und rechten Herzen statt, die nothwendig eine
Vermischung beider Blutarten im Herzen schon bedingen muss.
Die Heftigkeit des Uebels hängt von der Grösse der Perforation
und der Menge des sich zumischenden Venenblutes ab. Weni-
ger heftig sind daher die Erscheinungen bei offenem Foramen
ovale, heftiger bei doppelwurzeliger Aorta. — Oft treten die
Symptome einer Cyanose erst in spätem Jahren, nach heftigen
Anstrengungen, z. B. nach Keuchhusten, Fall und ähnlichen Ver-
anlassungen hervor, die zu den Gelegenheitsursachen zu zählen
sind, welche die latente Krankheit zum Ausbruche bringen können;
ferner gehören hieher besonders aber die Entwicklungsepochen,
die Dentition, die Pubertät, fieberhafte Krankheiten, Catarrh,
Exantheme u. dgl.

Der Verlauf der Krankheit, mag er schnell sein, oder sich
in die Länge ziehen, ist fast in allen Fällen ein ungünstiger, denn
die Krankheit endet tödtlich und diess ist auch der einzige Aus-
gang, den die Krankheit macht. In der Regel erfolgt der Tod
in einer der Evolutionsperioden; die meisten Individuen sterben
sehr frühzeitig in den ersten Lebenstagen, in der Dentitionspe-
riode und zur Zeit der Pubertät; oderjntercurrirende Krankhei-
ten, Affectionen der Brustorgane, namentlich aber Masern, Blat-
tern, Scharlach, Dysenterien, sind kritische Momente, die häufig
dem Leben ein Ende setzen.

Anatomische Characte r e. In einer Menge von Fällen
findet sich das Foramen ovale oder der Ductus arier. Botall. , ja
selbst beide zugleich offen, ohne dass krankhafte Symptome die
nothwendige Folge waren ; treten aber andere Missbildungen
hinzu, dann beobachten wir weit häufiger die Krankheit. Hieher
gehört nun vornehmlich: Ursprung der Aorta aus rechtem und
linkem Ventrikel ; Oeffnung im Septum Ventricul. , bald gerade,
bald schief und canalartig, meist nahe am Ursprünge der gros-
sen Arterien und dann ist gewöhnlich auch das foramen ovale
offen} Ursprung der Aorta aus dem rechten, der Lungenarterie



Cyanosis cardiaca, Morbus coeruleus. Blausucht. 601

aus dem linken Ventrikel ; Ursprung der Lungenarterien aus bei-
den Ventrikeln; Herz mit einem einzigen Ventrikel und Atrium;
auffallend häufig findet man, mit einem oder dem andern der
genannten Bildungsfehler zugleich, geringere oder grössere Ver-
engerung der Lungenarterie, selbst Obliteration, Veränderungen
des Klappenapparats; in diesen Fällen ist das Herz fast constant
vergrössert. — Unter die anatomischen Charactere ist auch der
sogenannte Habitus cyanoticus zu rechnen, den der Leser
in §. 282 unter den Erscheinungen angegeben? findet.

§. 284.

Behandlung einer Cyanosis cardiaca. Da die Krank-
heit auf Bildungsfehlern des Herzens beruht, so ist die Kunst un-
vermögend, etwas dagegen zu thun und sie auszugleichen. Die
Behandlung kann daher hier nur eine palliative sein, die sich auf
jene im vorigen Paragraphen genannte Epochen und Perioden be-
schränkt, wo aber die ganze Aufmerksamkeit des Arztes erfor-
derlich ist, um den Cyanotischen glücklich über diesen Zeitpunkt
hinwegzuführen ; gelingt ihm diess , so ist es immer erfreulich
für ihn, denn gewöhnlich ist dann das Leben wieder auf einige
Jahre gesichert.

Diese Palliativkur nun bezieht sich zunächst darauf, dass sie
jede Gelegenheitsursache möglichst zu entfernen sich bestrebt,
wodurch Herz und Lunge angestrengt wird, oder die Behinderung
des Kreislaufs vermehrt werden könnte. Daher ist zuförderst
dafür zu sorgen, dass die Temperatur dem äussern Wärmegrade
des Kranken entsprechend sei, die durch wärmere Bekleidung,
warme Bäder erzeugt werden muss, weil Patient immer über
Kälte sich beklagt; Verkältung und Durchnässung ist ihm beson-
ders nachtheilig. Unterstützung der Herzthätigkeit durch pas-
sive Bewegung, als Fahren, Reiten, Schaukeln u. s. w. Der
gleichzeitig oft vorkommenden Stuhlverstopfung, damit nicht
durch die Anstrengung dabei die Zufälle der Cyanose erregt oder
vermehrt werden, begegnen wir durch Nux, Bryon, Beilade
Opium u. s. w. — Die grösste körperliche und geistige Ruhe,
ein mildes nährendes Regimen, Vermeidung von Ueberladung
des Magens, von erhitzenden Speisen und Getränken sind der-
artigen Kranken zur Pflicht zu machen.

39 *



602 Cyanosis cardiaca. Morbus coeruleus. Blausucht.

Asthmatische Faroxysmen und Ohnmächten weichen in der
Behandlung nicht von der anderer Asthma-Anfälle und Ohnmäch-
ten ab. Empfehlenswert!! sind hier die Frictionen der Brust
mit warmem Flanell, Bespritzen der Brust mit Wasser, Essig-,
warme Hand- und Fussbäder, grösste Ruhe, aufrecht sitzende
Stellung. Die vorzüglichsten homöopathischen Arzneien zur bal-
digen Linderung oder Beseitigung derartiger Steckanfälle sind
hier insbesondere Ipecac, Opium — Steckanfall, mit blauem
Gesichte und Anstrengung zum Husten, — Crocus, Moschus; Fer-
rum, namentlich wo sie mit einer fast unmerkbaren Bewegung
des Brustkastens und grosser Erweiterung der Nasenlöcher ver-
bunden sind, Camphora, Sambuc. u. s. w. — Die bei Cyanoti-
schen vorkommenden Ohnmächten bieten gerade etwas Charac-
teristisches nicht dar, dennoch verdienen folgende Arzneien be-
sondere Berücksichtigung: Aconit, Moschus, Crocus, Vera-
trum, Nux u. s. w.

Eine Erscheinung, die mir weit häufiger als jede andere in
dieser Krankheit vorgekommen ist und die fast immer einen un-
glücklichen Ausgang zu nehmen drohte, war Nasenbluten.
Schon mehre Tage vor dessen Eintritt war der Livor auffallend
markirt um die Nase, Lippen, in der Mundhöhle und an den Fin-
gern; die Kranken waren träge, niedergeschlagen, litten an
Schnupfen und schliefen Nachts sehr unruhig. Opium, Laurocer.,
Acid. hydroc, und alle hier etwa indizirten Mittel wurden frucht-
los angewendet; ich sah den Sturm herannahen und konnte ihm
nicht begegnen! Alles Individualismen nützte mir nichts; ich
konnte das abfliessende Blut in seine einzelnen Bestandtheile zer-
gliedern; ich sah, es war zu Anfange der Blutung dunkel, wurde
aber bei längerer Dauer immer dünnflüssiger, wässeriger; der
Collapsus nahm immer mehr überhand und der tödtliche Ausgang
drohte in den nächsten Minuten die Scene zu schliessen! Crocus,
China, Bryon., Beil., Phosphor, Carbo veget. leisteten nichts,
wohl aber Arnica, 1. 5 gtt. in 1 5 Wasser — 5 minütlich 1 Thee-
löffel voll und jedesmal auch einige Tropfen mittels eines Schwämm-
chens in die Nase gebracht — sistirte die Blutung augenblick-
lich; ich Hess sie in längern und immer längern Zwischenräumen
mehre Tage fortnehmen und erst dann wagte ich es, einige Ga-
ben China 3 — 6 zur Hebung der Kräfte in Anwendung zu bringen.



Cyanosis pulmonalis. 603

Unwahrscheinlich ist es mir nicht, dass Digitalis dem Zu-
stande, der dem Nasenbluten vorangeht, entsprechen dürfte, doch
müsste sie dann wohl in der Zeit angewendet werden, ehe man
noch von andern Arzneien Gebrauch gemacht hätte und das wird
immer seine Schwierigkeiten haben, weil die Angehörigen, mit
dem cyanotischen Habitus vertraut und die Krankheit nicht zu be-
urtheilen vermögend, den passenden Zeitpunkt, wo vielleicht
noch vorzubeugen wäre, ungenützt vorübergehen lassen.

§. 285.
Cyanosis pulmonalis.

Schön lein nimmt noch diese zweite Form an, von der
Lentin schon als von einer Cyan. spuria gesprochen hat.
Nach Jenem soll sie vielleicht eben so frequent als die erstere
Form sein.

Erscheinungen: Die Kranken haben ein Gefühl von la-
stender Schwere, Druck, Oppression auf der Brust; der Athem
ist kurz, beschleunigt, etwas keuchend, und der Thorax wölbt
sich nicht, sondern die Respiration geschieht mehr durch die
Bauchmuskeln und das Diaphragma. Die Percussion ergiebt,
wenn die Krankheit für sich besteht, einen etwas malten Ton,
der oft auf eine Brusthälfte oder eine Stelle sich beschränkt,
wenn die Krankheit nicht allgemein verbreitet ist. An dieser
Stelle mangelt das Respirationsgeräusch entweder ganz, oder ist
wenigstens undeutlich. Statt des blasenden Tones hört man
Schleimrasseln, nicht aber Husten- oder Röhrenrasseln, oft be-
darf man bei vollkommen entwickelter Krankheit dazu des Sthe-
toskops gar nicht. Die Kranken werfen einen glasartigen oder
purulenten mit schwarzem Blute gemischten Schleim aus. In ih-
rem Gesichte, besonders an Wangen, Lippen und der innern
Mundhöhle prägt sich der Livor am stärksten aus, der durch
Steckanfälle und heftige Bewegungen noch deutlicher hervortritt.
Die Extremitäten sind kalt, die Haut trocken, der Stuhl ver-
stopft; Urin gering, dunkelgefärbt, braunroth ; der Puls ruhig;
grosse Mattigkeit, Ermüden bei der geringsten Bewegung und
Steckanfälle oder Kurzathmigkeit bei etwas bedeutender An-
strengung.



604 Cyanosis pulraonalis.

§. 286.

Aetiologie. Pulmonarcyanose ist stets secundär, aus
einer meist chronischen Entzündung 1 der Lungensubstanz hervor-
gegangen. Wir müssen hier bemerken, dass ausser den früher
genannten Bildungsfehlern des Herzens , auch noch andere Krank-
heiten vorkommen, die mittels desselben Mechanismus venöser
Stase das Phänomen der Cyanose erzeugen, z. B. andere Herz-
krankheiten ; Lungen-Alterationen, als Lungenemphysem, Hepati-
sation, Erguss in der Pleura; die Cholera. Auch eine Cyano-
sis encephalica, durch Gehirnkrankheit, Ventrikel- Wasser-
sucht bedingt, eine C. gastro-intestinalis; eine C. ute-
rina oder dysmenorrhoica hat man noch angenommen, im-
mer jedoch bleibt sie nur Symptom, nicht Krankheit..

Aus dem Verlaufe und den Ausgängen ergiebt sich zu-
gleich die Prognose. Ersterer ist chronisch, aber fast immer
lethal; im Sommer sind die Symptome bedeutend geringer, als
im Winter, wo die Hautsecretion nicht so thätig ist und daher
auffallende Verschlimmerung eintritt. — Der tödtliche Ausgang
geschieht fast immer durch Suffocation ; die Kranken athmen im-
mer kürzer, unterbrochen, der Athem wird rasselnd, die Extre-
mitäten kalt, aber der Kopf fühlt sich fortwährend heiss an. —
Kommt einmal Betäubung, ungleiche Respiration , besonders Herz-
affection hinzu, die darin besteht, dass das rechte Herz dilatirt
wird, so ist das Ende nicht mehr fern.

§. 287.

Therapie. Was könnte ich hier wohl sagen, was ich
nicht Alles schon bei den hier collitirenden Krankheiten, deren
Symptom eine C. pulmo nalis ist, weitläuftig abgehandelt hätte.
Auch hier ist die grösste Ruhe, passive Bewegung, Schonung
der Lungen durch möglichst weniges Sprechen dringend anzuem-
pfehlen ; Patient muss sich mehr auf vegetabilische Kost , als
Fleisch, beschränken, er darf keine Spirituosen Getränke zu sich
nehmen , sich an einfaches frisches Wasser halten und vielleicht,
wenn es ihm nicht zuwider, an Luftmalzbier. Eine Hauptsorge
ist auch die Haut und die Unterleibsorgane; die vortretenden



Bleichsucht, Jungfernkht. Chlor., Morb. virg., Icterus alb., Febr. amat. 605

Beschwerden geben durch ihre characteris tischen Erscheinungen
deutlich genug an, welche Mittel der Arzt wählen muss, um
durch Hin wegschaffung derselben dem Kranken wieder ein erträg-
liches Dasein zu verschaffen. Treten hydropische Erscheinungen
hinzu, so ist nach den unter Hydropsien gegebenen Regeln zu
verfahren; eben so muss der homöopathische Arzt den Erschei-
nungen von Blutcongestionen begegnen, die dem Kranken leicht
gefährlich werden, wenn ihnen nicht bald Einhalt gethan wird.

§. 288.

Bleichsucht, Jungfernkrankheit. Chlorosis, Morbus virgineus,
Icterus albus, Febris amatoria.

Erscheinungen. Die Kranken haben ein eigentümliches
chlorotisches Aussehen ; die Hautfarbe ist nämlich auffallend blass,
blutleer, nicht blendend weiss, wie nach Hämorrhagien, sondern
mit einer Beimischung von gelb und grün ; die Haut ist mehr
welk, sackförmige Bildung am untern Augenlide, das schmutzig
blau ist. Die Haut fühlt sich kalt an und die Kranken sind auch
äusserst empfindlich gegen niedere Temperatur, frösteln daher
beständig und suchen die Wärme. Dieselbe Blässe findet sich
auf den Schleimhäuten der Zunge, die oft mit einem dicken zähen
Schleime bedeckt sind. Auffallende Muskelschwäche; die Kran-
ken ermüden schnell und oft schon nach geringer Anstrengung,
sind daher träge, suchen immer Ruhe; die Respiration ist beengt
und Patienten klagen über Athmungsbeschwerden, die aber nicht
Dyspnoe, sondern Apnoe ist, denn sie können auf Geheiss den
Thorax weit ausdehnen. Palpitationen des Herzens und Arterien-
geräusche sind zwei characteristische Symptome einer Chlorose,
die selbst da noch für das Fortbestehen der Krankheit zeugen,
wo alle anderen chlorotischen Symptome schon verschwunden sind
— sie sind ein treuer Spiegel der fortdauernden Blutalteration.
Der Puls ist beschleunigt, 120 — 140 Schläge bei ausgebildeter
Krankheit, bei aller Frequenz jedoch klein, schwach, faden-
förnjg, blutleer, leicht wegdrückbar; die Hautvenen blass, ro-
senroth , als führten sie ein mit etwas Carmin gefärbtes Wasser,
nie angeschwollen. — Verminderte Esslust, schleimiger Geschmack
im Munde, Druck, Aufstossen, Blähungen nach jedem Genüsse



606 Bleichsucht, Jungfernkrankheit.

selbst leicht verdaulicher Speisen; Störungen in der Digestion,
bald 3, 4tägige Verstopfung, selten von Durchfallen unterbro-
chen, mit denen halbverdaute Stoffe entleert werden. — Ver-
änderungen in der Genitalfunction; ist die Krankheit bei Frauen
(wie diess am häufigsten der Fall) vor der Pubertät entstanden,
so zeigen sich auch mit der Entwickelung der Jahre gar keine
Menstrualmolimina. Hatte aber schon Blutsecretion bestanden,
so wird diese dem Eintritte der Zeit, der Dauer und der Art
nach anomal; es fliesst z. ß. alle 6 bis 8 Wochen etwas hell-
gefärbtes Blut, oft gar kein Blut, sondern nur Schleim aus.

Bei Männern zeigen sich zuweilen ähnliche chlorotische Er-
scheinungen, bei ihnen bleiben dann die Genitalien unentwickelt
sowohl in somatischer als dynamischer Hinsicht; es kommt kein
Haarwuchs, die Hoden bleiben klein, es tritt keine Erection, kein
Samenfluss ein ; die Stimme entwickelt sich nicht , bleibt Kin-
derstimme.

Neben den angegebenen Erscheinungen finden sich noch
auffallende Störungen im Abdominalnervensystem, entweder ein-
fache hysterische Affection, oder hohes entwickeltes Ganglienlei-
den, Krämpfe, Somnambulismus, Brennen im Magen, oft saures
Erbrechen und Appetit nach ungeniessbaren Dingen, pica
chloroiica.

Das Oerlem der Chlorotischen, so lange die Chlorose nicht
wirklich in Wassersucht übergegangen ist, erscheint nur Abends
an den Füssen und verschwindet im Verlaufe der Nacht; Mor-
gens sind Augenlider und Gesicht am staksten aufgedunsen. Die
ödematöse Anschwellung der Chlorotischen soll den Eindruck
des Fingers nicht behalten.

§. 289.

Ursachen. Die Chlorose ist vorzüglich den nördlichen
Landern eigen, kommt häufiger im Frühjahr und Spätherbst, als
im Sommer und Winter vor; macht auch in jenen Jahreszeiten
ihre Recidive und scheint vorzugsweise durch nasskalte Witte-
rung begünstigt zu werden: sie befällt am häufigsten Subjecte
von lymphatischer oder nervöser Constitution. Zu den äussern
Momenten gehört: die Entwickelung des Genitaliensystems vor
der Zeit seiner normalen Evolution, später, Entbehrung der



Chlorosis, Morb. virgineus, Icterus albus, Febris amatoria. 607

Genüsse physischer Liebe, Wittwenthum, unglückliche Liebe, oder
Missbrauch des Geschlechtsreizes, Onanie, physische Reize, Ro-
manenlectüre, luxuriöse Lebensweise, plötzliche und anhaltende
Unterdrückung- der Regeln zur Zeit der Pubertät, zu starker
Menstrualfluss. Nächst jenen Ursachen trägt gewiss nichts mehr
zur Beschränkung der normalen Sanguification bei jungen Mäd-
chen bei, als die Compression des ohnehin im weiblichen Körper
minder entwickelten Thorax durch das frühzeitige Tragen enger
Schnürbrüste. Die Chlorose ist in Städten häufiger, als auf dem
Lande. Blonde Mädchen werden öfter chlorotisch als brünette.
Dauer, Verlauf und Ausgänge. Mehrentheils bildet
sich die Bleichsucht langsam stufenweise heran; in seltenen
Fällen scheint sie jedoch plötzlich zum Ausbruche zu kommen,
oder die bisher unbemerkte Krankheit erreicht in Folge eines
Schrecks, einer Gemütsbewegung mit einem Male einen
auffallend hohen Grad. Bei angemessener Behandlung wird die
Heilung oft schnell herbeigeführt, während sie sich in andern
Fällen aber auch Monate, ja selbst Jahre hinziehen kann.

Die Genesung erfolgt allmälig, das Gesicht verliert seine
blasse Farbe, der Puls wird wieder voller und der natürliche
Grad der thierischen Wärme kehrt nach und nach zu seinem
Normalverhältnisse zurück ; die Lebenslust und das Kraftgefühl,
welche an die Stelle der Mattigkeit treten, sind die sichern Zei-
chen der Genesung. Die Menstrualsecretion regelt sich ; die
ersten Male fliesst rothgefärbter Schleim aus; Blut kommt oft
erst in der dritten Menstrualperiode zum Vorschein. — Rück-
fälle sind häufig , namentlich in schlechter Jahreszeit und wäh-
rend der Menstrualperiode.

Rückbleibsel unvollkommen geheilter Chlorose sind: Neural-
gien, Hysterie, Melancholie, selbst Blödsinn und Nymphomanie;
letztere besonders, wenn die Bleichsucht aus unbefriedigter Ge-
schlechtslust entstanden war. Auch zu Krankheiten des Herzens
und der Lunge kann eine Chlorose ausarten, zu Dilatation und
Erweiterung des rechten Herzens mit gleichzeitiger Verdünnung
der Wandungen, passivem Annurysma, endlich Plithisis. Auch
Milzstörungen bleiben zurück ; die Milz kann atrophisch, verhärtet
werden und dieses Milzleiden führt in der Regel zu Wassersucht.
— Der Tod erscheint nur in Folge der Nachkrankheiten.



608 Blausucht, Jungfernkrankheit.

Die Prognoseist in der Regel nicht ungünstig ; sie ist
abhängig von der Dauer der Krankheit, von der Constitution der
Patienten, von der Lebensweise und der Möglichkeit, die äussern
Verhältnisse des Kranken günstig umzugestalten, von der Intensi-
tät der Symptome, vom Grade der Blutleere, von der Heftigkeit
der Herz- und Nervenerscheinungen, obschon Wassersucht, Milz-
affection, Geistesstörung, Herzfehler, Tuberculosis, hectisches
Fieber oder andere Complicationen vorhanden sind.

§. 290.

Die Behandlung chlorotischer Zustände richtet sich sehr
nach den erregenden Ursachen; jedenfalls müssen die Aussen-
verhältnisse, unter denen die Kranke sich befindet, gehörig be-
rücksichtigt und jedes Moment, welches die Krankheit erzeugen
oder unterhalten kann, wo es möglich ist, erst beseitigt werden,
wenn es nicht ein stetes Hinderniss für die radicale Heilung
werden soll. Daher ist es nöthig, das diätetische Regim auf
naturgemässere Ansichten zu basiren, die ich an mehren Orten
dieses Buches genauer aus einander gesetzt habe und die der
Leser auch in jeder Diätetik ausführlich angegeben findet , wes-
halb ich sie hier nicht wiederhole. Besondere Aufmerksamkeit
hat der Arzt auf den Zustand des Sexuallebens zu wenden, da
dessen Anomalien oft den entfernten Grund der Krankheit ent-
halten. Alles den Geschlechtstrieb Erregende muss sorgsam
vermieden werden: erhitzende Speisen und Getränke, Aufregung
der Einbildungskraft durch lebhafte Gepüthseindrücke, Leiden-
schaften, Lesen schlüpfriger Romane, Bälle, Schauspiele, müssige
Lebensweise; das Liegen auf weichen Federbetten, welches nebst
dem, dass es Verstopfung macht und die Schwäche unterhält,
auch nachtheilig auf die Geschlechtsorgane wirkt; eben so langes
Schlafen. Eine naturgemässe, Verzärtelung und Ueberreife der
Phantasie verbannende Erziehung, geregelte geistige und körper-
liche Thätigkeit und Entfernung vorzeitiger Geschlechts-Aufre-
gung fasst die beste Prophylaxis der Chlorose in sich.

Blutflüsse, eben so übermässige Menstruation sind nach den
am passenden Orte angegebenen Regeln zu behandeln, und die
darnach zurückbleibende Schwäche zuvörderst durch einige Ga-
ben China zu beseitigen, die auch das heilsamste Mittel für die



Chlorosis, Morb. virgineus, Icterus albus, Febris amatoria. 609

durch übermässige Geschlechts -. Befriedigung, Onanie, öfteres
Blutlassen und Abführmittel herbeigeführte Schwäche ist. Ver-
schliessungen des Muttermundes oder der Scheide sind durch
das chirurgische Messer vorerst zu heben, vvornach der Arzt bald
überführt werden wird, ob diese organischen Fehler allein die
Entstellung einer Chlorosis bewirken konnten oder nicht. Im
letzteren Falle wird er alsdann die zweckmässigen Mittel zu fin-
den und anzuwenden wissen.

Die langsame, allmählige Ausbildung einer Chlorosis zeigt
deutlich, wie innig diese Krankheit mit dem Gesammt-Organismus
des weiblichen Körpers verbunden ist, und wie höchst nöthig
hier selbst die kleinsten Unterstützungsmittel zur baldigen Besei-
tigung dieser den Körper aufreibenden Krankheit sein müssen,
bei welchen vorzüglich streng auf treue Befolgung der von dem
Arzte gegebenen zweckmässigen diätetischen Regeln zu sehen
ist. Ganz verwerflich sind hierbei, nach unsern Ansichten, die von
Jörg empfohlenen fremden und inländischen Gewürze, als Zusatz
zu den für Chlorotische passenden Nahrungsmitteln; noch ver-
werflicher ist die von demselben Schriftsteller angegebene Em-
pfehlung des Weins und, in dessen Ermangelung, des Brannt-
weins, BischofFs u. s. w. zur Stärkung der Kranken. Dem ho-
möopathischen Arzte brauche ich nicht zu sagen, dass von allen
diesen Mitteln keine Stärkung, zu welchem Zwecke sie der Al-
löopath giebt, zu erwarten ist; er weiss diess ohne meine Erinne-
rung, denn er kennt die reizenden Eigenschaften dieser Mittel,
und weiss nur zu gut, dass sie in keinem pathischen Bezüge zu
der fraglichen Krankheit stehen. — Eins der vorzüglichsten ho-
möopathischen Hauptmittel aber ist Pulsatilla, die fast immer in
der ersten Zeit der Behandlung mit indizirt sein wird, weil das
Gemüth der Kranken ganz vorzüglich für dieselbe geeignet ist,
dann aber auch, weil sie bei schwacher, auch wohl verzögerter
Menstruation, wie wir sie in dieser Krankheit fast immer finden,
bei einer so blassen Gesichtsfarbe und schlaffem Muskelfleische,
sich als ein so ausgezeichnetes Heilmittel documentirt. — Ihr
zunächst steht Coccuhis, vorzüglich dann, wenn die Kranke sehr
über Krämpfe tief im Unterleibe, bei unordentlicher Menstruation
klagt. Bei sehr eifrigem, hitzigem, aufbrausendem Temperamente,
bei öfter sich zeigender, aber nicht ordentlich fliessender Men-



610 Bleichsucht, Jungfemkrankheit.

struation, bei mancherlei auf das zu nennende Mittel hindeutenden
Digestions -Beschwerden, Erbrechen, Stuhlverstopfung ist Nux
immer indizirt," die auch dann ihre Anwendung findet, wenn Miss-
brauch des Kaffee's, und Chamillenthee's die Entwickelung chlo-
rotischer Zustände begünstigte; für diesen Fall empfiehlt sich
auch Pulsatilla und Ignalia. — Ein ebenfalls sehr passendes Mit-
tel ist auch China in dieser Krankheitsform, wenn ödematöse An-
schwellungen einzelner Glieder, namentlich Fussödem, blaue Ringe
um die matten Augen, Aufgetriebenheit des Leibes, zögernder
Stuhlgang, empfindliche Schmerzen, Ziehen, Spannen oder Krie-
chen im Leibe, schlechte Verdauung, saures Aufstossen, seltsamer
Appetit auf ungeniessbare Dinge u. s. w. zugegen sind. — Finden
sich bei den angegebenen Zuständen noch Zittern, öftere Ohn-
mächten, überhaupt höchste Körperschwäche, so ist Arsenicum
gewiss eins der ersten Mittel.

So einfach eine Chlorose auch vor unsern Blicken erscheint
und so bekannt wir auch mit dem innern Impulse sind, der zum
Darstellen der Krankheit nach aussen erforderlich ist: so treten
doch eine Menge Erscheinungen in dem Kreise dieser Krankheit
mit auf, die nicht in allen Fällen von dem specifischen Heilmit-
tel zugleich mit getilgt werden und insbesondere wird das immer
da der Fall sein, wo die Sexualsphäre vorzugsweise empfindlich
mit affizirt ist — ein Leiden, dem durch passende Zwischenmit-
tel gleichzeitig mit abgeholfen werden muss, wenn man nicht
öfteren Recidiven ausgesetzt sein will. Eins der vorzüglichsten
Mittel in dieser Beziehung ist Conium maculalum, wenn in 4wö-
chentlichen Zeitabschnitten eine sehr grosse Empfindlichkeit an
der äussern und innern Scham eintritt, eine beständige trockne
Hitze ohne Durst den Körper belästigt, mit ängstlichen Träumen
und Schweregefühl in allen Gliedern gepaart, wozu sich Wei-
nerlichkeit, Unruhe und ängstliche Sorge wegen jeder Kleinig-
keit und Stechen in der Lebergegend gesellt, was oft mehre
Tage anhält und den Körper sehr ermattet, bei völlig mangeln-
der Menstruation.

Eine gleiche Bewandtniss hat es mit Phosphor, nur dass hier
immer noch eine Andeutung des Menstrualflusses, wenn auch
nicht regelmässig, statt findet; dabei Uebelkeit, saures Erbre-



Chlorosis, Morb. virgineus, Icterus albus, Pebris amatoria. 611

chen , Brustbeklemmung, Schwindel und grosse Erregtheit des
Geschlechtstriebes.

Auch Nalrum murialicum gehört in diesen Kreis von Mit-
teln, das immer angezeigt sein wird , wo ein öfterer Trieb zum
Erscheinen der Menses ersichtlieh, von der Natur jedoch nicht
ermöglicht werden kann, dabei grosse Traurigkeit, Beängstigung
und Ohnmacht, bei kaltem Becken und innerer Hitze, Hitze im
Gesicht, Schwere im Unterleibe, reissenden Zahnschmerzen, öfte-
rem Brennen und Schneiden im Schoosse etc.

Sulphur aber ist diejenige Arznei, die in der Chlorose den
Vorrang vor allen andern verdient; mit ihr allein habe ich mehr-
mals schon mit nur wenigen Gaben die Krankheit im Entstehen
beseitigt, ohne einer andern Arznei dazu weiter benöthigt gewe-
sen zu sein. Viele werden der Meinung sein, dass diese Erfah-
rung wiederum ein günstiges Zeugniss für Hahnemann's
Psora-Theorie ablege; ich meine das nicht, denn gerade in den
Fällen war keine Idee eines vorhanden gewesenen Ausschlags,
sondern die gegenwärtigen Symptome waren characteristisch ge-
nug, mich auf Sulphur hinzuweisen, wie auch der Leser sich bald
überzeugen kann, dass in dem Symptomen - Verzeichnisse von
Sulphur mehrgestaltige Bilder chlorotischer Zustände zusammen-
zustellen sind. Eine Chlorose will gut individualisirt sein und
es gehört wohl mehr als ein Kranken-Examen dazu, um alle die
feinen Nuancen richtig zu würdigen und dem Krankheitsbilde
einzuverleiben; gerade die chlorotischen Formen, für Sulphur
passend, geben mehr ein Totalbild, selten sind sie localisirt und
fast nie fand ich eine Sphäre, ein System, ein Organ, in dem
sich das Leiden noch besonders hervorstechend ausgesprochen
hätte. Das ist, worauf ich den angehenden Homöopathen in die-
ser Krankheit für Schwefel aufmerksam mache; er muss seinen
ganzen Scharfsinn aufwenden, um mit der grössten Scrupulosität
sich das Chlorosis-Bild einrahmen zu können, aus dessen Einfas-
sung ihm dann in der Totalität schnell das passende Heilmittel ent-
gegenspringt. — Er ist ein der Pulsat. correspondirendes Mit-
tel und kann öfters im Wechsel mit ihr in Anwendung gezogen
werden.

Aehnlich, wie mit Sulphur, verhält es sich mit Sepia; auch
sie schliesst sich an das an, was ich in Bezug auf Chlorose für



612 Bleichsucht, Jungfernkrankheit.

Schwefel gesagt habe; nur findet der Unterschied statt, dass die
für Sepia passenden bleichsüchtigen Zustände nicht so allgemein
hingegossen sind, sondern vorzugsweise in dem Sexualsysteme
wurzeln und durch Empfindlichkeiten mancherlei Art in den ge-
schlechtlichen Organen sich bemerkbar machen, z. B. Patienten
klagen öfters über ein empfindliches Drängen in der innern Be-
ckenhöhle nach unten, zuweilen mit Schleimabgang gepaart; bis-
weilen über ein ruckendes Zucken in der Scheide herauf, oder
über einen Stich in derselben mit zeitweiligem Abgange einzelner
Tropfen Blut. Ist gar kein Blutabgang vorhanden, so klagt die
Chlorotische zu bestimmten Zeitabschnitten über drückendes
Bauchweh, Schamgeschwulst, Brennen in der Scham, auch wohl
über etwas Schleimabgang. — Diese Symptome fordern unfehl-
bar zur Anwendung der Sepia auf; doch ist es für den jungen
Homöopathen unerlässlich,~die hier collitirenden Mittel vergleichs-
weise der Wahl mit zu unterwerfen; diess sind Belladonna und
Piatina. — Noch füge ich bei, dass Sepia nebst den beiden vor-
genannten Arzneien, diejenige mit ist, die zuerst Beachtung ver-
dient, wenn die Krankheit durch Selbstbefleckung herbeigeführt
wurde.

Nähere Beachtung verdienen ferner Nitri acidum, Lycopod.
und Graphit; von der Anwendung des Psorin, dessen ich in
der frühern Auflage noch erwähnte, bin ich zurückgekommen,
weil ich den Nutzen davon doch nicht gesehen habe, dessen ich
früher mir schmeichelte; jedenfalls ists und bleibts ein unsicheres
Präparat, das wir ja füglich entbehren*können , so lange uns
wichtigere Mittel noch zu Gebote stehen.

Die souveränste aller Arzneien in Chlorosen aber , die wir
kennen, ist Ferrum; es ist dieselbe Arznei, die von den Allöo-
pathen ebenfalls dafür erklärt und von ihnen so lange in der
Krankheit anzuwenden empfohlen wird, bis auch jedes Arterien-
geräusch verschwunden ist. Ich pflichte diesem Ausspruche
vollkommen bei, da ich ihn vielfältig durch die Erfahrung bestä-
tigt gefunden habe, was Jeder ebenfalls beobachten kann, der
die Homöopathie nicht in allen Krankheiten durch die Dosen-
kleinheit der Arzneien geltend machen will. Mit kleinen Gaben
Ferrum ist dieser Krankheit nicht gedient, sie verlangt stärkere,
in anhaltendem Fortgebrauch. Die Fälle, wo Eisen indizirt ist,



Hypochondrie. Hypochondriasis, Morbus erudltorura. 613

sind die ausgebildetsten, intensivsten, veraltetsten; bei allen an-
dern wenigstens gilt es den Versuch, mit den vorher verzeich-
neten Mitteln die Heilung zu bewirken, was in vielen Fällen ge-
lingen wird; wo diess nicht möglich, bleibt dann nur das Eisen
übrig, das wir selbst in eisenhaltigen Mineralwässern anzuwenden
uns nicht scheuen dürfen. — Das Präparat und die Arzneidosen
schreibe ich nicht vor, Jeder wähle sie nach eigenem Ermessen.
Soviel bleibt jedoch gewiss, das wir homöopathisch nur in den
wenigsten Fällen zu den grossen allöopathischen Dosen unsere
Zuflucht zu nehmen nöthig haben werden.



Ein und zwanzigste Ordnung.
Uebergangvom Somatischen zum Psychischen.

§. 291.

Hypochondrie. Hypochondriasis, Morbus eruditorum.

Diese proteusartige Krankheit, die unter den verschiedenar-
tigsten krankhaften Aeusserungen auftritt, lässt sich nur auf die
Art in ein allgemeines Krankheitsbild zusammenfassen, dass man
die Symptome gruppenweise aufführt, um sie so besser zur An-
schauung zu bringen. Wir unterscheiden dem zufolge:

a) ein Gruppe von psychischen Erscheinungen;

b) Symptome des Digestionsapparats ; und

c) Symptome alienirten Nervenlebens.

A. Psychische Erscheinungen. Misslaunigkeit, be-
sonders in den Stunden der Verdauung, Niedergeschlagenheit,
Trauer- und Muthlosigkeit, lebhafte und fast ausschliessliche Be-
schäftigung der Aufmerksamkeit mit den krankhaften Empfindun-
gen, welchen die Kranken fast jeden Tag die Deutung einer
andern gefährlichen Krankheit zu geben wissen, Uebertreibung
im Ausdruck und in der selbstgefälligen wortreichen Schilderung
ihrer Leiden, Wohlgefallen am Lesen medizinischer Schriften und
unerschöpfliche Spitzfindigkeit im Auffinden von Aehnlichkeiten
mit ihrem Zustande, eine bis zum schroffsten Egoismus ausar-



614 Hypochondrie.

tende einseitige Richtung aller Denkkraft auf das eigene körper-
liche Ich, tyrannische Anforderung an die Umgebung aus Mitge-
fühl mitzuleiden, ungewöhnliche psychische Reizbarkeit, Schwer-
muth, Misstrauen, Insichgekehrtsein, Schwarzsehen der Zukunft,
Todesfurcht; trotz aller Leiden kein Lebensüberdruss; zuletzt
Unfähigkeit zu jeder Beschäftigung — ja fast zum Leben —
aus Misstrauen in die eigenen Kräfte, aus Angst körperlichen
Nachtheils. — Diess sind die wesentlichen Erscheinungen des
psychischen Zustandes des Hypochondristen. Zuweilen wechselt
seine trübe Laune (Spleen) mit lichtem Intervallen, ja selbst
mit ungewöhnlicher Lustigkeit. Die Mondphasen äussern auf
den Hypochonder grossen Einfluss und namentlich bei zunehmen-
dem Monde ist sein Zustand am unerträglichsten. Zuweilen ist
in diesen psychischen Erscheinungen das ganze Krankheitsbild
enthalten , oder die Krankheit bleibt eine Zeitlang auf dieser
Stufe stehen.

B. Symptome des Digestionsapparates. Bei gu-
tem, oft regelmässigem Appetite und gutem Aussehen ist die
Klage über schlechte Verdauung der ewige Refrain dieser
Kranken. Nach den Mahlzeiten, oft schon zwischen diesen, füh-
len sie Spannung und Druck im Leibe; bisweilen findet wirkliche
Leibauftreibung statt, es entwickelt sich unausgesetzt Gas und
diess wird als Grund der grössten Unbehaglichkeit und der man-
nichfachsten Leiden angegeben. Zuweilen fühlbare Anschwel-
lung unter den kurzen Rippen und im Epigastrium, Blähungen
versetzen sich, erregen Beängstigung, Herzklopfen, emporstei-
gende Qual und Hitze; zuweilen findet Eckel, Sodbrennen, saures
Aufstossen, selbst Erbrechen eines zähen sauren Schleimes statt.
Die Blähungsqual kann sich bis zur Erzeugung allgemeiner Ner-
venzufälle, Schwindel, Ohnmacht, Kälte der Extremitäten u. s. f.
steigern. Abgang der Blähungen nach oben und unten erleich-
tert. Trotz aller dieser Leiden bleibt die Esslust ungestört und
das fortbestehende gute Aussehen des Kranken beweist für gu-
tes Verdauungsgeschäft. Erst später bei Uebergang der nervö-
sen Leiden in materielle Alteration der Organe tritt cachecti-
sche Gesichtsfarbe und Abnahme der Körpermasse mit auf. Der
Hypochonder leidet meist an Stuhlverstopfung, die sehr hart-
näckig sein, zuweilen aber auch mit Durchfall wechseln kann;



Hypochondriasis, Morbus eruditorum. 615

durch Stuhlgang fühlen sich die Kranken gewöhnlich erleichtert,
daher ihr beständiges Verlangen nach Abführmitteln.

C. Symptome verstimmten Nervenlebens, beson-
ders des gangliären Theils. Hier ist die Reihe der Erschei-
nungen noch weit mannichfaltiger, so dass oft während des
Gesammtverlaufs der Krankheit fast kein Theil und keine Func-
tion des Körpers von Mitleidenschaft frei bleibt. Als Localaf-
fectionen beobachten wir hier: Gefühl von Kälte und Hitze,
Ameisenkriechen, Jucken in den verschiedenen Theilen, Asthma,
Husten, Herzklopfen, Klopfen in mehrern Theilen des Körpers,
besonders im Unterleibe, Hemicranie, Schwindel, Halskrampf,
Ohrensausen, Mückensehen, Amblyopie, Neuralgie, Blasenkrampf,
öfteres Drängen zum Urinlassen, Congestionen, vermehrte Ab-
sonderung von Speichel, Thränen, copiöse Schweisse, Zittern
der Glieder, convulsivische Bewegungen, paralytische Zufälle
u. s. w. Die Sensibilität des Hypochondristen ist idiosyncratisch
verstimmt und so krankhaft erhöht, dass der geringste Wech-
sel in den äussern Einflüssen, Veränderungen der Temperatur,
des Luftdruckes, unbedeutende Abweichungen in der Diät derar-
tige Subjecte unverhältnissmässig heftig afficirt, ja dass die Aus-
übung fast jeder Function Beschwerden verursacht. Sie leiden
an Kopfschmerz, sind schlaflos, von schweren Träumen geplagt,
schrecken oft aus dem Schlafe auf; er erquickt sie nicht und
früh fühlen sie sich meist unwohler als Abends. Gewöhnlich
lässt der Hypochonder grosse Mengen wässrigen hellen Harns; oft
ist er aber wieder dick, wolkenartig, sedimentös und erregt dem
ewig grübelnden Kranken Besorgniss wegen Gries und Stein-
bildung.

Mancherlei Varietäten sind diese Symptome noch unterwor-
fen, unter denen jedoch immer der rasche Wechsel der Er-
scheinungen, der Widerspruch zwischen den subjectiven Klagen
der Kranken und dem objectiven (von der Norm nicht abwei-
chenden) Zustande der als leidend bezeichneten Organe, das idio-
synkratische Verhalten des Nervensystems gegen die unschuldig-
sten und indifferentesten Einflüsse, die auf das Somatische be-
ständig gerichtete und bis zur Monomanie geschärfte Anschauung
und Aufmerksamkeit und der ängstliche deprimirte Zustand des
II. 40



616 Hypochondrie.

Gemüths, gleich einem rothen Faden hindurch zieht und die
Hauptpunkte bezeichnet (Canstatt).

§ 292.

Die Hypochondrie ist eine von den am schwierigsten auf-
zufassenden Krankheiten und der Arzt darf kein diagnostisches
Hülfsmittel vernachlässigen , um das Krankheitsbild sich so voll-
ständig als möglich zur Anschauung zu bringen. Auch würde
der Kranke gar bald wahrnehmen, wollte der Arzt leichtsinnig
dabei zu Werke gehen, oder wollte er, vielleicht zum Tröste
des Kranken , die dunkle und verwirrte Symptomengruppe sei-
ner Leiden , für nervöse oder hypochondrische Beschwerden er-
klären. Ich nenne es ein Meisterstück für den jungen Arzt,
wenn er einen Hypochondristen, der doch meistens zu der ge-
bildeten Klasse gehört, gut, d. h. zur Zufriedenheit des Kranken
selbst, zu examiniren und die von Seiten des Kranken an ihn
gestellten Fragen so zu beantworten versteht, dass Letzterer durch
eine zufrieden lächelnde Miene seine Zustimmung zu erkennen
giebt, wodurch sein Vertrauen schon halb gewonnen ist! Der
Hypochondrist ist misstrauisch , durch das Lesen verschiedener
medizinischer Bücher traut er sich ein Urtheil, weniger über
Medizin überhaupt, als über seine eigenen Leiden zu und seine
Fragen sind oft so spitzfindiger Natur, dass nur der gewandte
Arzt sie mit Glück zu handhaben und^o das Misstrauen seines
Clienten zu verscheuchen versteht. Ist ihm diess gelungen —
versteht sich, nicht blos scheinbar für den Augenblick, son-
dern zum Nutzen für sich selbst, durch wahrhafte und richtige
Auffassung der Krankheit — hat er Vertrauen sich erworben :
so gelingt ihm gewiss auch die Heilung, wäre sie auch noch
so schwierig, denn der Kranke hält bei ihm aus, wenn er auch
nur geringe Fortschritte in der Besserung wahrnähme !

Gäbe es ein Leiden, mit dem die Hypochondrie etwa
verwechselt werden könnte, so wäre es die Melancholie,
doch unterscheidet sich diese genau von jener dadurch: dass
sie aus geistigen Ursachen entspringt, während jene mehr aus
körperlichen hervorgeht; auch ist der Hypochonder im vollen
Besitze seiner Vernunft; er spricht über Alles vernünftig, selbst



Hypochondriasis, Morbus eruditorum. 617

über seine Gesundheit, nur das Einzige, mit Uebertreibung; er
ist sich seines Zustandes bewusst und will nur von aller Welt
beklagt und bedauert sein. Die fixen Ideen des Melancholikers
hingegen sind im offenbaren Widerspruche zur Realität; sie
haben auch weniger körperliche als geistige Zustände zum
Objecte; ausser der psychischen Anomalie sind keine andern
krankhaften Symptome vorhanden. Der Melancholiker klagt über
kein körperliches Leiden; er ist erstaunt, dass man ihn für
krank hält; endlich wird er indifferent gegen Alles, was er
sonst mit Liebe umfasste; er lebt nur in seinem Wahne und
opfert diesem Alles, selbst sein Leben; daher Neigung zum Selbst-
mord — diess der gerade Gegensatz vom Hypochonder, der
Freude am Leben hat, sich an dasselbe anklammert und an sei-
nen Freunden und Verwandten hängt.

Ursachen. Die Hypochondrie befällt nur das männliche
Geschlecht und selten entsteht sie vor dem männlichen Alter,
begleitet aber dann den Kranken oft durch das ganze Leben.
Vorherrschende abdominale Constitution begünstigt ihre Entste-
hung; diese Constitution ist gewöhnlich mit starker Ausbildung
des Unterleibsvenensystems verbunden, was zu dem Wahne Ver-
anlassung gegeben haben mag, die Krankheit beruhe auf er-
höhter Venosität. Hypochondristen sind häufig von schwammi-
gem, schlaffem Körperbaue. Die Hypochondrie ist häufig erblich.

Sitzende Lebensweise begünstigt ihr Entstehen, darum ist
sie so sehr häufig Krankheit der Gelehrten, weil diesen auch noch,
neben einseitiger Anspannung der Geisteskräfte, Bewegung in
freier Luft mangelt. Nicht selten leiden auch Seeleute, Rechner,
Schreiber, Weber, Schuhmacher, Schneider daran. Nichts aber
steigert die Irritabilität; des Nervensystems mehr und schwächt
gleichzeitig seine Energie, als Kummer, Sorgen, Nachtwachen,
Heimweh, Sehnsucht unbefriedigter Liebe, ehrgeizige Bestrebun-
gen, beunruhigende Speculationen ; Individuen, die solchen depri-
mirenden Gemüthsaffecten unterworfen sind, verfallen häufig ge-
nug der Hypochondrie. Aehnlich wirkt der plötzliche Umtausch
eines thätigen, bewegten Lebens mit einer geschäftslosen Ruhe
und Müssiggang. — Fernere Ursachen sind : Uebersättigung mit
Genüssen; Onanie und sexuelle Excesse, erschöpfende Krankhei-
ten, Diarrhöe, Ruhr, Koliken, Wechselfieber; überstrenge Enfc-

40*



618 Hypochondrie.

haltsamkeit in der Geschlechtsbefriedigung , bei streng züchtigen
Grundsätzen. Auch fortdauernde Magenbelästigungen mit schwer-
verdaulichen , blähenden, mehligen, sauren, fetten Speisen; oder
auch auf der andern Seite Fasten; oder viel warme Getränke:
Thee, Kaffee u. s. w. können Hypochondrie erzeugen.

Die Prognose ist keineswegs ungünstig, denn die Krank-
heit droht dem Leben keine Gefahr, aber die in so verschie-
denartigen Formen wiederkehrenden Neckereien der Krankheit
werden dem Patienten, seiner Umgebung und seinem Arzte zur
unerträglichsten Marter. Consequent eine Kur durchzuführen, ist
bei einem Hypochondristen sehr schwierig, weil er sich einbil-
det, täglich an einer andern Krankheit zu leiden und weil er
fast eben so oft auch den Arzt wechseln möchte. Je wankel-
müthiger der Kranke, desto schlimmer die Prognose. Nur bei
vollem Vertrauen des Kranken, bei einem festen Willen, den
diätetischen Anordnungen seines Arztes nachzukommen, bei einer
äussern Möglichkeit, die Lebensweise des Kranken so zu ändern,
dass diese das mächtigste Hülfsmittel zur Umstimmung des in
bizarrer Verstimmung befangenen Nervensystems werde, ist dem
Arzte die Möglichkeit gegeben , etwas für diese Kranken thun
zu können. Je näher die Krankheit noch ihrer Entstehung ist,
je weniger mit verkehrter Behandlungsweise eingestürmt wurde,
je weniger man die Bildung secundärer materieller Alterationen
zu befürchten hat, um so günstiger steht es um die Prognose.
Hypochondristen, die sich sexuellen Excessen oder der Onanie
hingeben, sind unheilbar. Uebrigens sei der junge Arzt vor-
sichtig in seiner Prognose und lasse sich nicht etwa durch die
Uebertreibungen der Hypochondristen von ihren Leiden in sei-
nem Urtheile gefangen nehmen, damit sein Ausspruch später
nicht etwa beschämend. für ihn werde. Schlimme Zeichen sind;
gelbe, cachectische Gesichtsfarbe, beständige Schlaflosigkeit, Ab-
magerung, Anschwellung der Füsse.

§. 293.

Wie die detaillirte Auseinandersetzung eines möglichst voll-
ständigen Bildes einer Hypochondrie schon zur Genüge darthut,
wie vielgestaltig eine solche Krankheit sich zeigen kann: eben



Hypochondriasis, Morbus eruditorum. 619

so ersichtlich wird es daraus dem Arzte auch, dass es schwierig,
ja unmöglich ist, ein für alle die Klagen der Hypochondristen
stets gültiges Heilverfahren nach homöopathischen
Grundsätzen angeben und feststellen zu wollen! Dem ange-
henden Homöopathen ist hei dieser Voraussicht wenigstens der
Rath zu geben; den Muth nicht sinken zu lassen, denn es giebt
doch 3 Cardinalmittel, ohne welche dieser Spleen nie, oft durch
sie jedoch allein geheilt wird; diess sind Bewegung,
Zerstreuung, Diät. Diese 3 mächtigen Hebel richten oft
weit mehr aus, als alle Arzneien; wenigstens ist gewiss, dass ohne
ihre Beihülfe je die Heilung einer Hypochondrie gelingen wird;
nur ist ein strenges Durchführen der gegebenen Anordnungen
unerlässlich. Der Stubengelehrte muss aus seiner Einpferchung
in die freie Natur hinaus und im Schweisse seines Angesichts
muss er Feld und Garten bauen und eine lange Zeit seine Stu-
dien ganz bei Seite legen. Der Gourmand vermeide sein luxu-
riöses Leben und beschränke sich auf einfache Hausmannskost
und regelmässige Mahlzeiten, wobei natürlich ein thätiges, zer-
streuendes Leben mit inbegriffen ist. Der Ausschweifung und
Onanist werde Herr seiner Leidenschaften und er habe den festen
Willen und führe ihn durch, dass diese Laster ihm nach und
nach völlig fremd werden, wozu allerdings eine Art Kasteiung
in jeder Beziehung unumgänglich nöthig ist. Ists möglich, dem
kummerbelasteten Gemiithe seine Sorgen zu entnehmen, so wird
auch der daraus entsprungenen Hypochondrie der grösste Im-
puls genommen sein und der Kranke wird bald einem freudige-
ren Leben entgegen gehen. Erlauben die Verhältnisse des Kran-
ken Reisen in andere Gegenden und Länder, womit zugleich
Zerstreuung verbunden ist: so bedarf es oft gar keiner Arznei,
der Kranke wird genesen zurückkehren.

Wir rathen Bewegung an, doch darf diese nicht bis zur
übermässigen Ermüdung getrieben werden , und diess um so we-
niger, wenn die Constitution durch lange Dauer der Krankheit
oder verkehrte Behandlung schon geschwächt ist. Am besten
ist die Bewegung in den Morgen- und Abendstunden, nie unmit-
telbar nach den Mahlzeiten. Obschon Reiten nicht nachtheilig
ist, so ist doch eine active Bewegung des Körpers zuträglicher,
wodurch das gesammte Muskelsystem in Thätigkeit gesetzt wird ;



620 Hypochondrie.

daher besser Fussreisen , gymnastische Uebungen, Schwimmen,
Jagd, Holzsägen u. s. w. Canstatt sagt: „Das Fahren in
„einem bequemen Wagen ist die Bewegung in homöopathischer
„Dosis, und wenn auch die Homöopathie in anderer Beziehung —
„als Negation der Arzneien — zuweilen für Hypochonder passt,
so doch nicht in dieser." Aus diesen wenigen Worten ist zu
ersehen , dass Canstatt sich nicht mit der Homöopathie befreun-
det hat; man lasse ihn!

Eine Geduldsprobe ist die psychische Behandlung der Hypo-
chondrie und oft liegt es ausser der Macht des Arztes, der Geistes-
thätigkeit des Kranken die heilsame Richtung zu geben, doch muss
das Mögliche versucht werden und sähe er auch, dass er oft
nur rathen und nicht helfen könne. Die verschiedenen Zer-
streuungsmittel müssen den Talenten, Neigungen und der socia-
len Stellung der Kranken angepasst werden.

In allen Fällen stehen uns jedoch so wirksame Heilmittel
nicht immer zu Gebote und hier müssen wir denn durch Arz-
neien jene Entbehrungen mit zu ersetzen suchen, was uns um
so leichter wird, da wir mit einer Menge wichtiger Mittel in
der homöopathischen Materia medica vertraut sind, die so mäch-
tig in die kranke Organisation des Hypochonders eingreifen.
Unter vielen zu nennenden Arzneien steht

Nux vomica hier oben an aus mancherlei Gründen, die dem
Leser bei Aufzeichnung mancher Einzelnheiten bald von selbst
einleuchten werden. Die Hypochondrie der Gelehrten, bei denen
wir die Krankheit ja fast am häufigsten fincren, ist ganz für die
Anwendung der Nux geeignet, besonders wenn sie, wie so oft,
in einer nervös-venösen atrabilären Constitution wurzelt, bei wel-
cher der Kranke nicht selten zum aufbrausenden Jähzorn geneigt
ist; in ihr liegt auch schon der Keim zur Prädisposition für Hy-
pochondrie, der durch die sitzende Lebensweise, die Entbehrung
des Genusses der freien Luft, durch die anhaltende Anstrengung
der Geistesthäigkeit, Phantasie und Denkvermögen und den da-
bei stattfindenden Genuss von Reizmitteln, um die Nachtwachen
leichter zu verwinden — immer mehr an Nahrung gewinnt und
der Krankheit ein weiteres Feld einräumt. Dass bei einem sol-
chen Leben Störungen in der Digestion, im Pfortader- und Le-
bersystem endlich eintreten , und Stuhlverstopfung zur Folge



Hypochondriasis, Morbus eruditorum. 621

haben müssen, ist einleuchtend und die schon vorhandene hypo-
chondrische Stimmung erlangt dadurch einen immer höhern Grad.
Dieser Zeitpunkt ist unstreitig der geeignetste für die Anwen-
dung unseres Mittels und heilt, bei gut geregelter Diät und
zweckmässiger Wiederholung der Gaben, sicher die Krankheit.
— Eben so oft passt Nux auch für diejenigen Hypochondrien,
die durch ein luxuriöses Leben entstanden , die ebenfalls auf ei-
ner Verstimmung des Unterleibsnervensystems beruhen, die aus
solchen materiellen Störungen in den Functionen der Unterleibs-
organe hervorgingen. Ueberhaupt eignet sich Nux ihrer ausge-
zeichnet heilkräftigen Wirkungen wegen auf kranke Unterleibs-
organe, wo die Symptome so eclatant unter ihren physiologischen
Wirkungen ausgeprägt vorliegen, die sich häufig auch durch Un-
behaglichkeit und Angegriffenheit nach dem Mittagsessen docu-
inentiren, für materielle Hypochondrien und sie wird nie ihre
Wirkung in ihnen versagen, wenn jene Ursachen den Unterleibs-
störungen zum Grunde liegen.

Aber auch eben so hülfreich, in mancher Beziehung mit Nux
correspondirend, erweisen sich die Stephanskörner, die nicht
blos immer in der Hypochondrie, die von der geschlechtlichen
Sphäre ausgeht, wo sie allerdings den Vorrang vor vielen an-
dern Mitteln verdient, indem sie den Nachtheilen von Onanie
so heilbringend begegnet, von wesentlichem Nutzen sich zeigt:
sondern auch denen kräftig entgegentritt, die von anhaltend ein-
wirkendem Aerger mit Unwillen und Indignation , oder von
Sorge, Kummer und Gram entstanden sind. In ihnen treibt die
wechselnde Laune ihr Spiel vorzüglich , und zwar nicht blos in
gemüthlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die verschie-
denen krankhaften Empfindungen, die den Kranken plagen, un-
ter denen nur die Blähungs-Erzeugung und Versetzung mit ihren
erzeugenden Beschwerden stationär bleiben, wozu endlich eine
Gleichgültigkeit gegen Alles, mit Unlust zu reden und zu den-
ken sich gesellt. In den genannten Hypochondrien ist die
Staphysagria ein sehr geeignetes Heilmittel, der zunächst

Der Phosphor steht. Ich stelle den Phosphor unter dieje-
nigen Mittel, die Treffliches leisten in den Hypochondrien, die
onanitischen Sünden ihr Entstehen verdanken, obschon Hahne-
mann darin eine Contraindication für seine Anwendung finden



622 Hypochondrie.

will, wenn Mangel an Geschlechtstrieb und Schwäche der Zeugungs-
theile in Krankheiten vorherrscht. Mir scheint diese Regel
nicht durchgängig gültig, wenigstens möchte ich gerade hier die
Ausnahme geltend machen, wo die Schwäche der Geschlechtsor-
gane nicht durch innere Ursachen , sondern durch äussere her-
beigeführt wurde.

Uebrigens ist es hier sehr gerathen, vor Anwendung des
Phosphors, die durch Onanie so hoch gesteigerte Empfindlich-
keit des Nervensystems durch eine oder einige Gaben JVwsc,
wohl auch durch einige auf sie folgende Gaben China herabzu-
stimmen und so der Wirkungskraft des Phosphor vorzuarbeiten.
— Allein nicht blos in solchen Hypochondrien passt Phosphor,
sondern auch in denen, die ihren Sitz in einer von Natur ha-
gern, schlanken Constitution aufgeschlagen haben, die von
Aerger häufig heimgesucht wurde. Diese Art Hypochondrie
sucht in vielem Laufen Erleichterung ; dabei Ueberempfmdlich-
keit aller Sinne, insbesondere aber eine so ärgerliche Reizbar-
keit, dass der Kranke, vorzüglich nach Tische, wo Magen-
drücken, wohl auch Uebelkeit mit viel Gesichtshitze sich hin-
zugesellt , höchst unleidlich wird und seiner Umgebung das Le-
ben sehr erschwert.

Ihm schliesst sich Conium an, das in ähnlichen Fällen wie
Phosphor passend, mehr jedoch noch in denjenigen Hypochon-
drien indizirt ist, die Personen deshalb heimsucht, weil sie bei
sehr erregtem Geschlechtstriebe, zu strengzüchtige Grundsätze
festhielten und durch ihre Ansichten über einen reinen morali-
schen Lebenswandel sich abhalten Hessen, irgend eine Aus-
schweifung sich zu gestatten. Ihr Unmuth und Trübsinn, ihre
hypochondrische Verstimmung und Niedergeschlagenheit beglei-
tet sie auch auf ihren Spatzierwegen im Freien ; sie werden
immer gleichgültiger, theilnahmloser, verlieren den Trieb zur
Arbeit immer mehr und die Krankheit artet leicht bis zu jenem
hohen Grade aus, wo man für ihr Leben, aus Lebensüberdruss,
zu fürchten hat.

In dieser letztern Beziehung hat Auruni metallicum aller-
dings noch den Vorrang vor Conium, denn diese Art Spleen ist
zu characteristisch für Gold und hat kein anderes Mittel zur Seite,



Hypochondriasis, Morbus eruditorum. 623

wo dieses Symptom „sich das Leben zu nehmen" so scharf ab-
gezeichnet dastände ; immer jedoch ist dieses Symptom mit
grosser Bangigkeit und Angst, vorzüglich ums Herz und mit
fortwährenden Congestions-Zuständen nach der Brust verbunden,
aus denen die Selbstentleibungswuth entspringt. Vornehmlich ist
es noch ein Zerschlagenheitsschmerz des Gehirns, der diese Art
Hypochondrie, für Aurum passend, characterisirt und sich durch
Nachdenken, Lesen, Reden und Schreiben bis zur äussersten
Heftigkeit und Verwirrung der Begriffe erhöht. Die gastrischen
Zustände, die ebenfalls viel Eigenthümliches darbieten, möge der
Leser selbst nachschlagen.

Materielle Hypochondrien finden in Gratiola gewiss ein sehr
zweckdienliches Heilmittel, das namentlich da grosse Beachtung
verdient, wo Patient viel Klage über Magen, Hypochondern und
Bauch zu führen hat; insbesondere ist es der harte ungenüg-
liche Stuhl mit grosser Anstrengung, der ihm zu schaffen macht,
nachdem ihm mancherlei bald kneipende, bald schneidende Em-
pfindungen in der Nabelgegend, bald Unbehaglichkeit im Magen,
mit Vollheit und Drücken und vielem Aufstossen vorangegangen
sind. Obschon nun durch Entleerung des Stuhls der Kranke
sich erleichtert fühlt, so kann er sich doch von seiner Verdrüss-
lichkeit und ernsthaften Vertieftheit in Gedanken nicht frei ma-
chen. Ist eine Hypochondrie so geartet, so lohnt es der
Mühe, Gratiala unter die zu vergleichenden Mittel mit auf-
zunehmen.

Stannum ist ebenfalls ein Mittel von hoher Bedeutung in
Hypochondrie und es ist oft staunenswert!*, was es in den ver-
schiedenen hypochondrischen krampfhaften Beschwerden zu leisten
im Stande ist, die meistens vom Gangliensysteme aus ihren
Ursprung nehmen; merkwürdig ist dabei, dass der Kranke durch
Gehen sich seine Leiden sehr erleichtert, die in der Ruhe von
Neuem zurückkehren, der er doch so gern pflegen möchte, in-
dem er sich fortwährend geistig und körperlich matt und ange-
griffen fühlt; diess stimmt ihn äusserst trübe und schwermüthig
und eine Muthlosigkeit bemächtigt sich seiner, der er nicht
Meister werden kann und ihn oft zum Weinen bringt ; gesellt
sich hierzu nun noch das betäubende, pressende Weh im Ge-



624 Hypochondrie.

hirne, als ob der Hirnschädel eingeschraubt wäre, oder auch
andere Empfindungen im Gehirne, Gehörtäuschungen, Magenbe-
schwerden bei regelmässigem Appetite, Leerheitsgefühl im Bauche,
Stuhlverstopfung, ermattende Nachtschweisse etc.: so fühlt sich
der Kranke im höchsten Grade unglücklich und erschwert seiner
Umgebung das Leben ungemein durch Uebertreibung seiner Lei-
den. Diess ist die Art Hypochondrie, der Stannum in jeder Be-
ziehung entspricht und wo es gewiss nie nutzlos angewendet
werden wird.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #24 on: April 30, 2013, 09:45:20 PM »

Anders sind die Arten , denen Zincum entgegenzusetzen ist.
Auch hier sind krampfhafte Leiden mit vorherrschend und der
Kranke führt die meisten Klagen nach dem Mittagsessen, wenn
er sich der Ruhe überlässt, die er darum so liebt, weil er äus-
serst empfindlich gegen die freie Luft ist. Sein Schlaf ist stets
unruhig, weil er beim Einschlafen seiner Phantasie freien
Spielraum lässt, die dann auch im Schlafe fortgeschäftig ist und
ihm Bilder vorgaukelt, die dann auch in den wachen Zustand
mit übergehen und ihn in jene hypochondrische Stimmung ver-
setzen, in der er sich nur mit Todesgedanken beschäftigt, wozu
allerdings, bei seiner überreizten Stimmung, der fortwährende
Druck unter den kurzen Rippen, besonders rechter Seits, das
öftere leere , nicht erleichternde Aufstossen, mit Druck auf der
Mitte des Rückgrats, das öftere zusammenschnürende Gefühl in
der Herzgrube mit Aengstlichkeit, das Versetzen der Blähungen
im Unterleibe, der Öftere vergebliche. Stuhldrang, die eigen-



ich



thümlichen Kopfleiden etc. — wesentlich mit beitragen.

Von nicht geringerer Bedeutung ist Natrum carbonicum;
es empfiehlt sich besonders da, wo durch geringe Diatfehler
grosse Verdauungsschwäche mit sehr übler, hypochondrischer
Laune erzeugt wird, was allerdings in der grossen Nerven-
Ueberreiztheit begründet ist, wovon eben diese Hypochondrie
abhängt. Die dabei vorherrschende Gemüthsstimmung ist eine
eigenthümliche; bald ist der Kranke unruhig, ängstlich, bald
scheut er sich vor Menschen und Gesellschaft und ist furchtsam,
bald zeigt er eine Theilnahmlosigkeit, die an Lebensüberdruss
grenzt; dabei klagt er fortwährend über Druckschmerz im
Kopfe, schlechten Geschmack bei leidlichem Appetite, Weich-



Hypochondriasis , Morbus eruditorum. 625

lichkeit mit Spannen in den Hypochondern, ziehendem Schnei-
den im Magen und Athembeklemmung etc.

Dass Sulphur auch hier zu den Haupt-Heilmitteln zu zählen
ist, kann Den nicht befremden, der sich mit seiner weitumfas-
senden Wirkungssphäre vertraut gemacht hat; diese wird ihm
auch zeigen, dass der Schwefel oft da heilsam ist, wo er nicht
gerade als Heilmittel indizirt ist, sondern wo es nur darauf an-
kommt, die Receptivität des Organismus für die günstigere Ein-
wirkung anderer Heilmittel zu steigern. Dazu kann er in dieser
Krankheit zwar auch wohl benutzt werden, allein er ist hier
auch wirkliches Heilmittel, wie seine vielgestaltigen physiolo-
gischen Wirkungen deutlich genug darthun, unter denen ich
ganz besonders auf die Eigenthümlichkeiten des Gemüths und
Sensoriums aufmerksam mache, wobei, wie begreiflich, die übri-
gen Symptome nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfen.

Ich habe dem angehenden Homöopathen in der genauem
Detaillirung dieser wenigen Mittel gezeigt, wie er bei der Wahl
einer Arznei für diese Krankheit verfahren müsse, um die pas-
sendste für den jedesmaligen individuellen Fall herauszufinden.
Dass diess nicht alle für Hypochondrie geeignete Arzneien sind,
bedarf kaum der Erwähnung, da die Krankheit zu proteusartig
sich gestaltet, als dass nicht noch eine grosse Menge anderer in
den verschiedenen Arten der Hypochondrie indizirt sein sollten.
Folgende sind der Berücksichtigung werth: Veratrum, Asa,
Pulsat. , Beilad. , Plumbum, Magnes. muriat. , Valeriana, Arnica,
Moschus* Mezereum etc.



Zweiundzwanzigste Ordnung.

Chronische Seuchen.

§. 294.
Venerische Krankheit. Syphilis,

Bis hieher habe ich eine Menge chronischer Krankheiten
näher beleuchtet und ihre homöopathische Behandlung beigefügt,



626 Chronische Seuchen.

deren Ursprung, nach Hahneraann, psorischer Natur sein soll.
In wie weit dieser Ausspruch auf Gültigkeit Anspruch machen
kann, habe ich an vielen Stellen deutlicher zu erörtern mich be-
müht, theils mit klaren Worten, theils unter der Aetiologie vieler
Krankheiten durch Angabe ihrer Entstehungs - Ursachen. Jede
weitere Detaillirung über das Für und Wider umgehe ich geflies-
sentlich, um dem eigenen Urtheile des Lesers nicht vorzugreifen
und wohl überlegend, dass ich, wie jeder Andere, in Vorurthei-
len befangen sein und irrige Ansichten haben kann; dennoch
habe ich aber auch die Ueberzeugung, dass ich nach meinem
redlichen Forschen berechtigt bin, das, was ich nach Jahrelan-
ger, sorgfältiger Prüfung für wahr und richtig erkannte, als mein
Glaubensbekenntniss aufzuzeichnen und dem gesammten wissen-
schaftlichen Publikum zu überlassen, ob es das von mir für rich-
tig und wahr Gehaltene zu seinem Eigenthume machen will
oder nicht.

Anderer Meinung bin ich auch in Bezug auf das achte Ach-
tel chronischer Krankheiten, das Hahnemann der Syphilis
und Sykosis zuschreibt. Stimme ich auch mit allen Aerzten
seines Zeitalters vollkommen darin überein, dass Hahnemann
ein scharfer und treuer Beobachter der Natur gewesen ist, so
lässt sich doch aus vielen seiner Aeusserungen über Syphilis ent-
nehmen, dass er wenigstens in dem letzten Viertel seines Lebens,
wenig Beobachtungen über selbige hat anstellen können, wie
auch seine etwas sehr stiefmütterliche Behandlungsweise dersel-
ben deutlich genug erhärtet. IchuM mit mir jeder Andere,
wird ihm diess nicht falsch auslegen oder als Fehler anrechnen;
da wir selbst Alle nur zu gut wissen , welchen Täuschungen der
Arzt bei diesen Krankheiten unterworfen ist und wie wenig man,
bei der Nachlässigkeit, Unfolgsamkeit, Treulosigkeit solcher Kran-
ken, auf treue Beobachtung und sichere Erfahrung rechnen kann.
Diess Alles hat jeder Arzt gerade in diesem Genre von Krank-
heiten schon mehr oder weniger kennen gelernt und darum ist
er auch gerade hier weit mehr als in jeder andern Krankheit
misstrauischer gegen die gemachten Mittheilungen , weil ihm die
in einem ausgedehnteren Wirkungskreise selbst erfahrenen Na-
tur-Anschauungen andere Resultate liefern, als ihm jene gege-
ben haben. So wenigstens ist es mir mit der von Hahne-



Venerische Krankheit. Syphilis. 627

mann angegebenen Behandlung der Syphilis ergangen, von der
ich nur in den seltensten Fallen Gebrauch machen konnte, oder,
wo ich es that, keine sonderlichen Effecte erlebte. Darum werde
ich hier mich nicht an Hahnemann's Vorschrift binden, son-
dern meine und Anderer Erfahrungen geben , wie ich sie ge-
macht und Letztere sie mitgetheilt haben, ohne mich auf Namen
zu berufen.

§. 295.

Name und Ursprung der Krankheit.

Theils nach den hervortretenden Symptomen, theils nach
den Nationen, von welchen man ihren Ursprung herleitete, theils
nach Heiligen, die man zur Befreiung von dem Uebel anrief,
wurden der Syphilis sehr verschiedene Namen beigelegt. So
leitet ihn der italienische Arzt Fracastori (1514) von dem
Hirten Syphilis zuerst ab, den er durch die erzürnten Götter mit
dieser Krankheit bestrafen lässt. Man nannte sie Pudendagra,
Mentagra, Morbus St. Rochi, St. Jacob i etc., von Heili-
gen, welche man anrufen musste, um von dieser Krankheit be-
freit zu werden. Auch heisst sie Mal de Naples, Mal de
France. Die Bewohner des Ostens, z. B. die Polen, nennen
die Krankheit die deutsche, die Russen die polnische, die Perser
die türkische, die Holländer die spanische, die Deutschen die
französische oder spanische, der ganze Orient die fränkische,
die Engländer french pox, die Türken Krankheit der Franken,
d. i. Christen. Fernelius nannte sie sehr passend, da sie
fast immer durch den Beischlaf mitgetheilt wird, Lues vene-
rea, Lustseuche, eine Benennung, die jetzt allgemein ge-
worden ist.

Ueber den Ursprung der Krankheit ist man sehr getheilter
Meinung. Einige leiten sie aus dem frühesten Alterthum ab,
berufen sich auf Stellen in der Bibel, wollen die nächtlichen
Schmerzen David 's für Dolores venerei angesehen wissen,
eben so die Krankheit H i o b ' s etc. , ohne nähere Beweise für
ihre Behauptung stellen zu können. Beschränkt man den Begriff
der Syphilis aber auf jene Krankheiten, die ihren Ursprung aus
einem specifiken, durch Uebertragung von Generation auf Gene-
ration fortpflanzbaren Virus nehmen, so wird der Beweis un-



628 Chronische Seuchen.

möglich, dass wahre Syphilis bereits im Alterthume geherrscht
habe, denn nirgends ist klar dargethan, dass jene damals beob-
achteten Affectionen der Geschlechtsorgane sich ähnlich wie heutzu-
tage durch ein sich immer wieder erzeugendes Contagium fort-
gepflanzt haben, überall sind jene antiken pseudovenerischen
Krankheiten denen ähnlich, wie man sie auch in unserer Zeit,
z. B. nach Coitus mit menstruirenden, oder dem Lochienflusse,
einfacher Leucorrhöe, aber nicht syphilitisch affizirten Frauen
entstehen sieht. — Andere halten sie für neuern Ursprungs und
datiren ihr Erscheinen auf europäischem Boden von dem letzten
Jahrzehende des 15. Jahrhunderts her, was auch dadurch wahr-
scheinlich wird, dass man die damals so plötzlich auftauchende
und rasch über alle Länder sich verbreitende Seuche für eine
ganz neue Krankheit ansah, was doch jedenfalls nicht geschehen
sein würde, wenn man von Alters her mit ihren Erscheinungen
vertraut gewesen wäre. Uebrigens ist es Thatsache, dass die
ersten Nachrichten über Ausbruch und Verbreitung der Krankheit
in das Jahr 1494 fallen und Neapel als ihr Geburtsort bezeich-
net wird , wohin sie durch die Armee König Karls VIII von
Frankreich gebracht, oder durch sie von dort über Europa ver-
breitet worden sein soll.

§. 296.
Begriff und Wesen der Lustseuche.

Die Syphilis ist eine Dyskrasie des reproductiven Systems,
welche unter der Form von Geschwüren, Excrescenzen , Blenn-
orrhoen und Hautausschlägen auftritt und durch ein specifisches
Virus, oder eigenthümliches fixes Contagium im Individuum her-
vorgerufen wiederum das gleiche der Uebertragung auf audere
Individuen fähige Gift zu regeneriren vermag. Die Krankheit
zeichnet sich vornehmlich dadurch aus, dass sie bald mit Ver-
minderung der Vegetation, mit Zerstörung der Faser durch Ge-
schwürsbildung, bald mit Vermehrung derselben, als Hypertrophie
des Gewebes, als Excrescenz und als Blennorrhoe auftritt, und
so entgegengesetzte dynamische Richtungen in sich vereinigt,
wie diess fast bei keiner Krankheit, die scrophulöse etwa ausge-
nommen, gefunden wird.



Venerische Krankheit. Syphilis. 629

§. 297.

Mittheilbarkeit des syphilitischen Giftes.

Die Mittheilung des syphilitischen Contagiums geschieht
theils:

1) direct durch Coitus, Päderastie, Küsse (wenn primäre
Mundgeschwüre vorhanden sind), durch Contact wunder Theile
mit syphilitischem Gifte; theils:

2) indirect durch Contact von Substanzen, welche mit syphi-
litischem Gifte imprägnirt sind: Tabakspfeifen, Cigarren, Trink-
geschirre, Löffel, Blasinstrumente, Zahnbürsten, Klystierspritzen,
Badewannen, Abtritte etc. Selbst eine gesunde Dirne kann das
Contagium dadurch übertragen, dass sie mit einem syphilitischen
Subject den Coitus ausübt, wobei der Schanker- oder Tripper-
stoff in der Scheide zurückbleibt, durch den sein Nachfolger an-
gesteckt wird, während die Dirne selbst nicht erkrankt.

Der Zeitraum zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch
der Krankheit selbst ist sehr unbestimmt ; die geringste Zeit ist
24 — 48 Stunden, die längste 7 Wochen ; doch zeigen sich die
ersten syphilitischen Symptome meistens zwischen dem 4. und
8. Tage. Die Beschleunigung oder Verzögerung hängt von un-
bekannten Bedingungen ab, doch scheinen verschiedene äussere
Umstände Einfluss darauf zu haben, besonders heftig reizende
Einwirkungen psychischer oder somatischer Art, erhöhete Tem-
peratur des Körpers, durch warme Bäder, starke Erhitzung durch
Tanz. Nicht minder reagiren gewisse Individuen rascher gegen
alle aufgedrungene Schädlichkeiten und bei diesen treten die
Erscheinungen des Keimens früher ein, als bei andern, wo diess
nicht der Fall ist.

Diess das Nöthigste und Wichtigste im Allgemeinen über
Syphilis. Wer mehr darüber zu wissen, und ausführlicher sich
darüber zu belehren wünscht, dem stehen eine grosse Menge
Schriften darüber zu Gebote, die er sich leicht aus öffentlichen
Bibliotheken wird verschaffen können. Der Raumersparniss we-
gen vermeide ich hier das namentliche Anführen der einzelnen
Werke über Syphilis.

Hier nur noch ein Paar Worte über Prognose der Syphi-



630 Chronische Seuchen.

lis im Allgemeinen. Ist der Kranke sonst gesund, haben die
secundären Symptome noch nicht zu lange bestanden, sind sie
nicht weit verbreitet, sind noch keine Knochenaffectionen vor-
handen, lebt der Kranke massig, unterwirft er sich streng den
ärztlichen Anordnungen, ist er noch nicht zu sehr mit Quecksilber
gemisshandelt worden, dass nicht etwa schon Hydrargyrose eine
Complication mit Syphilis eingegangen hat, ist nicht eine andere
im Körper schlummernde Dyskrasie durch Syphilis erweckt wor-
den und hat sich mit ihr verbunden: so ist die Prognose ziem-
lich günstig, obschon Recidive nicht immer verhütet werden
können. Uebrigens sind entstellende Narben, Difformitäten,
Zerstörungen, Knochenauftreibungen nicht selten Rückbleibsel.
Hartnäckiger ist die Syphilis in scrophulösen Subjecten.

'§. 298.

Therapeutische Behandlung der Syphilis im
Allgemeinen. Sie beschränkt sich, wie bei den meisten
Krankheiten, bei dem homöopathischen Heilverfahren einzig und
allein auf das diätetische Regim. Die Erfahrung hat zur Genüge
gezeigt, dass zur baldigen Heilung der Syphilis die Befolgung
folgender Cautelen erforderlich ist:

1) Ein gleichmässiger Temperaturgrad, einer 18 bis 20 Grad
Reaum. warmen und reinen Luft; diese Krankheit verläuft in den
tropischen Klimaten und im südlichen ^iropa viel milder ; eben
so verhält es sich im nördlichen Europa mit ihr in den Som-
mermonaten, wenigstens geht die Heilung da viel rascher und
leichter von Statten, als im Winter, wo sie allemal schwieriger
gelingt. Durch eine so gleichmässige Temperatur wird die
Hautausdünstung befördert und diess mag auch der Grund zur
Förderung der baldigen Heilung sein, wiewohl die Reinheit der
Luft dabei auch nicht vernachlässigt werden darf, die sehr leicht
verdorben wird, wo zu viele Snbjecte sich in dem Krankenzim-
mer aufhalten. ^

2) Der Genuss weniger und angemessener Nahrungsmittel.
Im Allgemeinen passt eine entziehende Diät; je weniger der
Kranke isst, desto weniger nährt er die Krankheit; diess ist ein
alter Grundsatz und die Erfolge der Entziehungscur beweisen hin-



Tripper. 631

länglich , dass es folgerichtig ist , den Kranken auf geringere
Portionen zu setzen. Doch finden hier auch Ausnahmen statt,
z. B. bei ohnehin schon schwächlichen Individuen, die sogar
eine etwas kräftigere Diät verlangen. Zu vermeiden sind ins-
besondere Säuren, als: Essig- und Citronensäure; ferner: gei-
stige Getränke, wie Wein, Branntwein, Liqueur und alle aus
Weingeist bereitete Getränke ; Weissbier oder ein einfaches leich-
tes Braunbier ist erlaubt; eben so leichte vegetabilische und
schleimige Gemüse, Mehlspeisen; verboten dagegen alles Fleisch
und alle Gewürze, die sich in unserer Küche mit eingeschlichen
haben, dahin gehören: Kaffee, Thee, Pfeffer, Safran, Zimmt,
Vanille, Gewürznelken, Kümmel; eben so sind Waschwässer, Po-
maden, Parfümerien und arzneiliche Zahnpulver zu vermeiden.
Das Tabakrauchen verbiete ich nicht, weil es doch in den we-
nigsten Fällen befolgt werden würde , nur beschränke ich das
Uebermass.

3) Ruhe, möglichstes Liegen und die grösste Reinlichkeit.
Es ist eine Hauptcautel bei Behandlung der Syphilis, dem Kran-
ken die grösste geistige, insbesondere aber körperliche Ruhe an-
zuempfehlen; ists irgend möglich, so vermeide der Kranke das
Ausgehen, wenigstens gehe er sehr langsam, bleibe nicht lange
stehen und entferne alle enge, pressende Beinkleider; Fahren
und Reiten aber muss ganz unterbleiben. — Die Reinlichkeit
erzielt man am besten dadurch, dass man alte weiche Leinwand-
läppchen mit verschlagenem Wasser befeuchtet, auflegt auf die
Schanker-Geschwüre und diese Befeuchtung öfters erneuert. Bei
Phimose ist das langsame Einspritzen warmer Milch oder lauen
Wassers, täglich mehrmals wiederholt, durchaus unerlässlich.

§. 299.

Primärer Tripper beim männlichen Geschlecht, Blen-
norrhoe der männlichen Harnröhre. Gonorrhoea acuta virorum,
Urethritis, Blennorrhagia urethrae.

Dem syphilitischen Tripper liegt eine catarrhalische Entzün-
dung der Harnrührenschleimhaut zu Grunde, die mancherlei
Modificationen unterworfen ist, die vom Sitze der Entzündung,
IL 41



632 Chronische Seuchen.

von ihrer oberflächlichen oder tieferen Verbreitung, von ihrem
erethischen, synochalen oder torpiden Character abhängen.

Symptome: Man kann den Zeitraum, der zwischen der
Ansteckung und dem Eintritt der ersten Periode dieser Krank-
heit mitten inne liegt, mit dem INamen Stadium invasionis
bezeichnen ; die ersten Spuren der Krankheit bemerken wir
zwischen dem dritten und achten Tage, selten früher, seltner
später. — Gewöhnlich beginnt der Tripper mit dem Gefühle
eines wollüstigen, juckenden Kitzels an der Spitze der Harn-
röhre, mit vermehrtem Triebe zum Beischlafe, häufigen Erectio-
nen, besonders Nachts und Pollutionen und stärkerem Triebe
zum Harnlassen. Nach 3 — 4 Tagen verwandelt sich dieser
Kitzel in eine lästige und schmerzhafte Empfindung längs der
Harnröhre und in der kahnförmigen Grube, die während des
Urinlassens brennend wird; dabei sind Harnröhrenmündung und
Eichel angeschwollen, geröthef, empfindlich,

Bald nachdem Kitzel und Schmerz eingetreten sind , stellt
sich in der Harnröhre die Absonderung einer Anfangs halbdurch-
sichtigen, eiweissähnlichen Flüssigkeit ein, die zum Theil aus-
fliesst, zum Theil vertrocknet und die Mündung des Glieds ver-
klebt; bald aber wandelt sie sich in eiterförmigen milchfarbigen
oder grünlichen Schleim um, der oft in grosser Quantität ausge-
schieden wird und durch Druck des Glieds hervorgepresst wer-
den kann. Es tritt ein brennend stechender sehr empfindlich
spannender Schmerz während des Urinlassens längs der Harn-
röhre ein, der durch Druck vermehrt wird und sich oft in das
Mittelfleisch, die Leistengegend, die Hoden verbreitet. Meist
ist nur ein leichtes Fieber vorhanden. Diess ist das Stadium
inf lamma to r ium, in dem die lokalen Symptome ihre Akme
gegen den 15. Tag erreichen.

Nach und nach nehmen die Schmerzen ab, die Erectionen
werden seltner und schmerzloser, die Anschwellung der Eichel
und Harnröhrenlippen verschwindet, der Ausfluss wird dicker,
gallertartig, geringerund verschwindet zuletzt ganz. Stadium
relaxati onis.



Tripper. 633

§. 300.

Modificationen des Trippers.

Nicht immer ist die Form des Trippers so mild, wie ich sie
im vorigen §. beschrieben habe, wo er den oberflächlichen ery-
thematösen Grad der Schleimhautentzüridung nicht überschritt;
oft artet er zu einem synochalen, phlegmonösen aus,
in dem dieStase zu höherer Intensität sich steigert, rascher ver-
läuft und tiefer in die der Schleimhaut benachbarten Gewebe
eindringt. Bedingt wird diese Modification durch plethorische
Constitution, Genius epidemicus; doch kann der erythematöse
Tripper auch in einen synochalen verwandelt werden durch Bei-
schlaf, zu reizende Behandlung u. dgl. Die Entzündung er-
streckt sich hier oft bis zur Prostata, ja sogar bis zur Blase
unter den empfindlichsten Schmerzen. Die Eichel ist hochroth
und stark angeschwollen, die Harnröhre in ihrer ganzen Länge
gegen Druck sehr empfindlich, angeschwollen, an einzelnen
Stellen hart anzufühlen. Die Schleimabsonderung ist oft blut-
gestreift; manchmal findet sogar in Folge heftiger Erectionen
reiner Blutabgang aus der Harnröhre statt (sog. russischer
oder schwarzer Tripper). Das Harnen ist erschwert, sehr
schmerzhaft, der Harndrang oft unerträglich; manchmal völlige
Harnverhaltung, Blasenkrampf und Tenesmus, Stuhlverstopfung,
Chorda, Hodenentzündung, consensuelle Bubonen, synochales
Fieber. Diess ist auch derjenige Tripper, bei dem, in Folge
der sehr heftigen Entzündung, die Absonderung ganz aufgeho-
ben sein kann und dann bezeichnen wir ihn mit dem Namen
trockner Tripper.

Eine zweite Modification ist der torpide Tripper, ein
völliger Gegensatz des vorigen, bei dem die Symptome oft so
unbedeutend sind, dass Patient sich kaum für krank halten
würde, wenn nicht Ausfluss aus der Harnröhre zugegen wäre.

Wiederum eine besondere Abart ist der sogen, erysipe-
latöse Tripper mit rothlaufartiger Entzündung der Vorhaut,
ödematöser, glänzender, blassgerötheter Anschwellung der Vor-
haut und Harnröhrenmündung und Ausfluss eines mehr wässrigen
Schleims, mit Rothlauffieber.

41*



634 Chronische Seuchen.

Noch gehört hieher die sogen. Chorda, meistens mit der
synochalen Tripperform in Verbindung; es ist diess eine wäh-
rend der schmerzhaften Erectionen sich einstellende Krümmung
des Penis nach abwärts, dadurch erzeugt, dass in die Interstitien
des von der Schleimhautentzündung mit ergriffenen schwammigen
Körpers der Harnröhre sich plastische Lymphe ergossen hat,
wodurch das freie Einströmen des Blutes in die Zellen des Cor-
pus cavernos. urethr. während der Erection gehindert ist.

Bei sehr langer Vorhaut entsteht leicht eine Phimosis,
d. h. eine entzündete oder ndematös angeschwollene Vorhaut,
die nicht mehr über die Eichel zurückgezogen werden kann.
Paraphimosis nennt man die Einschnürung des Glieds durch
die hinter die Eichel zurückgezogene, und nicht mehr über die-
selbe vorzubringende angeschwollene Vorhaut; sie entsteht im
Tripper bei enger Vorhaut und nach gewaltsamer Zurückschie-
bung derselben, z. B. in Folge von Erectionen, Beischlaf etc. :
sie liegt dann als gefalteter Wulst hinter der Corona glandis und
kann zu enormer Anschwellung der Eichel, ja Brandigwerden
derselben Veranlassung geben, wenn die Einklemmung nicht
bald gehoben wird.

§. 301.

Ausgänge des Trippers.

Der gewöhnliche Ausgang ist der* Zertheilung unter
allmäligem Nachlass aller beschwerlichen Symptome und des
Uebergangs des eiterartigen in einen mehr serösen Ausfluss.
Dass hierbei einzelne Beschwerden sich oft früher, andere später
verlieren, ist eine bekannte Sache.

Eine zweite, ja die häufigste Nachkrankheit ist ein Nach-
trippe r (Gon orrho ea secundaria, Urethritis chro-
nica), der oft die Geduld des Kranken wie des Arztes schwer
auf die Probe stellt. Alle krankhaften Empfindungen haben sich
bedeutend gemindert, nur ein chronischer Reizzustand eines
Theils der Harnröhrenschleimhaut bleibt zurück, der sich ge-
wöhnlich durch fortdauernde abnorme Secretion, oft auch durch
Empfindlichkeit der Harnröhre kund giebt. Irritable Subjecte



Tripper. 635

verschlimmern sich diesen Zustand leicht durch jede geringe
Reizung, Erhitzung und der Schleimausfluss vermehrt sich; tor-
pide Subjecte hingegen sind weniger empfindlich gegen reizende
Einflüsse.

Auch Verengerungen und Geschwüre können bei lang
dauernden Nachtrippern entstehen; bei homöopathischer Behand-
lung habe ich sie jedoch nie gesehen; wohl aber erschwertes
Harnlassen und Harntröpfeln.

Aetiologie und Prognose bieten nichts Besonderes, der
Erwähnung Werthes bei dieser Krankheitsform dar, weshalb ich
sie hier weiter nicht berühre. — Dagegen ist es wohl bemer-
kenswerth, dass fast durch keine andere Krankheit im Körper
schlummernde Uebel leichter geweckt werden, als durch Gonor-
rhöen, sie mögen nun durch Ansteckung, Hämorrhoidalreiz oder
irgend eine andere Ursache entstanden sein. Vorher scheinbar
ganz gesunde Menschen haben nach überstandenem Tripper über
mancherlei Beschwerden zu klagen, die immer successive, nach
Beseitigung der einen, zum Vorschein kommen. Ja selbst schon
während des Trippers treten sie auf und kündigen sich am ersten
dadurch an, dass die Gonorrhöe unter mehren Wochen sich
nicht beseitigen lässt, oder in Nachtripper übergeht. Im All-
gemeinen lässt sich wohl sagen, dass die von H ahnemann
gegen diese Krankheit angegebenen Mittel, in der Zeit ange-
wendet, wohl im Stande sind, zuweilen selbige in ihren
ersten Anfängen zu coupiren und sie gar nicht zum Ausbruche
kommen zu lassen; doch geschieht diess nur zuweilen, ja ich
möchte sagen in den allerseltensten Fällen, denn nur zu häufig
müssen wir bei diesem Verfahren die Krankheit fortschreiten
sehen, wenn wir nicht ernstlich darauf bedacht sind, wirksamere
Mittel und einen andern Technicismus in Anwendung zu bringen ;
möglicherweise liegt der Grund wohl oft darin, dass der Tripper
auf tuberculösem, scrophulösem oder psorischem Boden wurzelte ;
öfters ist diess jedoch auch nicht der Fall und die Krankheit
geht ungehindert ihren Weg und jene angegebenen Mittel reichen
dann selten aus, wie jeder in dieser Krankheit nur einigermas-
sen erfahrene homöopathische Arzt mir bezeugen wird. So
viel jedoch kann ich hinwiederum aas eigner Erfahrung be-



636 Chronische Seuchen.

stätigen, dass ich bei homöopathischer Behandlung den Trip-
per selten zu einem hohen Grade von Entzündung steigen
sah, wie diess bei allöopathischer Behandlung doch öfters
der Fall ist.

§. 302.

Homöopathische Behandlung einer Gonorrhöe.
Kein Leiden, wenigstens unter den venerischen Krankheitsfor-
men, ist so lästig für den Kranken und Arzt, als der Tripper;
alle anderen Empfindungen dabei würde der Kranke mutiiig er-
tragen, da er sich seiner Schuld bewusst ist, wenn nur der
fatale Ausfiuss nicht damit in Verbindung stände, durch den die
Krankheit so leicht ruchbar wird. Noch weit penibler aber ist
die Krankheit für den Arzt; sieht nicht eine Form der andern
so ähnlich, wie ein Ei dem andern? Nur die Intensität der
Symptome macht den Unterschied aus; der erethische , syno-
chale, torpide Tripper — alle haben gleiche Symptome und nur
der synochale bietet vielleicht einige Differenzen dar, die
distincter auf die Anwendung dieses oder jenes Heilmittels hin-
weisen. Den Ausgang aber in Nachtripper zu verhüten, sind
wir auch nicht immer im Stande, wie vielfältige Erfahrung mich
belehrt hat, ich mochte einen Technicismus beobachten, welchen
ich wollte; ja ich möchte fast behaupten: in dieser Krankheits-
form ist Treff Trumpf und viele Practiker werden mir darin bei-
stimmen; wenigstens glaube ich kaum, d||s besondere lndicatio-
nen für die Anwendung dieses oder jenes Heilstoffs anzugeben
sind. Doch es gilt den Versuch und die fernem Erfahrungen
mögen den Prüfstein dazu geben; nur bitte ich im Voraus, mir
keine Vorwürfe zu machen, wenn meine Indicationen nicht für
alle scheinbar gleiche Fälle ausreichen; ich reiche ja selbst
nicht immer aus und muss dann zur Empirie, d. h. zu dem, was
vieljährige Erfahrung mir an die Hand gegeben hat, meine Zu-
flucht nehmen.

Zuerst gebe ich Hahnemann's Verfahren an, der in sei-
nen chronischen Krankheiten, Theil I. S. 145, sagt: „Der vom
Feigwarzen-Miasma abhängige Tripper wird am gewissesten und
gründlichsten durch den innern Gebrauch des hier horaöopathi-



Tripper. 637

sehen Saftes des Lebensbaums (Thuja occidentalis) gehoben,
in einer Gabe von etlichen Mohnsamen grossen Streukügelchen,
mit decillionfach potenzirter Verdünnung befeuchtet, und wenn
diese nach 20, 30, 40 Tagen ausgewirkt hat, durch eine eben
so kleine Gabe billionfach verdünnter Salpetersäure, deren Wir-
kungsdauer eben so lange abgewartet werden muss." Und Seite
146, Anmerkung, sagt er ferner: „Das Miasma der gemeinen,
übrigen Tripper scheint den ganzen Organismus nicht zu durch-
dringen, sondern nur die Harnorgane örtlich zu reizen. Sie
weichen entweder einer Gabe von einem Tropfen frischen P e-
tersilien-Saftes (Saccus Petroselini), wenn der öftere Harn-
drang seinen Gebrauch anzeigt, oder einer kleinen Gabe des in
Weingeist aufgelösten Kopahu-Balsams (Balsamus Copaivae,
der in Weingeist nur in kleiner Menge aufgelöst wird) — etwa
einen Tropfen solcher Kopahu-Tinktur, wenn nicht eine grössere
Entzündung der Harnorgane, oder andere angreifende Behand-
lung der Aerzte, im Körper des Kranken schlummernde Psora zur
Entwickelung gebracht hat; da dann, wie häufig, oft sehr lang-
wierige Nachtripper übrig bleiben, welche einzig durch eine an-
tipsorische Cur geheilt werden können."

Schon im dritten Hefte des VHIten Archiv - Bandes sprach
ich S. 83. kürzlich meine Meinung über die Behandlung dieser
Krankheit folgendermassen aus: Die Heilung des ganz einfachen
Trippers gelingt nur in sehr wenigen Fällen der Tinct. Petrose-
lini oder der weingeistigen Auflösung des Copaiva-Balsam;
eben so wenig konnte ich den von Feigwarzen - Contagium ab-
hängenden Tripper nur mit Thuja beseitigen ; überhaupt ist wohl
ein solcher Tripper nur schwer von einem gutartigen zu trennen,
wenn nicht selbst Feigwarzen mit zugegen sind, oder der Kranke
eingestehen kann, dass er mit einem mit Feigwarzen behafteten
Subjecte zu thun gehabt habe. Mit den Feigwarzen selbst ver-
hält es sich nicht anders. Nur noch kürzlich hatte ich einen
Menschen mit Feigwarzen zu behandeln, die ich mit Thuja nicht
zuheilen vermochte, sondern durch eine einzige Gabe Acid. niiri
1. binnen 10 Tagen beseitigen musste; ein andermal hatte ich
dazu 2 Gaben Cinnabaris nöthig; in manchen Fällen passt sogar
ein anderes Quecksilber-Präparat. — Die Syphilis bat nicht min-
der ihre Eigenheiten hinsichtlich der Behandlung, als die eben



638 Chronische Seuchen.

genannten Krankheiten. Einige syphilitische Leiden weichen
durchaus dem Quecksilber gar nicht, sondern man hat zu ihrer
Heilung bald Hepar, sulphnr., bald Acid. nüri, bald Anrum, bald
Rlius oder ein anderes Mittel nöthig. Auch hinsichtlich der
Gabe, wo Quecksilber passt, finden sich Ausnahmen; so macht
auf manche Subjecte eine Dosis der 12. Verdünnung gar keinen
Eindruck, während man nach der ersten Verreibung schon in
den ersten 6 Tagen Besserung wahrnimmt, ja in manchen Fällen
diese Gabe aller 2 Tage wiederholen muss.

Diess schrieb ich im Jahre 1829 und obschon es mir seit-
dem nicht an Beobachtungen und Erfahrungen in diesem Genre
von Krankheiten gefehlt hat: so kann ich doch das dort Nieder-
geschriebene nicht widerrufen, vielmehr sind meine Ansichten
fast dieselben geblieben, und haben sich nur in sofern geändert,
als ich anzugeben vermag, dass man bei sehr vielen Arten von
Gonorrhöe alle drei von Hahnemann angegebenen Mittel nach
und nach zur Heilung nöthig hat, auch wohl noch anderer, um
diese zu erzielen, sich bedienen muss. Auch weiss ich jetzt,
dass die , gleich bei ihrem Entstehen heftiger und mit mehr In-
tensität auftretenden Tripper schneller gehoben werden, wenn
man ihnen gleich anfangs Thuja entgegensetzt. Dennoch aber,
ich gestehe es gern, weiss ich auch jetzt einen von Feigwarzen-
Miasma abhängenden Tripper, ohne Zugegensein der ersteren,
noch nicht von einem gewöhnlichen zu unterscheiden. Tritt er
aber mit Feigwarzen verbunden auf, dann ist er in den meisten
Fällen nur secundäres Leiden, wie sein H"eichzeitiges Verschwin-
den mit der Hauptkrankheit (Sycosis), gegen welche die Cur ge-
richtet sein muss, bei einer richtigen Behandlung beweist. —
Weiter fortgesetzte Beobachtungen und Erfahrungen werden
mehr Licht über diese Art Krankheit verbreiten, und die von
Feigwarzen - Contagium abhängige Gonorrhöe mit der Zeit von
einer gutartigen unterscheiden lehren. Soviel scheint mir nach
den Erfahrungen Anderer, wie auch nach meinen eigenen, aus-
gemacht, dass auch Gonorrhöeen vorkommen, die die Natur des
Schanker - Giftes an sich tragen, wenigstens durch ein solches
erzeugt wurden und eben so leicht wieder Schanker hervorrie-
fen: diess lehrt uns die Behandlungsart und Heilung einer Go-
norrhöe durch Mercur, das eigentliche Spezificum gegen Syphi-



Tripper. 639

lis überhaupt, das aber auch, ausser Thuja, Pelroselinum,Copawa
und Cannabis die meisten und treffend ähnlichsten Symptome
unter allen Arzneien aufzuweisen hat. Dessungeachtet ist mir
die Heilung mit diesem Mittel bei weitem nicht so oft gelungen,
als andere Homöopathiker diess zu rühmen Ursache haben. Nach
meinen Erfahrungen passt Mercur nur dann, wenn das sehr häu-
fige Harndrängen , das zur Anwendung von Petroselinutn in die-
ser Krankheit auffordert, durch selbiges nicht beseitigt wird,
sondern sich wohl eher vermehrt, auch bei dem Harnlassen ein
unerträgliches Brennen, namentlich bei Abgang der letzten Tro-
pfen Urin, im vordem Theile der Harnröhre empfunden wird,
wobei zugleich die Eichel sehr geschwollen und heiss erscheint;
eigentlich also erst im zweiten, nicht selten aber auch im dritten
Stadium der Krankheit, wo der Ausfluss dem durch Mercur her-
vorgebrachten, grünlich aussehend, am meisten ähnelt. Auch
hier ist die öftere Wiederholung des Mittels unerlässlich. Ganz
besonders anwendbar aber ist er auch, wenn mit der Gonorrhöe
sich Phimosis, Paraphimosis und Eicheltripper verbinden. Nach
den Beobachtungen, die ich seitdem gemacht habe, glaube ich
jetzt mit einiger Gewissheit behaupten zu können, dass Mercur
in dem ersten Anfange eines synochalen Trippers, oder bei dem
Uebergang eines erethischen in einen synochalen seinen passend-
sten Wirkungskreis findet. Sicher passt er, wo Ulcera sy-
philitica sich mit der Gonorrhöe verbinden; hier ist die Wahl
aber auch nicht schwer, weil die Syphilis, ihres schnellern Um-
sichgreifens wegen, mehr Berücksichtigung verdient und ihre
baldige Heilung Wünschenswerther ist, als die der Gonorrhöe.

Mehrmals gelang mir die Heilung gleich zu Anfange der
Krankheit durch den kleinsten Theil eines Tropfens Copaiva-Bäl-
sam, wenn der Kranke gleich bei den ersten Empfindungen und
wahrnehmbaren Krankheitszeichen, bei welchen aber jener cha-
racteristische Harndrang fehlte, meine Hülfe in Anspruch nahm.
Hier bedurfte es nur wenige Tage, um jede Spur vollkommen zu
verwischen. Beging aber der Kranke Diätfehler, trank Kaffee,
machte sich viel Bewegung, ass reizende Speisen u. dergl. m.,
so war die Wirkung des Kopahu-Balsams vernichtet und keine
zweite Gabe vermochte den Fortgang der Krankheit zu hindern.
— Der Succus Petroselini ist nur in gutartigen GonorrhÖeen und



640 Chronische Seuchen.

da auch nur in leichtern Fällen mit Nutzen anzuwenden, immer
nur, wenn die Entzündung keinen hohen Grad erreicht. Diess
sind die Fälle, die der Natur überlassen, auch wohl von selbst
heilen. Selten sind sie venerischer Natur, doch wer mag diess
immer ergründen?

Cannabis hingegen besitzt eine specifische Heilkraft gegen
diese Krankheitsform und ist das am öftersten anwendbare und
hülfreiche Mittel. Einige mit diesem Mittel angestellte Ver-
suche haben mich belehrt, dass es in dem ersten Zeiträume der
Entzündung jeder erethischen Gonorrhöe am glücklichsten wirkt
und oft schon in 24 Stunden alle schmerzhaften Symptome be-
seitigt. Die öftere Wiederholung des Mittels ist unerlässlich;
täglich 2— 3 Mal in Essenz oder in der ersten Verdünnung. Ich
lasse es so lange nehmen, bis aller Schmerz ziemlich verschwun-
den ist, dann beschränke ich die öftere Wiederholung und sehe
bei diesem Verfahren oft auch den Schleimabgang verschwinden.
Geschieht diess jedoch nicht in 5—6 Tagen, so nehme ich sehr
oft zu

Cantharides in der 3ten Verdiinnung meine Zuflucht, von
der ich 10 Tropfen auf ly s Unze Wasser nehmen lasse. — In
vielen Fällen wird dieses Verfahren von einem glücklichen Er-
folge gekrönt; in manchen andern jedoch lässt es auch wieder
im Stich und dann — ja dann gilt es richtig wählen, was oft
sehr schwer ist, weil wir es dann schon mit einein Nachtripper
zu thun haben, wo das einzig leitende Symptom, der Ausfluss,
noch gegenwärtig ist. *

Eine torpide Tripperform verlangt kein anderes Verfahren,
als ich eben angab. Dagegen sind die synochalen Formen, bei
denen sehr schmerzhafte Erectionen, heftiges Brennen und Harn-
zwang zugegen sind, wohl öfters einem andern Verfahren unter-
worfen ; sie erfordern z. B. bei grosser Intensität der Symptome,
nicht selten die öfter wiederholte Anwendung des Aconit., bevor
man, unter den eben angegebenen Symptomen, Gebrauch von
Cantharides macht, die meistens die Gonorrhöe zu einer einfachen
umwandeln, der dann Cannabis und andere zweckdienliche Mit-
tel entsprechen.

InGonorrhoea sicca mit gleichzeitiger Entzündung des
Blase nhalses und der Blase sind Aconit, Pidsatilla, Thuja,



Tripper» 641

Cannabis und Cantharides die vorzüglichsten Heilmittel. Bei
Gonorrhöen chordala werden sich Cannabis, Mercur und Cantha-
rides am hiilfreichsten erweisen, doch ist bei heftiger Entzün-
dung wohl auch vor Anwendung dieser Mittel, Aconit indizirt,
denen man in passenden Fällen eine Gabe Sulphur kann folgen
lassen. Ueberhaupt ist der Schwefel ein herrliches Mittel in
schmerzlosen, torpiden Gonorrhöeen, selbst bei Anschwellung
und Röthung der Eichel, daher er sich auch sehr oft hülfreich
in Gonorrhöen secundaria und bei Kindern in der durch Wurm-
reiz oder durch eine andere nicht zu ergründende Ursache ent-
standenen Gonorrhöe erweist. Bei symptomatisch entstandenen
Bubonen wird immer Mercur das Hauptmittel bleiben, wiewohl
auch Hepar sulphuris in manchen Fällen indizirt sein kann; doch
verschwinden diese meist auch von selbst, mit Nachlass der Ent-
zündung in der Harnröhre.

Eben so ist Mercur auch hülfreich, wenn die gleichzeitige
Anschwellung der L ym phgef ässe längs des Gliedes
und der Vorhaut sehr grosse Schmerzen erzeugen; dem Mer-
curius solubüis ist jedoch hier Calomel und, wo diess nicht bin-
nen 16 — 18 Stunden Besserung bewirkt, Mercurins praecipitatus
ruber vorzuziehen. — In Gonorrhoen secundaria erweisen sich
Sulphur, Lycopodium, Conium, Hepar, Natrum muriaticum, Agnus
cast. , Acidum nitri, Sepia und einige andere Mittel am bewähr-
testen. In der neuern Zeit habe ich viele Nachtripper mit
Cantharides , 3ter Verdünnung, früh und Abends zu einem Tro-
pfen, geheilt; manche aber auch wieder ungeheilt gelassen. In
solchen Fällen erinnere ich mich immer der Bemerkung Ha h ne-
in an n's, die er gegen mich äusserte, als ihm die Heilung von
Condylomen zwar gelungen, die aber noch fortdauernde Schleim-
absonderung zwischen Vorhaut und Eichel keinem Mittel weichen
wollte: „sehen Sie, solche Erschlaffungen der Schleimhäute blei-
ben nach solchen Krankheiten oft lange noch zurück und bei
solchen kann man äussere Mittel, z. B. Kalkwasser, Auflösung
von essigsaurem Blei u. dgl., ohne Nachtheil für die Gesundheit,
in Anwendung bringen." Sollte diess nicht auch bei Nachtrip-
per der Fall sein? Wenigstens versuchte ich die täglich Smalige
Einspritzung einer Auflösung von Acetnti Zinci, X bis XV Gran,
auf 5 Unzen Wasser und bin damit in den schwierigsten und



642 Chronische Seuchen.

langweiligsten Fällen unendlich glücklich gewesen. Da , wo
der Nachtripper noch nicht zu alt war, reichte ich auch wohl
mit einer Einspritzung von Rothwein zu gleichen Theilen Wasser
gemischt aus.

Zur Milderung und Verhütung der nächtlichen, oft sehr
schmerzhaften Erectionen, was oft der Anwendung der Can-
tharides gelingt, ist es doch durchaus erforderlich, dass der
Kranke auch in sofern streng auf sich achtet, dass er sich der
Abendmahlzeiten entweder ganz enthält, oder nur sehr wenig
und nicht kurz vor Schlafengehen etwas geniesst; nur auf Ma-
tratzen, nicht in Federbetten liegt, sich nicht sehr warm zudeckt
und bei jedesmaligem Erwachen Nachts Urin lässt. Heben bei
dieser Vorsicht die Canthariden diesen Uebelstand nicht bald, so
thut es gewiss Cannabis, wenn nämlich der phlegmonöse Zustand
schon auf die oben beschriebene Art gemindert worden war.

Blutungen aus der Harnröhre, wie sie bei synocha-
len Gonorrhöen häufig vorzukommen pflegen, sind selten be-
trächtlich und wirken dann eher erleichternd als nachtheilig; nur
wo sie heftiger werden, kann man zu ihrer Sistirung Kälte auf
das männliche Glied, auf das Mittelfleisch anwenden; auch kann
man sich kalter Klystiere und der Compression der Harnröhre
bedienen.

Dysurie und Harnverhaltung werden nach den be-
kannten Regeln behandelt.

Die Phimose bedarf keiner besowdern Pflege und Wartung,
sie verschwindet meistens mit dem Nachlasse der Entzündung ;
doch ist grosse Reinlichkeit erforderlich, die durch öfteres Ein-
spritzen von lauem Wasser zwischen Vorhaut und Eichel er-
zielt wird.

Der Paraphimose hingegen muss baldigst abgeholfen
werden, wenn nicht durch längere Hemmung des Kreislaufs in
der Eichel Brand herbeigeführt werden soll. Man versucht die
Taxis der Vorhaut, indem man die Eichel mit den Fingern der
einen Hand eomprimirt und gleichzeitig die Vorhaut über die
Eichel hervorzuschieben bemüht ist; zu schnell darf man in die-
sem oft schwierigen Versuche nicht nachlassen, ja man muss ihn
bis zu % — 1 Stunde fortsetzen, bis das Manöver gelingt, das



Tripper. 643

manchmal schneller geht nach vorgängiger Anwendung eines
warmen Bades.

Ausser den gegen Gonorrhöen genannten Mitteln giebt es
noch mehrere, die durch ihre Symptomenähnlichkeit zu dem
Glauben berechtigen, dass sie sich ebenfalls heilsam in dieser
Krankheit erweisen müssen, doch kann ich diess nicht von ihnen
rühmen ; indessen führe ich sie hier, zum Nachschlagen für An-
fänger, noch namentlich auf; es sind: Pulsat., Ferrum, Capsic,
Mezereum, Leduni, Nitri acidum, Sabina. Der von Dr. Rosen-
berg empfohlene Tussilago Petasites wurde von mir mehrmals,
aber ohne Erfolg angewendet; eben so die vom Dr. Wähle vor-
geschlagene Bignonia radic. minor, die im Entstehen einer Go-
norrhöe gegeben, sich ausgezeichnet hülfreich erweisen soll.
Jedenfalls missglückten die Versuche, weil ich mit den Symptomen
beider Mittel zu unbekannt war.

§. 303.

Entzündungen der Eichelund Vorhaut. Inflammatio glandis
et praeputii.

Derartige Entzündungen beobachten wir am häufigsten in
Folge syphilitischer Krankheiten. Doch sehen wir auch, selbst
bei der zweckmässigsten und vorsichtigsten Behandlung, die im-
mer gegen die Hauptkrankheit gerichtet sein muss, ja zuweilen
auch ohne Ansteckung, z. B. nach übermässig ausgeübtem Bei-
schlafe, nach Quetschungen , nach Genuss reizender vegetabili-
scher Gifte, Entzündung der Eichel und Vorhaut, ja sogar des
ganzen Gliedes eintreten, die oft mit heftig brennenden Schmer-
zen und durch das Glied, von hinten nach dem Ausgange der
Harnröhre zu, fahrenden sehr schmerzhaften Stichen verbunden
sind und unter allen Entzündungen am leichtesten in Brand über-
zugehen drohen, besonders wenn sie einen rosenartigen Charac-
ter an sich tragen, wie es zuweilen bei Gonorrhöen vorzukom-
men pflegt.

Ist eine solche Entzündung durch den innern Gebrauch der
Canthariden entstanden, welche letztere allöopathisch angewen-
det wurden, oder durch welche sich ein entnervter Liebesritter,
anbekannt mit ihren heftigen Wirkungen, wieder auf einige Zeit



644 Chronische Seuchen.

in Gunst bei seiner Dame setzen wollte: da müssen die passen-
den Antidote angewendet werden, unter denen eine saturirte
Kam ph er- Auflösung oben an steht.

Entstand durch zu grosse Erhitzung während des Beischlafs
eine Paraphimose, bei deren längerem Fortbestehen die Eichel
durch die Einklemmung sich entzündet, anschwillt und brennend
schmerzt, die Vorhaut aber in Gestalt einer Blase sich immer
mehr ausdehnt; so wird sich, neben der im vorigen § angegebe-
nen Taxis, Aconit, Arnica und wo diese nichts leisten, Rhns toxi-
cod. am hiilfreichsten erweisen. Hat aber das ganze Glied schon
mehr an der Entzündung Theil genommen, ist es durch die fort-
bestehenden Congestionen in einem immerwährenden eregirten
Zustande mit spannenden Schmerzen, auch wohl mit Krümmung
des Gliedes nach unten (Chorda), wie wir es häufig auch bei
Trippern in der Entzündungs-Periode finden: da übertrifft kein
anderes Mittel die Cantharides an schneller Heilkräftigkeit. Ge-
gen eine blos entzündliche Geschwulst des Penis, ohne Stagna-
tion des Blutes, giebt man mit grossem Nutzen Ledum.

Geben venerische Geschwüre an der Eichel und innern
Fläche der Vorhaut Veranlassung zur Entstehung einer solchen
Entzündung, so bleibt immer Mercur das spezifische Heilmittel,
das aber in Fällen, wo der Kranke schon mehrmals syphilitisch
gewesen war, selten ausreicht, oft ganz wirkungslos bleibt, und
dann mit der SchiDefelleber oder der Salpetersäure, je
nach den hervorstechendsten Symptomen, vertauscht werden muss.
Da, wo sich zur Entstehung einer solchen Entzündung gar keine
Ursache auffinden lässt, wird man mit Cuprum, Cannabis, Can-
tharides n. s. w. viel auszurichten vermögen.

Ist es eine erysipelatöse Entzündung, mit der wir es zu thun
haben, so könnte wohl Camphora etwas nützen; doch würde ich
lieber einige Gaben Belladonna anwenden und dann Calomel, in
der ersten, zweiten Verreibung, folgen lassen. Auch Rkus ist
hier nicht zu vernachlässigen , besonders wenn blasenartige Er-
höhungen auf den entzündeten Theilen sich gebildet haben.
Aeusserst aufmerksam muss der Arzt bei dergleichen Entzündun-
gen sein, um der grossen Neigung, in Brand überzugehen,
schnell zu begegnen. Man erkennt diesen Uebergang an dem
plötzlichen Nachlasse der heftigen Schmerzen bei fortbestehen-



Tripper. 645

der gleichmässiger Anschwellung, und an der ins Livide spie-
lenden Farbe; hier darf man mit der Anwendung des Arsenik
nicht zaudern.

§. 304.

Was den primären Tripper beim weiblichen Ge-
schlechte, die Leucorrhoea virulenta, betrifft, so
habe ich ihrer schon unter den Colliquationen §. 93 dieses Ban-
des gedacht; ich übergehe sie darum hier, weil ich dem dort
Gesagten nichts weiter beizufügen habe.

Einer besondern Erwähnung verdient hier aber noch der

Eicheltripper, Balanitis, Gonorrhoea praeputialis.

Fast nur bei Männern mit langer Vorhaut und stark abson-
dernden Talgdrüsen der Eichel, sah ich dieses Leiden, wenn sie
schon mehrmals an Syphilis gelitten hatten und die erforder-
liche Reinlichkeit nicht beobachteten ; doch kann es auch durch
mechanische Verletzung der Eichel, Druck und Reibung während
des Beischlafs bei Missverhältniss der Grösse des männlichen
Gliedes zur engen Scheide, Onanie, durch Beischlaf mit men-
struirenden oder an Leucorrhöe leidenden Frauenzimmern veran-
lasst werden.

Zeichen eines Eicheltrippers sind: Die Eichel er-
scheint unter der auriickgezogenen Vorhaut etwas geschwollen,
geröthet und mit einem eitrigen Schleime überzogen, der im
Gerüche ziemlich alten Käse gleichkommt. Auf der Eichel sieht
man wirkliche Erosionen. Schmerz ist gering, meist nur Hitze
und Jucken an der Eichel und Vorhaut. — Die Krankheit ver-
läuft rasch, verschwindet oft schon nach einfachen Milchbädern.
Zuweilen können wohl durch die Schleimanhäufung Abscesse
zwischen Eichel und Vorhaut sich bilden, doch kommt diess bei
einfacher Balanitis selten vor. — Ist ein Eicheltripper mit Schan-
kern verbunden, so findet meistens Phimose statt und der Schan-
ker ist nur als eine harte Stelle durch die Vorhaut zu fühlen;
auch sind Geschwüre zu vermuthen, wenn die Absonderung
mehr jauchig als eitrig, zuweilen mit Blut gemengt ist, wenn
Bubonen zugegen sind.

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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #25 on: April 30, 2013, 09:45:58 PM »

646 Chronische Seuchen.

§. 305.

Behandlung dieser Krankheit. Oertliche Waschun-
gen mit Milch , Eibischabkochungen, verschlagenem Wasser und
dergl. sind beim einfachen Eicheltripper, d. h. bei einem sol-
chen, der durch Missverhältniss der geschlechtlichen Organe
beider Theile, durch menstruirende und an Weissfluss leidende
Frauen während des Beischlafs erzeugt wurde, Hauptsache; eben
so zweckmässig ist es, ein mit den genannten Flüssigkeiten
getränktes Leinwandläppchen oder Charpiebäuschchen zwischen
Eichel und Vorhaut einzulegen und diesen Verband täglich 3 — 4
Mal zu erneuern. Sollte diess nicht in allen Fällen ausreichend
gefunden werden, so ist das täglich mehrmalige Befeuchten mit
Kalkwasser, oder mit- der Auflösung eines Grans Plumbum acet.
in 2 — 3 Unzen Wasser, gewiss vollkommen befriedigend und
ganz ohne Gefahr für die Gesundheit des Leidenden.

Nur die schwierigem Fälle bedürfen innerer Medicamente;
unter ihnen stehen die oben an, die bei Männern vorkommen,
die schon mehrmals syphilitisch waren; wird auch die Krank-
heit durch jene adstringirenden Flüssigkeiten beseitigt, so kehrt
sie nach einigen Tagen doch immer von Neuem zurück und
dann ist wohl sicherer Grund vorhanden, anzunehmen, dass der
Krankheit keine vorübergehende Ursache zum Grunde liege. Das
hier vorzüglichste Heilmittel ist der Mercur. praec. ruh. , in der
2. oder 3. Verreibung früh und Abends zu einem Gran gereicht
und nach Umständen 3 — 6 Tage conimuirt, worauf dann eine
mehrtägige Pause zu machen ist, um zu beobachten, ob die
Krankheit eine nochmalige Wiederholung des Medicaments be-
dürfe. In einem solchen Falle, wo dieses Mercurial-Präparat
indizirt sein soll, müssen die Erosionen die Eichel und die Co-
rona glandis nur partiell betreffen, nie die ganze Eichel gleich-
förmig überziehen , auch darf das krankhafte Secret nicht jau-
chig, sondern mehr weissschleimig sein und keinen zu übeln
Geruch verbreiten. — Wo hingegen letzteres der Fall, wo die Ge-
schwürsflächen grösser und die innere Fläche der Vorhaut mit bede-
cken: da wendete ich gern Cinnabaris , in der 1. Verreibung an und
fand in vielen Fällen seine Heilkraft vorzüglicher, als die des
rothen Präcipitats. — Ist das Secret sehr jauchig, verbreitet



Secundäre Tripperkrankheiten. 647

es einen penetranten Geruch , bilden sich wohl aus den Ero-
sionen, namentlich hinter der Eichelkrone, runde, unreine aber
flache Geschwüre, oder ist das Subject schon zu viel mit Mer-
cur gefüttert worden : so übertrifft keine Arznei die Thuja an
Heilkräftigkeit, und nur selten wird man noch die Anwendung
der Salpetersäure nöthig haben.

Verdankt die Krankheit dem Laster der Onanie ihr Entste-
hen, so ist begreiflich, dass wir nur erst dann von Arzneien
Hülfe erwarten können, wenn das Subject mit ernstem festem
Willen seine Schwäche zu bekämpfen sich bestrebt. Hier be-
klagt sich der Kranke über Jucken und Kriebeln an der Eichel,
die mit rothen Flecken bis zur Grösse eines Silbergroschens be-
deckt ist, die besonders an der Krone sehr nässen, einen star-
ken übeln Geruch verbreiten und immer zum Kratzen nöthigen.
Hiergegen ist Natrum muriaticum das vorzüglichste Heilmittel,
dem nur in einzelnen Fällen Lycopodium, oder noch besser,
Sulphur wird interponirt werden müssen, oder das eine, oder
das andere wird den Schluss der Cur ausmachen. — Attomyr
empfiehlt auch die roiheii Corallen, in der 3. Verreibung, als
Heilmittel gegen diese Krankheit. Sie sind von ihm selbst ge-
prüft und einige Symptome deuten genugsam auf ihre Heil-
kräftigkeit in diesem Leiden hin , z. B. Eichel und Innseite der
Vorhaut empfindlich, roth und geschwollen, mit Absonderung
gelbgrünen, übelriechenden Eiters, rothe , flache Geschwüre an der
Eichel und innern Fläche der Vorhaut, mit viel gelblicher Jauche.

Von den übrigen gegen diese Krankheit empfohlenen Mit-
teln, wie Sepia, Mezereum, Nux u. s. w. kann ich nichts Be-
sonderes sagen, da ich nie nöthig gehabt habe, in dieser Krank-
heitsform von ihnen Gebrauch zu machen.

§. 306.
Secundäre Tripperkrankheiten.
Unter ihnen nenne ich zuerst die

Tripperhodengeschwulst. Epididymis gonorrhoica , Orchitis go-
norrhoica.

Ich habe ihrer schon im §. 255 u. f. des 1. Bandes die-
ser Therapie Erwähnung gethan und weiss in Bezug auf Behand-
II. 42



648 Secundäre Tripperkrankheiten.

lung nichts Besonderes weiter hinzuzufügen, um so weniger,
als sie sich im Wesentlichen nicht von der der einfachen Ho-
denentzündung unterscheidet — Nachträglich will ich aber hier
das prophylactische Mittel., um der Entwickelung der Epididymi-
tis zuvorzukommen, noch nennen, das darin besteht, dass man
dem Tripperkranken gleich vom Beginn des Ausflusses an ein
Suspensorium tragen lässt, und ihn warnt, die Geschlechtstheile
nicht durch Harnlassen auf offener Strasse, oder auf zugigen
Abtritten zu erkälten.

Ist die Hodengeschwulst aber einmal da, dann ist horizon-
tale Lage und unterstützte Lagerung des kranken Theils uner-
lässlich.

§1 307.

Gonorrhoische Augenentzündung, Augentripper. Ophthal-
mia gonorrhoica.

Nicht dadurch, dass Tripperschleim durch Unreinlichkeit in
das Auge gebracht wird, der eine durch Anwendung von lauem
Wasser, Eibischabkochung leicht wieder zu hebende Con-
junctivitis angularis hervorruft, soll obiges Leiden erregt
werden, sondern durch metastatische Versetzung des Tripper-
stoffs auf das Auge, die, wenn nicht bald Hülfe geschafft wird,
zerstörend auf letzteres wirkt.

Die dabei vorkommenden Erscheinungen sind: Tripper
unterdrückt, plötzlich verschwunden; bald nachher bekommen
die Kranken ein brennendes Gefühl im Auge, mit zusehends
schneller dunkler Röthung der angeschwollenen und sich wall-
artig um die Cornea erhebenden Conjunctiva und der Augenlider,
doch nur des einen Auges. Bald nimmt die Cornea mit Theil,
trübt sich, Gefässnetz-Verzweigungen werden auf ihr sichtbar,
sie blättert sich auf und bekommt ein körniges Aussehen ; zu
gleicher Zeit wird ein gelblicher oder gelbgrünlicher Schleim in
grosser Menge abgesondert, der viel Aehnlichkeit mit dem
Tripperschleim hat. Oft gesellt sich Erweichung der Hornhaut
und Entleerung der Augenfeuchtigkeiten hinzu, deren Folge wahre
Atrophie des Auges ist. In bessern Fällen, wo die Cornea nur
theilweise zerstört wird, entsteht Staphylom. Rasches Handeln



Gonorrhoische Augenentz., Augentripper. Ophthalmia gonorrhoica. 649

ist hier durchaus erforderlich, denn in Zeit von 24 Stunden ist
oft das Auge schon zerstört.

§. 308.

Therapie. Da wo die Entzündung nicht so schnell um
sich greift, sondern sich mehr Zeit nimmt, ist auch die Gefahr
nicht so gross, und da will ich es gelten lassen, dass, in der
Zeit hinzugerufen , Aconit in öfter wiederholten Gaben die Krank-
heit in ihrem Entstehen zu unterdrücken im Stande sein könne.
Nur mag man sich hier ja nicht durch die Aussage des Kran-
ken täuschen lassen, sondern lieber selbst genau untersuchen
Und beobachten und lieber nach einigen Gaben Aconit zur Wahl
eines andern Mittels schreiten, da ja dieses so nicht das Heil-
mittel ist, sondern nur höchstens zur Beschwichtigung der Ent-
zündung beiträgt, die Krankheit aber in ihrem weitern Fortschrei-
ten nicht zu hemmen vermag. Wäre dennoch die Entzündung
nebst Geschwulst weiter vorgeschritten, hätte sich das krank-
hafte Secret vermehrt, eben so die brennenden Schmerzen in
den Augen: so dürfte wohl Mercur als das souveränste Mittel
zu nennen sein. Nach ihm sind dann wohl zunächst Acidum
nitri und Hepar sulphur. zu berücksichtigen, wenn nicht Thuja,
Cannabis, Belladonna , -Aurum, Euphrasia, Sulphur noch mehr
Anspruch auf Anwendbarkeit vor jenen haben. — Gern gestehe
ich ein, dass mir eine derartige gonorrhoische Augenentzündung
von solcher Intensität noch nicht zu Gesicht gekommen ist und
darum kann ich auch mit Bestimmtheit die Mittel nicht aufzeich-
nen, sondern muss sie der nähern Untersuchung anderer Aerzte
bei ihnen vorkommenden Fällen übergeben.

§. 309.

Trippergicht, Tripperrheumatismus. Rheumatismus gonor-

rhoicus.

Eine eigenthümliche rheumaähnliche Affection namentlich des
Knie- und Sprunggelenks entsteht zuweilen in Folge des Trip-
pers , die wir mit obigem Namen bezeichnen. — Die Symp-
tome sind folgende: die Krankheit, die während der Dauer

42*



650 Sccundäre Tripperkrankheiten.

des Trippers, oder nachdem derselbe aufgehört hat, eintritt,
beginnt mit Schmerz und Anschwellung in den Gelenken und be-
schränkt sich gewöhnlich auf die Knie- oder Knöchel-Gelenke,
obgleich das Leiden nicht selten auch andere Artikulationen er-
greift. Selten sind zwei Gelenke zu gleicher Zeit affizirt. Am
lebhaftesten treten die Symptome gewöhnlich hervor, wenn der
Tripper eben im Abnehmen begriffen ist, oder auch dann, wenn
er plötzlich durch Cubeben oder Copaiva unterdrückt worden.
Die Glieder sind gewöhnlich etwas aufgetrieben und schmerz-
haft, besonders im Bette. Aeusserlich ist meist keine Röthe
bemerkbar, auch wird der Schmerz durch Druck nicht vermehrt;
Puls beschleunigt; Appetitlosigkeit, Unordnung im Magen. Er-
leichterung verschafft zuweilen eine plötzliche Eruption von Pa-
peln, Pusteln oder Flecken, die einige Tage oder Wochen ste-
hen und dann mit leichter Abschuppung enden. — Zuweilen
tritt die Gelenk - Affection nach wenigen Tagen, Wochen, ja
oft erst nach Monaten auf und ihr Verlauf kann akut oder
chronisch sein.

Ueber die Ursachen der Krankheit sind die Meinungen
sehr widersprechend. Einige Schriftsteller meinen: Erkältung,
Aufenthalt in feuchten Wohnungen , unvorsichtige Unterdrückung
des Tripperausflusses, Metastase auf die Gelenke , die Reflexwir-
kung der gereizten Urethra auf die eine oder die andere Par-
thie des Rückenmarks, gäben die Veranlassung zur Krankheit.
Andere nehmen sie als ein zufällig zum Tripper hinzutretendes,
mit ihm selbst in keinem Causalzusammenhange stehendes Lei-
den an. Wieder Andere glauben, dass die Krankheit nur als
ein durch den Gebrauch des Copaivabalsam hervorgerufenes Symp-
tom zu betrachten sei.

§. 310.

Behandlung dieser Krankheit. Ich habe unter der
Behandlung des Rheumatismus und der Gicht im ersten Bande
dieser Therapie eine Menge Arzneien speciell aufgeführt, von
denen ein grosser Theil, unter passenden Umständen, auch hier
in dieser Krankheit Anwendung finden kann. Als eins der vor-
züglichsten Mittel, was ich nach eigener Beobachtung und Er-



Trippergicht, Tripperrheumatismus. Rheumatismus gonorrhoicus. 651

fahrung dagegen kennen gelernt habe, islBalsamusCopaivae,
den ich zu 1 Tropfen in 99 Tropfen Spiritus vini durch langes
Schütteln löslich machte und von dieser Auflösung täglich 3 Mal
ainen Tropfen in Wasser nehmen Hess. Ich wendete ihn nur
dann an, wenn, neben noch fortbestehendem Tripper, diese Ge-
lenkaffection zu gleicher Zeit mit Pustel-Eruption am ganzen
Körper auftrat; sicherere Indicationen weiss ich weiter nicht
anzugeben, doch geniigen diese, denn das Mittel heilte binnen
wenigen Tagen.

Hatte ich die gewisse Ueberzeugung , dass , nach beseitig-
tem Tripper, wo vielleicht nur noch ein leichtes Zusammenkle-
ben der Harnröhre statt fand, eine wirkliche Erkältung, wohl
gar Durchnässung des erhitztenKörpers den gonorrhoischen Rheu-
matismus herbeigeführt hatte: so wendete ich unbedingt Colchi-
cum autumn. in der 3. Verdünnung mit dem entschiedensten Er-
folge an; auch ist es hier characteristisch, dass die Gelenk-
schmerzen am heftigsten sind von Eintritt der Nacht bis zu Ta-
gesanbruch.

o ...

Die Terebinlhina wird von einigen allöopathischen Schrift-
stellern (A. Cooper, Cumano) in kleinen Gaben besonders
gegen diese Krankheit gerühmt. Ich selbst habe nie Gebrauch
davon gemacht, weil mich auch nicht ein Zeichen darauf hinge-
wiesen hat; doch lässt sich auch annehmen, dass die Prüfung
dieses Mittels noch nicht geschlossen ist und ich gestehe, es
hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, dass es in dieser Krankheit
auch homöopathisch heilsam sich erweisen müsse.

Schon empfehlenswerther dürfte Thuja sein, sowohl wenn
die Krankheit noch bei vorhandenem Tripper eintritt, als auch
nach Verschwinden desselben. Schon die Erhöhung der Be-
schwerden in der Wärme, besonders im Bette, ihre Heilkraft,
nach Hahnemann, in sycotischen Trippern, die eigentümli-
chen rheumatischen und arthritischea Affectionen, namentlich im
Knie- und Fussgelenk, deuten auf eine heilkräftige Einwirkung
dieses Mittels in dem genannten Leiden hin, das ich hiermit der
weitern Prüfung anempfehlen möchte.

Sabina dürfte unter den gegen eine Trippergicht zu nen-
nenden Arzneien gewiss nicht in die letzte Rubrik gehören. Ich
habe in dieser Krankheit schon manche Versuche zu meiner vol-



652 Secundäre Tripperkrankheiten.

len Zufriedenheit mit ihr gemacht, obschon ich ihre Iudication
nicht genau zu stellfn weiss, weil ich mir selbst nicht klar über
sie geworden bin. So viel vermag ich anzudeuten, dass die Ge-
lenkaffectionen nicht blos auf die untern Extremitäten beschränkt
bleiben, öfters sich kleine, juckende, nach Kratzen Schorfe bil-
dende, Ausschlagsblüthchen auf den afficirten Gelenkstellen bil-
den und der Kranke in kühlen Zimmern sich wohler fühlt , als
im erwärmten. Weitere Forschungen mögen auch hier das Rich-
tige feststellen.

Manganum aceticutn ist eine Arznei, auf die von den Ho-
möopathen viel zu wenig Werth gelegt wird , und doch ist sie
in dieser Krankheit gerade eine von hoher Bedeutung. In rheu-
matischen Beschwerden habe ich viel mit ihr genützt und hier
ist sie nicht weniger nützlich, wenn Wühlen, Zucken und Stechen
in den oft kreuzweis ergriffenen Gelenken, besonders die Nächte
unerträglich macht, die durch den Knötchen-Ausschlag, der nach
Jucken und Kratzen Brennen erregt, nur noch unleidlicher werden.*

Auch Phosphor und Hepar sulph. sind hier indizirt, ganz
vorzüglich in der chronischen Form. Ich verweise hiermit auf
diese beiden Arzneien, deren Indicationen leicht zu finden sind.

§. 311.

Schanker formen.

Unter verschiedenen Formen seilen wir primäre Schanker-
geschwüre auftreten, die eben so viele Arten des Schan-
kers darstellen; darum sind sie aber doch alle syphilitischen
Ursprungs, sobald sie durch venerische Ansteckung entstehen
und ein Secret liefern, das ebenfalls wiederum contagiös ist.
Baumes behauptet; dass es bis jetzt für den primären Schan-
ker kein einziges positives p atho gn omonisches
Zeichen gebe.

Bei blosser Berücksichtigung der wesentlichen Charactere
lassen sich sämmtliche Schankerformen auf folgende Hauptarten
zurückführen :

1) Einfacher Schanker, mit Inbegriff des Ulcus elevatum;

2)Indurirter oder sogen. Hunter 's eher Schanker;



Schankerformen. 653

3) Phagedänischer Schanker, mit Inbegriff der so-
genannten diphtherischen, gangränösen, serpiginösen.

1) Einfacher Schanker; die am häufigsten vorkom-
mende Form. Sein Sitz ist auf dem Körper des Penis, auf der
In- und Aussenfläche der Vorhaut und auf dem Hodensacke und
ist von der Grösse einer kleinen Linse bis zu der eines Groschens.

Der einfache Schanker beginnt mit Bläschen- oder Pustel-
bildung, die sich bald in einen Schorf verwandelt, nach des-
sen Abstossung ein ausgehöhltes, ovales oder zirkelrundes Ge-
schwür mit speckigem schmutziggelbem oder braunem Grunde
mit abgeschnittenen, aber weder sehr entzündeten, noch cal-
lösen oder hervorragenden Rändern und braunröthlicher Farbe
der Umgebung zurückbleibt. Bei diesem Geschwür ist durchaus
keine Härte der Basis noch der Ränder bemerkbar.

Zuweilen erheben sich gegen den 8 — 10 Tag entweder
blös der Geschwürsrand, oder zugleich auch der Geschwürs-
grund in Art schwammiger Wucherung , so dass sie bisweilen
beträchtlich über die Umgebung hervorragen (Ulcus eleva-
tum); ungeachtet dieser Erhebung findet aber keine Härte statt,
wie im Hunterschen Schanker; der Eiter ist dann mehr seröser
Art. Schmerz findet sich selten ein, oder doch nur sehr kurze
Zeit; etwas schmerzhafter ist er, wenn er hinter der Eichel
und auf der innern Fläche der Vorhaut, als wenn er auf der
äussern Haut seinen Sitz hat. — Er kann sich mit Bubo und
Phimose compliciren; im letztern Falle ist die Diagnose der
unter der Vorhaut sitzenden Geschwüre nicht leicht, da sich
keine Härte durch die Vorhaut durchfühlen lässt. — Unter un-
günstigen Verhältnissen kann er sich in ein phagedänisches,
brandiges Geschwür umwandeln.

2) Indurirter oder Hunter'scher Schanker (Ul-
cus primär, syphil. induratum). Diese Art kann als eine
primäre Form auftreten, sich aber eben so gut auch durch
eine fehlerhafte Behandlung aus einem einfachen entwickeln. —
Am häufigsten finden wir diesen Schanker amFrenulum, an der
Eichelkrone, an der Eichel selbst, an der Vorhaut, am Körper
des Penis, zuweilen auch an der Vorderseite des Scrotums.

Der Hunter'sche Schanker ist mehr oder weniger kreisrund,
ausgehöhlt, von dunkler, livider, schmutziger Farbe, specki-



654 Schankerformen.

gern, gelb aussehendem, nicht granulirendem Geschwürsgrunde ;
seine Ränder sind hart und dick, seine Basis ist callös. Die
Verhärtung schneidet sich schroff ab ; selbst bei einem kleinen
Geschwür kann die Verhärtung sehr ausgebreitet sein. — Sitzt
das Geschwür am Penis , so ist es gewöhnlich nicht ausgehöhlt,
Rand und Basis weniger callös, das Aussehen livider; auf der
Vorhaut breitet sich die Verhärtung beträchtlich aus. — Sein
Verlauf ist langsam.

Häufig bleibt nach seiner Heilung eine hartnäckige Verhär-
tung zurück, was stets von schlimmer Bedeutung ist, indem der
Kranke während selbiger in fortwährender Gefahr consecutiver
Zufälle schwebt, die selten ausbleiben. Die verhärtete Partie
kann excoriiren, beim Coitus leicht zerreissen und ein Geschwür
veranlassen, welches wieder den schankrösen Character annimmt.
Consecutive Zufälle erscheinen bei dieser Form bisweilen
schon während des Daseins des primären Geschwürs ; Syphiliden,
Mund- und Halsgeschwüre, Exostosen können folgen.

3) Phagedänischer Schanker (fressender Schanker,
Ulcus syphil. prim. phagedaenicum). Das primäre sy-
philitische Geschwür kann entweder gleich vom Anfange an mit
diesem Character auftreten, was jedoch der seltnere Fall ist,
oder ein einfacher oder indurirter Schanker können, sich in den
phagedänischen verwandeln. — Characteristisch ist bei dieser
Form das fast unaufhaltsame Umsichgreifen der ulcerativen Zerstö-
rung, die zwei Unterarten bildet — den diphtheritischen
und den gangränös- phagedänischfl* Schanker. — Die Ge-
schwürsfläche der ersten Art ist von einer weissgrauen pseudo-
membranösen festsitzenden Schicht bedeckt, die sich stückweise
ablöst und auf Kosten der gesunden Theile wiedererzeugt, so
dass die Zerstörung immer weiter sich ausbreitet. — Der gan-
gränöse Schanker hat ein livides Ansehen , ist von lividem Hofe
umgeben , bedeckt sich mit grössern oder kleinern Brandschor-
fen, die sich abstossen, worauf man das Geschwür als
ein gewöhnliches phagedanisches erblickt, das sich mit einem
neuen Brandschorf bedecken kann.

Bei beiden Geschwüren ist die Absonderung dünn , jauchigt,
braunröthlich , scharf, oft blutig und äusserst stinkend; die Ge-
schwürsfläche ist ungleich, wie zernagt, ohne Granulationen,



Schankerformen. 655

manchmal leicht blutend; die Ränder sind unregelmässig aus-
gezackt, oft ödematös geschwollen, von starker Röthe umge-
ben. Meist ist der phagedänische Schanker sehr schmerzhaft;
der Kranke klagt über ein heftiges Brennen wie von glühenden
Kohlen, über heftige Stiche, Nagen und die Schmerzen verbrei-
ten sich in die benachbarten Theile. Es giebt aber auch wie-
der Fälle, wo der Schmerz, trotz der fortschreitenden Zerstö-
rung sehr gering ist. Oft ist das Allgemeinleiden bedeutend,
Puls beschleunigt bis zu 120 — 130 Schlägen, Zunge braun und
trocken, Gesicht entstellt; die Kräfte sinken und der Zustand
des Kranken nähert sich dem des typhösen Fiebers.

Dieser Schanker ergreift die Eichel, die Vorhaut, den
Penis, die Schamlefzen, Scheide, Mittelfleisch, Hinterbacken
und frisst oft so lange um sich, bis alle diese Theile zerstört
sind. Vor dem Ende des zweiten Monats beginnt selten die
Vernarbung , selbst im günstigsten Falle, die Zerstörung mag
nun rasch oder mehr schleichend vor sich gehen; oft dauert
die Krankheit 4, 8 Monate und darüber, indem das Geschwür
von einem Theile zum andern kriecht, abwechselnd heilt und
wieder aufbricht. Jene Abart , wenn der Schanker auf einer
Seite heilt, während er auf der andern weiter frisst, hat man
s er pigin Ösen Schanker genannt, der übrigens noch die Eigen-
thümlichkeit besitzt, bei Behandlung mit Mercurial- Präparaten
sich zu verschlimmern. Bubonen sind selten beim phagedäni-
schen Schanker, sind sie aber vor Bildung der letztern schon
vorhanden, so werden sie auch phagedänisch.

§. 312.

Jeder Schanker kann sich mit Phimose verbinden, die oft
Ursache ist, dass unter der Vorhaut sitzende verborgene Ge-
schwüre lange verkannt werden, bis die Geschwüre sich mehr
ausbreiten oder wohl gar durch Gangrän die Eichel bis in die
Harnröhre hinein zerstören oder die Vorhaut durchlöchern. —
Complication mit Paraphimose ist ebenfalls häufig.

Beim weiblichen Geschlechte sind Schanker im Allge-
meinen weit seltner als beim männlichen, was sich aus dem
nachgiebigeren Bau der weiblichen Genitalien erklärt, deren



656 Schankerformen.

Schleimhaut dadurch vor Verletzungen geschützt ist; au?h haben
sie meist einen viel gutartigeren Character als bei Männern,
obschon sie gleiche Hauptarten bilden können.

Ausserdem können primäre Schanker noch am After, an den
Lippen, der Zunge, der weiblichen Brust vorkommen, wo sie
aber alle, vermöge der Structur der Theile, an denen die
Schanker ihren Sitz haben, eine verschiedene Gestalt annehmen,
z.B. Geschwüre auf der Eichel sind im Allgemeinen abgerundet,
ausgehöhlt, indurirt; auf weicher Haut und in laxem subcutanen
Zellgewebe hingegen ist der Grund erhabener, die Ränder
überragen das Niveau der angränzenden Gewebe, die Basis ist
hart, umschrieben. Auf der Basis der Ruthe ist der Schanker
oberflächlich, breit; am Schenkel und an den Waden hat er eine
abgerundete Gestalt, u. s. w.

Diagnose, ob ein Geschwür wahrscheinlich syphilitischer
Natur sei oder nicht, entnehmen wir aus den anamnestischen
Momenten, ob das Geschwür eine abgerundete Gestalt, scharf
abgeschnittene Ränder, einen speckigen, weisslichen Grund hat,
ob es indurirt ist, ob es Neigung zeigt stationär zu bleiben, oder
sich auszubreiten, ob etwa gar Anschwellung der Leistendrüsen
zugleich vorhanden ist — aus allem Diesem ist der Verdacht
des syphilitischen Ursprungs des Geschwürs mehr oder weniger
hinreichend begründet.

Der Herpespräputialis unterscheidet sich vom Schanker
dadurch, dass er keine verdickte Basis h^f. Auf einem rothen
Flecke von der Grösse eines Sechsers erheben sich gruppenweise
6 — t 10 kleine Bläschen , die nach dem Bersteu zu kleinen
Krusten vertrocknen; die dadurch gebildeten Geschwüre ver-
schwinden nach wenig Tagen. . — Psoriasis auf der Vor-
haut unterscheidet sich durch das schuppige Ansehen sehr leicht
von Schanker.

Prognose. Im Allgemeinen ist sie günstig, besonders
wenn der Kranke genau befolgt, was der Arzt für gut befand
anzuordnen, wenn er sich keine Unmässigkeit, keine Ausschwei-
fung etc. zu Schulden kommen lässt. Am günstigsten ist die
Prognose beim einfachen Schanker, dem oft gar keine secun-
dären Zufälle folgen. Am schlimmsten hingegen beim phagedä-



Schankerformen. 657

irischen, besonders wenn der Kranke dyskrasisch, schlecht ge-
nährt ist und in keine günstigeren Aussenverhältnisse versetzt
werden kann. Je länger der Schanker besteht, desto leichter
folgt secundäre Syphilis. Dem indurirten Schanker folgt sie
fast constant; nach serpiginösen und gangränösen ist sie selten
(Canstatt).
-

§ 313

■ Hl

Homöopathische Behandlung der Schankerfor-
men. Selbst die jetzigen geläuterten physiologischen Begriffe
und Ansichten haben auch bessere allöopathische Aerzte noch
nicht von dem Irrwahne befreien können, dass der primäre Schan-
ker kein blosses Localsymptom sei, sondern nur das Ablagerungs-
depot, die Blüthe der im ganzen Körper verbreiteten venerischen
Krankheit. Ja selbst Canstatt in seinem mehrmals ange-
führten trefflichen Werke hält den primären Schanker anfangs
für eine rein örtliche Krankheit und lehrt demzufolge, unter der
Behandlung, im Zeiträume der Bläschen- oder Pustelbildung,
oder in den ersten Tagen seines Bestehens, selbigen durch nach-
drückliche Cauterisation zu zerstören, um ihn auf diese Art in
ein einfaches Geschwür umzuwandeln und so die Resorption des
Schankergifts zu beschränken. Nun, ich schreibe hier keine
Kritik über Anderer Ansichten und Meinungen, und möchte am
wenigsten den Mann bekritteln, dem ich in wissenschaftlicher
Beziehung viel Dank schulde, drum will ich blos meine, oder
besser , aller Homöopathen Meinung in dieser Beziehung hier
niederlegen, die dahin ausläuft, dass der Schanker, wenn er
einmal sich gezeigt hat, niemals blosses Localsymp-
tom ist, sondern von dem Augenblicke der Inoculation an
durchdringt das venerische Gift den menschlichen Körper in
der Art, dass es erst, nach vollständiger Verbreitung in dem-
selben, die Inoculationsstelle zum Ablagerungspunkte der in-
wohnenden Gesammtkrankheit macht. Hält denn die Cauteri-
sation der von einem tollen Hunde gebissenen Stelle den Aus-
bruch der Wuthkrankheit ab ? Oder ist denn durch Zerstörung
der Variola oder Vaccine die innere Krankheit getilgt? Ver-
hält es sich etwa anders mit der Krätze? Keineswegs; im Ge-



658 Schankerformen.

gentheil, ist die gänzliche Vernichtung des, für die innere
vollständig entwickelte Krankheit, auf der Haut vicarirenden
Symptoms ein Fehler, der durch nichts wieder gut zu ma-
chen ist, indem wir durch sie des sichtlichen Zeichens be-
raubt, mit dessen Verschwinden, bei einer regelrechten in-
nern Behandlung, wir anzunehmen uns berechtigt halten
dürfen, dass mit ihm zugleich auch die innere Krankheit ge-
tilgt sein müsse.

Die eigentliche Behandlung der Schankerformen anlangend,
muss ich im Voraus bemerken, dass wir im Mercur das alleinige
spezifische Heilmittel dagegen, so wie gegen alle Folgekrank-
heiten derselben besitzen; diess gilt aber nicht vom Mercur.
solubil. allein, der als das vorzüglichst geprüfte Präparat be-
kannt ist, sondern von allen uns noch zu Gebote stehenden
Mercurial- Präparaten, die durch ihre eigenthümlichen Verbin-
dungen mit andern Arzneien auch ganz andere Arzneikräfte
entwickeln und in Schankerformen, wo jener nutzlos angewen-
det wurde, Heilung bewirken. Dasselbe gilt auch bei der rei-
nen seeundären Syphilis, bei den Folgekrankheiten, die wir
nach Schankerformen entstehen sehen; leider ist diess frei-
lich nur in sehr wenigen Fällen anzunehmen, weil die meisten
theils mit Hydrargyrose, theils mit scrophulöser, psorischer etc.
Cachexie gepaart sind und dann auch noch anderer Mittel zu
ihrer Heilung bedürfen , die als antidotarische des Mercur
und zugleich auch als Heilmittel jener Dyskrasien bekannt sind;
doch müssen sie natürlich auch der secu&flären Syphilis ent-
sprechende Symptome aufzuweisen haben.

In Bezug auf die Wirkung des Mercurs stimme ich ganz
Trinks Ansicht bei, die er folgender Massen äussert; „Ver-
„möge seiner etwas zaudernden, trägen Wirkungen auf den thie-
„rischen Organismus eignet er sich nicht zum Heilmittel für sehr
„akute, in sehr kurzer Zeit Lebensgefahr herbeiführende Krank-
„heiten, sondern mehr für solche, die einen langsamen, trägen
„Verlauf annehmen, und die dem Mercur die erforderliche Zeit
„gönnen, seine Wirkungen vollständig zu entfalten. Es wird da-
„her auch nur wenig Krankheitszustände geben, welche mit einer
„Gabe Mercur zu heilen sind, sondern ungleich häufiger wird
„man es nöthig finden, die Gaben dieses Mittels öfters zu wie-



Schaukerformen. 659

„derholen, um gewissermassen die demselben eigentümliche
„Trägheit seiner Wirkungen zu überwinden, besonders in Krank-
„heiten, welche tief in der Vegetation des Organismus begründet
„sind." (S. Trink' s undMüller's Handbuch der Arzn.-M.-L.
2. Theil).

Für den einfachen primären Schanker ist Mercurius
solubilis das am häufigsten geeignete Mercurial-Präparat, bei des-
sen richtigem Gebrauch und passender Gabe die Geschwüre
schnell heilen. Die schnellere oder langsamere Heilung hängt
von der Reizempfänglichkeit des Subjects für Arzneien über-
haupt ab, aber auch davon, ob das Subject schon mehrmals syphi-
litisch und viel mit starken Gaben Mercur tractirt worden war.
Schleppt sich die Heilung eines solchen Schankers aber doch
bis in die vierte Woche und noch länger hinaus, so ist der Be-
weis gegeben, dass das Präparat nicht ausreichend sein werde,
sondern wohl noch ein anderes aushelfen müsse. Die am öfter-
sten ausreichende Gabe findet der angehende Homöopath in der
ersten bis dritten Verreibung, die ersten 8 Tage früh und Abends
zu 1 Gran p. d. ; zeigt sich in den ersten 8 Tagen noch gar
keine Veränderung, so muss die Gabe dadurch vergrössert wer-
den, dass man eine stärkere Potenz wählt und selbst wo man
der ersten Verreibung sich schon bediente , muss man das reine
auflösliche Quecksilber zu %. Vs. Gran etc. anwenden; diess
wird namentlich bei sehr schlaffen, torpiden Subjecten der Fall
sein. Tritt hingegen bei der vom Anfange gereichten Gabe in
den ersten 8 Tagen schon eine sichtliche Besserungs-Veränderung
ein, so werden von dieser Zeit an die Dosen seltner und immer
seltner gegeben bis zur Heilung. — Ich weiss recht wohl, dass
die Heilung dieser Geschwüre zuweilen auch weit kleineren Ga-
ben, ja selbst den Solutionen dieses Quecksilberpräparats gelingt,
allein der Arzt wird in sehr vielen Fällen mit diesen höhern Po-
tenzen nicht so schnell reüssiren, als es bei jenen stärkern der
Fall ist, bei denen er. auch jederzeit eine richtigere Prognose
stellen kann. Was schadet es denn auch, wenn ja einige kleine
Nebenbeschwerden sich einstellten? Der Kranke erträgt sie gern,
besonders wenn er weiss, dass er dabei schneller von seinen Lei-
den befreit wird ; ja er wird sie kaum beachten, da sie ja mit der
Krankheit zugleich wieder verschwinden.



660 Schankcrformen.

Wie nun aber, wenn dieses ganze Verfahren nutzlos sich
erwiese? Wenn die vorgeschriebenen kleinern und grössern
Gaben nicht einen Schein von Besserung brächten, die Krankheit
wohl gar dabei immer mehr sich ausbreitete? Ist hier nicht an-
zunehmen, dass Mercur überhaupt nicht das zweckdienliche Heil-
mittel ist? Wäre vielleicht da die Annahme mancher Aerzte be-
gründet, die da meinen, man dürfe den Schanker, wenn er nach
einigen gereichten Mercurialgaben binnen 14 Tagen nicht heile,
nicht mehr als ein syphilitisches Geschwür betrachten, sondern
müsse ihn für ein herpetisches oder scrophulöses ansehen und
demgemäss behandeln (Wähle)? Ich gestehe, ich kann mich
mit solchen willkürlichen Annahmen nicht befreunden, um so
weniger, als sie durch die Erfahrung vielfach widerlegt worden,
und am Ende nur ein Deckmantel unserer unzulänglichen Be-
handlungsart sind! Ich will Niemand zum Proselyten für meine
Meinung machen ; ich denke anders und Beweise ständen mir hin-
reichende zu Gebote, die deutlich darthun würden, dass man bei
verändertem Heilverfahren aus dem Regen in die Traufe geräth.
Nein, es ist und bleibt wahr, primäre Syphilis findet einzig und
allein im Mercur ihr Heilmittel, anders verhält es sich, wie ich
schon weiter oben bemerkte, mit der secundären Syphilis, mit
den Folgekrankheiten — da ist Wahle's Annahme gültig.

Angenommen also, jene Verfahrungsweise hätte nichts ge-
nützt, so darf man nur das Mercurial- Präparat ändern, und der
Zustand bessert sich oft zusehends schnell. Ich gebe dann
einen auch wohl zwei Tage dem Kranken ganz indifferente Mit-
tel und wende dann den Mercur. praec. ruh. an, den ich gewöhn-
lich zu %. %. Gran p. d. täglich 3 Mal nehmen lasse , wenn der
solubilis vorher ebenfalls in starker Dosis gebraucht wurde;
hatte ich hingegen von diesem die erste oder zweite Verreibung
angewendet, so that ich diess auch mit dem praec. ruh. und
ging nur erforderlichen Falls zu stärkeren Gaben über.

Ist ein Ulcus elevatum etwa vorhanden, so wird die
Anwendung des Merc. praec. ruh. auch wohl früher schon erfor-
derlich, wogegen ich ihn ebenfalls mit grossem Nutzen gegeben
habe. Sollte aber die Mitte des Geschwürs sich so bedeutend
erheben, dass es den Anschein hätte, als wollten Condylome
daraus hervorschiessen , dann ist es gerathener, Cinmbaris, in



Schankerformen. 661

der ersten Verreibung, täglich mehrmals repetirt, in Anwendung
zu bringen und man kann eines sichern Erfolgs gewiss sein, denn
diess ist der eigentliche Wirkungskreis des Zinnobers für syphi-
litische Geschwüre. Wäre er aber ja nicht vollständig ausrei-
chend, was in einem solchen Falle, aus mancherlei Ursachen,
sich ja wohl auch zutragen kann: so überträgt ihn immer das
ihm zunächst verwandte Mittel, die Thuja, in einer nicht zu hohen
Potenz und der Arzt wird hier mit seiner heilkräftigen Wirkung
stets zufrieden sein können. Wäre, wider Erwarten, ja noch ein
Rest des Geschwürs zurückgeblieben, der hartnäckig der Heilung
widerstände, so werden ein Paar Gaben Acid. nitri die Heilung
vollenden.

Phimose und Paraphimose, mit einfachem Schanker
complicirt, ändern nichts in der Verfahrungsweise.

§. 314.

Fortsetzung der Schankerformen-Behandlung.
Dem indurirten oder Hunter'schen Schanker sieht man
es nicht gleich vom Anfange an, ob er sich zu einem solchen
umgestalten wolle, denn in den meisten Fällen entsteht die Härte
erst mehre Tage nach Ausbruch des Schankers. Ist diess, so
tritt die im vorigen Paragraph angegebene Behandlungsweise
vom Anfange an ein und findet eine Veränderung nur mit Ein-
tritt der Verhärtung statt, wenn nicht vielleicht eine Besserungs-
Veränderung auch diess für den Augenblick widerrathet; ja,
man muss sogar behutsam sein und nicht gleich mit dem Prä-
parat wechseln, wenn man nur einen Stillstand im Fortschreiten
des Schankers wahrzunehmen wähnt. In keiner Krankheit ge-
winnt der Arzt durch öftern und schnellen Wechsel mit den Arz-
neien und in dieser hier verliert er offenbar, wenn er nicht
auch den kleinsten Rest von Wirkungskraft des in Anwendung
gebrachten Mercurial-Präparats abwartet, sondern die schnellere
Besserung durch plötzlichen Wechsel des Präparats beschleuni-
gen will. Ich kann aus Erfahrung sprechen und warne eben-
falls deshalb ernstlich vor diesem Missgriff, der zu theuer be-
zahlt werden muss, indem man nur auf Umwegen wieder zum
Ausgangspunkte gelangt.



662 Schankerformen.

Also auch für diesen Schanker kann der Mercur. solub. Heil-
mittel sein, aber bei weitem seltner, als bei dem einfachen Schan-
ker; öfterer wird man hier schon in der Zeit zum Merc. praec.
ruh. übergehen müssen, wenn man immer weiterem Umsichgrei-
fen Einhalt thun will. Diess ist die Form, bei welcher man
consecutive Zufälle, bisweilen schon während des Daseins des
primären Geschwürs , namentlich Mund- und Halsgeschwüre sich
bilden sieht, die die beste und vorsichtigste Behandlung nicht
verhüten kann ; auch heilt diese Form nicht in der kurzen Zeit,
wie ein einfacher Schanker, denn selten lässt er sich vor dem
30 — 50 Tage zur Heilung an. Man darf also hier nicht stür-
men und meinen, durch ein rasches Handeln lasse die Krankheit
sich coupiren! Dem ist nicht so; ich reiche die Gaben hier
zwar in derselben Grösse, wie ich im vorigen Paragraphen an-
gab, aber nicht in demselben Zeitmasse, sondern lasse nur früh
und Abends 1 Dosis nehmen, mit der ich sogleich sistiren lasse,
sobald jene consecutiven Zufälle sich zeigen, denen ich stets
mehre Gaben Hepar, sulphur., 1. oder 2. Verreibung, entgegen-
setze und sollte der Zustand nicht ganz dadurch gehoben werden,
Acidunt nitri. In den meisten Fällen reüssirt man mit diesem
Verfahren und es bleiben nur noch die indurirten Schanker an
den vom Anfange ergriffenen Theilen zurück; oder auch diese
sind bei der angegebenen Behandlungsweise geheilt, aber von
der tuberculösen Entartung ist noch ein Rest übrig geblieben.
In beiden Fällen kenne ich kein zweckmässigeres Präparat, als
den Mercur. jodatus, in der 2. 3. VerreilÄng, den ich anfangs
in kürzern, später in immer längern Zwischenräumen bis zum
völligen Verschwinden der Härten reiche. — Ich habe es ver-
sucht, bei den consecutiven Zufällen, Calomel in der 1. Verrei-
bung zu geben, bin aber bald wieder davon zurückgekommen,
weil ich, selbst nach den kleinsten Gaben , stets Speichelfluss
eintreten sah; nur da, wo stärkere Speichelabsonderung schon
jene Zufälle begleitet, ist es ganz am passenden Orte. — Nur
da, wo das Gaumensegel mehr ergriffen ist, wund und geschwü-
rig erscheint, eine schmerzhafte Wundheit und Brennen erzeugt:
ist Acid. phosphor. der Salpetersäure vorzuziehen.



Schankerformen. 663

§. 315.

Fortsetzung der S chankerfor men - Behandlung»
Der p hagedänische Schanker, diese zerstörendste aller
Schankerformen, verlangt ein energisches Eingreifen von Seiten
der Kunst, wenn seiner Zerstörungsvvuth bald Schranken gesetzt
werden sollen. Hier gilt kein Schwanken in der Wahl der Mittel,
der Heilkünstler rauss mit Gewissheit sie kennen, damit er mit
Zuversicht sie anwenden kann und er nicht mit besorglichem Za-
gen ihren heilkräftigen Wirkungen entgegen sieht. Diese Art
Schanker können allerdings mit einer herpetischen oder scrophu-
lösen Dyskrasie gepaart sein, ja es ist sogar sehr wahrscheinlich,
dass sie eben dadurch erst eine weit grössere Zerstörungskraft
erlangen, allein der Zerstörungs-Character liegt schon, ohne diese
Zuthat, von Natur in ihnen. Mir sind sie mehrmals in grösster
Ausdehnung vorgekommen und ich vermochte ihr Fortschreiten,
trotz der bestgewählten Arzneien, die ich in dem Wahne gab,
die scrophulöse oder herpetische Complication habe Theil an
der grossen Zerstörung — nicht zu hemmen; im Gegentheile
führten die einstweilen hinzugetretenen Rachengeschwüre immer
mehr Substanzverlust herbei, die Nasenknochen wurden ergriffen,
die Schanker-Geschwüre nahmen nicht nur den zuerst ergriffe-
nen Theil ein, sondern verbreiteten sich allgemach über den
ganzen Körper, vergrösserten sich mit ungemeiner Rapidität und
ergossen eine cadaverös riechende immer weiter ätzende Jauche.
Der Kranke war kaum noch einem Menschen ähnlich, er glich
einer Leiche, und die Jammergestalt wurde immer kraftloser
durch die namenlosen Schmerzen in den vorhandenen Wunden,
in den hinzugetretenen Knochenauftreibungen und Knochenge-
schwüren und durch sie herbeigeführten schlaflosen Nächten. —
Derartige mehrmalige Erfahrungen haben mir eine andere Denk-
weise beigebracht! Ich suche nicht mehr nach entsprechende-
ren Arzneien, denn es giebt für diese primären Schanker - Ge-
schwüre keine, ausser dem Mercur; aber er will hier auf
eindringliche Weise gegeben sein, nicht in Verreibung, Verdün-
nung, oder wohl gar in Hochpotenz, sondern in Substanz und
öfter wiederholter Gabe, bis eine vollständige Saturation stattge-
funden hat, durch die allein die Krankheit rasch bekämpft wer-

II. 43



664 Schankerformen.

den kann. Dass bei einem so stürmischen eingreifenden Ver-
fahren eine Menge anderer Leiden sich entwickeln müssen, bei
denen der Mensch, nach Heilung jener Schanker, sich auch nicht
wohl befinden kann: das ist leicht vorauszusehen; doch kann
und darf diese gewisse Ueberzeugung den Arzt nicht von dem
angegebenen Verfahren abhalten, denn was darauf erfolgen kann,
weiss er noch nicht, höchstens nur muthmasslich; was er aber
vor Augen sieht, sagt ihm deutlich genug, dass der Kranke die-
sen Leiden nicht lange ohne Gefährdung des Lebens widerstehen
könne. Den Arzt beschäftigt die Gegenwart; erlaubt es sein
ärztliches Handeln, den Kranken nicht blos über den gegenwärti-
gen gefahrdrohenden Zustand glücklich hinwegzuführen und da-
bei zugleich alle etwa nachherigen Beschwerden zu verhüten:
desto besser. Sagte ihm aber seine Ueberzeugung, seine Er-
fahrung das Gegentheil, möchte er dann wohl den ihm anvertrau-
ten Kranken seinem Schicksale überlassen, weil die nachfolgen-
den unvermeidlichen Krankheits - Zustände ihm doch über kurz
oder lang den Tod bringen müssten? Die Ansicht ist, nach mei-
nem Dafürhalten, falsch, denn der Zukunft treten wir getrost mit
dem Sprüchwort: kommt Zeit, kommt Rath entgegen und ver-
trauen dabei einem glücklichen Zufalle, günstigeren Lebensver-
hältnissen, heilbringender Naturhülfe und unserer Kunst nicht
wenig !

Was soll man aber hier für ein Mercurial-Präparat anwenden,
das schnell genug und heilend eingreift? Die Frage ist leicht
und schnell zu beantworten. In den vorhergehenden Paragra-
phen habe ich mich dahin ausgesprochen, dass der phagedäni-
sche Schanker sich am häufigsten aus dem einfachen oder Hun-
ter'schen Schanker herausbilde. Geschieht diess, so ist obige
Frage erledigt, denn es liegt auf der Hand, dass dann der Mer-
cur. praec. ruh. auch hier das beste Quecksilber - Präparat ist,
von dem aber sogleich in Substanz Gebrauch gemacht werden
muss. Mehre homöopathische Aerzte benutzen den Cinnabaris
häufig als Heilmittel auch in andern Schankerformen, wie ich
im vorletzten Paragraphen angab; ob dahin auch die phagedä-
nische Form zu zählen ist, weiss ich aus eigner Erfahrung nicht
anzugeben, glaube jedoch, dass es nur der Fall sein dürfte, wenn
die Schankerbildung im Beginne ist; bei schon weiter vorge-



Schankerformen. 665

schrittenem Leiden hingegen ist er nicht mehr ausreichend und
es treten tiefer in die Organisation des menschlichen Lebens
eingreifende Präparate an seine Stelle, die diese materiellen Ent-
artungen der Vegetation rascher zu beseitigen vermögen.

Kein Mittel eignete sich nun hierzu wohl am meisten, als
Calomel, allein 2 Gründe hielten mich stets von seiner Anwen-
dung ab, nämlich die grosse Geneigtheit, Ptyalismus zu erregen,
selbst wo er in refractissima dosi angewendet wird, und zwei-
tens: seine schmeichelnde Wirkung, mit der die Geschwüre wie
weggezaubert sind, um bald hernach wieder von Neuem hervor-
zubrechen. Aus diesem Grunde greife ich lieber gleich zum
Sublimat, der die Wirkungen des Mercur in höchster Potenz
gewissermassen in concentrirter Kraft in sich fasst (Trinks).
Icli bin nicht der einzige homöopathische Arzt, der ihn in die-
ser Schankerform mit eclatantem Erfolg benutzt hat, es stehen
mir die Erfahrungen mehrerer darin zur Seite. Bis jetzt wen-
dete ich ihn grösstentheils zu i^tel ^ ran P* ^* täglich mehrmals
repetirt an, glaube aber, dass diese Gabe nicht für alle Fälle aus-
reichend befunden wird, die dann noch stärkerer bedürfen. Man
darf nicht sobald das Mittel aussetzen, selbst wenn in den ersten
8 Tagen noch keine Sistirung der Krankheit bemerkbar wäre,
da diese Schankerform unter 30 — 50 Tagen keine Heilung ein-
geht; wohl aber ist eine Steigerung der Gabe erforderlich, um
wenigstens einen baldigen Stillstand in ihrer Ausbreitung zu be-
wirken. — Stände zu befürchten, dass der Kranke schon zu viel
Mercur bekommen hätte, dieser darum seine eigenthümlichen
Wirkungen nicht mehr in voller Kraft äusserte, so ist es rath-
gam, einige Gaben Acidum nitri zu interponiren und dann erst
zum Quecksilber wieder zurückzukehren. — Sollte der Sublimat
aber dessungeachtet nicht ausreichend befunden werden (was je-
doch nur äusserst selten der Fall sein dürfte), so findet nur eine
Wahl noch zwischen Merc. praec. albus und Merc. jodat. statt,
die ich jedoch , aus Mangel an hinreichender Erfahrung , nicht
deutlicher anzugeben vermag.

Ueber den serpiginösen Schanker, der dieser Form
angehört, weiss ich nur wenig Bestimmtes zu sagen, da ich mir
selbst nicht klar bewusst bin, ob ich richtig beobachtet habe;
nur so viel ist mir erinnerlich, dass ich immer Thuja mit Nutzen

43*



666 Schankerformen.

dagegen anwendete. Gesetzt aber, ich hätte mich getäuscht
ich hätte diese Art Schanker nicht vor mir gehabt, so bin ich
doch der Meinung , dass Thuja allein in dieser Form das pas-
sende Heilmittel sein müsse.

Primäre Schanker am After, an den Lippen, an der Zunge,
an der weiblichen Brust erheischen kein anderes Verfahren, als
in den 3 letzten Paragraphen von mir angegeben wurde, sie
mögen nun allein, oder in Verbindung mit Schankern an den Ge-
schlechtstheilen erscheinen.

Sollte dieses gegen einen phagedänischen Schanker angege-
bene ärztliche Handeln dennoch fruchtlos sein, so ist es wohl
entschieden, dass er nicht rein syphilitischer Natur, sondern Com-
plicationen mit psorischen, scrophulösen etc. Schärfen eingegan-
gen ist und dann müssen Arzneien, wie Hepar sulphur., Sulphur,
Caustic , Aurum mur., 31er cur. nitro sus, Dulcamara, Acid. phos-
phor., Staphys., China etc. interponirt werden. — Im alleräus-
sersten Falle würde ich sogar, um nur diesem jammervollen
Leiden Grenzen zu setzen, mich nicht schämen, zum Zittmann'-
schen Decoct meine Zuflucht zu nehmen.

§. 316.

Syphilitische Bubonen.

Ihr gewöhnlichster Sitz sind die oberflächlich gelegenen In-
guinaldrüsen, selten die tieferen. Sie gesellen sich meist zu
primären Schankergeschwüren, in der zweiten Woche nach Auf-
treten der letztern und kündigen sich, oft nach vorhergegan-
genem Frösteln, durch einen leichten Schmerz in der Inguinal-
falte an, der sich längs dem Schenkel hinabzieht und zuweilen
jetzt schon das Gehen erschwert. Bald ist dann die Anschwel-
lung einer Drüse bemerkbar, die sich anfangs unter der Haut
beweglich, kuglich oder platt oval anfühlt und bei Druck schmerzt.
Manchmal sieht man gleichzeitig geröthete Stränge, die entzün-
deten Lymphgefässe, sich vom Schanker zur Drüse entlang er-
strecken. Nach und nach vergrössert sich die Drüse, wird un-
beweglich und die darüber liegende Haut färbt sich roth, kirsch-
braun. Entweder zertheilt sich derBubo, oder er geht in Ei-



Syphilitische Bubonen. 667

terung über. Beide Ausgänge können bei homöopathischer Be-
handlung vorkommen.

Die Behandlung eines syphilitischen Bubo weicht von
der der Schankerform, in deren Begleitung er sich zeigt, nicht;
ab , da er in den meisten Fällen bei diesem Verfahren zugleich
mit den Schankern verschwindet, ja oft noch früher heilt, als
diese. Sollte indessen nach Heilung der Schanker der Bubo zu-
rückbleiben — von einem Rest spreche ich nicht , denn die-
sem müsste noch immer dieselbe Verfahrungsweise entgegenge-
setzt werden — so ist auch eine veränderte Therapie nöthig,
die entweder ein anderes Mercurial-Präparat erfordert, oder, wo
zu viel Mercur zur Heilung der Schanker erforderlich war, An-
tidote des Mercurs oder, wo eine scrophulöse Disposition ihre
Heilung verzögerte, Antiscrophulosa. Ich fühle mich nicht ver-
anlasst, alle diese Mittel hier von Neuem wieder herzuerzählen,
da ich diess bereits an verschiedenen Stellen dieses Buches ge-
than habe und ich doch das Gedächtniss meiner Leser nicht gar
zu gering anschlagen darf.

§ 317.

Syphilitische Excrescenz en. Condylomata. Hahnemann's

Sycosis, Feigwarze n k rankheit.

Hahnemann betrachtet sie als eine eigentümliche, nicht
von syphilitischem Virus erzeugte Krankheit, die gewöhnlich, doch
nicht immer von den Erscheinungen eines Tripperausflusses aus
der Urethra begleitet ist. Es liegen eigentlich zu viele Be-
weise vor, die zur Gnüge darthun, dass diese Excrescenzen
ebenfalls der Syphilis angehören, wenn sie auch nicht wie diese
durch Mercur zu heilen sind. Welche Ansicht aber auch die
gültige sein mag, dem homöopathischen Arzte kann es ganz
gleichgültig sein, indem die Erscheinungen dieser Krankheit ihn
doch auf das richtige Mittel führen.

Wir wenden uns zu den Erscheinungen dieser Krank-
heit und bezeichnen „mit syphilitischen Excrescenzen" alle jene
durch Syphilis bedingten Vegetationen der äussern Haut und
Schleimhäute, welche gewöhnlich unter den verschiedenen Be-
nennungen der venerischen Warzen, Feigwarzen oder



668 Sjphil. Excrescenzcn.Condyl.Hahnemann's Sycosis, Feigwarzenkrht.

Condylome, mucöser Tuberkel u. s. w. beschrieben wer-
den. Sie sind nichts Anderes als Hypertrophien des subcuta-
nen oder submucösen Zellstoffs. Sind sie mit dicker Epider-
mis überzogen, so sind sie trocken, hornartig und man nennt
sie venerische Warzen; haben sie einen dünnen, oder
gar keinen Ueberzug, so sind sie weich, feucht, sondern eine
eigenthümliche , scharfe Flüssigkeit ab und diess sind die soge-
nannten feuchten Condylome oder mucöser Tuberkel.

Durch den Sitz ? so wie äussere Einflüsse, Wärme, Feuch-
tigkeit, Reibung erhalten die Condylome verschiedene Gestal-
tung; sie sind entweder flach, mit breiter Basis, oder
gestielt, konisch. Erstere bestehen in einer weichen, ober-
flächlichen, fast zirkeiförmigen, auf der Oberfläche glatten Er-
hebung der Cutis; sie kommen am häufigsten vor und man fin-
det sie vorzüglich zwischen Hinterbacken, um den After herum,
am Mittelfleische , an den Oberschenkeln, am Scrotum, auf der
Haut des Penis, besonders da, wo sie auf dem Scrotum auf-
liegt, auf der äussern Fläche der Schamlefzen.

Die spitzen, gestielten Condylome sind klein, biswei-
len 1 — 2 Linien lang, fadenförmig, stehen in büschel-, hahne-
kamm-, erdbeerartigen Gruppen beisammen; sie wuchern sehr
stark und bedecken oft grosse Strecken ; sie sind seltner, aber
hartnäckiger; man findet sie häufiger auf der Innseite der Vor-
haut, an der Klitoris, am Scheideneingange, an den Nymphen,
ja selbst höher hinauf. |

Noch unterscheidet man stecknadelf örmige Condylome,
die bei Männern am Rande der Eichel, bei Frauen an der in-
nern Fläche der grossen und auf beiden Flächen der kleinen
Schamlippen vorkommen.

Je zarter, gefäss- und nervenreicher das Gewebe der Con-
dylome ist, desto hartnäckiger ist ihr Verlauf. Sie sondern
eine eigentümlich stinkende scharfe Materie ab, die auf den
nächstgelegenen Parthien immer neue Productionen erzeugt. Ge-
wöhnlich sind derartige Excrescenzen nicht empfindlich, doch
in andern Fällen auch wieder sehr; auf freien Hautstellen sehen
sie viel blässer aus, als an solchen, wo sie dem freien Zu-
tritte der Luft nicht so zugänglich sind.



Syphil. Excrescenzen. Condyl. Hahneraann's Sycosis, Feigwarzenkrht. 669

§. 318.
Behandlung syphilitischer Excrescenzen. Hah-
ne mann' s Vorschrift lautet: „Der vom Feigwarzen-Miasm ab-
„hängfge Tripper sowohl, als auch die genannten Auswüchse
„(d. i. die ganze Sykosis) werden am gewissesten und gründ-
lichsten durch den innern Gebrauch des hier homöopathischen
„Saftes des Lebensbaums, in einer Gabe von etlichen Mohnsaa-
„men grossen Streukügelchen, mit decillionfach potenzirter Ver-
dünnung befeuchtet, und wenn diese nach 20, 30, 40 Tagen
„ausgewirkt hat, mit einer eben so kleinen Gabe billionfach ver-
dünnter Salpetersäure abgewechselt, deren Wirkungsdauer eben

so lange abgewartet werden muss , um Tripper und Auswüchse,
„das ist, die ganze Sykosis hinwegzunehmen, ohne dass et-
„was Aeusseres anzubringen nöthig wäre, als in den veral-
tetsten und schwierigsten Fällen das täglich einmalige
„Betupfen der grössern Feigwarzen mit dem milden, ganzen

(mit Weingeist zu gleichen Theilen gemischten) Safte aus den
„grünen Blättern des Lebensbaums gemischt."

Es wird schwer sein, nach Hahnemann's Vorschrift alle
die syphilitischen Excrescenzen, deren ich im vorigen Paragra-
phen erwähnte, zu heilen. Ich habe doch eine Menge derar-
tiger Kranker zu behandeln gehabt, aber so leicht, wie vor-
hin angegeben, ist mir keine Feigwarzenkur geworden und ich habe
noch anderer Mittel mich bedienen müssen, als Hahne mann
vorgeschrieben. Ich möchte überhaupt wohl wissen, ob Hah-
nemann in jener Zeit, wo er diese Vorschrift zur Behandlung
der Feigwarzenkrankheit gab , noch viele derartige Kranke in Be-
handlung halte. Seine Vorschrift mag für die Jahre von 1809 bis
1814 vollkommen richtig gewesen sein und sich auch bewährt ge-
zeigt haben, denn damals war die Krankheit gewiss eine ganz an-
dere, als in den folgenden Jahren , wo sie mit jedem Jahre eine an-
dere, mildere Gestalt annahm, wie sich nicht blos vermuthen, son-
dern sogar mit grosser. Wahrscheinlichkeit annehmen lässt, indem
mit jedem Jahre die mannichfachen Einflüsse, unter denen die Krank-
heit jenen hohen Grad erreichte, der sie zu einer eigenthümlichen
Krankheit stempelte, sich verringerten und endlich ganz ver-
schwanden. Zu Anfange meiner Universitätsjahre, wo ich mich



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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #26 on: April 30, 2013, 09:46:32 PM »

670 Sypüil. Excrescenzen. Condyl. Hahnemann's Sycosis, Feigwarzenkrht.

schon mit Homöopathie beschäftigte und keine Gelegenheit, sie
praktisch zu betreiben, mir entgehen Hess, kannte ich nur Acid.
nitri als Heilmittel gegen Feigwarzen und oft gelang mir die
Heilung mit diesem Mittel, freilich in einer jetzt ganz unerhör-
ten Gabe, in der ersten Verdünnung und noch stärker; wo die-
ses Mittel mich yerliess, war ich dann freilich auch verlassen,
wenn der Zinnober nicht etwa noch das seinige that. Nach eini-
gen Jahren machte uns Hahne mann mit der Thuja bekannt und
nun glaubte ich gegen die Feigwarzenkrankheit mich reich wie
ein Crösus! Mein Glaube schien sich «u verwirklichen, denn fast
alle Heilungen der Art gelangen, wenn ich nur nicht gar zu
streng an den vorgeschriebenen Technicismus mich band. Später
fand sich denn doch, dass Thuja und Acid. nitri nicht immer
helfen wollten und ehe ich mich zu der Annahme verstand, dass
die Krankheit wohl mit der Zeit eine Veränderung erlitten, mil-
der oder doch mindestens andersartiger Natur geworden sein
könnte: glaubte ich lieber, die Nichtbefolgung des von Hahne-
mann neuerdings gegebenen Gesetzes: keine Arznei anders, als
in der 30. Potenz zu 1, 2 Streukügelchen , anzuwenden, sei
Schuld am Nichtgelingen. Der Glaube kam sehr bald — doch
weiter ists nicht nöthig fortzufahren, denn die Zeit, wo Hah-
nemann die beiden Mittel zur Heilung der Feigwarzenkrankheit
ausreichend fand, fällt in die eben beschriebenen Jahre, damals
sah und behandelte er vielleicht noch solche Kranke, später ge-
wiss nicht, denn er müsste gefunden haben, dass seine Angabe
unzureichend sich erwiese. |

Acid. nitri und Thuja sind und bleiben nun allerdings Haupt-
mittel in der Feigwarzenkrankheit, aber ich bemerke im Voraus,
dass sie nicht in vergeistigter Potenz und drüber hinaus gereicht
werden dürfen, wenn man Nutzen von ihnen sehen will. Ich
stelle diesen Satz als Erfahrungssatz hin und diess kann man nur,
wenn man viele Fälle der Art hat beobachten können, aus denen
sich alsdann ein allgemeiner Erfahrungssatz abstrahiren lässt.
Einzelne Fälle geben nie ein sicheres Resultat und können nie
zu einer Normaufstellung führen. Am allerwenigsten billige ich
hier den auf die äusserste Spitze getriebenen Technicismus mit
den Hochpotenzen! Und träten Tausende gegen mich anklagend
auf, so werde ich dennoch meiner Ansicht treu bleiben, dass



Sypliil. Excrescenzen. Condyl. Hahnemann's Sycosi s, Feigwarzenkrht. 671

mit den Hochpotenzen der menschliche Geist sich verirrt und der
Homöopathie eine Blame zugezogen hat, die sobald nicht wie-
der zu verwischen ist. Ueber die Kinderjahre sind wir weg,
wo in Ammenmährclien uns Geister ohne Körper vorgeführt wur-
den, um uns einzuschüchtern; wir wissen jetzt Alle, dass es de-
ren nicht giebt und dass eine geistige Kraft ohne Körper nicht
gedacht werden kann, weil sie nicht existirt — so wie diess
vom Menschen gilt, eben so gut gilt es auch von der Pflanze
und dem Mineral, die wir zu arzneilichen Zwecken benutzen, und
zugeben muss man mir, dass bei 1500 bis 8000 Potenz von
einem materiellen Stoffe nicht mehr die Rede sein kann und eine
geistige Kraft muss dann auch aufgehört haben, wie der Makro-
kosmus uns lehrt. — Genug, ich warne vor Spielereien, die
bei dieser Krankheit zwar eine Zeit lang getrieben werden kön-
nen, da sie in den meisten Fällen zu den gefahrlosen gehört,
wobei aber dennoch ein Umsichgreifen der Condylome unaus-
bleibliche Folge sein wird , wenn schon in einzelnen Fällen wohl
auch einmal eine Heilung mit erfolgen wird.

Ganz zuverlässig sind aber die Beobachtungen aller homöo-
pathischen Aerzte noch nicht, wenigstens sind die Angaben, in
welchen Formen von Excrescenzen das eine oder das andere
Mittel nützlich war, nicht festgestellt. Nach meinen Beobach-
tungen passt Thuja fast immer für diejenigen Condylome, die in
Verbindung mit Gonorrhöe auftreten; ferner in denen, die aus
Schankern sich herausbilden (doch ist diese Beobachtung noch
nicht vollkommen constatirt), und endlich in den flachen, breit-
basigen ; in den beiden letztern Formen ist die äussere Anwen-
dung der Thuja mit geboten. — Attomyr spricht sich gegentei-
lig aus; nach ihm heilt Thuja die Condylome, die anfangs nicht
nässend sind, sondern es erst später werden und ganz die Form
des Blumenkohls haben.

Acid. nitri scheint die gestielten Condylome am meisten zu
lieben und fast immer gelang mir die Heilung durch dieses Mittel;
ihnen zähle ich auch die stecknadelkopfförmigen bei. Das leichte
Betupfen der grössern, leicht blutenden, die durch ihr schnelles
Wachsthum gern Phimose erzeugen, mit Argent. nitric. fus. ist
hier nicht nur erlaubt, sondern sogar erforderlich, um jenen Ue-
belstand bald zu beseitigen und die erforderliche Reinlichkeit bald



672 Syphil. Excrescenzen. Condyl. Hahnemann's Sycosis, Feigwarzenkrht.

wieder beobachten zu können. — Noch eine, nicht zu oft vor-
kommende Art, wogegen ich Acid. nitri mit Nutzen anwendete,
ist die aus einem Blutschwär ähnlichen Geschwür, äusserlich auf
der Vorhaut, hervorwuchernde; das Geschwür hat einen dunkel-
blau schmierigen Grund, bedeckt sich mit einer Kruste, unter der
Jauche hervorfliesst, die es immer mehr vergrössert; nach bal-
digem Abfallen des Schorfs erblickt man die enorm wuchernde
widernatürliche Granulation, die sehr leicht das Aftergebild er-
kennen lässt. In wenig Tagen sah ich mehrmals nach Acid.
nitri das ganze Leiden spurlos verschwinden ; nur weiss ich nicht,
ob der Folgezustand von diesem ersteren Leiden abhängig, oder
ob nicht indessen eine neue Ansteckung vorgekommen war, die,
weil die Disposition zu Bildung derartiger Excrescenzen noch
nicht völlig getilgt war, sogleich wieder Condylome hinter der
Eichel aufschiessen Hess. Beide mir vorgekommene Fälle ereig-
neten sich bei Reisedienern, die ich erst nach 6 und 8 Wochen
wieder zu Gesicht bekam, wo mir die Auswüchse noch ein ganz
jugendliches Ansehen zu haben schienen ; dessungeachtet glaubte
ich das erstere Mittel nicht zum zweiten Male mit Erfolg anwen-
den zu können und wählte darum Sabina in der 1. Verdünnung,
die auch recht bald die Auswüchse, die ebenfalls gestielt waren,
beseitigte.

Für Sabina habe ich keine bestimmte Indication; ich kann
sie aber aus Erfahrung als eine herrliche Arznei in dergleichen
Excrescenzen empfehlen, die ich nie gleich anfangs, sondern
immer erst, nach vergeblicher Anwendung- der beiden vorgenann-
ten Mittel, gab; am meisten, glaube ich, correspondirt sie dem
Acid nitri, auch in Bezug auf Bildung der Condylome.

Cinnabaris passt für diejenigen Condylome, die aus Schan-
kern sich herausbiden. Bei breitbasigen nützt er, meines Erach-
tens, nicht so viel, als in gestielten, leichtblutenden. Weitere
Erfahrungen mögen darüber entscheiden. Ueber Euphrasia kann
ich weiter nichts sagen, als dass ich sie dann anwendete, wenn
der Kranke sich über heftige stechende oder brennende Schmer-
zen in den Feigwarzen beklagte ; um letztere mit ihr zu heilen,
habe ich sie nie angewendet, was allerdings ein falscher Grund-
satz ist; indessen jeder Arzt hat am Ende seine Eigenheiten, der
eine auf diese, der andere auf jene Art und hat man sich einmal



Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden. 673

in einer Ansicht festgerannt, so hält es recht schwer, einer an-
dern den Platz einzuräumen.

Acid. phosphor. , Staphysagr. , Lycopod. zeigen in ihren phy-
siologischen Wirkungen einige Erscheinungen an den Geschlechts-
theilen, die Feigwarzen ähnliche Gebilde darstellen, und dadurch
ist ihre Heilkraft in diesem Leiden constatirt; allein sichere An-
gaben über das Wo ihrer Anwendung vermag ich nicht zu geben.

§. 319.

Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden.

Sie sind Symptome der allgemeinen Lues, die sich am häu-
figsten unter der Form der Condylome, als auch in Gestalt der
verschiedenartigsten Ausschläge localisirt. Diess sind die am frü-
hesten auftretenden secundären Symptome, die man bisweilen
schon beim Bestehen des primären Schankers beobachtet; doch
vergehen oft Monate und Jahre, ehe die Hautsyphiliden zum
Vorschein kommen.

Die am häufigsten vorkommenden Syphiliden sind: schuppige,
knotige, fleckige, pustulöse, blasige, vesiculöse.

8. Fleckige oder exanthematische Syphiliden. Roseola sy-
philitica.

Diess sind unregelmässig kreisförmige masernartige Flecken,
die durch Fingerdruck augenblicklich entfernt werden können,
worunter dann die Kupferröthe sichtbar wird; oft überziehen sie
einen grossen Theil des Körpers , verschwinden hier und kom-
men dort wieder zum Vorschein; ihr gewöhnlichster Sitz ist am
Halse, Kopfe, Gesicht und sie schuppen sich kleienartig ab; meist
sind noch primär syphilitische Symptome vorhanden. Verschwin-
det oft von selbst.

b. Papulöse oder Knötchen -Syphiliden; venerisch
Krätze. Liehen syphiliticus.

Kupferröthe Flecken, auf denen sich graue, braune oder
braunviolette, bald kleine konische, bald grössere mehr sphä-
rische, bald wie Liehen gruppirte, bald zerstreute Papeln ohne
Jucken erheben. Erscheint gewöhnlich an den obern Extremi-
täten, Rücken, Schultern, Stirn, Kopfhaut, Bauch. Bei län-



674 Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden.

gerem Bestehen der Knötchen tritt leichte Abschuppung ein; die
Papeln hingegen lassen einen gelben, braunvioletten Fleck auf
der Haut zurück, der mit der Zeit verschwindet. Oft geht die
Spitze in Eiterung, oder auf den Papeln bilden sich Schuppen,
Schorfe sehr hartnäckiger Art; oder sie vergrössern sich zu Tu-
berkeln. — Auch bei diesem bestehen oft noch primäre syphili-
tische Symptome fort und er ist oft schwer heilbar.

C. Schuppige Syphiliden, Lepra et Psoriasis syphilitica.

Die syphilitischen Schuppenausschläge erscheinen unter fol-
genden Formen ;

oc. Psoriasis syphilitica guttata (m. s. §. 30. S. 54
des II. Bds.). Kleine zirkelrunde, linsengrosse, kupferrothe,
etwas über die Haut erhabene Flecken, die sich mit kleinen
schmutzig-weissen oder graulichen, von einem weissen Rande
umgebenen Schuppen bedecken; fallen letztere ab, so ist die
Haut noch etwas erhaben und dunkelroth.

ß. Psor. syph. diffusa. Grössere runde oder unregel-
mässige gelbliche, blassrothe oder kupferfarbene Flecken, die
sich mit Schuppen bedecken; in der Mitte der Flecken entsteht
oft eine leichte Ulceration und darauf eine schwärzliche Borke;
die schuppige Stelle wird oft von oberflächlichen Fissuren durch-
kreuzt. Während jene fast immer nur auf der Kopfhaut erscheint,
findet man diese weit verbreitet auf Rumpf, Extremitäten, Ho-
densack, am After, auf der Kopfhaut. An feuchten Stellen si-
ckert ein helles Serum aus, wornach obeftächliche Verschwärung
oder condylomatöse Wucherung sich bildet.

y. Psor. syph. plantaris und palmaria. Auf kleinen
runden, gleichsam hornartigen Flecken mit blassrothem oder un-
deutlich gefärbtem Grunde, glänzende harte schmutziggraue oder
schwärzliche Schuppen.

<?. Lepra nigricans. Eine seltne Form: zirkelrunde ver-
schieden grosse Flecken von schmutziger oder schwärzlicher
Farbe, mit einem Eindrucke in der Mitte. Nach Verschwinden
der kleinen Schorfe bleibt eine leicht geschwollene, wie die
Schuppen gefärbte Stelle zurück, die längere Zeit ihre Farbe be-
hält. Sehr hartnäckig.

e. Psoriasis syph. ergreift auch oft die Nägel der Finger






Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden. 675

und Zehen, mit darauf folgender Abstossung des Nagels (Ony-
chia syphilitica); die Nagelsubstanz wird nicht wieder re-
gelmässig regenerirt.

d) Pu stillose Syphiliden. Ecthyma syphiliticum.

Grosse Pusteln, mit bräunlichem Hofe, gewöhnlich isolirf,
zuweilen abgeplattet; haben ein nicht sehr tiefes Geschwür zur
Folge, das sich mit einer schwärzlichen, wenig dicken Borke
bedeckt. Oft bilden sich aber dicke Borken, die sich mehr-
mals erneuern und nach deren Abfallen tiefe Geschwüre zurück-
bleiben (Uebergang zur Rhypia). Besonders bei Kindern mit
angeborener Syphilis an den Hinterbacken, an der obern innern
Schenkelfläche , an den Genitalien.

Noch giebt es Ecthyma ähnliche Pusteln, aber nicht isolirt,
sondern gruppirt beisammen (Impetigo syph.), die ebenfalls übel
aussehende Geschwüre und hässliche Narben hinterlassen.

e) Bullöse Syphilide. Rhypia syphilitica.

Die Pusteln können sich, wie so eben bemerkt, in Rhypia
verwandeln, indem der sie bedeckende und sich von unten her
verdickende Schorf die Form einer Muschel oder Austerschale
annimmt, nach dessen Abstossung ein schmutziges jauchendes
Geschwür mit callösen Rändern und livider Umgebung der Haut
zum Vorschein kommt. Manchmal beginnt die Rhypia mit
grossen Blasen, die ein dünnes, übelriechendes, blutiges Serum
enthalten und nach deren Platzen sich die obenbeschriebene
dicke Borke bildet. Selten sind es viel Blasen und sie haben
die Grösse einer Hasel- bis Wallnuss. Das Rhypia -Geschwür
kann bis auf den Knochen dringen und Caries verursachen;
es ist mit allgemeiner Cachexie, erdfahlem Aussehen, oft mit
phagedänischem Geschwür des Halses, der Genitalien, oft auch
mit Periostitis, selten oder niemals aber mit Iritis syphili-
tica verbunden. Selbst robuste Individuen magern, wenn sie
von dieser Syphilide befallen werden , auffallend rasch ab.

In Folge der beschriebenen Hautausschläge können secundäre
syphilitische Hautgeschwüre zurückbleiben, welche sich zu den
verschiedenen Formen des Schankers umbilden, in die Tiefe fres-
sen, fibröse, knorpelige, knochige Gewebe zerstören, im Ge-



676 Secundäre syphilitische Hautkrankheiten, Syphiliden.

sichte die Nase zerfressen, die Hirnschale entblösen können. —
Rhagades sind längliche, übelaussehende, zuweilen sehr schmerz-
hafte, oft aus .Pusteln sich entwickelnde, geschwürige Risse mit
harten Rändern und graulichem Grunde, die besonders zwischen
Fingern und Zehen und am Anus vorkommen. — Partielles Aus-
fallen der Haare kommt häufig vor; seltner ist die Alopecie
allgemein.

§. 320.

Behandlung derartiger Syphiliden. Alle so eben
geschilderten Affectionen der äussern Haut und ihrer Anhänge
sind Symptome secundärer Lues ; letztere ist demnach Object
der Behandlung und mit ihrer Heilung verschwinden auch alle
ihre Localisationen. Da nun in den allerseltensten Fällen wohl
angenommen werden kann, dass derartige Hautalfectionen so
isolirt daständen und nicht andere secundäre Lues - Symptome
noch in ihrem Gefolge hätten: so ist begreiflich, dass gegen
diese Syphiliden allein ein besonderer Heilplan nicht angegeben
werden kann. Nur so viel steht gewiss, dass nach homöopa-
thischen Grundsätzen in den meisten Fällen der Mercur als die
helfende Arznei sich herausstellen wird, wenn auch die Allöo-
pathen die mercurille Behandlung für nachtheilig halten, in
der Meinung: diese Hautausschläge, insbesondere syphilitisches
Ecthyma, Rhypia, wurzeln auf cachectischem Boden und gäben
darum eine Gegenanzeige ; dagegen empfehlen sie eine Jodkali-
oder Sarsaparillacur, die meist sowohl die Syphilide als das
syphilitische Mutterleiden beseitige. Diese Mittel werden von
uns ebenfalls mit Nutzen gegeben, aber wir wenden sie we-
niger in reiner secundärer Syphilis, als vielmehr in Compli-
cation der letztern mit Quecksilber -Symptomen, durch über-
grosse Gaben Mercur bei allöopathischer Behandlung hervorge-
rufen, an. — Die vorzüglichsten Mercurial- Präparate, "die sich
homöopathisch zur Heilung derartiger Syphiliden eignen, sind:
Mercur. präcipit. rub., Sublimat, Cinnabaris, Mercur. nitros.,
doch sind die übrigen darum nicht ausgeschlossen , nur werden
sie seltner Anwendung finden. Ausser diesen Arzneien kommen
noch in Betracht: Thuja, Nitri acid., Hepar, Clematis, Staphys.,



Secundäre syphilitische Affectionen der Schleimhäute. 677

Phosphori acid., Mezereum etc. (M. s. übrigens die verschie-
denen Hautausschläge zu Anfange dieses II. Bds.).

§ 321.

Secundäre syphilitische Affectionen der Schleimhäute.

In den Schleimhäuten localisirt sich die allgemeine Lues
durch ähnliche fleckige, pustulöse, tuberculöse Eruptionen wie
auf der äussern Haut, nur lassen sie sich wegen Mangels einer
festen Epidermis auf der Schleimhaut nicht so scharf diagnosti-
ciren. Am passendsten trennt man diese Affectionen in 2 Grup-
pen; die pustulösen und die exan thematischen oder
condylomatösen.

Die pustulöse Form liebt die Schleimhaut der Mandeln
und des hintern Theils des Schlundes; zuweilen auch zeigt sie
sich im Innern der Nase und des Larynx, am Mastdarm, seltner
anderswo. Sie besteht oft gleichzeitig mit pustulösen Haut-
eruptionen. Die Geschwüre auf der Schleimhaulfläche sind aus-
gehöhlt, mit weissem Grunde, scharfer Kante, rothem Rande;
sie verursachen oft fürchterliche Zerstörungen, fressen die Uvula,
den weichen Gaumen weg, haben Caries der Wirbel, der Na-
senknochen u. s. w. zur Folge.

Das sogenannte exanthematische Geschwür der Schleim-
haut sitzt gewöhnlich auf dem Gaumenbogen, auf der innern
Fläche der Wangen und Lippen, auf der Zunge; weit seltner
auf den Mandeln, auf der innern Wand der Nase, im Kehlkopfe,
Mastdärme. Nie ist diess Geschwür ausgehöhlt, wie das pustu-
löse; die Geschwürsfläche ist weiss, breiig, von einem schmalen
rothen Hofe umgeben. Auf dem Rücken der Zunge, auf den
Mandeln bewirken diese Geschwüre zuweilen condylomatöse Ex-
crescenzen, die auch sogar am Kehlkopfe sich zeigen können.
Diese Geschwüre kommen gewöhnlich mit Condylomen und schup-
pigem Ausschlage, selten mit Knochenleiden verbunden, vor;
zuweilen auch mit Hoden - und Augen - Beschwerden. Oft
nimmt man anfangs nichts weiter als eine erythematöse Angina
ohne Verschwärung wahr; die Schleimhaut ist geröthet, ge-
wulstet, von varicösen Gefässen durchzogen, bisweilen auch
stellenweise mit zäher Schleimschicht, weisser Lymphe bedeckf/



678 Secundäre syphilitische Affectionen der Schleimhäute.

Diese einfache syphilitische Angina geht den Halsschankern oft
vorher.

Die Halsschanker verbreiten sich in die Nasenhöhle und
bringen da so wie in den Gaumenknochen Zerstörungen; eben
so zerstören sie die Wirbel, durch Anfressen der Arteria Carotis
und lingualis führen sie tödtliche Hämorrhagien herbei; veran-
lassen durch Eindringen in die Eustachische Röhre temporäre
oder bleibende Taubheit; ziehen sie sich nach dem Larynx, so
bedingen sie Phthisis laryngea. Die zurückbleibenden Narben
sind viel weisser, als die Mucosa, Brandnarben ähnlich; sie
verursachen oft zerrende, ziehende Schmerzen, besonders bei
Witterungswechsel. Die Sprache bleibt verändert, näselnd. —
Phagedänische Halsschanker kommen gleichzeitig mit Rhypia-
Geschwüren der äusseren Haut, mit rascher Abmagerung, cada-
veröser Gesichtsfarbe vor und haben oft bald Colliquation und
hektisches Fieber zur Folge.

Zur Unterscheidung der secundären syphilitischen von den
mercuriellen Mund- und Halsgeschwüren dienen fol-
gende Zeichen: letztere sitzen gewöhnlich auf der innern Fläche
der Wangen, an den Zungenrändern; sie breiten sich nicht wie
die syphilitischen von hinten nach vorwärts, sondern in entge-
gengesetzter Richtung aus, greifen auch schneller als diese um
sich, haben einen weisslichen, gleichsam milchigen, nicht grau-
lichen schmutzigen Grund und sind nicht von erysipelatöser
Röthe umgeben.

§. 322.

Therapie derartig er Affectionen. Das meiste The-
rapeutische , was ich bei Behandlung der verschiedenen syphili-
tischen Leiden schon besprochen habe, findet auch hier mehr
oder weniger wieder seine Anwendung; insbesondere sind es
die verschiedenen Schankerformen, deren therapeutischer Theil
hier Beachtung verdient. Die Auswahl der Mercurial- Präparate
muss hier dem homöopathisch behandelnden Arzte durchaus al-
lein überlassen bleiben, indem er sich nach den vorher ange-
wendeten richten muss. Nur säumig darf nicht zu Werke ge-
gangen werden, weil die Zerstörung in diesen Weichgebilden
zu rapid vor sich geht und darum möchte es sogar nothwendig



Secundäre syphilitische Affectionen der Schleimhäute. 679

erscheinen, dieser Zerstörung früher Schranken zu setzen, als
diess unter dem alleinigen Einflüsse der allgemeinen Behandlung
der Lues möglich ist. Ich habe mich in den letzteren Jahren
mehrmals einer schwachen Sublimatauflösung als Gurgelwasser
mit grossem Erfolg bedient. Bei mercurieller Complication hin-
gegen wendete ich sehr verdünnte Salpetersäure zu gleichem
Zwecke an; auch der Liquor hydrarg. nitros. ist nicht zu ver-
werfen. — Sind Knochensequester ein Ilinderniss der Heilung,
so müssen sie auf chirurgischem Wege entfernt werden.

Der Sitz des Geschwürs bestimmt eben so wenig die Wahl
des Mittels, als die Empfindungen, die es erzeugt, sondern ein-
zig und allein die Art und da wird sich dann einzig und allein
wiederum der Mercur als Heilmittel herausstellen. Sei es auch
ein Präparat, welches es immer wolle, in massiveren Gaben,
als wir unsere homöopathischen Arzneien darzureichen pflegen,
muss es immer gegeben werden, wenn nicht alle Theile im
Rachen, Munde, Nase u. s. w. zu Grunde gehen sollen. — Die
Verbindung dieser secundären Schanker mit Syphiliden bestimmt
oft die Wahl des Quecksilber -Präparats oder einer andern pas-
senden Arznei; so z. B. verlangt das secundäre exanthematische
Geschwür, der Huntersche sowohl als phagedänische Schanker,
wenn sich condylomatöse Excrescenzen aus ihnen zu erheben
scheinen, oder schon erhoben haben — Mercur. praec. rub.,
Cinnabaris, Merc. nitros., Nitri acid. und Thuja zu ihrer Hei-
lung. — Mit bullösen Syphiliden, mit Rhypia syphilitica in Ver-
bindung, erweist sich Sublimat am all ervorzüglichsten, wenn
nicht Merc. pr. r. und alb. noch mehr indizirt sind. — Mit mer-
curiellen Mund- und Halsgeschwüren gepaart, verdienen Jod.
und Nur. acid. die meiste Berücksichtigung

Bleibt nach Heilung der secundären syphilitischen Geschwüre
noch ein Rest der Syphiliden zurück, so ist diess ein Beweis,
dass das Heilmittel für diese letztere nicht ausreichend war, was
auch dadurch noch ersichtlich wird, dass das Syphilid bei einer
2 und mehrtägigen Arzneipause keine weitere Veränderung mehr
weder zum Besser- noch Schlechterwerden erleidet. In einem
solchen Falle nun ist die Art des Syphilids genau ins Auge zu

II. 44



680 Secund. syphilit. Affectionen des Knochen-, Knorpel u. fibrös. Syst.

fassen, und da wird sich zeigen, dass Lepra und Psoriasis syphil.
(schuppiges Syphilid) oft ihr Heilmittel in Vulcam., Clematis,
Lycopod., Mezer., Calcar. findet ; den schorfigen entspricht mehr,
ausser Lycopod. und Calcar., — Conium, Psorin, (?) Graphit,
Ranuncul. u. s. w.

Es ist und bleibt schwierig, für einzelne aus der Lues ve-
nerea herausgerissene Symptome immer die richtigen und stets
treffend passenden Heilmittel angeben zu wollen. Zu einer
schärfern und richtigeren Diagnose führt dieses Verfahren, das
ist ausgemacht wahr; allein die Therapeutik gewinnt nichts da-
durch, die kann nur gedeihen, wenn vom homöopathischen Arzte
die Gesammtheit der Symptome, die Gesammtkrankheit in allen
ihren feinern Nuancen scharf aufgefasst und nach genauer Auf-
zeichnung der Totalsumme von Symptomen das Arzneimittel ge-
wählt wird. — Nun, ich glaube bis hieher schon fast alle für
Lues universalis passende Mittel bei den mancherlei syphili-
tischen Formen namhaft gemacht zu haben, dass es wohl nicht
schwierig sein dürfte, die für den individuellen Fall passende
Arznei aus diesen herauszufinden. Uebrigens geben die nächsten
Paragraphen auch noch einigen Aufschluss.

§. 323.

Secundäre syphilitische Affect^nen des Knochen-,
Knorpel- und fibrösen Systems.

Da diese syphilitischen Knochenaffectionen meist erst nach
den secundären Haut- und Schleimhautleiden auftreten, so hat
man sie als tertiäre Symptome aufgestellt, doch kann diess
wohl nicht durchgängig als Gesetz aufgestellt werden, da zu
viele Ausnahmen in dieser Beziehung vorkommen. Zwischen
den primären Symptomen und dem Ausbruche des Knochenlei-
dens liegen oft Monate, ja Jahre und meistens kündigt sich
letzteres lange vorher durch osteokopische Schmerzen an,
aus denen sich aber doch mit bestimmter Gewissheit die spä-
tere Bildung eines syphilitischen Knochenleidens nicht diagno-
stiziren lässt, obschon man aus der Anamnese aus der Art und



Secund. syphil. Affectionen des Knochen-, Knorpel u. fibrös. Systems. 681

der Schmerzen diess mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen
kann.

Die osteokopischen Schmerzen sind Anfangs vag, rheu-
matischen Schmerzen ähnlich, kommend und vergehend, nicht
auf einen bestimmten Knochen fixirt; sie sind bohrend, nagend,
meist vom späten Abend bis Morgens 3 Uhr anhaltend , wo sie
unter einem wohlthuenden Schweisse nachlassen.

Die syphilitischen Knochenleiden zeigen sich als weiche
und harte Beinhautgeschwülste (Gumma und Tophus),
als Exostose, Caries und Nee rose. Am. häufigsten findet
man sie an solchen Knochen, die nur von der äussern Haut be-
deckt sind, als: Schien- und Wadenbein, Vorderarm, Nasen-
knochen, Cranium, Gaumenfortsatz des Oberkiefers. — Die
Beinhautgeschwülste sind klein, teigig (Gumma) oder hart (To-
phus) anzufühlen; sie sind an der Oberfläche eines Knochens
gelegen, äusserst schmerzhaft und die sie bedeckende Haut un-
verändert; Beide bilden sich nach vorausgegangener Periostitis,
der Tophus zwischen Beinhaut und Knochen; das Gumma zwi-
schen Periostium und der Aponeurose.

Zu den häufigsten seeundären Zufällen gehört die syphili-
tische Affection der Nasen- und Gaumenknochen; diese
veranlassen die scheusslichsten Gesichtsverunstaltungen, wenn
der fortschreitenden Zerstörung nicht bald Einhalt gethan wird.
Ergriffen werden hier die Pflugschaar, die Nasenmuscheln, das
Siebbein, die Thränen- und Nasenbeine, Oberkiefer, Nasen-
knorpel, ja selbst das Keilbein. Meist schwillt zuerst eine Seite
der Nase an, wird roth, erysipelatös ; eine seröse, zuweilen
blutige, incrustirende , bald aber eiterartige, oder jauchige,
höchst fötide, mit schwarzen Knochentheilchen gemischte Flüs-
sigkeit fliesst aus der Nase oder wird ausgeschnaubt (Ozaena
syphilitica) *), allmählig sinken die weichen Theile ein und,
werden auch die Knorpel ergriffen, so geht die Nase ganz ver-
loren. Geht die Zerstörung vom Gaumengewölbe aus, so bleiben



*) S. Theil I. S. 443.



682 Secuta!, syphilit. Affectionen des Knochen , Knorpel u. fibrös. Syst.

nur die Ossa palali frei; der Gaumen wird durchlöchert, die
Stimme näselnd, das Schlingen beschwerlich, weil Speisen und
Getränke in die Nasenhöhlen eindringen.

Auch die Knorpel, besonders des Brustbeins, werden von
secundarer Syphilis ergriffen; sie entzünden, verdicken sich,
ulceriren und necrosiren. Eben so verhält es sich mit den
Knorpeln des Kehlkopfs, die dann Phthisis laryngea sy-
philitica zur Folge haben. (M. s. die Phthisen).

§. 324.

In secundären syphilitischen Knochenleiden sind die osteo-
kopischen Schmerzen das eigentliche Heilobject, denn mit ihrem
Verschwinden ist auch anzunehmen, dass die Knochenkrankheit
fast immer ihr Ende erreicht hat; wäre diess aber ja noch nicht
der Fall, so muss das Mittel, das die Schmerzeh hob, noch
einige Zeit fortgebraucht werden, bis auch jeder Rest des Lei-
dens vollends verschwunden ist. Zu berücksichtigen sind bei
derartigen osteokopischen Schmerzen dreierlei Fälle; einmal:
haben wir es nur mit reinen secundären syphilitischen Knochen-
leiden zu thun; oder findet eine Complication mit mercuriellen
Schmerzen statt; oder endlich: sind die Schmerzen nur aus
Mercur- Missbrauch hervorgegangen. In allen Fällen giebt eine
gut aufgefasste Anamnese darüber Aufsehluss, die wir darum
auch der Aufmerksamkeit des homöopathischen Arztes dringend
anempfehlen.

Kann ich auch, nach homöopathischen Begriffen, die allöo-
pathische Behandlung der Knochensyphilis durch die Jodkalium-
Cur für alle Fälle nicht gut heissen: so bleiben doch Jodium
und Jodkalium für diese Leiden unschätzbare Mittel, die auch
der homöopathische Arzt im passenden Falle stets mit günstigem
Erfolge anwenden wird; dieser Fall ist da, wo wir es nicht
blos mit reiner Syphilis, sondern mit Complication oder mit rei-
nem Mercurial- Leiden zu thun haben. Darum sehen auch die
allöopathischen Aerzte so grossen Erfolg davon, weil bei ihnen,
nach den grossen Dosen Mercur, mit denen sie primäre Syphilis



Seeland, syphilit. Affeclionen des Knochen-, Knorpel u. fibrös. Syst. 683

heilten, oder nach den Inunctions-Curen , fast nie eine reine
seeundäre Syphilis vorkommt, sondern immer mehr oder we-
niger mit Mercurialismns gepaart. Doch kommen ihnen dessun-
geachtet auch Fälle von syphilitischer Osteopathie vor, die dem
Jodkali nicht weichen; da empfehlen sie dann die Sarsaparilla-
Cur, das Zittmann'sche und Pollinische Decoct — ein Vorschlag,
den wir hier unter keiner Bedingung billigen können, da diese
Verfahrungsweise zu tief in die an und für sich schon zu sehr
jriffene Reproduction des leidenden Organismus eingreift und
der schon begonnenen Cachexie nur noch mehr Nahrung giebt.
Diess ist der Grenzpunkt , wo die Allöopathie ihre Schwäche
gegen die Homöopathie eingestehen muss , sie specialisirt nicht,
sie generalisirt nur. Ersteres thut die Homöopathie und da er-
giebt sich denn oft gleich Anfangs, dass Jod. mit seinen Prä-
paraten nicht in allen Fällen das passendste Heilmittel ist, son-
dern dass wir es weit häufiger in Asa, Aurum, Hepar sulph.,
Nitri aeid., Phosphor, aeid., Silic, Mercur, u. s. w. finden.

In rein seeundären syphilitischen Knochenschmerzen mit
nächtlicher Exacerbation; in eben solchen cariösen Leiden wird
Mercur mit seinen Präparaten immer wieder Hauptmittel bleiben ;
selbst in solchen mit einigen mercuriellen Beschwerden compli-
zirt, werden wir den Mercur. jodat. nicht entrathen können.
In beiden Arten dürfen wir aber, ausser jenen vorhin genannten
Arzneien, auch Mezereum, Lycop., Mangan., Sulph., Calcar.,
Staphys., nicht vernachlässigen, denn wir können sie nicht
entbehren.

In den rein mercuriellen osteokopischen Schmerzen sind
Opium, Dulcam., China, Carbo veget., Guajac, Sassapar., Ar-
senic, Sulphur., Nur. aeid. u. e. a. der Aufmerksamkeit des be-
handelnden Arztes zu empfehlen; zugleich mache ich noch auf-
merksam, dass hier die Anwendung kleiner Schläge positiver
Electrizität, täglich wenigstens einmal, unerlässlich ist. — Ich
wage es nicht, speciellere Indicationen für die verschiedenen
Mittel zu stellen , denn ich kann es nicht mit Sicherheit thun
und glaube auch kaum, dass es gegen dieses aus dem Zusam-
menhange der Syphilis herausgerissene, isolirt dastehende



684 Secimdäre syphilit. Affecüonen im Auge.

Symptom möglich wäre. Drum mögen diese allgemeinen An-
deutungen genügen.

§. 325.

Secundäre syphilitische Affectionen im Auge.

Nur mit wenig Worten erwähne ich hier dieser Affection,
da sie ebenfalls nie isolirt erscheint, sondern fast immer in
Verbindung mit syphilitischen Hautausschlägen; die Iritis syphi-
litica ist mehr den papulösen Syphiliden eigen und begleitet
viel häufiger die exanthematische als die pustulöse Gruppe der
Syphiliden. Die kleine borkige Pustel, die desquamirende Pa-
pel oder ein schuppiger Ausschlag, sind die gewöhnlichen da-
mit verbundenen Eruptionen. — Man unterscheidet zwei syphi-
litische Formen im Auge.

1) Die Conjunctivitis syphilitica. Man erkennt sie
an dem eigen thümlichen, scharf umgränzten, ziegelrothen Ge-
fässkranze in der Conjunctiva und Sclerotica, da wo letztere in
die Cornea übergeht, dieselbe mit einem linienbreiten Gefäss-
kranze, wallartig, umziehend; dabei grosse Lichtscheu und höchst
empfindlicher Schmerz in der Umgegend des Auges.

2) Iritis syphilitica. Sie characterisirt sich durch
Verengerung der Pupille, Unbeweglichkeit der Regenbogenhaut,
welche wulstig gegen die Cornea hervorragt, dabei heftiger
Thränenfluss, so wie grosse Schmerzen in der Orbitalgegend,
Farbenveränderung, häufig durch condj^omatöse Excrescenzen
hervorgebracht, wodurch auch die Pupille auffallend verändert
wird.

Die bei der homöopathischen Behandlung derartiger
secundärer syphilitischer Augen- Affectionen besonders ins Auge
zu fassenden Arzneien sind: Aconit, Beilad., Mercur, Thuja,
Cannab., Hepar sulph., Conium, Nitri acid.., Clematis etc.

§. 326.

Syphilis neonatorum s. congenita.

Die syphilitische Ansteckung des Fötus oder Kindes geschieht
auf folgende Art:



Syphilis neonatorum s. congenita. 685

1) Vater oder Mutter, oder beide Eltern sind zur Zeit des
Zeugungsacts mit primären oder secundären syphilitischen Symp-
tomen behaftet und theilen dem Keime die Krankheit mit; ein
solcher Fötus wird selten ausgetragen, sondern stirbt meistens
im 5., 6. Monate innerhalb des Uterus und erzeugt Abortus.

2) Nur die Mutter ist syphilitisch und theilt dem Fötus wäh-
rend der Schwangerschaft die Krankheit mit. Diese Thatsache
ist zu häufig beobachtet worden, als dass sie sich jetzt noch
wegleugnen Hesse.

3) Die Mutter leidet an primären syphilitischen Symptomen
der Genitalien, Ausfluss, Schanker, Condylomen und steckt das
Kind während der Entbindung beim Durchgange durch die Ge-
schlechtstheile an. In einem solchen Falle treten die Erschei-
nungen nicht gleich nach der Entbindung, sondern erst nach
mehrern Tagen, sogar Wochen, aber immer als primäre Zu-
fälle auf.

4) Leiden Ammen oder Mütter an primären syphilitischen
Schrunden, Geschwüren der Brustwarze, so entstehen ähnliche
Ulcerationen an den Lippen, im Munde der Säuglinge, und eben
so umgekehrt.

Erscheinungen der Syphilis secundaria neona-
torum sind: Bringt das Kind die Syphilis mit zur Welt, so hat
die äussere Haut gewöhnlich eine hellbräunliche oder schmutzig-
strohgelbe Farbe, die Epidermis löst sich leicht los wie bei be-
ginnender Verwesung oder erhebt sich in Blasen; die Muskeln
sind weich, welk, die Kinder äusserst klein, verkümmert, grei-
senhaft aussehend; ihre Stimme ist eigenthümlich piepend, die
Nase verstopft, die Mundwinkel sind faul.

Kommt die Krankheit erst nach der Geburt zum Vorschein,
was meistens im 2. Monate geschieht, so gestaltet sie sich an-
ders. „Die Krankheit hat in den ersten Wochen mehr den
Character einer Maserneruption. Auf dem Gesichte confluiren
die Eruptionsstellen oft und die Schuppen sind so dick, dass
man Psoriasis zu sehen glaubt. Auf den Nates ist die Eruption
ebenfalls stark markirt und artet bei schlecht genährten und



686 Syphilis neonatorum s. congenita.

nicht gut abgewarteten Kindern schnell in Ulcerationen aus-
Kommt die Krankheit noch später nach der Geburt zum Vor-
schein, so zeigen sich Condylome an den Schamtheilen , Risse
in den Mundwinkeln, oberflächliche Vereiterung auf der Schleim-
haut der Lippen, des Mundes, geschwürige Stellen im Rachen,
und fast immer eine Veränderung der Stimme, wobei das Athmen
durch die Nase erschwert ist. — Je älter das Kind, desto häu-
tiger sind Condylome, Brüche und Risse in den Mundwinkeln
und Ulcerationen im Rachen und auf der Mundschleimhaut
(Wallace)." Zuweilen noch Ohrausfiuss, Iritis, Periostitis.
— Hufeland ist der Meinung, dass die vererbte Syphilis nicht
selten unter der Form der Scrophelkrankheit auftrete.

Die Prognose bei Syphilis congenita ist nicht die gün-
stigste, und wenn sie auch schon häufig geheilt wird, so ist
doch nicht in Abrede zu stellen, dass sie besonders schwäch-
lichen, zu früh gebornen Kindern oft tödtlich wird.

§. 327.

Behandlung dieser Krankheitsform. Ist eine Ge-
bärende mit Syphilis der Genitalien behaftet, so muss das
Kind beim Durchgange während der Entbindung möglichst vor
Ansteckung geschützt werden, welchen Zweck man am sichersten
dadurch erreicht, dass man die Geburtswege mit Fett bestreicht,
das Kind schnell zu entwickeln sucht und gleich nach der Ge-
burt es auf das Sorgfältigste baden und besonders Augen, Mund-
höhle, die verschiedenen Oeffnungen des Körpers und Hautfalten
aus- und abwaschen lässt; auch muss täglich längere Zeit nach
der Geburt fleissig nachgesehen werden, damit primäre Symp-
tome sogleich im Entstehen entdeckt und kunstgemäss behandelt
werden.

Wird das Kind noch gestillt, so ist es am zweckmässigsten,
die für dasselbe passenden Arzneien , der Mutter oder der Amme
zu geben.

Würde die Arznei dem Kinde selbst gereicht, so wäre un-
streitig die kleinste Gabe Mercurius solubilis (hier gewiss das



Syphilis neonatorum s. congenita. 687

passendste Mercurial-Präparat) schon hinreichend, 'die Krankheit
zu beseitigen. Wo sie aber der Mutter oder der Amme einge-
geben wird, da ist eine niedrigere Potenzirung — in manchen
Fällen sogar die erste oder zweite Verreibung — erforderlich,
die auch, bei raschem Fortschreiten der Krankheit, zuweilen täg-
lich etc. wiederholt werden muss.

Sehr häufig geschieht es aber, dass der homöopathische
Arzt Kinder, an ähnlichen Krankheiten leidend, in seine Behand-
lung bekommt, die schon längere Zeit allöopathisch behandelt
wurden. In diesen Fällen ist es nöthig, den ganzen Verlauf
der Krankheit von allem Anfange genau sich erzählen zu lassen,
die Veränderungen, die während der allöopathischen Behandlung
eingetreten sind, sorgfältig aufzuzeichnen und letztere genau zu
erforschen sich bemühen, worüber die verschriebenen Recepte
dem homöopathischen Arzte die nöthige Auskunft ertheilen wer-
den. Es ist diess Alles um so nöthiger, je mehr die tägliche
Erfahrung uns beweist, dass viele (nicht alle) allöopathische
Aerzte bei solchen zarten Subjecten, wenn sie nur einige ver-
dächtig scheinende Symptome an ihnen wahrnehmen, gleich an
Syphilis denken, wovon oft keine Spur vorhanden ist, und dann
mit Mercurial- Mitteln so stark dagegen verfahren, dass die da-
durch erzeugten Beschwerden sie immer mehr in ihrem Glauben
an ein syphilitisches Leiden bestärken. War diess aber nicht
der Fall, sondern war das Kind wirklich syphilitisch krank, so
wurde es oft mit einer Menge unpassender Mercurialien behan-
delt, die nicht nur nicht Heilung bewirkten, sondern die Krank-
heit in sofern verschlimmerten, dass mit der natürlichen Krank-
heit sich noch ein Mercurial - Leiden complizirte, das oft aller
ärztlichen Kunst Hohn spricht. Diese Complication gehört,
namentlich bei solchen zarten Subjecten, zu den scheusslichsten
Siechthumen, deren Hebung dem homöopathischen Arzte über-
tragen wird. Ich will versuchen, das Wichtigste über deren
Behandlung hier anzugeben, wobei es jedoch dem homöopathi-
schen Arzte überlassen bleiben muss, bei ihm vorkommenden
Fällen ein passenderes oder zweckmässigeres Verfahren einzu-
schlagen.

Hat der homöopathische Arzt sich überzeugt, dass die Krank-



688 Syphilis neonatorum s. congenita.

heit allöopathisch mit Mercurialien behandelt wurde, so wird er
auch leicht erfahren können, ob die Krankheit bei dem Ge-
brauche derselben sich verschlimmerte. Ist diess der Fall, so
darf er nicht mehr im Zweifel sein, dass er es mit einem Queck-
silber - Siechthume zu thun habe, und dann sei er bei Stellung
der Prognose vorsichtig.

In solchen Fällen ist meistens ein grosses Heer von Sympto-
men gegenwärtig, unter denen der Arzt die bedenklichsten und
gefahrdrohendsten am ersten zu beseitigen suchen, jedoch auch
immer bei der Wahl der Mittel den gesarnmten Krankheitszu-
stand vor Augen haben muss. Ist namentlich die Stomacace
oder Angina mercurialis hervorstechender als die übrigen
Symptome; hat diese vielleicht schon Zerstörungen der weichen
sowohl als harten Theile hervorgebracht: so dürfte Gold, in der
dritten Verreibung, das vorzüglichste Mittel sein, das auch dem
weitern Umsichgreifen der Mercurial-Krankheit Grenzen zu setzen
im Stande ist. Nach vollbrachter Wirkung des Goldes wird
man oft Hepar sulphuris calc. indizirt finden, die man ebenfalls
in der zweiten, dritten Verreibung anwendet. Ist das Quecksil-
ber -Siechthum durch den Missbrauch des Calomels entstanden,
so ereignet sich wohl auch zuweilen der Fall, dass man eine
homöopathisch bereitete Gabe Quecksilber — vom Mercurius
solub. Hahn, oder Mercurius vims, in gedachtem Falle jedoch
noch zweckmässiger, Mercurius sublimatus corrosw. — wieder
einmal mit geben kann, vorausgesetzt, iass die gegenwärtigen
Symptome keine Contraindication stellen. — Ist mit einer S t o-
macace Dysphagie, oft mit einer Unbeweglichkeit der Kinnla-
den, geschwollenes, zurückgezogenes, schwammiges Zahnfleisch,
Speichelfiuss u. s. w. verbunden, so sind Belladonna, Dulcam.
und Äcidum nitri ganz ausgezeichnete Mittel , wiewohl auch eine
von den später noch zu nennenden Arzneien ebenfalls passend
erscheinen könnte.

Sind Geschwülste der Beinhaut und Knochen, namentlich
der oberflächlich gelegenen Knochen, auch wohl Caries schon
vorhanden, so ist, wenn diese letztere die Nasenknochen betrifft,
ebenfalls wieder Gold das erste Spezificum dagegen. Ist aber



Syphilis neonatorum s. congenita. 689

die Caries an andern Knochen vorhanden, so erweist sich Gold
weniger spezifisch, hingegen Asa foetida hülfreicher, deren gros-
sen Vortheil ich nicht genug rühmen kann, den sie in Anschwel-
lungen einzelner Knorpelpartien und Verdickung der Beinhaut
der Knochen gewährt, vorzüglich dann, wenn diese Krankheits-
erscheinungen in Folge eines übermässigen Quecksilbergebrauchs
entstanden sind. Darum leistet sie auch sehr viel in scrophulö-
sen Leiden überhaupt, namentlich aber in solchen, die vorher
längere Zeit in allöopathischer Behandlung sich befanden , nach
welcher, wie bekannnt, die Mercurialia in dieser Krankheits-
form häufig angewendet werden. Mezereum und Acidum phos-
phoric. sind der Asa zur Seite zu setzen. Bevor man diese Mit-
tel giebt, thut man wohl, wenn die Symptome nicht zu sehr
drängen, zuvor eine oder ein paar Gaben China zu geben, die
ebenfalls dem Merkurial-Siechthum entgegen arbeiten.

Sind es eiternde Lymphgeschwülste oder andere eiternde Ge-
schwüre, so wird man mit Pulsatitta, Acidum phosphoricum und Si-
licea, auch wohl Carbo vegetabilis viel auszurichten im Stande sein.
Aber auch Cicuta virosa thut in den von Quecksilber-Miss-
brauche entstandenen Schmerzen und schmerzhaften Drüsen-Ver-
härtungen sehr viel.

Sind aber eine sehr grosse Empfindlichkeit gegen Aussen-
reize, Krämpfe, Zittern u. a. Nervenzufälle, Unruhe, Mangel an
Esslust und Schlaf, Ekel, kalte Extremitäten, spitze Nase, erd-
fahles Gesicht, schleichendes, sehr entkräftendes Fieber mit gros-
sem Durste und kleinem, hartem, geschwindem Pulse gegen-
wärtig, so ist das erste Mittel immer China, der man, nach ver-
flossener Wirkungsdauer, eine Gabe Ferrum kann folgen lassen.
Vielleicht dürfte hier auch anfangs, als palliatives Belebungsmit-
tel, eine oder ein paar Gaben Spiritus nitri dulcis indizirt sein.
— Sind die Nachtschweisse, oder überhaupt die Schweisse sehr
hartnäckig, so wird sich immer wieder Phosphorsäüre , nächst
der China, sehr hülfreich erweisen.

Gegen alle hier aufgezeichnete Mercurial-Beschwerden sind
als ganz vorzügliche Mittel noch empfehlenswerth : Dulcamara,
Acidum nitri, Sassaparilla, die auch als die passendsten Zwi-
schenmittel von den schon genannten Arzneien mit dastehen.



690 Syphilis neonatorum s. congenita.

Ich habe in diesem letzten Paragraphen, wie es scheint, das
therapeutische Verfahren nicht gegen Syphilis congenita ge-
richtet, sondern immer gethan, als gäbe es bei zarten Kindern
immer nur ein mercurielles Siechthum, was allerdings wohl häufig
der Fall ist, aber doch nicht durchgängig angenommen werden
kann. Nein, die Syp hilis congenita ist constatirt, aber
die homöopatische Behandlung unterscheidet sich nicht von der
anderer Syphilis-Formen; sie erleidet nur eine geringe Abwei-
chung in Bezug auf Gabengrösse und Anwendungsart durch die
Mutter oder Amme. — Alle hier genannten Arzneien sind übri-
gens der Syphilis wie dem Mercur-Siechthum entsprechend.



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Julian

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #27 on: April 30, 2013, 09:47:11 PM »

Register.



A.

Abortus II. 222.
Acarus scabiei II. 16.
Achor larvata II. 37.
Achores II. 31.
Achselgrubenschweiss II. 250.
Acne II. 49., punctata 50.
Adhäsion als Nachkrankheit der

Entzündung 346.
Affectionen der Schleimhäute, secun-

däre syphilitische II. 677.
Afterschmerz, Afterkrampf II. 411.
Alpdrücken II. 481.
Alveolarkrebs II. 358.
Amygdalitis 414.
Anasarca II. 274.
Angeerbte Tuberkeln II. 96.
Angina 414., pharyngea 426. oeso-

phagea 427., parotidea 441.
Angina gangraenosa 422. putrida,

maligna 422.
Angina membranacea, polyposa 435.

nach Scharlach 310.
Angina raercurialis 424., II. 687.
Angina pectoris II. 486.
Angina polyposa 123.
Animi deliquium II. 280.
Ankyloglossum II. 301.
Anschwellung derLymphgefässe am

Gliede und Vorhaut II. 641.
Anschwellung einzelner Kindes-

theile II. 302.
Ansichten über die hom. Verschlim-
merung 4.
Ansprung II. 37. räudiger 24.
Anstecken der Typhus 248. £■'?

Anuria IL 309.
Aphthae 329.



Aphtheneruption bei Phthisikern
II. 125.

Apoplectische Wechselfieber 259.

Apoplectischer Habitus II. 313.

Apoplexia cerebralis, sanguinea II.
311., nervosa II. 312., serosa,
gastrica etc., II. 313.

Apoplexia hydrocephalica 546.

Ardor ventriculi II. 416.

Arterielles Fieber 96

Arthritis 401., vaga 403., retro-
grada 403.

Arthritis atonica 402.

Arthritis chronica 403.

Arzneien, Erst- und Nachwirkung
derselben 4.

Arzneigabenbestimmung nach Reiz-
empfänglichkeit 46.

Arzneigaben, Wirkung der kleinen
homöopathischen 55.

Arzneimittel, Wahl desselben ge-
gen die Krankheit 32. 56.

Arzneiprüfungen an Gesunden 3.

Arzneiverschlimmerung 41. &.

Ascariden 164.

Ascites II. 270.

Asphyxia II. 280. 283., neonato-
rum 297.

Asphyxie durch Ertrinken II. 287.
durch Erdrosseln 289., durch
Erfrieren 291., durch Blitz-
strahl 291., durch irrespirable
Gasarten, z. B. Kohlendampf,
294. durch Kloaken, Abtritts-
gruben, Schleusengas 295.
Asthma, II. 459.
Asthma hystericum II. 496. J517.
Asthma laryngeum II. 476.



692



Register.



Asthma Millari H. 476.

Asthma uteri IL 491.

Asthma von arsenikalischen Däm-
pfen IL 465.

Asthma von Schwefeldampf 11.465.

Atrophia mesenterica infantum IL
126.

Augenentzündung 552, rosenartige
553, catarrhalische 555, rheu-
• matische 557, gichtische 558,
scrophulöse 562, Neugebore-
ner 567.

Augenentziindung , gonorrhoische
IL 648.

Augenliderdrüsenentzündung 565.

Augenliderkrampf 566.

Augentripper II. 648.

Aurigo 460.

Ausfallen der Haupthaare IL 232.

Auswurf , stockender bei Phthisi-
kern 126. . .

B.

Balanitis IL 645.

Bandwurm 167.

Bauchgrimmen IL 387. _

Bauch- oder Ganglienepilepsie II.
587.

Bauchwassersucht IL. 270.

Bauer wetz el 441. . '

Beinhautgeschwülste, weiche und
harte, IL 681. _ .

Beklemmung und Bangigkeit bei
Phthisikern IL 126.

Bemerkungen über Hautausschläge
überhaupt 273.

Bemerkungen über Scharlachepide-
mien 320.

Blähungskolik n 388.

Bläschenkrätze H. 15.

Blasenflechte II. 56.

Blasenhaemorrhoiden IL 201.

Blasenkrampf H. 443.

Blattern 279.

Blatterrose 333.

Blausucht IL 599.

Bleichsucht IL 605.

Bleikolik H. 400.

Blennorrhagia urethrae H. 631.

Blennorrhoe der männlichen Harn-
röhre IL 631.

Blepharoblennorrhoea 565.

Blepharophthalmitis glandulosa 565.

Blepharoplegia H. 328. 343.

Blepharoptosis 566., H. 328. 343.



Blutbrechen IL 180.

Blutkolik II. 405.

Bluterguss ins Zellgewebe II. 205.

Blutfleckenkrankheit H. 205.

Blutfluss II. 169.

Blutharnen IL 186.

Bluthusten II. 174.

Blutschlagfluss n. 3X1.

Blutspucken IL 174.

Blutsturz H. 169.

Bluttröpfeln IL 169.

Blutungen IL 166.

Blutungen, kritische 75.

Blutungen des Magens und Darm-
kanals IL 180.

Blutungen aus den Augen IL 203.

Blutungen aus der Blase H. 187.

Blutungen aus der Harnröhre IL
642.

Blutungen aus den Harnwerkzeu-
gen H. 186.

Blutungen aus dem Zahnfleische
. H. 204.

Brandige Bräune 422.

Bronchitis acuta 428.

Bruchkolik H. 409.

Bruch, eingeklemmter 485.

Brustbräune II. 486.

Brustepilepsie n. 592.

Brüste , Neugeborner , Anschwel-
lung derselben H. 303.

Brustfellentzündung 366.

Brustkrampf IL 459.

Brustwassersucht H. 262.

Bubonenpest 249.

Bullöse Syphiliden IL 675.

C.

Calculus biliarius seu felleus H. 136.

Cancer H. 227.

Cancer aquaticus H. 363.

Carcinoma IL 227.

Carcinoma ventriculi n. 430.

Cardialgia H. 414., flatulenta H.

416, hysterica IL 423. 495.
Cardio- et Angiopathia hysterica

IL 496. 518.
Carditis 368, infantum 370.
Caries H. 681.

Cataracta glaucomatosa 559. .
Catarrh 430.
Catarrhalfieber 111, bei Kindern

121.
Catarrhus febrilis 111, chronicus

120.



Register.



693



Catarrhus febrilis intestini crassi

192.
Catarrhus suffocativus 365, 11.483.
Caphalaematoma II. 302.
Cerebral-Neuralgien II. 347.
Chalazion 566.
Chinawechselfieber 266.
Chiragra 403.
Chlorosis II. 605.
Choanorrhagia II. 171.
Cholera ähnliche Fieberzustände

171.
Cholera indica, asiatica, epidemica,

176.
Chorda II. 634. 644.
Chorea St. Viti IL 536.
Choreomania II. 536.
Chronische Fieber 252.
Chronische Krankheiten, einleitende

Bemerkungen dazu IL 1. Hah-

nemanns.
Claudicatio spontanea 410.
Clavus H. 367.
Colica IL 387.
Colica aeruginalis II. 403.
Colica flatulenta II. 388.
Colica gastrica, biliosa IL 395.
Colica haemorrhoidalis, sanguinea,

plethorica II. 405.
Colica herniosa II. 409.
Colica hysterica II. 495.
Colica inflammatoria 477.
Colica saturnina, pictorum IL 400.
Colica ventriculi IL 414.
Colicodynia flatulenta II. 391. 397.
Colliquationen II. 138, bei Phthisi-

kern II. 124.
Com.plication des Scharlachs mit

andern Krankheiten 307.
Condylomata II. 667.
Congestio II. 157, ad abdomen 163.
Congestion des Blutes nach dem

Kopfe 76, nach der Gebärmut-
ter 77, IL 166.
Congestionen IL 157.
Congestiones ad caput IL 159.
Congestiones ad pectus IL 160.
Conjunctivitis syphilit. IL 6^4.
Convulsio cerealis IL 549.
Contagium 23.
Coxalgia 409.
Coxarthrocace 409.
Croup 435.
Crusta lactea IL 37.
Crusta serpiginosa IL 24.
Cura specifica 32, palliativa 35,

derivans 37, isopathica 39.



Cyanosen im Allgemeinen IL 596.
Cyanosis cardiaca II. 599, C. pul-

monalis IL 603.
Cynanche 414, stridula, exsudato-

ria 435.
Cystalgia IL 443.
Cystitis 490.
Cystodynia II. 443.
Cystopathia hysterica IL 494. 515.
Cystospasmus II. 443.



Dampf IL 459.

Darmentzündung 477, bei Kindern
482.

Darmschmerzen IL 387.

Darrsucht der Kinder IL 126.

Decubitus bei Phthisikern IL 125.

Delirium tremens 531.

Diabetes IL 139.

Diät und Lebensordnung 64.

Diarrhoea 204, aquosa, serosa 206,
a dentitione 206, biliosa 208,
mucosa 210.

Diaphragmitis 372.

Diphtherischer Schanker IL 654.

Dispositio scrofulosa IL 65. 69.

Dolor faciei Fothergilli II. 347.

Dolores colici IL 387.

Doppelte Glieder II. 81.

Drachenschuss 389.

Durchfälle, kritische 79.

Durchfall 204, Zahndurchfall bei
Kindern 206, durch Säure ent-
standener 208, schleimiger 210.

Dysenteria 191, alba 192, rubra
193, rheumatico-catarrhalis 195,
inflammatoria verminosa 202,
seu bilioso - inflammatoria 196,
nervosa, typhosa 204, putrida
202.

Dysphagia inflammatoria 427.

Dysphagia paralytica IL 328.

Dyspnoea IL 459.

Dysurie IL 642.

12.

Eclampsia gravidarum et parturien-
tium II. 527.

Eclampsie II. 519.

Eclampsie der Schwangern u. Ge-
bärenden II. 527.



694



Register.



Ecthyma II. 60.

Ecthyma syphiliticum II. 675.

Ectropium 566.

Eczema II. 47, solare, impetigi-
noides.

Eicheltripper II. 645.

Eierstocksentzündung 498.

Eierstockwassersucht II. 278.

Einklemmung der Gedärme IL 409.

Eiterflechte II. 60.

Eiterung als Nachkrankheit der
Entzündung 345.

Eiterung der Brüste 523.

Einphysema pudendarum II. 278.

Encephalitis 525, erysipelatosa 530,
potatorum 531.

Encephalopathia hysterica II. 493.
510.

Encephalorrhagia IL 311.

Enteralgia II. 387.

Enterodynia IL 387.

Endocarditis 370. 380.

Endometritis septica 506.

Engbrüstigkeit IL 459.

Englische Krankheit IL 81.

Enteritis 477, mucosa infantum 482.

Entzündliches Fieber 96.

Entzündung der äussern Schaam-
lippen und Scheide 501.

Entzündung der Brustdrüsen 520.

Entzündung der Eichel und Vor-
haut II. 643.

Entzündung der Eierstöcke 498.

Entzündung der Gebärmutter 493.

Entzündung der Gedärme 477.

Entzündung der Harnblase 490.

Entzündung der Hirnhäute u. des
Gehirns 525.

Entzündung der Hornhaut 569.

Entzündung des Kehlkopfs, Luft-
röhre, Bronchien 428.

Entzündung der Leber 452.

Entzündung derLymphgefässe 449.

Entzündung des Psoas 399.

Entzündung der Regenbogenhaut
570.

Entzündung des Rückenmarks 546.

Entzündung des Schlundkopfs 426.

Entzündungen im Allgemeinen 337.

Enuresis paralytica IL 328. 343.

Ephemera protracta 106.

Ephidrosis IL 148.

Epidemische asiatische Brechruhr
176.

Epididymitis gonorrhoica IL 647.

Epilepsie IL 573, verschiedener Art
IL 587 u. f.



Epilepsia nocturna IL 573, satur-
nina 581.

Epilepsia saltatoria IL 536.

Epilepsie, acute IL 519.

Epileptische Anfälle beim Zahn-
durchbruch 107.

Epistaxis IL 171.

Erbgrind II. 32.

Erbrechen, kritisches 79.

Erectionen, nächtliche II. 642.

Erstickungscatarrh 434.

Eruptionen bestimmter Art 273.

Erweichung des Magens II. 440.

Erysipelas 331.

Erysipelas neonatorum 334.

ErysipelatÖse Entzündungen 337.

Erythema mercuriale IL 48.

Eselshusten H. 448.

Evolutionsscropheln n. 71.

Exanthemata acuta 273.

Exanthematische Tuberkeln IL 94.

Exanthematisches Petechialfieber
248.

Excrescenz,Blumenkohl ähnliche am
Muttermunde IL 234.

Exostose H. 681.



F.

Fallsucht II. 573, verschiedener

Art II. 587 u. f.
Epische Lungenentzündung 364.
Falsche Pocken 292.
Faulfieber 245.
Favus W. 31.

Febres exanthematicae 273.
Febres intermittentes , chronicae

252.
Febres lentae nervosae 250.
Febris a dentitione 103.
Febris amatoria II. 605.
Febris catarrhalis 111.
Febris dysenterica 191.
Febris erysipelacea epidemica 125.
Febris flava. 250.
Febris gastrica 139.
Febris gastrico-venosa 146. 151.
Febris helminthiaca 160.
Febris hydrocephalica 537.
Febris intermittens soporosa 263.
Febris lactea 516.
Febris mucosa, pituitosa, splanch-

nica 153.
Febris nervosa 211, stupida, apo-

plectica 235.



Register.



695



Febris petechialis 328.

Febris puerperalis 502. 510.

Febris putrida 245.

Febris rheumatica 128.

Febris saburralis, gastrico-biliosa
143.

Febris scarlatina, rubra 302.

Febris synocbalis , infiammatoria
simplex, irritativa 96.

Feigenausschlag II. 63.

Feigenmahl II. 63.

Feigwarzenkrankheit II. 667.

Feuchter Grind II. 60.

Feuchter Husten 434.

Fieber, allgemeine Eintheilung der-
selben 83 , allgemeine Heilart
derselben 88, Diät in densel-
ben 90.

Fieber im Allgemeinen 69.

Fieberlehre, specielle 96.

Fieberloser gastrischer Zustand 139.

Fieber mit aussetzendem Typus 252.

Fieber mit entzündlichen Affectio-
nen bestimmter Art 337.

Fieber mit Örtlicher Reizung der
fibrösen u. serösen Häute 128.

Fieber mit vorherrschendem Er-
griffensein des Herz- und Blut-
systems 96.

Fieber mit vorherrschendem Er-
griffensein derSchleimhäutel 1 1 .

Fieber mit vorwaltender Affection
des dermatischen Systems und
entzündlichen Eruptionen be-
stimmter Art 273.

Fieber mit vorwaltendem Leiden
des Nervensystems 211.

Fieber mit Säfteentmischung 245.

Fingergliedkrebs II. 85.

Flechte IL 56.

Flechtengrind n. 24.

Fleckige, exanthematische Syphili-
den H. 673.

Finne IL 49.

Fluor albus n. 152.

Fluss 375.

Fluxus haemorrhoidalis IL 193.-

Fothergills Gesichtsschmerz II. 347.

Frattsein 326.

Fressende Borke IL 2L

Fressender Grind IL 63.

Frieselausschläge , chronische 326.

Frieselneber 323.

Frostbeulen 336.

Frühgeburt n. 222.

Fussgeschwüre IL 43.

Fussschweisse IL 148.
II.



G.

Gabe der specifischen Arznei 40.

Galactorrhoea IL 150.

Gallenkolik IL 395.

Gallensteine IL 136.

Gallensteinkoliken II. 136.

Gangränös - phagedänischer Schan-
ker IL 654.

Gastralgia IL 414.

Gastrische Fieber 139.

Gastrische Kolik. IL 395.

Gastrisch nervöse Fieber 229.

Gastritis chronica II. 435.

Gastritis 472, traumatica, toxica,
potatorum 475.

Gastroataxia saburralis, biliosa,
pituitosa 139.

Gastrobrosis IL 440.

Gastrodynia IL 414.

Gastromalacia IL 440.

Gastropathia hysterica IL 495.

Gastrostenosis cardiaca et pylorica
IL 430.

Gebärmutterentzündung 493.

Gebärmutterkrebs IL 229.

Gebärmutterwassersucht IL 275.

Gefässaufregung nachScharlach 30

Gefraisch IL 519.

Gefraisel der Wöchnerinnen IL 527.

Gehirnaffectionen mit bestimmtem
Typus 265.

Gehirnblutung, spontane IL 311.

Gehirnentzündung 525, der Säufer
531.

Gehirnlähmung IL 312.

Gehirntuberkeln II. 90.

Gelbes Fieber 250.

Gelbsucht 460.

Gerstenkorn 566.

Gesichtskrebs IL 355.

Gesichtsrose 333.

Gesichtsschmerz IL 347.

Gicht 401.

Gichter IL 519.

Gichtische Fussgeschwulst 406.

Gichtische Knieaffection 406.

Gichtische Panaritien 406.

Globus hystericus II. 496. 519.

Glossitis 412.

Glossoplegia IL 328. 343.

Goldaderfiuss II. 193.

Gonorrhoea acuta II. 631 secunda-
ria 634, sicca 640, praeputia-
lis 645.

Grippe 123.

Gürtel 335.

45



696



Regist er.



Gumma IL 681.
Gutta rosacea II. 51.

II.

Habitus apoplecticus II. 313.

Habitus tuberculosus II. 86.

Haematemesis H. 180.

Haemoptisis II. 174.

Haemoptoe II. 174.

Haemorrhagiae H. 166.

Haemorrhagia narium IL 171.

Haemorrhagia pulmonum II. 174.

Haemorrhagia renalis IL 186.

Haemorrhagia urethrae IL 191.

Haemorrhagia ventriculi et tractus
intestinorum IL 180.

Haemorrhagien der Chylopoese IL
180.

Haemorrhagien der Respirations-
organe IL 171.

Haemorrhoea petechialis II. 205.

Haemorrhoidalfluss, kritischer 78.

Hämorrhoidalkolik IL 393. 405.

Haemorrhoidalkrankheit II. 193.

Haemorrhoides IL 193, vesicae et
urethrae sanguineae 201.

Hängebauch H. 231.

Häutige Bräune 435.

Halblähmung des Herzens II. 280.

Halbseitiges Kopfweh IL 367.

Halbseitige Lähmung IL 327.

Halsentzündung 414.

Handschweisse IL 150.

Harnblasenentzündung 490.

Harnleiterblutung IL 187.

Harnröhrenblutung II. 191.

Harnruhr IL 139.

Harnstrenge bei Kindern IL 209.

Harnverhaltung H. 517. 642.

Harnverhaltung bei Kindern II. 209.

Hasenauge II. 328.

Hautausschläge, chronische IL 13.

Hautfinne H. 49.

Hautschrunden IL 55.

Hautwassersucht II. 274.

Heilprincip, oberstes 2.

Helminthiasis 160.

Hemiplegia IL 327.

Hepatitis 452.

Hernia incarcerata 485.

Hernia inguinalis II. 394.

Hemicrania IL 367.

Herpes crustaceus IL 31.

Herpes phlyctaenoides IL 56. cir-
cinnatus 57, labialis 58.

Herpes praeputialis IL 58. 656.



Herzbeutelentzündung 368.
Herzbeutelwassersucht IL 269.
Herzentzündung 368.
Herzklemme IL 486.
Hexenauge 566.
Hexenschuss 389.
Hitzausschlag IL 48.
Hitzblätterchen 326.
Hitzblattern IL 48.
Hitzige Gehirnhöhlenwassersucht

537.
Hochpotenzen, Einiges über die 43.
Hodenentzündung 523.
Hordeolum 566.
Hüftgicht 409.
Hüftweh 409.
Hüttenkatze II. 400.
Hundswuth II. 558.
Hunter'scher Schanker IL 653.
Hydrargyria IL 48.
Hydrocele IL 275.
Hydrocephalus acutus 528. 537.
Hydrometra IL 275.
Hydropericardie IL 269.
Hydropes IL 252.
Hydrophobia IL 558, spontanea

563, symptomatica 571.
Hydrophobia hysterica IL 497.
Hydrops abdominis IL 270.
Hydrops anasarca II. 274.
Hydrops ascites n. 270.
Hydrops cerebri acutus 529. 537.
Hydrops ovarii II. 278.
Hydrops pericardii IL 269.
Hydrops pulmonum IL 268.
Hydropsien IL 252.
HydrojÄe nach Scharlach 309.
Hydropsien der Bauchorgane IL

270.
Hydropsien der Genitalien n. 275.
Hydropsien der Haut IL 274.
Hydropsien der Respirationsorgane

IL 262.
Hydrothorax IL 262.
Hyperoitis 414.
Hypochondriasis IL 613.
Hypochondrie IL 613.
Hysteria IL 491.
Hysteria cardiaca et vascularis IL

496. 518.
Hysteria cephalica IL 493. 510.
Hysteria gastrica IL 495.
Hysteria intestinalis H. 495.
Hysteria laryngea II. 496. 517.
Hysteria pulmonalis II. 496. 517.
Hysteria spinalis IL 494. 513.
Hysteria uterina IL 494. 514.



Register.



697



Hysteria vesicalis II. 494. 515.

Hysterisches Brustleiden II. 496.
517.

Hysterisches Darmleiden II. 495.

Hysterisches Herz- und Arterien-
leiden II. 496. 518.

Hysterisches Kehlkopfleiden II. 496.
517.

Hysterisches Magenleiden II. 495.

Hysterisches Nieren- und Blasen-
leiden. II. 494. 515.

Hysterische Psychosen. 11.494. 512.

Hysterisches Rückenleiden II. 494.
513.

Hysterische Migräne II. 375.

Hysterisches Uterinleiden. II. 494.
514.

Hysterisches Schlundleiden. II. 494.
519.

Hysteritis 493.



I.



Jammer der Kinder IL 519.
Icterus 460, neonatorum 461.
Icterus albus II. 605.
Ileus II. 408.
Impetigines II. 13.
Impetiginö'se Tuberkeln II. 94.
Impetigo figurata II. 60, rodens 62.
Incarceratio II. 409.
Incendium 338.
Ihcubus II. 481.
Indicatio causalis 31.
Ineinanderschiebung der Gedärme

II. 410.
Intussusceptio II. 410.
Inflammatio glandis et praeputii.

II. 643.
Inflammatio faucium 414.
Inflammatio hepatis 452.
Inflammatio intestinorum 477.
Inflammatio lienis 467.
Inflammatio linguae 412.
Inflammatio medullae spinalis 546.
Inflammatio musculi Psoas 399.
Inflammatio nasi 443.
Inflammatio pulmonum 347.
Inflammationes topicae 337.
Inflammatio oculi 552.
Inflammatio ossium 444.
Inflammatio ovarii 498.
Inflammatio renum 487.
Tnflammatio testiculi 523.



Inflammatio uteri 493.
Inflammatio vasorum et glandula-

rum lymphaticarum 449.
Inflammatio ventriculi 472.
Inflammatio vesicae urinariae 490.
Inflammatio vulvae 501.
Influenza 123.
Intertrigo 326.
St. Johannistanz IL 536.
Iritis 570.

Iritis syphilit. II. 683.
Ischias 409.

Ischuria II. 495. 517. .
Ischias nervosa 410.
Jungferhkrankheit n. 605.



K.

Kalte Fieber 252.

Kalte Geschwülste 451.

Karcinomatö'se Neubildung IL 227.

Kehlkopfs- und Luftröhrenschwind-
sucht IL 104.

Keratitis 569

Keuchhusten IL 448.

Kindbettfieber 502. 510.

Kind verweigert die Mutterbrust
IL 151.

Kitzelhusten 115. i

Kitzelhusten bei Phthisikern IL 126.

Knochenaffectionen, secundäre sy-
philit. IL 680.

Knochenentzündung 444.

Knotengicht 406.

Kolik IL 3S7.

Kolik von Kothverhärtung II. 399.

Kolik von örtlichen Ursachen IL
. 408.

Kopf, böser 31.

Kopfblutgeschwulst IL 302.

Kopfgicht IL 371.

Kopfgrind II. 31.

Kopfkrätze IL 31.

Kopfleiden, hysterisches II. 493.
510.

Kopfraute IL 31.

Kopfschmerz, gichtischer IL 371.

Kornstaupe IL 549,

Krätze II. 15.

Krätzmilbe II. 16.

Krampfhafte Engbrüstigkeit II. 476.

Krampfhafte Krankheiten IL 343.

Krampfhusten 120. 432.

Krankheiten, Eintheilung derselben
17, d<?s Alters 17, des Ge-

45*



698



Register,



schlechts 18, des Standes und
derGewerbe 14.18. Sporadische

1 9, Endemische 19, Epidemische

20, Erbliche, angeborene, er-
worbene 22, Ursprüngliche,
protopathische,abgeleilete,deu-
teropathische ; contagiöse,mias-
matische23, Acute, chronische
25, Gemüths- und Geistes 27.

Krankheit, Erforschung derselben 6.
Krankheitsbeschwerden während

des Monatflusses II. 225.
Krebsbildung II. 227.
Krebs der Brustdrüse II. 242.
Kreuzlähmung II. 327.
Kriebelkrankheit II. 549.
Kuhpocken 289.
Kupfergesicht II. 51.
Kupferkolik II. 403.

£..

Lähmung der Augenlider II. 328.

343.
Lähmung des Pharynx II. 328.
Lähmungen II. 326.
Lähmungen der Füsse II. 343.
Lagophthalmus II. 328.
Laryngitis 428.
Laryngopathia hysterica II. 496.

517.
Laryngitis exsudatoria 435.
Laufenlernen, spätes, der Kinder

539.
Lazarethfieber 248.
Leberphthisis II. 133.
Lebertuberculose II. 101.
Lepra syphilitica II. 674.
Leucoma 408.
Leucorrhoea II. 152.
Levantische Pest 249.
Liehen simplex II. 53.
Liehen syphiliticus II. 673.
Lienitis 467.
Lienteria II. 143.
Lipothymia IL 280.
Lippenflechte II. 58.
Lippenkrebs II. 355.
Lippitudo 565.
Lues venerea II. 627.
Luftröhrenschwindsucht Tl. 104.
Lumbago rheumatica 388.
Lungenblutung II. 174.
Lungenentzündung 347.
Lungenentzündungen bei Kindern

358.



Lungenlähmung 361. 365., II. 120.,

IL 485.
Lungenödem II. 268.
Lungenschwindsucht II. 108.
Lungentuberkeln II. 87.
Lustseuche II. 627.



M.



Madenwürmer 164.
Magenentzündung 472.
Magenerweichung II. 440.
Magenkrampf II. 414.
Magenkrebs II. 430.
Magenruhr II. 143.
Magenverhärtung II. 430.
Malaxis ventriculi IL 440.
Mal de Naples II. 627.
Malerkolik II. 400.
Malum cadueum pulmonum II. 459.
Masern 296.

Mastdarmblutfluss IL 193.
Mastdarm Vorfall II. 413.
Mastitis 520.
Medicina exspeetatrix , reconvales-

centium 40.
Melaena IL 180.
Melancholie, Unterschied zwischen

Hypochondrie IL 616.
Meningitis 525.
Meningitis spinosa 546.
Menostasia 11. 211.
Menschenpocken 279.
Menstrualüd>erkeln II. 91.
Menstruatio II. 206.
Menstruation, zu geringe II. 224.
Menstruatio nimia II. 214.
Mentagra II. 627.
Meteorismus uteri II. 277.
Methode; ableitende 37.
Metritis 493.
Metrorrhagia II. 216.
Miasma 24.

Mictus cruentus II. 186.
Migräne II. 367.

Milchfieber bei Wöchnerinnen 516.
Milchßuss IL 150.
Milchgrind, Milchborke II. 37.
Miliaria 322.
Miliaria purpurea 314.
Milzentzündung 467.
Miserere IL 408.
Mitesser II. 50.
Modiiicirte Pocken 294.



Register.



699



Morbi acquisitum, hereditarii 15.

Morbi aetatuml7, sexus 18, spora-
dici, endemici 19, epidemici,
annui , stationarii, intercurren-
tes 20, hereditarii, congeniti,
acquisiti 22, primarii, proto-
pathici, secundarii , deuteropa-
thici, contagiosi, miasmatici 23.

Morbilli 296.

Morbus caducus II. 573.

Morbus cerealis IL 549.

Morbus coeruleus II. 599., virgi-
neus II. 605, eruditorum II.
613, St. Rochi, Jacobi IL 627.

Morbus gesticulatorius IL 536.

Morbus niger Hippocratis IL 180.

Morbus maculosus haemorrhagicus
Werlhofii II. 205.

Morbus sacer. IL 573.

Mundfäule 421.

Muskelbewegung, unwillkürliche II.
536.

Mutterbeschwerden II. 491.

Mutterblutfluss IL 216.

Mutterkrampf II. 491.

Mutterweh II. 491.

Myelitis 546.

Myolopathia hysterica II. 494.513.



SS.



Nabelbruch und Leistenbruch bei

Kindern II. 208.
Nachkrankheiten und Ausgänge der

Entzündung 345.
Nachkrankheiten der epidemischen

Cholera 190.
Nachkrankheiten der Masern 30!.
Nachkrankheiten der Pocken 289.
Nachkrankheiten des Scharlachs 308.
Nachtripper IL 634.
Nachwehen 519.
Nasenbluten IL 171.
Nasenbluten, kritisches 76.
Nasenentzündung 443.
Nasenkrebs II. 355.
Necrosis II. 681.
Necrosis ustilaginea IL 551.
Nephritis 487.
Nephropathia hysterica IL -49-i.

515.
Nervenschlag IL 311.
Nervöse Fieber 211.
Nervöser Kopfschmerz IL 367.

II.



Nesselheber, Nesselfriesel 294.

Neuralgien II. 343.

Neuralgien des Bauchnervensystems

IL 382.
Neuralgia coeliaca II 382., 11.416.
Neuralgia facialis IL 347.
Neuralgia ischiatica 410.
Neuralgia spinalis IL 377.
Neuralgie des Herzens IL 486.
Neuralgie des Rückenmarks IL 377.
Neuritis nervi quinti IL 350.
Neurosen IL 446.
Neurosen der Brustnerven IL 448.
Neurosen des Genitalien - Systems

IL 491.
Neurosis uterina IL. 494. 514.
Nierenblutung II. 186.
Nierenentzündung 487.
Nierenschmerzen II. 517.
Noma IL 363.
Notalgia IL 377..
Nymphomanie. II. 512.



O.



Obstructio menstruorum II. 214.

Ozaena syphilitica II. 681.

Oculus leporinus II. 328.

Odontalgia rheumatica 391.

Oedema pudendarum IL 275.

Oedema pulmonum IL 268.

Oesophagitis 427.

Ohnmacht IL 280.

Ohrdrüsenbräune 441.

Ohrentzündung 550.

Onychia syphilit. II. 675.

Oophoritis 498.

Ophthalmia 552, erysipelatosa 553,
catarrhalis 555, rheumatica 557,
arthritica 558, scrofulosa 562,
neonatorum 567.

Ophthalmia arthritica 408.

Ophthalmia gonorrhoica IL 648.

Ophthalmitis 552.

Orchitis 523, traumatica, rheuma-
tica, erysipelatosa, gonorrhoica
524.

Orchitis gonorrhoica IL 647.

Orthopnoea II. 459.

Ostitis 444.

Otitis externa et interna 550.

Ovaritis 498.

Ozaena narium 443.

46



700



R e g i s t e r.



P.



Paedarthrocace II. 55.

Paedatrophia II. 126.

Pannus 570.

Papulöse oder Knötchen-Syphiliden

II. 673.
Paralyses II, 326.
Paralysis ani II. 328.
Paralysis cerebralis II. 312.
Paralysis pulmonum II. 485.
Paralytische Krankheitsformen II.

326.
Paraphimosis II. 634. 642.
Paraplegia II. 327.
Paraphrenitis 372.
Parotitis 441.
Passio hysterica II. 491.
Perforatio ventriculi spontanea II.

440.
Perinephritis 487.
Pericarditis 368, infantum 370.
Peripneumonia 347.
Peritonitis puerperalis 502. 510.
Perniones 336.
Pertussis II. 448.
Pestis bubonica 249.
Petechiae 328.
Petechien II. 205.
Phagedänischer Schanker II. 654.

663.
Phagedänisches Geschwür des Ute-
rus II. 234.
Pharyngitis 414. 426.
Pharyngopathia hysterica II. 496.

519.
Phimosis II. 634. 642.
Phlegmasia alba 5Ö8.
Phlegmone 338.
Phlogosis 338.
Phrenesia potatorum 531.
Phrenitis 525.
Phthisen II. 102.
Phthisis hepatica II. 133.
Phthisis laryngea et trachealis II.
104,pulmonalisl08, floridal!3.
Phthisis meseraica IL 126.
Physconia sanguinea II. 163.
Plethora pectoris II. 162, abdomi-
nalis 163.
Plethora venosa abdominalis 158.
Pleuritis 366.
Pleuritis muscularis 368.
Pneumonia acuta rera 347.
Pneumonia nervosa 361.
Pneumonia notha, occulta 364.
Pneumonia typhosa 244.



Pneumonitis 347.
Pneumorrhagien II. 123.
Pneumotyphus 244.
Pockenkrankheit 279.
Podagra 403. 406.
Porrigo larvalis II. 37.
Potenzirung der Arzneien 42.
Proctalgia II. 411.
Proctorrhoea II. 180.
Profluvium sanguinis II. 169.
Prolapsus Iridis 408.
Prolapsus vaginae s. uteri II. 232.

276.
Prosopalgia II. 347, inflammatoria

350.
Prurigo scabida II. 17.
Pseudoplasmen, bösartige II. 227.
Pseudosyphilis II. 58.
Psoitis 399.'
Psora II. 6.

Psoriasis II. 54, II. 656.
Psoriasis syphilitica II. 674.
Ptyalismus II. 144.
Ptyalismus mercurialis 424.
Pudendagra II. 627.
Puerperalfieber 502. 510.
Puerperaltuberkeln II. 91.
Punctirte Finne II. 50.
Purpura rubra 314.
Purpurfriesel 314.
Pustulöse Syphiliden II. • 675.
Putrescentia uteri 506. II. 240.
Putrescenz der. Gebärmutter 506.
Pyelitis 487.
Pyrosis II. 416, II. 426.
Pyrosis hysterica II. 495.



lt.

Rabies canina II. 558.

Rachenentzündung 414.

Rachencroup 422.

Rhachialgia metallica H. 400.

Rhachialgie II. 377.

Rhachitis II. 81.

Rhagades II. 676.

Raphania II. 549.

Regeln , allgemeine therapeutische,

29.
Reinigung, monatl., II. 206.
Reizfieber der Schleimhaut des

Darmkanals 153.
Reizfieber 96.
Retinitis 561.
Rheumatalgia 375.






Register.



701



Rheumatisches Fieber 128.

Rheumatismus acutus 375.

Rheumatismus cephalicus 391.

Rheumatismus cordis 370. 380.

Rheumatismus extremitatum 377.

Rheumatismus febrilis intestini cras-
si 192.

Rheumatismus gonorrhoicus II. 649.

Rheumatismus paralyticus 397.

Rheumatismus pectoris 387.

Rheumatosen 374.

Rhypia II. 60.

Rhypia syphilitica II. 675.

Ringflechte II. 57.

Röthein 322.

Rosenartige Entzündung am Scro-
tum 335.

Rosenartige Entzündung Neugebor-
ner 334.

Roseola syphilitica II. 673.

Rother Hund 314.

Rothlauf, Rose 331.

Rothnase II. 51..

Rubeolae 322.

Rückenmarksentzündung 546.

Rückenmarkstuberkeln II. 101.

Ruhr 191. gastrische 197. gallicht-
entzündliche 196. catarrhalisch-
rheumatische 195. schleimige
199.



S.

Säuferwahnsinn 531.
Salivatio II. 144.
Salivatio mercurialis 424.
Sarcoptes hominis II. 16.
Schälbläschen 326;
Schälknö'tchen II. 46.
Schankerformen II. 652. Behdlg.

derselben 657 u. f.
Sc'aarlachfieber 302.
Scheintod II. 280, 283. d. Neuge

bornen 297.
Schenkelgeschwulst, weisse 508.
Schlaflosigkeit II. 511.
Schlafsucht II. 511.
Schlagfluss II. 311.
Schleichende Nervenfieber 250.
Schleimabsonderung, kritische 79.
Schleimfieber 153.
Schleimkolik IL 399.
Schleimschwindsuchten II. 117.
Schlucksen II. 304.
Schmutzflechte II. 60.



Schnupfenfieber 117.

Schorfe um die Augen II. 56.

Schreien der Kinder ohne wahr-
nehmbare Ursache II. 307.

Schrunden an den Lippen, Brust-
warzen II. 56.

Schaafshusten IL 448.

Schuppengrind IL 54.

Schuppige Flechte IL 54.

Schutzpocken 289.

Schwämmchen 329.

Schwarze Blatter 335.

Schwarzes Erbrechen 250.

Schwarze Krankheit IL 180.

Schweiss an den Genitalien IL 150.

Schweisse bei Fhthisikern II. 124.

Schweiss, kritischer 73,

Schweisssucht IL 148.

Schwindflechte IL 53.

Schwindknö'tchen IL 53.

Schwindsucht, gallopirende IL 113.

Scabies alienata IL 40.

Scabies capitis. IL 31.

Scabies vesicularis seu lymphatica
IL 15. papulosa 17. capitis 31.

Scarlatina miliaris Hahnemanni 314.

Scelotyrbe IL 536.

Scirrhosität und Krebs der Gebär 7
mutter IL 229.

Scirrhus s. Cancer mammae IL 242.

Scirrhus et Carcinoma uteri 11.229.

Scirrhus ventriculi II. 430.

Scrofulosis II. 65.

Scrophelkrankheit IL 65.

Secundäre syphilit. Hautkrankheiten
IL 673.

Seitenstich 366.

Serpiginöser Schanker IL 655. 665.

Seuchen, chronische II. 625.

Sideratio IL 292.

Soda IL 416.

Soodbrennen 142. II. 416.

Soor 329.

Spasmus glottidis IL 476.

Spasmus hysteralgicus II. 494. 514.

Spasmus vesicae II. 443.

Specielle Therapie akuter Exan-
theme 279.

Speichelfluss IL 144.

Speichelfluss, kritischer 80.

Speiseröhrenentzündung 427.

Spinal-Neuralgien IL 377.

Spinalirritation IL 377.

Spina nodosa, bifida II. 81. ,

Splenitis 467. 546.

Spulwürmer 165.

Sputum cruentum IL 174.
Aß*



702



Register.



Staphylitis '414.
Staphyloma 408.
Status gastricus , biliosus , pituito -

sus 139.
Status pituitosus 156.
Steckfluss 361. 365. IL 483.
Steckkatarrh der Kinder IL 476.
Stillicidium sanguinis IL 169.
Stockschnupfen 122. 444.
Stomacace 421.
Stomacace mercurialis IL 687.
Stomatitis mercurialis 424.
Stranguria II. 309. 495. 517.
Strophulus confervus II. 46.
Stuhlverstopfung Neugeborner IL

305.
Stymatosis IL 191.
Syphilitische Excescenzen IL 667.
Suffocatio uterina IL 491.
Suspensio vitae II. 580.
Sycosis IL 63. IL 557.
Syncope IL 280.
Synocha catarrhalis 111.
Synocha rheumatica 128.
Syphiliden IL 673.
Syphiliden, schuppige IL 674.
Syphilis IL 625.
Syphilis neonatorum s. congenita

IL 684.
Syphilitische Bubonen II. 666.



T.



Tumor capitis sanguineus II. 302.

Tussis convulsiva, ferina IL 448.

Typhus 211. abdominalis 212. ce-
rebrales 212. Pneumotyphus
213. inflammatorius 221.

Typhus contagiosus, bellicus, no-
socomialis 248.

Typhus icterodes 250.

Typhus pestilentialis 249.

Typhus putridus 245.



U.



Uebermässige Menstruation IL 2L6.
Ulcera pedis IL 43. varicosa, pha-

gedaenica 43.
Ulcus syphilit. elevatum IL 653.

660.
Ulcus syphilit. induratum IL 653.

661. syph. phagedaenicum 654.

663.
Unfruchtbarkeit IL 232.
Unterdrückte Menstruation IL 214.
Urethrorrhagia II. 191.
Urethritis IL 631.
Urformen chronischer Krankheiten

nach Hahnemann II. 6.
Urin, kritischer 74.
Urina sanguinea IL 186.
Urocystitis 490.
Urticaria 294.
Uterinepilepsie IL 588.



Tenesmus IL 411.

Testicularepilepsie IL 590.

Therapia prophylactica 34.

Therapie, allgemeine 2. specielle 69.

Tinea capitis II. 31. maligna 36.

Tophus II. 681.

Tracheitis 428.

Triefauge 566.

Tripper II. 631. synochaler , tor-
pider , russischer , trockner,
erysipelatöser II. 633.

Trippergicht IL 649.

Tripperrheumatismus IL 649.

Tripperhodengeschwulst IL 647.

Tripperkhten, secundäre, IL 647.

Tuberculosis IL 65. 85. pulmonum
87.

Tuberkel, mucöser IL 668.

Tuberkeln, arthritische IL 95.

Tuberkeln durch kalten Trunk II.
93.



% V.



Varicellae 292.

Variola 279.

Variolae discretae 286, conßuentes
286.

Variolae siliquosae 294.

Variolae spuriae 292.

Variolae, vaccinae tutoriae 289.

Varioloides 294.

St. Veitstanz IL 536.

Venerische Krankheit IL 625.

Venerische Krätze IL 673.

Verfangen der Kinder 373. II. 464.

Vergehen der Milch II. 151.

Verhärtung als Nachkrankheit der
Entzündung 346.

Verhärtung der Meibom'schen Drü-
sen 566.



Register.



703



Verlarvtes Scharlachfieber 306.
Verschlingung der Gedärme 11.410.
Verwachsung als Nachkrankheit der

Entzündung 346.
Verzögerte Menstruation II. 214.
Volvulus 487, II. 410.
Vomitus cruentus II. 180.
Vorbauung der Hundswuth II. 566.
Vorbauung gegen Scharlachfieber

und gegen die aus Scharlach

und Purpurfriesel entstandene

Complication 311.
Vorfall der Mutterscheide oder des

Uterus II. 232.
Vorhautflechte II. 58.



W.

Wachsgrind II. 31.
Wangenkrebs II. 355.
Wassergeschwulst der
Schamlefzen II. 275.
Wasserkolik II. 416.
Wasserkrebs II. 363.
Wasserscheu II. 558.
Wasserschlag 546.
Wassersuchten II. 252.
Wechsel der Arzneien 61.



grossen



Wechselfieber 252.

Wechselfieberartige Zustände 260.

Weisser Fluss II. 152.

Wiederholung der Arzneien 62.

Würghusten 119.

Wundkolik II. 388.

Wundsein 326.

Wundwerden der Brustwarzen 521.

Wundwerden der Zehen II. 149.

Wurmfieber 160.

Wurmkolik II. 399.



X.

Zahnausschlag II. 46.

Zahnfieber der Kinder 103.

Zahnruhr 482.

Zahnschmerz, rheumatischer 391.

Ziegenpeter 441.

Zona 335.

Zoster 335.

Zunge, angewachsene II. 301.

Zungenentzündung 412.

Zungenkrebs II. 355.

Zungenlähmung II. 328. 343.

Zweiwuchs II. 81.

Zwerchfellentzündung 372.



Druck der Teubner'sehen Officin in Leipzig. .



Accession. no. iM-^fo 7

Author Hartmann,F.

3pecielle Therapie.

Call no. RX221

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Re: HOMEOPATHY HARTMANN 1847
« Reply #28 on: July 26, 2015, 09:00:32 PM »

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Kinderklinik Gelsenkirchen verstößt gegen die Leitlinien

Der Skandal in Gelsenkirchen
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http://www.kinderklinik-gelsenkirchen-kritik.de
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